Quelle
Information
Vote
In diesem Thema habt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten zur Verfügung, die ihr den Texten im nächsten Beitrag geben könnt. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl ausreichend begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten.
Es ist außerdem hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Schreibt ihr in dieser Saison besonders viele Votes, habt ihr die Chance auf Medaillen. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen und Regeln zu den Wettbewerben.
Zitat von AufgabenstellungIn diesem Wettbewerb sollt ihr eine kurze Erzählung zum Thema "Grenzen" verfassen. Sie sind omnipräsent und finden sich in unterschiedlichen (Lebens-)Bereichen und Formen wieder: die abstrakten zwischen den Kulturen, die geografischen zwischen Nationen und die eigenen Grenzen sind lediglich Beispiele. Was geschieht jedoch, wenn diese Grenzen überschritten werden? Können einige Grenzen überhaupt übertreten werden?
Ihr könnt 7 Punkte verteilen, maximal 4 an eine Abgabe
ZitatID:
AX:
AX:
AX:
Achtet dabei darauf, bei der Schablone zwischen Doppelpunkt und ID/Punktzahl ein Leerzeichen zu machen, damit die Auswertung über den Voterechner ohne Probleme erfolgen kann. Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 10.07.2016, um 23:59 Uhr.
Sie meinen, mich gefangen zu halten; abgeschottet von der Realität. Sie geben mir einst ein helles Licht, dass mich von innen erhellt. Solange es strahlt, schlägt mein Herz. Doch ich weiß, dass es nicht mehr lange strahlt; es wird mit der Zeit schwächer. Ich muss mich davon lösen und mich von meiner Barriere nicht abhalten lassen, frei zu sein.
Ich erstarre vor Angst; habe weiche Knie. Sie wollen, dass ich nachlasse; sie wollen meinen Tod. Doch ich gebe nicht nach; ich halte durch, solange ich mich nach meinen Wunsch sehne. Noch einmal die warmen Strahlen der Sonne auf meiner Haut spühren, noch einmal die frische Luft einatmen, noch einmal wie ein kleines Kind durch die Wiesen laufen und im Gras wunschlos entspannen, noch einmal einen frischen Apfel schmecken. Das Licht erstrahlt heller.
Ich setze mich zur Wehr, will die Mauern einreißen. Aber ich kann sie nicht brechen; sie sind zu hart für meinen zerbrechlichen Körper. Ich möchte hier nicht alleine sterben; ich will meine Freiheit genießen. Doch das Feuer in mir kann ich nicht mehr entflammen; die Suche nach der Sonne ist vergangen. So liege ich hier regungslos am Boden und starre auf die bedrohliche Dunkelheit über mir. Ich spühre ihre Kälte, ich rieche ihre drückende Luft, ich sehe ihre trostlosen Träume und ich schmecke ihren bitteren Geschmack. Das Licht gibt langsam nach. Bald wird es nicht mehr strahlen. Das ist nicht das Leben, das ich leben möchte. Ich darf nicht aufgeben, niemals! Das Licht muss heller werden!
Langsam stehe ich auf, beinahe stolpere ich über meine schwachen Beine. Ich muss mich vom Fluch, der mich schwächt, trennen. Da stehe ich nun vor den Mauern, die mich gefangen halten. Ich schlage auf sie ein, doch sie bricht nicht; sie bekommt nur leichte Risse. Wie soll ich es dann nur schaffen, eine ganze Mauer aus dem Weg zu räumen? Sie wollen mich zum Verzweifeln bringen; sie wollen sich heimlich an meine Seele schleichen und mich zerstören. Doch ich werde es nicht zulassen; ich werde bis zu den Sternen tanzen. Im selben Augenblick sehe ich das Licht; es flackert vor sich hin. Ich schlage erneut zu; mit jeden weiteren Schlag kommen neue Risse hinzu.
Ich schaffe es einfach nicht, sie zu zerstören. Sie haben es geschafft; sie konnten mich brechen und mich ans Ende meiner Kräfte bringen. Alleine liege ich nun da; in der Dunkelheit; ohne Hoffnung. Ich schaue zum Licht hinauf; es ist beinahe erloschen.
Plötzlich höre ich einen hohen Ton, als würde jemand eine alte Tür öffnen. Wenig später erkenne ich zärtliche Lichtstrahlen von draußen; ihr Licht ist allerdings so schwach, dass mich nur ein kleiner Bruchteil erreicht. Jemand betritt den Raum, doch ich kann nur leichte Umrisse eines Schattens erkennen. "Niemals wirst du uns entkommen! Für immer wirst du bei uns bleiben, bei uns wirst du alleine und erbärmlich sterben!", sagt diese Person.
Aber ich möchte mein Schicksal nicht akzeptieren; ich muss meinen Wunsch noch erfüllen. Noch einmal die warmen Strahlen der Sonne auf meiner Haut spühren, noch einmal die frische Luft einatmen, noch einmal wie ein kleines Kind durch die Wiesen laufen und wunschlos im Gras entspannen, noch einmal einen frischen Apfel schmecken.
Mit letzter Kraft schreie ich noch einmal auf. Das Licht strahlt nun heller als die Sonne. Die Stärke meines Schreies ist so gewaltig, dass die Mauer zerbricht. Ich höre das dumpfe Geräusch der Ziegelsteine, die auf den Boden fallen.
Im selben Augenblick höre ich das Plätschern von Wasser in meiner Nähe. Endlich habe ich es geschafft; ich bin frei. Endlich spühre ich die warmen Strahlen der Sonne auf meiner Haut, endlich atme ich die frische Luft ein; endlich kann ich wie ein Kind durch die Wiesen laufen und wunschlos im Gras entspannen, endlich schmecke ich die Frische der Äpfel in meinen Mund.
Nun kann ich beruhigt im Gras einschlafen. Es ist so schön, frei zu sein. In diesen Moment erlischt das Licht; der Glühdraht ist zerbrochen und gibt kein neues Licht mehr von sich.
Mit zitternden Händen umklammerte ich meine Karten. Ich hatte sie so fest an mein Herz gepresst, dass ich Gefahr lief sie zu knicken. Das wäre nicht gut. Beherzt atmete ich aus und ganz langsam wieder ein. Ich zitterte, aber es wurde langsam weniger.
Da vorne saß er. Ich konnte nicht verstehen, wieso er solch ein komisches, nerdiges Hobby hatte. Er sah blendend aus und kam total gut bei allen an, sowohl bei Mitschülern als auch bei Lehrern. Trotzdem setzte er sich jede Pause in die Ecke zu den Karten-Spielern.
Okay, das war gelogen. Natürlich verstand ich, wieso er so beliebt war. Er war stets gut drauf, machte am laufenden Band Späße aber stand auch dafür ein, wenn er etwas nicht okay fand. Und er versuchte stets, alle Menschen in seiner Umgebung miteinzubeziehen. Egal wie schüchtern eine Person war, mindestens ein Mal pro Woche stellte oder setzte er sich zu allen und unterhielt sich mit ihnen. Ganz egal worüber, meistens ging es um Belanglosigkeiten. Oder um Sammelkarten.
Er hätte jedes Mädchen und jeden Jungen der Schule haben können, trotzdem beschäftigte er sich so gerne damit. Auch gerade wieder. Er hatte die für ihn so typische Karte gespielt – Polymerisation. Damit konnte er zwei seiner Karten zu einem wesentlich stärkeren Kämpfer verschmelzen lassen. Auf dem Bild der Karte war ein greller Wirbel aus zwei Streifen, die immer weiter ineinander verliefen. Erst bei genauerem Hinsehen fiel auf, dass die beiden Wirbel selbst Gestalten waren. So eine Karte, die alle zusammenbrachte, passte auf jeden Fall zu ihm. Alle Monster, die er spielte, sahen so heroisch und mutig aus. Und die verschmolzenen Versionen waren sogar noch kräftiger. Als er sein kombiniertes Geschöpf auf dem Feld abgelegt hatte, lachte das Mädchen, das ihm gegenüber saß. Ich erkannte sie an ihrem langen, seidigen Haar. Sie war aus unserer Parallelklasse. Sie drehte einer ihrer Karten um, und schon war die Karte meines Angebeteten wieder abgelegt in den Friedhof. Auch er lachte nun. Die beiden hatten so viel Spaß, und ich wollte auch unbedingt ein Teil davon sein. Wieso konnte ich nicht einfach mit ihm spielen?
Ich erinnerte mich an das, was er mir gesagt hatte. Dass ich mich jederzeit dazugesellen dürfte. Und natürlich die darunterliegende Botschaft. 'Du musst nicht alleine sein. Niemand muss das, solange ich hier bin.'
Nervös starrte ich auf die vorderste Karte meines Decks. Mein geliebter Magier lächelte mir selbstbewusst vom Bild entgegen. Ich stellte mir vor, was er tun würde. Wenn er nicht gerade eine magische Attacke startete, würde er sich bestimmt prima mit den Superhelden verstehen. Sie könnten nach einer schweren Mathe-Arbeit zusammen auf dem Boden der Schule sitzen und lachen. Sich trösten, wenn der Lehrer einem eine unfaire Frage gestellt hatte. Sich Geheimnisse ins Ohr flüstern und sich umarmen.
