27. Kapitel: Schattenspiele
[align=justify]Ja, Solniza, antwortete ich, Freundin. In der Bedeutung, wie Ira meine Freundin gewesen ist. Ich denke, du weißt, wie ich es meine.
Die Augen des Sonnengeschöpfes weiteten sich merklich. Tatsächlich wusste es, was es bedeutete... Die höchste Auszeichnung, die ich einem Wesen machen konnte, vor allem, wenn ich das Wort auf die Weise, wie ich es getan hatte, betonte. Meine Vertraute, diejenige, die mich vollkommen verstand, genau darum handelte es sich bei dieser Bezeichnung. Seit dem Tag, an dem Darkrai aufgetaucht war, hatte ich niemanden – weder Mensch noch Pokémon – so genannt, und das hellviolette Wesen wusste darum. Ich fühle mich geehrt, flüsterte das Psiana nur, und ich spürte, wie viel Aufrichtigkeit in diesen wenigen Worten vorhanden war.
„Dennoch ist die Baskenmütze ein Teil der Uniform von Team Rocket“, konterte die Polizistin sofort, dann wurde ihr anscheinend plötzlich bewusst, dass sie noch immer unsere Ausweise in der Hand hielt. Hastig gab sie die dunkelroten Dokumente zurück.
„So gesehen müsste jeder Mensch in Johto, der eine schwarze Mütze oder irgendein anderes schwarzes Kleidungsstück trägt, verdächtig sein“, seufzte ich nur. „Sie wollen doch sicherlich nicht behaupten, dass Sie jeden verdächtigen? Noch dazu tragen auch Sie schwarze Schuhe.“ Betont lässig steckte ich meinen Ausweis wieder ein, bevor ich die Mütze vom Boden aufhob. Mit einer geschickten Bewegung aus dem Handgelenk warf ich die Kopfbedeckung auf die Heilmaschine, sodass sie genau auf der schwarzen Platte mit den Einkerbungen liegen blieb.
„Diese gehören zu meiner Uniform!“, verteidigte sich die Officer schnell.
„Eine Uniform...“ Grinsend zog ich die Augenbraunen hoch. „Also wirklich, was fällt Ihnen ein? Noch ein Grund mehr, soll ich nun etwa Sie verdächtigen, zu Team Rocket zu gehören?“, fragte ich ironisch.
Rocky funkelte mich nur wütend, jedoch sprachlos, an. „Soll ich das als Widerstand gegen die Staatsgewalt verstehen?“
Auf die Frage gab ich keine Antwort, sondern behandelte die Polizistin wie Luft und wandte mich stattdessen meinem Bruder zu. „Hast du eigentlich den Autoschlüssel besorgt?“
„Aber mit links“, meinte er lächelnd und holte aus seiner Weste einen kleinen schwarzen Gegenstand, den er mir zuwarf.
Geschickt fing ich diesen auf. „Du weißt genau, dass die Redewendung bei einem Linkshänder wie dir eigentlich genau andersherum lauten sollte?“, neckte ich Siegfried, während ich auf einen winzigen silbrigen Knopf in einer Ecke des Quaders drückte. Sofort klappte aus der Seite des Gegenstandes eine kurze Stange aus Aluminium, die mit einer Einkerbung versehen war. „Sehr gut“, murmelte ich nur, als ich den Autoschlüssel in die Manteltasche steckte. „Nebenbei bemerkt... sollten wir nicht eigentlich weiterarbeiten?“
Für einen kurzen Moment weiteten sich die Augen meines Bruders. „Wo du Recht hast, hast du Recht“, pflichtete er mir bei, bevor er sich Officer Rocky zuwandte. „Auch wenn es eigentlich nicht die Aufgabe von uns G-Men ist, gekidnappte Personen zu befreien, würde ich vorschlagen, dass wir in diesem Falle eine Ausnahme machen. Ich hatte mich nämlich vor ein paar Tagen bei der Verbrecherorganisation eingeschlichen, um Nachforschungen anzustellen, sodass ich mich im unterirdischen Komplex ganz gut zurechtfinde. Sie haben doch sicherlich noch einige Ermittlungen zu erledigen, nicht wahr?“
Innerlich lächelte ich wissend. Er hatte genau bemerkt, dass ich, hätte ich ein Gespräch mit der Polizistin geführt, sofort wieder in unsinnige Diskussionen verfallen wäre. So hatte er einfach ungefragt diesen Teil übernommen.
