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Nachdem sich nun entschlossene Newcomer der Herausforderung dieses Wettbewerbs gestellt haben, wird es Zeit, den Sieger zu ermitteln. Dazu können sowohl Teilnehmer als auch User, die nicht am Wettbewerb teilgenommen haben, den Texten eine bestimmte Anzahl an Punkten geben. Dabei ist zu beachten, dass ihr frei wählen könnt, wie genau ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen. Weitere Informationen zum Vote findet ihr hier: How to Vote
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Der Vote läuft bis zum 23.12.12 um 23:59 Uhr.
Oh Captain! My Captain!
Die Welten am Nachthimmel sind ebenso unterschiedlich wie vielfältig. Manche sind unter Wasser, andere von dichtem Dschungel bedeckt. Und eine Welt ist nichts als eine kleine Inselkette in einem endlos scheinenden Meer - und doch gibt es irgendwo ein Festland, dominiert von einem riesigen Uhrturm. Und auf diesem riesigen Meer kreuzt ein einzelnes Schiff...
"Potzblitz, Smee." Die in einen Sessel zusammengesunkene Gestalt legte einen fiebrigen Blick auf ihren Obermaat. "Ich habe schon wieder von ihm geträumt. Er hat über mich gelacht und gekräht. Und dann hat er das Krokodil auf mich losgelassen. Ich habe sein Ticken gehört, eindeutig. Es ist hinter mir her, Smee. Es kriegt mich eines Tages."
Der mit Smee angesprochene half dem hochgewachsenen Mann im roten Mantel auf die Füße. "Keine Sorge, Käpt'n. Wir sind auf dem offenen Meer, zigtausende Meilen von ihm und seinem Krokodil entfernt."
"Das weiß ich, Smee. Aber..." Hinter ihnen knackte etwas, und der Käpt'n drehte sich gehetzt um. "...weiß er das auch, Smee? Weiß er das auch?"
Smee seufzte. Es war ein harter Job, gleichzeitig Obermaat und Psychoanalytiker zu sein. "Kommen sie, Käpt'n. Wir gehen unter Deck spazieren."
"Hab ihn gehört, Smee. Hab von ihm geträumt." Der große Käpt'n sträubte seinen Schnurrbart und folgte Smee unsicher.
***
Unter Deck knarzte und knirschte es, was die anwesenden Seeleute allerdings nicht störte. Die meisten von ihnen schliefen oder tuschelten, und einer spielte mit einem blonden Mann im schwarzen Mantel Karten. Bei seinem Anblick keuchte der Käpt'n und versteckte sich hinter einem Balken. "Wer ist das, Smee? Einer seiner Spione?"
"Nein, Käpt'n. Ein zahlender Passagier." Smee seufzte erneut. Es war merkwürdig, aber seit sie vor zwei Wochen aufgebrochen waren, war ihnen kein anderes Schiff begenet. Tatsächlich konnte er sich noch nicht einmal daran erinnern, jemals ein anderes Schiff gesehen zu haben. Aber sie konnten doch unmöglich die einzigen in diesem Meer sein, oder? Auf jeden Fall musste man in Ermangelung anderer Schiffe einen Weg finden, um sich über Wasser zu halten.
"Passagiere? Auf meinem Schiff?" Für einen Moment schien der Käpt'n zu der Form zurückzufinden, die ihn einst zum Schrecken der sieben Weltmeere gemacht hatte. Zornentbrannt zog er seinen Degen und schritt auf den Passagier zu. "Hört zu, Freundchen! Dies ist kein Kreuzfahrtschiff! Dies ist das Schiff von mit, Kapitän James Hook, und ich bestimme..."
Weiter kam er nicht, denn der mysteriöse Passagier hatte eine Karte gezogen und damit den Degen zur Seite gedrückt. Normale Karten konnten so etwas nicht, oder? "Piraten? Oh my. Nun, wenn dem so ist, möchte ich ihnen etwas vorschlagen."
Der Mann im schwarzen Mantel stand auf und richtete einen wasserblauen Blick auf Käpt'n Hook. "Mein Name ist nicht von Bedeutung, nennen Sie mich einfach Mister X. Ich bin auf der Suche nach einem Schiff, das auf diesem Meer kreuzt. Ich würde gerne ihre Hilfe dabei in Anspruch nehmen, es zu entern. Ihr Anteil besteht in der Ladung des Schiffes, die sie gerne behalten dürfen."
"Hmmm..." Hook kratzte sich am Kinn. Das Geschäft ging schlecht, denn er hatte seit Ewigkeiten kein fremdes Schiff mehr gesehen. Und im Nimmerland vermieste ihm er die Touren. "Also gut, X! Wir haben einen Deal!" Er streckte seinen Haken aus, den er anstelle der rechten Hand trug, und Mister X nahm ihn zaghaft und schüttelte ihn.
***
Zwei Wochen später kreuzte Käpt'n Hooks Schiff durch einen dichten Nebel. Hook stand an der Reling, knurrte und spuckte von Zeit zu Zeit drüber. "Zwei Wochen, Smee! Zwei Wochen! Und keine Spur vom Schiff!"
Er blickte zu der blonden Gestalt hinüber, die mit einem Fernrohr Ausschau hielt. "Steht dort drüben, dieser Möchtegern-Seemann! Und wir fahren hier in diesem Nebel umher, ohne eine Spur von seinem verd..."
Weiter kam er nicht, da ein Kanonenschuss das Schiff erzittern ließ. Hook rappelte sich wieder auf und blickte zu X, der auf ihn zugestürmt kam. "Potzblitz, X! Was war das?"
"Mein Schiff, befürchte ich. Da!" Der Nebel lichtete sich tatsächlich und enthüllte ein groteskes Bild - ein Schiff mit zerfetzten Segeln, die ein schwarzes, einem Herz ähnelndes Symbol trugen. Das ganze Schiff wirkte merkwürdig - verwachsen, als wäre alles aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt worden. Das erschreckendste war aber die entsetzliche Fratze, die am Bug ins Holz geschnitzt worden war und die - Hooks Augen weiteten sich - sich bewegte und mit den gelben Augen rollte, als sei sie...
"Lebendig! Ein lebendiges Geisterschiff! Davon habt Ihr kein Wort gesagt, X!" Plötzlich realisierte er, was er da gerade gesagt hatte. Ein Geisterschiff! Diese waren ja, wie jeder wusste, randvoll mit Schätzen. Plötzlich war er wieder in seinem Element.
"Vorwärts, Männer! Entert das Schiff!" Er drehte sich zu X um. "Kommt mit, mein Freund! Wir springen rüber! Ein Geisterschiff! Das ist das erste Mal, dass ich so etwas erlebe!"
Mister X nickte und hob eine Hand. Vor ihm entstand ein dunkelviolettes, ovales... Etwas. "Wir gehen da durch," meinte X mit monotoner Stimme. "Denkt es euch wie eine Abkürzung." Mit diesen Worten verschwand er in dem finsteren Korridor.
Hook blinzelte und steckte dann, zaghaft, einen Fuß durch das Portal. Na ja, dachte er. Was soll die Angst? Wer nicht, wagt, der nicht gewinnt! Er sprang durch das finstere Oval...
...und kam in einem Raum aus dunkelbraunem Holz auf. Er erinnerte ihn an seine eigene Kajüte, nur dass eine pulsierende, hellviolette Kuppel dort aus dem Boden wuchs, wo sein Schreibtisch gewesen wäre. "Donner und Doria! Was ist das?"
Mister X, der an einer Wand lehnte, trat zu ihm heran. "Das, Kapitän, ist der Kern, der Antrieb des Schiffs. Wenn wir ihn zerstören, sollte der Geist vertrieben sein. Dann könnt ihr einfach die Schätze abtransportieren."