Ich atmete tief ein. Das würde schon werden. Einen Schritt nach dem anderen kam ich langsam näher. Da er mit dem Rücken zu mir saß, sah mich das Mädchen aus der Parallelklasse zuerst. Als sie realisierte, dass ich tatsächlich in ihre Richtung unterwegs war, nickte sie mir kurz zu. Das fiel auch ihm auf und er drehte sich um. Kurz hatte ich Angst vor seiner Reaktion. Er saß gerade sowieso einem Mädchen gegenüber, das viel hübscher war als ich. Sie war wenigstens ein Mädchen. Als er mich erkannte, lächelte er breit.
''Oh! Du bist wirklich gekommen! Das ist toll! Komm, setz dich zu uns. Ich werde hier gerade eh ziemlich fertig gemacht.''
Er rückte etwas zur Seite, damit ich auch Platz hatte und lachte dabei wieder.
Ein Blick auf das Feld sagte mir, dass er tatsächlich gerade fertig gemacht wurde. Er hatte fast alle seine Karten in die Erschaffung seines fusionierten Helden gesteckt, während seine Gegnerin das Resultat mit einer einzigen Karte zerstört hatte.
Während ich mich setzte, lächelte auch das Parallelklassenmädchen mir leicht zu. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass sie sich wirklich voll auf den Kampf vor ihr konzentrierte. Sie nickte meinem Schwarm noch einmal zu, dann deutete sie auf das beinahe leere Feld. Nur auf ihrer Seite stand ein Ungeheuer, ein gewaltiger Drache. Sie erklärte, dass er nun angreifen würde und, dass seine Kraft groß genug war, um ihren Gegner zu besiegen. Er nickte nur und gratulierte ihr.
Für den Bruchteil einer Sekunde kam ich nicht umhin, mir vorzustellen wie er versuchte, mit seinem typischen, immerwährenden Lächeln einem gewaltigen Drachen die Hand zu reichen, was nur darin resultierte, dass er von einem cartoonhaften Feuerball eingeäschert wurde. Trotzdem würde er weiterlächeln.
Ich fragte mich, ob irgendjemand ihn nach einer Weile als nervig empfand. Irgendwo wäre es wohl verständlich. Er schien keinen anderen Modus operandi zu haben als ständig gut drauf zu sein und Witze zu erzählen. Kein Mensch war immer nur gut drauf. Oder doch?
Die Gegnerin schüttelte seine Hand und streckte ihm kurz die Zunge raus. ''Tja, heute habe ich wieder mal gewonnen. Vielleicht solltest du etwas Aktuelleres spielen als Fusionsmonster? Die sind nicht gerade kosteneffizient. Du hast ja gesehen, wie mein Drache dich pulverisiert hat.''
Er zuckte nur mit den Achseln. ''Es hätte keine Bedeutung, wenn ich nicht meine Lieblingskarten benutze.'' Er zwinkerte ihr zu. ''Zumindest für mich nicht.''
Sie lächelte kurz. ''Stimmt wohl.''
Dann wandte sie sich mir zu. ''Willst du dich auch duellieren?''
Ich wollte es, wollte es so sehr, aber traute mich nicht etwas zu antworten.
Sie stand auf, zuckte nur mit den Schultern und ging, mit einem letzten Nicken in Richtung meines potenziellen Gegners, davon.
Er winkte ihr noch zu, dann sah er mich neugierig an. ''So, du willst also auch ein Duell?''
Immer noch gab ich keinen Ton von mir. Am liebsten hätte ich mir in dem Moment selbst ins Gesicht geschlagen. Aber stattdessen betrachtete ich lieber das seine – aus der Nähe sah es sogar noch toller aus. Er hatte sehr feine Züge, die Pubertät hatte ihn wohl ein Paar Jahre länger verschont als den Rest der Jungs an meiner Schule. Vom vielen Lächeln hatte er kleine Grübchen, die beim Sprechen auftraten. Und seine Augen, die unter dem langen, seidenen Haar hervorblickten waren so viel glatter und schöner als meine. Ich verstand gar nichts. Ich verstand ihn nicht. Ich kannte ihn im Grunde nicht, aber wollte unbedingt mit ihm befreundet sein. Er war ein Superheld. Er machte alle glücklich.
''Ich...''
Mehr brachte ich nicht heraus, aber eine Sache konnte ich tun. Die Universalgeste. Ich hielt mein Deck in die Höhe. Er nickte und begann, sein eigenes zu mischen.
''Du bist ziemlich cool,'' meinte er plötzlich.
Meine Hände zitterten, während ich versuchte, meine Karten zu mischen.
''Schließlich hast du die wichtigste Sache offensichtlich total verinnerlicht.''
Ich blickte kurz in seine klaren Augen.
''Man muss nicht reden, wenn man sich duellieren kann. Durch die Karten lernt man eine Person sowieso viel besser kennen.'' Er grinste. ''Und gleich werde ich dich kennenlernen.''
Wir legten beide unsere Decks ab. Es war Zeit für ein Duell.
Es war klein, kaum mehr als ein Luftzug, der sich in den Baumkronen niederließ und die Menschen um es herum verzauberte. Sein Federkleid war geschmückt mit den sanftesten, silbergrauen Federn, die man bei den Vögeln finden konnte, und sie waren so zart, dass Regentropfen an ihm abprallten. Das kleine Vogelküken war so klein, dass es bequem in die Hand eines Kindes passen könnte und noch immer einige Zentimeter Platz gehabt hätte. Es war das kleinste seiner Familie, seine Brüder und Schwestern waren schon alle voller und hatten starke Flügel und gute Augen. Und - was dem Küken das wichtigste war, worauf das Küken den größten Neid in seinem kleinen Körper verspürte - sie konnten schon kleine Strecken fliegen, konnten den Wind in ihren Federkleidern spüren und die Gegend an sich vorbeiziehen lassen. Wenngleich auch nur innerhalb kurzer Strecken zwischen zwei Ästen. Doch das Küken war noch nie geflogen. Es hatte große Angst davor. Was, wenn es abstürzte? Es war schon immer das kleinste und schwächste Mitglied seiner Familie gewesen. Braucht am wenigsten Futter. Brauchte den wenigsten Platz im Nest. Seine Geschwister machten sich in regelmäßigen Abständen lustig über den kleinen Vogel. Es würde nie fliegen können, sagten sie. Und vielleicht sollten sie Recht haben. Das kleine Vögelchen schaute jeden Tag zu der Zeit, wenn die Sonne am höchsten stand und ihre Strahlen durch die hohen Baumkronen schickte, aus seinem heimeligen Nest hinab in den tiefen Wald, hinunter auf den Boden, der unendlich weit weg schien. Die Höhe war angsteinflößend. Ein kleines Tier, wie das Vögelchen eines war, sollte tatsächlich in der Lage sein, durch die Luft zu fliegen? Wo es ohnehin schwächer war als seine Geschwister und diese schon täglich voller Anstrengung in Nest zurückkehrten? So kauerte sich das Küken stets wieder zurück in den sicheren Teil seines Nestes, den Spott seiner Geschwister erduldend, unter den wachsamen Augen seiner Mutter.
So geschah es, dass seine Geschwister von Tag zu Tag größer wurden, stärker und immer mehr Futter benötigten. Der kleine Vogel konnte jedoch noch immer keine Veränderung an sich feststellen. Seine Mutter war inzwischen voller Sorge um ihr jüngstes Kind. Sie wusste, dass etwas geschehen musste, ansonsten würde das Kind die Zeit des Vogelfluges verpassen und gar nie mehr in der Lage sein, fliegen zu können. Sie versuchte, ihrem Jüngsten gut zuzureden, ihm Mut zu machen, ihm die anderen Vögel des Waldes zu zeigen, wie die Schleiereule oder den Specht. Doch nichts vermochte dem jungen Vogel genügend Mut und Kühnheit zu verleihen, um den entscheidenden Schritt aus dem Nest hinaus zu wagen.
Doch eines Tages sollte dem armen Vögelchen keine andere Wahl bleiben, als seine kleinen Flügel emporzustrecken.
Der Wald war in Farben getaucht, die das Küken noch niemals gesehen hatte. Es war wunderschön auf eine faszinierende, wenn auch beängstigende Weise. Rote Feuerzungen tänzelten die Bäume hinauf und glänzten in den vor Schreck geweiteten Augen der Vogelmutter. Es war warm. Wärmer noch als es im wärmsten Sommer gewesen war. Das Küken verstand zunächst den Lärm nicht, den die anderen Tiere machten. Die Eulen kreischten, die Rehe rannten, so schnell sie ihre dünnen Beine tragen konnten. Und auch seine Mutter wurde zunehmend nervöser. Sie blicke sich hektisch um, beobachtete das Geschehen und spähte immer wieder besorgt mit einem Seitenblick zu ihrem Jüngsten hinüber. Ihm würde keine Wahl bleiben.
"Los, Kinder, flieht vor der Gefahr - fliegt immer der klaren Luft hinterher, nicht zu der Hitze. Fliegt hinaus aus dem Wald, das ist unsere einzige Chance! Ich bin gleich hinter euch, los!"
Verängstigt und unsicher tappsten die anderen Vögel an den Rand des Nestes, warfen ihrer Mutter einen letzten, von Hoffnung und Angst getränkten Blick zu und breiteten dann ihre durchaus starken, aber immer noch viel zu kleinen Flügel aus, die nicht dafür gemacht waren, einem Feuer zu entkommen. Das kleinste Vögelchen wusste nicht, wie es sich verhalten sollte. Panisch blickte es zu seiner Mutter hinauf, die sich seinerseits auch bereits auf den Rand des Nestes stellte und ihre Flügel schüttelte, sodass die Federn flogen. Es wurde stetig heißer.