Ich beobachtete, wie die Augen der Officer an meiner Manteltasche, in die ich den Schlüssel gesteckt hatte, skeptisch hängen blieben, unterdrückte jedoch ein entnervtes Aufseufzen. Einen warnenden Blick konnte ich aber nicht verhindern. „Ein... wahres Wort, Agent. Auch wenn ich mich noch gerne ein wenig mit Ihrer Schwester unterhalten würde... Aber das kann noch warten. Maja“, meinte sie, wobei mir auffiel, dass sie mich im Gegensatz zu meinem Bruder mit dem Namen ansprach, „es würde Ihnen doch nichts ausmachen, wenn Sie später auf die Polizeidirektion von Teak kommen würden? Nur zwecks Fallaufklärung... bringen Sie, wenn möglich, auch die Entführten mit.“ Der Ton, den sie bei diesen letzten Sätzen anwandte, klang eher nach einem Befehl als nach einer Bitte, noch dazu starrte Rocky einfach an die Wand. Anscheinend las sie die Gebrauchsanweisung für die Maschine, die dort hing.
Leise knurrte ich ob dieser Unfreundlichkeit, die mir die Polizistin entgegenbrachte, schaffte es aber dennoch, ein freundliches „Gerne doch“ über die Lippen zu bringen, wenngleich es mir schwer fiel. Die Ungläubigkeit aller im Raum anwesenden Personen war sofort in den Gesichtern abzulesen, einzig und alleine Solniza konnte sich aber zu einem Kommentar durchringen.
Unglaublich, bemerkte sie sarkastisch, wie freundlich du den Ordnungshütern doch gesinnt bist, wenn man bedenkt, dass du eigentlich mit dieser Polizistin zusammenarbeiten solltest.
Im Geiste, sodass nur das hellviolette Wesen es bemerken konnte, grinste ich. Es gab keinen Grund, mich zu verdächtigen, also musste ich mich zur Wehr setzen. Ich hätte auch dich anweisen können, Konfusion zu verwenden.
Allerdings wäre es fraglich gewesen, ob ich diesen Angriff auch ausgeführt hätte, bemerkte die Sonnenkatze glatt.
Gut, dann hätte ich mir eine andere Möglichkeit gesucht. Mit diesen Worten beendete ich die Diskussion, denn nun wandte ich mich an Siegfried: „Wie wäre es, wenn wir nun endlich mit dem Smalltalk aufhören würden und uns stattdessen auf die Arbeit konzentrieren? Ich hoffe, du weißt, wo wir hinmüssen.“
„Als Rocket, auch wenn man sich nur einschleicht, hat man überraschend viel Freizeit, da im Schichtdienst gearbeitet wird. Du kannst mir glauben, dass ich mich in genau dieser Zeit genauestens mit dem Lageplan auseinandergesetzt habe und im Schlaf zu den wichtigsten Teilen des Komplexes finden würde.“ Wie auch ich zuvor, behandelte er die Polizistin nun wie Luft und verließ gemessenen Schrittes den winzigen Raum, ich schloss mich ihm an und trottete wie ein folgsames Fukano hinterher.
