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Herzlich Willkommen zum Vote der Disziplin Fanfiction in Runde 1! Hier entscheidet sich, welches Team den Sieg in dieser Disziplin davontragen wird.
Bitte beachtet beim Voten, dass ...
- ihr eure Votes durch zumindest mehrere Zeilen angemessen begründet,
- Sympathievotes untersagt sind,
- ihr nicht für die Abgabe eures eigenen Teams abstimmen dürft,
- ihr bei der Punktevergabe sowohl das Treffen der Themenvorgabe, den Inhalt und die Ausführung einbezieht und bewertet,
- ihr das richtige Punkteschema verwendet (siehe unten)
Selbstverständlich darf jeder voten, auch wenn man nicht selber an der Olympiade teilnimmt!
Themenvorgabe:
Das Thema der Runde 1 der Olympiade für die Disziplin Fanfiction lautet ...
Ein neuer Anfang!
Schreibe eine Kurzgeschichte, in der etwas oder jemand vor einem ganz neuen Anfang steht, sich zu einem entscheidet oder einen gerade hinter sich hat. Ob ein Trainer ein neues Pokémon fängt, in eine neue Region aufbricht oder ein Pokémon ein Schicksalserlebnis durchleidet, alles ist möglich!
Punkteschema:
Abgabe 0X: 5 Punkte
Abgabe 0X: 4 Punkte
Abgabe 0X: 3 Punkte
Abgabe 0X: 2 Punkte
Abgabe 0X: 1 Punkt
Ihr müsst nach diesem Schema 5 unterschiedlichen Abgaben Punkte geben, und zwar aufsteigend von 1 bis 5 Punkte.
Der Vote geht bis zum 03.08.2013 um 23:59!
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„Renn einfach los
Mein Herz verschließe ich vor der Welt
Entschuldigung,
Nur ein Wort, doch was soll ich tun?“
© Die Melancholie der Haruhi Suzumiya, God knows
N blickte stumm auf die tosenden Wellen unter sich. Der Wind spielte mit seinem grünen Haar, wehte es ihm ins Gesicht und verfing sich darin wie ein junges Felilou, das ihn zum Spielen animieren wollte. Die sanfte Kühle des Meeres hauchte in sein Gesicht und verschwand dann in den Nachthimmel, dem dunklen Samt, der mit schimmernden Edelsteinen erstrahlte. Und doch wirkte der Schein der Sterne blass und müde.
Als der Wind schließlich an seiner Kleidung zerrte, spürte der junge Mann, wie ungeduldig die Brise war. N begriff: Es war Zeit, zu gehen.
Langsam wandte er sich zu dem schwarzen Drachen, dessen stählerne Augen ihn musterten. Er ragte mehrere Meter über ihm auf, dennoch konnte man nur eine verschwommene Silhouette erkennen, die durch den blau leuchtenden Schwanz schwach erhellt wurde. Das mächtige Wesen verschmolz mit der Nacht, doch seine Präsenz, die pulsierende Kraft in seinem Körper, ließen keinen Zweifel an seiner Anwesenheit. N fühlte sich neben ihm winzig und unbedeutend. Aber mit diesem Gefühl würde er in Zukunft leben müssen.
Dieses Gefühl war seine Zukunft.
Es wird Zeit.
Zekrom sprach in Gedanken zu ihm, seine Stimme hallte wie ein Echo in den Gliedern des Menschen nach. Sie klang tief wie ein Bass und zugleich hell wie eine Flöte; die Worte schienen weitaus mehr Bedeutung zu besitzen. Sie glitten in ihn hinab und hinterließen eine bitter süße Spur des Abschiedes. Mittlerweile war er daran gewohnt, sagte er sich.
Im Osten würde bald die Sonne aufgehen und die Nacht vertreiben, wie es seit Anbeginn der Zeit nun schon geschah. Und bis dahin mussten sie von hier fort sein, dass wusste der Junge.
N blinzelte, als sei er gerade aus einem tiefen Schlaf erwacht. Er blickte die Klippe hinunter, an dessen Felsen sich das Meer erstreckte. Das hellblaue Wasser fing die blassen Mondstrahlen auf. Es war ein schöner Anblick, voller Ruhe und Frieden. N hatte diesen Anblick vermisst.
„Ich weiß.“ Aber er bewegte sich trotzdem nicht von der Stelle. Stattdessen hing sein Blick weiterhin auf den Wellen und dem Abgrund zu seinen Füßen.
In Gedanken fragte er sich, was wohl passieren würde, wenn er jetzt springen würde. Würde ihn jemand vermissen, irgendjemand? Vielleicht Touko? Würde sie es bemerken, wenn er für immer verschwunden blieb und ihr nie wieder gegenüber stand, obwohl er es ihr bei seinem Abschied versprochen hatte? Oder würde sie es einfach mit einem Schulterzucken abtun? Würde er irgendwann gänzlich aus ihren Gedanken verschwinden?
Das Meer unter ihm lockte ihn, aber er ahnte, dass er nicht den Mut zum Springen hatte. Sein Überlebensinstinkt gewann immer die Oberhand. Ob dies Segen oder Fluch war, lag im Auge des Betrachters. In seinen Augen war es ein Fluch. Denn es hätte so vieles vereinfacht, wenn er einfach springen und verschwinden könnte. Er würde nie wieder ein Teil dieser Welt sein.
War er das denn jemals gewesen?
N. Warum denkst du solche Dinge?
„Weil sie sich nicht vertreiben lassen. Sie sind in meinem Kopf, in der Nacht und am Tag.“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich wünschte, ich könnte ihnen nachgeben.“
Der junge Mann spürte, wie die Erde unter seinen Füßen zu beben begann. Er musste sich nicht umdrehen; die mächtige Gestalt des Pokémon war deutlich zu spüren.
Lass sie nicht Besitz von dir ergreifen, Junge. Denn dann du wirst ihnen eines Tages nachgeben müssen.
„Wäre das nicht einfacher für alle?“, murmelte er. Der Wind brachte den Geruch von Salz und Algen zu ihm hinaus, während das Gras unter seinen Füßen sich wiegte. Wie bei einer Melodie, die nur sie alleine verstanden. „Wäre es nicht ein besseres Leben, mich dem zurückzugeben, was mich einst erschaffen hat?“
Der Drache stieß ein Schnauben aus, bei dem sich einige Grashalme lösten und vom Wind davongetragen wurden. Solche Gedanken sind die eines Feiglings. Denn der Tod ist nicht weniger grausam als das Leben.
N wusste, dass er Recht hatte. In seinem Kopf und in seinem Herzen wusste er um die Wahrheit.
Doch statt die Worte des legendären Pokémon zu beherzigen, wandte er sich ab. Seine Schritte, einst so leicht wie das Flügelschlagen eines Taubsi, waren nun schwer und plump. Ihre Anmut hatten sie längst verloren. In den grünen Augen glitzerten Tränen. Er schloss sie, um sie vor der Welt zu verbergen. Für seine Schwäche war er immer getadelt worden.
Als er zwei Schritte gegangen war, verließen ihn die Kräfte. Sein kränklich dünn wirkender Körper kippte einfach vorneüber, wie ein Grashalm im Wind. N konnte sich nicht mehr vor dem Sturz retten; mit dem Gesicht voran fiel er gen Boden. Als seine Wange den harten Untergrund traf, schoss ihm der Schmerz wie ein Blitz durch den Körper. Er lag einige Momente einfach nur stumm da, bis er sich mühsam aufrichtete, und sich kraftlos hinsetzen konnte. Der Junge fasste sich an die Wange und spürte kleine Kieselsteine in der Haut. Als er die Schürfwunden berührte, brannte seine geschundene Gesichtshälfte wie Feuer.
N spürte mit einem Mal die Trauer. Heiß war sie, verzehrend und unbezähmbar, wie sie ihre Klauen um seinen Körper schloss und ihm den Atem raubte. Angesichts ihrer Stärke und Intensität gerieten alle seine Vorsätze, ihr nicht zu erliegen, ins Wanken. Die Krallen waren spitz und bohrten sich unaufhaltsam in sein Herz. Und mit ihnen der Gedanke daran, dass er alles verloren hatte.