"Mama, aber ich kann doch nicht fliegen!" rief der kleine Vogel. Inzwischen konnte es seine Geschwister nicht mehr ausmachen in all dem Rauch.
"Du wirst keine Wahl haben, Kleines." antwortete die Mutter, nun beinahe ruhig und gefasst. Sie pickte ihr Kind und zog es behutsam, wenn auch bestimmt, auf den Nestrand. "Breite einfach deine Flügel aus und lass dich vom Winde tragen. Den Rest tun deine Flügel für dich - nicht umsonst hast du Federn." Und ohne auf die panischen Schreie ihres Kindes zu achten, stieß sie es mit ihrem Kopf an und schubste es vom Nest, welches schon langsam kleine Funken des Feuers abbekam.
Und einen Moment fühlte das Küken nichts - keine Angst, keine Schmerzen, keinen Luftzug. Es hatte die Augen geschlossen und die Flügel ausgebreitet. Doch plötzlich schien die Angst das Küken zu lähmen, denn es wusste, dass es nicht fliegen konnte. Es öffnete die Augen und bemerkte voller Schrecken, wie die Bäume an ihm vorbeizogen - es fiel. Es schloss abermals die Augen, bereit und sicher, bald den Boden zu erreichen und den Wald nie mehr verlassen zu können. Nicht auch nur einmal geflogen zu sein.
Doch dann schluckte der kleine Vogel, spürte seine Angst, die er hinunterschluckte - und dann war sie weg. Dann fühlte es nur noch, wie die vom Feuer aufgeheizte Luft durch seine Federn strich, die die Luft aufzunehmen schienen. Seine Flügel spannten sich und gaben nicht mehr nach. Das Vögelchen spürte einen sanften Widerstand, den es jedoch bewältigen konnte. Und der Boden kam nicht. Der Vogel öffnete die Augen wieder. Er befand sich in der Luft. Und er flog. Der klaren Luft entgegen, den Feuerzungen fliehend. Es war beeindruckendste Gefühl, das es je erlebt hatte. Und plötzlich bereute es das Vögelchen, nicht schon früher vom Nest gesprungen zu sein - es schien doch so einfach zu sein. Vögel waren dazu bestimmt zu fliegen. Auch wenn es anfangs gewiss nicht so schien.
Da ist eine Grenze. Eine Grenze zwischen meiner Inspiration, zwischen meinen Ideen und dem Stück Papier, das vor mir liegt. Es ist leer, so rein und weiß. Vielleicht will es nicht beschrieben werden. Vielleicht hält es selbst meinen Stift davon ab, diese letzten Millimeter zu überwinden und einfach aufzuschreiben, was in meinem Kopf schwirrt. So viele Gedanken. So viele Ideen, so viele Welten, die niemand jemals sehen wird, weil ich es nicht schaffe, die Grenze zwischen Stift und Papier zu überwinden. Warum muss das auch so schwer sein? Ich habe Bilder im Kopf, die ich gerne malen würde. Aber ich kann nicht malen. Doch schreiben, das sollte ich können. Eigentlich. Denn da ist diese Grenze zwischen Stift und Papier, die mich auszulachen scheint. Und ich weiß nicht wieso. Mir fehlt ein Ansatzpunkt, ein erster Satz, der die Geschichte ins Rollen bringt. Nur, wie lautet dieser? Was könnte man schreiben? Welche Worte haben genug Macht, diese Grenze zu überwinden, dem Stift die Kraft zu verleihen, das Papier zu berühren? Ich weiß es nicht. Dafür habe ich keine Ideen. Denn den Bildern in meinem Kopf fehlen noch die Worte.
Worte sind etwas Tolles. Sie können dich entführen in fremde Welten - weit weg aus deiner eigenen Zeit oder nur ein paar Meter weiter. Das ist nicht wichtig. Sie haben eine Macht über dich, können dir Gedanken in den Kopf pflanzen, können dich zum Weinen oder zum Lachen bringen. Worte sind das Lebenswerk des Autoren, aber nur wenn er es schafft, diese Grenze zwischen Inspiration und Werk zu überwinden.
Wie könnte man es wagen, ein reines Blatt zu verunstalten? Ist die Geschichte es überhaupt wert, geschrieben zu werden? Vielleicht sind es Gedanken wie diese, die den ersten Satz zurückhalten. Vielleicht rede ich mir aber auch einfach nur etwas ein, weil ich nicht die Stärke habe, diese Grenze zu überwinden. Ich wünschte, ich hätte sie. Ich wünschte, ich könnte mit meinen Worten die Bilder malen, die meinen Kopf erfüllen.
Ich vermisse die Zeit, in der das Schreiben nicht notwendig war, um eine Idee zum Leben zu erwecken. Damals, als die Fantasie noch ausreichte, um überall und ohne jedes Hilfsmittel neue Welten zu erschaffen. „Ich bin jetzt ein Pferd. Und du ein Hund.“ Mehr brauchte es nicht. Zahllose Welten entstammen dieser Zeit, zahllose Ideen konnte ich mit Freunden teilen. Wir wahren Detektive, wir waren Elfen, wir waren Lehrer, Schüler, ganz normale Arbeiter, Familien, Tiere und alles, was wir uns vorstellen konnten. Aber es geht nicht mehr. Irgendwann habe ich verlernt, so in einem Spiel zu versinken, dass die reine Anwesenheit meiner Mutter mich aufschrecken konnte. Stattdessen sitze ich nun hier und versuche all die Ideen in Worte zu fassen. Doch die Worte wollen einfach nicht kommen. Als hätten sie sich gegen mich verschworen, als wollten sie, dass mein Stift niemals diese Grenze übertritt.
Ich stelle mir vor, Blatt und Stift seien zwei Magnete. Theoretisch müssten sie zusammengehören, sich anziehen und nie mehr wirklich getrennt werden können. Aber ich halte sie falsch. Irgendetwas mache ich verkehrt, sodass sie sich abstoßen, mit aller Macht gegeneinander drücken und mich davon abhalten, auch nur ein Wort zu schreiben. Dabei würde ich es so gerne. Es gibt Momente, da packt mich die Lust am Schreiben, da stauen sich einfach zu viele Ideen in meinem Kopf an, wie in einem Stausee, der über den Damm bricht. Meine Gedanken durchbrechen die Grenzen in meinem Kopf, sie wollen heraussprudeln, wollen fliegen wie in einem Springbrunnen; aber ein anderer Teil von mir hat einen weiteren Damm gebaut. Es wird sich ja wohl kaum der Stift dagegen wehren, benutzt zu werden. Also liegt es bloß an mir, also bin nur ich es, die die Gedanken und Ideen weiterhin unter Verschluss hält, indem ich eine weitere Grenze aufbaue. Und noch immer weiß ich nicht, warum ich das tue. Wenn ich so gerne schreiben möchte, warum halte dann ausgerechnet ich selbst mich davon ab?
Vielleicht liegt es daran, dass die Ideen in Bildern aus mir herausbrechen und im Stift in Worte umgewandelt werden müssen. Doch diese Umwandlung scheitert. Mir fehlen die Worte. Wortwörtlich. Mir fehlt tatsächlich dieser erste Satz, der alles ins Rollen bringt. In meinem Gedankenfluss hat sich etwas verkeilt; wenn ich nur dieses Stück lösen kann, dann fließt er wieder, wenn ich einmal die Grenze zwischen Stift und Papier überwunden habe, dann braucht sich der Stift nicht mehr zu lösen, dann habe ich die Magneten umgedreht. Doch weiß ich nicht wie.
Ich fühle mich manchmal tatsächlich wie ein Stausee, der überlaufen will, aber es nicht schafft, wie ein Ballon, der irgendwie davon abgehalten wird, zu platzen. Schreiben zu wollen und nicht schreiben zu können ist eines der schlimmsten Gefühle, die es gibt. Trauer, Schmerz, Wut und Verzweiflung, alles lässt sich in Worten verarbeiten; sie verringern die Last, die diese Emotionen bringen können. Aber wenn ich nicht schreiben kann, habe ich wirklich das Gefühl, bald platzen zu müssen. Es stellt sich eine Unruhe ein, eine Lustlosigkeit. Ich will schreiben, sonst nichts. Aber ich kann nicht.
Wenn man einen neuen Raum betreten möchte, muss man eine Tür öffnen. Genauso ist es mit der Welt einer neuen Geschichte. Der Schlüssel zu dieser Tür sind die ersten Worte. Die Bilder drücken gegen die Tür, aber um sie zu öffnen, fehlt mir der Schlüssel. Ich wünschte, ich könnte einfach drauf los schreiben, aber solange dieser erste Satz alles verkeilt und die Grenze zwischen Stift und Papier bildet, scheint es unmöglich. So findet keine einzige Idee, ihren Weg auf das Blatt, kein einziges Wort wird geschrieben und ich sitze noch genauso da wie vorher. Die Lust zu Schreiben verwandelt sich in Resignation. Ich gebe auf, finde mich damit ab, dass ich an diesem Tag wieder nicht schreiben werde. Es gibt die Zeiten des berühmt-berüchtigten KreaTiefs, aber sie sind nichts gegen jene, in denen die Inspiration zuschlägt, aber immer gefangen bleibt in dieser Zwischenwelt zwischen Gedanken und Schrift. Diese Grenze ist voller Bilder, Überlegungen und Gefühle und lässt doch nicht einmal ein kleines Bisschen davon hindurch. Und wenn ich es doch einmal schaffe, den Stift aufs Papier zu setzen und sogar zu bewegen, dann entsteht lediglich ein langer Strich, der höchstens entfernte Ähnlichkeit mit einem großen J hat. Vielleicht sollte meine Geschichte mit einem J beginnen. Aber der Strich ist viel zu groß, um das Blatt noch fürs Schreiben nutzen zu können. Also drehe ich es um. Vielleicht sind Stift und Papier ja doch Magneten. Jetzt haben sie die Möglichkeit, sich anzuziehen.