Es war mir ein Rätsel, wie sich mein Bruder in dem Gewirr aus Gängen und Türen, hinter welchen sich oft weitere Korridore und Abzweigungen befanden, zurechtfinden konnte. Lust, ihn zu fragen, verspürte ich auch keine, zu sehr war ich im Stillen beschäftigt, über die Officer Rocky zu grollen. Schon war kaum ein Winkel meines Hirns nicht damit beschäftigt, sich beleidigende Äußerungen zu überlegen. Den gesamten Weg über den PVC-Boden, folgte ich nur stumm meinem Bruder, der einmal geradeaus ging, ein andermal plötzlich einen Richtungswechsel nach rechts oder links vollführte. Manchmal benutzte er auch sowohl sichtbare als auch versteckte Türen, doch auch das nahm ich kaum wahr.
Schließlich blieb er so abrupt stehen, dass ich nur mit Mühe zum Halt kam, ohne in ihn hineinzulaufen. Erschreckt fuhr ich aus meinen Gedanken und sah mich um; der Teil eines Ganges, in dem wir uns befanden, sah nicht anders als jeder andere aus, den wir durchschritten hatten. Zumindest, soweit ich es beurteilen konnte.
„Wir sind da. Hast du vielleicht eine Haarnadel dabei? Dein Messer wird ein wenig zu breit sein, um das Schloss knacken zu können. Eine gute Idee wäre ansonsten recht hilfreich, denn ich habe keine Ahnung, wo der Schlüssel zu dieser Tür liegt; generell sind Schlüssel hier ziemlich rar, da kaum eine Tür ein versperrbares Schloss besitzt. Also?“ Erwartungsvoll, hoffend, blickte er mich an.
Ich lächelte nur. „Eine Haarnadel hab ich zwar nicht dabei“, eine kurze dramatische Pause konnte ich mir nicht verkneifen, „aber die Königin der Türöffner – und Schließer. Du glaubst nicht, wie effektvoll eine Konfusion verwendet werden kann, und dies nicht nur im Kampf, auch im täglichen Leben ist der Nutzen der Attacke nicht zu unterschätzen.“
Danke für das Kompliment, grinste die Sonnenkatze, kaum hatte ich meine kurze Rede beendet, auch schon in meinen Gedanken, die Tür ist bereits offen, du hättest nicht so ausschweifend erklären müssen. Es war doch dein Vorhaben, ein wenig anzugeben, nicht?
Eine Antwort sparte ich mir; sie wusste ohnehin, was ich vorgehabt hatte. „Wenn du es so eilig hast, Bruderherz, dann geh doch ‘rein, anstatt große Reden zu schwingen.“
Verwirrt warf er mir einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen, dass ich ihn nicht auf den Arm nahm, dann legte er seine linke Hand auf den Türknopf, drehte kurz daran und drücke anschließend leicht dagegen. Mit einem leisen Knarzen, das Ähnlichkeit mit dem Jammern eines Mauzi hatte, schwang die massive Holztür nach innen auf.
Das dahinterliegende Zimmer hatte ungefähr die Ausmaße des Raumes, in dem die Heilmaschine stand. Auch die Einrichtung überraschte mich kein bisschen. Wände, Boden und Decke waren ebenso beschaffen wie im Rest des unterirdischen Komplexes, doch an den Seitenwänden waren Holzbretter eingelassen, die mich an diejenigen, die sich in der Zelle, in der ich mit Janice eingesperrt worden war, befunden hatten, erinnerten. Die haltenden Ketten wirkten allerdings vollkommen fehl am Platze. Ein wichtiger Unterschied zum Rest der Basis aber war, dass sich in diesem Raum tatsächlich Personen befanden, über die ich auch froh war. Weder an den Rockets noch an den Polizisten hatte ich Freude gehabt, hier hingegen waren nur zwei Mädchen, eine mit hellblauem, die andere mit blondem Haar.