Nichts spielte mehr eine Rolle.
Nicht seine Vergangenheit, die doch nur allein von G-Cis beeinflusst worden war.
Nicht die Gegenwart, die von der Trauer verhüllt blieb.
Und auch nicht die Zukunft, die in dunklen Schatten der Mutlosigkeit gehüllt war.
Er war niemals eine vollständige Person gewesen, weder ein Mensch, noch ein Pokémon. Nie gehörte er zu jemandem.
Man hatte sich seiner Fähigkeiten bedient, ihm Wünsche und Träume eingeredet, die doch niemals seine eigenen gewesen waren und ihm jeden Grund der Existenz genommen.
Was übrig geblieben war, war die Dunkelheit. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte nicht, wie andere Menschen, ein klares Ziel vor Augen – nicht einmal eine Familie oder Freude, die ihm eines hätten schenken können. N war allein. So allein wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Die Tränen flossen still über sein Gesicht, das Salz brannte wie Feuer in den Wunden. Aber es zeigte ihm, dass er noch am Leben war, ganz gleich, ob er sich das Gegenteil wünschte.
Zekroms schwarze Pranke legte sich um N`s schmale Gestalt, so vorsichtig, als fürchte es, seine fragile Gestalt wie Glas in tausend Scherben zu zerbrechen. Einige Tränen tropften nun auch auf dessen nachtschwarzen Panzer.
Mein Junge. Weine nicht. Die Stimme des legendären Pokemon war schwer vor Kummer. Denn der Kummer von N war auch der seine. Sie waren verbunden. Wie ein Trainer und sein Partner.
N schluchzte. „Warum lebe ich denn überhaupt? Warum denn bloß?“
Diese Frage kann ich dir nicht beantworten. Aber ich denke, du lebst, weil das Leben etwas Kostbares ist. Für Menschen gleichermaßen wie auch für uns Pokémon.
„Aber ich habe nur Schmerz und Chaos über diese Welt gebracht, Zekrom! Ich habe mich blind in die Irre führen lassen, ohne etwas zu hinterfragen! Wie vielen Trainern habe ich ihre Pokémon weggenommen?“ Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Ich verdiene dieses Leben nicht.“
Das Pokemon blickte ihn mit halb geschlossenen Lidern ins tränen überströmte Gesicht. Lange Zeit blieben beide stumm.
Erst, als sich langsam das Licht der Morgensonne über die Erde ergoss, die ungleichen Gestalten hell erleuchteten und sie in einen Umhang behaglicher Wärme hüllte, gab Zekrom ihm eine Antwort.
Es ist schwer, N, ich weiß. Und es wird vielleicht nie wieder einfacher werden, denn das Leben ist nicht einfach. Du hast in diesem Krieg Verluste erleiden müssen, die niemals wieder ersetzt werden können. Deine Pokemon sind fort, und du wirst jeden Tag um sie trauern.
Aber ebenso, wie das Morgenlicht nach jeder Nacht über den Horizont erscheint, so wird auch das Glück wieder in dein Herz finden. Die Trauer wird es niemals gänzlich auslöschen können. Aber auch jede dunkle Nacht muss irgendwann dem heran brechenden Tag weichen.
Und deine Nacht hat lange genug gedauert.
Zekroms warmer Atem strich über das verweinte Gesicht, wie eine zärtliche Berührung. Sie tröstete ihn. Und N straffte langsam die Schultern.
„Glaubst du... glaubst du, ich kann noch einmal neu beginnen?“
Natürlich, mein Junge.
Und zum ersten Mal seit langer, langer Zeit lächelte N. Es war ein vorsichtiges Lächeln, dem man ansah, dass es noch sehr zerbrechlich und unbeständig war. Aber es war ehrlich.
Langsam richtete der junge Mann sich auf.
Hinter ihm ergoss sich das gleißende Sonnenlicht des neuen Tages und hüllte ihn in ein Gewand aus strahlend hellem Licht.
Der neue Tag hat begonnen. Und seine Nacht war nun endgültig vorbei.
„Es gibt nichts, was die Träume zerstört.
Vielleicht kann ich das Schicksal ändern --
Ich muss stärker werden,
Denn auch erst dann werden meine Träume wahr.
Doch ist klar, dass all das doch nur Gott weiß.“
© Die Melancholie der Haruhi Suzumiya, God knows
Im Moment
„Und wieder wurde Donphan hart getroffen! Prank scheint in Zugzwang. Was wird der mehrfache Champion des Major Grand Tournaments unseres Kampfstadions machen?“
‚Ach, sei doch einfach still‘, dachte ich. Ich hatte schon genug Probleme am Hals, und dieser Stadionsprecher machte es nur noch schlimmer. Ich, ich, Thomas Prank, der grosse Altmeister des Kampfstadions, wurde gerade vorgeführt wie ein kleines Kind. Von einem gottverdammten Neuling! Ich musste nachdenken. Sein Tentoxa hatte mit Surfer einen Treffer auf meinem Donphan gelandet. Sehr effektiv. Ich musste handeln. Links und rechts von mir gingen die Zuschauerränge hoch zur Decke. Alle bis auf den letzten Platz gefüllt. Vor mir stand dieser Neuling. Mein Coach hatte mir gesagt, er sei mit Professor Birks Tochter befreundet, dieser Maike da. Blix oder Brinx oder so. Nie gehört. Donphan hatte sich unterdessen wieder aufgerichtet und wartete ungeduldig auf meinen nächsten Befehl. Es trippelte auf und ab, keuchte. Schweiss lief mir von der Stirn, ich wischte ihn mit meinem Handrücken weg.
„Seht, liebe Damen und Herren! Thomas Prank wischt sich Schweiss von der Stirn. Ist das etwa Angstschweiss?“
Wieder dieser Stadionsprecher. Er musste mich einfach fertigmachen. Er witterte die Sensation. Schon als das Kapilz von diesem B-wie-auch-immer-x mein Aquana mit einem gezielten Himmelhieb zur Strecke brachte kam so ein doofer Kommentar. Da hätte Thomas Prank den Start verschlafen, bla dies und bla jenes. Ich hätte den Himmelhieb lieber auf seinem losen Mundwerk als auf meinem Aquana gesehen. Hätte dem Niveau dieses Kampfes einen Aufschwung gegeben. Aber nein, anstatt sein Maul zu halten musste er noch einen draufsetzen. „Ist das etwa das Ende der Prankschen Ära?“, hatte er gesagt. Ist der auf den Kopf gefallen?
„Donphan, setze Erdbeben ein“, befahl ich schliesslich. Das würde dieses freche Tentoxa besiegen. Doch es funktionierte natürlich nicht. War ja klar. Heute stand alles gegen mich, einfach alles! Die überdimensionale Qualle spritzte, noch bevor mein Donphan handeln konnte, violetten Schleim über den ganzen Kampfplatz. Mein Donphan ging daran zu Boden und richtete sich nicht wieder auf.
„Und hiermit steht es zwei zu null für Brix! Sein Wissen über Pokémon ist wirklich atemberaubend. Man sieht die Handschrift von Professor Birk! Auch schon der Kampf gegen Troy Trumm, den Champ, konnte er lässig runterspielen, aber hier scheint er wirklich alles unter Kontrolle haben. Kann Prank diesen Kampf noch kehren? Wir werden sehen. Nun kommt Brayle, Pranks Brutalanda!“
Aus dem Augenwinkel sah ich am grossen Bildschirm, wie ich zu meinem letzten Pokéball am Gürtel griff. Rotweiss. Meine letzte Hoffnung.