Mein Atem geht schnell und meine Hände zittern. Dies ist der höchste Punkt der Region, ein Ort, der durch die Wolken bricht und den Himmel berührt. Die dünne Luft sorgt dafür, dass sich mein Kopf noch leichter anfühlt als er es ohnehin schon tun würde.
Es ist eine der Grenzen, die ein Mensch nicht übertreten sollte. So heißt es zumindest. Niemand sollte sich mit Kräften anlegen, die das Vermögen der Menschheit übersteigen. Ich aber bin der festen Überzeugung, dass der Mensch das Recht dazu hat. Gewiss, er wird auch die Konsequenzen tragen müssen, daran besteht kein Zweifel. Aber dazu bin ich bereit.
„Naomi… Du bist sicher, dass du das tun willst?“, fragt mich Caru per Telepathie. „Ich spüre hier eine wirklich unheimliche Aura, die ich nicht klar erfassen kann. Das gefällt mir nicht.“
„Ich schätze deine Fähigkeiten“, sage ich ruhig und lege ihr die Hand auf die Schulter. „Aber es gibt kein Zurück mehr. Ich will es sehen und du doch auch. Das Wesen, das der Anfang von allem war. Wir wollten doch die sein, die den Gott aller Pokémon gesehen haben.“
Caru seufzt.
„Ich glaube eigentlich nicht, dass irgendein Mensch oder auch irgendein Pokémon den Gott aller Pokémon sehen sollte, nicht weil es ein unumstößliches Verbot wäre, sondern weil die Folgen unabsehbar sind. Aber falls doch, dann wären es wohl wir, oder?“
Ich nicke dankbar. Ich hatte ihr angeboten, nicht mitzukommen, aber das hatte sie abgelehnt. Und jetzt stehen wir hier, hoch über der Sinnoh-Region.
Ich setze meinen Rucksack ab und sauge tief die kalte Luft ein.
Ich und Caru, wir sind nie den Regeln gefolgt. Wir sind immer länger draußen geblieben, als meine verklemmten Eltern es erlaubt hatten. Wir haben uns Übungskämpfen aus Prinzip verweigert. Ich war nie ein Trainer in der Art, wie es die anderen Kinder waren. Und Caru war nie eines der Pokémon, die gehorsam jeden Befehl ausführten. Sie hätte von mir aus auch immer ein Riolu bleiben können, doch sie selbst hat ihre Entwicklung gewählt, als auch ich älter wurde. Ja, wir haben uns nicht um die Regeln gekümmert, die das Zusammenleben von Menschen und Pokémon vorschreiben. Manchmal glaube ich sogar, dass ich für Caru mehr als Freundschaft empfinde. Und ich spüre, dass es ihr ähnlich geht. Aber das ist für uns noch sehr verwirrend. Ja, wir haben immer Regeln gebrochen und Grenzen übertreten, aber wir wären der erste Mensch und das erste Pokémon, die sich wirklich lieben. Und obwohl mir bewusst ist, dass das im Grunde keine Rolle spielt, bin ich mir unsicher. Vielleicht werden wir diese Grenze auch irgendwann überschreiten. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ändern sich unsere Gefühle. Vielleicht aber auch nicht.
„Denk nicht so viel nach“, flüstert Caru und nimmt meine Hand. „Wenn du den Gott rufen willst, dann tu es jetzt. Besser wird’s eh nicht werden.“
Ich grinse, greife in meine Tasche und hole den zerbrechlich wirkenden Gegenstand heraus, der Azurflöte genannt wird. Es war recht schwierig, sie zu finden und die Art, wie wir sie uns beschafft haben, war sicherlich nicht ganz legal. Aber das spielt keine Rolle. Ich hebe die Flöte vor mein Gesicht. Ich kann eigentlich kein Musikinstrument spielen, geschweige denn diese ganz spezielle Flöte, aber es heißt, dass für die Wirkung keine derartigen Kenntnisse erforderlich sind. Langsam setze ich sie an meine Lippen und fange an zu spielen.
Es ist sehr merkwürdig, denn während ich die Flöte spiele, ertönt eine Melodie, bei der ich irgendwie nicht das Gefühl habe, dass ich sie bewusst herbeiführe. Sie scheint sich fast von selbst zu ergeben, ist aber wunderschön. Hell klingt die Musik über den Berg und erfüllt die Luft mit einer seltsamen, angenehmen Wärme.
Ich verliere mich fast so sehr in der Melodie, dass ich fast nicht bemerke, wie ein gleißendes Licht auf uns fällt. Erst als Caru mich am Arm zieht, höre ich mit dem Spielen auf und blinzele verwirrt.
„Naomi“, flüstert sie atemlos, „sieh doch, da…“
Sie zeigt nach oben und ich muss mein Gesicht mit den Händen abschirmen, um in die Richtung zu sehen, in die sie zeigt. Dort, mitten in der Luft, schwebt eine helle, weiße Gestalt, umgeben von einem goldenen Ring.
„Arceus“, hauche ich gebannt.
„Es ist ruhig“, sagt Caru, „ich spüre keine negativen Emotionen in ihm.“
Plötzlich bewegt sich die weiße Gestalt und fliegt auf uns zu. Ich schlucke und in mir kommt der Wunsch auf, einfach wegzurennen, aber ich bleibe stehen. Ich kann Carus Urteil vertrauen und wenn sie sagt, dass es in Ordnung ist, dann ist es auch so. Außerdem laufe ich nie weg. Wir laufen nie weg. Wir stellen uns allem, was kommen mag und bewahren uns unseren Schneid. Ich fühle, wie ich wieder mutiger werde. Im Grunde besteht doch kein Unterschied zu den Lehrern aus der Schule. Man hält sie immer für so mächtig, aber wenn man ihnen mal die Stirn bietet, werden sie in der Regel ganz klein.
Sanft landet das gigantische Pokémon vor uns. Immer noch strahlt es so hell, dass ich es nicht direkt ansehen kann.
„Du blendest mich“, sage ich ruhig, aber bestimmt. „Kannst du vielleicht mal die Glühbirne rausdrehen?“
Das Licht verschwindet sofort.
„Besser?“, ertönt eine etwas spöttische, aber donnernde Stimme.
„Ein wenig“, sage ich und lächele.
„Provozier es nicht“, warnt mich Caru, fügt aber sogleich hinzu. „Auch wenn es offenbar aus irgendeinem Grund eine große Show abziehen muss.“
Arceus antwortet mit einem grollenden Lachen.
„Hey, es hat Humor“, sage ich lässig.
„Ich muss sagen, ihr gefallt mir“, sagt Arceus gut gelaunt.
„Ich wünschte, ich könnte das Kompliment zurückgeben“, scherzt Caru.
Erneut lacht Arceus.
„Nun lach mal nicht immer so blöd“, sage ich.
„Oh, ich bitte um Verzeihung“, sagt Arceus und senkt wie zu einer Verbeugung den Kopf. „Aber ihr seid wunderbar erfrischend. Nun denn, was wollt ihr eigentlich von mir? Es muss ja wohl einen Grund geben, warum ihr mich gerufen habt.“
„Tja, also eigentlich wollten wir nur mal Guten Tag sagen“, sage ich achselzuckend. „Aber wenn wir schon mal hier sind: Warum lässt du zu, dass irgend so ein Vollidiot, der mal genau an dieser Stelle hier stand, beinahe die Welt zerstört?“
„Genau“, sagt Caru, „und warum habe ich mir letzte Woche den Zeh gestoßen?“
Arceus seufzt.
„Ja, was nun?“, fragen Caru und ich gleichzeitig.
„Nun, um ehrlich zu sein“, sagt Arceus, „bin ich auch nur ein Pokémon. Ein sehr mächtiges, sicherlich, aber dennoch nur ein Pokémon. Ich bin kein ‚Gott‘, dazu haben mich die Menschen gemacht. Also sehe ich nicht, warum ich mich um alle Probleme kümmern soll, die ihr habt, wo das doch selbst mich überfordern würde.“
„Also gibt es keinen wirklichen Gott? Du bist also auch nur ein Loser wie wir alle?“, frage ich.
„Ob es einen Gott gibt, wie die Menschen ihn sich vorstellen, weiß ich nicht, ich bin’s jedenfalls nicht. Aber ja“, sagt Arceus schmunzelnd, „ich bin auch nur ein ganz gewöhnlicher Loser. Und es ist nicht das Schlechteste. Sonst noch etwas?“
Ich schüttele den Kopf.