Kaum hatte die Tür ihr Jammern beendet, blicken beide in vollkommen synchroner Bewegung auf. Doch während die Blondine nur bewegungslos blieb und ratlos wirkte, sprang Sara vollkommen überrascht, aber glücklich auf. Ich war skeptisch; auf ihre Reaktion auf meinen Bruder war ich bereits gespannt, Solniza schien es nicht anders zu gehen. „Maj!“, rief sie nur überglücklich, bevor ihre Augen kurz über Siegfried streiften und sich sofort an ihn hefteten. Die Ehrfurcht, die Ungläubigkeit und die regelrechte Anbetung waren gut zu erkennen, außerdem war ich mir sicher, dass nicht viel fehlen würde, bis sich ihre Pupillen in Herzchen verwandeln würden. „Champ Siegfried?“, flüsterte sie mit einer Stimme, die perfekt zu ihrem Gesichtsausdruck passte. Unsicher machte die junge Koordinatorin einige Schritte auf meinen wie erstarrten Bruder zu, der mich mit einem Blick ansah, der so viel aussagte wie „Was hast du nicht gesagt, dass die Kleine ein Fan und eine Verehrerin von mir ist?“
Meine Antwort fiel ebenso nonverbal aus, als ich kurz mit den Schultern zuckte und einen unschuldigen Eindruck zu erwecken versucht. Dieser Plan missglückte leider völlig, also grinste ich nur breit und scheinbar schadenfroh. Früher, als er noch nicht Champ gewesen war, hatte ich ihn oft aufgezogen, indem ich ihm erklärt hatte, dass er schon in Ebenholz City genug Fans hatte, die ihn bereits nervten. Vollkommen hatte ich Recht behalten; inzwischen versuchte er, seinen Fans bestmöglich aus dem Wege zu gehen.
Stillschweigend überließ ich ihn seinem Schicksal, genauer betrachtet zu werden, denn schon hatte Sara den letzten Abstand überwunden und starrte ihm ehrfurchtsvoll in die rotbraunen Augen, hinter denen ich buchstäblich seinen Verstand arbeiten sehen konnte. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg aus dieser für ihn unbequemen Lage, während ich langsam auf das blonde Mädchen, das sich kaum einen Millimeter bewegt hatte, zuging. Beinahe alles an ihr zeigte auf das von Vorurteilen geprägte Bild einer Blondine unserer Zeit hin; ihre langen Haare waren seidig glatt und glänzten, als ob sie kaum etwas anderes machte als sie zu waschen. Auch ihr Gesicht war makellos, das langärmelige gelbe Kleid kombiniert mit weißen Leggins und gleichfarbigen Sandalen schien aus einem exklusiven Laden zu stammen. Die Fingernägel, sauber in hellroter Farbe lackiert, trugen ebenfalls zu diesem Bild bei. Wären da nicht ihre Augen gewesen. Zwar waren sie passend zum Vorurteil hellblau, erinnerten aber an Eis. Kalt und berechnend waren sie, keine Emotionen zeigend. Unbehagen breitete sich in meiner Magengegend aus, als ich von genau diesen Augen in den Bann gezogen wurde, es erinnerte an das Abbild des Deoxys, nur die Farbe war anders.
„Hallo“, sagte das Mädchen, dessen Name, Jana, mir nun wieder einfiel, freundlich und auch erleichtert. „Du bist doch diejenige, die gestern in der Arena gekämpft hat, nicht wahr? Glückwunsch zum Orden, wenn Eusin ausnahmsweise nicht hinter Suicune her ist, gewinnt kaum ein Herausforderer. Mein Bruder, der Arenaleiter Jens, ist furchtbar schlecht in Einzelkämpfen, er verlässt sich viel zu sehr auf Eusins Simsala. Aber mit dem Nachtara, das du eingesetzt hast, war der Sieg wohl reine Formsache, nicht wahr? Auch wenn das Psiana den Kampf gewonnen hat, nicht wahr?“
Ich starrte die Blondine nur verwirrt an. Scheinbar liebte sie die Phrase nicht wahr?, die Gefangenschaft schien ihr ebenfalls nichts auszumachen. Freundlich lächelnd sah sie mich an, die Augen noch immer kalt wie Eis. Sie gefielen mir überhaupt nicht, so nett das Mädchen ansonsten auch war, diese veränderten ihren Ausdruck kein bisschen, sie blieben hart und undurchschaubar. Dieser Umstand gepaart mit dem offenen Lächeln machte mich so nervös, dass ich einige Momente brauchte, mich wieder zu sammeln. Was, wenn sie in ihrem Kopf bösartige Gedanken hegte, die sie hinter dem Lächeln zu verbergen versuchte? Ein leichter Schauer lief mir den Rücken hinab; ich konnte Jana kein bisschen einschätzen. „Gut, du scheinst in Ordnung zu sein, wenn du schon von Arenakämpfen redest. Ich würde vorschlagen, dass wir dann schön langsam abhauen sollten... Sara, könntest du bitte aufhören, meinen Bruder so genau zu mustern?“, rief ich der Jungtrainerin, die noch immer nicht von Siegfried abgelassen hatte, zu. „Momentan gibt es wichtigere Dinge, du kannst ihn auch noch später... erforschen.“
Und die wichtigste Sache ist natürlich, dass du dieser Rocky nicht unnötig über den Weg laufen willst, stellte Solniza plötzlich mit vollkommen emotionsloser Stimme fest.
