*Pflicht und Ehre*

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  • Kapitel 3: Habe die Ehre?



    Part 1: Das etwas andere Erwachen


    Bereits nach kurzer Dauer hatte mich Stans ruheloser Schlaf aus seinem Schlafsack getrieben. Ich fühlte mich irgendwie stark an den anfänglichen Beginn unserer gemeinsamen Reise zurückversetzt, da war dies nämlich beinahe alltäglich gewesen. Je länger wir allerdings unterwegs waren, desto mehr verbesserte es sich allerdings. Wer konnte allerdings ahnen, dass Stan plötzlich rückfällig wird? Immer wieder stöhnte er im Schlaf leise auf, wälzte sich unruhig hin und her und lediglich die Anstrengung des Einschlafens trieb ihm den Schweiß in Strömen auf die Stirn. Bildete ich mir das nur ein oder beschäftigte ihn tatsächlich irgendetwas? Ich wohnte diesem Bild des Jammers noch einige Minuten bei, bevor mich die Müdigkeit übermannte. Noch mit meinem letzten wachen Augenblick hatte ich mir selbst vorgenommen, Stan darauf anzusprechen. Doch am nächsten Morgen hatte ich es schon wieder vergessen ...


    Kein nervenzerfressendes Stöhnen oder das ständige Rascheln eines Schlafsackes war mehr zu hören, als mich die Sonnenstrahlen sanft aus meinem Schlummer kitzelten. Das kleine Lagerfeuer, das Stan am gestrigen Abend noch auf die Schnelle mühselig und aus Leibeskräften entflammt hatte, knisterte noch leise vor sich hin und ein Teil Restwärme strahlte von ihm aus. Ein herzhaftes Gähnen entwich mir; gleichzeitig meldete sich mein Magen lautstark zu Wort - kein Wunder. Seit dem Frühstück gestern hatte ich – Feurigels egoistischer Fressgier sei’s gedankt – nichts zwischen die Zähne bekommen. Konnte ich Stan guten Gewissens wecken? Andererseits schien er endlich Ruhe gefunden zu haben. War mein Magen wichtig genug, um diese Friedlichkeit zu beenden? Zu dem Zeitpunkt, als unsere Reise begonnen hatte, hätte ich vor dieser Entscheidung nicht mal mit der Wimper gezuckt. Jetzt aber ... Irgendwie konnte ich es nicht – oder vielleicht doch? Diese Frage musste ich an diesem Morgen glücklicherweise nicht mehr für mich beantworten. Mein leiser innerlicher Konflikt wurde auf die wohl plötzlichste und haarsträubendste Art und Weise unterbrochen, die man sich überhaupt nur vorstellen kann.
    „Guten Morgen, Sheinux. Gut geschlafen?“
    „Oh ja, danke. Ich ...“
    Erst jetzt realisierte ich, dass ich diese sanfte und piepsende Stimme überhaupt niemandem zuordnen konnte. Wer hatte da gerade gesprochen? Panisch schweifte mein Kopf umher, doch niemand war da. Nur ich und Stan, der noch immer in seinem Schlafsack leise vor sich hin schlummerte.
    „Huhu, hier unten, du Dummerchen!“, erklang sie abermals.
    Mich kribbelte es innerlich unangenehm und bereits die ersten Fellhaare stiegen alarmierend in die Höhe, als ich mich der Geräuschquelle zuwendete und ...
    „Huch!“
    So ruckartig war ich aufgesprungen, dass es mir, mangelnds angetriebenem Kreislauf, im ersten Moment noch ganz schwarz vor Augen war. Meine Beine zitternden und ich schwankte anfangs bedrohlich. Ein kleines Geschöpf sah mich mit ihren hell strahlenden blauen Augen an. Sie hatte offenbar die ganze Nacht neben mir verbracht, ohne dass ich es überhaupt realisiert hatte. Mit hängendem Kiefer gaffte ich ihr entgegen.
    „Tihihi“, kicherte sie leise. Amüsiert strich sie sich mit ihrem rechten Vorderbein etwas die grüne, grasgleiche Haarpracht von ihrer Stirn und rückte sich gleichzeitig die rosarote Blume, die etwa in Schläfenhöhe saß, zurecht. Ihre vier weißen Beinchen drückten den kleinen Körper nach oben, was sie allerdings kaum größer machte, als wenn sie lag.
    „Wer – wer bist ...“ Tollpatschig, wie ich war, biss ich mir auf die Zunge und verschluckte mich an meiner eigenen Flüssigkeit. Nach einem heftigen Hustenanfall fragte ich dann: „Äh – mit wem habe ich die Ehre?“ Wangen, Nase, ja selbst meine Ohren glühten. Gott, war die süß!
    Die Fremde lächelte geheimnisvoll. Ihre Augenlider blinzelten nur ungeheuer langsam. Sie kicherte, antwortete aber nicht.
    „Äh – deinen Namen habe ich – also, habe ich nicht ganz so – mitbekommen.“ Hilfe, stellte ich mich selten blöd an! Da wirkte selbst Stan, der Thronprinz des Selbstzweifels, der Fürst der Unentschlossenheit, der unangefochtene Großmeister des Zwiespalts, regelrecht harmlos im Vergleich zu mir. Warum musste ich nur rot werden, warum musste ich mich nur so verkrampfen, warum bloß ...?
    „Da wird doch wohl nicht einer schüchtern sein?“, piepste sie amüsiert. „Die ganze Nacht über hast du so lieb mit mir gekuschelt.“
    „Äh ...“ Jetzt versagte mir die Stimme. Meine versteinerte Zunge lag in meinem völlig ausgetrockneten Mund brach.
    „Du darfst mich Shaymin nennen“, kicherte sie*. Shaymin amüsierte sich offensichtlich königlich über mein tölpelhaftes, stangleiches Verhalten. Welche Schmach für einen legendären Voltensobezwinger ...
    „Schö- schöner Name“, würgte ich schließlich hervor.
    Shaymins weiße Wangen nahmen einen Hauch rosa an. „Oh, findest du?“, lachte sie. „Das ist sehr süß von dir, Sheinux, ehrlich.“
    „Wo- woher kennst du eigentlich meinen Namen?“
    „Tihihi.“

  • Part 2: Lustiges Rätselraten gefällig?


    Üblicherweise wäre ich ja stolz gewesen. Stolz, dass mein anerkannter Ruf, mit dem ich mich ja hin und wieder brüstete und noch heute gerne tue, selbst in diese ländliche Region reichte. Aber nein! Von Stolz konnte hier einfach nicht die Rede sein. Shaymin war einfach nur unheimlich. Sie kannte meinen Namen, verwandelte mich in einen hirnlosen, stammelnden Idioten und noch dazu wirkte sie, fragt mich bitte nicht woher, auf mich irgendwie merkwürdig vertraut.


    Da stand ich nun, mit staubtrockener Kehle, zittrigen Beinen, geröteten Wangen und glühenden Ohren. Shaymins unablässiges schelmisches Kichern, verursacht von einer Eskapade in die nächste, in die ich versehentlich hineinschlitterte, jagte mir das Blut in den Kopf.
    „Woher ...“, fragte ich erneut.
    Shaymin legte das mysteriöseste und geheimnisvollste Grimasse auf, das ihr Mundwinkel überhaupt erlaubte. Zart lächelnd kam sie näher und schmiegte sich an meinen Leib. Sie reichte mir kaum bis zu den Schulterblättern. Ich konnte mich nicht mehr rühren, war wie erstarrt vor ihrem lähmenden Einfluss.
    „Reicht es nicht, dass ich deinen und du meinen Namen kennst?“, fragte sie. „Gott, bist du heute aber verkrampft. Soll ich dir ein wenig den Rücken massieren, hm?“
    „Was’n das für’n Radau ...?“


    Reges Leben regte sich in dem Schlafsack, in dem sich Stan über die Nacht eingewickelt hatte. Eine Hand stemmte seinen massigen Körper nach oben, während die andere die trüben Augen unter seinem arg verstrubbelten Haar rieb. Es dauerte einige Sekunden, bis Stan realisierte, was eigentlich los war; wobei: was war hier eigentlich los? Rekapitulieren wir das Ganze noch einmal: Ich hatte die ganze Nacht über munter neben einer mir völlig fremden Person gepennt – Shaymin. Am nächsten Morgen dann natürlich die Überraschung beim Erwachen. Der nächste Schock ließ nicht lange auf sich warten: Shaymin kannte, woher auch immer, meinen Namen und ich war außer Stande, mich ihrem fesselnden Einfluss zu entziehen. Dann kam noch Stan ins Spiel, der sich, noch immer halb in seinen Schlafsack eingehüllt, fragend in unsere Richtung beugte, die Augen verengte und dem der Sabber aus dem geöffneten Mund leise auf den taufrischen Boden tropfte.
    „Guten Morgen, Stan“, grüßte Shaymin, breit grinsend.
    Jetzt blieb mir erst recht die nicht vorhandene Spucke weg. Shaymin kannte auch Stan, beziehungsweise, kannte Stan Shaymin? Nein, auch dies schien nicht der Fall zu sein.
    Stan glubschte fragend zu mir herüber, formte stumm die Worte „Meinen Namen?“ mehr aber als ein ratloses Schulterzucken bekam ich nicht zu Stande.
    Shaymin löste endlich ihren Körperkontakt mit mir und näherte sich nun etwas Stan, der sich mühselig aus seinem Schlafsack kämpfte.
    „Woher – woher kennt sie meinen Namen?“, fragte er nun laut in meine Richtung.
    Oh weh! Stan und ich, wir hörten uns im Angesicht Shaymins tatsächlich unglaublich identisch an, was Shaymin aber nicht weiter zu stören schien. Sie trieb einfach ihr geheimnisvolles Spiel weiter mit uns.
    „Tihihi“, kicherte sie Stan als Antwort auf seine Frage entgegen.
    Stan verschränkte fragend den Kopf und suchte immer wieder meinen Blick.
    Irgendwie hatte ich mich schließlich mit einem weiten Bogen an Shaymin vorbeigestohlen und mich an Stans Seite eingefunden. Inzwischen hatte sich mein pelzloser Freund aus seinem Schlafsack winden können und war in Windeseile in Hosen und T-Shirt geschlüpft, ohne dabei den Blick von Shaymin abzuwenden.
    „Pack doch das Ding weg ...“, stöhnte ich. Stan hatte sein Lieblingsspielzeug ausgepackt, das ich aber schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen hatte: Ein nervtötendes, piepsendes Etwas, das nichts lieber tat, als sämtliche Pokémon in eine Schublade zu stecken.
    Stan ignorierte meine Worte und hielt das feuerrote Gerät aus der Distanz direkt auf Shaymins spitze Nase zu.
    „Keine Daten, unbekanntes Pokémon“, piepte die mechanische Stimme.
    „Keine Daten?“ Stan war baff und genau so hämmerte er auch auf das Gerät in seinen Händen ein. „Das kann doch nicht sein ...“
    „Für was brauchst du dieses kopfwehprovozierende Höllending? Da hat wohl jemand wieder einmal vergessen, dass er mit Pokémon sprechen kann ...“, flötete ich, der endlich aus Shaymins Bann hinausgefunden hatte.
    „Ich soll ...?“, murmelte er leise in meine Richtung.
    Ich seufzte tief. „Wenn das Leben dir Zitronen gibt, dann mach Limonade draus, Stan“, antwortete ich.
    „Okay, ich versuch es“, meinte Stan noch leiser.
    „Oder warte ... Hieß es vielleicht: ,Wenn das Leben dir Zitronen gibt, dann klatsch sie jemandem an den Schädel.’?
    Ein wenig bangend näherte sich Stan, der Riese, Shaymin, der Zwergin. Er war ein Berg, der mit seinem Schatten bereits aus großer Distanz das winzige Sandkorn in Pokémongestalt verdeckte. Viel näher wagte er sich schließlich dann doch nicht an sie heran. Nervös kratzte er sich am Hinterkopf.
    „Also, woher weißt du meinen Namen? Wir kennen uns doch nicht, oder?“
    „Vielleicht, vielleicht auch nicht“, gluckste Shaymin geheimnisvoll lächelnd wie eh und je.
    „Ähm, was heißt das?“, hakte Stan nach. Er stellte sich dabei sogar ein wenig geschickter dran, als ich es getan hatte. Es ärgerte mich innerlich.
    „Denk doch mal nach, mein Großer“, antwortete sie mit ihren blauen Augen zwinkernd. „Ihr kennt mich nicht, aber ich euch. Warum wohl?“
    Stan grübelte einen Moment und auch ich brachte den Hirnschmalz in meinem Kopf zum Glühen, doch war es schließlich dann Stan, der das Rätsel scheinbar lüftete.
    „Wir – wir waren schon mal hier, vor ein paar Tagen“, schlussfolgerte er. „Du hast uns belauscht, das ist alles, habe ich Recht?“
    Im ersten Moment glaubte ich noch, Shaymin wollte jeden Moment lächelnd den Kopf schütteln und sich weiterhin an unserer Ratlosigkeit ergötzen, dann aber – sie verzog anerkennend den Mund. „Ding, Ding, Ding! Der Kandidat hat achtundneunzig Punkte! Glückwunsch! Bei hundert hättest du eine Sinelbeere gewonnen, mach dir aber nichts draus. Ja, richtig. Vor einer Woche wart ihr hier durchgekommen, was etwas Aufsehen erregt hat.“
    Das war es? Darum hatte Shaymin nun so ein großes Geheimnis gemacht? Dass sie uns bei der ersten Durchreise im Schutze eines Gebüschs oder dem hohen Gras belauscht hatte? Aber Moment! Da war doch was faul. Bei unserer ersten Wanderung waren doch noch die Rollen vertauscht gewesen. Dann musste sie folglich auch über unseren kleinen Rollentausch Bescheid wissen. Warum aber konnte sie dann jetzt so sicher sein, dass ich wieder ich und Stan wieder Stan war? Das ergab doch absolut keinen Sinn ... Oder hatte uns Shaymin etwa am gestrigen Abend belauscht? Ja, das musste es sein, aber warum verneinte sie das dann? Shaymin sagte eindeutlich, dass sie uns vor etwa einer Woche belauscht hatte. Ich konnte das nicht so einfach wie Stan schlucken. Shaymin sagte nicht ganz die Wahrheit, da war ich mir absolut sicher.
    „Ja, das ergibt Sinn“, meinte Stan nickend. „Und – was tust du hier?“
    „Leben – und du?“, antwortete Shaymin.
    „Durchreise ...“, antwortete wiederum Stan.


