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Ähnlich wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr wieder eine bestimmte Anzahl an Punkten, die ihr den Texten geben könnt. Dabei ist zu beachten, dass ihr frei wählen könnt, wie genau ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenig oder zu viele Punkte enthalten können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen! Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen zur Wettbewerbsaison 2012
Ihr könnt 7 Punkte verteilen
Der Vote läuft bis zum 08.09.2012 um 23:59 Uhr.
gewählter Klang:
Wir wollten es alle nicht wahr haben, jedoch ist es jetzt soweit. Soviel Blut, soviele Tote und alles nur weil wir mächtiger sein wollten als er. Genau es ging nur um Macht. June hat das alles geahnt ,aber niemand wollte ihr glauben. Hätten wir nur auf sie gehört, aber nun ist es zu spät.
Die Engel sind auf die Erde herab gefahren und sie werden Alles und Jeden töten der ihnen in den Weg kommt. Ihre Pfeile durchbohren die Menschen ohne Verletztung doch danach verbrennen sie innerlich. Was für Schmerzen es sein müssen. Sie machen vor nichts halt. Weder vor Frauen, noch vor Kindern. Rose, meine geliebte Rose; Auch du bist dahin gerafft worden.
Das jüngste Gericht ist gekommen. Gott selbst schickt seine Truppen um uns allezu töten und das nur, weil ich gierig nach Macht war. Man darf nicht versuchen Gottes Macht an sich zu reißen.
"NEIN ! Sie dürfen das nicht tun. Sie werden uns alle umbringen." Das waren die letzten Worte von June bevor ich sie vom Sicherheitspersonal habe rausschmeißen lassen. Das hat auch ihren Tod bedeutet.
Ich habe soviele Menschen auf dem Gewissen. Wenn sie nicht weiter leben dürfen, warum dann ich? Ich werde nun meinem Schicksal entgegen treten und meiner Frau, June und allen Menschen denen ich mit meiner Forschung Leid zu gefügt habe folgen und meinen sterblichen Körper den Waffen der Himmels-Truppen hingeben. Vielleicht finden damit die Engel, die geschundenen Seelen und auch endlich ihre Ruhe.
gewählter Klang:
Aufmerksam und mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen schritt das kleine Mädchen munter und bedächtig durch die engen, graugefüllten Gänge. Stets und ständig öffnete sie Tür um Tür, doch erwartete sie stets nichts weiter als das dunkle, dumpfe Schimmern des kalten, rostumsäumten Eisens, wie es sich mit wütendem Elan in festgelegten Bahnen durch die feuchtgekühlte Luft von allen Räumen sägte.
Sie lachte glücklich auf, als sie erneut jemanden entdeckte, wie sie, still und starr verstreut im Innern dieser ewigen Gemäuer, zu Tausenden hier unten standen. Mit einem breiten Grinsen zog das kleine Mädchen, wohl kaum hatte sie das zehnte Lebensjahr erreicht, ein Skalpell aus ihrer Tasche, stellte sich auf einen kleinen Hocker, den sie mit sich herumtrug, um zum Gesicht der junge Frau zu gelangen, die sie gefunden hatte. Ohne Regung – nicht einmal ein Blinzeln entfuhr der versteinerten Dame – nahm sie die Prozedur hin, der das Mädchen ihr zu unterziehen im Begriff war, indem sie das scharfe Messer geübt über die glatte Stirn wandern ließ und ein Zahnrädchen aus ebenjener hervorzog.
Nicht ein einziger Tropfen Blut drang unter der Haut empor. Kaum hatte das Mädchen erhalten, was sie brauchte, ließ sie von der hübschen Frau ab, die nun einen kaum sichtbaren Spalt auf ihrem schönen Antlitz zu beklagen hätte, wenn sie denn noch hätte klagen können.
Doch wie jeder der vielen Menschen hier, konnte auch sie sich nicht mehr regen, auch nicht denken, nicht verschmähen und keinen Protest äußern. Das junge Mädchen – es nannte sich selbst »Luka«, weil niemand anders existierte, der ihr einen Namen hätte geben können – konnte skrupellos den naiven, kindlichen Ideen nacheifern, die sich in ihrem Kopf bildeten, ohne Angst vor irgendwelchen Konsequenzen, denn hier in diesem grauen Labyrinth, wo sich Zeit nur durch die Strecke definierte, die sie hinter sich brachte, gab es nichts und niemandem, der sich ihr in den Weg stellen konnte.
Jetzt stand sie vor einem Tisch, an dem ein alter Mann mit langem, verzopften Bart in einem Buch las, das nun schon seit rund einer Ewigkeit keinen Seitenumschlag mehr erlebt hatte. Zunächst tat Luka das, was sie immer Tat: Ein Schnitt in der Stirn. Diesmal erbeutete sie eine kleine Schraube, die sie wie alles andere in ein Säckchen an ihrer Hüfte gleiten ließ, dann sah sie sich das Buch näher an. Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ein schlanker, alt aussehendes Umschlag verband viele gelbe, dicke Seiten miteinander – und das für immer! Aus Mitleid mit dem alten Buch blätterte Luka eine Seite weiter.
Sie hüpfte drei Schritte rückwärts, um die Situation von der »Ferne« zu betrachten, zeigte sich mit ihrer Tat zufrieden und drehte sich für immer um. Im nächsten Raum stand ein Mädchen ihres Alters mit einem kleinen Rotor im Kopf, neben ihr jemand, der aussah, wie ihr Vater. In ihm verbarg sich eine Mutter.
Je weiter sie lief, desto schwerer wog ihr Säckchen. Doch als würde es ihnen nichts ausmachen, trugen ihre Beine sie von Ort zu Ort, vorbei am düsteren Klicken der Wände und am Wanken der zischenden Rohre unter ihren Füßen und über ihrem Kopf. Einer alten Frau mit faltenzerfurchtem Gesicht, die gerade einen Revolver lud, entlockte sie eine goldgelbe Flüssigkeit, zäh wie Harz, alt wie Bernstein und mit einem süßlichen Geruch wie Honig, der sich unter den beißenden Gestank der öligen Machenschaften legte, die das Wirrwarr der Räumlichkeiten in Schilde führten. Ein solcher Saft drang nur aus wenigen Menschen, doch ihn behütete Luka besonders, indem sie ihn in ein dichtes, dickes Glas laufen ließ, in dessen Inneren sich noch weitere tropfen befanden, die sich miteinander nicht vermischten, sondern an einander anfügten wie Bienenwaben.
Im nächsten Raum wartete ein gelber Tiger, den an einer Tafel mit Kreide in der Hand die Ewigkeit beim Rechnen unterbrochen hatte. Aus Respekt schnitt Luka ihn nicht auf. Sie hatte gelernt, dass man Tiere wertschätzen musste. Sie würde ohne das Teil in seiner Stirn auskommen müssen.
Allerdings konnte es sich das kleine Mädchen nicht nehmen lassen, ihn ein paar Minuten lang zu streicheln. Beglückt malte sie sich aus, wie er sie jetzt bei Haut und Haaren verschlingen würde, wenn er es nur könnte.
Nach mehreren dutzend weiterer Räume entschied sie sich, es für den heutigen Tag gewesen sein zu lassen. In jedem Raum – egal in welchem, existierte stets dieselbe Tür an irgendeiner Wand, eine Tür, die immer zurück zum Ausgangsraum führte, einer großen Halle, in der Luka geboren wurde. Am Ende eines jeden Tags kehrte sie dorthin zurück.
Sie drückte die Klinke der alten Tür hinunter, die zu quitschen begann wie ein ungeöltes Getriebe, und kaum drückte sie sie auf, blies ihr ein starker Windstrom ins Gesicht, sodass sie sich schütteln musste, bevor sie hindurch ging.
Der große Urpsrung, wie sie ihren Raum nannte, übermannte sie sofort mit seiner Pracht: Der einzige Ort, an dem Pflanzen wuchsen, an dem sie den Boden unter ihren nackten Füßen spürte und wo sie sich zuhause fühlte. Laut lachend rannte sie umher, dann nahm sie das schwere Säckchen von ihrer Hüfte und brachte es zu einer Ecke unter einer Palme, in der sie ihre Werkstatt aufgebaut hatte. Sie schüttelte die Teile aus und machte sich daran, Stück für Stück an ihrem Werk weiterzubauen. Luka musste sich selbst beibringen, wie alles funktionierte, probierte herum, was nirgends passte ließ sie vorerst fallen. Immer mehr nahm ihre Maschine Form an, doch weder wusste sie, wann sie fertig würde, noch, was dann geschehen könnte. Und trotzdem baute sie unermüdlich weiter, schritt umher und durchwanderte das Nichts.
Schließlich ermüdete sie von der anstrengenden Arbeit, denn es erforderte viel Konzentration, die passenden Stellen zu finden, an denen ihre neuen Stücke passten. Teile ihrer Maschine bewegten sich bereits und arbeiteten unermüdlich, doch sie wusste nicht, woran.
Schließlich erinnerte sich Luka an ihr Glas, hielt es mit ausgestrecktem Arm vor sich und grinste es an. Dann rannte sie zu ihrem Teich – einem kleinen Becken, das schon zur Hälfte mit der goldenen Flüssigkeit aus den Köpfen der Menschen gefüllt war. Sie goss den neuen Inhalt ihres Glases hinein. Dann tat Luka etwas, das sie sich selbst verboten hatte, und doch brach sie ihre Regel jeden tag aufs Neue: Sie zog sich aus und badete in ihrem eigenen Teich. Denn obwohl sie wusste, dass man mit den Seelen der Menschen nicht spielen sollte, so fühlte sie sich nicht mehr alleine, wenn sie sich unter ihnen befand. Sie hörte leise flüsternde Stimmen, ein durcheinander und ab und zu gar ein paar klare Worte, doch nichts, das ihre Langeweile vertreiben konnte – nur ein Stückchen ihrer Einsamkeit.