„Los Brayle! Zeig dieser Qualle, wo der Weg langgeht!“, rief ich. Brayle entfaltete seine roten Flügel und schlug ein, zwei Mal damit. Ein Windsstoss fegte durchs Stadion, und ich konnte die eine oder andere Dame nach ihrem Schirm rufen hören. Brayle würde mir diesen Sieg nach Hause holen. Das hatte es bisher immer getan. So würde es auch heute werden. Ich grinste siegessicher zu Brix hinüber. Aber ich sah nicht das, was ich erwartete. Anstatt eines verschreckten, eingeschüchterten Gesichtsausdrucks war nur Kühle, berechnende Kühle. Fast schon gelangweilt. Er blickte kurz nach rechts und rief mit leiser, aber fester Stimme: „Sonic, komm zurück!“ Wütend rief ich: „Auch ein Wechsel wird dich nicht vor deinem Schicksal bewahren!“ Er schaute auf. „Doch.“
Mein Brutalanda lag da, die Flügel schlaff am Boden liegend, Frostbeulen an der rechten Brust. Dort, wo es vom Eisstrahl getroffen wurde. Kraftlos gab es ein letztes Wimmern von sich. Ich rief es in den Pokéball zurück.
„Es ist vorbei, meine Damen und Herren! Brix aus Wurzelheim konnte den mehrfachen Champion des Major Tournaments, Herausforderer der Kampfkoryphäe Tasso und Bezwinger des Champs Troy Trumm, Thomas Prank besiegen! Sensation! Das gab es noch nie, meine Damen und Herren, seitdem ich hier kommentiere! Nie!“ Der Stadionsprecher lachte vor Freude.
Ich hätte ihn umbringen können. Er machte mich im Moment grösster Demütigung fertig. Ich war am Boden zerstört. Die Wut war verflogen, sie machte Scham und Trauer Platz. Niedergeschlagen strich ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie war schweissnass. Ich blickte mich um, ich sah die Leute Brix zujubeln und ich hörte sie mich auspfeifen. Mich! Mich… In gebückter Haltung ging ich vom Kampfplatz weg, tauchte ab in die Katakomben, ignorierte die aufmunternden Worte von Coach und Familie. Das waren doch sowieso nur leere Wendungen. Sie wussten, wie ich mich fühlte. Sie wussten, dass dies nichts bringen würde. Und dennoch sprachen sie sie aus. Diese geschmackslosen Floskeln. Im Moment grösster Demütigung. Niemand hier konnte mich mehr auffangen. Ich musste fort. Fort, in eine neue Welt. Die Herausforderung suchen. Nach Kalos.
„Sie hasst mich.“
Seine hüftlangen, hellgrünen Haare wirbelten im aufkommenden Wind umher, während seine Fingerspitzen die glatte, wenn auch von zahlreichen Kratzern und Schrammen übersäte Haut des weißen Drachens berührten. Er hatte alles gegeben, sich für seinen Meister eingesetzt, obgleich er dabei brutaler gehandelt hatte, als es diesem lieb war. Er hatte gekämpft, gegen die anderen Pokémon, die ebenfalls nicht sanft mit ihm umgesprungen waren. Doch der Drache trug seine Verletzungen stolz – denn egal, mit welcher Grausamkeit er andere Wesen angriff, er wusste, dass er dies alleine für seinen Freund und Meister tat.
„Sie hasst mich – für alles, was ich ihr angetan habe. Für meine Worte und Taten. Für die Fehler, die ich begangen habe. Das heißt... die Fehler, die ich ihrer Meinung nach begangen habe. Doch was soll ich davon halten?“
Der junge Mann seufzte leicht genervt und verzog sein Gesicht.
„Was habe ich denn falsch gemacht? Sind meine Ideale so absurd? Mein Wunsch, eine bessere Welt für die Pokémon, unsere Freunde, zu schaffen? Ich weiß es nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung, wer recht hat – sie oder ich? Ich möchte es wissen. Ob ich in meinen Ansichten wirklich so falsch liege. Ich hasse diese Ungewissheit!“ Den letzten Satz schrie er mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung in seiner Stimme.
„Sie meinte, Pokémon können auch glücklich sein, wenn sie mit Menschen zusammenleben. Dieser Ansicht war ich nie. Niemals. Dennoch... hat sie vielleicht recht? Sind diese Wesen ohne Menschen zufrieden und am Leben erfreut - aber eine Freundschaft zu Menschen wäre eine Bereicherung für sie? Reshiram - wäre das möglich?“, fragte der Mann den Drachen, der mindestens doppelt so groß wie er selbst war, obgleich er keine Antwort von ihm erwartete.
„Doch würde das nicht bedeuten, alle Mühen und Anstrengungen meinerseits wären umsonst gewesen?“
Er legte eine kurze Pause ein und betrachtete seine Hände, die von Schmutz und Erde geprägt waren. Zu oft hatte er versucht, seinem Freund zu helfen und hatte sich mitten in den Kampf gegen das Mädchen gestürzt, hatte dieses wutentbrannt angeschrien, sie als schlechten Menschen bezeichnet. Nicht nur ein Mal hatte er versucht, den Drachen vom Angreifen abzuhalten und mit ihm zu flüchten – zu seinem eigenen Besten.
Das Pokémon gab einen fragenden Laut von sich.
„Mit diesen Händen habe ich so viel geschaffen, bin so weit gekommen – und nun soll ich alles fallen lassen? Für eine Welt, in der es noch immer viel zu viele Trainer gibt, die ihre Freunde quälen und schikanieren?“ Er ballte die Hände zu Fäusten; abermals spürte er eine ungeheure Wut in sich hochsteigen.
„Idiot!“
Plötzlich klangen ihm wieder die Worte im Kopf, die das Mädchen wütend und verzweifelt ausgerufen hatte, als der junge Mann und der weiße Drache jenen Ort verlassen hatten.
„Du tust immer so verständnisvoll, wenn es um Pokémon geht, aber sobald du mit Menschen redest, wirst du kalt und gefühllos. So wirst du nie etwas erreichen! Wie willst du an die Herzen der Menschen appellieren, wenn du deren Gedanken und Gefühle nicht nachvollziehen kannst?“
Der junge Mann erinnerte sich wieder an jenen Tag. An ihren verbissenen Gesichtsausdruck. An ihre Wut. War das Mädchen wütend darüber, dass er flüchtete? „Oder war es nur wegen meiner eigenen Dummheit?“
Er schwieg, dachte über jenen Tag nach. Und je genauer er sich an die Einzelheiten erinnerte, desto mehr verspürte er ein eigenartiges Gefühl, welches er nicht deuten konnte. War es Trauer? Trauer darüber, dass er die Trainerin nicht mehr sehen konnte?
Sekunden verstrichen. Minuten.
Die Nacht war finster, der Himmel dicht von Wolken bedeckt. Weder Mond- noch Sternenlicht konnten diese Decke durchdringen.
Außer dem jungen Mann und dem weißen Drachen befand sich niemand auf der weiten Wiese, die nur von Flammen, welche aus Reshirams Schweif loderten, erhellt wurde. Weder andere Menschen, noch Pokémon.
„Vielleicht... vielleicht sollte ich wieder auf Reisen gehen. Möglicherweise sollte ich einen Neuanfang wagen, Menschen gegenüber offener sein. Und vielleicht würde ich dann auch diese Trainerin noch einmal treffen...“
Ein Lächeln zierte sein kantiges Gesicht, als er an ihren energischen und bestimmten Charakter dachte.
„Doch würde dies dann nicht bedeuten, dass ich mich mit jenen Trainern, die ich als schlechte Menschen angesehen habe, auf eine Stufe stellen würde? Wäre ich denn dann nicht genauso erbärmlich wie sie? Oder soll ich weiter einer „besseren“ Welt hinterherjagen? Einem Traum, der vielleicht nie in Erfüllung gehen wird? Und... wäre diese Welt dann überhaupt besser? Ist dies alles denn auch nur Einbildung? Wäre es lediglich ein schönerer Ort für mich? Ich... ich weiß es einfach nicht...“ Alle Entschlossenheit, die er während dem Aussprechen der letzten Sätze in sich gesammelt hatte, löste sich augenblicklich auf. Hoffnungslosigkeit war nun das einzige, was er verspürte. Das Drachenpokémon schien dies zu bemerken und warf seinem Freund einen aufmunternden Blick zu. Ein Blick, der sagte:
„Du musst dir keine Sorgen machen. Denn egal, welchen Weg du wählst – ich werde dich dabei begleiten.“
Noch einmal erinnerte sich der Mann an jenen Tag zurück; an den Tag, an dem er ernsthaft begonnen hatte, über die Worte und Taten der Trainerin nachzudenken.