Woher du das schon wieder weißt..., seufzte ich nur, Konfusion. Keinen Augenblick zögerte die Sonnenkatze, schon leuchteten ihre Augen hellblau auf, um eine Aura gleicher Farbe um Sara zu legen, die daraufhin wenige Zentimeter in die Luft gehoben wurde und so in der Luft zappelte. Einen leichten Schubs bekam sie ebenfalls verpasst, sodass sie in der Mitte des Raumes schwebte und mich erstaunt ansah. Ich hingegen verschränkte lässig die Arme hinter dem Kopf und lehnte mich an die Wand, bevor ich mich an Siegfried wandte: „Eine weitere der praktischen Möglichkeiten, Konfusion auch im Alltag zu nutzen.“ Dann bedeutete ich dem Sonnengeschöpf wortlos, das Mädchen wieder sanft abzusetzen. Natürlich konnte Solniza es sich nicht verkneifen, Sara auf ähnliche Weise wie den Polizisten abzusetzen, sodass sie mit einem leisen Aufprall auf dem harten Boden landete. Weißt du nicht, was sanft ist?, schalt ich das hellviolette Wesen spaßeshalber.
Strafe muss sein, bemerkte dieses aber nur scherzhaft, so ließ ich die gesamte Diskussion fallen, bevor sie richtig begonnen hatte. Eine Diskussion, die sowieso zu keinem Ende gekommen wäre, da wir uns nur im Kreis gedreht hätten. Ein sanftes Lächeln konnte ich mir dennoch nicht unterdrücken; an Solnizas Stelle hätte ich vermutlich genauso gehandelt.
Anschließend folgte eine seltsame Stille; wohl jeder von uns wollte aus der Zelle gehen, doch kam niemand auf die Idee, diesen Vorschlag laut auszusprechen. Um irgendetwas zu tun, ließ ich meine Augen rastlos herumwandern, ohne den Kopf zu drehen; es reichte dennoch, um beinahe den gesamten Raum eingehend zu betrachten. So nahm ich jede Unebenheit im PVC, jeden Riss in der Wand wahr, bevor ich mich entschloss, die Schatten am Boden zu betrachten.
In diesem Moment wurden schwere Schritte am Korridor vor der Türe hörbar; es schien, als ob die Polizei bei ihrer Untersuchung nun diesen Teil des Komplexes betreten hatte. Das Geräusch von Stöckelschuhen brachte mich dazu, die Augen zu verdrehen. „Ach, nein“, seufzte ich nur, da ich keine Lust auf Wortgefechte mit der Officer Rocky verspürte.
Mein Bruder grinste nur wissend, während die beiden jungen Mädchen meine Äußerung mit einem verwirrten Gesichtsausdruck würdigten, jedoch ohne Fragen zu stellen. Ob Sara wohl von Siegfrieds Präsenz eingeschüchtert war? Nein, das konnte nicht sein. Schließlich hatte sie auch keine Scheu gezeigt, als sie ihn gemustert hatte.