"Und wie machen wir das?" Hook stocherte zaghaft mit seinem Degen an dem Kern. Und da kam ihm die Idee. Mit einem diabolischen Grinsen drehte er sich zu X um. "Könnt ihr noch eins von diesen Abkürzungsdingern machen? Zwischen hier und unserem Laderaum."
***
Sämtliche Piraten, die bereits das Schiff gestürmt hatten, waren in der Kapitänskajüte des Geisterschiffs versammelt worden und trugen nun Fässer vom Laderaum zur Kajüte, wo sie sie in der Nähe des Kerns ablegten. Schließlich traten die Piraten alle durch das Portal, während Käpt'n Hook Mister X am Arm packte. "Kommt mit, X. Hier habt ihr nichts mehr zu tun."
X trat durch das Portal, während Käpt'n Hook eine Fackel von der Wand nahm. "Machs gut, Geist," verkündete er noch, dann warf er die Fackel in den Pulverfasshaufen und stürmte durch das Portal. "Schnell, X!" brüllte er. "Schließt es."
Das Schiff stöhnte auf und blickte sich gehetzt um, während die ersten Explosionen starteten und das Hauptsegel Feuer fing. Dann detonierte die Kapitänskajüte.
Als sich der Pulverdampf legte, war aus dem Geisterschiff ein brennendes Wrack geworden. An Deck von Käpt'n Hooks Schiff herrschte betretenes Schweigen. Nach und nach löste sich ein vereinzeltes "Hurra!", das immer stärker anschwoll. Schlussendlich jubelte das ganze Schiff, während sich Käpt'n Hook vor dem Steuerrad verneigte. "Danke, danke. Aber das wäre alles nicht möglich gewesen ohne die Hilfe von Mister X. Wo ist der Schlawiner?"
Eine kurze Suche ergab, dass von Mister X jede Spur fehlte. Hook kratzte sich mit seinem Haken am Kinn. "Na ja, vielleicht ist er ja zwischendurch von Bord gegangen. Ich wünsche ihm auf jeden Fall alles Gute. Also, Männer, wir fahren jetzt zu diesem Wrack rüber und plündern es!"
"Käpt'n! Seht doch!" rief Smee von der Reling. Das Wrack erbebte und zuckte, dann brach das Deck auseinander. Ein riesiges, kristallenes Herz löste sich von dem Schiff und schwebte gen Himmel, wo es sich langsam auflöste. Der Rest des Wracks knirschte noch einmal, um sich dann in schwarze Flocken aufzulösen, die mit dem Wind davontrieben.
"Nein! Meine Schätze!" Käpt'n Hook blickte in die betretene Stille. "X, du Lügner! Warte, bis ich dich in die Finger kriege! Ich lasse dich kielholen, bis es dir Leid tut! Ich..." Er seufzte und zuckte mit den Schultern. Na ja, machte er halt das Beste draus. Irgendwie merkwürdig - er fühlte sich auf einmal wieder so erfrischt. Wie damals, als er mit der Piraterie angefangen hatte.
"Männer!" verkündete er. "Ich habe nachgedacht. Was bringt es uns, hier auf dem offenen Meer herumzukreuzen? Nichts als Scherereien! Wir setzen Kurs auf Nimmerland!"
Das Segelschiff wendete unbeholfen und nahm Fahrt auf. Ich wünsche ihnen auf jeden Fall alles Gute.
***
In der grauen Zone öffnete sich ein Portal, aus dem Mister X trat. Saïx warf ihm einen gelangweilten Blick zu. "Luxord. Hattest du Probleme mit dem..." Er warf einen Blick in seine Unterlagen, die er an einem Klemmbrett mit sich trug. "...Herzlosen Typ Killergaleone, den du zerstören solltest?"
Luxord gähnte. "Nicht mehr als üblich, danke. Ein freundlicher Einheimischer hat mir geholfen."
"Tatsächlich?" Saïx Blick verfinsterte sich. "Ich dachte, du brauchst keine Hilfe mehr."
"Ich würde es eher als Hilfe meinerseits sehen." Luxord trat zum Fenster und blickte in den Sternenhimmel. Irgendwo dort oben verbreitete der Käpt'n Angst und Schrecken auf den sieben Weltmeeren. "Ohne mich hätte er sich noch zu Tode gelangweilt."
The End
Kleine Weinnachtsgeschichte
Ich will euch eine Geschichte erzählen, die mir mal erzählt wurde. Von einem alten Mann mit schneeweißem Haar und dem wohl breitesten Lächeln, das ich jemals gesehen habe.
Ich war damals sehr traurig über die Verläufe meines Lebens, doch als der alte Kauz mir anbot, seiner Geschichte zu lauschen, änderte dies meine Einstellung.
Nach der Erzählung war es an einem 24. Dezember, vor nicht allzu langer Zeit. Ein Mann, der sich von der Welt verlassen fühlte, saß in sich gekehrt auf einer Parkbank. Er hatte einen schweren Tag hinter sich. Seine Frau hatte ihn verlassen, Heim und Hund waren ihm genommen worden. Sein Chef meinte es auch nicht besser und feuerte ihn, obwohl er schon seit Jahren für den gleichen Betrieb arbeitete. Der Mann hätte seinen Kummer ja in Bier ertränken können, doch er hatte auch kein Geld dafür. Und so kaufte er sich, irgendwo an einem kleinen Laden von seinen letzten Groschen eine Schneekugel. Sie war nichts Besonderes, aber dennoch ein kleines Geschenk. Und während der nun Obdachlose, so da saß und Trübsal blies, schüttelte er die Schneekugel. Zuerst passierte gar nichts, was auch zu erwarten war, doch dann fing es an zu schneien. Verdutzt blickte der Arme in den Himmel und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er schüttelte nochmals. Plötzlich roch es nach Lebkuchen, Keksen, einfach nach Weihnachten. Dem Mann fiel es nur geringfügig auf und er schüttelte die Schneekugel ein drittes Mal. Blitzartig entstand eine Rauchwolke vor ihm und ein kleiner alter Mann sprang vor ihm hin und her. Dieser meinte sogleich: „Fröhliche Weihnachten, ich bin das Männchen des Heiligen Abend und nun hast du 3 Wünsche frei!“ Erschrocken rieb sich der Mann auf der Parkbank die Augen und glotzte das Männchen an. „Du hast die Kugel 3-mal geschüttelt, das heißt, du hast mich gerufen und das wiederum heißt, dass du 3 Wünsche freihast, wähle weise!“, erklärte es etwas lauter und stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Der Mann fasste zuerst sein Glück gar nicht und fing strahlen an. Doch schlagartig wurde er wieder unglücklich. „Jetzt hab ich schon Wahnvorstellungen“, ermahnte er sich selbst im Geiste. Der unglückliche Kerl brüllte das Männchen an: „Scher dich doch zum Teufel, ich brauche dich nicht!“ Puff! Der kleine Mann des Heiligen Abend war verschwunden und eine Rauchwolke blieb zurück. Zehn Minuten später hatten die Schuldgefühle den Empfänger der Wünsche überrumpelt und er machte sich ständig Vorwürfe. „Es tut mir leid, ich wünschte du wärst wieder da!“, schrie er verzweifelt auf den Boden. Puff! Das Männlein kam wieder zurück und zum Glück noch in einem Stück. Auch wenn sein Bart und seine Kleidung angesengt waren. Grimmig meinte der Wünscherfüller: „Mach dir nichts draus, ist ja nicht das erste Mal.“ Nachdem sich der traurige Mann beim Männchen des Heiligen Abend gefühlte tausendmal entschuldigt hatte, setzte er sich mit ihm auf die Parkbank. „ Einen Wunsch hast du noch, bedenke dies“, informierte ihn der Wicht. Der Mann dachte über alle seine Probleme nach und mit welchem Wunsch er alle beseitigen konnte, immerhin hatte er nur noch einen. Nach einer Zeit fragte er das Männlein, was es sich denn wünschen würde. Verwirrt über die Frage antwortete es: „Ganz klar, Freiheit! Ich muss das ganze Jahr über in der doofen Schneekugel warten, um dann einmal im Dezember zu erscheinen und einem Trottel seine drei Wünsche zu erfüllen“ „Nichts gegen dich Kleiner!“, fügte das kleine Männchen schnell hinzu. Der trübselige Mann schien nun sehr fiel befreiter als vorher und blickte das Männlein durchdringen an: „Du hast recht! Meine Probleme sind menschlich und können von mir auch wieder beseitigt werden. Deine jedoch nicht.“
Langsam beugte sich der Mann zum Wicht und flüsterte in dessen Ohr. Freudig strahlten die Augen des Männleins auf, als sie den dritten Wunsch vernahmen. Puff! Er erfüllte ihn sogleich.