Schließlich stieg sie wieder heraus und legte sich schlafen. Nie wusste sie, wie lange sie schlief. Jeden Morgen sah die Vegetation der Halle völlig anders aus, einige Bäume waren gealtert, einige schienen nun jünger, andere verschwanden gänzlich und kein Busch saß mehr an seinem alten Platz. Dennoch schien Luka, als würden diese Pflanzen nur für sie wachsen, denn sie konnte jede von ihnen essen und wurde davon satt. So tat sie sich auch an diesem Morgen gütlich und verschwand dann wieder durch die selbe Tür, durch die sie eingetreten war.
Vorbei an vielen Menschen, stets mit dem gleichen Ziel, arbeitete sie sich weiter und weiter, Tag um Tag, immer voran und ohne je einen Blick nach hinten zu verschwenden.
Bis sie schließlich wieder zurückkam. Zurück zur jungen Frau, der sie vor zumindest einer Ewigkeit ein Zahnrädchen aus der Stirn geschnitten hatte.
Die verwunderung wischte das Lächeln von Lukas Gesicht. Das können doch nicht schon alle gewesen sein!, dachte sie, ich habe die Maschine noch nicht fertig! Sie lief weiter – vorbei am alten Mann und allen anderen, bis sie zum Tiger gelangte.
Sie sah ihn sich genau an, dann besah sie die Tafel und konnte schwören, dass er in seiner Rechnung vorangekommen war. Sie lächelte wieder, dann nahm sie sich einen Hocker und schnitt dem Tiger eine Unruh aus der Stirn.
Zuhause angekommen, baute sie fertig, was sie begonnen hatte.
Über alle Maße erfreut taufte sie es Uhr.
gewählter Klang:
„Was nun?“, musste ich mich fragen, eine andere Möglichkeit bot sich mir nicht.
Vor mir, zwei Gassen, eine führte nach rechts, die andere nach links; umdrehen hingegen war keine Option, nicht in dieser Situation. Noch ein letztes Mal neigte ich flüchtig den Kopf nach hinten und sah sie! Die ganze Stadt rannte mir hinterher, Fackeln, Mistgabeln und teilweise sogar Messer in den Händen; alle waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Sie wollten mir an den Kragen – und wenn ich nicht rechtzeitig entkam, durften sie mir an den Kragen – als Belohnung gab es meinen Kopf, der mittlerweile mehr wert war, als das Haus der königlichen Familie – und das sollte was heißen.
Ich spürte fast schon den Atem meiner Verfolger in meinem Nacken, also lief ich einfach. Ich bog nach links ab – warum wusste ich nicht genau – und lief einfach nur den Weg entlang. Zu meinen Seiten erstrecken sich hohe Häuserwände, die ich allerdings nicht beachtete, der Boden auf dem ich lief wandelte sich langsam von Asphalt zu einem sandigen, schwachen Untergrund, auf dem man leicht ausrutschen konnte. „Nur die Ruhe“, sagte ich mir innerlich und redete mir weiterhin Kampfgeist ein – das Leben war noch viel zu kurz um sich von ihm zu verabschieden.
„Komm her du Gauner, damit wir dich vierteilen können!“, brüllte einer der Männer aus der Traube meiner Verfolger und löste sich von seinen Kumpanen. Er beschleunigte sein Tempo; versuchte mich aufzuholen. Und es gelang ihm! Egal wie schnell ich lief – die Panik machte mich zum Tier – er konnte dem immer standhalten und weiterlaufen.
„In Ordnung“, murmelte ich und mit einem Mal hatte ich mich im Lauf umgedreht, das Gesicht meinem Verfolger zugeneigt. Überrascht starrte er mich an; damit hatte er wohl nicht gerechnet! Gut so. Die ersten Siegesgefühle stiegen in mir auf, während mein Gegenüber immer nervöser wurde, wuchs meine Sicherheit, gleich der Überzeugung vom Sieg, ins unermessliche hinaus. „Dann lass uns kämpfen!“, rief ich, während ich meinen rechten Arm in die Luft streckte. Dabei verlor ich fast meinen Hut, doch war das nicht unmöglich? Mein Hut war immer bei mir!
Offenbar hatte sich mein Gegner wieder gefasst, denn er rannte jetzt mit vollem Tempo auf mich zu, ein Messer in der linken Hand, welches er direkt nach vorne – auf meine Brust – richtete. Ich blieb ruhig, zumindest äußerlich, meinen nervös rasenden Herzschlag ließ ich mir nicht anmerken. Und dann passierte alles von einen Moment auf den anderen, einfach nur viel zu schnell! Kurz bevor er mich treffen konnte, wich ich zur Seite aus und mein Gegner viel in den Staub. Er wollte aufstehen, drehte seinen Oberkörper zu mir um, doch da schnellte meine Faust schon auf ihn zu, traf in mitten in seinem Gesicht und streckte ihn erneut zu Boden.
„Du entkommst mir nicht!“, brüllte plötzlich eine unglaublich laute Stimme, sodass ich mir verschreckt die Ohren zu halten musste. Mein bis eben noch so lebendiger Gegner brauchte dies nicht mehr zu tun, er hörte nur noch den Gesang des Engelschors, der ihn langsam in den Himmel geleitete.
„Wer bist du!?“, fragte ich unsicher, selbst wenn ich stark war, kannte ich diese Stimme nicht, geschweige denn sah ich niemanden, von dem diese ausging. Verwundert suchte ich die Reihen meiner Verfolger erneut nach dem Ursprung ab, doch ich fand nichts und so musste ich die Antwort abwarten.
„Ich? Har, har, har“, lachte der Mann spöttisch, „Mein Name ist Moji. Moji der Dompteur!“ Sofort begannen alle Menschen aus der Gruppe wie wild an zu Jubeln. War er ihr Anführer?
Plötzlich, es gefror mir das Herz, trat ein Tier aus der Menge hervor, auf ihm saß ein Mann, der ganz offensichtlich mein nächster Gegner war – Moji. Das Tier, welches zunächst nur schemenhaft zu erkennen war, stand jetzt vollkommen im Sonnenlicht, ich konnte jedes Härchen zählen. Es war ein Löwe!
„Das war es, mein lieber Ruffy – deine Geschichte als Pirat und lebender Mensch dieses Planeten“, Moji machte eine kurze Pause um seine darauf folgenden Worte besser zu untermalen, „ist hier zu Ende!“
Wie auf Kommando rannte der Löwe los, er war wahrscheinlich fast doppelt so groß wie ich. Er streckte eine seiner riesigen Pranken aus und schlug mit voller Wucht in meine Richtung. „Gum-Gum-Power!“, brüllte ich und sofort schnellte mein gesamter Körper nach vorne, sodass mich die Krallen des Löwen nicht trafen.
„Du bist nichts wert, Ruffy“, fluchte Moji als weiter, „Deshalb stirb!!“ Erneut hob der Löwe seine Pranken, dieses Mal jedoch frontal, sodass ich nicht einfach gerade aus ausweichen konnte.
Ich legte ein Grinsen auf. Der Dompteur verzog zwar überrascht eine Miene, ließ sich von meinen Spielerin jedoch nicht täuschen, seinen Löwen stoppte er nicht im Angriff – und das kam mir sehr gelegen.
„Gum-Gum-Power!“, rief ich und sofort schnellte meine Faust auf das Gesicht des Löwens zu, welcher nun vollkommen wehrlos war. Ich traf ihn, nur ein Stück weiter rechts seines Maules und konnte deutlich seine Schmerzen vernehmen, als dieser wie vom Spieß erstochen aufschrie und einen Satz nach vorne machte.
„Ist ja okay, du kleine Miezekatze“, lachte ich und schob ihm erneut mit astronomischer Präzession meine Fast ins Gesicht. Er taumelte etwas zurück, doch ließ sich davon nicht so leicht erschrecken.
„Lauf!“, befahl Moji, nachdem er und sein Löwe sich wieder gefasst hatten, „LAUF!!!“ Sofort setzte das anmutige Tier zu einem Sprint an, natürlich auf mich gerichtet. Jetzt musste ich nur im richtigen Moment ausweichen und dann zuschlagen, schon wäre der Kampf gewonnen. Das Adrenalin schoss in mir hoch wie Gift und füllte meinen Körper mit Siegeswillen und Leidenschaft. Ich wusste ich würde ihn schlagen, ich wusste es.
„Jetzt!“, schoss es mir durch den Kopf und reflexartig schickte ich meine Faust auf Reisen, sie sollte wiederkommen mit der Galle und dem Blut meines Gegners; sie sollte den Sieg verkünden. Dieses Mal zielte ich aber nicht auf den Löwen, sondern auf seinen Dompteur höchstpersönlich – Moji!
Was darauf folgte, damit hatte ich jedoch nicht gerechnet! Meine Faust hätte getroffen und der ach so starke Dompteur hätte den Löffel abgegeben – nein, es kam anderes. Er hatte seinem Löwen befohlen hoch in die Luft zu springen. Nun schnellte er auf mich herab, für einen Gegenangriff war es fast schon zu spät… Oder? Was wenn ich nach hinten ausweichen würde? Aber sind die Pranken des Löwen nicht zu lang? Würden sie mich nicht trotzdem erwischen? „Versuchen muss ich es wenigstens“, meinte ich achselzuckend. Ich war in solchen Situationen eben gelassen – mein Kumpel Zorro mochte das auch nicht, wenngleich er teilweise selbst so handelte.