    „Du kannst uns vielleicht helfen, Shaymin ...“, murmelte Stan nach einer kurzen Schweigeminute schließlich.
    Shaymin antwortete nicht, verdrehte aber zart lächelnd den Kopf.
    „Wir sind auf der Suche nach einem Haus. Wir wollen dort jemanden besuchen.“
    Shaymin weitete die Augen. „Handelt es sich dabei um eine Blockhütte?“
    „Ja.“
    „Zwei Menschen?“
    „Ja, richtig. Kennst du sie?“
    „Großmutter und Enkelin?“
    „Genau, wo ist das Haus?“
    „Heißt das Mädchen zufällig Miriam?“
    „Ja, doch. Also wo ...?“
    „Die leben hier schon seit Jahren nicht mehr.“
    „Was?!“

  • Part 3: Vier Pokémon und ein Mensch - die Katastrophe nehme seinen Lauf


    Alles hier war irgendwie schwer zu schlucken. Shaymin war nicht ganz sauber, kein Zweifel. Irgendetwas versteckte sie hinter ihrem liebreizenden Auftreten; ganz zu schweigen davon, dass das Haus, in dem wir noch vor keiner Woche übernachtet hatten, laut ihrer Aussage gar nicht mehr existieren sollte – und das seit Jahren schon nicht mehr. Sollte Shaymin etwa lügen? Wenn ja, warum? Doch zumindest erklärte dies, warum wir Miriams Haus nicht fanden – weil es schlichtweg nicht existierte. Hatten wir das etwa alles nur geträumt – wir alle drei? Unmöglich! Außerdem: Was hatte uns dann dazu veranlasst, diese vermaledeite Rose der Wüste zu suchen, dir wir zu allem sogar noch in unserem Gepäck trugen? Autsch, mein Schädel ... Man reiche mir bitte ein extra starkes Kopfschmerzmittel ...


    Stan hatte sich in die Richtung aufgemacht, in der, laut Shaymins Aussage, die Blockhütte vor Jahren gestanden hatte, um sich selbst ein Bild von ihren Worten zu verschaffen. Derweil waren ich und Shaymin allein an den kümmerlichen Überresten des erloschenen Lagerfeuers geblieben.
    „Du traust mir nicht über den Weg. Habe ich Recht?“ Shaymin, deren fesselnden Blick ich bis zu diesem Augenblick gekonnt gemieden hatte, zog einen beleidigten Schmollmund.
    „Irgendwie ...“; begann ich zögernd.
    „Warum? Du kränkst mich aufs Tiefste mit deinem Zweifel, weißt du das?“, schniefte Shaymin. Wie auf Geheiß glitzerten bereits die Tränen in ihren schönen blauen Augen, das glatte Gesicht wurde von ihrem theatralischen Kummer durchströmt.
    Etwas sagte mir, dass meine Gesprächspartnerin eine gekonnte Schauspielerin war, doch der Kavalier in mir war stärker und empfand – dummerweise - arges Mitleid.
    „Tut mir Leid – ehrlich ...“, entschuldigte ich mich tief seufzend.
    Und schon war die Trauer wie aus dem Gesicht gefegt und ein sonniges Strahlen nahm stattdessen den Platz ein.
    „Vergeben und vergessen“, lachte sie.
    „Wundert es dich eigentlich nicht, dass Stan mit uns reden kann? So etwas sieht man auch nicht alle Tage“, vertiefte ich das Gespräch.
    Beinahe gelangweilt kratzte sich Shaymin an der Nase. „Nö!“, antwortete sie knapp.
    „Aber warum? Ich meine ...“
    „Tihihi.“
    Es war zum Auswachsen. Shaymin wich permanent meinen Fragen aus und ließ mich dabei auf solch gekonnte Art und Weise verdattert zurück, dass ich mir zum ersten Mal im Leben einfach nicht zu helfen wusste.
    „Da kommt Stan zurück!“
    Tatsächlich. Stan näherte sich. Doch schon aus weiter Distanz vermochte ich an seinem resignierenden Gesichtsausdruck deutlich zu erkennen, dass seine Suche nicht von Erfolg gekrönt war. Folglich hatte Shaymin offenbar Recht.
    „Nichts ...“, sagte er kopfschüttelnd, als er unser Lager erreichte. „Ich habe ein paar tiefe Furchen im Boden gefunden. Könnten vielleicht die Überreste des Fundaments sein. Die Gegend dort kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Aber das hieße ja dann ...“
    Ich wusste nicht, was schlimmer war: Stan mit einem „Ich verstehe gar nichts mehr“-Gesichtsausdruck dumm aus der Wäsche dreinblicken zu sehen, oder Shaymin mit ihrem „Na, habe ich es denn nicht gesagt?“-Blick Recht geben zu müssen.
    „Entschuldige, Shaymin. Stan und ich müssen gerade mal ein paar Takte miteinander reden“, sagte ich und winkte Stan in sichere Entfernung zu mir. Shaymin zog eine Augenbraue fragend in die Höhe und ihr Mund nahm wieder eine markante Schmoll-Geste ein.


    „Was glaubst du?“, fragte ich Stan, nachdem ich aber erst sichergestellt hatte, dass wir unter uns waren.
    „Wie meinst du das?“
    „Shaymin natürlich!“
    Stan zuckte die Schultern. „Was soll sein - sie ist doch ganz nett. Gibt’s da ein Problem?“
    „Ich traue ihr nicht über den Weg.“
    „Warum?“
    „Frag mich nicht warum, aber ich glaube, sie verheimlicht etwas.“
    „Sie ist vielleicht etwas ... nun ja, eigen, aber ich glaube nicht, dass sie böse Absichten hegt. Du etwa?“
    „Nicht direkt, aber ... Shaymin, sie ... Ich meine, sicher, sie ist ja ganz süß, aber ...“
    Stan betrachtete mich nun etwas genauer, sein Kopf schweifte immer wieder hin und her. Ein Grinsen tat sich auf. „Du wirst ja ganz rot? Hast du dich etwa verschossen?“
    „Du bist ja bekloppt!“ Dummerweise pumpte mir die Scham nur noch mehr Blut in den Kopf.
    „Du stehst auf sie, gib es doch zu.“
    „Wer macht denn dich hier bitteschön zum Frauenexperten, Herr ,Ich habe Angst vor meinem eigenen Schatten’? Ich habe nur keine Lust, bläuäugig in irgendwelchen Schlamassel – wie schon so oft – reinzutappen, klar?“
    „Blauäugig? Ihr redet doch nicht über mich, oder?“
    „Nein, nicht doch!“, sangen Stan und ich erschrocken im Chor. Shaymin war plötzlich zwischen uns aufgetaucht. Um Himmels Willen! Wie viel von unserem Gespräch hatte sie heimlich belauscht? Wenn doch nur endlich mein Kopf wieder normale Farbe annehmen würde ...
    „Das will ich doch hoffen! Es geziemt sich nämlich ganz und gar nicht, hinter dem Rücken über eine Dame zu reden!“
    „Natürlich nicht“, trällerten Stan und ich immer noch in einem gemeinsamen Lied.
    „Gut. – Wie sieht es mit dem Essen aus?“, fragte Shaymin.
    Stan schien verwirrt. „Wie, was, Essen?“
    „Tztz! Da weiß aber jemand wirklich nicht, wie man sich in Anwesenheit einer Dame zu verhalten hat“, belehrte sie uns mit geschürzten Lippen. „Will das starke Geschlecht mich hier vielleicht am langen Arm verhungern lassen? Gerade du, Sheinux, müsstest ja bestens wissen, wovon ich rede. Ich bekam es ja vorhin schon fast mit der Angst zu tun, als dein Magen mich anknurrte. Tihihi.“


    Der pausbackige Apfel, den Stan mir aus seiner sich dem Ende nähernden Provianttasche reichte, wirkte schon fast blass gegen mich und meinen roten Kopf. Ein schwarzer Tag für jemanden, dessen Ruf noch heute über Berge und Ozeane reichte. Man konnte nur hoffen, dass diese Geschehnisse nicht die Runde machten, sonst hätte ich von diesem Zeitpunkt an nur nach als absolute Lachnummer gegolten und mich in der Öffentlichkeit zu zeigen, wäre ein Wunschdenken gewesen. Warum reagierte ich nur so schwach, wenn es um das andere Geschlecht ging? Schon bei Fiffyen hatte ich ärgste Probleme, Shaymin allerdings übertraf alles. Wie sie nur so dalag, an ihrem Apfel knabberte, mir immer wieder zwinkernde Blicke schenkte, ... Argh! Ich musste irgendwie die Stimmung auflockern oder zumindest für etwas Ablenkung sorgen, wollte ich hier nicht auf ewig als Versager gebrandmarkt sein – auch wenn es möglicherweise darauf hinaus lief, alles nur noch weiter zu verkomplizieren.
    „Stan, was ist mit den anderen?“
    Mein pelzloser Freund hatte bereits seine Sachen gepackt – wir waren wohl zum Aufbruch bereit, wenn wir erst unser karges dafür aber labendes Frühstück beendet hatten. Stan schaute anfangs so drein, als musste er tatsächlich überlegen, was ich meinte. „Stimmt“, sagte er schließlich.
    Zwei Pokébälle segelten gleichzeitig durch die Luft, öffneten sich im selben Augenblick und gaben auch zeitgleich ihren Inhalt Preis. Feurigel und Fiffyen materialisierten sich in der Nähe seiner Position. Jeder für sich selbst suchte sich sofort das Objekt seiner Begierde: Feurigel seinem längst überfälligen Frühstück, und Fiffyen ... natürlich mich.
    „Guten Morgen, Sheinux.“
    „Morgen ...“, quetschte ich mühselig aus meinem apfelvollen Mund heraus und heftete auch gleichzeitig meinen Blick geradezu desinteressiert an meiner Mahlzeit fest.
    „Jetzt können wir ja dort weitermachen, wo wir gestern so brutal und ungehobelt von diesem Klotz unterbrochen wurden.“ Fiffyens Blick, auch wenn ich ihn bislang gemieden hatte, warf einen düsteren Schatten. Ganz klar – mit Klotz meinte sie niemand anderen als Stan.
    „Um ehrlich zu sein, Fiffyen, ich ...“, begann ich.
    „Darf man fragen, worüber ihr sprecht?“ Shaymin hatte sich bei uns eingefunden.
    Irgendwie ... Roch nur ich den Ärger? Fiffyen und Shaymin – konnte das gut gehen? Mein sporadisch warnend aufflackerndes Fell sagte ganz klar Nein!
    „Wer bist denn du?“ Fiffyen brauchte gar nicht ihr Gesicht missfallend zu verziehen: ihre Stimme genügte bereits vollauf klarzumachen, was sie von Shaymins Eindringen in ihre Hoheitsgewässer hielt.
    „Shaymin der Name. Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt? Sheinux, wärst du so lieb?“
    Es war ja nur eine Frage der Zeit gewesen, bis mein Name ins Spiel kam. Dummerweise konnte es wahrlich unglücklicher, als gerade eben, nicht geschehen. Sofort erfasste mich Fiffyens Blick auf eine noch nie gesehene vernichtende Art und Weise. War dies vielleicht ein guter Zeitpunkt, mein Testament zu machen?
    „Sheinux!“, redete Fiffyen mich, der noch immer belämmert seinen fast aufs Kerngehäuse abgenagten Apfel anstarrte, streng an. „Was hast du mit diesem – diesem Weibsbild zu schaffen?“
    Testament? Meinen Sarg hätte ich mir vielleicht zimmern sollen.
    „Dieses Weibsbild hat einen Namen, weißt du?“, entgegnete Shaymin kühl.
    Die Luft peitschte nur so, als Fiffyen ihren Kopf ruckartig Shaymin zuwandte. „Warum sollte mich das interessieren?“, schnaubte Fiffyen mit deutlich höherer Stimme als sonst.
    „Was bildest du dir eigentlich ein, du Zicke?!“, erwiderte Shaymin gereizt.
    Oh je. Die Katastrophe stand unmittelbar bevor und schon wieder befand ich mich mitten drin. Warum war einfach alles, was ich in letzter Zeit anging, nur zum Scheitern verurteilt, warum bloß ...?
    „Damit eins klar ist, Darling“ Fiffyen betonte das letzte Wort besonders abwertend, „Sheinux und ich sind schon ewig ein Paar, klar? Und das lasse ich mir hier nicht von so einem Flittchen wie dir einfach so kaputt machen!*“
    Ein Paar? Schön, dass auch ich mal etwas davon erfuhr. War es vielleicht zu spät, sich klammheimlich davon zu machen?
    „Jetzt sag doch auf mal etwas dazu, Sheinux!“, rief Fiffyen empört und noch immer mit erhobener Stimme.
    Was sollte ich sagen? Vor dem geistigen Auge sah ich bereits messerscharfe Klauen und Zähne auf mich einschlagen. Mit welchen Worten konnte ich das eine Herz beruhigen, ohne das andere zu brechen? Wie konnte ich mich aus diesem Debakel nur heil raus winden?
    Das falsche Wort zur falschen Zeit – ’rum ist’s mit der Zufriedenheit ...
    „Es ist genug Sheinux für alle da ...“, murmelte ich leise. Noch immer wagte ich es nicht, einer der beiden direkt anzusehen. Mein Appetit war mir inzwischen auch bereits völlig vergangen.
    „Ha!“, rief Shaymin triumphierend. „Sieht so aus, als wäre er mit dir ganz und gar nicht zufrieden – was mich bei dem Aussehen ehrlich gesagt auch gar nicht wundert“, kicherte Shaymin verachtend. „Wie sagt man doch so schön: ,Von hinten lockts, von vorne schockts!’.
    Fiffyen fletschte die Zähne. „Willst du mir mit deinem Kompost auf dem Kopf etwa Modetipps geben?“, bellte sie.
    „Schöne Beißerchen hast du da. Gibt’s die auch in weiß?“, höhnte Shaymin. „Wir verstehen uns doch, oder, Sheinux?“
    Ich erschauderte. Shaymin hatte sich eng an meinen Körper geschmiegt. Ich spürte ganz deutlich ihre Nähe. Sekundenschnell füllte sich mein Kopf mit Blut und der Herzschlag beschleunigte sich rapide. Fiffyen stand dagegen bereits der Schaum vorm Maul. Das konnte nicht gut gehen ...