Was dieser Wunsch war, wollt ihr Wissen? Nun das fragte ich den alten Mann auch, doch er zwinkerte mir nur aufmunternd zu und drückte mir etwas in die Hand. Mit seiner tiefen Stimme flüsterte er: „Für normale Probleme braucht es keine Magie, aber manchmal kann sie sehr hilfreich sein.“ Ich blickte auf den runden Gegenstand in meiner Hand und schüttelte ihn. Es war der 24. Dezember und plötzlich fing es an zu schneien.
Wer das letzte Wort hat
„Das Leben ist zu kurz, um es in der Bedeutungslosigkeit untergehen zu lassen. Man muss sich ein Denkmal setzen, andernfalls gerät man in Vergessenheit. In ein paar hundert Jahren erinnert sich keiner mehr an dich, wenn du nicht irgendetwas Unsterbliches hinterlässt, bevor deine Zeit auf diesem Planeten abgelaufen ist.“
Das hatte meine Großmutter bedeutungsschwanger, aber mit brechender Stimme auf dem Sterbebett gesprochen. Es war nur mit viel Phantasie zu verstehen gewesen, so sehr hatte sie gekrächzt. Heiße Tränen hatten sich damals in meinen noch jungen Augen gesammelt, auch wenn ich nicht alles begriffen hatte, was mir Oma sagen wollte. „Carpe diem, mein Junge, carpe diem!“, das waren ihre letzten Worte gewesen.
Nun aber, etwa viereinhalb Jahrzehnte später, war es mir klar geworden, was sie damals gemeint hatte. Jetzt war ich Mitte fünfzig, eigentlich in den besten Jahren meines Lebens. Die richtige Zeit, noch mal neue Kraft zu schöpfen, das Leben zu genießen und die bisher erreichten Dinge weiter auszubauen. Familie, Karriere, Vermögen, Freundschaften, alles sollte doch eigentlich in der Lebensmitte gefeiert werden und so richtig genossen.
Pfah. Von wegen Lebensmitte. Ich höre meinen Sohn noch genau, wie er zu meinem 50. Geburtstag gesagt hatte: „Komm, jetzt wirst du noch mal so alt!“ Und ich höre den Arzt noch genau, wie er mir knapp fünf Jahre später mitteilte, dass ich todkrank sei.
Nun war seit dieser Diagnose beinahe ein Jahr vergangen und meine Zeit neigte sich dem Ende zu. Ich hatte mich damit abgefunden – was wäre mir auch anderes übrig geblieben? Jeder hat nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten, früher oder später neigt sie sich so oder so ihrem Ende entgegen. Nein, mit dem bevorstehenden Tod hatte ich mich schon lange abgefunden, zumal sich sowieso nichts mehr daran ändern ließ. Es war etwas anderes, das mich völlig verrückt machte. Nämlich meine letzten Worte.
Oma hatte völlig recht. Das Leben versinkt viel zu schnell in der Belanglosigkeit. Ich war in meinem Leben nichts weiter als ein einfacher Bauarbeiter gewesen, hatte hier und da bei irgendwelchen Plattenbauten mitgeholfen, mal die Wände für eine Vorstadtvilla hochgezogen, nichts, was Berühmtheit verspricht. Die Welt würde sich niemals an mich erinnern, wenn ich ihr nicht irgendeinen vor Altersweiheit strotzenden, weisen Spruch mitgeben würde, der die Bevölkerung aufhorchen lässt und alle zur Besinnung bringt. Ich brauchte kurz gesagt einen Satz, der in wenigen Worten das Universum zusammenfasste.
Das stellte mich vor einige Probleme. Da ich durch meine Krankheit zu schwach für Arbeiten geworden war und den Großteil der Tage auf dem Sofa zubrachte, hatte ich zwar noch relativ viel Bedenkzeit, aber es wollte mir einfach nichts gut genug erscheinen. Tausend Einfälle huschten durch meinen gescholtenen Körper, der von einem stetig wachsenden Tumor zusehends innerlich aufgefressen wurde. Tausend Einfälle, die alle dem elenden Gewucher zum Fraß vorgeworfen wurden. Schmerzen durchzuckten mich regelmäßig, unerträgliche Schmerzen. Der Tumor biss heftig zu und krisch wild umher wie ein Tier, das man auf die Palme gebracht hatte und bemächtigte sich immer mehr meiner halb leblosen Hülle.
„Lebe in Ehren und stirb in Würde.“ Ein nichtssagender Satz. Eine Binsenweisheit. Mein überbeanspruchtes Denkzentrum war nicht mehr dazu imstande, geistreiche Sätze hervorzubringen, wie es das sonst auch getan hatte. Überhaupt, war ein Krebstod ein Sterben in Würde? Hundertschaften übelschmeckender Schmerzmittel, quälend lange Chemotherapien... am allerschlimmsten musste die Strahlenbehandlung sein; wenn man das selbe Gift, das den Ursprung für die Wucherung war, auch als Gegenmittel nehmen musste, notgedrungen, in Ermangelung einer wirksamen Therapie... der Tumor würde sich dann doch nur noch mehr winden und am Gewebe zerren, sich noch weiter ins Fleisch hineinbeißen und noch mehr Schaden anrichten als zuvor... Nein, Krebs war definitiv entwürdigend.
„Das Leben ist wie ein Orchester, viele Stimmen ergeben zusammen ein klangvolles Stück.“ Einen Moment lang fühlte ich mich stolz wie Mozart, im nächsten verwarf ich den Satz direkt wieder. Man konnte das Leben mit allem möglichen vergleichen, aber doch nicht mit einem Orchester. Verzweifelt seufzte ich. Es ging wohl dramatisch bergab mit meiner Denkfähigkeit. Ein pochender Schmerz durchbohrte mich wie ein Dolch, sodass ich mich unter ihm krümmte und wimmerte. Es war kaum auszuhalten.
„Es ist schmerzhaft, zu leben, aber unheimlich schön, wenn der Schmerz nachlässt.“ Das klang fast so, als hätte ich einen Suizid vor. Ich hatte tatsächlich allen Grund dazu, die letzten Wochen meines irdischen Daseins verrannen schneller als erwartet und ich hatte nichts mehr zu verlieren, außerdem wären die elenden Schmerzen verschwunden, aber ich wollte mich noch nicht geschlagen geben.
„Die Zeit geht unerbittlich vorwärts, tu es ihr gleich!“ Das hatte was. Niemals zurückblicken, immer vorwärts, keine Pause. Es brachte ja nichts, die ganze Zeit in nostalgischen Gedanken zu versinken. Früher war alles besser? Damals im Krieg, als wir das alles noch nicht hatten? Wer's glaubt, wird selig. Nein, man durfte sich niemals mit Gedanken an die Vergangenheit aufhalten, damit kam man nie auf einen grünen Zweig.
Grüner Zweig. Grüner Zweig. „Jedes Pflänzchen verwelkt eines Tages, aber lebe immer so, als seist du die schönste Blüte von allen!“ Das konnte ich meinem Kopf gerade noch abringen, als sich eine überwältigende Welle der Schmerzen ereiferte, das Kommando zu übernehmen. Sie kaperte meine Sehfähigkeit und ließ mich zusammensacken. Ich vernahm nur noch erschrockene Schreie. „Geht es dir gut? Lebst du noch?“
Wie gern ich doch geantwortet hätte.