Der Löwe war nun fast da und seine Pranken schossen direkt auf mich zu. „Jetzt!“, zischte die Kanonenkugel durch meinen Kopf und sofort machte ich einen riesigen Satz nachhinten – konnte die Spannung nicht mehr aushalten… Hatte ich es geschafft? Ich neigte den Kopf hoch und sah wie die Krallen dieses mächtigen Tieres gerade so vor meinem Körper vorbeisausten. Ich gucke etwas höher und sah Moji, der wie am Spieß aufschrie! Er wusste was ihm bevorstand, gleich war es soweit.
„Gum-Gum-Power, los!!!“, schrie ich und mein Arm zischte blitzschnell auf den Dompteur zu. Binnen weniger Sekunden wurde er getroffen und von seinem Tier gestoßen. Um nicht in Verlegenheit zu kommen, einen Zweikampf mit einem Löwen zu führen – Hach, welch Ironie? – holte ich mit meinem Fuß aus und trat dem König der Tiere mit meiner Gummi-Power gehörig auf die Birne.
Doch was war das? Etwas braunes flog vor meinen Augen zu Boden herab. Es hatte einen Riss, ganz oben… - Mein Hut, er war kaputt. Ich hob ihn auf und drehte mich um, sodass ich die ganze Menge an Leuten, die mir bis eben noch den Kopfabreißen wollten, direkt in die Augen sah. Ich neigte den Kopf nach vorne, drehte mich um und ging. Eine der Leute rief noch etwas wie „Bleib hier!“ doch ich beachtete es kaum. Ich zischte nur leise, dennoch vernehmbar: „Versucht es gar nicht erst!“
An dem Tag habe ich zwar einen Kampf gewonnen. Doch der Hut… der Hut war mein ein und alles. Vielleicht habe ich Moji besiegt – diese eine Schlacht gewonnen. Aber ich habe meinen Stolz verloren.
gewählter Klang:
Die Nacht war kalt und sternenklar. Zartes Sternenlicht spiegelte sich in dem frisch gefallenen Schnee und feine Eiskristalle tanzten in der frostigen Luft. Es war ungewöhnlich kalt, besonders für eine Großstadt. Normalerweise reichten die niedrigen Temparaturen gerade mal soweit, den Schnee für einige Tage liegen zu lassen. Nun hielt sich die weiße Pracht schon seit mehreren Wochen und der immer wieder neu fallende Schnee legte sich wie eine weiße Decke über die Stadt.
Im oberen Stockwerk einer Bäckerei, inmitten einer ruhigen Wohngegend schlief seelig ein kleiner Junge. Die Lider zuckten unruhig im Schlaf und er murmelte unablässig vor sich hin. Ein allgegenwärtiges Lächeln zog sich über seine Lippen und er lachte ab und an. Als er seinen Arm ausstreckte, um nach etwas nur für ihn sichtbarem zu greifen, wachte er auf. Einige Herzschläge lang blickte er nur sehnsüchtig auf seine Hand. Dann seufzte er und ließ den Arm langsam wieder sinken. Dabei drehte er sich auf die Seite und sah von seinem Hochbett aus auf seinen Schreibtisch. Ein kleiner Notizblock lag dort aufgeschlagen inmitten von Stiften und Papier und zeigte auf seiner ersten Seite einen roten Dinosaurier mit Fledermausflügeln ähnlichen Ohren. Schwarze Abzeichen waren auf dem weißen Bauch und den Armen zu sehen, welche in langen Klauen endeten.
"Ach Guilmon..." Die Augen lagen lang auf der Zeichnung des Zehnjährigen, bevor sich die Lider müde wieder schlossen und er zurück ins Land der Träume kehrte.
Eine leichte Brise erfasste das Blatt Papier und riss es von dem Notizblock. Wie von unsichtbaren Flügeln getragen schwebte es einige Male durch den Raum, bevor es einfach durch das Glas des Fensters glitt und hinaus in die Nacht flog. Der Wind zerrte mit eisigen Fingern an dem Papier und scheuchte es unbarmherzig vor sich her wie eine große Schneeflocke.
Mit einem verspielten Pfotenhieb pflückte sich eine kleine weiße Katze das Papier aus dem kalten Luftstrom. Sie mauzte verzückt und begann, mit dem Stück Papier zu spielen.
In dem Moment leuchtete der Kartenscanner im Zimmer des Jungen auf.
Nachdenklich blickte ein einsamer Schatten inmitten der verworrenen Zweige einer Eiche in den tintenschwarzen Nachhimmel. Nur einige Sterne leuchteten in der ewigen Dunkelheit, doch ihr Licht reichte nicht weit genug, um die Schatten der Nacht zu verjagen. Einzig der Mond hätte dies vermocht, doch der Himmelsbruder ließ sich noch nicht blicken. Dem Schatten war dies nur Recht. Er bevorzugte es, sich unentdeckt zu bewegen. Nicht, dass es ihm am Tage nicht möglich wäre. Als Symbol für das Gleichgewicht von allem war er ebenso dem Licht als auch der Dunkelheit angetan, und doch fühlte er sich freier, wenn er nicht befürchten musste, bei einer falschen Bewegung entdeckt zu werden. Besonders, wenn der Pelz eine solch auffällige Farbe trug.
Die typischen Nachtgeräusche einer Großstadt lagen in der Luft, ebenso der schwere Geruch der Abgase und zu vieler Menschen auf zu wenig Raum. Aus Gewohnheit rümpfte der Schatten abfällig die Nase. Er würde diese Rasse niemals verstehen. Es war auch gar nicht seine Aufgabe, das zu tun. Er hatte sich nur aus rein praktischen Zwecken mit ihnen eingelassen. Angeblich konnten Digimon schneller auf das nächste Level digitieren, wenn sie einen so genannten Tamer hatten, der Begriff für einen Menschen, der sich ein Digimon als Partner erwählt hatte. Bisher waren die Versuche von ihm und seinem Menschen unfruchtbar geblieben, doch er war sich sicher, dass es bald soweit sein würde. Obwohl er erst seit kurzer Zeit in dieser Welt war, hatte er schon unzählige Daten von anderen Digimon in sich aufgenommen, die sich in diese Welt verirrt hatten.
Ein kurzer Stich zog sich durch sein Herz. Alarmiert blickte er auf. Es war sein Gefühl für das Ungelichgewicht, das ihn die anderen Digimon fühlen ließ. Jedes Mal, wenn ein Digimon den Weg in diese Welt fand, versetzte es die Luft in Schwingungen und brachte sie durcheinander. Der Schatten konnte sie dann aufspüren und zur Strecke bringen. Zunächst noch ein wenig unschlüssig, ob er seine Partnerin wecken sollte, sprang er mit einem Satz von seinem Baum und sprintete dann schließlich auf die Quelle der Schwingungen zu. Rika würde schon von ihrem D-Power geweckt werden, sie würden sich schon noch treffen, bevor er sich dem Digimon stellen würde.
Trotz des tiefen Schnees kam er gut vorran. Er schien förmlich über dem Boden zu schweben. Seine Pfoten hinterließen nur schwache Abdrücke. Doch je weiter er kam, desto mehr hatte er das Gefühl, dass da was nicht stimmte. Obwohl er schon fast am Ausgangspunkt der Störung angelangt war, konnte er noch nichts von dem geheimnisvollen Nebel wahrnehmen, der sonst die Ankunft eines Digimon verriet und sich schützend um das Kampffeld legte, um neugierige Blicke fernzuhalten. Auch konnte er nichts außergewöhnliches wittern.
Schließlich wurde er langsamer und sah sich aufmerksam um. Die Ohren zuckten unruhig hin und her. Was, wenn es sich gar nicht um ein Digimon handelte? Wenn es irgendetwas anderes war, das das Gleichgewicht der Welt gestört hatte?
Der gelbe Fuchs war inzwischen zu einem langsamen Trott verfallen und prüfte sorgfältig die Umgebung. Bei einer unscheinbaren Gasse hielt er inne. Trotz seiner hervorragenden Nachtsicht konnte er nichts erkennen; die Hauswände warfen lange Schatten in den Gang. Vorsichtig trat er vor, alle Sinne angespannt. Er konnte nicht sagen, ob die Quelle des Ungleichgewichts gut- oder bösartig war. Nicht, dass es ihm etwas ausmachen würde. Er war sich seiner Stärke durchaus bewusst. Ein gutartiges Wesen würde ihn nur nicht sofort aus dem Dunkel heraus angreifen.
Als er einen Müllcontainer passierte, ließ ein Geräusch ihn herumwirbeln, die Krallen bedrohlich erhoben, doch dann atmete er erleichtert aus. Eine weiße Katze, offenbar noch ein Jungtier, saß in der Ecke zwischen Container und Hauswand gedrängt und fauchte. Langsam ließ der Schatten die Klauen wieder sinken. Auch die Katze hörte auf zu fauchen, doch ihre Seelenspiegel funkelten ihn unentwegt misstrauisch an.
"Ich tu dir schon nichts", meinte er gelassen und sah sich wieder in der Gasse um. Doch das merkwürdige Gefühl war gewichen. Dies war nur noch eine leere, unscheinbare Gasse. Sein Blick fiel wieder auf die Katze. Zu ihren Pfoten lag ein Stück Papier im Schnee. Offenbar hatte sie damit gespielt. Vorsichtig hob er es auf und betrachtete es, doch es war nur das leere Blatt eines Notizblocks. Achtlos knüllte er es zusammen und warf es zurück auf den Boden. Die Augen der Katze folgten jeder seiner Bewegungen.
"Sehr merkwürdig..."