    „Er gehört mir!“ Fiffyen hatte Shaymin gewaltsam mit ihrem bulligen Körper weggestoßen. Wimpernschläge später verlor ich ruckartig den Boden unter den Pfoten und landete brutal auf dem Steiß, nur Sekunden nachdem mich Fiffyen kurzerhand unter den Achseln packte und gewaltsam fortzerrte*.
    „So haben wir nicht gewettet!“ Shaymin hatte sich geschwind aufgerappelt und die Gunst der Stunde ergriffen – besser gesagt, meinen Schweif. Ich sah ihr direkt in die erregten blauen Augen, während mir der heiße Atem hinter mir - und natürlich das packende Gefühl – verrieten, dass Fiffyen mich noch immer fest im Griff hatte.
    „Mädels, bitte ... Autsch! Verdammt, das tut weh!“
    Wisst ihr, was das für ein Gefühl ist, wenn ihr gewaltsam in zwei Stücke gerissen werdet – besser ihr wisst es nicht, glaubt mir ... Jetzt wusste ich endlich, was mein Großvater immer damit meinte: „Unverheiratete sind ledig. Verheiratete erledigt.“. Sprüche klopfen half mir allerdings in dieser Situation nicht weiter. Fiffyen umklammerte noch immer fest meine Achseln und zog meinen Oberkörper gewaltsam in die eine Richtung, während Shaymin sich nach wie vor an meinem Schwanz festkrallte und dagegen stemmte.
    „Äh, was ist denn hier los?“
    Endlich hatten meine Hilferufe Stans Ohr erreicht. Sein Kopf tauchte mitsamt seinem Körper weiter über den Geschehnissen auf, die sich bei uns auf dem Boden abspielten. Dummerweise war er, wie ich leider feststellen musste, diesen zänkischen Weibern nicht weniger hilflos als auch ich ausgeliefert.
    „Halt’ du dich da raus!“
    Wunder über Wunder: Das erste Mal waren sich Shaymin und Fiffyen einer Meinung, zum Leidwesen von mir ...
    „Au! Verdammt noch mal, du doch was, Stan!“
    „Er gehört mir, Stachelbirne!“
    „Nein, mir, Schrumpfhirn!“
    „Isst du das noch, Sheinux?“
    Feurigel, der ebenfalls den Schauplatz erreichte, war natürlich auch keine sonderlich große Hilfe. Die Gunst der Stunde nutzend, verleibte er sich zufrieden den Rest meines Frühstücks ein.


    So hatte ich also einen Großteil meines Morgens verbracht. Der zweite Tag hatte so glorreich und triumphal begonnen wie der letzte geendet hatte. Sah man allerdings von den unzähligen blauen Flecken ab, mit denen ich übersäht war, meinen knurrenden Magen und mein angeknackstes männliches Ego, konnte es wohlmöglich doch noch ein guter Tag und vielleicht eine erholsame Reise werden. Der Stress von heute ist die gute alte Zeit von übermorgen, wie man so schön sagt ...


  • Hallo, versuche mich auch mal wider an einem Kommi^^


    Die Kapi in dem 3. Buch sind echt total super :D War am Anfang doch schon sehr überrascht, dass Colin sich verabschiedet... Und deinen Andeutungen nach wird der Flugheini jetzt mitkommen T_T Kann man nichts machen.... Und sehr überraschendes Aufwachen seitens Sheinux XD Ich wünsch ihm viel Spaß mit den Ladies und hoffe, sie lassen noch ein Stück von ihm übrig. Aber doch wieder etwas ungewohnt, wieder die Welt vom Pokemon-sheinux einnehmen zu müssen.


    Was ja auch wieder sehr viele Möglichkeiten für die Geschichte öffnet, ist Stans neue Fähigkeit, sich jetzt auch noch von Pokemon mobben zu lassen... Für mehr wurde sie bisher ja nicht benutzt^^

    Zitat


    „Jetzt kann ich ja nicht mehr hinter deinem Rücken über dich herziehen ...“, maulte ich.


    „Du beleidigst mich hinter dem Rücken?“, fragte Stan erstaunt.

    Ja, genau das meine ich :assi: Mal sehen, wie lang Stan braucht, um irgendetwas nützliches mit seiner Fähigkeit anzustellen. Obwohl zumindest Feurigel wird sich freuen, da es jetzt ja einfacher für ihn ist, die Bestellungen einzureichen.


    Ein sehr schöner Part war auch Sheinux Vorschlag, mit den anderen Reisegefährten zu "reden". Hab 21 Worte gezählt, die an Feurigel und Fiffyen gerichtet waren. Die Szene war absolut köstlich, Feurigel, verfressen wie immer, wie er die ganze Zeit von Kuchen redet und Fiffyen ihrer üblichen Beschäftigung nachgeht und der arme Stan nur noch zusehen kann, wie die Situation sich verselbständigt :assi: Aus irgendeinem Grund tut er mir ständig Leid dafür, dass er mir seinen Pokemon geschlagen ist, voerallem jetzt, da noch eine neue Begleiterin dazukommt...


    Ich mag Shaymin aber ehrlichgesagt nicht, besonders diese ich-bin-eine-Lady-also-behandelt-mich-auch-so Nummer :dos: Aber der Streit zwischen ihr und Fiffyen ist Entschädigung genug^^ Da Shaymin kein Straßenpokemon ist, wird sie wohl auch nicht so viel von Kodexen halten, aber ich glaube, es gibt einen Frauenkodex, der da lautet, wenn zwei Mädels den selben Typ wollen, kriegt diejenige ihn, die ihn zuerst gesehen hat. Also, werte Dame, etwas mehr Abstand von Sheinux, bitte. Aber wo wäre dann der Spaß :D Bevor Sheinux weiter darüber nachdenkt, wie er Eagle rupfen möchte, sollte er erst eine Lösung finden, wie er nicht selbst gerupft wird^^


    LG
    Arkande

  • Part 4: Unverhofft kommt oft


    Zumindest eine Sache war nach den Ereignissen dieses frühen Morgens ersichtlich: Übertraf die kleine Shaymin ihre Kollegin zwar nicht an körperlicher Kraft, war sie ihr doch in Sachen Wortgewandtheit weit überlegen. Letztendlich hatte nur der gezielte Einsatz von Fiffyens Pokéball die beiden Streitgänse auseinander bringen können.
    Nach dem aufständischen und empörten Abflug ihrer „Kontrahentin“, besserte sich Shaymins Laune natürlich schlagartig; wobei „bessern“ gar kein Ausdruck für das war. Als ob man gerade sämtliche Erdbeeren* der Region zusammengetragen, einen gehörigen Klatsch Schlagsahne draufgepackt und ihr auf einem Silbertablett serviert hätte, zog Shaymin das feisteste und selbstzufriedenste Grinsen, das man sich vorstellen konnte. Wie sie so sich selbst und ihren Triumph gebührend feierte, schwebte sie wohl glatt auf Mülltonne sieben.


    „Aus Mülltonnen?! Du machst wohl Witze?!“
    „Was hast du gegen Mülltonnen?“
    „Allein schon bei dem Gedanken, dass du in diesen Keimschleudern wühlst und dich mit Vorliebe im Unrat wälzt – geschweige denn, daraus isst - stülpt sich mir der Magen um.“
    Angewidert ließ Shaymin ihre rosarote Zunge raushängen und verzog ebenso ihr Gesicht. Sie hatte sich mit mir in eine kleine Small-Talk-Runde vertieft. Nach all den Aufregungen des Morgens, hatten sich Verstand und Sinne endlich an die Anwesenheit meiner noch immer mysteriösen Gesprächspartnerin gewöhnen können; auch meinen Blutdruck hatte ich endlich wieder unter Kontrolle
    „Du sagst das so, als sei es etwas Schlimmes“, sagte ich stirnrunzelnd. „Wo ist das Problem?“
    „Wo das Problem ist? Wo das Problem ist?“ Shaymins Stimme wurde mit jedem Wort lauter und aufgebrachter.
    „Ich für meinen Teil weiß nicht, woran du dich jetzt gerade so hochschaukelst“, sagte ich schulterzuckend. „Ich meine, okay, man verwischt vielleicht mal eine Gräte, an der man böse zu kauen hat; die Überreste eines nicht ganz so gelungenen Abendessens; auch der ein oder andere Stein war mir dabei schon die Kehle hinuntergerutscht – einer liegt mir wohl noch heute schwer im Magen, aber was soll’s?“
    „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein. Ich meine ...“
    „Wir wären dann zum Aufbruch bereit, Sheinux.“
    Stan beendete jäh mein kleines Zwiegespräch mit Shaymin. Feurigel annähernd gesättigt, Fiffyen wieder in stählerne Ketten gelegt und sämtliche Habseligkeiten gut verpackt, stand der Fortsetzung unserer Reise nichts mehr im Weg. Bis auf eines natürlich ...
    „Okay, Shaymin, wir müssen dann weiter“, sagte ich teils wehmütig, teils froh darüber, diese schon fast unheimliche Person hinter mir zu lassen.
    „In Ordnung! Wohin gehen wir als nächstes?“
    „Wir?“, fragte Stan erstaunt. „Wieso wir?“
    „Na, hatten wir denn keine schöne Zeit? Wir haben gegessen, gelacht, gestritten – so viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Sieht so aus, als hättet ihr mich am Hals“, zwinkerte Shaymin in meine Richtung. Und schon wieder lief ich rot an, wenn auch nicht ganz so schnell und intensiv, als vor einer Stunde.
    „Du willst uns begleiten?“, hakte Stan nach.
    „Spreche ich so undeutlich?“, entgegnete Shaymin.
    Stan suchte meinen Blick – und fand ihn schließlich auch. Wir schwiegen uns einige Sekunden lang an, dann fragte mich Stan: „Was meinst du?“
    Ich war froh darüber, eine Ausrede gefunden zu haben, um mich nicht weiter von Shaymins blauen Augen in den Bann ziehen zu lassen. Dennoch fiel es mir natürlich sehr schwer, in ihrer Anwesenheit offen zu reden. Ich meine, was wollte ich eigentlich? Ich wusste es ja nicht mal selbst. Einerseits brachte Shaymin sogar Leben auf die noch so trostloseste Trauerfeier, ganz zu schweigen, dass sie mir Fiffyen auf Distanz hielt. Andererseits war sie schlichtweg unheimlich und ich war noch immer davon überzeugt, dass sie und ihre blauen Augen etwas verheimlichten. „Also ich weiß nicht ...“, begann ich skeptisch.
    „Bitte! Ihr müsst mich mitnehmen! Lasst mich hier nicht zurück!“ Ein noch nie von Shaymin an den Tag gelegtes Flehen lag plötzlich in ihrer Stimme – und das hörte sich keineswegs geschauspielert an. Es kam fast schon einem Kind gleich, das darum bettelte, doch noch ein halbes Stündchen länger aufbleiben zu dürfen. Abwechselnd betrachtete sie Stan und mich. Ihre Lippe zitterte heftig und so auch ihr ganzer Körper. In diesem Zustand verstand es Shaymin erst recht – wenn auch offensichtlich nicht gewollt –, bei Stan und mir die richtigen Knöpfe zu drücken.
    Stan machte ein pfeifendes Geräusch. „Wie sagtest du doch noch gleich, Sheinux: Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade draus oder knall sie jemandem an den Kopf.“ Stan zupfte einen Pokéball von seinem Gürtel und blickte einige Sekunden noch zögernd auf Shaymin. Dann aber nickte er ihr zu. „Willkommen bei uns, Shaymin.“
    Widerstandslos und mit einem glücklichen Lächeln ließ sich Shaymin von Stan mit einem Pokéball bewerfen. Mit demselben strahlenden Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand sie auch, Wimpernschläge später, in dem unendlichen Nichts der roten Kugel. Anders, als es damals bei Fiffyen der Fall gewesen war, leistete Shaymin im Inneren ihres neuen Zuhauses keinerlei Gegenwehr. Der Pokéball fiel leise auf das Gras und signalisierte mit einem kurzen roten Aufleuchten, dass Shaymins Beitritt abgeschlossen war.


    Es war nun bereits das zweite Mal, dass ich diesem widerstandslosen Vorgang beiwohnen durfte. Zwei meiner Artgenossen hatten sich auf freiwilliger Basis Stans Sache angeschlossen – Feurigel und jetzt auch Shaymin. Bei Feurigel wusste ich genau, warum er das getan hatte: Der Bequemlichkeit und des Komforts halber. Shaymins Handeln vermochte ich mir aber ganz und gar nicht erklären. Was erhoffte sie sich nur davon?
    Es war noch gar nicht allzu lange her, da verachtete ich dies alles. Sich einem Menschen freiwillig zu unterwerfen, mit dem Feind zu sympathisieren, sein Leben so radikal wegzuwerfen, sich selbst regelrecht ins Gesicht zu spucken – all dies. Pokémon und Menschen – zwei grundverschiedene Spezies. Ein Zusammenspiel schien mir lange Zeit undenkbar. Doch man lernt irgendwann, die Vorzüge der Zusammenarbeit zu genießen, ebenso wie man lernt, seinen Menschen mit der Zeit zu akzeptieren. Doch was war, wenn man die Wahl hatte? Seine Freiheit aufgeben? Freiwillig?


    Vorsichtig hob Stan den Pokéball auf. Lange Zeit betrachtete er ihn in seinen Händen. Stumm, aber dennoch vielsagend, sah er dann zu mir herüber. Er zuckte nur eine Schulter – er schien dem Anschein nach zufrieden. Was aber sollte ich fühlen? Sollte ich glücklich sein, glücklich für Stan, glücklich für Shaymin? Sie hatten beide bekommen, nach was es ihnen verlangt hatte. Irgendwie fand ich es aber noch immer schwer, mich mit diesem Gedanken anzufreunden. Stan nahm für mich das Sprechen schließlich ab.
    „Shaymin wollte es so.“
    „Ich weiß ...“
    Stan ging in die Knie. Mit seiner freien Hand, der linken, graulte er mich am Nacken. „Ich weiß, Sheinux, dass du da etwas ... Hoppla! Was zum ...?!“
    Erschrocken ließ Stan den Pokéball auf den Boden fallen, wo er plötzlich zum Leben erwachte. Erst zitterte er heftig, dann – der markante rote Lichtblitz, wenn üblicherweise ein Pokémon herzitiert wird.
    Shaymins Beine setzten wieder auf die grüne Grasfläche auf. Sie selbst blinzelte einige Male in der noch frühen Morgensonne, ihr Blick huschte zu Stan, der noch immer die eine Hand an meinem Nacken hatte, und auch zu mir.
    Missmutig verzog sie das Gesicht. „Oh, so ist das also! Von Stan lässt du dich verwöhnen, aber mich weist du gnadenlos ab ...“
    Mir klappte doch tatsächlich der Kiefer herunter. Wie hatte sie das geschafft? Machte es ihr etwas Spaß, mich regelrecht vorzuführen? Alles an ihr war direkt gruselig.
    „Shaymin? Wie ... was?“, stotterte Stan völlig perplex.
    „Meine Frage“, sagte sie kurz angebunden.
    „Frage? Welche Frage?“, hakte Stan verwirrt nach.
    „Ich wollte doch noch wissen, wo es als nächstes hingeht“, schmollte Shaymin.
    „Ma- Malvenfroh City“, antwortete Stan.
    „Malvenfroh City also ...“, dachte Shaymin laut. „In Ordnung! Dann lasse ich euch Turteltäubchen wieder alleine.“
    Mit einem breiten Lächeln wuselte Shaymin zu uns herüber. An ihrem Pokéball, der nur wenige Schritte von unserer Position entfernt lag, kam sie zum Stillstand. „Oh!“, sagte sie, ihren Blick abwechselnd zu mir und Stan gerichtet. Ihr Grinsen wurde breiter. „Eines noch: Zertrampelt mir ja keine Blumen, haben wir uns verstanden?“ Sie zwinkerte einmal, dann berührte sie mit ihrer spitzen Nase den Knopf in der Mitte ihres Pokéballs. Schon war sie wieder verschwunden, hinterließ allerdings zwei völlig fassungslose Herren der Schöpfung – Stan und mich.


