"Ich glaube Rattengift genügt da nicht mehr, für dieses Ungeziefer"
"Der Abschaum der Menschheit"
"Jetzt reicht es aber wirklich!! Rottet das Gesindel aus - sofort!"
"Verbrennt sie......."
"Alle in nen Kontainer,Ins Meer und am Meeresgrund ersticken und verecken lassen"
Ein Spiegel der Gesellschaft? Was ihr gerade gelesen habt waren willkürlich ausgewählte Zitate von Anhängern der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), dokumentiert von einem Aktivisten auf der Webseite Eau de Strache. Doch ein Blick über die österreichischen Landesgrenzen hinaus offenbart: solches Gedankengut ist europaweit im Vormarsch und beschränkt sich keineswegs auf die rechte Szene Europas, sondern durchdringt nahezu alle Gesellschaftssichten. Daher auch Eau de Europa - was gerade in Europa vor sich geht ist nicht auf Rechtsextremismus zu beschränken und auch nicht auf Asylbewerber und Flüchtlinge.
Die Europäische Union, das wohl erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte, droht innerlich zu zerfallen. Statt Solidarität erfährt Griechenland in einer der schwersten Wirtschaftskrisen des Landes Erniedrigung und Spott - wohlgemerkt von den europäischen Freunden, oder "Partnern" wie sie die griechische Regierung zu nennen pflegt. Ganz vorne dabei: die Deutschen. Repräsentiert von ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble. Vom Gesicht des hässlichen Deutschen ist in einigen Medien die Rede. 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs hat der "hässliche Deutsche" also wieder ein Gesicht. 70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs breitet sich der völkische Terrorismus in Deutschland aus. 173 Terror-Anschläge seit Beginn des Jahres auf deutschem Boden, auf die schwächsten der Gesellschaft, verharmlosend von vielen Medien und Bürgern als "Übergriffe" oder gar "Zwischenfälle" benannt.
Großbritannien steht kurz vor einem Referendum über einen möglichen Austritt aus der Europäischen Union. Ein Referendum, das Europa in seinen Grundfesten erschüttern könnte. Dabei geht es nicht um wirtschaftliche, militärische oder politische Belange. Die Europäische Union ist keine bloße Wirtschaftsgemeinschaft, wie oft von vielen fälschlicherweise behauptet. Sie ist eine Friedens- und als solche eine Schicksalsgemeinschaft. Trotz all ihrer Schwächen und dem Demokratiedefizit der Union - sie hat Kriege zwischen den Mitgliedstaaten nahezu unmöglich werden lassen. Der Binnenmarkt und allgemein alle wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen sind Mittel zum Zweck - der Zweck ist der Frieden. Zwischenstaatlich, aber auch innerstaatlich. Der Hauptgrund des Referendums: Ausländer, die Personenfreizügigkeit.
Blickt man auf Griechenland sieht man eine andere erschreckende Entwicklung: es möchte in der Europäischen Union bleiben, wird jedoch von anderen Mitgliedstaaten rausgedrängt. Allen voran: Deutschland. Zwar sprach Schäuble nur von einem "freiwilligen" und "vorübergehenden" Austritt und auch nur aus der Eurozone. Allerdings ist ein Ausschluss eines Mitgliedstaats rechtlich nicht möglich (daher kann Griechenland nur "freiwillig" austreten) und sind alle Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Großbritannien, Dänemark und Schweden, ohnehin dazu verpflichtet den Euro einzuführen (daher kann Griechenland auch nur "vorübergehend" austreten). Unter diesen Gesichtspunkten erscheint die Aussage von Schäuble in einem ganz anderen Licht: er möchte die Griechen von der EU ausschließen. Schlimmer noch als seine Aussage sind seine aktuellen Beliebtheitswerte bei der deutschen Bevölkerung.
Auch außerhalb der Europäischen Union kriselt es in Europa und zwar gewaltig. Während sich in der Ukraine sog. "prorussische Separatisten" mit ukrainischen Nationalisten und regulären ukrainischen Truppen Kämpfe liefern droht auch in Mazedonien ein Bürgerkrieg. Die Unruhen in Syrien breiten sich auf die Türkei und somit auf Europa aus, wobei diese als Antwort darauf die PKK bekämpft, was für den türkischen Präsidenten Erdogan Grund genug ist den Friedensprozess mit "den Kurden" abzubrechen.