Schon waren die lauten Schritte ganz in der Nähe verstummt, doch kaum war auch das letzte Echo verklungen, ertönte auch schon das Knarzen der Tür, die inzwischen wieder zugegangen war. Am Boden war der Schatten der Officer deutlich auszumachen, ich brauchte gar nicht hinsehen, um sie zu identifizieren, sondern behandelte sie wie Luft, bis sie die Äußerung „A-ha!“ aussprach.
„Ach, guten Abend, verehrte Officer“, bemerkte ich nur betont freundlich, „Wir haben uns ja schon so lange nicht mehr gesehen... Aber wie Sie sehen, haben Ihnen mein Bruder und ich die Arbeit tatsächlich abgenommen, Sie hätten sich also nicht herbemühen müssen.“
Ein lautes Schnauben veranlasste mich dazu, dennoch zu der Polizistin zu sehen. Wie schon zuvor ließ sie sich von meinen Aussagen reizen, doch nun konnte sie sich nicht mehr zurückhalten. „Ich weiß zwar nicht, wofür du dich hältst, kleines Frech-Zigzachs“, fauchte die Frau, „aber dir steht es sicherlich nicht zu, meine Autorität mit solchen Äußerungen zu untergraben. Du magst mir zwar dank deines Agentenpostens gleichgestellt sein, aber dieser Ort zählt noch zum Gebiet von Teak, ergo habe ich hier das Sagen."
Ich ließ es mir nicht anmerken, dass ich wütend wurde. Betont langsam drückte ich mich von der Wand ab und baute mich gegenüber der Polizistin auf. „Meine Rechte gelten in ganz Johto, wie aus einer auf meinem Ausweis aufgedruckten Klausel hervorgeht. Sie“, ich behielt die höfliche Anrede bei, um meine Worte mit mehr Effektivität verwenden zu können, „haben also kein Recht, mich anzuschreien, noch weniger, mich zu beleidigen. Ihnen ist klar, dass ich gegen Sie Anzeige erstatten könnte?“ Bei diesen wenigen Sätzen beließ ich es und rauschte vorbei an der Polizistin aus der Zelle, Solniza folgte mir, drängte sich jedoch schnell nach vorne, um geistesgegenwärtig die Führung zu übernehmen. Ich merkte, dass meine Hand, die ich zu einer Faust geballt hatte, vor Wut und Ärger zitterte. Was nur fiel dieser Person ein, mich anzukeifen, nur weil ich ein paar ironische Bemerkungen von mir gegeben hatte? Hätte ich nur meinen Bogen dabei, könnte ich mich einfach beruhigen, indem ich einige Zeit lang im Akkord schoss. So jedoch... Im Vorbeigehen trat und boxte ich öfters gegen die Wände, um überschüssige, durch Adrenalin freigewordene, Energie loszuwerden. Ob diese Officer wohl auf die eine oder andere Art mit Prisca verwandt war? Eine Überraschung wäre es nicht; mich so wütend werden zu lassen kam relativ selten vor.
Erleichert atmete ich die kühle Nachtluft ein, als ich durch die Garage hinaus ins Freie trat. Kreuz und quer waren vier oder fünf Polizeifahrzeuge abgestellt, inmitten des Chaos‘ stand ein Motorrad, das wohl der Officer Rocky gehörte.