Und plötzlich hatte er wieder seinen Vater vor Augen, der jene Worte ausgesprochen hatte, die den jungen Mann wohl für den Rest seines Lebens begleiten würden:
„Und du... du bist lediglich eine Puppe für mich. Eine seelenlose Marionette in meinem Plan, meinem Wunsch!“
Er erinnerte sich an das entsetzte Gesicht des Mädchens, geschockt über die Worte, die sein eigener Vater ausgesprochen hatte. Diese geschockte Miene wollte er nicht noch einmal sehen müssen. Diese Geste des Mädchens, welches versuchte hatte, ihm zu helfen, ihn zu unterstützen. Ihm den richtigen Weg zu weisen. Obwohl er nicht verstehen konnte, wieso, war es der schlimmste Anblick seit langem gewesen.
Der junge Mann sah dem Drachen tief in die Augen. Sein Blick war entschlossen wie noch nie zuvor.
„Eines ist mir jedenfalls klar. Sie wäre nicht glücklich, wenn ich all ihre Versuche, mir zu helfen, einfach aus meinem Gedächtnis streiche.“
Nun stand ich vor der Höhle. Der Boden um mich herum war uneben, Sträucher bedeckten ihn, manche rausgerissen, andere fest verwurzelt. Der Höhleneingang wirkte düster und bedrückend auf mich, ich bildete mir sogar ein, dass es kälter wurde, obwohl die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach schienen, genügend Wärme gaben. In dieser Höhle hauste es nun, das Arbok, welches ich jagen sollte. Dies war meine Prüfung, um in meinem Rudel als ausgewachsen anerkannt zu werden.
Schon den ganzen Morgen über war ich angespannt und fragte mich, was wohl meine Aufgabe sei. Sammeln? Suchen? Beobachten? Nein. Meine Aufgabe, die ich meistern musste, hätte nicht schlimmer sein können. Ich musste in den umliegenden Wald gehen, um ein Pokemon zu jagen. Jedoch nicht irgendeines, dieses Pokemon, welches in der ganzen Region als unnatürlich stark galt, war ein Arbok. Ich hatte Angst. Ich zitterte beim bloßen Gedanken an die Giftzähne, die aus dem Maul der riesigen Giftschlange ragten. Doch ich musste mutig sein, immerhin war es meine Aufgabe und ich wollte niemanden enttäuschen. Es sollte der Anfang eines neuen Lebensabschnitt werden, aber erst einmal musste ich diese Höhle bezwingen. Doch warum ging ich nicht weiter? Hatte ich etwa Angst? Den kompletten Weg über war ich so selbstbewusst. So konnte mir doch nichts einfach meinen Optimismus verderben und auf einmal, nur weil ich diese Höhe sah, fühlte ich mich einsam und kraftlos. Nein, viel mehr verloren. Verloren in der Dunkelheit. Verloren in mir selbst. Verloren in diesen mir sonst so vertrauten Wäldern. Zum Umkehren war es nun zu spät? Wenn ich nun wende, dann werde ich von meinem Rudel verstoßen. Ich weiß nicht, ob ich ohne sie überleben kann. Doch ich beschäftige mich nun schon viel zu lange mit diesen Gedanken. Ich sollte endlich in die Höhle rein gehen und mich diesem Arbok stellen. Meine Beine zitterten, ich machte mir Sorgen, was wohl passieren könnte, vielleicht wird alles gut, vielleicht auch nicht, wer weiß? Ich weiß, dass ich jetzt reingehen muss. Nervös und mit langsamen Schritten ging ich in die Höhle. Sie war feucht, und die Luft wurde schlagartig stickig. Eisige Tropen fielen von der Decke. Die Dunkelheit verschlang mich. Doch zu meinem Bedauern hielt sich das Giftpokémon nicht am Eingang der schier endlosen Grotte auf, ich musste tiefer in die Höhle, als ich ohnehin schon wollte. Mit jedem Schritt schien die Höhle enger zu werden, und das Atmen viel mir zunehmend schwerer durch die hohe Luftfeuchtigkeit. Ich weiß nicht, wie es das Arbok hier aushielt, aber ich wollte nur noch hier raus. Es war so unerträglich hier. Ich kam an einem Gang vorbei, wo ich nur eine Silhouette von irgendetwas sah. Erschrocken blieb ich stehen und versuchte, dieses Etwas wieder zu finden. War das etwa ein Pokemon? Und wenn ja, warum war es da? Der Gedanke, noch mehr starke Pokemon in dieser Höhle zu finden waren, ließ meinen Mut noch weiter sinken. So langsam hörte ich Geräusche. War das etwa dieses Arbok? War die Silhouette Arbok? In meinem Körper spürte ich so ein ungutes Gefühl, es zwickte in meinem Magen. Es war ein eigenartiger Schmerz, als würde jemand auf mir stehen. Wahrscheinlich war es nur die Nervosität. Plötzlich wurde mir klar, was mir innerhalb der letzen Minuten alles passieren hätte könnte. Ich könnte vermutlich nie wieder hier raus kommen und würde nie wieder mein Rudeln, meine Familie sehen. Aber ich darf nicht an so etwas denken, denn auf diese Weise schaffe ich es erst recht nicht. Der Druck baute sich in mir enorm auf,ein dickes Seil band sich um mein Inneres, welches sich Stück für Stück fester zusammen zog. Es war unerträglich. Auf einmal hörte ich etwas vor mir. Etwas schliff soweit ich es hören konnte ab Boden entlang. War es etwa dieses unheimlich starke Pokemon? War es das Arbok, was ich gesucht habe? War es Arbok? Kam nun der Zeitpunkt, an dem mein Leben sich komplett ändern sollte? Ich glaube, es hatte mich längst bemerkt. Ja, die Geräusche wurden aktiver und von Sekunde zu Sekunde lauter. Ich hörte ein gelegentliches Zischen welches durch die um mich herrschende Dunkelheit hallte. Durch die undurchdringliche Dunkelheit musste ich mich auf meine übrigen Sinne verlassen. Die Geräusche wurden immer lauter, immer hektischer, von Sekunde zu Sekunde verstärkte sich der scheinbare Druck um meinen Körper. Bis ich auf einmal ein seltsames Leuchten sah. Es sah aus, wie eine Fratze, die mich mit einem dreckigen Lachen anlächelte. Sie war verstörend und faszinierend zugleich. Erst Momente später realisierte ich, dass dies der Nackenschild von Arbok war. Sekunden danach bemerkte ich, dass es mir den Fluchtweg abgeschnitten hatte. Nun, sollte der Kampf also beginnen. Auf eine gute Zukunft... auf meine Zukunft... auf eine Zukunft.
Du bist nicht dazu in der Lage, durch die Tür zu gehen, weil du um dein Leben fürchtest. Dein Mund ist trocken und deine rot geränderten Augen pochen schmerzhaft, doch meistens ist deine Angst zu groß, als dass du aufstehen und dich um solch rudimentäre Dinge wie das Sichern deines Überlebens kümmern könntest. Die Sorge, in der du wegen der ungewissen Schicksale deiner engsten Freunde und Verwandten schwebst, hält dich fest umklammert.
Das Wissen, dass dein Leben nie wieder in seinen Ursprungszustand zurückkehren wird, macht dich verrückt.
Der Ort, an dem du dich befindest, erfüllt dich mit Unbehagen. Die sandige Erde, die mit dicken, rohen Mauern umgeben ist, ist plattgetreten. Die durchgelegene Pritsche, auf der du nun schon seit mehreren Stunden unwillig hockst, ist alles andere als bequem und der Fernseher, aus dem nur hohles Rauschen dringt, seit die Mitarbeiter des Senders, nun ja, verhindert sind, erhöht deinen Komfort nicht gerade. Die dir gegenüberliegende Tür ist dreifach verriegelt und die Maße des Fensters, durch das du nun schaust, betragen nicht mehr als dreißig Quadratzentimeter. Nichts als Verwüstung, Nebel und Kälte kann man durch den Ausblick auf die Welt, den es dir ermöglicht, erkennen, was erneut einen Schauer über deinen Nacken jagt. Das schwache Geräusch der Polizeisirenen, das nach gefühlten Äonen alarmierenden Röhrens langsam erstirbt, trägt sein Übriges zu deiner Stimmung bei, ebenso das hohle Brüllen eines Glurak, das drohend über die Ebene schallt. Wärst du ein Pokémon, würdest du jetzt deine Ohren anlegen, doch so bleibt dir nichts anderes übrig, als deine nackten Handflächen auf sie zu pressen.