    Stan war es, der als erster seine Stimme wieder fand.
    „Wie – wie hat sie das gemacht?“
    Ich schwieg einige Zeit lang. Eine Antwort auf diese Frage konnte ich beim besten Willen nicht finden. „Ich sagte doch, dass sie bizarr ist ...“, murmelte ich. „Aber du musst zugeben: ein starker Trick. Den muss sie mir unbedingt beibringen“, fügte ich anerkennend hinzu.

  • Puh, endlich bekomm ich auch mal wieder ein kommi auf die Reihe. Mag sich vielleicht blöd anhören, aber du schreibst echt schneller, als ich zum Lesen komme. Jetzt muss ich einiges nachholen...


    Inzwischen ist es bereits zur großen Begegnung mit Deoxys gekommen, was ehrlich gesagt ein bisschen schneller passiert ist, als ich erwartet hätte. Man wird mehr oder weniger unvorbereitet in das Ende dieses Storyabschnittes geschubst und eh man sichs versieht, sehen sich Stan und Sheinux auch schon Eagle als "Endgegner" gegenüber. Ob man das jetzt gut oder schlecht findet, unterscheidet sich wahrscheinlich von Leser zu Leser, mir wäre ein langsamer Spannungsaufbau aber etwas lieber gewesen. Es geht fast wortwörtlich von 0 auf 100 und dann ist´s auch relativ schnell wieder aus mit dem Drama, quasi eine Vollbremsung. Kann sein, dass diese Kritik ziemlich extrem ist, aber so hab ich´s nun mal empfunden. Allerdings ist mir da auch noch nicht klar gewesen, wie viel "Pflicht und Ehre" noch bieten würde, doch dazu später.
    Um nochmal auf dem Kampf von Stan, Sheinux und Eagle einzugehen... Wie gesagt, es ging mir doch recht schnell, was aber keinesfalls heißt, dass es nicht ordentlich kracht. Die Kämpfe sind ja allgemein nichts, was man bei dir großartig bemängeln könnte und hier kracht es dann so richtig, wie es sich für einen Kampf dieser Größe und Art gehört. Der ständige Wechsel, wer gerade etwas Überwasser hat, treibt die Spannung, sei sie auch noch so kurz, enorm in die Höhe und lässt richtig mitfiebern. Am Ende war ich zunächst verwundert, da es erst so schien, als hätten Stan und Sheinux verloren. Dieser allerletzte Kraftaufwand, der das Blatt schließlich noch gewendet hat, gefiel mir gut und die Portion Backenfutter für Eagle auch^^. Die folgende Rückverwandlung war im Grunde okay, aber auch nix Besonderes, halt eine umgekehrte Version des ersten Körpertausches. Und dann war´s also vorbei...


    ...dachte ich zunächst. Nach einer hübschen und schön ausgeschriebenen Verabschiedung von Colin und seinen Eltern ging es also noch weiter. Die Tatsache, dass Stan nun dank Deoxys die Pokémon verstehen kann, kommt mir zwr ehrlich gesagt ein bisschen nach Null-Acht-Fünfzen vor, aber du hast schon nach kurzer Zeit eine tolle neue Atmosphäre zwischen Stan und Sheinux geschaffen. Auch die von dir erzeugten Situationen mit Fiffyen sind sehr schön geschrieben. Generell finde ich ja, dass es deine größte Stärke ist, eher langweilige und spannungsfreie Passagen wundervoll auszuschreiben, sodass auch hier das Lesen Spaß macht. Dies ist mir übrigens auch stark bei Stans Abstecher zu den Straßenpokémon in der Baker Street von Malvenfroh City aufgefallen. Die Tatsache, dass du jedem einzelnen Pokémon dabei einen tollen Charakter zuteilen kannst, der sich der Szene wundervoll anpasst, kommt dabei stark zur Geltung.
    Und nun hast du das auchnoch mit einem gaz außergewöhnlichen Pokémon geschafft: Shaymin. Nach dem ersten Auftauchen des wandelnden Gemüsegartens war ich zunächst in vielerlei Hinsicht verwirrt. Was hat das Teil denn nun in dieser Story verloren, wo diese sich doch dem Ende zuzuneigen scheint? Wo kommt es plötzlich her? Warum steht es so wahnsinnig auf Sheinux. Und warum zur Hölle hab auch ich das Gefühl, dass sie nicht ganz sauber ist? Letztere Frage ist dabei sowohl auf ihren Verstand als auch auf ihr Vorhaben mit Stan und Sheinux bezogen. Bin jedenfalls sehr gespannt, was da noch kommt. Wie das funktionieren soll mit Shaymin und Fiffyen..., ich weiß ja nicht, was Stan sich dabei gedacht hat. Ist aber schön, dass Sheinux erste große Verehrerin nun endlich auch mehr mit einbezogen wird. Das stinkt richtig nach Zwist. Bin jedenfalls gespannt, wohin das führt.


    Das soll´s dann erstmal gewesen sein. Wenn du es übers Herz bringst, nur ein kleines bisschen langsamer zu schreiben oder zu posten, kann ich dir auch mal öfter Feedback geben. Nur so als Anmerkung :rolleyes:

  • Es ist wiedermal Zeit für ein Sammelkommi meinerseits!
    Erst einmal entschuldige ich mich, dass ich es wieder etwas länger gedauert hat, die neuen Parts gelesen hab ich schon vor einer Weile, nur zum Kommentar schreiben bin ich nicht gekommen^^;
    So, dann geh ich gleich mal zum Inhalt über. Irgendwo hab ich einen kleinen Tippfehler entdeckt, nur hab ich mir nicht gemerkt wo XD Naja, ein winziger Fehler hin oder her, auf zum Inhalt:


    Wie’s ausseht geht es doch nicht direkt Richtung Harfen XD
    Einen kleinen Umweg zu Miriam? Nett die beiden wieder zu sehen… war jedenfalls mein Gedanke bevor ich bis 2 Kapitel angelangt war. Auch wenn Sheinux berechtigte Gründe hat, etwas sauer auf die Beiden zu sein, halte ich ihn diesem Fall eher zu Stan, den dank ihnen gibt es Buch 3 XD
    Nach einem kleinen Gespräch über Sheinux „böse innere Stimme“ (ob die mehr, als nur sein Trainerinstink war?) haben wir endlich die Ehre mit Shaymin.
    Ich hab beim Lesen des Kapitels regelrecht einen Dauergrinser im Gesicht gehabt, die ganze Situation war einfach zu komisch. Es fängt ja schon mit dem Aufwachen an, wo Sheinux bemerkt, dass er mit einem Fremden Pokemon „gekuschelt“ hatte. Ein blau Äugiges, niedliches Igelpokemon mit einer rosa Blume im Fell, das es versteht, wie man das andere Geschlecht vollkommen verwirren kann. Sheinux plumpes und richtig Stan Artiges verhalten trägt einen großen Beitrag zu dem „Dauergrinser“-Flair dazu XD


    Was scheinbar nun auch verstärkt ins Spiel kommt, ist eine Portion Spannung bzw. Mystery, durch einige offene Fragen. Woher kennt Shaymin wirklich Sheinux und Stans Namen? Wie kann das Haus, in welchem sie übernachtet hatten, einfach verschwinden? Was verheimlicht sie den anderen? Und was hat es genau mit der Rose der Wüste auf sich… Fragen über Fragen, die die Neugier auf Weiteres nur noch verstärken. Verständlich das sich Sheinux und Stan anfangs darüber beraten wollen, den sein Misstrauen wird wohl nicht unbegründet sein (Man, den Zitronen-Spruch wollte ich selbst in meiner Fs verwenden XD ) So, aber die werden hoffentlich in Zeiten sich lösen, etwas auf das ich gespannt sein kann : D


    Die nachfolgenden Parts können es leicht mit den „Sheinux-Fiffyen“-Part aufnehmen, was den Grinsfaktor angeht. Was soll man schon anderes von einer „Shaymin-Sheinux-Fiffyen“ Szene erwarten. Aber im Ernst, wie verwirrt muss der gute Sheinux schon sein, dass er (wieder) meint, dass es eine gute Idee wäre, wenn man Feurigel und Fiffyen aus ihren Bällen lässt, besonders wenn ein blauäugiges, weibliches Igelpokemon in der Nähe war. Damit hat er nur den neuen „Worst Case“ herbei gerufen. Zwei Pokemon des Weiblichen Geschlechtes, die scheinbar sich sehr zu Sheinux hingezogen fühlen. Obwohl es von vornhinein eigentlich schon klar ist, wie diese erste Begegnung (ungefähr) verlaufen wird, war es einfach Unterhaltung pur. Müsste mich ja fast schon dafür schämen, mich an dem Leid eines anderen zu erfreuen.

    Zitat

    „Es ist genug Sheinux für alle da ...“


    Ich glaub ich flieg gleich vom Sessel XD


    Alles rennt aber letztendlich darauf hin, dass der Streit wie am Vortag mit Pokeball Gewalt beendet wird. Das sich Shaymin sich anschließend mit ihnen mitkommen möchte, hatte ich stark erwarte, dass sie sich aber in einen Pokeball sperren lässt hat mich eher noch verwundert… jedenfalls bis zu dem Punkt, an dem das grüne Pokemon ihnen präsentiert, dass sie sich in den Pokeball zurückziehen und rauskommen kann, wie sie möchte. Naja, trotz allem darf man nicht vergessen, Shaymin ist eigentlich ein Legendäres Pokemon. Bin mal gespannt, ob das Sheinux irgendwann auch lernt, wobei er sowieso immer aus seinem Pokeball draußen ist, also ist das eigentlich egal.
    Bin ich gespannt, wie sich die ganze Handlung mit Shaymin weiter entwickeln wird. Momentan weiß ich noch nicht, ob sie mir nun sympathisch, unsympathisch oder nur einfach Unheimlich sein sollte XD
    Sie verheimlicht unseren Protagonisten etwas, das hat ja auch Sheinux schon bemerkt. Ist damit die Frage was ihre wahren Ziele sind… abgesehen davon unser liebstes Elektropokemon zu verführen und Fiffyen streitig zu machen. Ihren Charm kann sie jedenfalls gut gegenüber Sheinux nützen XD


    Bin schon gespannt auf weiters^^
    Auf wiederlesen,
    Toby

  • Heyho,
    so, der name kommt dir vlt bekannt vor, ich hab mein bestes Kommi des Jahres in der celebi high hinterlassen ;D
    joar - ich hab sagen wir ab Band 2, Kap 3/4 wider angefangen, hab bis dahin ma iwann gelesen, wo Twix noch Raider hieß...
    Ich fang mit den Charas an, der Inhalt wird von mir erts gekommit, wenn'et 'nen neuen Part gibt, da Alma langsam überläuft, 3 Storys egelt ganz neu durchgelesen (Celebi High, hier Band 2 bis jetz und noch eine) - btt, ich und spam xD
    Scheinux - dieses blaue durchgeknallte Teil ist mir so ans Herz gewachsen wie gnix andres - ich liebe das Teil einfach. Immer gewitzt (Ray Valentine?), nur anders als der in Klammern, große Klappe, die mir aber Stan zu wenig beleidigt seit dem 3ten Buch ;) - ich warte darauf, wo er Feuerzahn erlernt ;)
    Stan - schüchtern, verpeilt - Teil 1, schüchtern, verpeilt - Kodex - offen, verpeilt ;) - er ist mir erts im 2ten Teil (aus Stans Sicht) ans Herz gewachsen, wo man mal seine Perspektive sieht, die gar nich so verpeilt ist, wie der hochwohlgebohrene Sohn des 6ten Hauses meint. Denke er hat schon was für seine Pokemon übrig - sehr viel - er ist der ideale Trainer ;)
    Eagle - aha, Sora... ich dachte Ray fänd die so scharf ;) - ich finds gut, dass er vorkommt - Granger hier auch noch, wie willste ihn in die Zeitkriese bringen? ;D bestimmt als aggro-staralili ;) - du beschreibst hier ihn auch gut, hier scheint er bereits von der high geflogen zu sein bzw hat sie gepackt ;D - ich darf doch auf einen Kurzauftritt von Ray und dessen Scheinux hoffen? Leichte Wortgefächte zwischen ihnen vlt wo dann der Mülltonnenjäger reinplatzt ;)


    Shaymin, ist Stan da bewusst, dass er ein legend poki hat? in japan heißne die anders, ein hoch auf die deutschen "wirmachenalleszulegendärenwasziemlichweithintenimdexsteht"-nummer. Ich mag sie nicht ;) - warum? kA - genauso nervig wie Fiffyen aber auch anders
    Man beantragt Pn-Benachrichtigung ;) - wär super ;)
    Lg, Almarik

    Warum wollen Männer keine Osterhasen sein?


    Rechtschreibfehler sind rein zur Belustigung da. Ihr müsst mich auch nicht darauf hinweisen, wie toll ihr sie fandet.