Ein roter Lichtschein flammte auf, als sich Solniza freiwillig in den Pokéball begab; sie wusste, dass ich nun keine angenehme Gesprächspartnerin war und wollte wohl vermeiden, meine Laune durch unbedachte Aussagen noch weiter zu senken. Sanft strich ich über den wieder geschlossenen Ball an meinem Gürtel, bevor ich über die Motorhaube auf das Dach eines Polizeiwagens kletterte, der direkt unterhalb eines Baumes geparkt war. Oben angekommen griff ich nach einem tief hängenden Ast und schwang mich gekonnt auf diesen, dann begann ich, mich wie ein Griffel in Richtung der Krone zu hangeln, bis ich einen halbwegs bequemen Sitzplatz ausmachen konnte. Auf diesem ließ ich mich nieder und blickte mit finsterer Miene in den sternenklaren Himmel, den Rufen der nachtaktiven Pokémon lauschend. Ein Noctuh schrie ganz in der Nähe, während am Boden das Trappeln von unzähligen kleinen – und auch größeren – Pfoten zu hören war. Flügelrascheln ertönte, als sich unweit meines Baumes ein Kramurx auf ein verängstigtes Rattfratz stürzte. Die Krallen schlug der schwarze Vogel in die kleine violette Ratte, um sie so zu erledigen. Dann nahm er sie in den Schnabel, sah sich vorsichtig um und flog, die Beute fest gepackt, hinfort, um den Leckerbissen anderswo in Ruhe verzehren zu können.
Die Ruhe und die Natürlichkeit der Umgebung schafften es, mich wieder zu beruhigen. Mit der Zeit spürte ich die Müdigkeit, da die Wirkung des Adrenalins nachließ. Ein Blick auf das Display meines PokéComs verriet mir, dass es bereits drei Uhr war; ich war also bereits zwanzig Stunden wach und hatte nicht mehr als das Frühstück gegessen. Hunger hatte ich jedoch keinen. Nur die Müdigkeit spürte ich immer deutlicher, sodass ich mich auf dem Ast ausstreckte, mit den Händen an tiefer gelegenen Zweigen Halt suchte und mich auf ähnliche Weise mit den Beinen abstützte. Bald darauf döste ich ein.
„Maj.“ Die Stimme meines Bruders ließ mich aufschrecken, sodass ich auffuhr und mit dem Kopf gegen einen Ast knallte. Dadurch verlor ich das Gleichgewicht und schaffte es nur mit Müh und Not, mich auf dem Baum zu halten. Verwirrt blickte ich mich um; noch immer war es dunkel, doch im Osten war bereits ein orangefarbener Lichtschein zu sehen, der auf eindrucksvolle Weise den Zinnturm von Teak beleuchtete.
„Was denn?“, fragte ich Siegfried, der auf seinem Dragoran direkt neben dem Baum flog. Der große Drache musste in recht kurzen Intervallen mit den Flügeln schlagen, um sich auf der Stelle zu halten, denn inzwischen war auch Wind aufgekommen. Vom Boden drang Motorengeräusch herauf; anscheinend war die Polizei mit der Abfahrt begriffen.
„Die beiden Mädchen werden zur Einvernahme gleich von der Polizei mitgenommen. Ich hatte eigentlich vor, gleich zum Indigo Plateau zurückzufliegen, da gestern ein Herausforderer Willi, Koga und Bruno im wahrsten Sinne des Wortes geplättet hat, also muss ich heute vermutlich zum Kampf ‘ran, wenn Melanie ihm nicht Einhalt gebietet. Und selbst, wenn sie ihn erledigt, würde es ein schlechtes Licht auf mich werfen, wenn ich ohne guten Grund dem Kampf nicht beiwohnen würde. Ich kann dich aber vorher noch gerne in Teak absetzen, wenn du willst. Mit Dragoran ist es ein Flug von ein paar Minuten, während mit Dragonir sicherlich viel mehr Zeit draufgeht, oder?“
„Eine gute Stunde mindestens“, seufzte ich müde, während ich mir den Kopf rieb. „Von daher sehe ich keinen Grund, nein zu sagen. Dann würde ich vor dem Frühstück tatsächlich noch ein paar Stunden Schlaf bekommen.“ Geschickt stellte ich mich auf den Ast, wobei ich diesmal aufpasste, nirgendwo anzustoßen und kletterte hinter meinem Bruder auf den Rücken des orangefarbenen Drachen. Kaum saß ich, gab Siegfried auch schon den Befehl, loszufliegen, sodass mir nichts anderes übrigblieb, als mich schnell an ihm festzuhalten.