Ja, ich lebte noch. Aber ich konnte es beim besten Willen nicht mehr kundtun. Ich konnte nichts mehr sehen, nicht mehr meine Gliedmaßen bewegen. Nur noch hören konnte ich. Und fühlen. Einen unterschwelligen, gemeinen Schmerz, der unablässig gegen die Organe hämmerte. Ein Martinshorn. Hektische Schritte, verängstigte Fragen. „Wird er es schaffen?“ - „Geht es ihm gut?“ - „Was werden Sie jetzt tun?“ - „Und dann?“ - „Ja, aber was mache ich denn jetzt?“ - „Wird Papa jetzt sterben?“ Der letzte Satz entfachte einen unbeschreiblichen Sturm der Gefühle. Es war meine Tochter gewesen, sieben Jahre alt. Ein Kloß verstopfte meinen Hals und Tränen versuchten verzweifelt, aus meinem Körper herauszukommen. Ich war nicht wegen dem bevorstehenden Tod so traurig, es war diese kindliche Unbefangenheit gewesen, die mich so ergriffen hatte.
„Kinder verstehen es, zu leben, wieso hören wir also auf, Kind zu sein?“ Muss alles im Leben immer so ernst sein? So todernst?
Scheinbar schon. Das Wort, das sich die nächste Zeit immer wieder vernehmen ließ, war Koma. Der Tumor hatte es offenbar so weit gebracht, dass sich mein Körper nun in der extremsten Form wehrte, in einer dem Schlaf nicht unähnlichen Weise. Natürlich stand mein Körper auf verlorenem Posten in diesem verzweifelten Machtkampf über das eigene Revier, das er knapp sechsundfünfzig Jahre lang so erfolgreich durch alle Widrigkeiten des Lebens geführt hatte, das souverän aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen war und das nun einer grausamen Geschwulst aus entartetem Gewebe anheim fallen sollte. Es war hoffnungslos. Meine letzten Worte konnten nun so ausgefeilt sein, wie sie wollten, ich würde sie ohnehin nicht für die Nachwelt festhalten können. Sie waren ja letzten Endes doch nichts weiter als ein letzter Gedanke, ein letztes geistiges Aufzucken vor dem endgültigen Tode, eine letzte Regung vor der kompletten Hingabe an die Ewigkeit.
Wieso überlegte ich überhaupt noch? Aus diesem ekelhaften Zustand würde ich mein restliches Leben lang nicht mehr herauskommen. Es konnte sich zwar ohnehin nur noch um Tage handeln, aber für einen Augenblick erschien diese Zeit quälend lang. Im Grunde genommen wäre jetzt der ideale Zeitpunkt dafür gewesen, in eine hoffnungslose Gleichgültigkeit zu verfallen. Aber nein. Ich wollte nicht einfach klein beigeben. Allerdings spürte ich deutlich, wie mir der Tumor mehr und mehr Lebenskraft aussaugte. Irgendwann meinte ich, sein hämisches Lachen zu hören, aber das musste wohl Einbildung gewesen sein.
Als Oma noch gelebt hatte, da konnte ich es mir nicht vorstellen, wie es wohl sein mochte, zu sterben. Nun wusste ich es ganz genau. Es war ein widerliches Gefühl, eine finale Müdigkeit. Die Glieder fühlten sich unheimlich schwer an, der Herzschlag war kaum noch zu spüren. Eine bittere Kälte durchfuhr den gesamten Körper, drang in jede Fingerspitze vor und höhlte den Leib noch weiter von innen aus.
Dann plötzlich ebbte sie ab. Auch der Schmerz verzog sich langsam. Doch ich hatte keine Kraft mehr, mich darüber zu wundern. Ich gab mich einfach dem wohligen Gefühl hin, das mich jetzt überkam. Eine neue Leichtigkeit, als hätte ich niemals an Krebs gelitten. Fantastisch! Ich konnte wieder sehen! Ich konnte wieder sprechen! Ein heiseres Krächzen drang über meine Lippen nach außen und ich hörte den Satz noch lange in meinem Kopf nachhallen. Mit drei Worten starb ich:
„Vergesst mich nicht...“
Die Kerze
Ruhig lag sie in ihrem Bett. Ihre Arme lagen ausgestreckt auf der glatten, weißen Bettdecke, die mit vielen kleinen Rosen gemustert war. Sie schlief tief und fest, atmete langsam und schwer ein und aus. Wie ein kleines Baby lag sie da, unschuldig und zart, mit einem entspannten, liebevollen Gesichtsausdruck. Ich musste immer lächeln, wenn ich in ihr Gesicht sah. Es war für mich undenkbar, traurig oder wütend zu sein, wenn sie in der Nähe war. Sie war noch nie gemein zu mir und auch niemals fies, sondern immer nett, fröhlich und die liebste Person die mir je begegnete.
Ich saß zwei Schritte von ihrem Bett entfernt am Fenster. Die dicken braunen Gardinen waren halb zugezogen. Nur durch einen kleinen Schlitz konnte ich sehen, wie die Regentropfen sanft gegen das Fenster fielen, und das Wasser langsam den Weg nach unten fand. Die hübsche Gartenlandschaft mit dem angrenzenden Mischwald war verschwommen und trüb. Manchmal wehte der Wind ein braunes Ahornblatt aus dem Garten vorbei. Es war Herbst, und der Wind wirbelte die farbenfrohen Herbstblätter in die Luft.
Auf der anderen Seite ihres Bettes stand ein kleiner runder Nachttisch, der aus dunklem Holz angefertigt wurde. Auf ihm stand eine große Kerze, die sie vor Stunden angezündet hatte. Die einst glatte Kerze hatte mittlerweile viele weiße Wachsstreifen. Immer mehr Wachs floss nach und erhärtete langsam auf dem Weg nach unten. Trotz dass sie bereits sehr niedergebrannt und verformt war, sorgte ihr Lichtschein im Zimmer für eine angenehm warme Atmosphäre. Einige Windzüge, die ihren Weg ins Zimmer fanden, ließen die kleine Flamme geräuschlos auf dem flüssiggewordenen Wachs tanzen.
Der Ort, an dem sie nun die meiste Zeit verbrachte, war ihr kleines Zimmer. Ein dicker Roman lag auf ihrem alten Schreibtisch. Wenn sie las, saß sie immer in ihrem roten, flauschigen Sessel, der vor ihrem Schreibtisch stand. Er war wunderschön und sehr bequem. Es war sehr angenehm in ihrem Sessel zu sitzen; dann kuschelte ich mich an die weiche Lehne, die immer nach ihrem Parfüm roch. Der kuschelige Bezug ließ meinen Körper von Kopf bis Fuß erholsam durchkribbeln. Egal wie gestresst, nervös und aufgeregt ich war, wenn ich mich in den Sessel fallen ließ, entspannten sich augenblicklich alle Muskeln meines Körpers.
Ihr Zimmer war für mich immer wie eine kleine Wohlfühloase. Sie pflegte ihr kleines Paradies immer sehr sorgfältig und war dankbar, wenn ich ihr beim Putzen half. Sie machte mich immer glücklich und ich verbrachte gern meine Zeit mit ihr. Wenn wir gemeinsam frühstückten, sie in ihrem Bett und ich auf dem Stuhl neben ihr, hatten wir viel Spaß und lachten über alles Mögliche, den knurrigen Nachbarn von neben an, den nur sie so genau nachahmen konnte, über alte Zeiten und Gott und die Welt. Niemand sonst hatte noch Interesse an ihr. Alle dachten nur an sich und an ihre Aufgaben, hatten keine Zeit, stressten umher und ließen sie allein. Ich war nicht so. Ich nahm mir so viel Zeit wie möglich, machte meine Hausaufgaben an ihrem Schreibtisch, saß auf ihrem Schoß wenn sie las, lag in ihrem Bett, wenn sie mir Geschichten erzählte oder aus Büchern vorlas. Wenn sie Hilfe beim Einkauf brauchte, half ich, wenn sie vergaß die Blumen zu gießen, tat ich es. Es war schon immer sehr harmonisch zwischen uns.