  • Kapitel 4: Zwischenstopp - Malvenfroh City



    Part 1: Der Menschen größtes Laster



    Die Ereignisse der vergangenen Stunden waren mir noch immer äußerst fremd. Wenn ich auf den Namen „Feurigel“ gehört hätte, hätte ich in diesem Zeitpunkt glatt behauptet, dass sie mir „schwer im Magen“ liegen. Shaymin hatte sich also freiwillig unserer Sache angeschlossen. In Ordnung, soweit alles klar und zumindest halbwegs gut zu verdauen. Während dieser ganzen verqueren Geschichte war allerdings ein Thema für mich noch längst nicht gegessen: Was war mit diesem Menschenmädchen? Nichts von alledem ergab auch nur ansatzweise Sinn. Das Haus, in dem wir vor etwa einer Woche noch Unterschlupf gefunden hatten, lag in Trümmern, Miriam und ihre Großmutter lebten, laut Shaymins Aussage, schon seit Jahren nicht mehr hier. Preisfrage: Wie ergab das einen plausiblen Sinn? Nicht einmal ansatzweise wollte mir das in den Kopf gehen, geschweige denn, dass ich einfach darüber hätte hinwegsehen können. Der sonst so penible und kleingeistige Stan hingegen schien nicht sonderlich viele Gedanken um den Vorfall oder die letzten paar Stunden zu verschwenden. Für ihn war offenbar lediglich die Tatsache von Relevanz, dass sich Shaymin seinem leicht kopflosen Regiment angeschlossen hatte, von Bedeutung. Alles Weitere war wohl eher nebensächlich. Auch, dass er an diesem Morgen einmal mehr mit seinen verstreuten Gedanken völlig geistesabwesend schien, auch wirkte er bei näherer Betrachtung blässer als sonst, beinahe kränklich. Einige Dinge gingen mir im Kopf herum, die für diese Erscheinungen halbwegs eine Erklärung bereithielten. War die männliche Anstandsdame vielleicht von den Erlebnissen um Fiffyen, Shaymin und mich doch deutlich mitgenommener, als er uns auf den ersten Blick zu erkennen geben wollte? Eine solch heikle Anbahnung einer Beziehungskiste zehrte schließlich schon an der Substanz, da konnte auch ich ein Lied davon singen. Womöglich aber war das selbst für ihn seltsame Auftreten auf die Nachwirkungen seiner Rückverwandlung zurückzuführen. Nun war er schließlich nur noch ein Mensch. Die kleinen Annehmlichkeiten, die die eigene Existenz überhaupt lebenswert machten, wie beispielsweise die Lebensaufgabe, seinem eigenen Schwanz hinterherzujagen, die fehlte ihm nun. Auch dieses Problem konnte ich, da ich ja schließlich sein Schicksal geteilt hatte, gut nachvollziehen, wobei es für mich nun natürlich der Vergangenheit angehörte. Aber Menschen hatten ja schließlich auch ganz eigene Labsale, an denen sie sich erfreuen konnten: Belag auf den Zähnen, Warzen zwischen den Zehen, vor Eiter triefende Furunkel, ... Habe ich etwas vergessen? Oh, ja! Da gab es natürlich noch eine Kleinigkeit. Ein Rätsel für euch! Was ist es? Menschen verwenden es beinahe tagtäglich, man sieht es in zwei verschiedenen Formen, es stinkt zum Himmel, gelegentlich findet man es auf der Straße und es ist der ideale Bote für Krankheitsträger aller Art. Na? Wer sich jetzt, aus welchen Gründen auch immer, an den herzhaften Geruch einer Mülltonne erinnert fühlt, den muss ich an dieser Stelle leider schwer enttäuschen. Großzügig, wie ich bin, gewähre ich euch noch einen Versuch: Wer es nicht hat, der ist im wahrsten Sinne des Wortes arm dran. Na, ist der Groschen gefallen? Die Sheinux-Produktion präsentiert euch stolz: Kohle, Moos und Knete – in der Hauptrolle meine Wenigkeit und Stan.


    „Sag mal, Sheinux, wir hatten auch schon mal mehr Geld.“
    „Hat dir eigentlich schon jemand gesagt, dass du eine einzigartige Auffassungsgabe für das Offensichtliche hast? Du solltest Wahrsager werden. Erzählst den Leuten, was sie ohnehin bereits wissen, und verdienst dabei dein Geld im Handumdrehen.“
    Ein eher trauriger Blick in sein Portmonee hatte Stan die erschreckende Klarheit über unsere aktuelle finanzielle Situation verschafft. Jetzt, wo er sein Gleichgewicht wieder, wie die anderen seiner primitiven Spezies auch, auf nur zwei Beinen halten musste, durfte er sich notgedrungen wieder mit dieser lästigen Thematik herumschlagen.
    „Vielleicht habe ich mich etwas missverständlich ausgedrückt.“ Ein selten von Stan zu beobachtender Blick erfasste mich kurz, bevor er aber auch bereits wieder verschwand. „Sheinux, was hast du mit meinem Geld gemacht?“
    Im ersten Moment glaubte ich tatsächlich, ich hätte mich verhört. Vielleicht gerade aus diesem Grund war ich anfangs so von der Rolle, dass ich abrupt abbremste und Stan, bis er bemerkte, was Sache war, ohne mich die nächsten Meter ging.
    Dein Geld?“ Ohne es wirklich beabsichtigt zu haben, hatte meine Stimme einen schneidenden Ton angenommen. „Dein Geld?“, wiederholte ich, als Stan endlich realisiert hatte, dass ich von seiner Seite gewichen war. „Wer hat dich denn bitteschön zum Hüter der Reisekasse gekrönt?“
    Stan machte eine recht unverständlich Handbewegung, als wollte er etwas sagen, aber ein anderer fehlgeleiteter Gedanke hätte ihn selbst noch mitten in der Ausführung der ersten Idee überholt. Daraus resultierte dann wohl auch, dass er sich kurzerhand auf die Zunge biss. Seine nächsten Worte waren dann: „Korrigier mich, wenn ich mich irre, aber ich bin der mit der Brieftasche, oder? Meine Brieftasche, mein Geld – so einfach ist das.“
    Ich wollte herablassend lachen, doch erstickte ich beinahe an meinem eigenen Hohn. Stan schien seinen Fehler bemerkt zu haben, denn zog er bereits vorab eine Augenbraue fragend in die Höhe. „Ach! Das ist ja mal wieder typisch! Kaum hat der Herr wieder Hosen an, denkt er nur noch an sich! ‚Meine Brieftasche, mein Geld ...’ Sag mir, Baron von und zu Knickerbocker: Wer hat denn vor etwa zwei Wochen Kopf und Schwanz für die unsere Reisekasse riskiert, die der werte Herr“, mein Blick fixierte Stan, „für irgendwelche hirnverbrannte Videospiele geplündert hatte? Ich oder ich?“ – „Ähh ...“ – „Spar dir die Antwort! Jeder denkt an sich, nur ich denke an mich.“ In Erinnerung an meinen heißen Tanz mit Voltenso entfuhr mir ein nostalgischer Seufzer. Wie gestern kam es mir vor, als ich mich mit diesem vor Speichel triefenden Monster von Angesicht zu Angesicht gemessen hatte. Sein heißer, stinkender Atem – es schien so, als brannte er mir noch immer im Nacken. Der stechende, feurigrote Blick – wie durchdringende Messer in der Dunkelheit ...
    „Sheinux?“
    „Jedenfalls“, schreckte ich durch Stans Stimme zurück in die Realität und setzte mich auch wieder in Bewegung, mein menschlicher Gefährte an meiner Seite, „war und ist es mein heiliges Privileg, auch ein ordentliches Stück vom Erdbeerkuchen abzubekommen!“
    Stan kräuselte angestrengt die Lippen, als suchte er die richtigen Worte für seinen kümmerlichen Gegenangriff. „Ein Stück, ja“, sagte er schließlich, „wenn ich mir das aber so ansehe ...“ Noch während wir uns vom Rand der Wüste immer weiter entfernten und langsam wieder auf grünen Grasflächen wandelten, entblößte er vor meinen Augen das Innere seines Geldbeutels. Gähnende Leere lächelte mir entgegen.
    Widerspenstig sah ich zu ihm herauf. „Gibst du mir etwa die Schuld dafür?“
    Stan lächelte matt. „Habe ich etwa eine große Auswahl?“
    „Ist es etwa mir zu verdanken, dass wir uns damals ausgerechnet das teuerste und luxuriöste Taxi ausgesucht haben? Der Mann wollte bezahlt werden und klingende Münzen sehen, wir mussten löhnen - zu Recht, wenn ich das anmerken darf.“
    „Und für eine Fahrt mussten dann knapp fünfundzwanzigtausend Scheinchen dran glauben? Er hatte es im Anschluss recht eilig, nicht wahr?“
    Nachdenklich legte ich die Stirn in Falten. „Mit donnernden Motoren“, grübelte ich laut vor mich hin. „Er wollte großzügig einen trinken gehen, sagte er.“
    „Wohl eher ,großzügiges Trinkgeld’“, ergänzte Stan seufzend und packte sein Portmonee wieder in die Tasche.
    „Und jetzt? Wirst du mich vor ein Kriegsgericht stellen? Ich sehe mich schon vorm Pranger und höre bereits den Schuldspruch über mich hereinbrechen: Schuldig, sein eigenes Geld ausgegeben zu haben und einen hart arbeitenden Taxifahrer zurück zum Suff geführt zu haben. Aber du weißt ja, dass du mich nicht einfach entlassen kannst. Sklaven müssen verkauft werden!“, antwortete ich sarkastisch.
    „Wo wir wieder beim Geld wären ...“
    „Macht den Reichtum billiger! Sind wir uns da einig?“
    Stan grinste. „Voll uns ganz.“


    Was lehrt uns dieser kleine Ausflug in die wunderbare Welt der Finanzen? Geld allein macht nicht glücklich, es muss auch einem gehören!

  • Da denke ich heute erst: „Hm, hab schon lang nichts mehr von Pflicht und Ehre gehört. Wäre doch mal nett, wenn Jens einen neuen Part online stellen würde“
    Und was ist das Nächste was ich innerhalb der folgenden 5 Minuten sehen? Eine PN-Benachrichtigung für Pflicht und Ehre, also wenn das mal kein Zufall ist XD Wollte dir eigentlich sofort ein Kommi schreiben, aber mir ist - mal wieder - etwas dazwischen gekommen ... Also hab ich es leider nicht mehr „ganz“ am selben Tag geschafft. Es ist außerdem eine Ewigkeiten her, dass ich ein Kommi geschrieben hab, bin also vollkommen aus der Übung XD *hust*
    Fast so lange ist es auch her, dass ich was von den zwei Kollegen Sheinux und Stan gelesen hab, also musste ich mich erst einmal wieder etwas zurecht finden … Also da haben wir Shaymin, die sich dem Duo freiwillig angeschlossen hat, das seltsame verschwinden vom Haus der Großmutter und … ach ja Stan versteht die Pokemonsprache, genau.
    Also wie angekündigt, handelt es sich hier um einen Mini-Teil, ohne großes Voranschreiten der Handlung, dafür mit einer großen Portion Humor, Sprüche und Sarkasmus.
    Sheinux, wieder ganz in Höchstform, belegt gleich mit einigen schlagkräftigen Argumenten, weshalb das Menschsein so Sinnlos und traurig ist. Sein anschließendes Rätsel hab ich nicht knacken können, ich mag zwar Rätsel aber im Lösen bin ich oft die totale Niete. Geld war jedenfalls nicht mein erster Gedanke XD Wo wir schon bei Stichwort Kohle und Knete wären.
    Mit der anschließende Diskussion bezüglich ihrer Finanzen hast du auch wieder einmal ein paar schon etwas verdrängte Ereignisse wieder in den Kopf gerufen. Wie Stan in der Schiffsspielhalle sein ganzes Geld verprasset hatte, wie Sheinux anschließend das Turnier gewinnen musste und dabei im Finale gegen Voltenso kämpfen musste und aus Buch zwei das großzügige Trinkgeld für den Taxifahrer. Unglaublich das die ersten Geschehnisse bereits mehr als ein Jahr zurückliegen, also auf die Realität gesehen. Wenn ich so nachdenke, wie viel Zeit ist eigentlich in der Handlung seit her vergangen … naja, egal^^
    Jedenfalls hat mich das kleine Gespräch zwischen den beiden nicht nur einmal zum Schmunzeln und grinsen gebracht, mit den ganzen Sprüchen und nostalgischen Momente. Jetzt wo Sheinux ja mit Stan reden kann und sich offiziell seinem Partner gegenüber als Hüter der Reisekasse präsentieren kann … grins : D


    Dass war mal mein kleines Kommi, tut mir Leid dass es nicht länger geworden ist^^;
    Aber hoffentlich sehe wir in Zukunft wieder mal etwas öfters einen neuen Part zu Pflicht und Ehre, auch wenn du gemeint hast, dass es noch etwas dauern kann. Aber bis dahin werde ich geduldig warten^^
    Trotzdem, auf baldiges wiederlesen,
    Toby

  • erstmal muss ich mich bei Tobi bzw Blackdraco bedanken, da er mich grade animiert hat, ein Kommi zu verfassen. Dass es hilfreich ist ist aber nicht garantiert :)
    endlich gehts weiter, wie ich die Kommentare des "Flacker"-Pokemon schon vermisst hab. Ich lese mir, just for fun, Pflicht und Ehre noch mal von forne durch, weil es da so viel zum Lachen gibt, und auch beim jetz insgesamt dritten Gesamtlesen der Story (das erste mal halt erstlesen, dann vor 'nem viertel Jahr nochmal und jz dritte mal :D) sind die mülltonnengeladenen Abenteuer immernoch zum brüllen.
    Aber back to capter - das Rätsel hab ich erst auch nicht gerafft, mich hat das Moos irritiert :D du weckst aber tolle Erinnerungen, wie z.B. den Kampf gegen Rays Voltenso (btw: Ray Valentine, warum denk ich jz an ein gaaaaanz anderes Flackerpokemon auf 'ner Schule bzw im mom inner Safarizone...), die Taxifahrt - deshalb les ich mir die Story nochmal durch :D
    okay, dass war nun ein Erzeugnis der aPdsK =almarikanische Produktion der sinnlosen Kommentare :D, aber ich wollt meinen Semf zu den geladenen (Wortwitz :D) Sprüchen vom Flackermon abgeben :D - ich könnt mich ja ma anner Luxray-Analyse versuchen... :D
    Lg, Almarik

    Warum wollen Männer keine Osterhasen sein?


    Rechtschreibfehler sind rein zur Belustigung da. Ihr müsst mich auch nicht darauf hinweisen, wie toll ihr sie fandet.