Bei all dem geht auch noch unter, dass die Berliner CDU erst letzte Woche mehrheitlich gegen die "Homoehe" gestimmt hat. Ich bin zugegebenermaßen auch nicht gerade Befürworter der Homoehe, wohl aber aus ganz anderen Gründen, die für dieses Thema nicht von Relevanz sind. Ich spreche dieses Thema deshalb an, um zu verdeutlichen worum es mir hier im Thema geht. Nämlich nicht, wie man annehmen könnte, um einen erstarken Nationalismus. All das, was ich hier angesprochen habe ist symptomatisch für ein ganz anderes Phänomen: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Dazu folgende Abbildung:
[Blockierte Grafik: http://abload.de/img/abb18xuqu.jpg]
Quelle: http://www.uni-bielefeld.de/ikg/gmf/ergebnisse1.html
Ob Rassismus, Sexismus, Homophobie oder Fremdenfeindlichkeit; all diese Elemente des Syndroms haben einen gemeinsamen Kern: die Ungleichwertigkeit. Artikel 1 der UN-Menschenrechtscharta, der wie folgt lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ wird dabei in Frage gestellt. Aus Merkmalen wie beispielsweise der Hautfarbe, der Religion, der ethnischen Herkunft oder des Geschlechtes wird eine Ungleichwertigkeit, zu Lasten jener Menschen die eines der genannten Merkmale aufweisen das von der ideologisch vorgegebenen Norm abweicht, abgeleitet. Es ist eine Ideologie, die offenkundig jeder sachlichen Rechtfertigung entbehrt und dem zum Trotz recht weit verbreitet ist. Eine Ideologie, die prinzipiell jede Art von Menschenrechten ablehnt, da das Bekenntnis zur Gleichwertigkeit aller Menschen gewissermaßen das Fundament der Menschenrechte ist und dies mit einer Ideologie der Ungleichwertigkeit nicht kompatibel ist.
Die Menschenfeindlichkeit kann verdeckt oder offen zum Ausdruck kommen. Wer einigermaßen oft auf sozialen Netzwerken, Blogs, Onlinezeitungen oder sonstigen Foren unterwegs ist, der wird in beträchtlichem Ausmaß mit Menschenfeindlichkeit konfrontiert. Wenngleich man ihr auch außerhalb des Internets vermehrt begegnet (man denke nur an die PEGIDA oder die zahlreichen Demonstrationen gegen Asylheime) ist das Internet in der heutigen Zeit bis zu einem gewissen Grad Nährboden dieser Ideologie oder konkreter: die Begleitumstände im Internet, die zu einem Enthemmungseffekt führen und zwar durch folgende sechs Faktoren: Anonymität, Gefühl der Unsichtbarkeit, Asynchronität der Kommunikation, Gefühl der Distanzlosigkeit zu anderen Usern, Vermischung von Realem mit Fiktion und Fehlen von Autorität.
Nachfolgend ein Beispiel zu verdeckter bzw. versteckter Menschenfeindlichkeit aus dem Artikel entnommen, der für mich mehr oder weniger Anlass war dieses Topic zu erstellen (ähnliche Beispiele findet man auch im BisaBoard, ich verzichte jedoch ganz bewusst darauf sie zu zitieren):
Zitat"Obdachlose freuen sich übrigens auch über Kleidung"
Ein anderer User entlarvt die Bedeutung dieses kurzen Satzes treffend:
"sie spielen hier, völlig unnötig und damit tendenziös, zwei bedürftige gruppen gegeneinander aus."
Der verlinkte Artikel war im Übrigen eine Reaktion auf vermehrt menschenfeindliche Postings; in einem Forum einer Onlinezeitung, die eher von politisch linksorientierten Menschen konsumiert wird. 200 User sollen aufgrund menschenfeindlicher Postings alleine in den letzten zwei Monaten gesperrt worden sein. Solche Postings sind längst auch im BisaBoard zum Thema geworden. Erwartungsgemäß findet man die meisten derartigen Kommentare auf Facebook, wo jüngst auch fragwürdige "Bürgerwehren" gegründet worden sind, die u.a. Menschen kontrollieren die "wie Ausländer aussehen".