„Von meiner Seite aus nicht. Caru?“
„Nein, ebenfalls keine weiteren Fragen.“
„Mal ehrlich“, sagt Arceus und mustert uns skeptisch, „warum seid ihr wirklich hier?“
Ich überlege kurz, dann ziehe ich ein ziemlich zerknittertes Blatt Papier aus meiner Tasche.
„Deswegen“, sage ich und halte es in die Luft. Arceus kommt näher und sieht sich das Blatt an.
„‚Dinge, die wir getan haben wollen, bevor wir sterben‘“, liest es vor und murmelt anschließend die Ziele vor sich hin, die Caru und ich uns gesetzt haben: „Von zu Hause abhauen, dem Champ ein Bein stellen, mitten in einem Wettbewerb auf die Bühne stürmen, am geweihten Turm lecken, ein Enton ohne Kopfschmerzen finden…“
„Lies einfach die Nummer 27“, sage ich ungeduldig.
„Gott verspotten. Aha.“
„Jep“, sagt Caru.
„Dann könnt ihr ja zufrieden sein.“
„Sind wir“, nicke ich. „Und sorry für die Störung. Eigentlich bist du ganz nett.“
„Danke“, sagt Arceus trocken, aber offenbar auch glücklich.
„Wir würden dich ja gerne wieder besuchen kommen“, sagt Caru.
„Aber jedes Mal den Berg hier hoch zu laufen, das ist schon ziemlich nervig“, beende ich den Satz. „Hättest dich vielleicht zentraler einrichten sollen, mit einer vernünftigen Verkehrsanbindung oder so.“
„Dann würden mich nur die vielen Leute nerven“, gibt Arceus zurück.
„Stimmt auch wieder“, sage ich.
„Niemand versteht das besser als wir“, bekräftigt Caru.
Arceus erhebt sich in die Luft.
„Dann kann ich ja wieder abhauen. Macht es gut und viel Glück noch und so…“
„Die berühmte göttliche Weisheit“, murmele ich Caru zu. Sie kichert.
„Was hast du gesagt?“, fragt Arceus.
„Nichts“, sagen Caru und ich gleichzeitig. „Schönen Tag noch!“
Und während wir winken, verschwindet es wieder, indem es hoch in den Himmel fliegt, bis es nicht mehr zu sehen ist.
„Tja, das war es“, sagt Caru ruhig.
„War gar nicht so schlimm, wie wir dachten, oder?“, frage ich.
„Nein, allerdings nicht.“
Eine kurze Stille tritt ein.
„Glaubst du“, fragt Caru, „es wird sehr sauer werden, wenn wir es gleich noch einmal rufen?“
„Nur ein Weg, das herauszufinden“, sage ich lachend. „Willst du vielleicht diesmal?“
basiert auf dem Online-Spiel und Third-Person-Shooter „Plants vs. Zombies: Garden Warfare“, bei dem Pflanzen und Zombies um die Vorherrschaft auf den verschiedenen Maps kämpfen.
Ich hetzte über die Straße. Gerade in diesem Moment flog eine erbsengroße Kugel knapp an meinem Kopf vorbei und traf einen halb ausgerissenen Baum hinter mir. Im Grunde konnte mir egal sein, wo sie aufprallte; ich musste nur vorwärts kommen!
Zwischen meinem Gegner und mir befanden sich nur wenige Meter. Ein Kampf auf offener Straße, den mein Feind wieder eröffnete. Reflexartig wich ich nach links aus und bemerkte mit einem Schulterblick, dass meinem Freund der Kopf vom Körper fiel und sein Leib in das frisch gemähte Gras sank. Anstatt nach ihm zu rufen, setzte ich einfach meinen Weg fort und war glücklich über diese Fügung. Immerhin quälte ihn so seine ständige Migräne nicht mehr.
Mit einem gequälten Lachen legte ich nun mein Maschinengewehr an und traf mein Gegenüber mit einer Salve an seinem wunden Punkt, sodass er zu Boden glitt. Keine zwei Momente später entschloss sich bereits eine tapfere Sonnenblume, ihrem verwundeten Kollegen zu helfen und ihn wieder unter die Lebenden zu holen. Erneut versuchte ich zu schießen, nur um zu bemerken, dass mein Magazin leer war.
Verdammt. Mit einem anständigen Gehirn wäre mir das nicht passiert.
Während ich nachlud, hatte sich ein weiterer meiner Freunde, ein Football-Spieler, zu uns gesellt und ließ seiner Zerstörungswut freien Lauf. Mit Dauerfeuer bearbeitete er die feindliche Heilerin und die am Boden liegende grüne Erbsenkanone und jodelte derweil einen unverständlichen Kauderwelsch. Nicht einmal ich mit meinem begrenzten Wissen konnte ihn verstehen und das sollte schon was heißen!
Grund zur Freude blieb allerdings wenig, denn unmittelbar nach seiner vollendeten Tat und einem weiteren Jubelschrei schlich sich von hinten ein Schnapper an, welcher sein violettes Maul weit aufriss und sich meinen Kumpel als Ganzes einverleibte. Genüsslich kaute er nun auf diesem herum, schluckte ihn daraufhin und rülpste zufrieden. Was für ein Biest!
Ich befand mich in Kauerstellung und wartete schon darauf, dass sich der Schnapper nun auf mich stürzen würde. Doch ohne mich eines Blickes zu würdigen, bewegte sich die fleischfressende Pflanze einige Schritte weiter und bohrte sich danach in den Erdboden, um sich nun unterirdisch fortzubewegen. Gedankenlos lief ich nach vorn und rückte dabei meinen Helm zurecht. Nicht auszudenken, was gewesen wäre, wäre ich schon vorhin gedankenlos losgelaufen.
Ich bahnte mir nun meinen Weg über die Straße und zum nächsten Garten; voll bewaffnet und mit dem Bewusstsein, das Schlachtfeld einzunehmen. Wofür hatte ich schon vergessen, aber das sollte ja nicht weiter von Belang sein. Wann hatte Krieg schon je Sinn gemacht?
Auf meinem Weg begegnete mir eine weitere gefallene Sonnenblume, die sich noch an ihr letztes bisschen Leben klammerte. Ich legte erneut mein Gewehr an und überraschte mit einigen viel zu gut platzierten Schüssen eine Erbsenkanone, die ihrerseits nur Augen für einen unserer Wissenschaftler gehabt hatte. Der wurde zwar vernichtend geschlagen, doch folgte ihm die feindliche Artillerie mit einem nicht definierbaren Schrei hinterher.
Ich grinste verschmitzt. Die erste gute Tat an diesem langen Tag.
Hinter einer Deckung verschnaufte ich kurz, ehe ich sah, dass das Magazin schon wieder leer war. Wer war eigentlich dieser Konstrukteur, der permanent zu wenig Schuss in so ein Magazin presste? Die konnten doch nicht erwarten, dass wir auf dem Schlachtfeld so schnell schalteten und nachluden, oder?
In meiner Deckung sah ich um die Ecke. Ein bemerkenswert versteifter Kaktus stand mit hoch erhobenen Händen auf dem nächstbesten Dach und zielte von dort mit hochsicherer Präzision auf weitere meiner Freunde. Einer nach dem anderen fiel dem Scharfschützen und seinen spitzen Nadeln zum Opfer. Schließlich befand er die Situation für sicher, dass er sich selbst vom Dach begab und nach dem Rechten sah.
Mutig wagte ich mich aus meinem Versteck und stellte diesem gefährlichen Feind nach. Meiner Voreiligkeit zu schulden hatte ich jedoch eine weitere Sonnenblume nicht gesehen, die ihrerseits erholende Sonnenstrahlen zu dem Kaktus schickte. Beide hatten mich noch nicht gesehen, allerdings bedankte sich dieser nun mit einem merkwürdigen Gurgeln bei der Heilerin.
Ich beschloss sofort, mir einen anderen Weg zu suchen. Gar nicht auszumalen, was gewesen wäre, wenn ich noch früher gedankenlos losgelaufen wäre.
Es dauerte auch gar nicht lange, bis ich einen weiteren Football-Spieler entdeckte, der mit röhrendem Gelächter über das Schlachtfeld marschierte und ein Massaker anrichtete. Erbsenkanonen, ja sogar Schnapper waren unter seinen Opfern, die sich vor dem Kugelhagel seiner Minigun gar nicht retten konnten. Auch ein Kaktus war darunter; vielleicht sogar derselbe, den ich vorhin gesehen hatte, aber die sahen doch alle gleich aus.
Mit einem merkwürdigen Grunzen gab er mir zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte, was ich schlussendlich auch tat. Recht weit kamen wir allerdings nicht, da er mit einem unbedachten Schritt in einer Rankenfalle landete. Diese wickelte sich um sein Bein, reckte sich in die Höhe und ließ meinen Kumpel nun unbeholfen und hilflos hängen.
Ich wollte ihm schon zu Hilfe eilen, als sich plötzlich mit einem lauten Grummeln und Rumoren ein Schnapper aus der Erde bohrte und den Football-Spieler mit einem Haps verschlang. Nach getaner Arbeit zog er seines Weges und suchte sich bereits sein nächstes Opfer, um ihm aufzulauern.
Ohne darüber nachzudenken folgte ich ihm und schoss wie wild auf ihn ein, sodass er sich nun doch interessiert zu mir umdrehte und die Ursache für die Schmerzen herausfinden wollte. Während ich mein Gewehr nachlud, bemerkte ich erst, dass der Schnapper gar keine Augen hatte; zumindest keine sichtbaren. Warum machte ich mir eigentlich um so etwas in dieser Situation Gedanken?