  • Part 2: Rückkehr


    *



    Fern von dem Duft des Erfolges, den nur ein Stapel druckfrischer Banknoten mit sich brachte, und stattdessen mit dem verräterischen Gestank des abgebranntseins behaftet türmten sich in nicht allzu weiter Ferne die wolkenkratzenden Monumente der vor uns liegenden Stadt auf. Die völlig unerwartete Entwicklung der Dinge war also eingetreten: Malvenfroh City, ich verband mit diesem Treffpunkt menschlichen Wahnsinns nichts als Abscheu. Es wird gesagt, eine Reise präge den Charakter. Genieße jeden Moment, halte jeden einzigen Schritt gut in Erinnerung und verabschiede dich von den bereisten Orten als atmeten sie die gleiche Luft wie auch du sie atmest, so wie ein guter Freund, dem man „Lebe wohl“ sagt. Was aber, wenn besagte Augenblicke, wenn besagte Schritte, wenn besagte Orte zu den schlimmsten Erfahrungen in eines Leibens gehörten? Hatte man nicht die Wahl, ja besaß man nicht sogar das Recht, jene Dinge gänzlich aus dem Gedächtnis zu tilgen? Eine Seite im Buch des Lebens einfach herauszureißen, als wäre sie nie existent gewesen? Gerne hätte ich all dies getan. Die hohen Gebäude, das dichte Menschengewirr, die stark befahrenen Straßen und die in den unzähligen Schaufenstern feilgebotenen Waren mit demselben Interesse betrachtet, als sie auch aus Stans erhöhter Perspektive auf ihn wirkten. Fakt aber war: Ich konnte es einfach nicht und so sehr ich es auch wollte – daran gab es nichts zu rütteln. Sämtliche der in Malvenfroh City gemachten Erfahrungen hatten sich unwiderruflich in meine Seele eingebrannt. Wie Narben, die von einer bitterlichen Niederlage zeugten und die Demut einer verlorenen Schlacht bis zum Ende des eigenen Seins besangen, so sollten auch die Brandstempel auf meiner Seele mich auf Schritt und Tritt daran erinnern, was die Zeit weder vergisst noch verzeiht. Meine zu diesem Zeitpunkt immer weiter fortgeschrittene geistige Transformation zum Menschen, den Verlust meines eigenen Ichs, jede Nadel, mit der man mich drangsaliert hatte, jeden einzelnen Blutstropfen, den man aus meinen Venen gemolken hatte, jede vergossene Träne und schließlich meinen schändlichen Verrat, den ich an Stan auf dem Krankenbett ausgeübt hatte. Die Zeit, sie vergisst nicht ...
    „Was meinst du?“
    „Ich meinte, ich bin es Leid, dass es pisst.“
    Gerade noch rechtzeitig waren wir in den Untergrund von Malvenfroh City geflüchtet, nur kurz bevor uns aus heiterem Himmel ein Regenschauer überfallen hatte. Wie ich schnell feststellen musste, machte der menschliche Wahnsinn auch nicht vor Dingen Halt, die fern der ahnungslosen Blicken der Oberweltbewohner lagen – eine weitere Erkenntnis, auf die ich gerne verzichtet hätte. Auf unterirdisch angelegten Schienen schlängelten sich die über einhundert Menschenfuß langen metallenen Waggons kreuz und quer durch den kühlen Keller der Stadt, folgten in blinder Treue den enggeschnallten Zügeln ihrer menschlichen Führer und sammelten dabei jeden noch so mürrischen Zweibeiner ein, der an den vielen Stationen auf die verspätete Ankunft des Zugs wartete. Von Dank oder einer freundlichen Geste, dass man bequem und schnell von Punkt A zum Punkt B befördert wurde, man sein Hinterteil in den komfortablen Sitzen zur Rast betten konnte und man noch dazu ein Dach über dem Kopf hatte, davon konnte nicht die Rede sein. Und dennoch: Auch ich stellte mir die wahre Art des Reisens anders vor und schätzte mich nicht gerade glücklich darüber, im Bauch eines solch ratternden Ungetüms zu sitzen, umringt von neugierig oder einfach nur genervt dreinblickenden Zweifüßlern, obgleich die Luftzirkulation und das Klima in den schmalen und belebten Zug-Gängen seltsamerweise wesentlich erträglicher als an den stickigen und abgasüberfluteten Haltestationen auf mich wirkte. So oder so war allerdings der künstliche Geruch in der Luft nichts, was ich meiner Nase alltäglich antun wollte.
    „Die paar Tropfen ...“
    „Hat aber allemal gereicht, dass du deinen nicht vorhandenen Schwanz ängstlich einziehst, damit du auch ja nicht dein bisschen Pelz nass machst.“
    „Gerade du müsstest ja am besten wissen, dass nasser Pelz nicht gerade gut riecht“, sagte Stan mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen.
    „Wenn das, was auch immer du anstrebst, nichts wird, kannst du es ja als mein Frisör versuchen“, antwortete ich.
    Stan hatte bereits den Mund geöffnet, als er dann aber rapide seine Meinung wieder änderte. Er senkte sein Haupt und dazu die Stimme zu einem verschwörerischen, kaum zu vernehmenden Flüstern „Wir reden später, die Leute gucken schon wieder ...“
    Genervt schaute ich mich um. Seit unserer Ankunft – auch die Oberfläche von Malvenfroh City spielte da keine Ausnahme – war Stan wiederholt Ziel anklagender Blicke, Flüstern und Fingern geworden. Gerade hier, in dem abteillosen und stark überfüllten Zug, mangelte es zweifelsohne an etwas Diskretion und einer erwünschenswerten Privatsphäre. Unter jenen seiner eigenen Rasse war der weiche Stan schon immer scheu, äußerst zurückhaltend und fast schon weinerlich gewesen. Mit dem Lauf der Zeit hatten sich die Dinge ansatzweise gebessert. Unter dem Einfluss von Deoxys Gabe – er selbst sah es wohl noch immer als Fluch an - wollte sich dieses Verhaltensmuster allerdings nicht gerade weiter zum Positiven wandeln. Alles war halbwegs in Ordnung, wenn es um simple Dinge ging, z. B. ein U-Bahn-Ticket kaufen, nach einem Fahrplan fragen oder jemanden höflich darum bitten, seinen gewichtigen Fuß von meinem Schwanz zu nehmen, bevor ich ihn zu knuspriger Kost Marke Sheinux verarbeiten würde. Sobald aber irgendjemand auch nur die Spur eines Verdachtes hegte, dass Stan in irgendeiner Weise anders war, kehrte die alte Unsicherheit wie eine lästige Krankheit wieder in ihn zurück. Man hatte es wirklich nicht leicht mit ihm.
    „Marble-Street“, sagte Stan mehr zu sich selbst als zu mir, während er auf einen flimmernden Monitor spähte. „Noch eine Station ...“
    Die rußigen Wände und Säulen der Unterstadt, die vor unseren Fenstern vorbeizogen, wurden langsamer. Der Zug kam an einer Haltestation zum Stillstand. Ein Schwung Menschen – darunter auch eine hagere, schwarzhaarige Frau, die Stan wiederholt mehrmals neugierig gemustert hatte – eilte durch die vollelektronische Tür nach draußen. Ihr Platz wurde von nur noch mehr Zweibeinern wieder eingenommen. Die Türen schlossen sich, verborgene Gedanken fanden sich notgedrungen mit dem Sitz- oder Stehplatz und seinem Nachbarn ab. Mit ansteigender Geschwindigkeit setzte sich der der Zug wieder in Bewegung. Auch ohne einen weiteren Beweis von Stans Gabe wurden wir vermehrt Opfer böser Blicke; diesmal wohl aus dem Grund, da einer der wenigen kostbaren und hart umkämpften Sitzplätze in dem hoffnungslos überfüllten Abteil von mir beschlagt wurde. Was dachten die sich bloß dabei? Seht mich an, ich habe keinen Schwanz und laufe auf zwei Beinen, ich bin etwas Besseres! Ich für meinen Teil sah das doch sehr anders und wollte mein gutes Recht mit Zähnen und Krallen verteidigen. Komme, wer oder was da wolle.
    „Sheinux!“
    Hatte ich das etwa laut gesagt? Offenbar, denn fand einer der vielen belasteten Blicke seinen Ursprung in den Augen meines guten Freundes Stan. Eindringlich sah er seitlich auf mich herab, gestikulierte mit seinem Kopf dazu, dass ich mich auf seinen Schoß bemühen sollte.
    „Willst du lieber dieses Monstrum anstelle von mir neben dich haben?“, brummte ich. Meine Geste fand ihr Ziel bei einer mit billigem Modeschmuck dekorierten, korpulenten, lockigen Menschenfrau, die aussah, als würde sie noch vor dem Frühstück Pokémon in meiner Größe als Snack verputzen. Mit anmaßender Stimme hatte sie durch die Worte „Junger Mann, ist hier noch frei?“ ihren Anspruch auf meinen Sitzplatz unstreitig erhoben.
    „Soll sie doch schauen, wo sie Land gewinnt, nur nicht hier! Ich lass mich hier von niemanden nötigen, und schon gar nicht von der!“, gab ich trotzig zurück.
    „Jetzt mach schon!“, zischte Stan.
    „Kscht!“, machte die Frau.
    Der rettende Sprung auf Stans Schoß bewahrte mich im letzten Moment davor, von über zwei Zentnern Menschenhintern zerquetscht zu werden und fortan als hübsch anzusehenden Sitzüberzug zu dienen. Bitterböse schaute ich erst das Flakschiff von Mensch an und dann wieder enttäuscht zu meinem rückratlosen Begleiter hinauf, von dem ich mir doch ein kleines bisschen mehr Rückendeckung erhofft hatte. Stan jedoch torpedierte meine Bemühungen, bei ihm ein Gefühl des beschämtseins oder zumindest der Reue zu provozieren, indem er einfach mehr Interesse der Anzeigetafel als mir gegenüber heuchelte. „Fünfzehnte Straße, Ecke Baker Street“, las er vor. „Endstation.“


    Diesem kurzen Kommentar folgte eine anhaltende Zeit des gegenseitigen Anschweigens. An der nächsten Haltestation nahmen wir stumm Abschied von unseren mürrischen Wegkameraden und bestiegen im Anschluss die Treppen, die uns wieder an die Oberfläche führten. Der Himmel war bei unserer Rückkehr nach wie vor wolkenverhangen, der Nieselregen hatte jedoch während unserer kaum dreißigminütig Flucht in den Untergrund glücklicherweise nachgelassen. Somit hatten wir unserem Schicksal, das uns nassen Pelz versprochen hatte, noch einmal ein Schnippchen schlagen können. Der nur kurz eingesetzte Regen hatte eine anhaltende einschüchternde Wirkung und nur langsam krochen die Bewohner und Besucher Malvenfroh Citys aus ihren Häusern und den Geschäften zurück auf die nassen Einkaufsmeilen, auf einer auch wir unterwegs waren. Stan schien das Interesse für die bunten Schaufenster und die Frittenbuden am Straßenrand seit geraumer Zeit verloren zu haben; zumindest erweckte es den Anschein, denn war sein Tempo schneller als gewöhnlich. Man mochte glauben, er wäre auf der Suche nach etwas.
    „Wie lange willst du noch Löcher in die Luft gaffen? Ich steh mir langsam Blasen an den Pfoten!“
    Vor über einer geschlagene Minute hatte Stan seinen Streifzug durch die immer belebter werdenden Straßen der Stadt unterbrochen. Wenn es aber das war, nach was er Ausschau gehalten hatte, dann war es eine herbe Enttäuschung. Die Einkaufspassage ging noch ein gutes Stückchen weiter, und viele der Passanten, so ich auch, nahmen kaum Kenntnis von der abgeschiedenen Seitenstraße, die wie ein großes Brandmal zwischen zwei gut besuchten Geschäften klaffte. Ach, was rede ich da eigentlich? Schmuddelige, fast schon schäbige Gosse traf es eher. Sogar ich hatte reges Verständnis dafür, warum sich niemand wirklich darum scherte, welche Geheimnisse zwischen den verwitterten Häuserwänden dieses vergessenen Ortes lagen. Niemand außer Stan offenbar. Ich zählte seinen dritten verträumten Seufzer bevor er sich mir zuwandte. Er lächelte. Und ich? Ich verstand die Welt nicht mehr.
    „Gehen wir“, sagte Stan. Ein letztes Mal noch blickte er über die Schulter, bevor seine Augen sich endgültig sattgesehen hatten und wir unseren Weg fortsetzten.

  • Da hast du dir aber nicht viel Zeit gelassen, um von der Celebi-High wieder hierher zu schwenken. Aber du wärts auch nicht der Jens, den ich kenne, wenn du anders gehandelt hättest. Schön jedenfalls, hier wieder was neues zu sehen. Nebenbei muss ich mich aber echt mal fragen, ob du in deiner freien Zeit überhaupt noch einem anderen Hobby nachgehst, als dem Tastaturkrieg. Naja, mal zum Inhalt der letzten beiden Parts...


    Wie ich ja schon oft gesagt habe, verfügst du über ein wahnsinniges Talent dafür, eher alltägliche und uninteressante Situationen so zu schreiben, dass man dennoch Spaß beim Lesen hat und dies hat sich mal wieder bestätigt. Dies wird nicht nur durch die tollen Monologe und Zwischenkommentare seitens von Sheinux deutlich, welche die Situationen immer wieder in verschiedene Stimmungslagen bringen. Hier liest sich alles sehr flüssig, die Atmosphäre passt sowohl zu Umgebung als auch zu Situation sehr gut und das dynamische Duo steht vor einem riesigen Haufen an Spakulationen meinerseits.
    Erstens: War Malvenfroh nicht die Stadt, in der Stan (damals noch in Sheinux Körper) mit den Straßenpokémon abgehangen hat? Wenn ja, hoffe ich auf ein Wiedersehen und freue mich auf das darauf unvermeidbare Chaos, wenn sich herausstellt, dass der damalige Pokémonkumpel nun in Menschengestalt herumläuft und Sheinux selbst von all dem keinen Dunst hat.
    Zweitens: Wie wird das wohl mit Shaymin und Fiffyen weitergehen, die sich beide um ihren Liebsten zanken?
    Drittens: Wo ist die nächste Mülltonne für Sheinux? :geschwätz:
    Und Viertens: Was haben Stan und Sheinux jetzt eigentlich vor? Schande über mich, aber nach dem ganzen Kram mir Deoxys, Körpertausch und hier und da und trallala hab ich total vergessen, ob und wenn ja, welche Ziele Stan in Hoenn verfolgt. Lust auf ein komplettes Durchlesen der fast vollständigen Story habe ich beim besten Willen nicht, wäre also schön, wenn du mir nochmal auf die Sprünge helfen könntest^^.
    Ansonsten muss ich feststellen, dass ich dir zu gar nichts ein positiven Feedback geben kann... bei dem ich es nicht ohnehin schon gemacht hab. Wirklich neue Elemente und Ideen halten sich für den Moment noch in Grenzen, weshalb ich mich diesem Kommi hier ehrlich gesagt auch etwas schwer tue. Es ist einfach "Jens-Standard" => Super. Da ich langsam merke, dass ich in Sinnlosigkeit und Albernheit abdrifte, mache ich einfach mal Schluss, lasse Grüße da und freue mich auf alles, was hier demnächst kommt.