Früher, als ich noch klein war, ging sie mit mir manchmal zum Spielplatz und sorgte für den nötigen Schwung, wenn ich auf der Schaukel saß. Im Wald machten wir Picknick. Manchmal zauberte sie eine Überraschung aus dem Picknickkorb, mit der ich nicht rechnete. Mal backte sie heimlich Kuchen oder Kekse; ein anderes Mal kaufte sie meine Lieblingsschokolade, schmierte knusprige Brötchen mit frischem Aufstrich oder nahm ein kleines Spiel mit, das wir auf unserer großen Picknickdecke spielten. Im Winter bauten wir tagelang an einer Schneelandschaft mit vielen Schneemännern und Schneefrauen im Garten. Die Erinnerungen waren wunderschön. Ich dachte jede freie Minute an die schöne Zeit, die wir gemeinsam hatten.
Draußen begann es windiger zu werden. Das bräunliche Kerzenlicht flackerte sanft, während der Wind am Fenster vorbei wehte. Die grauen Wolken und der trübe Garten wurden immer dunkler. Die Nacht zog langsam auf und verdunkelte die Natur in eine graue Dämmerung. Es war eine traurige Dämmerung. Bei all den schönen Erinnerungen und den fröhlichen Szenen die mir durch den Kopf gingen, lief mir eine Träne über die Wange. Schnell wischte ich sie mir weg und sah in die flackernde Kerze.
Draußen wurde es stürmisch. Das Kerzenfeuer zappelte unruhig auf dem Docht. Ein kleines Unwetter schien aufzukommen, denn es begann zu hageln. Die prasselnden Geräusche und das unruhige Flackern des Kerzenlichts, machten mich leicht nervös. Plötzlich atmete sie tief ein. Ich dachte der Sturm würde sie wecken, aber sie lag da genauso entspannt wie vorher. Als sie ausatmete dröhnte eine starke Windböe gegen das Fenster. Die Gardinen hoben leicht in die Luft ab und das Kerzenlicht erlosch im Windzug. Dann war es still. Nur ein paar Regentropfen plätscherten gegen das Fenster, während sich die Dämmerung im Zimmer ausbreitete. Vom Docht stieg ein grauer, sich auflösender Streifen in die Luft. Der Rauch war wie die Seele des warmen Lichts, die nun die Kerze verließ und sich in der Luft auflöste.
Es war ungewöhnlich ruhig im Zimmer. Sie lag ganz still und entspannt, ohne eine einzige Bewegung, in ihrem warmen Bett. Ich blickte nervös und erschreckt zu gleich in ihr liebevolles Gesicht, lächelte sanft und traurig. Ich merkte, dass meine Augen langsam feucht und warm wurden. Einige Tränen flossen vorsichtig über mein Gesicht und tropften geräuschlos auf meine Hand. Die feuchten Tröpfchen waren wie kleine Regentropfen die durch das Dach aus einer undichten Stelle fielen. Ganz leise und mit schwacher Stimme flüsterte ich:
- Oma?
Diamanten im Himmel
Vollkommen erschöpft warf ich meine Sandalen in die Ecke des Raums, ließ mich mit theatralischem Stöhnen aufs Bett fallen und streckte die Arme zu beiden Seiten aus. Danach ließ ich noch ein langgestrecktes Seufzen folgen, damit mein Bruder auch mitbekam, wie alle ich war.
„Ich habs begriffn! Maul jetzt.“, lachte er.
Ich drehte den Kopf. Mein Zimmer war relativ groß, mit hellen Wänden und Möbeln sowie einem großen Fenster, welches nach Osten hinausging.
„Nuschel nicht immer so. Man versteht dich nicht.“, befahl ich ihm. Er schnitt eine Grimasse. Das konnte er gut.
„Hör halt genauer hin, Schwester. Dazu müsste dein Hirn doch imstande sein.“
„Pah. Was gibt’s zu essen?“
„Mach dir n Sandwich.“
„Sehr nett.“, erwiderte ich und quälte mich aus dem Bett. Eine Strähne meines langen, braunen Haars fiel mir ins Gesicht.
„Ich gehe erst einmal duschen. Bis gleich. Und sieh zu, dass du aus meinem Zimmer kommst!“
„Muhaha!“
Typische Reaktion. Dieser rothaarige Hitzkopf nahm mich nicht ernst. Hat er, ehrlich gesagt, noch nie. Wir wurden oft gefragt, ob er bei der Geburt die lauten Gene abbekommen hat, denn ich war relativ ruhig. Mit großen Schritten verließ ich das Zimmer. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, was mein Bruder hier tat: es ging um meine Musikanlage, welche kaputt war. Mein Bruder schaffte es immer, elektronische Dinge wieder zum Laufen zu bringen, also hatte ich ihn um Hilfe gebeten. Damit, dass er sich dann nahezu häuslich bei mir einrichtete und mehrere Stunden in meinem Zimmer zubrachte, hatte ich nicht gerechnet. Andererseits sollte mir das klar gewesen sein. Er mochte mein Zimmer. Es war größer als seines, man konnte wunderbar ausspannen.
Wie dem auch sei, ich war lange beim Jogging gewesen und wollte unter die Dusche. Also nahm ich mir ein paar frische Kleider, ärgerte mich über eine Laufmasche in meinem Top, wollte sie entfernen, machte einen Fehler, was mir noch einige blumige Flüche entlockte, doch letztendlich tupfte ich ein wenig Nagellack drauf, damit sie nicht weiterlief, und durchquerte den engen Flur, der an einer Galerie mit Geländer aufhörte. Wie immer beugte ich mich ein wenig über das Geländer, sah kurz ins Wohnzimmer hinab. Dann bog ich rechts ab, in Richtung Treppe. Meine bloßen Füße machten nicht das geringste Geräusch auf den Holzdielen. Ich hatte mir angewöhnt, immer am Rand einer Treppenstufe aufzutreten, damit man mich nicht kommen hörte. Innerlich stöhnte ich erneut auf. Ich sollte meine Ausdrucks- und Denkweise ändern. Man hört mich kommen…ja, das hätte mein Bruder lustig gefunden. Leicht genervt kam ich unten…erreichte ich die untere Etage und hielt auf die dunkle Eichentür am Ende des Wohnzimmers zu, hinter der sich nur noch ein kleiner Vorraum mit der Haustür befand. Doch ich wurde angehalten.
„Maria, kommst du bitte kurz?“
Ich unterdrückte ein Seufzen sowie meine Fantasie und drehte mich um. Die Küche lag links von mir.
„Ja?“, antwortete ich meiner Mutter, klemmte meine frischen Kleider unter den Arm und bückte mich leicht, um mir nicht den Kopf am Türsturz zu stoßen.
„Könntest du kurz den Müll rausbringen?“
„Klar…gerne.“, ich gab mir Mühe, es so klingen zu lassen, dass das Gegenteil der Fall war. Wer bringt schon gern den Müll raus? Außerdem wollte ich duschen.
Aber ich wusste, wie viel meine Mutter für mich tat, also griff ich nach der Mülltüte und verließ die Küche durch die Außentür. Auf der Terrasse sah ich in den Himmel. Dunkle Wolken schwebten über Masnuy St. Jean, den Ort, in dem ich wohnte. Ein Regentropfen, klar wie ein Kristall, fiel auf meine Stirn und lief langsam an meiner Nase herab. Schnell ging ich an der Hauswand entlang, die Garage mit den Mülltonnen war fast genau unter meinem Zimmer. Ich hörte darum jedes Mal, wenn jemand die Tür öffnete, wie ich es in diesem Moment tat, das quietschende Geräusch, welches an den Schrei Palkias, eines Pokémons, erinnerte.