Was man hier im Internet beobachten kann ist eine Art Dominoeffekt: weil einer offen seine Menschenfeindlichkeit zum Ausdruck bringt, fällt auch bei einem anderen jede Hemmung es demjenigen gleich zu tun und weil es dann schon zwei User sind fallen auch bei einem Dritten jede Hemmungen usw. Verstärkt wird dieser Dominoeffekt vom bereits angesprochenen Enthemmungseffekt und auch dadurch, dass Gegner dieser Menschenfeinde der Online-Plattformen, -Gruppen oder -Diskussionen fern bleiben. Wägt man sich in einer Mehrheit, traut man sich naturgemäß mehr. Die Äußerungen nehmen als Folge dessen an Intensität zu und es entsteht der Eindruck, dass diese tatsächlich das Meinungsbild der Gesellschaft widerspiegelen, weil widersprechende Meinung kaum geäußert werden. Diese Annahme wiederum kann dazu führen die soziale Erwünschtheit quasi umzukehren. Wirkt sich dies auf Befragungen von beispielsweise Meinungsforschungsinstituten aus, bestärkt es die irrige Annahme der Menschenfeinde die Mehrheit in der Gesellschaft darzustellen. Wozu eine solche Dynamik führen kann sieht man u.a. an PEGIDA und hat man vor etwas mehr als 70 Jahren gesehen, als sich diese Ideologie im größten und verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte entlud.
Bei all dem kann man jedoch nicht ausdrücklich genug davor warnen alle vermeintlich, heißt nur zum Schein, menschenfeindlichen Äußerungen in ein und demselben Topf zu werfen. Auch das kann, selbst im BisaBoard, häufig beobachtet werden. Ein gutes Beispiel wären Äußerungen über "Ausländerkriminalität". Es ist Tatsache, dass in Relation betrachtet häufiger Ausländer (= Fremde; auf die Staatsangehörigkeit bezogen) straffällig werden, als Inländer (= Staatsangehörige). Auf Österreich bezogen verweise ich hier auf den Sicherheitsbericht 2013 des BMJ. Das Gleiche gilt aber auch für Männer und Frauen im Zusammenhang mit sexistischen Aussagen: nur 15% der Verurteilen waren 2013 Frauen, 85% Männer. Auch wenn die Zahl der Verurteilten natürlich erheblich von jener straffällig gewordener Personen abweichen kann, zeigen diese Zahlen doch starke Tendenzen. Dabei geht es mir nur um eines: nämlich um eine sachliche Grundlage. Behauptet jemand, dass Ausländer häufiger straffällig werden beruht seine Aussage demnach auf eine sachliche Grundlage und ist somit natürlich auch sachlich gerechtfertigt. Es wäre falsch jemand aufgrund einer solchen Äußerung der Fremdenfeindlichkeit zu bezichtigen und mehr als das: Pauschalierungen dieser Art bergen eine große Gefahr. Denn sie tragen zur oben dargelegten Dynamik der Menschenfeindlichkeit bei und lassen einen sachlichen Diskurs kaum zu. Sie haben darüber hinaus eine ähnliche Wirkung wie eine Zensur, weil dadurch Meinungen bildlich gesprochen abgewürgt werden. Das Stichwort lautet hier: Opferrolle.
Umgekehrt muss natürlich mit der gleichen Ausdrücklichkeit davor gewarnt werden derlei Zahlen und Statistiken unreflektiert zu konsumieren und infolge eine menschenfeindliche Meinung zu bilden, zu bekräftigen oder zu unterstützen. Solche Menschen erkennt man meist an der "aber-Haltung", wie bei den "Aber-Nazis" ("ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ..."). Auch hier nenne ich als prominentes Beispiel PEGIDA.
Da ich gerade merke, dass dieser Post ziemlich lang wird und daher Gefahr läuft von niemanden vollständig gelesen zu werden breche ich an dieser Stelle ab. Das Wichtigste zum Thema dürfte ohnehin schon zur Sprache gekommen sein. Abschließend möchte ich eines klarstellen: es geht hier nicht, nicht und nochmals nicht um Rechtsextremismus, nicht um Sexismus, nicht um Antisemitismus etc. Zu all diesen Themen gibt es hier eigene Threads. Bitte nutzt diese, wenn ihr über diese Themen diskutieren wollt. Es geht hier um die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, sozusagen als übergeordnetes Phänomen, und deren aktuelle Entwicklung in Europa - und nur in Europa.
Wie bei all meinen Themen verzichte ich auf "diskussionsanregende Fragen", nur Folgendes sei gesagt, damit das Topic nicht in die falsche Richtigung abdriftet: geht in euch und fragt euch selbst ob und wenn ja wie sich diese Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auf und in euch auswirkt. Wie ihr damit umgeht und ob euer Umgang damit richtig ist.