    Pheno

  • Part 3: Mit dem gebührenden Respekt



    „Wenn mir die Frage erlaubt ist: Wo wollen wir eigentlich hin?“
    „Pokémon-Center. Du hast doch sicherlich Hunger, oder?“
    „Etwas. Du nicht?“
    „Nein.“
    „Echt nicht? Du hast doch schon gestern und vorgestern kaum etwas gegessen.“
    „Echt nicht.“
    „ Das glaubst du doch selbst nicht ...“
    Man hätte meinen sollen, dass unsere Reise wesentlich angenehmere Bahnen annehmen sollte, gerade da die sprachlichen Barrieren endlich überwunden waren. Doch das Verhalten meines Freundes war mir schleierhaft, seine Person mir ein ungelüftetes Rätsel. Gewissermaßen redeten wir einander noch immer in zwei völlig unterschiedliche Sprachen an. Dass mir das kränkliche und blasse Häufchen, das zufälligerweise auf den Namen meines besten Freundes hörte, nicht jeden Moment auf offener Straße zusammenbrach, war nur eine Frage der Zeit. Ein besonders kräftiger Windstoß, und der morsche Baum wäre einfach so gefällt worden. Vielleicht schauten die Leute meinen bleichen Kameraden ja gar nicht so seltsam von der Seite an, weil er mit mir, einem Pokémon, eine gepflegte Unterhaltung hielt, sondern weil karottenlose Schneemänner in freier Wildbahn und noch dazu zu dieser Jahreszeit einfach nur verdammt selten waren. Ich musste wohl zukünftig noch etwas sanfter mit Stan umgehen. Glücklicherweise ist sanft ein doch sehr dehnbarer Begriff, versteht sich.
    Unter Stans Führung bogen wir in eine weitere, mit etlichen kleineren Pfützen gesprenkelte und schier in die Unendlichkeit führende Straße ein. Eine gute Gelegenheit, unsere Freundschaft zu intensivieren.
    „Ist es noch weit?“, wollte ich wissen und brach das Eis einer fast zweiminütigen Funkstille.
    „Nein“, antwortete Stan.
    „Wie lange schätzt du ungefähr?“
    „Sechs, sieben Minuten.“
    „Wie geht es dir eigentlich?“
    „Gut.“
    „Schau mal, da drüben an dem Stand gibt es billiges Blubberwasser! Das magst du doch.“
    „Keinen Durst.“
    Ja, ich weiß, was ihr denkt - Stan machte es einem wirklich nicht einfach. Es war gewissermaßen eine wahre Herausforderung, nicht schon längst die Fassung zu verlieren.
    „Hör mal, merkst du eigentlich nicht, dass ich mich mit dir unterhalten will?“, knurrte ich ihn mit gedämpften Zorn an.
    „Reden?“ Stan legte sein Gesicht in Falten. „Worüber?“
    „Ist doch egal, nur rede mit mir! Wetter, Essen, Familie, Handtücher*, irgendetwas! Man, Stan, da kannst du nun mit mir reden und kriegst nichts gebacken.
    „Später, die Leute schauen schon wieder ...“
    „Dann sollen sie doch gaffen! Mir doch schnurz!“
    Stan senkte noch weiter die Stimme, so wie er es bereits in der U-Bahn getan hatte. „Sheinux, hör mal ...“
    Entsetzte Aufschreie erschütterten die Geräuschkulisse der musizierenden Automobile und das muntere Geplapper der Passanten. Menschen mit ihren noch immer weit geöffneten Regenschirmen stoben vor uns auseinander, zwängten sich zwischen am Seitenrand parkende Fahrzeuge oder pressten sich stattdessen an die Schaufenster und Häuserfassaden. Die panischen Laute der Menge wurden nur von dem Gebelfer einer einzigen rauen, schimpfenden Männerstimme übertüncht, die sich rasch unserer Position näherte. Ein junger Familienvater zerrte seine kaum auf eigenen Beinen stehende Tochter zu sich auf die Seite – gerade noch rechtzeitig. Nur ein Augenzwinkern später trat an deren Stelle ein Lauffeuer auf vier Pfoten, strubbeligen Schwanz und noch dazu einer zotteligen Mähne: ein Pokémon der Straße. Auch Stan und ich sprangen eiligst zur Seite. Mein roter Pelzkamerad spurtete über das nasse Pflaster an uns vorbei; zwischen seinen Zähnen, soweit ich das in der kurzen mir verbliebenen Zeit beurteilen konnte, ein triefendes Kammfilet – unzweifelhaft die Trophäe eines erfolgreichen Beutezugs. Ein knapper Augenkontakt, den er mit mir geteilt hatte, war mir geblieben, und ein amüsiertes, zeitgleich aber auch nostalgisches Lächeln meinerseits. Für solche Momente, wenn das Adrenalin nur so wallte, der eigene heiße Atem einem nur so ins Gesicht peitschte und die Flüche der Verfolger noch viel süßer als das Raubgut zwischen den Zähnen war, das man noch Augenblicke zuvor vor deren Nase stibitzt hatte, dafür hatte auch ich einst gelebt, für eben diese Augenblicke im Leben. Polternde Schritte und schwere Atemzüge, die wiederholt von äußerst groben Beschimpfungen unterbrochen wurden, kündigten die Ursache für das überstürzte Hals über Kopf des Pokémons an: Ein in fettbefleckter Schürze gekleideter Mann, etwa in derselben Größe wie Stan, nur deutlich dicker, kürzere Beinen und mit weniger Haaren auf dem Kopf hetzte mit erhobener Klinge und einer ordentlichen Portion Schaum vor dem Mund meinem wildernden Artgenossen hinterher.
    „Drecksviech!“ Er rang arg mit dem Atem, während er sein Fleischermesser in der feuchten Luft kreisen ließ. Ungeachtet seiner viel zu kurzen Beinen, die kaum dazu geschaffen waren, mit den Vieren eines gesunden Pokémons Schritt halte zu können, und seines zunehmend schwindenden Vorsprungs schien er seine Verfolgung nicht abbrechen zu wollen. Sein kläglicher Aufholversuch sollte jedoch durch einen völlig unerwarteten Zwischenfall abrupt zum Ende kommen.
    „Ich krieg dich, zieh dir dein räudiges Fell von den Kn... Waaah!
    „Hoppla! Entschuldigung!“
    Mit einem hässlichen Geräusch und einem noch viel hässlicheren Bauchklatscher strandete der fluchende Wüterich brutal auf dem nassen Asphalt. Er war über Stans mit voller Absicht ausgestrecktes – ja, ich hört richtig – Bein gestolpert. Mir klappte der Kiefer runter. Stan, mein Stan, der Thronprinz des Selbstzweifels, der Fürst der Unentschlossenheit, der unangefochtene Großmeister des Zwiespalts, hatte einem wildfremden Mann das Bein gestellt. Die sonst so von ärgstem Bedauern durchtränkte und von rechtschaffenem Mitgefühl erfüllte Entschuldigung hatte einen amüsierten, ja fast schon hämischen Unterton, den ich von Stan noch nie gehört hatte. Ungläubig schaute ich zu Stan hinauf. Tatsächlich: er schmunzelte amüsiert, schien mit sich und der Welt völlig zufrieden. Diese Seite hatte ich von Stan noch nie zuvor erblicke dürfen. Das Opfer seines bösen Geniestreiches lag hustend und röchelnd und mit weit ausgestreckten Gliedern auf dem nassen Asphalt. Sein Beil war seinen dicken Wurstfingern entglitten und noch einige Meter weit über den Boden geschleift, bevor es unter einer Straßenlaterne zum Stillstand gekommen war. Mein sich auf der Flucht befindender Artgenosse warf derweil noch einmal kurz einen eiligen Blick über die Schulter, bevor er auch schon – mitsamt seiner Beute - hinter der nächsten Straßenecke verschwand. Stan signalisierte mir derweil mit kurzen, doch unmissverständlichen Kopfbewegungen, dass es Zeit war schleunigst zu verschwinden.


    „Kannst du mir mal erklären, was das vorhin sollte? Und was zum Geier soll diese Grütze sein? Sieht wie schon einmal gegessen, ausgespuckt und die Toilette hinuntergespült aus.“
    „Hm?“
    Im Laufschritt hatten wir nur die Hälfte von Stans prophezeiter Zeit benötigt, um unser Ziel schließlich zu erreichen. Beim Überbrücken dieser schwindend geringen Distanz hatten wir kein Wort miteinander gewechselt. Erst die herzhafte Duftnote von kalter Pampe war stark genug, um unsere gemeinsame Maulsperre aufzuheben, womit ich mir allerdings – angesichts der Bestürzung über das völlig unerwartete Verhalten meines Kameraden, das mir doch arg auf den Nieren lag – sichtlich schwer tat. Umso leichter war es daher, mich naserümpfend von der ekelerregenden Substanz vor mir abzuwenden.
    „Die haben Lieferengpässe wegen der Geschichte in den Meteorfällen und ausgerechnet die nächsten Tage wird das Pokémon-Center Gastgeber einer Convention sein. Sparmaßnahmen, wurde mir gesagt“, erklärte Stan mit trockener Stimme. Er klang nun wieder mehr er selbst. Dem Rest der Anwesenden, die mit uns kreuz und quer im Speiseraum verteilt das Aufgetischte zu sich nehmen sollten, ging es ähnlich wie mir und betrachteten mehr oder weniger angewidert ihre Teller vor sich. Wirklich über diesen Fraß hinwegtrösten mochte mich aber weder das eine noch das andere.
    „Lieferengpässe? Heißt also, ich soll den Gürtel enger schnallen?“
    Stan zwang sich zu einem gequälten Lächeln. „Sozusagen“, antwortete er. „Abseits bleibt dir natürlich auch die Möglichkeit, mal von dem Pokémon-Essen zu kosten.“
    Nicht umsonst wurde Stans Stimme mit jeder ausgesprochenen Silbe zunehmend leiser und leiser, bis sie wieder zu der altbekannten kleinlauten Rosine zusammengeschrumpelt war. Er ahne wohl bereits, auf was diese Äußerung hinauslaufen würde – und er behielt Recht.
    „Da lass ich mich doch lieber freiwillig künstlich ernähren!“, tat ich meinen Unmut empört laut kund. Demonstrativ schon ich Stan – sein Schmunzeln erstarb binnen Augenblicke – den für mich gerichteten Teller über den Tisch und ihm direkt vor die Nase. „Und das musst du bald ohnehin, wenn du nicht endlich dein Breichen isst, oder muss ich dich füttern?“
    „I-ich sagte doch, dass ich keinen Hunger habe ...“, nuschelte Stan.
    „Natürlich, und Colin wächst dir irgendwann noch über den Kopf. Das glaubst du doch selbst nicht“, höhnte ich ihm unverblümt ins Gesicht. „Dich darf man echt keine Sekunde unbeaufsichtigt lassen, stimmts? Shaymin soll auf dich aufpassen, während ich die hiesigen Mülltonnen inspiziere. Shaymin!“
    Nennt es Instinkt – irgendwie hatte ich bereits eine nicht umsonst begründete Vorahnung, dass unsere jüngste Bekanntschaft das ganze Gespräch von mir und Stan belauscht hatte – wie auch immer es ihr möglich war. Der Klang ihres Namens war noch nicht richtig verhallt, als Shaymin uns bereits zum zweiten Mal ihre Entfesselungskünste demonstrierte und wie ein geölter Blitz zu meiner Seite auf dem Tisch erschien.
    „Du hast gebrüllt?“, lächelte sie mir entgegen.
    Über die leichte Schamesröte hinweg, die Shaymin mit ihrer bloßen Anwesenheit bei mir heraufbeschwören konnte, ging ich den eben gefassten Entschluss noch einmal durch. „Hast du alles mitbekommen?“
    „Jedes einzelne Wort“, erklärte Shaymin stolz. „Auch wenn ich liebend gerne auf den Part mit deiner komischen Leidenschaft verzichten hätte“, würgte sie gekünstelt.
    „Stopf es ihm notfalls mit Gewalt rein, hast du gehört?“, hakte ich nach.
    „Darf ich da vielleicht auch ein Wörtchen ...?“
    Nein!“, erstickten wir entschieden Stans kurze Revolte noch im Keim.
    „Dann ist ja alles geklärt“, sagte ich und sprang leichtfüßig von dem Tisch. „Ich verlass mich auf dich.“
    „Ich pass schon auf ihn auf, keine Angst“, zwinkerte Shaymin über die Tischplatte hinunter.
    Nur noch ansatzweise hörte ich Shaymin sagen, Stan solle jetzt bitte weit den Mund aufmachen, als ich auch schon aus der geöffneten Tür hinausmarschiert war. Sheinux auf Streife – je länger ich mir diese Idee vor Augen hielt, desto besser gefiel sie mir. Sie mundete mir sogar so gut, dass ich im ersten Moment völlig vergas, Stan noch wegen dieser Beinstell-Geschichte anzusprechen. Dafür aber gab es ja später noch genug Zeit ...