Ich hielt den Atem an, als ich die Mülltonne öffnete. Nicht wegen des Gestanks, sondern wegen meiner Neurosen. Beim Öffnen eines Behälters, der mir besudelt vorkam, hatte ich Angst, durch das Einatmen einen Teil der Besudelung in mir aufzunehmen. Leider hatte ich noch mehr kleine Ticks, zum Beispiel stieg ich nie ohne Handtuch aus der Dusche, ich dachte immer, irgendwer hätte da eine Kamera installiert, die ich nicht sehen konnte. Desweiteren konnte ich nie ein Zimmer verlassen, ohne den linken Fuß exakt auf die letzte Fliese oder Diele zu stellen, weil es mir sonst schlecht vorkam. Beim Verlassen von Zimmern, die komplett mit Teppich ausgelegt waren, bekam ich die Krise. Aber genug davon. Nachdem meine Arbeit getan war kehrte ich ins Haus zurück. Auf dem Weg dorthin wurde ich…nein, nicht feucht. Es regnete leicht. Wie sagte man dazu? Nass? Nein, dafür war der Regen zu schwach. Ich weigerte mich, an das Wort „feucht“ zu denken.
Einige Minuten später, als ich in unserem unteren Badezimmer vor der Dusche stand und mir die Unterwäsche auszog, sah ich mich verstohlen nach rot blinkenden Lichtern um, welche eine Kamera verraten würden. Wie immer fand ich nichts, stieg mit zwei Schritten in die Duschkabine, drehte dann das Wasser auf. Wenig später träumte ich unter den warmen Strahlen vor mich hin, während ich mir den Schweiß vom Körper wusch. Mein bester Freund kam mir in den Sinn, er war wirklich lieb, ist es auch jetzt noch, aber er hatte diese dumme Eigenart, andauernd Dinge zu erfinden, die keiner braucht. Das war der einzige Makel an ihm. Wir redeten immer lange miteinander, wenn wir uns trafen und hatten viel zu lachen. Gedankenverloren stellte ich das Wasser ab, öffnete ich die durchsichtige Tür der Kabine, streckte den Arm hinaus und tastete nach meinem Handtuch. Der Umstand, dass ich es nicht fand, riss mich aus den Träumereien.
„Was…“, murmelte ich und spähte um die Ecke der Kabine. Dann schrie ich auf.
„Aaaaahhh! Was tust du da!?“
„Huch!“, entfuhr es Tony, meinem besten Freund.
Gut, das war eine schlechte Angewohnheit seinerseits. Er hielt sich nicht an häuslichen Frieden und ähnlich profane Dinge. Er war ein echter Träumer. Mich nackt zu sehen irritierte ihn daher ebenfalls nicht, vielmehr war er wegen meines Schreis überrascht.
„Tony!!“
„Tut mir leid!“, er entschuldigte sich, doch ich wusste, dass ihm nicht klar war, wofür.
„Man kommt nicht einfach in fremde Häuser und schaut Mädchen beim Duschen zu!“
„Habe ich nicht. Schau mal.“, er stopfte mein Handtuch in den Schrank unter dem Waschbecken. Ich drückte mich an die Wand der Duschkabine, doch er bemühte sich, mich nicht anzusehen. Pure Höflichkeit. Er holte irgendwas aus der Tasche.
„Was ist?“
„Ich habe ein Gerät entwickelt, was dir ermöglicht, Schmutzpartikel auf atomarer Ebene zu zerlegen und damit Oberflächen zu reinigen! Mein ganzes Taschengeld ist dafür draufgegangen.“, er bekam diesen fiebrigen Unterton, ich war sicher, seine Augen glänzten. So war er immer, wenn er von seinen Erfindungen sprach.
„Bitte was? Gib mir bitte mal mein Handtuch.“, erwiderte ich. Ich hörte ihn herumkramen, dann erschien seine Hand, die das Handtuch hielt, in meinem Sichtfeld.
„Danke.“
„Also, ich nenne es den Schmutzpartikelatomisierer, und…“
„Hat deine Familie keine Staubtücher?“
„Äh…Staubtücher verschieben den Schmutz nur an eine andere Stelle. Ich hingegen kann ihn in seine kleinsten Teilchen zerlegen, ihn in Luft auflösen! Ist das nicht fantastisch?“, er redete sich in Fahrt. Ich trocknete mich hastig ab und stieg in meine Unterwäsche, welche er mir anreichte. Als ich rudimentär angezogen war, stieg ich aus der Kabine.
„Wenn du das sagst…“
Tony ließ den Blick nicht an mir herab wandern, als ich vor ihm stand, ich war mir lange Zeit nicht sicher, ob ihn Mädchen überhaupt interessierten. Später stellte ich fest, dass er einfach ein kleiner Spätzünder war. Aber mit diesen blauen Augen, seinem blonden Haar und dem breiten Lächeln, so dachte ich, hätte er sicher keine Probleme, eine Freundin zu finden. Ich selbst kam dafür nie infrage, ich war schon immer zu schüchtern. Manchmal wünschte ich, ich…
Nicht so wichtig.
Fertig angezogen rief ich eine kurze Benachrichtigung an meine Mutter in Richtung Küche, warf die benutzten Kleider in die dafür vorgesehene Kiste und folgte Tony nach draußen. Wir wollten trotz des Wetters spazieren gehen. Ich hatte gerade geduscht, ein wenig Wasser mehr machte da nichts aus. Auf der Straße bogen wir links ab, der Chemin du Prince führte von hier aus in beide Richtungen. Rechts weiter den Hügel hinab, bis zur Hauptstraße, links denselben Hügel hinauf, in Richtung Wald. Wohnhäuser standen zu beiden Seiten der Straße.
„Du hast so schöne, glatte Beine, Maria!“, bemerkte Tony. Ein wenig Blut schoss mir ins Gesicht. Komplimente waren so eine Sache bei mir.
„Danke. Ich benutze meinen servogesteuerten Hautfluxisierer täglich.“, auf meine Bemerkung hin wurden seine Augen riesig groß.
„Davon erzählst du mir erst jetzt?! Kann ich den sehen?“
„Nein, Dummerchen. Schon von Wachs gehört?“
Lachend ging ich voraus, er nahm meine Worte für bare Münze, in seinem Kopf entstanden sicher schon die Pläne für ein derartiges Gerät. Die Sonne brach durch die Wolken, verwandelte die Regentropfen in Edelsteine. Diamanten fielen auf uns herab.
Una sombría navidad - Eine grauenvolle Weihnacht
Entnervt stieß ich einen lauten Seufzer aus. Wann würde es endlich aufhören zu schneien?
Als hätte meine große Schwester Lulu, eigentlich Lucinda, meine Gedanken gelesen, antwortete sie: "Es soll die nächsten Tage so weiter schneien!" Wir waren wie beste Freundinnen und verstanden uns auch ohne Worte prima.
Sie hatte langes, blaues Haar und wahnsinnig stechende blaue Augen. Sie sagte von sich, dass sie nicht schön wäre, aber ich war da anderer Meinung.
Ich selber - mein Name ist übrigens Adriana - habe lange, lockige und dunkelbraune Haare. Meine Augen sind rehbraun und ich liebe sie!
Eine Weile schwiegen wir, dann erhob ich meine Stimme und fragte: "Wann denkst du, kommen sie zurück?" Irgendwie verträumt, spielte ich mit einer Locke und schaute deprimiert zu Boden. "Ich kann es dir leider nicht beantworten, Kleine...Sie sind schließlich Geschäftsleute und da kann man nie genau peilen."