Ein paar wenige Schüsse reichten im Nachhinein aber, um ihn zu Boden zu strecken, sodass ich meinen unbeständigen Lauf über einige kleine Hügel fortsetzen konnte. Ein Blick zu meiner Linken verriet mir, dass sich eine Erbsenkanone zum Schießen bereit gemacht hatte und eine Sonnenblume ihre Wurzeln eingrub, um mehr Standfestigkeit zu bekommen.
Reflexartig warf ich mich auf den Boden, nur um knapp einer Salve an erbsengroßen Geschossen und einem gebündelten Laser aus Sonnenlicht zu entgehen, der wiederum einen Soldaten niederstreckte und ihm den Garaus machte. Sein Tod war jedoch schnell vergessen, als sich den beiden Feinden von hinten einige weitere Soldaten annäherten und sie beschäftigen. Das gab mir die Zeit, mich wieder aufzurichten, meine Waffe zu nehmen und mich selbst wieder ins Getümmel zu stürzen.
Mit Dauerfeuer schritt ich auf die eingewurzelte Sonnenblume zu, die ihrerseits nicht viel durch den Kugelhagel entgegen zu setzen hatte und leblos zu Boden sank. Ein orangefarbener Kaktus kam seinen Mitpflanzen zu Hilfe und unterstützte sie mit gewissenhaften und präzisen Schüssen. Auch einer unserer Wissenschaftler konterte mit den Laserstrahlen seiner Pistole, während er für Heilung sorgte, doch sollte mich dies nicht mehr kümmern.
Unvorsichtig, wie ich nun geworden war, hatte ich eine Rankenfalle nicht gesehen und wurde flugs an einem Bein hochgehoben. Wie wild zappelte ich, um mich zu befreien, jedoch war alles vergeblich. Besonders angesichts der roten Chilibohnen-Bombe, die mir eine der Erbsenkanonen entgegen warf.
Ich wusste, dass dies mein Ende sein würde. Mit starrem Blick sah ich auf die Bohne, welche ihrerseits wie verrückt lachte und mir nur noch wenige Sekunden gab.
Wie kam es überhaupt so weit? Warum taten wir das? War hier vielleicht doch eine höhere Macht im Spiel oder warum bekämpften wir uns bis auf den letzten Garten in dieser Welt?
Keine dieser Fragen war für mich von Belang. Mit meinem letzten Atemzug schrie ich meine letzten Worte in die Welt.
„Gehiiiiiiiirne!“
Fandom: UndertaleIn der Welt von Undertale gibt es zwei Rassen: Menschen und Monster. Nach einem Krieg wurden die Monster besiegt und mit einer magischen Barriere unter der Erde versiegelt. Als Spieler schlüpft man in die Rolle eines Menschen, der in den Untergrund gefallen ist. Man kann entscheiden, ob man die Monster, die einem begegnen, tötet oder ob man sie verschont, was Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf hat. Diese Geschichte spielt während dem Genocide-Run, wo man ausnahmslos jedes Monster tötet und deswegen von allen gefürchtet wird.
Hinweis: Einzelne Passagen dieser Geschichte wurden aus dem Spiel übersetzt und nur leicht abgewandelt übernommen.
Endlich. Endlich habe ich diesen verdammten Menschen wieder aufgespürt. Es ist ein Bild der Verwüstung, das er auf seinem Weg hinterlassen hat. Jeder, jedes Monster, das nicht rechtzeitig vor ihm fliehen kann, ist dem Tode geweiht. Ich muss ihn aufhalten. Wer außer mir wird dazu schon in der Lage sein? Wer außer mir, Undyne, der Anführerin der königlichen Garde? König Asgore, ich werde Euch beschützen. Ich werde Euch die Seele dieses Menschen aushändigen, damit Ihr die Barriere durchbrechen und die Welt zurückerobern könnt!
Ich beobachte den Menschen, wie er einen Raum durchquert, der von einigen Finsternislaternen dunkel gehalten wird. Er scheint sich immer noch nach Monstern umzusehen, die er noch nicht abgeschlachtet hat. Doch niemand kommt mehr. Dies ist kein guter Ort, um gegen ihn zu kämpfen. Ich werde warten, bis er einen Ort erreicht, wo ich ihn direkter angreifen kann. Hinter diesem Raum liegt eine offenere Stelle. Dort werde ich ihn überraschen. Dort werde ich ihn vernichten.
Der Mensch betritt den Ort. Zu blind, zu sehen, dass er in eine Sackgasse hineinläuft. Eine Sackgasse, aus der er niemals wieder entkommen wird.
"Hinter dir, Mensch", sage ich und grinse unter meinem metallenen Helm, als er sich langsam umdreht und mich bemerkt. So jung, so unschuldig sieht er aus, doch klebt an seinen Händen das Blut von hunderten Unschuldigen.
"Sieben", sage ich. "Sieben menschliche Seelen. Mit der Kraft von sieben menschlichen Seelen wird unser König, König Asgore Dreemurr, ein Gott werden. Mit dieser Macht wird Asgore endlich die Barriere zerschmettern. Er wird die Oberfläche von den Menschen zurückerobern und ihnen den Schmerz und das Leiden zurückzahlen, das wir ertragen mussten. Verstehst du das, Mensch? Dies ist deine einzige Chance, es wiedergutzumachen. Gib deine Seele auf oder ich werde sie dir mit bloßen Händen aus dem Leib reißen!"
Ich erschaffe mir einen blauen Speer aus Magie und richte ihn auf mein Ziel. Die Wassertropfen, die beständig von den Wänden und der Decke dieser finsteren Höhle auf den Boden treffen, scheinen ihm noch ein letztes Abschiedslied zu singen. Erneut grinse ich, als ich auf ihn zu renne, meinen Speer nur auf ihn gerichtet. Alphys, Asgore, all die anderen ... Ich werde euch befreien.
"Undyne! Ich will dir beim Kämpfen helfen!" Eine süße Stimme hält mich auf und ich bleibe gerade noch rechtzeitig stehen, als mir ein Monsterkind, eine kleine gelbe Echse, so unschuldig, wie sie nur sein könnte, genau in den Weg springt. Es sieht erst mich an, dann den Menschen. "Yo! Du hast es geschafft! Undyne steht genau vor dir! Du kannst ihren Kampf aus der ersten Reihe sehen!", ruft das Kind ihm zu. Was ist nur los mit ihm? Warum hat es keine Angst? "Warte ... Gegen wen kämpft sie überhaupt?" Jetzt reicht es mir. Ich kann nicht verantworten, dass dieser Mensch sich auch noch an einem unschuldigen Kind vergreift. Warum ist es überhaupt hier? Warum wurde es nicht mit allen anderen evakuiert? Warum benimmt es sich so, als wäre der Mensch sein Freund?
Ich packe das Kind und gehe. Es ist mir gerade egal, ob ich den Menschen an einer weniger praktischen Stelle bekämpfen muss. Das hier hat Vorrang.
"Hey!", ruft das Kind mir zu. "D-du wirst meinen Eltern doch sicher nichts davon erzählen, oder?"
Als wir weit genug von dem Menschen entfernt sind, wende ich mich dem Kleinen zu. Ich nehme meinen Helm ab.
"Halte dich von dem Menschen fern. Verstanden?", sage ich mit ernstem Blick.
"A-aber er ist mein F-freund", antwortet das Kind.
"Er ist nicht dein Freund", sage ich belehrend, "er hat schon viele Unschuldige verletzt. Ich will nicht, dass er dich auch verletzt. Also bleib ihm fern. Zu deinem eigenen Wohl."
Das Kind schaut enttäuscht zu Boden. "D-das glaube ich nicht. Aber ... o-okay." Es blickt mir kurz in die Augen. Dann rennt es stolpernd davon.
Ich seufze. Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren. Ich muss den Menschen aufhalten. So schnell wie möglich. Ich weiß, wo er jetzt sein wird, es gibt nur einen Weg. Schnell renne ich dorthin. Auf einer schmalen Holzbrücke über einem tiefen Abgrund sehe ich den Menschen. Und ... das Kind schon wieder? Warum um alles in der Welt hat es nicht auf mich gehört?
"W-wenn du irgendjemanden verletzen willst, d-dann ... dann m-musst du erst an mir vorbei!", höre ich es sagen. Ist es jetzt wahnsinnig geworden? Ich habe es gerade noch gewarnt, und jetzt ... Der Mensch schaut das Kind ausdruckslos an, als wäre es nur ein Hindernis, das ihm im Weg steht. Er fängt an, es zu treten. Ich springe auf und stelle mich vor das kleine Monster. Ein mächtiger Hieb trifft mich. Mein Körper erzittert.
"Undyne, du ... du bist verletzt", sagt das Kind besorgt.
"Verletzt? Pff, es ist nichts", antworte ich. "Nächstes Mal hörst du darauf, wenn ich dir sage, dass du verschwinden sollst, verstanden?"
"Undyne, ich--", stammelt das Kleine.
"Ich übernehme", sage ich mit möglichst fester Stimme. "Verschwinde von hier!" Ich sehe, wie das Monster mich und den Menschen traurig anblickt und dann endlich verschwindet. Es muss in ihm wirklich irgendetwas gesehen haben, so unverständlich es mir auch ist.