Du fühlst dich einsam und bist froh, dass wenigstens dein engster Gefährte bei dir ist. Mit haselnussbraunen, verengten Augen starrt er durch die düstere Fensterluke, wischt verdrossen mit dem Schweif über den staubigen Fußboden und lässt schließlich eine Tatze auf der verdreckten Scheibe ruhen. Plötzlich ist sein erfahrenes Gesicht überschattet von einer Sorge, die ihn hundert Jahre älter aussehen lässt.
Er, der normalerweise keinen Tag überstehen kann, ohne den harzigen Geruch des Waldes einzusaugen und er, der sich in der Natur stets am wohlsten gefühlt hat, leidet schließlich am meisten daran, nicht an ihr teilhaben zu können und sein Dasein in dieser verlassenen Menschensiedlung fristen zu müssen.
"Was ist das für ein moosiger Stein, Noi?", erklingt deine kindliche Stimme, während sie in den höheren Tonlagen einige Male bricht. Dein pelziger Freund ist zu sehr damit beschäftigt, die feuerrote Blume zu betrachten, die sich in diesem Moment vor seiner Nasenspitze entfaltet, als dass er auf deine Worte hören könnte. Daher führst du deinen Weg zu dem merkwürdigen Brocken selbstständig fort, während du alles in dich aufnimmst: das glockenhelle Plätschern des fernen Baches, das saftige Grün der Wiesen, den feuchten Schlamm, der zwischen deinen Zehen hervorquillt, und ab und an in den Büschen aufblitzendes Fell exotisch anmutender Kreaturen.
Du vernimmst das weiche Kratzen kleiner Pfoten, die über eine Grasfläche huschen, und alsbald steht Noi wieder neben dir und schleicht geduckt auf den mysteriösen, erhaben wirkenden Felsen zu. Er scheint zu fühlen, dass dieser unwiderruflich mit seinem Schicksal verknüpft ist, denn du kannst nur zusehen, wie er hinaufspringt und dich flach auf den Bauch drückt, als spürte er seine Wärme. Schließlich beginnt sein creme- und holzfarbenes Fell wie ein neugeborener Smaragd zu leuchten und die Metamorphose, die dazu dient, ihn endgültig im Kreis der Geschöpfe des Waldes willkommen zu heißen, beginnt.
Etwas, was du schon lange nicht mehr gespürt hast, entflammt dein Inneres und lässt deine Sicht verschwimmen. Doch ehe dein letzter Funken Durchhaltevermögen schwindet, ignorierst du das stechende Gefühl in deiner Brust und wendest deinen Blick der Person zu, die in diesem Moment den Eingang aufschließt.
Eine Kapuze aus ebenholzfarbenem Leinen wird von feingliedrigen Händen berührt und herabgestreift, wodurch ein voller, weizenblonder Schopf enthüllt wird, der ein blasses, von Sommersprossen besprenkeltes Gesicht einrahmt. Schmale, grasgrüne Augen funkeln dich freundlich an, was in der unheilvollen Umgebung etwas deplatziert wirkt, und eine von der Kühle gerötete Nase kräuselt sich.
Das Mädchen schlüpft vollständig aus dem groben Mantel, verbirgt damit ihren rechten Arm und flüstert ein leises "Hallo" in deine Richtung.
"Wie ist es bloß so weit gekommen?", sprichst du laut und erkennst im selben Moment, dass diese Frage anklagender als beabsichtigt geklungen haben muss. Sie von allen Menschen ist am wenigsten für die vergangenen Geschehnisse verantwortlich.
"Einst wussten wir, wie alle Lebewesen Seite an Seite leben können", fährst du in sanfterem Ton fort. "Die Leute, die sich selbst damit beschwindeln, dass sich diese Koexistenz vor langer Zeit oder an einem fremden Ort zugetragen hat, sind töricht. Und wären nicht alle derart von Selbstsucht und Gier zerfressen, würde sie heute noch bestehen. Es könnte immer noch so sein, heute, hier und jetzt."
"Und weiter?", hakt sie nach, mit einem teils amüsierten, teils interessierten Grinsen, während sie sich an der gegenüberliegenden Wand in den Schneidersitz gleiten lässt.
"Wieso müssen wir für etwas büßen, was wir nicht getan haben?", stößt du temperamentvoll aus, ehe sich deine Augen bekümmert verdunkeln.
"Diese Frage stellt sich jede denkende Kreatur schon seit Anbeginn der Zeit", räumt sie mit einem schwachen Seufzen ein. "Noch niemand hat je eine Antwort darauf gefunden."
"Dann frage ich mich, was ich in einer solch ungerechten Welt wie dieser überhaupt soll."
Ihr Mund öffnet sich beinahe unmerklich und ihre Augen weiten sich, als könnten sie sich nicht zwischen Erstaunen und Verärgerung entscheiden. Mehrere Male setzt sie an, ehe sie wohl endlich die Antwort gefunden hat, die ihr zu dieser, zugegebenermaßen trotzigen, Aussage passend erscheint.
"Weißt du, du bist verantwortlich für diesen Planeten. Er hat dir die Grundlage zu deiner bloßen Existenz geschenkt, hat dein Leben ermöglicht. Er hat dir Schönheit und Geborgenheit geboten und ist um dich gewachsen, während du deinen Charakter gebildet hast. Die Erde hat dir alles gegeben, was dich zu dem gemacht hast, was du heute bist.
Und nun lässt du sie einfach hängen? Schäm dich."
In ihrem Zwinkern liegen zugleich Humor und Ernst. Dann beugt sie sich vor und sieht dir fest in die Augen.
"So lange du siehst, so lange du atmest, so lange du bist..." Ihre Lippen treffen sacht auf deine Stirn. Die Berührung erinnert dich an das Flattern zarter Smettboflügel; ein Gedanke, der dich zuvor entmutigt hat, dich nun aber mit frischer Hoffnung erfüllt.
"So lang sich deine Brust hebt und senkt, musst du dort hinausgehen und zumindest versuchen, diese Schuld zu begleichen, die schon längst zu groß für dich ist."
Sie entfernt dich von dir, während sie ein letztes Mal mit der Linken durch dein Haar fährt.
"Hisoka-kun! Hisoka-kun, hör auf, du tust ihm weh!"
Der Ausdruck von purem Entsetzen, der das von kohlschwarzem Fell überzogene Gesicht des Fiffyen entstellt, verändert sich, doch dir fällt partout nicht ein, was dich derart daran beunruhigt. Außer stocksteif dazustehen tust du nichts, weder dazu fähig, dich von dem Grauen abzuwenden, das sich vor dir abspielt, noch etwas dagegen zu unternehmen.
Der Junge, der ungefähr das gleiche Alter wie du und offensichtlich großen Spaß daran hat, das Bein des unschuldigen Hundepokémon so lange zu verdrehen, bis es vor Schmerzen wimmert, scheint sie nicht gehört zu haben. Sein Blick ist glasig, als sich deine Freundin endlich durch die beunruhigende Masse von jubelnden Kindern gekämpft hat, ihn am Arm packt und zu sich herumreißt.
"Hisoka-kun!", schreit sie fassungslos, woraufhin er einige unzusammenhängende Laute von sich gibt, und schubst ihn zur Seite. Dann wendet sie sich dem kleinen Pokémon zu, das zitternd vor ihr im Dreck liegt, und streicht ihm beruhigend durchs Fell.
Sie hört das Grollen nicht, das vehement aus seiner Kehle dringt, erkennt nicht die endlich ausbrechende Blutlust in seinem Blick.
Sie ist längst bewusstlos, als das Rudel des Fiffyen euer Dorf endlich gefunden hat.
Sechs Leute sterben. Sie kann sich glücklich schätzen, nur ihren Arm bis zur Höhe des Ellenbogens verloren zu haben.