Mir stiegen Tränen in die Augen. Meine Eltern waren einflussreiche Person, die für mittlerweile fünf Monate nicht mehr hier - zuhause - waren. Wir hatten zwar ein nettes Kindermädchen und eine wundervolle Villa, aber das Gelbe vom Ei war es nicht. Lieber arm sein und mit Eltern aufwachsen, als reich sein und nie oder kaum Möglichkeiten haben, sie zu sehen.
"Hey, es wird alles wieder gut!" Besorgt strich mir Lu über den Rücken, um mich zu trösten. "Und außerdem ist heute der letzte Schultag!" Es war der 20. Dezember, der letzte Schultag, sie hatte recht.
Ich musste grinsen, denn heute war die Weihnachtsfeier unserer Klasse!
Nun etwas glücklicher, zog ich mir einen weißen Strickpullover an, da es geschneit hatte und somit sehr kalt war. Dazu trug ich eine braune Röhrenjeans mit meinen Lieblingsstiefeletten. Nachdem ich meine Haare gekämmt hatte, wickelte ich mir meinen grauen Schal um den Hals und zog mit eine kuschelige Winterjacke an.
Zufrieden mit meinem Ebenbild grinste ich in den Spiegel, während ich mir noch dezent Schminke auftrug. Meine Schwester Lu sah fast genauso wie ich aus, denn wir trugen wie schon oft Partnerlook. Das, was uns unterschied waren meist nur noch Haare, Größe und Augenfarbe.
"Adriana!" Felice, meine beste Freundin, umarmte mich stürmisch und ich musste all meine Macht aufbringen, um keine ungewollte Bekanntschaft mit dem gefrorenen, schneebedeckten Boden einzugehen.
"Mir ist ja schon klar, dass du mich gern hast, du kleine Idiotin, aber umwerfen musst du mich deswegen nicht!", lachte ich und sie lächelte mich überglücklich an.
Nach drei grauenvollen Stunden mit Mathematik, Chemie und Arbeitslehre Wirtschaft gongte es zur Pause und ich schätzte alle stürmten regelrecht nach unten, denn es schneite dicke, fette Flocken.
Felice, Lu und ich trafen uns mit zwei anderen Freundinnen und wir gingen ebenfalls hinaus.
Als wir eine knappe halbe Runde gegangen waren, kamen wir an einem seltsam aussehenden Busch vorbei. Wie es unsere Neugier so wollte, nickten wir uns stumm zu und krochen hindurch.
Ein weißes, viel zu grelles Licht blendete mich und ich kniff die Augen zu. "Adriana, hey, komm zu dir!", flüsterte mir eine bekannte Stimme zu und langsam öffnete ich die Augen. Wo war das grelle Licht hin? Denn es war stockfinster!
"Wo zum Teufel sind wir?", fragte ich und blickte um mich. Es war dunkel, aber trotzdem konnte man noch schemenhaft was erkennen. Anscheinend lagen Taschenlampen auf dem Tisch, denn Chiara - eine der zwei anderen Freundinnen - hatte sich eine genommen und stieß prompt einen lauten Schrei aus.
Felice kroch hinüber zu Chiara und stieß ebenfalls einen erschreckenden Schrei aus. Ich verdrehte die Augen, kroch dann selber zu den beiden...und mir blieb der Satz, den ich hatte sagen wollen, im Halse stecken, stattdessen schrie ich.
Denn dort unten lag die Leiche von Elena - wie auch Chiara, eine der zwei Freundinnen, die mit uns gekommen waren.
"Wie ist das passiert?", fragte ich, erhob mich, krallte mir eine Taschenlampe und ging damit den nicht mehr ganz so dunklen Gang entlang. Ich hörte Stimmen, eine Stimme wimmerte, die anderen lachten und urplötzlich tauchte eine Person vor mir auf und ich erschrak so so sehr, dass ich auf den Boden plumpste.
Vor mir stand Kiko, eine aus meiner Klasse, mit blutunterlaufenen Augen und zerkratzter Kleidung. Sie beugte sich zu mir hinüber und flüsterte: "Pass auf. Ein Wolf hat sich unter euch Häschen versteckt...wenn ihr ihn findet, müsst ihr ihn töten!"
"Was machen wir jetzt?" Ich zuckte mit den Schultern und kuschelte mich an meine Schwester Lu. "Ein Wolf, der sich unter uns gemischt hat?", fragte mich Felice zum gefühlten tausendsten Male und ich nickte.
Wie würde wohl unser Abenteuer enden?
Dann stand Felice vor mir und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. "Wetten wir, du bist der Wolf!?!" Empört über diese Beschuldigung drehte ich mich weg. "Unerhört von die, so was zu glauben!"
"Irgendwie erinnert mich das an Rabbit Doubt...", flüsterte ich, Lu nickte zustimmend und meinte: "H-hey! Chiara und Felice sind verschwunden?!"
Ich schluckte und nahm mir meine Taschenlampe. "Folge mir, Lu." So schlichen wir beide uns den Gang entlang und als wir um die Ecke bogen, traute ich meinen Augen kaum und brach in Tränen aus. Lu umarmte mich fast schützend - denn vor uns lagen in grausamster Art und Weise die Leichen unserer beiden Freundinnen.
"I-ich will hier weg!" Geschockte krallte ich mich an meine große Schwester, die plötzlich umkippte.
Ich stieß einen entsetzten Schrei aus, da auch sie tot war.
Überwältigt von den entsetzlichen Ereignissen ließ ich mich an der Wand des dunklen Flures hinab, vergrub mein Gesicht in meinen Händen und heulte los.
Ich spürte etwas an mir herunter gleiten und starrte verwirrt auf genau diese Gegend...eine Spinne?
Ein metallener Gegenstand wurde nun an mein Hals gedrückt und ich spürte den aufkommenden Schmerz der größer werdenden Wunde.
"Na du Kleine? Überrascht das ich es bin?" Elena? "Warum?", brachte ich nur heraus und fügte hinzu: "Du bist der Wolf, nicht wahr?"
Sie nickte und mit einem Stich wurde die Welt um mich herum schwarz wie die Nacht.
Der Mensch
„Sieh nur dort droben, im lichten Schein des erwürd'gen Mondes. Dort wo es untersagt ist hinzuziehen, dort schwebt er sachte seine Bahnen und bringt uns den seligen Schutz.“
Ein wenig erschreckt blickte ich mich um. Aber schon bevor ich ihn sah, wusste ich, dass es mein Freund Amadeus sein musste. Niemand sonst hätte sich so bemerkbar gemachen.
Ich möchte euch an dieser Stelle übersetzen, was er sagte. Lasst euch von mir an der Hand nehmen und ich werde euch durch einen Teil meiner Geschichte geleiten. Sie ist zu lang, um alles zu erzählen, aber ein Stück davon sollt ihr doch erfahren. Aber nun gut, ich wollte euch seine Worte verständlich machen. Er redete von den Wächtern. Sie waren die Hüter des alten Wissens und die Beschützer unseres Volkes. Jeder kannte sie, obwohl sie sich so gut wie nie blicken ließen. Meist konnte man sie nur aus der Ferne sehen, wenn sie über den Bäumen flogen und nach Feinden Ausschau hielten. Wir wurden schon lange nicht mehr aus einem der benachbarten Stämme angegriffen, aber jeder misstraute den Anderen und fühlte sich nur im Schutz der Wächter sicher. Nacht für Nacht zogen sie ihre Kreise, tags über schliefen sie wie alle in einem großen Baum, der ihnen allen Heimat war. Eine große Eiche; alt und majestätisch, mitten in einem schier riesigen Wald. Allerdings schliefen die Wächter immer ein wenig abseits. Den Kleinen wurde strengstens verboten sie zu stören, die alten Käuze mochten das nicht so sehr. Aber wieder zurück zu Geschichte.
„Wo bist du nur gewesen? Du hast mich eine ganze Weile warten lassen. Wir wollten doch zusammen jagen, wenn wir noch lange warten werden kaum noch Mäuse zu finden sein, die Anderen des Stammes werden die dummen schon gefressen und die schlauen verscheucht haben. Und überhaupt, wieso um alles in der Welt grinst du mich so komisch an?!“ Ich war wahrlich nicht sonderlich erfreut darüber, wenn er mich einfach so warten ließ.