Mein Körper fängt an zu kribbeln. Meine Beine ... als wären sie nur noch Einzelteile, die in jedem Moment auseinanderfallen könnten. Heh, "es ist nichts" ... Mit einem einzigen Hieb ... Ich spüre einen stechenden Schmerz in meinem Oberkörper. Als wäre ich jetzt schon, nach einem einzigen Treffer ... Ich gebe alles, um das Kribbeln zurückzuhalten. Ich gebe alles, um meinen Körper davon abzuhalten, in Millionen Einzelteile zu zerspringen. Ach, verdammt! So viel Stärke, so viel brutale Stärke, und so wenig Gewissen ... Papyrus, Alphys, Asgore ... Ich habe versagt. Hier und jetzt habe ich versagt. Und euch im Stich gelassen. Wenn ich doch nur irgendetwas hätte tun können, den Menschen aufhalten, die Welt retten ... Euch retten.
Mein ganzer Körper kribbelt nun, jeden Moment wird es so weit sein. Es darf nicht sein. Es darf nicht! Nein! Ich darf nicht aufgeben! Ich muss weitermachen. Ich muss weiter gehen, als jedes Monster je gegangen ist. Ich muss die Schwäche meiner Seele überwinden. Ich muss ... meine eigenen Grenzen ... sprengen. Für dich, Alphys. Alphys ...
Was ist das? Was fühle ich da? Tief in meiner Seele ... Ein brennendes Gefühl. Ein Brennen in meiner Seele, es wird mich nicht sterben lassen. Es geht hier nicht mehr nur um Monster. Wenn ich dich an mir vorbei lasse, wirst du ... Du wirst sie alle zerstören, Mensch, nicht wahr? Ob Monster, ob Menschen. Sie alle werden sterben. Ihre Hoffnungen und Träume ... Sie werden zerbrechen, zersplittern an deiner Faust, nicht wahr? Zerschmettert in einem Augenblick. Aber das kann und werde ich nicht zulassen. Ich spüre die Herzen der Welt, sie schlagen als eines. Und wir alle haben ein Ziel. Dich zu zerstören! Mensch ... nein, was auch immer du bist. Im Namen der ganzen Welt werde ich, Undyne, dich vernichten!
Mein Körper beginnt erneut zu kribbeln, aber es ist kein unangenehmens Kribbeln wie zuvor. Er kribbelt vor Stärke, erfüllt von dem Willen, es hier und jetzt zu beenden. Mein Körper kribbelt vor Entschlossenheit. Ich fühle mich stark, so stark wie nie zuvor. Ich fühle, wie mein Körper sich verändert. Ist das überhaupt möglich? Kann ein Monster solche Kräfte freisetzen? Ich dachte, die Entschlossenheit gehört allein den Menschen, doch nun ... Nun kennt meine Kraft keine Grenzen mehr! Ich, Undyne, weigere mich zu sterben!
Das Kribbeln lässt nach und ich kann wieder klar sehen. Mein neuer Körper fühlt sich gut an, unglaublich gut. Jetzt hat die letzte Stunde dieses ... Wesens geschlagen, das da vor mir steht. Sein sonst so ausdrucksloses Gesicht sieht überrascht aus.
"Du wirst mehr brauchen als das, wenn du eine Chance gegen mich haben willst", sage ich und grinse breit. Ich richte meinen Speer auf den Feind und bereite meinen ersten magischen Angriff vor.
Ich werde nicht sterben. Ich werde die Welt retten. Ich, Undyne, die Unsterbliche.
Patrick fühlte sich großartig. Das Adrenalin, das Gefühlder Gemeinschaft, ein richtiges Machtgefühl… er liebte es einfach. SeinerAnsicht nach war es das Beste, das ihm passiert war, sich dieser Gruppeanzuschließen. Er fand die Leute großartig, gemeinsame Unternehmungen machtenSpaß, er spürte, dass er auf den Demos etwas verändern, bewegen konnte. Sicher,die Vereinigung in der er war, hatte nicht den besten Ruf. Aber diejenigen, diegegen sie hetzten, hatten ja ohnehin keine Ahnung! Immerhin ließen sie eseinfach zu, dass Abermillionen an fremden Menschen aus einer menschen- undfrauenverachtenden Kultur nach Deutschland strömten. Das war seine festeÜberzeugung! Das konnte doch so nicht weitergehen!
Genau deswegen war er auch auf die Straße gegangen. Mitseiner etwas kleineren, schlanken Statur ging der Jugendliche in der Masse anLeuten förmlich unter, nur durch seine gut gebräunte Haut und die schwarzenLocken konnte man ihn identifizieren. Wie die meisten anderen in der Gruppetrug er ein T-Shirt mit Aufschriften wie „Wir sind das Volk!“ oder „Deutschlandden Deutschen!“. Ja, er war auf einer Demo der PEGIDA, die vor einerFlüchtlings-Erstunterkunft ihre Parolen wetterte. Wie so oft. Trotzdem wolltedie Regierung es einfach nicht einsehen, dass das zu viel war!
Recht lange dauerte es aber auch nicht, und nachdem dieMasse lauter wurde und angefangen hatte, an den Absperrungen zu rütteln, war esden Wachleuten zu viel geworden und sie forderten Verstärkung an. WenigeMinuten später wurde die Versammlung unter großem Polizeiaufwand aufgelöst.Angemeldet waren sie ja nicht gewesen.
Glücklich war Patrick aber auf jeden Fall nicht darüber.Zwar wehrte er sich nicht wie viele andere gegen die Polizei. Trotzdem machteer seinem Wut Luft. Online. Wie viele andere auch auf Facebook. Das war jaungerecht, ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit! Die Polizei und dieRegierung waren doch mindestens genauso kriminell wie die Flüchtlinge. Da warer sich sicher.
Jetzt hatte er aber ein Problem. Was sollte er noch tun?Ein Blick auf die Uhr seines Smartphones verriet ihm, dass es erst späterNachmittag war. Heimkommen würde er erst in einigen Stunden können. „Mh…“ Erüberlegte kurz, dann entschied er sich dafür, noch etwas in einen Pub zu gehen,zwei Straßen weiter. Schaden konnte es ja nicht.
Einige Stunden und ungefähr doppelt so viele Bier späterverließ er den Pub leicht torkelnd wieder. War vielleicht doch keine so guteIdee gewesen… Jetzt konnte er nicht mehr richtig nachdenken, geschweige denngehen. Wo war nochmal sein Zuhause? Ah, ja, er erinnerte sich wieder. Gar nichtso weit weg, nur einmal quer durch den Park, dann war er so gut wie zu Hause.Hoffte er zumindest. Aber es sollte schon stimmen.
Er blickte kurz nach links und rechts, um sich zuvergewissern, dass kein Auto im Anmarsch war, dann überquerte er die Straße undbetrat den schwach beleuchteten Park, durch den er gemächlich schlenderte.Teils, weil er es nicht eilig hatte, teils, weil er nicht schneller konnte.
Irgendwann, vielleicht nach der Hälfte, vielleicht auchnach drei Vierteln des Weges, wurde er aber plötzlich von hinten angesprochen. „Hedu Ausländer! Scher dich z’rück zu deinen Museln!“ „Huh?“ Patrick war ziemlichüberrascht. War er gemeint? Nein, sicher nicht. Immerhin war er ja Deutscher,mit Leib und Seele! „Ja, genau dich Hackfresse hab‘ ich gemeint!“ Alsoanscheinend doch er. Aber wieso? Er drehte sich um, wobei er leicht wankte. DerAlkohol zeigte nun einmal seine Nachwirkungen. Der Typ vor ihm war nurgeringfügig größer als er, aber um einiges muskulöser (was jetzt auch nicht so eineSchwierigkeit darstellte), schaffte es aber trotzdem, sich bedrohlich vor ihmaufzubauen. „Abba isch bin Deutscher…“ Er hatte hörbar Probleme mit derAussprache. „Hört sich aber nicht so an, verzieh dich!“ Mit dem war scheinbar nichtgut Kirschen essen. Was hatte der eigentlich für ein Problem? Trotzdem, ersollte lieber abhauen. „Isch geh ja scho-“ Weiter kam Patrick nicht. Denn nochbevor er sich umdrehen konnte, landete eine Faust in seinem Magen. Schmerzerfülltstöhnte er auf und ging zu Boden. „Red‘ ordentlich mit mir!“ Oder irgendwiesowas… Der Schmerz, in Verbindung mit dem Alkohol, beschränkten seineWahrnehmung. Zum Glück. Denn es dauerte nicht lange, da setzte es den nächsten Schlag.Und noch einen. Immer mehr Schläge, aber auch Tritte, obwohl er schon auf demBoden lag.
Als er schon gar nicht mehr damit rechnete, hörten dieSchläge plötzlich auf. Hatte der endlich aufgehört? War es ihm zu blödgeworden? Wie durch Watte hörte er eine ihm unbekannte Stimme, die jemandenanfuhr. Dann die Stimme des Typen von vorhin. Und kurz darauf Schritte, diesich schnell entfernten.