Doch der gemeinsame Schrei aller existierenden Pokémon, die sich endlich gegen die Unterdrückung der Menschen auflehnen, ist nicht zu überhören.
Sie liegen im Recht mit dem, was sie tun. Es liegt nichts Falsches darin, dem Joch ihrer Peiniger entkommen zu wollen. Doch die Art, auf die sie dies schließlich erreichen, ist seit dem frühesten Anfang des intelligenten Lebens vollkommenes und unbestreitliches Unrecht.
Rohe, gnadenlose Gewalt, Terror und Tod. Denn dadurch stellen sie sich auf die gleiche Stufe wie diejenigen, denen sie entfliehen.
"Na los, wage den ersten Schritt zur Versöhnung." Sie legt den Kopf schief, was dich an ein junges, neugieriges Schwalbini erinnert, verschränkt die Finger ihrer linken Hand mit deinen und intensiviert ihr Lächeln.
"Wenn nicht für deine Spezies, dann tu es wenigstens für mich."
Du seufzt, blickst sie an, siehst zur Tür. Dir wird klar, dass ihre Aufforderung ernst gemeint war. Eure Augen treffen sich wieder. Ihr aufmunternder Gesichtsausdruck ist dem von Sorge gewichen. Wachsam starrt sie dich an, ebenso das Folipurba, das nun neben dir kauert und seinen Hals gegen dein Bein drückt.
Dein Mut schwindet. Schwäche überwältigt dich und du sinkst auf sie Knie. Du bist nicht so stark wie sie und wirst es niemals sein.
Was wirst du also tun?
Nichts ist so vergänglich wie die Zeit. Leben und Tod; Anfang und Ende - zwei Dinge, die die Unendlichkeit beschreiben.
Legenden und Mythen sind seit Anbeginn der Zeit ein Zeugnis aus längst vergessenen Zeiten. Menschen sehnen sich von Natur aus nach dem Außergewöhnlichen und dem Fantastischen. Doch die meisten von ihnen sehen nicht, dass sich diese Dinge meist in ihrer Nähe befinden. Statt sich also auf die Reise in weit entfernte Länder zu machen, bräuchten sie nur ihre Augen für ihre Umwelt öffnen. Egal wie oft man diesen Grundsatz unter Menschen weiterreicht, er wird weitesgehend ignoriert. Schließlich kennt man ja die Gegend und ihre kleinen aber feinen Wunder.
Pokémon, welche diese Welt ebenfalls bevölkern, kennen jedoch den Unterschied. Sie leben stets wachsam und aufmerksam für ihr Umfeld, denn mit der Natur sind sie tief verbunden und versuchen mit ihr und den Menschen im Einklang zu koexistieren. Was ihnen oftmals sehr viel besser gelingt, als den Zweibeinern.
Allerdings gibt es für jede Regel mindestens eine Ausnahme, so auch bei dieser. Die sogenannten Pokémontrainer haben einen guten sechsten Sinn bezüglich ihrer Umgebung und sind wesentlich feinfühliger in den meisten Bereichen. Außerdem sind sie in der Lage auf eine mentale Art mit den Pokémon in Verbindung zu treten und zu kommunizieren. Leider jedoch tun die Meisten von ihnen dies nur unbewusst. Was jedoch den Effekt auf die Wesen nicht mindert. Die Wenigen unter ihnen, die in der Lage sind, die mentale Verbindung bewusst einzugehen, können oftmals vom Außergewöhnlichen nur schwärmen. Pokémon scheinen sich friedlich und weniger scheu gegenüber ihnen zu verhalten. Die Meisten gehen davon aus, dass sie diesen bewussten Umgang mit der Natur und ihrem nahen Umfeld respektieren und wertschätzen.
Mit den Pokémon bewusst eine psychische Verbindung einzugehen und ihnen durch Gefühle Botschaften zu senden, darauf haben sich diese Menschen spezialisiert. Und wurden schon das ein oder andere Mal belohnt. Wo für andere der Weg endet und die Augen geschlossen werden, offenbart sich für sie erst die wahre Magie der Natur und der Pokémon mit all ihren Wundern. Man sollte nicht nur an das glauben, was man sieht.
Träge öffnete ich meine Augen. Mein Bewusstsein kehrte erst langsam zu mir zurück, ich schien noch völlig schlaftrunken zu sein und konnte daher noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, wie spät es eigentlich war. Ich blickte geradewegs auf das rauschende Meer, welches mich vollständig zu umgeben schien und mein Verstand benötigte einige Augenblicke, um zu registrieren, dass ich mich noch immer auf der kleinen Insel befand, auf der ich am gestrigen Abend angekommen war. Ein prüfender Blick entlang des Horizontes verriet mir, dass die Sonne noch nicht ihre warmen Arme über die Welt gestreckt hatte und aus diesem Grund musste es noch sehr früh an diesem Morgen sein.
Ich seufzte kurz, ehe ich mich erhob und den Sand von meinen Kleidern klopfte. Ja, ich hatte in der freien Natur meine Nacht verbracht, meines Erachtens besaß diese Insel nämlich kein Pokécenter. Nicht, als würde ich sie wirklich kennen und identifizieren können. Nein, ich hatte keinerlei Ahnung, wo ich mich eigentlich befand. Mein Partner und ich suchten lediglich einen Ort für eine Rast. Ich erschauderte bei dem Gedanken, dass ich gestern wie eine Irre geflüchtet bin und einfach nur auf den starken und gefiederten Rücken meines Partners gesprungen war und mir gewünscht hatte, verschwinden zu können. Für immer. Ich neigte mein Haupt nach unten, wodurch mir mehrere Haarsträhnen ins Gesicht fielen, und schloss die Augen. Ich konnte nicht zurück. Nie wieder. Es war vollkommen unmöglich. Energisch schüttelte ich meinen Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, die mich seit meiner Flucht plagten. Es machte keinen Sinn, sich weiter darüber den Kopf zu zerbrechen, es war hoffnungslos.
Ein erneuter Seufzer verließ meine Lippen, bevor ich mich in Bewegung setzte und am Strand entlang lief. Ich verspürte nicht die Lust, jetzt schon die Insel zu verlassen. Mal davon abgesehen, dass ich den dunkelbraunen Greifvogel nicht mit meiner Laune gegenüber treten wollte, das hatte Karasu definitiv nicht verdient an diesem Morgen. Also entschied ich mich spontan dazu, ein wenig spazieren zu gehen. Vielleicht konnte mich meine Umgebung etwas ablenken? Wobei ich mir eingestehen musste, dass die schroffen Klippen zu meiner Linken nicht besonders einladend aussahen. Sie schienen kein Ende zu nehmen und die Insel vor Besuchern wie mich zu schützen, da man nicht ohne Weiteres über sie hinweg kam. Kantige und schroffe Felsen ragten einem entgegen. Fast schon drohend, könnte man meinen. Zu meiner Rechten befand sich das unendliche Meer. Auf Grund der Tatsache, dass es noch dämmerte und kein helles Sonnenlicht zu sehen war, wirkte dieses eher grau, langweilig und triest. Prinzipiell vermochte ich also zu sagen, dass es nicht wirklich beruhigend war an diesem Ort.
Ich holte tief Luft und blieb stehen. Das alles machte doch absolut keinen Sinn mehr. Ich hatte keinen Ort mehr, an den ich gehen konnte, hatte kein Zuhause, keine Familie und auch sonst schien nichts so zu laufen, wie es sollte. Ich neigte meinen Kopf erneut nach unten und schloss die Augen. »Vielleicht sollte ich einfach -«
Bevor ich diesen Satz aussprechen konnte, ertönte ein lauter Ruf direkt über mir. Vollkommen perplex erschrak ich und zuckte zusammen. Ich wusste im ersten Moment nicht wie mir geschah; ob ich angegriffen wurde, ob ein Pokémon Hilfe braucht – ich hatte keinerlei Ahnung. Wenn ich jedoch an den inbrünstigen und voller Stolz klingenden Ruf dachte, so war es eher unwahrscheinlich, dass eine der beiden Optionen sich bewahrheitete. Plötzlich flog ein riesiger Schatten über mich hinweg und ich stolperte vor Schreck ein paar Meter zurück und geriet ins Straucheln, bevor ich im weichen Sand landete. Was ich dann sah, raubte mir jeglichen Atem und ich glaubte, zu träumen.