Mit einem letzten Blick auf die Katze zog sich der Schatten wieder auf die Straße zurück. Der Mond war inzwischen aufgegangen und tauchte die Stadt in hellsilbernes Licht. Was auch immer dieses Gefühl in ihm ausgelöst hatte, nun war es verschwunden. Langsam schlug er den Weg zu Rikas Haus ein. Ihr Garten eignete sich inmitten der Großstadt am besten zum Nachdenken.
Das Geräusch von knirschendem Schnee ließ ihn wieder innehalten. Die kleine weiße Katze war ihm aus der Gasse gefolgt. Statt Misstrauen war nun Neugier in ihrem Blick zu lesen. Eine angenehme Wärme streifte sein Herz, wie ein sanfter Windhauch.
Bist du sicher, dass das dein größter Traum ist?
Der Schatten blieb wie angewurzelt stehen. Was war hier los? Er hatte die Worte klar und deutlich in seinem Kopf gehört. War das etwa diese unscheinbare Katze gewesen?
Du musst Geduld haben. Körperliche und Geistige Stärke sind voneinander abhängig. Du kannst dich nicht weiterentwickeln, wenn deine Seele noch nicht bereit dafür ist.
Mit diesen Worten wandte sich die Katze wieder ab und lief mit erhobenen Schwanz die Straße hinunter. Das weiße Fell leuchtete im Mondlicht hellsilbern auf, doch der Schatten hatte das Gefühl, dass es nicht das Mondlicht war, das das Fell der Katze zum Leuchten brachte.
gewählter Klang:
Seicht wog der Wind in ihren langen, schwarzen Haaren, die von den herabfallenden rosa Blüten verziert waren. Im Hintergrund hörte man das Geräusch eines Wasserspiels, wie das Schilfrohr auf den grauen Stein schlug. Glasklares Wasser floss in das stehende Gewässer ein, Fische und Frösche tummelten sich darin. Ein paar in Blüte stehende Bäume flankierten einen Weg, Vögel flogen hin und her oder pickten auf dem weichen, sandartigen Boden die Essensreste des letzten Festes auf. Behutsam nahm sie ihren roten Schirm in die rechte Hand, richtete sich auf von der kleinen Sitzbank aus dem alten Holz und wendete sich dem Pfad zu. Die Sonne schien von oben herab auf ihr blasses Gesicht, der Regen der wundervollen Kirschblüten verzauberte diesen heiteren Frühlingsmorgen.
Schritt für Schritt setze das Mädchen ihre Geta sanft auf den mit weißen Steinen bepflasterten Weg. Ihr roter Kimono saß eng gebunden an ihrem schmalen, weiblichen Körper, sie trug ihre Haare heute ausnahmsweise offen, wo sie diese doch sonst immer mit einer blauen Schleife zusammenband. Mit der rechten Hand hielt sie ein Holzkästchen an den Knoten der violetten Bänder, die es umschnürten. Ihre ruhige Atmung war kaum zu vermerken und ihr Auftreten strahlte dieselbe Ruhe aus, wie dieser wohlbehütete, sakrale Ort, der ihr den nötigen Raum und die nötige Zeit gab, um das Leben im Einklang mit der Natur zu genießen.
Vor ihr lag der Sakura-Tempel, hinter ihr hundert Treppen, die wieder nach unten in den Park führten, von dem sie vor einer Weile gekommen war. Der Ausblick war atemberaubend, von dem Hügel aus konnte man fast die ganze Stadt überblicken, ihre roten Häuser mit den dunkelblauen Dächern, ihre kleinen Spielplätze für die Kinder und das große Reisfeld am Rand. Die menschenleeren Straßen ließen die Stadt verwunschen wirken, ihre natürliche Schönheit zog für diese Saison erneut zahlreiche Besucher an, doch erst am Nachmittag würden die Straßen und Parkanlagen voll von ihnen sein, weshalb Akina die Stille für ihren täglichen Gang zum Tempel ausnutzte.
Kurz bevor der Eingang des riesigen Gebäudes klar zu erkennen war, bog sie ab in das Dickicht der Bäume, deren Wipfel sich mit dem immer stärker werdenden Wind neigten. Der weiche Waldboden gab ihren traditionellen Schuhen leicht nach, die Blüten der Bäume machten den Untergrund etwas rutschig, was sie jedoch nicht tangierte. Als sie ihre linke Hand an einen der Bäume anlegte, stand sie fest auf dem Boden, ihre Augen richteten sich auf die Terrasse des Tempels. Aus Furcht von ihm frühzeitig bemerkt zu werden, versteckte sie sich halb hinter dem Baum. Ein Lächeln zierte ihr Gesicht, sie umschloss das violette Band noch fester mit ihrer Hand, ihr Herzschlag wurde stärker und auch ihre Ruhe verschwand mit dem Anblick dieses Jungen. Er kaute auf einem grünen Grashalm herum, zwischen seinen dunkelbraunen Haaren und seinen grauen Augen befand sich ein dünner Verband auf seiner Stirn. An seinem rechten Handgelenk trug er ein schwarzes Lederarmband, das gut zu seiner braunen Hautfarbe passte. Sein dunkelblauer Trainingsmantel tanzte über den Tatamiboden, mit einem entschlossenen Blick sah er seinem Gegner tief in die Augen. Das linke Bein nach vorn gestellt und das rechte Bein als Standbein zurück, die dünnen Arme angewinkelt nach oben gerichtet, in dieser Position stand er und verweilte er kurz.
Windstille! Es war, als würde Akina für einen Moment in eine andere Dimension dieser Welt eintauchen. Sie spürte ein Kribbeln, welches von ihren Füßen bis zum Kopf ihren Körper durchströmte, sie atmete nicht, sie fühlte nur. Akina spürte ihren Herzschlag so deutlich wie noch nie zuvor. Langsam glitt ihr der Schirm aus der Armbeuge und flog mit der nächsten Brise davon.
Akina würdigte ihrem Accessoire jedoch keines Blickes mehr, sie fokussierte ausschließlich das Geschehen vor ihr.
Plötzlich schlug er zu. Ein wildes Gefecht begann. Jedes seiner Körperteile bewegte sich blitzschnell, nach wenigen Sekunden hatte er schon viele Treffer landen können. Es schien, als ob sich sein Gegner nur noch verteidigte oder es zumindest versuchte. Immer wieder hörte man das Holz der beiden Waffen aufeinander stoßen. Auf einmal ein Hieb von oben und sein Schwert schwebte über dem ungeschützten Haupt seines Gegners.
„Du hast schnell dazu gelernt, mein Enkel, hohoho“, stammelte ein alter Mann. Dieser saß auf einem orangenen Sitzkissen ein Stück weiter rechts vom Ort des kurzen Kampfs, er nahm in diesem Moment einen Schlug seines dampfenden Tees, dessen Geruch Akina sogar auf die Entfernung noch wahrnehmen konnte. Seine braune Robe lag aufgrund ihrer Länge zu Teilen auf dem frisch polierten Boden, auf dem Kopf hatte er kein einziges Haar mehr und seinen Hals schmückte eine Kette mit ungefähr fünfzig aneinander gereihten, roten Kugeln.
„Und ich hoffe, dass dies nicht das einzige ist, was ich dir während deines Aufenthalts hier darbieten kann, Großvater“, sagte der Kendo-Junge und verbeugte sich dabei. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, ging er zu seinem Trainingspartner, verbeugte sich erneut, setzte sich im Lotussitz zu seinem Großvater auf ein weiteres Kissen.
Während dieser ihm eine Tasse Tee einschenkte, beobachtete Akina alles aus sicherer Distanz. Ihre Augen waren weit geöffneten, ihr Mund verschlossen, als lägen tausend magische Siegeln auf den Lippen und Akinas sonst so weißes Gesicht, färbte sich knallrot. Sie fühlte wieder, dachte nicht mehr, dabei spürte sie, wie eine unglaubliche Wärme von ihrem Herz ausgehend ihren Körper durchströmte. Sie wollte ihm näher sein.
Das Mädchen schlich vorsichtig im Schutz der Bäume bleibend an die beiden Personen heran. Mit jedem Schritt konnte sie ihn deutlicher erkennen, der Junge sah genauso aus, wie sie ihn letztens in der Schule sah. Von der hinteren Reihe hatte sie dort keine gute Sicht auf ihn, aber Akina brauchte dies auch nicht, denn es reichte ihr, um das zu erkennen, was sie zu erkennen versuchte. Wenn er sich umdrehte, musste sie sofort in eine andere Richtung schauen, damit er nicht bemerkte, dass sie ihn während des Unterrichts beobachtete.
„Daiki!!! Hier bist du also!“, rief ein anderes Mädchen, welches den Weg zum Tempel entlang gerannt kam. Ihre langen braunen Haare wirbelten wild um ihr Gesicht, sie trug einen kurzen, grünen Rock und ein weißes Hemd. Ihr Gesicht war leicht gebräunt, sie trug meeresblaue Ohrringe. Das Mädchen näherte sich dem Jungen mit kleinen, aber schnellen Schritten, mehrmals sprang sie dabei leicht hoch in die Luft. Daiki ging langsam die wenigen Stufen der Terrasse hinunter, mit offenen Armen auf sie zu. Das Mädchen lächelte, schloss die Augen und fiel ihm schließlich um den Hals.
„Wolltest du nicht heute mit mir die Stadt unsicher machen?“, fragte sie ihn mit einem breiten Grinsen. Daikis Großvater schien es nicht zu berühren, dass dieses Mädchen seinen Enkel einfach zärtlich umarmte. Seelenruhig trank er noch seinen Tee, während sich die beiden von oben bis unten gegenseitig betrachteten. Sie unterhielten sich ohne Punkt und Komma, liefen Hand in Hand ein kleines Stück zur Terrasse.