„Ich sag' es dir lieber nicht, du wirst doch nur wieder sauer“, antwortete er mir mit dem selben irgendwie dämlich und spitzbübisch zugleich wirkenden Lächeln.
„Was hast du wieder angestellt? Sag nicht, du hast es dir mal wieder mit Gohor verscherzt.“ Amadeus war nicht gerade die Eule, die man als Musterknaben, wie die Menschen immer sagen, bezeichnen könnte. Immer wieder heckte er Streiche aus, sehr zum Missfallen der Anderen. Besonders der Stammesführer Gohor nahm ihm seine Missetaten übel.
„Na jetzt sag schon. Was hast du bloß gemacht?“ Langsam wurde ich ein wenig neugierig und vergaß darüber sogar sauer auf ihn zu sein.
„Aber nur weil du es bist und du musst mir versprechen, niemals etwas darüber zu verraten; unter keinen Umständen“, meinte mein Freund und sah mich nun ernst an. Was auch immer er mir sagen würde, ich glaubte kaum, dass es sich um einen seiner üblichen Streiche handelte. Sonst hätte er mir nicht so ein Versprechen abgenommen.
„Ja, ja, ich verspreche es. Aber jetzt weih mich ein.“ Einen skeptischen Blick warf er mir noch zu, begann dann aber endlich zu erzählen.
„Ich habe etwas gefunden. Niemand außer uns darf davon wissen. Das ist wirklich sehr wichtig.“
„Ich hab's ja schon verstanden. Also, was hast du gefunden?“ Warum nur spannte er mich so lange auf die Folter? Kann er nicht einfach sagen, was passiert ist?
„Komm mit!“, meinte er nur und drehte sich auch schon um. Verblüfft über seine plötzliche Reaktion blieb ich einen Moment noch verdattert auf dem Ast zurück, bevor ich mich beeilte los zufliegen und ihn einzuholen. Er flog schnell und es dauerte nicht lange, da befanden wir uns in einem mir unbekannten Gebiet. Wachsam und auch ein wenig ängstlich beobachtete ich im Vorbeifliegen meine Umgebung. Wo zum Teufel war wir hier gelandet? Und was um Himmelswillen hatte er hier gefunden? Die Frage, warum er überhaupt an solch einem Ort gewesen ist, traute ich mir gar nicht erst zu stellen. Nachher würde er mir eine Erklärung liefern müssen.
„Hey!“, rief ich ein wenig wütend. Aber dieser verdammte Amadeus beachtete mich gar nicht. Urplötzlich hatte er begonnen wie wahllos im Zickzack zu fliegen. Damit war auch das letzte bisschen Orientierung meinerseits verloren gegangen. Hilflos versuchte ich nur noch, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er endlich langsamer wurde. Jetzt erst drehte er sich zu mir um, woraufhin ich ihm prompt einen bösen Blick zukommen ließ. Ein entschuldigendes Lächeln blitze in seinem Gesicht auf und er meinte:
„Ich muss wirklich sicher gehen, dass uns niemand gefolgt ist.“ er hat also versucht, mögliche Verfolger abzuschütteln. Dumm nur, dass es hätte sein können, dass ich ihn ebenfalls nicht hätte folgen können. Nun wollte ich aber wissen, warum er dieses ganze Theater veranstaltet hat. Da kam es mir auch ganz recht, dass er auf einem nahen Ast landete. Prompt setzte ich mich neben ihn.
„Und?“, fragte ich ihn, nach einer Erklärung verlangend.
„Was und?“
„Warum nur hast du das alles gemacht?“
„Du weißt es doch schon.“
„Ich weiß gar nichts. Du hast mir ja auch noch nicht wirklich etwas darüber gesagt.“
„Es ist schwer zu beschreiben, ich zeig es dir am besten.“
Mit diesen Worten flog er auch schon weiter, dieses Mal aber glücklicherweise nicht ganz so schnell. Kurz darauf konnte ich einen großen, hellen Umriss ausmachen. Dieses etwas war wirklich riesig. So groß wie ein Baum, aber viel, viel massiger. Inzwischen versperrten mir keine Bäume mehr die Sicht und ich konnte den Klotz in voller Größe bewundern. Weiße Mauern türmten sich vor mir auf, weiter oben lief das Gebilde spitz zu und hatte eine rötliche Färbung. Immer wieder wurde das Weiß von Höhlen durchbrochen. Komische Dinge konnte ich darin entdecken. Was war das nur?
„Amadeus?“, fragte ich.
„Ist es nicht wunderbar?“ Er klang ernsthaft begeistert, was man von mir nicht unbedingt behaupten kann. Ich wollte am liebsten sofort wieder verschwinden. Zu meinem Bedauern machte er keine Anstalten meinem stillen Wunsch folge zu leisen; er näherte sich diesem komischen Ding sogar noch.
„Bitte, lass uns wieder gehen“, wand ich mich an ihn mit einer unsicheren Stimme. Mir behagte das alles ganz und gar nicht.
„Ach komm schon, wir sind doch gerade erst angekommen.“
„Gohor wird fürchterlich sauer sein und wir bekommen garantiert eine Menge Ärger.“
„Er muss es ja nicht erfahren. Ich dachte, ich kann dir vertrauen.“ Letzteres äußerte er mit enttäuschter Stimme.
„Kannst du ja auch!“, rief ich empört. Wie konnte er nur denken, dass ich ihn verpetzen würde?!
„Komm, wir gehen rein“
„Was?! Moment mal, warte! Du kannst da doch nicht einfach reingehen, du weiß noch nicht einmal, was das ist!“
„Natürlich kann ich. Ich war auch vorher schon drinnen. Außerdem ist es ein Rietz.“
„Ein Rietz?“
„Na ein Riesen Klotz.“
„O.K. , aber wir müssen ja nicht unbedingt in dieses Rietz hinein fliegen.“
„Ich war doch schon drinnen, alles ungefährlich. Dort oben ist der Eingang. In einige Höhlen kann man nicht rein, aber in diese dort schon.“
Er ließ mir keine Zeit für weitere Einwände. Vorsichtig folgte ich ihm, ganz alleine wollte ich nun auch nicht zurück bleiben. Er schwebte ohne zu zögern mitten in die komische Höhle. Große Lust es ihm gleichzutun hatte ich aber nicht wirklich, daher landete ich beim Eingang.
„Sei nicht so eine Angsteule“, rief er mir mit spöttischen Unterton zu. War ja klar. Kaum ist man vorsichtig, wird man lächerlich gemacht. Ich hatte vor, es ihm auf jeden Fall später heim zu zahlen. Er flog wild hin und her, also kam es wie es kommen musste. Er stieß etwas an.
Ich würde euch gerne beschreiben, wie genau dieses Etwas aussah, aber ich hatte mich so erschreckt, dass ich nicht darauf geachtet habe. Aber wieder zurück zu Amadeus.
Er machte mitten in der Luft einen Satz zurück, aber vergeblich. Das herunterfallende Ding traf ihn am Flügel und er trudelte zu Boden. Mit einem Aufschrei war ich schon im Begriff ihm zu Hilfe zu Eilen, als mich ein Lichtstrahl innen halten ließ. Ein großer Schatten war darin zu erkennen. Reglos verharrte ich, abwartend was dieses riesige Wesen machen würde. Es kam in die Höhle und befand sich auch schon kurz darauf neben meinem Freund.
„Hilf mir!“, schrie er verzweifelt, aber ich war wie erstarrt. Dann ging alles ganz schnell. Dieses Wesen nahm meinen Freund, ging in den Lichtstrahl und verschwand darin.
„Amadeus! Amadeus!“, rief ich verzweifelt nach ihm, aber eine Antwort blieb aus.