Ein riesiger Vogel landete elegant und mühelos auf einem besonders weit hervorstehenden Stein der Klippe. Er war sicherlich doppelt, wenn nicht sogar dreifach so groß wie ich und besaß ein gelblich oranges Gefieder. Doch das war nicht das Sonderbare an ihm: seine Flügel, sein Schwanz und auch sein Kopfgefieder schien in Flammen zu stehen. Er wirkte auf Grund der Tatsache, dass es noch dämmrig war, wie eine Fackel, die die Umgebung zu erleuchten schien. Mehrere Schatten warf er auf die Wände der Klippe und auf den Boden, die umherzutänzeln schienen. Die gesamte Umgebung erschien mir um einiges wärmer als vorher und dennoch zitterte ich vor Ehrfurcht vor diesem mächtigen Geschöpf. Noch nie hatte ich solch einen Vogel gesehen.
Aufmerksam blickte er mir für den Moment direkt in die Augen. Ich fühlte mich auf einmal geborgen und sicher, ich konnte nicht recht erklären warum das so war. Sah er in meine Seele? Wusste er, was ich fühlte? Das erschien mir in diesem Moment alles so surreal, normaler Weise bemerkte ich es, wenn ich eine psychische Verbindung zu einem Pokémon herstellte.
Wenig später erhob der Flammenvogel jedoch seinen Kopf und sah Richtung Westen. Ich folgte seinem Blick und konnte am Horizont erkennen, wie die Sonne langsam zum Vorschein kam. Es fühlte sich magisch an, als wenn der Feuerball am Himmelszelt eine vollkommen andere Bedeutung annehmen würde. Durch einen gurrenden Singsang des Vogels, blickte ich wieder zu ihm. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und breitete seine mächtigen Schwingen aus, sodass er mir noch um einiges größter erschien. Vollkommen fasziniert starrte ich auf das lodernde Feuer seiner Flügel. Doch kaum berührten die ersten Sonnenstrahlen sein Gefieder, fing der komplette Körper des Wesens an zu brennen. Ich unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei, was ging hier vor sich? Ehe ich mich versah, stand der Vogel vollkommen in Flammen. Sein Erscheinungsbild wurde immer kleiner und verzerrter, bis schließlich nur noch ein Haufen Asche von ihm übrig blieb.
Vollkommen schockiert und entsetzt blickte ich zu der Stelle, wo noch eben der prächtige und anmutige Vogel gestanden hatte. Wie war das möglich? Warum? Weswegen konnte ich nichts dagegen tun? Fragen über Fragen wuselten in meinen Kopf und machten die unfassbare Situation nicht besser. Es dauerte eine Weile, bis ich im Stande war, aufzustehen und näher zum Aschehaufen zu gehen. Zwar konnte ich nicht bis zum Felsen vordringen, doch reichte mein momentaner Standort aus, um einen Blick auf die Überreste des Wesens zu haben. Vollkommen hilflos und aufgelöst stand ich am Strand und wusste nicht, was ich tun sollte.
Ich strich mit meiner Handfläche über mein Gesicht und versuchte mich etwas zu beruhigen. Erneut fing mein Körper an zu zittern und ich schloss angestrengt meine Seelenspiegel. Doch wenige Moment danach spürte ich eine beruhigende Wärme in mir. Sie breitete sich immer weiter aus und besänftigte mein Gemüt. Verwundert öffnete ich meine Augen wieder und blickte auf den Aschehaufen, der sich zu bewegen schien.
Das Ende ist ein neuer Anfang, junger Trainer. Gib niemals die Hoffnung auf und beweise wahre Stärke.
Kaum verstummte die gurrende Stimme in meinem Kopf, sahen mich zwei tiefschwarze Äuglein an und eine Miniaturausgabe des Flammenvogels erhob sich aus der Asche.
Triumphierend richtete sich das Serpiroyal auf, welches vorher mein Starmie mit seinem Schweif umwickelt hatte. Dieses rührte sich nicht mehr, die vielen Angriffe, die sein Gegner während des Kampfes fast lückenlos durchgeführt hatte, waren selbst bei seiner hervorragenden Verteidigung zu viel gewesen.
„Perfekt! Leaf, das war so cool!“, jubelte Rosy, die Trainerin der Grasschlage, ihrem Starter zu.
Ich musste lächeln. Obwohl diese beiden unterschiedlicher nicht sein könnten – die Trainerin verhielt sich übermutig, laut und aufgedreht, das Serpiroyal edel, überlegen und still – waren sie doch das perfekte Team, seit weit über einem Jahr.
„Gratuliere, das war wie immer ein erstaunlicher Kampf. Wenn auch der letzte …“ Ich seufzte, aber mein Entschluss stand fest.
„Was?“ Die strahlenden, blauen Augen des Mädchens wurden groß, Verwirrung und Enttäuschung konnte ich darin erkennen. Ich muss zugeben, ich war bisher nie besonders gut darin gewesen, die Gefühle der Menschen wahrzunehmen. Nachdem ich nach Einall zurückgekehrt war, hatte ich jedoch ziemlich häufig mit anderen zu tun gehabt und so mit der Zeit Fortschritte gemacht.
Ich blickte Rosy an und spürte ein unangenehmes Ziehen in der Brust. Ja, ziemlich große Fortschritte sogar.
„Es tut mir wirklich leid, Rosy, aber ich habe beschlossen, zu gehen. Ich denke … Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass es das Beste ist“, antwortete ich, „ich werde Einall endgültig verlassen.“
Rosy schien meine Antwort noch nicht zu genügen. „Aber N, warum?“
Auch ihr Serpiroyal schlängelte sich nun näher zu mir, und ich spürte, dass auch es von meinem Vorhaben nicht sonderlich begeistert war.
Ich strich dem Pokémon über seinen grünen Kopf, legte mir dabei Worte zurecht und erklärte dann: „Du erinnerst dich, dass ich dir erzählt habe, dass Lauro und Lotta mir eine zweite Chance gegeben haben, nicht wahr? Schließlich habe ich mich nur deshalb hier her zurück getraut … aber irgendwie bin ich damit nicht mehr zufrieden. Ich weiß, dass niemand vergessen wird, was vor vier Jahren geschehen ist, deshalb … Ich will einfach noch mal komplett von vorne anfangen, verstehst du?“
Die Braunhaarige nickte langsam, vollkommen überzeugt von meinem Plan war sie immer noch nicht.
Ich bemühte mich, ein besonders freundliches Lächeln hinzubekommen, wobei ich kläglich versagte, was auch mir zeigte, dass der Abschied keinesfalls leicht werden sollte. Trotzdem, jetzt würde ich mich nicht mehr anders entscheiden.
Sprichwörtlich wagte er einen Neuanfang. Weg von den Missetaten und verachtenden Blicken; hinein in eine neue Region, ein neues Leben.
Laux war ausgesprochen ausgelaugt, was seine letzte Reise betraf. Es frustrierte ihn, dass er diesen entscheidenden Kampf verloren hatte, er schämte sich für seine Eltern, die ihn danach nur noch missbilligten und versuchten zu ignorieren. Sie hatten ihn im Stich gelassen, hatten die Türen verschlossen, und das nur weil er gegen ihn verloren hatte und einem gewissen Gerücht.
Seinen größten Rivalen, seinen ehemaligen Freund, einen, den er seit Kindheitstagen kannte. Doch ein Verrat hatte vor drei Jahren dazu geführt, dass sie ihre eigenen Wege gingen. Dieser Verrat machte Laux heute noch sehr zu schaffen. Das, was sein Freund damals getan hatte ... nun, Laux wusste sicher, dass er schlechte Gerüchte über ihn verbreitet hatte, dass er seine Pokémon misshandeln würde, dass er sie zu hart trainieren würde, ja, dass er sogar sie extra von anderen Pokémon seines Team verletzen lassen würde. Dass hatte dann auch seine Eltern erreicht, zwar erst nach der Niederlage gegen eben jenem ehemaligen Freund, aber war trotzdem sehr wirksam gewesen, das diese das geglaubt hatten.