Akina schaute entsetz zu den beiden hinüber, wie sie sich in den Armen lagen und sich ansahen, es war traumhaft, aber ein Alptraum für sie. Eine kleine Träne lief ihre Wangen entlang, gleichzeitig biss sie sich auf die Lippe und richtete ihren Blick weg von dem Paar, das zuletzt auf den Stufen des Tempels kurz verweilte.
Plötzlich ließ Akina das kleine Kästchen fallen. Von sich selbst erschrocken, blieb sie wie versteinert stehen, konnte sich zunächst nicht rühren. Nach wenigen Sekunden und einem kurzen Blickkontakt mit ihm rannte sie weinend davon.
Der alte Mann sah seinen Enkel fordernd an, alle anwesenden Personen hatten diese hastige Flucht durch den Aufprall des Kästchens auf den Boden bemerkt, wo nun frisch gebackene Reisbällchen lagen. Das andere Mädchen sah mit überraschter Mine zu Daiki, der etwas ratlos mit den Schultern zuckte.
Einsam stand sie am Rand des Hügels, dessen Abhang von ihr nur noch ein Holzzaun trennte. Die Vögel flogen in Richtung Stadt, der Regen wurde stärker, sodass ihr schwarzes Haar erneut mit Blüten geschmückt war. Es war gerade Mittag und die Straßen sowie der Park unten am Hügel füllten sich langsam mit Touristen und anderen Menschen. Behutsam setze sie sich auf eine der Holzbänke, wusch mit einem kleinen Tuch, das sie aus ihrem Kimono hervorholte, ihre Tränen vom Gesicht. Das Mädchen konnte nicht mehr aufhören zu weinen und an nichts anderes denke, als an ihn. Ihre feinen Hände auf den Schoß gelegt saß sie den Kopf hängen lassend auf der unbequemen Holzbank.
„Du solltest nicht weinen, denn dein Gesicht ist zu schön dafür. Meine Schwester hat dich wohl vorhin erschreckt. Du bist Akina, richtig?“, flüsterte ihr auf einmal eine bekannte Stimme ins Ohr. Akina hob ihren Kopf wieder, keine Träne floss ihr mehr die Wange herab. Der Junge beugte sich mit seinen Unterarmen auf die Lehne der Bank gestützt über ihre Schultern, sodass sein Gesicht direkt neben ihres war. Sie spürte seinen Atem, den Herzschlag in seiner Brust und die ihr wohltuende Aura, welche den Jungen umgab.
Erleichtert drehte sie ihren Kopf und sah direkt in Daikis graue Augen. Mit seiner rechten Hand nahm er eine Kirschblüte von ihrem Haar herunter, hielt sie vor Akinas Gesicht und pustete kräftig.
Die Kirschblüte tanzte im Wind davon und ihre Blicke trafen sich erneut
gewählter Klang:
Hörst du, Ou*? Hörst du die Worte, die der Wind an den Himmel zeichnet? Mit seiner sanften Stimme säuselt er sie, die wie Gefühle am Horizont schweben. Gefühle, die du nur für sie hegst, bedingungslose Liebe und unendliche Sehnsucht. Der Wind treibt dich, und deine Pfoten tragen dich.
Kleiner Wolf, es ist nicht mehr weit, die Sonne ist schon nah, siehst du? Ihre Klänge erfüllen deine Seele, nicht wahr? Du wünscht dir nichts mehr als das. Seit langer Zeit jagst du ihr hinterher, jeden Tag siehst du sie, es raubt dir den Verstand.
Renn, Ou, lauf ihr entgegen, lass dich erfassen von ihrer Wärme. Lass dich gleiten auf den sanften Schwingen ihrer Strahlen. Sie sehnt sich nach dir, genauso wie du. Jeden Tag zeigt sie sich, jeden Tag blinzelt sie in dein Antlitz, als wolle sie nichts anderes auf der Welt beleuchten.
Glühend rot erscheint dir der Feuerball hinter dem dunkelgrünen Hügel, rosa färbt er den sonst leuchtend blauen Himmel. Ōkami, du hast nicht viel Zeit, merkst du das nicht? Schon bald ist es vorbei. Bald wird er sie wieder verschlucken und dir dein Ziel nehmen, als wenn es nie gewesen wäre.
Schnell und wendig bewegst du dich über das offene Terrain, zu langsam erscheint es dir, als du merkst, dass die Sonne bald den Rand des Hügels erreicht hat. Sie sinkt, wie ein altes Boot, das an einem Leck zugrunde geht. Immer dunkler wird das Land, das vor dir liegt, immer länger wird dein Schatten, der dich verfolgt.
Kleiner Wolf, gib nicht auf. Du hast es doch gleich geschafft, warum kniest du nieder? Der Hügel, du hast ihn erreicht. Aber doch – die Sonne ist so fern als sie jemals war. Ein schmaler, roter Streifen am Horizont, hunderte Hügel weiter. Erschöpft liegst du da. Salzig schmecken deine Tränen, die dir über die gesenkte Schnauze kullern.
Ou, du wirst sie irgendwann erreichen, vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen. Aber vergiss nicht, dass sie immer bei dir ist. Amaterasu** wird dich immer lieben, kleiner Wolf. Eines Tages wird sie dir eine Brücke malen mit ihren sanften Worten und du wirst zu ihrem Rudel gehören. Für immer.
"Mama!" schreit dein Herz noch, als du die Sonne verschwinden siehst.
*Ou = ebenfalls "kleiner Wolf" **Sonnengöttin, in dem Spiel Ōkami als Wolf personifiziert
gewählter Klang:
Die Landschaft rauscht vor dem Fenster vorbei, doch ich habe nur Augen für den Himmel. Strahlend blau gibt er sich heute, lässt uns nicht erahnen, welche Weiten sich hinter ihm noch verbergen. Trotzdem suche ich nach dem Kometen, der mit konstanter Beschleunigung auf unsere Erde zurast. Obwohl mein Vater hoch anerkannter Astronom ist, habe ich keinen Drang dazu, den Weltraum genauestens zu erforschen. Mir reicht die Faszination, die die Größe auf mich auswirkt.
„Neustadt“, dringt es monoton aus den Lautsprechern der Bahn; meine Haltestelle.
Da ich nichts mitgenommen habe, kann ich einfach aussteigen. Auf dem offenen Bahnsteig schlägt mir die kalte Frühlingsluft wie eine Wand entgegen und zieht sich in meine Haut. Aber ich habe mich ja nicht wärmer anziehen wollen.
Viel zu langsam gehe ich durch die Straßen. Gestern Abend hat mein Vater den Kometen entdeckt, der unumgänglich auf die Erde stoßen wird. Irgendwann während des heutigen Tages wird die Welt davon erfahren. Und morgen ist es zu spät. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, kommt der Komet - oder inzwischen vielleicht schon eher Meteor - schneller auf die Erde zu. Eine Unruhe, eine eiserne Hektik, ummantelt von dem Bewusstsein, dass das alles nichts mehr bringt, legt sich um mein Herz. Um mich herum geht das Leben seinen normalen Lauf – die Ruhe vor dem Sturm. Wir haben kaum noch mehr als vierundzwanzig Stunden, von denen ich wieder zwei mit der Zugfahrt zurück vergeuden werde. Trotzdem beschleunige ich meinen Schritt nicht. Wenn ich Pech habe, ist er noch nicht einmal da.
Hinter der nächsten Ecke ist es, das blaue Haus, in dessen Dachgeschoss Lukas seine Wohnung hat. Er muss einfach da sein! Ich kann nicht auf meinen Tod warten, ohne dass er mir verzeiht. Mein Handeln hat unsere Familie auseinander gebracht. Ich kann es mir ja selber nicht vergeben…
Die Tür stand offen, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern geklingelt zu haben, als ich jetzt durch das alte Treppenhaus laufe. Einen Fahrstuhl gibt es nicht, man muss die hölzerne Treppe nehmen; das war immer eine Bedingung für seine Wohnung gewesen.
Ich gehe immer noch so langsam und doch stehe ich viel zu schnell vor seiner Tür. Was soll ich denn bloß sagen?
Ich klingele. Die Sekunden vergehen und ich spüre förmlich den Kometen näher kommen.
Er öffnet, mustert mich eindinglich. Erkennt er mich nicht?
Dann tritt er einen Schritt zur Seite und lässt mich so in die Wohnung. Es ist viel ordentlicher, als ich es mir vorgestellt hätte. Die Sofakissen liegen gerade auf der Couch und auf dem Tisch davor liegt keine einzige Chipstüte. Die kleine, offene Küche im Hintergrund strahlt förmlich vor Sauberkeit. Wow.
„Was willst du hier, Malika?“ Abweisend, hart. Es tut weh ihn so zu hören, aber ich bin nun mal selbst schuld.
„Ich möchte dich um Verzeihung bitten.“ Ich sehe ihm in die Augen, flehend, suche nach irgendetwas, nach irgendetwas… Aber sein Blick ist genauso hart, wie seine Stimme.
„Warum sollte ich dir vergeben? Hast du eine Ahnung, was du mir angetan hast?“ Jetzt wird er laut, brüllt mich an mit all der Wut, die sich in den letzten Jahren in ihm angestaut hat. Ich kann es ihm nicht verdenken.
Ich schweige und Lukas beruhigt sich wieder. Er war nie der Mensch, der schnell laut wird. So ist er nicht. Aber wer sollte es ihm jetzt verdenken?
Wieder verstreichen wertvolle Sekunden, aber einfach wieder in seiner Nähe zu sein, lässt die Zukunft weniger grausam erscheinen. Ich sollte es ihm sagen.