Vorsichtig öffnete er die Augen. Alles war nochverschwommen… dennoch erkannte er eine Hand und zwei Augen, die ihn besorgtmusterten. Warte…die Hand war, soweit er das Erkennen sollte, schwarz. Wassollte das denn jetzt? Die halfen doch keinem… zumindest dachte er das. Dasbesorgte „Du okay?“ ließ ihn, trotz stark gebrochenem Deutsch, aber andereGedanken fassen. Zaghaft ergriff er die Hand des Fremden – ein mindestens zweiMeter großer, muskulöser Afrikaner. Patrick nickte kurz. „J-ja, geht…danke…“Anscheinend hatte dieser Fremde den anderen verjagt. Vielleicht sollte er mitihm einmal reden, wenn er nicht betrunken war. Er schien nett zu sein.Vielleicht waren doch nicht alle so, wie er gedacht hatte? Auch wenn Patrickdas bezweifelte, die Möglichkeit blieb in seinem Kopf.
Wenn man den Blick zum Himmel hebt, sollte man meinen er ist grenzenlos. Ein tiefes Blau in jeder Schattierung, die man sich nur vorstellen kann. Unendlich viele Nuancen einer einzigen Farbe, unendlich viele Möglichkeiten. Selbst wenn schwere graue Regenwolken einen strahlenden Himmel verdecken, weiß man dennoch, das der Himmel hinter diesen Milliarden von winzigen Wassertropfen nicht einfach endet. Und in der Nacht, oh nachts, dann glänzen unendlich viele Sterne vor einer samtenen Dunkelheit und flüstern dir deine sehnlichsten Wünsche und Träume ins Herz.
Aber all das scheint nichts mehr zu bedeuten, wenn der Blick auf den Horizont fällt, an dem Himmel und Erde sich zu berühren scheinen. Denn die Erde ist definitiv nicht unendlich, und auch wenn es uns manchmal so vorkommt, ist eine Tatsache fest in unseren Köpfen verankert: es gibt niemals genug Platz für jeden von uns. Denn Misstrauen und Egoismus gehören zu den größten und schwerwiegendsten unserer Fehler; und am Ende kämpft doch jeder nur für sich allein.
Ich erinnere mich noch genau an diesen Moment; die Luft in dem winzigen Raum, den wir einmal unser Zuhause genannt haben, war schwer und stickig, mit jedem Atemzug sog man Staub in seine Lungen. Diffuses Licht viel durch das notdürftig verdunkelte Fenster, und doch waren die Spuren des Angriffs nicht zu übersehen. Überall lagen Scherben, abgesplittertes Holz, zertrümmertes Gestein. Das Zimmer war vollkommen kahl, binnen weniger Sekunden war alles, was wir besessen hatten, zerstört worden. Ein Wunder, dass die Hauswände noch standen.
Ein ohrenbetäubendes Geräusch zerriss die Luft und die Erde bebte nach dem Einschlag des Geschosses, das nicht allzu weit von uns entfernt eingeschlagen haben musste. Das leise, gequälte Wimmern meines Sohnes hallte durch den Raum. Ich hatte noch nie ein so schreckliches Geräusch gehört. Zahra kniete neben ihm auf dem Boden, strich ihm immer wieder die Haare aus dem verklebten Gesicht und bemühte sich, ihn zu beruhigen, während sie sich zwang, ihr eigenes Schluchzen zu unterdrücken. Sie rief mich zu sich, doch ich konnte mich keinen Millimeter rühren. Wie konnte ich nur zusehen, wie mein eigener Sohn vor meinen Augen starb? Er war doch erst drei... Ich wagte kaum zu atmen während Schmerz und Hilflosigkeit mich in riesigen Wellen übermannten.
„Omar.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, brach schließlich ganz. „Er... er ist...“
Zahra sah mich an, Tränen standen in ihren Augen, die im schummrigen Licht grau erschienen. Meine Gefühle spiegelten sich in ihrem Blick, den ich nie wieder vergessen würde. Es war genau dieser Moment, in dem mir klar wurde, dass uns nichts anderes übrig bleiben würde, als zu fliehen. Wir konnten nichts anderes tun als zu gehen.
Die Menge schiebt sich hin und her, als wäre sie ein eigenes Wesen und nicht tausende von Menschen. Es ist schrecklich schwül und die Luft stinkt nach Schweiß. Nur wenige Meter vor uns ragt der Zaun auf, nur wenige Meter trennen uns von unserem Ziel. Verzweifelt greife ich nach Zahras Hand, als die Wachen einige Schritte auf uns zu machen, die riesigen Waffen auf uns gerichtet. Langsam umkreisen sie uns, sodass wir uns immer näher aneinander pressen müssen. Wir sind gefangen, eingepfercht wie Tiere.
„Nur einen Schritt und wir schießen!“ Die Stimme klingt monoton, wie eine Maschine. Ist das überhaupt ein Mensch, der da droht, uns zu erschießen, sollten wir auch nur einen Schritt in die Nähe der Grenze wagen? Hinter diesem Zaun liegt das Ziel, die Freiheit, für die wir alle jeden Tag unser Leben riskieren und tausende Kilometer auf uns nehmen. Ich darf der Versuchung nicht erliegen, darf nicht den Kopf verlieren. Wir sind so nah dran.
Ehe ich auch nur begreifen kann, was passiert, klingt ein gellender Schrei in meinen Ohren. Ein Ruck geht durch die Menge, als eine Handvoll Männer auf einen Wachposten zustürmen. Schüsse zerreißen die Luft. Jemand neben mir brüllt auf, schreit, und rennt los, kämpft sich durch die Menge, bis er bei mir angekommen ist und mich unsanft aus dem Weg stößt. Ich spüre, wie Zahras Hand aus meiner gerissen wird, als er an uns vorbei auf den bewaffneten Mann zu hastet, der uns am nächsten ist. Panisch sehe ich zu meiner Frau, doch ich kann sie nicht sehen.
Ein einzelner, weiter Schuss fällt und meine Welt liegt in Scherben.
Das Gras färbt sich rot. Zahra liegt am Boden, nur wenige Meter von mir entfernt. Sie presst die Hände auf ihre Brust, ihre Augen sind weit aufgerissen. Aus ihrem Mundwinkel rinnt Blut. Wieder stehe ich da, unfähig mich zu bewegen, wie an dem Tag, an dem wir unseren Sohn verloren. Ihr Blick trifft meinen. Ihre Augen, starr auf mich gerichtet, sind das letzte, das ich sehe, bevor die panische Menge sich vor mich schiebt und meine Beine unter mir nachgeben.
Die Sonne ist schon längst hinter dem Horizont verschwunden, doch noch immer ist alles in ein orangerotes Licht getaucht, als wolle sie noch ein wenig länger an diesem Moment festhalten. Die Hitze des Tages liegt noch schwer auf mir, obwohl ich im Schatten eines breiten Baumes sitze, umspielt von einem sanften Lufthauch. Ich sitze ein gutes Stück abseits, um keine Blicke auf mich zu ziehen, und doch sehe ich ihn klar und deutlich vor mir. Egal wohin ich sehe, immer wieder taucht der meterhohe Zaun vor meinen Augen auf. Die engen Maschen heben sich dunkel vor dem hell erleuchteten Abendhimmel ab, der robuste Maschendraht wirkt wie mit spitzen Zähnen gespicktes Maul, das sich den Wolken entgegen reckt.
Die Trauer ist schon lange vergangen, vielleicht aber ist sie auch schon so lange Teil meines Lebens, dass ich sie längst nicht mehr als solche wahrnehme. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß genau was ich tun will. Ich habe alles riskiert und alles verloren, was ich jemals besessen habe. Alles und jeden, der mir je etwas bedeutet hat. Die beiden Menschen, deren Schicksal mir so unendlich viel wichtiger war als mein eigenes.
Ich habe so viele Hindernisse und Grenzen versucht zu überschreiten, nicht alle erfolgreich. Immer wieder gelangte ich an einen Punkt, an dem es weder ein Vor noch ein Zurück zu geben schien. Und immer wieder ist es die Hilflosigkeit, die mich zu zerbrechen droht, dieses grenzenlose Gefühl der Machtlosigkeit. Und doch ist es die Einsamkeit, die mich letztendlich gebrochen hat.
Was hat mein unbedeutendes Leben noch für einen Sinn, wenn ich versagt habe, meine Familie zu beschützen? Stetig hat mich der Wunsch vorangetrieben, meinem Sohn und meiner Frau ein besseres Leben zu bieten. Ein Leben fern von skrupelloser Gewalt und niemals endender Gefahr. Die Leere in mir frisst mich von innen auf.
Ich werfe noch einen letzten Blick auf den Himmel, doch nun sind auch die letzten Sonnenstrahlen der Dunkelheit gewichen. Vollkommen bedacht und wie in Zeitlupe beobachte ich, wie meine rechte Hand ganz von allein das Messer an mein Handgelenk setzt und in einem schnellen Geraden Schnitt meinen Arm entlang fährt. Ich spüre keinen Schmerz, nur eine seltsame Ruhe, die mich erfüllt, als ich das gleiche an meinem rechten Handgelenk wiederhole. Eine erleichternde Gewissheit durchflutet mich, während am Rande meines Sichtfeldes helle Lichter flackern. Ich sinke zu Boden, den Geruch von feuchter Erde und Metall in meiner Nase. Meine Augen sind starr auf den riesigen Stahlzaun gerichtet, den ich zu überwinden geschafft habe.
Dann wird alles schwarz, während ich die Grenze zwischen mir und meiner Familie überschreite - zum ersten Mal in meinem Leben vollkommen ungehindert und aus keinem anderen Grund als meinem freien Willen.