Mit gesenktem Kopf ging der Blondschopf durch die nun verlassenen Gänge des riesigen Schiffes, wich den fröhlichen Konversationen im Gemeinschaftsraum aus, versuchte das bellende Lachen aus seinem Kopf zu verbannen. Doch es gelang ihm nicht. Ab und zu merkte er, wie er von einem mitleidigen Blick gemustert wurde und wie man über ihn tuschelte, doch das machte ihm nichts aus. Er ging über den blank polierten hölzernen Boden, die prunkvollen Wände zogen in einem gedankenverschwommenen Film an ihm vorbei. Nach einiger Zeit fanden seine Füße den richtigen Weg, den Weg zum Achterdeck und er stieß einen leisen Seufzer aus. Bald würde er ankommen, in dieser neu entdeckten Welt, von der es hieß, dass Schönheit und Kunst die Kultur des Landes prägten.
Die kurze, steile Treppe führte hinaus in die kühle Abendluft. Er sah sich um und bemerkte, dass das Achterdeck glücklicherweise größtenteils wie leergefegt zu sein schien. Nur einzelne Personen streiften wie ein müder Tiger über den Boden, standen meist in kleinen Grüppchen beieinander und hatten Gläser mit dem Inhalt einer rot-violetten Flüssigkeit in der Hand. Die Sonne war bereits tief purpur und verschwand langsam hinter dem Horizont, in den Weiten des offenen, tiefblauen Meeres, auf welchem er bereits seit zwei Wochen unterwegs war. Die letzten Strahlen der großen, roten Kugel am späten Abendhimmel leckten über die Wellen und tauchten das westlich von ihm liegende Wasser in einen unbeschreiblichen Glanz, was ihn mal wieder verblüffte. Ein Schnurren, dann spürte er das weiche, flauschige Fell seines Begleiters an seinen Beinen. Sein Folipurba hatte die Augen zufrieden geschlossen und lehnte sich gemütlich an das linke Bein des dünnen Jungens, welcher sich hinkniete und sein Pokémon sanft zwischen den Ohren kraulte. Dann stellte er sich wieder aufrecht hin und ging langsam zum Bug hin, sein Folipurba war ein vertrauter Schatten an seiner Seite. Einer der wenigen seiner ehemaligen Begleiter, die noch zu ihm hielten.
Am Bug angekommen stützte er sich mit den Armen auf dem Geländer ab. Kalt war es unter seinen Händen, seine Finger konnten kleine Rillen ausmachen, die der Wind im Laufe der Jahre langsam aber sicher in das Metall geschliffen hatte, für das menschliche Auge jedoch fast nicht sichtbar; alle anderthalb Meter verband eine kleinere Eisenstange das Geländer mit dem Rest des riesigen Kreuzfahrtdampfers, welcher die Sinnoh mit der Kalos-Region verband, eine Reise die sehr teuer war und die Laux mit seinem letzten Geld bezahlt hatte. Er wünschte sich nichts anderes, als sich so weit wie möglich von seinem früheren Zuhause zu entfernen, so viel Strecke wie möglich zwischen sich und die Menschen zu bringen, denen er damals noch vertraut hatte. Menschen, die er geliebt hatte. Konnte er das noch? Konnte er noch jemandem sein Vertrauen schenken, oder für jemanden etwas empfinden, nachdem er solche seelische Ohrfeigen bekommen hatte? Er bezweifelte es.
Leichtfüßig sprang sein einziger Begleiter, den er hatte mitnehmen wollen, auf das schmale Geländer und betrachtete die näherkommende Küste. Vor ihm erstreckte sich eine große Landmasse, dessen Ufer größtenteils von dichten Wäldern umrahmt wurde, vereinzelt strahlten sandfarbene Flecken in der Sonne, dahinter lagen meist reich aussehende, kunstvoll verzierte Häuser, deren Ausstrahlung selbst Laux‘ Gefühle ein wenig besserte und seinen benommen Verstand aus der einsamen Starre von reiner Enttäuschung weckte. Der Anblick eines reißenden Flusses zauberte ihm sogar ein leises Lächeln auf die Lippen. Schnelle Strömungen schnellten um Steine herum, ließen das tiefe Blau des Wassers für kurze Zeit in ein helles Weiß der Gischt verwandeln. Hohe und dichte Gräser umrahmten mit vereinzelten großen Steinen die Ufer des Flusses. Die wenigen Bäume, die dort in der Nähe standen, zählten bereits viele Jahre. Dunkel streckten sie ihre Arme gen Himmel, selbst Laux konnte das Rauschen der Blätter in dem starken Wind hören. Vom Ufer plätscherte fröhliches Lachen zu ihm hinüber.
Der Anblick verzauberte Laux und er sann den schönen Stunden seines vergangenen Lebens nach, verglich diese Landschaftszüge mit den im Kopf vorhandenen Bildern seiner Heimat und stellte ein paar Parallelen fest. Seine Stimmung verbesserte sich erheblich und er freute sich auf diese Reise, die für ihn, so hoffte er, lange dauern würde und auf der er viele Sachen erfahren und viele Menschen kennenlernen würde. Sie bogen um eine Ecke und vor ihm erstreckte sich eine kleine Stadt mit einem ebenso kleinen Hafen. Es waren Anlegestege aus Beton für die Schiffe vorhanden und kleine Geschäfte umrahmten den kleinen Platz hinter den Betonreihen. Dort herrschte reges Treiben und Laux sah, wie einige Menschen bereits auf das Schiff zeigten und die Münder derer leicht offen standen. Der Blondschopf sah auch, wie ein junger Junge weiter vorne auf dem Steg stand und das Schiff nach einem bestimmten Gesicht absuchte. Zögerlich hob er eine Hand und winkte dem Jungen zu, sodass er die Aufmerksamkeit dessen aus sich zog. Als sie näher kamen, sah Laux, dass der Junge braune Haare, ein mandelförmiges Gesicht, zwei nussbraune Augen, welche von dünnen Augenbrauen und etlichen Sommersprossen eingerahmt wurden, eine Stupsnase und schmale Lippen hatte, die Hände hielt dieser nervös ineinander gekreuzt und er verlagerte sein Gewicht von einen Fuß auf den anderen.
Das Horn des Schiffes schallte über den kleinen Platz und die hellen Mauern der Gebäude warfen diesen Laut wie ein Echo zurück. Nun kamen auch die anderen Passagiere auf das Deck und gesellten sich zu ihm, warteten darauf, dass die bewegliche Brücke ausgefahren wurde, um das Schiff mit dem Steg zu verbinden. Der Dampfer wurde vertäut, die Brücke hinabgelassen und Laux beeilte sich, einer der Ersten zu sein, die festen Boden unter den Füßen bekamen.
Der frische Seewind zerzauste ihm das kurze, blonde Haar, welches ihm nun aus der Stirn geweht wurde, und er kniff die Augen ein wenig zusammen, damit sie nicht anfingen zu tränen. Der Junge auf dem Steg, der offenbar auf ihn gewartet hatte, lief winkend und lächelnd auf Laux zu und blieb vor ihm stehen. Hinter Laux beschwerten sich bereits ein paar andere Passagiere, dass er aus dem Weg gehen solle, sodass er das dann auch tat. Es wurden Rufe laut, der Platz hallte von fröhlichen Begrüßungen wider.
„Hallo“, sagte der Junge zu ihm. „Bist du Laux? Ich soll dich zum Professor bringen.“ Laux nickte zögerlich, da er kurz gebraucht hatte, um die Sprache zu verstehen. Es war die gleiche wie in seiner Heimat, jedoch mit einem starken, fremd klingenden Akzent untersetzt, sodass es schwierig wurde, diese Sprache zu verstehen. Außerdem sprachen die Bewohner von Kalos verdammt schnell.
Laux nickte noch einmal und schulterte dann seine Tasche, das Gewicht lagerte schwer auf seinem Rücken. Nun begann für ihn ein neuer Abschnitt seines Lebens, sowohl seelisch als auch körperlich.