„Papa hat einen Kometen entdeckt, der geradewegs auf die Erde zurast. Morgen Abend.“ Seine Mine rührt sich kein Stück, mir allerdings steigen die Tränen in die Augen. „Bitte.“ Ich schluchze. „Bitte… Alles, was ich will, ist, dass du mir vergibst.“
Eine Träne, feucht und salzig, erreicht meinen Mundwinkel, während ich auf seine Antwort warte. Wie gerne würde ich wissen, was er denkt. Wir waren doch unzertrennlich…
„Ich muss darüber nachdenken.“ Erneut schwingt keinerlei Emotion in seiner Stimme mit. Wie kann er seine kleine Schwester hier nur so stehen lassen? Er kennt doch die Arbeit unseres Vaters. Er hat sich nie geirrt.
Lukas hält mir die Tür auf; ein eindeutiges Zeichen, dass ich gehen soll. Warum nur? Neue Tränen laufen über meine Wangen, während ich ihn noch ein letztes Mal in meinem Leben betrachte. Er ist älter als in meiner Erinnerung - natürlich. Die braunen Haare sind nun korrekt frisiert und seine Gesichtszüge scheinen auch von sich aus härter zu sein. Seine blauen Augen wie Eis. Keinen Funken der Lebensfreude kann ich noch darin erkennen; ich habe sie ihm genommen.
Ich brenne mir dieses Bild in mein Gedächtnis, ich will es nicht verlieren. Nach Sekunden der Stille schließt er die Tür und lässt mich alleine im Treppenhaus stehen. Alleine; das ist alles was ich fühle.
Auf dem Weg zurück auf die Straße sind meine Tränen getrocknet. Die Hektik ist inzwischen komplett aus meinem Körper gewichen und ich spüre nur noch eine seltsame, unnatürliche Ruhe, die von der teilweise stechenden Kälte dieses frühen Nachmittages nur noch verstärkt wird. Um mich herum fangen die Menschen an, panisch herumzulaufen, in eine Schockstarre zu verfallen oder in ihren Emotionen zu versinken. Als ich an einem Schaufenster vorbeigehe, in welchem ein Fernseher läuft, erkenne ich den Pressesprecher meines Vaters. Sie wissen es. Doch irgendwie dringt nichts zu mir durch. Ich sehe das meiste nur noch verschwommen. Er wird mir nicht verzeihen. Wir werden nie wieder eine Familie sein… Ich werde ihn nie wiedersehen.
Wie in Trance laufe ich zum Bahnhof. Ein Wunder, dass die Züge noch fahren.
„Schatz, du kannst sowieso nichts mehr tun.“
Überrascht sehe ich auf. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass meine Mutter in das Observatorium kam. Jetzt legt sie meinem Vater die Hände um die Hüfte und zwingt ihn mit einer sanften Bewegung, sich zu ihr umzudrehen.
Stumm blicke ich zum Himmel. Ich habe das Gefühl für die Zeit verloren. Die ersten Sterne tauchen gerade am Firmament auf. Vielleicht sind einige von ihnen schon vor tausenden von Jahren verloschen… Ob man sich auch so lange an die Erde erinnern wird?
„Wie viel Zeit bleibt uns noch?“, frage ich. Ich bin nicht ängstlich, nicht panisch. Die Ruhe von gestern lässt mich nicht mehr los, allerdings versinke ich immer mehr in meiner eigenen Schuld und der Verzweiflung, dass Lukas mir nie vergeben wird.
„Nur noch ein paar Minuten.“ Mein Vater klingt, als wolle er noch das Beste aus der Situation herausholen. „Vielleicht sollten wir rausgehen, dann haben wir einen besseren Blick.“ Er lächelt und küsst meine Mutter sanft auf die Stirn. Ich werde nie die wahre Liebe finden, nie wieder dieses Gefühl spüren; nur noch wissen, dass ich im Leben vor allem als Schwester versagt habe.
Ein letztes Mal werfe ich mich meinen Eltern um den Hals, küsse sie und vergieße nun doch Tränen. Vielleicht habe ich es verdient; sie nicht.
Auf der Wiese vor dem Observatorium gehe ich ein paar Schritte weiter; ich will sie nicht sehen. Ich kann es nicht.
Nachdem der letzte Tag wie die Landschaft im Zug an mir vorbeigerauscht ist, vergeht nun die Zeit wieder schleppend langsam. Und trotzdem spüre ich noch immer keine Angst. Die bleierne Ruhe lässt mein Herz nicht mehr frei.
Plötzlich höre ich ein Schluchzen, einen Freudenschrei meiner Mutter, doch ich drehe mich nicht um, ich bin wie gelähmt. Der Himmel wird dunkler, die Sterne immer deutlicher zu erkennen. Kurz schließe ich die Augen. Bald ist es vorbei.
„Es tut mir leid.“
Allein der erste Laut reist mich aus meiner Trance. Schlagartig öffne ich die Augen wieder. Bilde ich mir das nur ein? Steht er da wirklich?
„Ich hätte nicht so stur sein sollen, wirklich.“ Lukas hält mir seine Hand entgegen; er sieht völlig fertig aus. Langsam greife ich zu, während er die lang ersehnten Worte ausspricht: „Natürlich vergebe ich dir.“
Seine Hand schließt sich um meine und ich umarme ihn. Es gibt doch noch Wunder. Die Tränen zurückzuhalten, ist einfach unmöglich, aber vielleicht ist das ja einfach meine Art.
Zusammen mit Lukas stehe ich nun da und warte auf unseren Tod. Wie eine immer größer werdende Sternschnuppe taucht der Meteor am Himmel auf. Es ist, als würde die Sonne auf uns zufliegen, so hell und warm scheint der Feuerball.
„Es ist unglaublich, oder?“
Alles verläuft ganz schnell kaum ein paar Sekunden sind es und doch unendlich lang. Nur Sekunden verstreichen, wertvolle Sekunden. Ein letztes Mal sehe ich Lukas ins Gesicht, während der Meteor unser Umfeld schlagartig erhitzt.
„Du hast Recht“, erwidere ich dann mit einem letzten Blick zum Himmel, einem letzten Atemzug, „er ist wunderschön.“
gewählter Klang:
„Es ist soweit!“
Die dunklen Kreaturen um ihn herum brüllten zustimmend und mordlustig, als sich ihr Herrscher erhob. Die menschenähnliche Gestalt war in einen schwarzen Umhang gehüllt und breitete in einer eleganten Bewegung die langen, ebenfalls schwarzen Flügel aus, welche gut doppelt so lang waren wie seine Unterarme. Sein Gesicht blieb unter der bereits etwas ausgefransten Kapuze verborgen und das war auch gut so. Er würde sie nur ablegen, um den Menschen Furcht einzuflößen. Doch noch war dieser Moment noch nicht gekommen, allerdings stand er kurz bevor. Seine mit langen, krallenartigen und spitzen Nägeln versehene, halb verwest aussehende Hand schloss sich um den Griff seines Schwertes, das er mit einem Ruck aus der Scheide zog. Die Klinge glänzte im fahlen Mondlicht, das in den dunklen Raum hinein schien. Ein paar Takte schlug das Wesen mit seinen Flügeln, dann erhob es sich unter den anfeuernden Rufen seiner unmenschlichen Untergebenen in die Luft und flog aus dem Loch in der Decke hinaus in die kalte Nachtluft, sein Ziel fest vor Augen.
Die Zeit rannte ihr davon, doch dies war der jungen Frau bewusst, die sich von ihrem Unterbewusstsein durch die Schwärze der Nacht lenken ließ. Sie wusste nicht, wohin sie wollte und was sie dort tun sollte, doch es war ihre Bestimmung, das spürte sie. Die Dämonenjägerin packte den Griff ihres Schwertes etwas fester und schritt weiter voran, immer näher kam sie einem kleinen Berg, der im Mondlicht zu baden schien, welches die gesamte Umgebung in sein kühles, fahles Licht tauchte. Stück für Stück kletterte sie über die Steine und Felsen bis zur Bergspitze, keuchte leicht, als sie schließlich oben ankam. Einen Moment ließ sie sich auf die Knie sinken und holte einige Male tief Luft, dann stand sie wieder auf und machte sich bereit. Sie spürte es. Jemand kam. Oder genauer gesagt etwas.
Und tatsächlich, nach einigen stillen Momenten vernahm sie das leise Geräusch, mit dem die Flügel der von ihr erwarteten Kreatur die Luft durchschnitten. Je näher sie kam, desto lauter wurde es und übertönte schließlich vollends das Rauschen des Windes in den Blättern der nahen Bäume, die als ein kleiner Wald in der Nähe des Berges wuchsen. Ein Schatten verdeckte einige Sterne und kurzzeitig auch den Mond, sodass sich die Plattform, welche die Bergspitze darstellte, in Dunkelheit gehüllt wurde. An den Konturen erkannte sie ihn schnell.
„Belial“, hauchte sie, Zorn erfüllte ihren ganzen Leib, loderte in ihr wie ein Feuer, dessen Flammen ihre Seele verschlangen. Immer näher kam der von ihr so verhasste Todesengel, landete schließlich ein Stück vor ihr.
„Ich wusste, dass du kommen würdest, Liria“, meinte das Wesen mit rauchiger, kalter Stimme, die selbst die Kälte der Nacht übertraf. Mit einem Ruck zog er sich die Kapuze vom Kopf, sodass seine schwarzen, langen und zottigen Haare sichtbar wurden und seine kantigen Gesichtszüge, die denen eines Menschen gar nicht so unähnlich waren. Einzig die wie loderndes Feuer glühenden Augen fielen auf, bildeten einen starken Kontrast zu seiner blassen Haut und jagten all jenen, die sie sahen, eisige Schauer über den Rücken. Allen – außer Liria. Den Mund der jungen Frau umspielte ein kühles Lächeln, als sie in diese Augen blickte. Die, welche auch ihre Eltern erblickt hatten, ehe sie durch Belials Hand den Tod gefunden hatten.
„Seit unserem letzten Kampf ist es schon eine Weile her“, meinte der Todesengel und ließ sein Schwert im Mondlicht aufblitzen. „Wie ich sehe, hast du dich vollkommen erholt.“ In seiner Stimme schien so etwas wie Erleichterung mitzuschwingen.
„Natürlich habe ich das. Aber diesmal wird es anders ausgehen als letztes Mal. Du weißt es doch auch, nicht wahr?“ Der Todesengel nickte. Die Kämpfe gegen diese junge Frau bereiteten ihm aus selbst ihm unerfindlichen Gründen Vergnügen, auch wenn er wusste, dass sie ihn töten wollte. Es war ein Spiel auf Leben und Tod, das sie heute Nacht wieder aufs Neue bestreiten würden, allerdings zum letzten Mal.
„Nun denn“, meinte die Dämonenjägerin und schwang ihre Waffe vor ihren Körper, fixierte ihren Gegner entschlossen mit den Augen. „Lass es uns heute Nacht beenden.“
Mit einem lauten Klirren schlugen ihre Schwerter gegeneinander.
gewählter Klang:
Kitsune fuhr liebevoll mit ihrer weichen Zunge über das zerzauste Fell ihres Neugeborenen. Der Anblick der jungen Mutter erfüllte Mariko mit Wärme – aber auch mit Bedauern. Erst wenige Stunden alt, sah sich die Flammentochter schon einer furchtbaren Gefahr gegenüber.
Mariko lauschte angestrengt. Obwohl sie sich mit Kitsune in dem geheimen Raum aufhielt, in dem alle Feuerfüchsinnen alle neunundneunzig Jahre zur Welt kamen, hatte sie Bedenken, ob ihre vermeintliche Sicherheit noch lange anhalten würde. Das Zimmer, in das die mannshohe Hüterin des Sonnenuntergangs gerade hineinpasste, lag unter der Erde. Von der oberirdischen Tempelanlage gelangte man nur hierher, wenn man den Weg durch das Labyrinth kannte – und dieser war sogar nur wenigen Tempelwächtern bekannt. Mariko gehörte zu dieser Elite, aber sie bezweifelte, dass sie der verantwortungsvollen Aufgabe, die daraus gründete, gewachsen war.
Die neugeborene Füchsin quiekte leise im Schlaf. Kitsune beugte sich über sie und beschnüffelte sie vorsichtig. Die Göttin hob den Kopf und sah zu Mariko auf. Zwar sprach sie nicht wie Menschen mit Worten, aber allein der Blick ihrer großen schwarzen Augen reichte aus, um zu übermitteln, was sie sagen wollte: Sie sind ganz nah.
Mariko nickte. Das hatte sie befürchtet. Wenn die Junggöttin geboren wurde, war es Pflicht aller Tempelwächter, Kitsune zu bewachen, da diese von der Niederkunft geschwächt war. Aber was auch immer sich gerade im Angriff auf den Tempel befand, mähte sie wie spröden Bambus nieder. Mariko zog ihr Katana. Sie war eine der besten Kendokämpferinnen im ganzen Bezirk und konnte es sogar mit einigen Männern aufnehmen. Sie würde keine leichte Beute sein.
Das Bellen der Eindringlinge wurde lauter, als diese in den Korridor einbogen, der direkt zum Geburtsraum führte. Mariko platzierte sich zwischen Kitsune und der Tür. Anders als die Schiebetüren im Tempel war sie kein mit Papier bespannter Holzrahmen, sondern eine solide Tür aus dunklem Holz. Und doch hielt sie dem Ansturm der Dämonenhunde hinter sich nicht stand, als diese auf sie eindrangen: sie zersplitterte in tausende Holzstücke, die Mariko um die Ohren flogen. Die junge Tempelwächterin wich nicht zurück.
Als wäre die Hölle selbst aufgebrochen, strömten nun dutzende wolfsgroßer Hunde in den Raum, ein jeder mit dunkelgrauem, gelblich getigertem Fell. Ihr infernalisches Gekläff dröhnte Mariko in den Ohren, doch sie zögerte keinen Augenblick und setzte sofort zum Angriff an. Der zu absoluter Schärfe geschliffene Stahl schnitt ohne spürbaren Widerstand in die Leiber der Hunde. Doch es setzten immer mehr hinter ihren gefallenen Kameraden nach. Zumindest war der Raum eng genug, dass die Wolfshunde nicht an Mariko vorbei zu Kitsune und dem Neugeborenen vordringen konnten.
Plötzlich schoss zwischen Mariko und den geifernden Bestien eine gleißende Feuerwand empor. Erschrocken wichen die Kontrahenten beider Seiten zurück. Mariko wirbelte herum. Kitsune war aufgestanden, und obwohl das Zimmer eigentlich zu klein für sie war, stand sie in voller Größe vor Mariko. Sie hatte ihre Götterform angenommen: Die neun Schweife zu einem mächtigen Kranz aufgerichtet, wirkte sie noch majestätischer, als sie ohnehin schon war. An Schwanzspitzen, Pfoten und zwischen den Ohren loderten Flammen, die die Farben des Sonnenaufgangs verbreiteten. Das gereizt abstehende Fell glänzte wie Millionen haarfeiner Kupfernadeln. Die Augen der Feuerfüchsin glühten nunmehr wie Kohlen und sahen Mariko gebieterisch an.
Verschwindet von hier, sagten sie. Die Tempelwächterin verstand sofort: Sie sollte sich die junge Kitsune nehmen und durch den zweiten Ausgang entkommen, während die Mutter die Dämonenhunde aufhielt. Auch wenn es gegen Marikos tiefste Überzeugung als Wächterin ging, die Feuerfüchsin schutzlos zu lassen, wusste sie, dass es keine andere Möglichkeit gab. Auch in ihrem geschwächten Zustand war Kitsune eine ernstzunehmende Gegnerin.
Mariko steckte ihr mit schwarzem Blut besudeltes Schwert ein und trat an die kleine Kitsune heran, die blind suchend nach der verlorenen Wärme der Mutter umhertapste. Sie war nicht viel größer als ein Menschenkind, daher konnte Mariko sie in eine Decke wickeln und sie damit als Tragevorrichtung an sich festbinden. Ein letzter Blick zu der flammenden Füchsin verriet Mariko, dass es nun Zeit war. Zum Abschied drückte sie den Hals der Göttin an sich – im Normalfall ein blasphemischer Frevel, doch sie spürte, dass es richtig war.
„Ich werde gut auf deine Tochter aufpassen“, versprach sie, auch wenn sie nicht wusste, wie sie das anstellen sollte. Höchstwahrscheinlich war sie die letzte Tempelwächterin. Und sie wusste nicht, was sie draußen erwartete.
Sie prüfte noch einmal den Tragegurt, dann zwängte sie sich durch den kleinen Hinterausgang. Sie konnte hören, wie im Geburtsraum die Hunde wieder über Kitsune herfielen, doch sie zwang sich dazu, es zu ignorieren.
Der viel zu enge und stockfinstere Gang mit der niedrigen Decke erweckte ein klaustrophobisches Gefühl in Mariko. Nach einer Weile erreichte sie eine Treppe, die nach oben führte. Oben angekommen schob sie die Geheimtür auf, die sich nur von innen öffnen ließ. Wie man ihr bei ihrer Ernennung zur Tiefen Wächterin versichert hatte, stand sie nun im Dojo, in dem sie jeden Tag mit ihren Kameraden trainiert hatte. Sie hatte befürchtet, hier Leichen dieser Freunde vorzufinden oder die Kadaver der Höllenhunde, doch es gab keinen Grund, hier zu kämpfen. Wahrscheinlich hatte der Großteil der Schlacht im Haupttempel stattgefunden, wo auch der Kitsune geweihte Schrein stand. Als sie an das von schwarzem Hundeblut entweihte Heiligtum dachte, wurde ihr übel. Ob das Feuer noch brannte, das bei jeder Geburt einer Kitsune neu entfacht wurde und neunundneunzig Jahre nicht erlosch?
Mariko musste fort von hier und die junge Feuerfüchsin in Sicherheit bringen. Sie verließ das Kendodojo in den großen Tempelgarten. Von hier aus musste sie das Gebäude umrunden, um den Bezirk zu verlassen. Doch wohin sollte sie dann gehen? Ins nahegelegene Dorf? Wenn schon nicht hier, konnte man da erst recht nichts gegen die schrecklichen Dämonenhunde ausrichten.
Sie durchquerte trotzdem den Garten, kam an Ahornbäumen vorbei, die ihre mit zartem, rotem Laub geschmückten Äste in den Nachthimmel reckten. In der Nähe hörte Mariko das Plätschern des Baches, der sich durch den Park schlängelte. Wie auch er erreichte sie den großen Teich, in dem sich der halbe Mond spiegelte und flammenfuchsfarbene Koikarpfen schwammen.
Abrupt blieb Mariko stehen. Im Licht des silbernen Gestirns wurden Schemen sichtbar, dunkle Schatten mit hellen Streifen. Dämonenhunde, so viele von ihnen, dass ihre Leiber die Wiese bedeckten! Mariko presste das Fuchsjunge fester an sich. Hier käme sie nie hindurch.
„Gib mir Kitsunes Tochter!“
Die tiefe Stimme brachte das Teichwasser zum Vibrieren, und auch Marikos Magen verkrampfte sich. Erst jetzt zog sie wieder das Katana und hielt es schützend vor das Bündel, das sie trug. „Zeig dich!“, rief sie, und auch wenn sie Angst hatte, zitterte ihre Stimme nicht.
Zwischen den Hunden trat nun eine Gestalt hervor, die so schwarz gekleidet war, dass Mariko sie zuerst nicht bemerkt hatte. Dieser Mann war es also, der die Hunde darauf angehetzt hatte, die Göttin der Sanften Dämmerung zu töten...
Mariko spürte in sich eine heiße Wut aufsteigen, doch sie zwang sie zurück. Sie durfte das Junge nicht in Gefahr bringen! „Warum willst du sie?“, keifte sie den Schwarzgewandeten an.
Doch der Dämon antwortete nicht. Er zückte nun seinerseits ein Schwert und lief so schnell auf Mariko zu, dass sie gerade noch ihr Katana abwehrend hochreißen konnte. Sein Schlag traf sie so heftig, dass sie in die Knie ging. Jetzt wäre er nahe genug, um Kitsune zu erstechen, doch er tat es nicht. Warum wollte er die Fuchsgöttin töten, ihre Tochter aber an sich reißen?
Was auch immer er vorhatte, Mariko musste ihn davon abhalten. Die Mutter der Kleinen mochte tot sein, doch im Tempel konnte eine neue Feuerfüchsin leben. Aber die Tempelwächterin war der Kraft des Fremden nicht gewachsen. Er brauchte sie gar nicht bekämpfen, sondern musste nur lange genug mit der Klinge seines Schwertes auf ihres eindrücken, bis sie erschöpft nachgab. Seine eisigen Augen blitzten jetzt schon triumphierend.
Mariko verlor schon jede Hoffnung, da spürte sie einen warmen, liebevollen Hauch im Gesicht. Es war Kitsune, die sie da berührte. Die Große Füchsin war tot und sandte ihrer einsamen Wächterin nun den Rest Energie, den sie mit ihrem letzten Atemzug aushauchte – um ihre Tochter zu retten. Kaum, dass diese Gewissheit sie erfüllte, durchströmte Gluthitze Marikos Adern. Neue Kraft pulsierte in ihr, und sie schob nun gegen den unbarmherzigen Druck ihres Gegners an. Sie stieß einen wütenden Schrei aus, und aus Klang wurde Feuer, das über den Garten fegte, die Dämonenhunde verbrannte und deren Gebieter über den Teich hinweg fortschleuderte.
Der unheimliche Fremde rappelte sich schneller auf, als er gefallen war. Er keuchte vor Schmerz und presste eine Hand auf eine Brandwunde am Bauch. Ein Knurren entfuhr ihm, als sei er selbst ein Hund – eine Drohung an Mariko. Dann, plötzlich, löste er sich in dichtenen Qualm auf und war verschwunden.
Die göttliche Kraft verließ Mariko ebenso unvermittelt, und sie brach zusammen. Fürs Erste waren die unbekannten Angreifer vertrieben, aber sie würden wiederkommen, um sich die kleine Kitsune zu holen, aus welchem Grund auch immer. Dann würde Mariko da sein, um die Feuerfüchsin zu beschützen – notfalls mit ihrem Leben.
In diesem Augenblick ging über dem Tempel der Fuchsgöttin die Sonne auf. Der erste Sonnenaufgang von vielen, über die die junge Kitsune wachen sollte.
gewählter Klang:
Vergessen. Einmal in meinem Leben wollte ich es vergessen. Einmal in meinem Leben wollte ich mein gesamtes verschissenes Leben vergessen. Frei sein von der Unterdrückung, fern sein von dem Elend, entlassen von der Welt. Das ging nicht, dessen war ich mir bewusst, niemand war je frei, fern oder entlassen. Jeder neue Tag brachte das Selbe. Man stand auf, nutzte die kurze Freizeit die man hatte um sich vorzubereiten. Dann ging es zur „Produktivitätsbeschäftigung“ wie es die Regierung nannte. Im Grunde war es das sinnloseste Unterfangen was man sich vorstellen konnte. Man stand an einem Band und für einen Lohn, der gerade mal ausreichte um den Tag zu überleben tat man einen winzigen Produktionsschritt für irgendwelche Dinge, die sich sowieso nur die Wohlhabenden leisten konnten. Mein Job war es die Zeiger an Uhren zu montieren. Es war immer das Gleiche: Auf einem Band kamen eine Uhr und die dazugehörigen drei Zeiger angefahren, ich nahm sie auf steckte sie fest und drehte ein kleines Käppchen zur Befestigung oben auf, dann legte ich die Uhr wieder auf das Band. Es war erniedrigend zu sehen, wie die eigene Zeit davon floss, kostbare Zeit meines Lebens. Aber was konnte ich schon tun? Wer sich gegen das System auflehnte wurde sehr schnell unschädlich gemacht, wer versuchte etwas zu ändern bekam alles Geld gekürzt, die Wohnung weg genommen und endete irgendwo in der Gosse. Es herrschte Angst, zwischen uns, über uns. Keiner traute sich etwas zu sagen, wir alle wussten, dass ein falsches Wort fatale Folgen haben konnte. Und so hatte ich schon seit langer Zeit nichts mehr gesagt, es gab einfach keine Worte die irgendwie, zu irgendeiner Situation hätten passen können. In der Mittagspause gab es wie jeden Tag denselben unansehnlichen Matsch. Eine graue, unappetitliche Pampe. Sie enthielt genau die Menge an Nährstoffen, die ein Durchschnittsmensch von unserer Sorte brauchte, nicht mehr und nicht weniger. Das hatte die Regierung so angeordnet und es war unumstößlich. Ich kämpfte gegen den Würgreflex an, der sich jedes Mal neu in mich hinein schlich. Ich wusste, würde ich diese Mahlzeit nicht essen, wäre ich bis zum Abend verhungert. Ich glaube, dass war der eigentliche Sinn dieser Mahlzeit: Sie gab uns Kraft zum Arbeiten, nicht aber zum Kämpfen.
Als ich wieder am Band stand fing das ganze erneut an. Während ich die Zeiger an der Uhr montierte, war ich selbst gar nicht mehr bei der Sache. Mein Körper war eine leere Hülle, ohne irgendwelche Gedanken oder Bedürfnisse, nur ein Satz war tief in mich hinein gebrannt und kein Abstumpfen der Welt würde ihn je verschwinden lassen: Dein Leben ist beschissen. Als der Ton zum Schichtende ertönte ließ ich die Hände sinken, drehte mich um und verließ die Halle. Als ich an einer Glasscheibe vorbei kam, hinter der ein Mann saß, schob ich eine Plastikkarte durch die Öffnung zu ihm hindurch.
Sie enthielt ein Foto von mir, meine Abteilung für die Produktivitätsbeschäftigung und meine ID. Einen Namen brauchte man in dieser Welt nicht. Er gab mir die Karte zurück und den Lohn für Arbeitereinheit 481-516-234-2.
Das Geld hatten wir zu freien Verfügung, wer dumm war sparte es und verhungerte, wer durchschnittlich war kaufte sich Nahrung um zu überleben und wer schlau war hatte ein wenig Spaß mit dem Geld und starb glücklich. Ich war durchschnittlich, warum weiß ich nicht.
Es war also auf dem Nachhauseweg, ich hatte meinen kleinen Laib Brot und zwei Flaschen Wasser unter dem Arm und war nur noch wenige Straßen von meiner Wohnung entfernt. Da fiel mir ein metallener Kasten am Straßenrand auf. Ich wurde aufmerksam. Metall war unter Umständen viel wert und konnte Geld bedeuten. Ich bückte mich und nahm das Ding auf. Es war nicht besonders schwer oder groß. An einer Seite hatte es einen Deckel zum aufklappen und an der Seite des Scharniers steckte ein Schlüssel in einem kleinen Loch. Heimlich um nicht gesehen zu werden steckte ich das Kästchen in die Tasche und begab mich so schnell wie möglich nach Hause.
Dort betrachtete ich meinen Fund näher. Der Deckel war wundervoll verziert, und in der Mitte war eine Blume mit fünf Blütenblättern zu sehen. Darunter prangte das Wort Myosotis.
Rundherum konnte man Stängel und leichtes Laub erkennen. Vorsichtig klappte ich die Dose auf, sie war innen in ein tiefes hellblau gefärbt. Plötzlich ertönte eine Melodie. Ich erschrak und ließ das Döschen auf den Tisch vor mir fallen. Doch die Melodie verstummte nicht. Sie hatte eine beruhigende Wirkung, ich entspannte mich und irgendetwas in mir regte sich in mir. War es Freude?
Plötzlich verstummte die Melodie, sie war einfach aus. Regungslos saß ich dar, konnte nicht fassen, dass der Zauber verflogen war. Ich nahm die Kiste in die Hand, verschloss sie und öffnete sie wieder. Nichts geschah. Dann fiel mir der Schlüssel an der Rückseite auf. Ich drehte ihn einmal herum und die Dose ließ die letzten Töne noch einmal erklingen. Ein Ausdruck des Erkennens huschte über mein Gesicht. Ich drehte den Schlüssel soweit, bis es nicht mehr ging. Dann ließ ich ihn los und die Melodie ertönte von neuem. Ich schloss die Augen und wurde eins mit der Musik. Weiche Töne, welche ineinander glitten als wären sie Eins. Sie gaben einem das Gefühl von Glückseligkeit. Zum ersten Mal in meinem Leben vergaß ich. Zum ersten Mal in meinem Leben vergaß ich mein gesamtes verschissenes Leben.
Seitdem höre ich jeden Abend dieser Melodie zu und dann bin ich frei von der Unterdrückung, fern von dem Elend, entlassen von der Welt.