  • Nachdem ich heute den Großteil meiner schulischen Aufgaben erledigt habe, wird es wirklich Zeit, dass ich auch wieder von mir hier hören lasse. Immerhin ist es schon ein Weilchen her, dass ich(wir) einen neuen Part zu deiner Fs lesen durfte, der letzte war im März und deine „Pflicht und Ehre-Vielschreibphase“ liegt sogar noch länger zurück. Aber schön dass du wieder „zurück“ bist, ich glaube Sheinux hat ohnehin schon lange auf seinen Einsatz gewartet^^


    Sehe ich da ein Kapitelbild … Nun, eigentlich ist es ja ein Partbild xD
    Auch ganz nettes Bild, die Baker Street, das Bild hat schon darauf hingewiesen, dass wir wahrscheinlich auf einen alten Bekannten antreffen werden. Wie sich es herausgestellt hat, hat das Bild nicht gelogen.
    Aber abgesehen von dem Bild, bekommen wir gleich einmal wieder eine von Sheinux liebgewonnenen Seiten zu Gesicht: Er hinterfragt gleich wieder eine Redewendung und gibt uns dabei auch wieder Hinweise auf die vergangene Handlung. Seltsam, obwohl der Malvenfroh Teil aus Buch Zwei eigentlich schon so bis Oktober zurückliegt, kann ich mich noch recht gut daran erinnern. Allgemein ist mir nach einer (fast) durchgehenden halbjährigen Pause noch viel im Kopf geblieben.
    Egal, zurück zum Kapitel. Damit kommst auch mal wieder auf eines von Sheinux Lieblingsobjekten zuschreiben … Fahrzeuge. Nach Taxi und Schiffen kommt mal die U-Bahn ins Spiel, die du vortrefflich und unterhaltsam geschildert hast, natürlich in feinster Sheinux Art. Besonders über die Stelle mit dem Sitzplatz und der dicklichen Frau hab ich mich köstlich amüsiert. Natürlich würde Sheinux als flachgepresster, blau, gelber Sitzpolster bestimmt wundervoll aussehen, aber das wäre doch ein zu tragisches Ende gewesen xD
    Aber über eine Bemerkung hätte es mich wirklich vor Lachen vom Stuhl hauen können:

    Zitat

    Vielleicht schauten die Leute meinen bleichen Kameraden ja gar nicht so seltsam von der Seite an, weil er mit mir, einem Pokémon, eine gepflegte Unterhaltung hielt, sondern weil karottenlose Schneemänner in freier Wildbahn und noch dazu zu dieser Jahreszeit einfach nur verdammt selten waren.


    Oh man, dieses Zitat muss ich unbedingt merken, der hat mir meinen Tag nochmals bereichert^^
    Auch hab ich mich über die Begegnung mit unserem alten Freund aus der Baker Street, gefreut, so kurz sie auch war. Besonders, als Stan dem dicken Verfolger ein Bein gestellt hat und sich Sheinux einfach nicht zusammenreimen kann, was in den blassen Jungen gefahren ist. Ich bin schon sehr gespannt, ob er das überhaupt mal erfahren wird …


    Abschließend landen unsere zwei Helden wieder einmal in einem Pokémoncenter, siehe mal einer an. Natürlich jetzt wieder jeder in seinem richtigen Körper, nicht das dies Sheinux davon abhalten würde, den Pokémonfrass abzulehnen. Und jetzt taucht auch noch unsere Freundin Shaymin und soll Stan füttern? Na ich bin ja noch immer gespannt, wo du das ganze hinsteuern wirst, aus dem grünen Igelpokémon werde ich noch immer nicht ganz schlau … natürlich nicht negativ gemeint, ich liebe Überraschungen xD


    Das war es nun wieder von mir. Kann eigentlich nichts negatives Anmerken, also werde ich es mit diesem positiven Kommi belassen^^
    Freut mich jedenfalls, dass Pflicht und Ehre wieder aktiv ist und bin schon sehr gespannt, wo du die „ein Mann/vier Pokémon“ Truppe wohl führen wirst … Bleib dran!
    Mit freundlich Grüßen,
    Toby^^

  • Part 4: Sheinux im Außendienst



    „Nicht du, nur nicht du ...!“
    „Doch, gerade der. Du kannst es einfach nicht lassen, oder?“
    „Ich kündige!“
    Schepper!
    Und da wollte mir mein eigener Verstand noch vor wenigen Tagen weismachen, wie groß die Welt doch wäre. Pustekuchen! Die Welt ist ein Dorf. Im Wohnviertel von Malvenfroh City – saubere Fertighäuser der Marke Quadratbunker in dicht besiedelten Alleen so weit das Auge reichte und keine zehn Minuten von Stan und dem Pokémon Center entfernt – hatte ich einen alten Bekannten von mir auf frischer Tat beim wiederholten Lebensmittelschmuggel gestellt. Wie schaffte er es auch, mir immer und immer wieder bei seinen dreckigen Geschäften über den Weg zu laufen? Ein Bisschen hätte er mir ja Leid tun können, wenn nicht seine Anwesenheit stets in eine einzige Gaumenfreude für gemündet wäre. Darum könnt ihr euch sicherlich denken, dass ich zu der damaligen Zeit unser nächstes Treffen stets voller Vorfreude entgegensah. Auf Gegenseitigkeit berief sich die unsere einseitige Beziehung jedoch leider nicht. Mein zweibeiniger Freund von dem Abfallräumdienst sah unsere Begegnungen zweifelsohne in einem ganz anderen Licht als ich es tat.
    „Nie mehr, hörst du, ich will nicht mehr!“
    „Umso besser! Bleibt mehr für mich.“
    Vor seiner überstürzten Flucht war mein müllbegeisterter Freund so freundlich gewesen, die üppig bestückte Tafel festlich für mich herzurichten. Die Obstplatte strotzte nur so von mit einer herzhaften braunen Schicht überzogenen Früchten aus aller Herren Länder, die dritte Pilzkultur wucherte auf einem Käsekuchen-Viertel fröhlich vor sich hin, ein Dutzend Ameisen tummelte sich wahllos auf einem nur einmal abgebissenen Müsliriegel mit Schokoladenüberzug, klebrige Reste aus Blechdosen, Gläsern und Verpackungen warteten nur darauf, von einer hartnäckigen Zunge ans Tageslicht gefördert zu werden und der Clou der ganzen Geschichte - ein verführerisches Stück gegrillter Fisch stand ebenfalls auf meiner Speisekarte. Ein wahrhaft sinnlicher Augenblick der Gaumenfreude. Der Himmel klarte zunehmend auf und die ersten vorwitzigen Sonnenstrahlen des herannahenden Abends bahnten sich wagemutig ihren Weg durch die dichte Wolkendecke. Alle Zeichen standen günstig für einen gelungenen Abschluss des Tages; das dachte sich wohl auch die Konkurrenz, deren Aufmerksamkeit ich durch meinen Auftritt unzweifelhaft erregt hatte.
    „Hallo! Kennen wir uns nicht?“
    Notgedrungen wandte ich mich von meinem sorgsam zusammengehäuften Abendessen ab und der Stimme hinter meinem Rücken zu. Die zwei dunklen Augen, die sich mit den meinen vor nicht einmal einer Stunde gekreuzt hatten, strahlten mir nun aus kürzester Distanz begeistert entgegen, der buschige Schwanz war nicht mehr zu bremsen und wedelte fröhlich hin und her, die Zunge dagegen hing ungeniert aus dem Mund heraus: Mein Pokémon-Kollege, von dessen jüngsten Raubzug ich am selben Tag Zeuge geworden war. In jenem Moment war er jedoch nichts weiter als ein Rivale, der mich beim Essen störte oder – vielleicht sogar noch schlimmer – selbst darauf scharf war und es mir in einem unvorsichtigen Moment abspenstig machen wollte.
    „Normalerweise vergesse ich ja nie ein Gesicht. Bei deinem könnte ich aber vielleicht eine Ausnahme gemacht haben“, antwortete ich kühl.
    „Nein, du bist es doch nicht“, sagte der Fremde, verlor dabei allerdings keineswegs die Freundlichkeit seines Bellens in der Stimme. „Ich habe dich für jemand anderen gehalten. Ein Fehler, tut mir Leid. - Man nennt mich Fukano, und du?“
    „Fukano?“ Ich musterte meinen in etwa gleichgroßen Mitbewerber in dem orangefarbenen, schwarzgestreiften Fell nun genauer. Woher kannte ich den Namen? Irgendwie kam er mir merkwürdig vertraut vor. Nicht aber ein Name, den man unbedingt im Gedächtnis behalten musste, so viel war klar. Aber ...
    „Nein, ich bin Fukano“, hechelte Fukano scherzhaft. „Deinen Namen will ich wissen.“
    „Sheinux, Sohn des Sechsten Hauses, unangefochtener Champion und Revierherrscher des westlichen Nationalparks, großmeisterlicher Mülltonnendurchwühler, mit dem blechernen Bierdeckel ausgezeichneter Meisterlangfinger, legendärer Voltensobezwinger, unverzagter Hüter der Reisekasse, Lebensretter zweiter Klasse, bewanderter Menschenkenner und sagenhafter Piepmatz-Fäller. Du darfst mich Sheinux nennen. Was du wiederum nicht darfst, ist mir in die Quere kommen. Behalt also deine Pfoten hübsch bei dir, sonst mache ich dir Beine, klar?“
    „Alles klar, Chef“, lachte Fukano.
    „Für dich immer noch Sheinux!“


    Eine ganze Weile schwiegen wir einander an. Mit flüchtigen Blicken in Fukanos Richtung vergewisserte ich mich immer wieder, dass er sich auch ja nicht an meinem Eigentum vergriff. Solch zwielichtigen Gesellen konnte man einfach nicht über den Weg trauen, sage ich euch. Hinter ihrem liebreizenden Äußeren, das auf den ersten Blick kein Wässerchen zu trüben vermochte, steckte nicht selten ein abgrundtief verschlagenes Ego – korrupt bis auf das winzigste und letzte Härchen ihres verlogenen Pelzes. Sie stellten sich stets in den Mittelpunkt, kannten nur ihr eigenes, egoistisches Ziel, gingen ihr Tun rigoros und ungeachtet jeglicher Hürden auf ihrem Weg an und scheuten dabei nicht das Wohl ihres ganzen Umfeldes unter das ihre zu stellen. Und zu guter Letzt machten sie natürlich auch nicht vor dem Besitz anderer halt, weswegen lediglich ein unvorsichtiger Moment von Nöten war, um einen von den höchsten Höhen des persönlichen Erfolges in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Sie waren ... Was soll das heißen? Wie meint ihr das, sie waren „Wie ich“? Das habe ich jetzt mal gekonnt überhört. Die Beschreibung passte doch hinten und vorne nicht auf mich! Nun gut, zugegeben: Vielleicht ein bisschen. Ein wirklich klitzekleines bisschen ...
    „Bewanderter Menschenkenner ...“, torpedierte Fukano unsere beschauliche Stille, die nur hin und wieder von dem Rascheln der sich leerenden Verpackungen unterbrochen wurde. „Du warst vorhin auch mit einem Menschen unterwegs, oder?“
    „Ja“, antwortete ich kurz angebunden.
    „Wer war das?“, wollte Fukano wissen.
    „Das war ...“ Hier stockte ich kurz. Das bisschen Respekt, das ich mir mühselig vor Fukano erarbeitet hatte, stand auf der Klippe. Ein falsches Wort, und ich wäre bei ihm unten durch gewesen. Woher ich das wusste, wollt ihr wissen? Simpel: Ich hätte in seiner Situation wohl nicht anders reagiert, wenn mir ein Reviereindringling berichtet hätte, dass er einem Menschen gewissermaßen unterwürfig ist, was ja auch mich und Stan eigentlich nicht wirklich passte, aber besser man ging kein Risiko ein. „Mein Hausmensch“, antwortete ich schließlich; beherzt darauf zu klingen, dass ich es mir sogar selbst glauben mochte.
    Fukano schaute mich aus seinen dunklen Augen heraus in höchsten Maß erstaunt an. „Du hältst dir einen Hausmenschen? Cool!“, sagte er beeindruckt. „Aber ist es nicht schwierig? Der macht doch sicherlich etliche Probleme?“
    „Es ist nicht immer einfach, das stimmt ...“, seufzte ich schwermütig. Ja, ich weiß, was ihr denkt. Doch was blieb mir schließlich anderes übrig? Jetzt musste ich mein Spiel mit gezinkten Karten weiterspielen. „Aber zumindest habe ich ihn mittlerweile stubenrein bekommen – hat ja auch lange genug gedauert ...“
    „Wo ist er jetzt?“, löcherte Fukano weiter.
    „Mein Welpensitter passt gerade auf ihn auf.“
    „Er wirkte aber etwas kränklich, kann das sein? Fütterst du ihn auch richtig?“
    Da habt ihr es! Ob Farce oder nicht: Selbst dieser flohverseuchte Kläffer aus der Gosse hatte während unseres kurzen Augenkontaktes Stans desolaten Zustand bemerkt. Natürlich bildete ich mir Stans äußeres Erscheinungsbild und sein momentanes Befinden kaum ein, Fukanos ausgesprochene Vermutung bestätigte nun jedoch offiziell meine Bedenken. Zwar war er zweifelsohne noch immer derselbe, doch seit sein Verstand wieder in dem ihm zugehörigen eigenen Körper wohnte, also alles eigentlich wieder so war wie es sich gehörte, schien irgendetwas Bedrückendes auf seiner Seele zu lasten. Und warum auch immer – er schien es vor mir tunlichst geheim halten zu wollen.
    „Er bereitet mir die letzten Tage ein wenig Kummer, isst nicht ordentlich und winselt wehleidig vor sich hin, das stimmt“, gab ich Fukano Recht, „nichts aber, wovon du Ahnung hast!“
    „Vielleicht nicht, vielleicht aber schon“, sagte Fukano und lächelte geheimnisvoll.
    „Ach, rutsch mir doch den Buckel runter! Zieh endlich Leine!“
    Fukano tapste nachdenklich einen kleinen Kreis um mich herum. Als er seine Runde absolviert hatte sagte er schließlich: „Eventuell fehlt ihm ja etwas, schon einmal daran gedacht?“
    „Was soll ihm denn fehlen? Er hat doch alles“, erwiderte ich.
    „Und das wäre?“, hakte Fukano nach.
    Er hat mich!“, sagte ich und betonte dabei jedes einzelne Wörtchen scharf.
    „Das ist nicht unbedingt viel ...“, seufzte Fukano. „Versteh mich nicht falsch, du scheinst ja ein prima Kerl zu sein, aber Menschen sind uns gar nicht so unähnlich, weißt du? Sie brauchen eben auch Gesellschaft, ihre Gesellschaft. Vielleicht hältst du ihn ja etwas zu sehr an der kurzen Leine und das bekommt ihm einfach nicht? Er hat außer dir niemanden, oder?“
    „Mhmm ...“ Keine meiner üblichen Antworten, ich weiß. Irgendwie schlug mir jedoch Fukanos bittere Mutmaßung etwas auf meinen empfindlichen Magen. Konnte diese vorlaute Töle womöglich Recht haben? Es gab gewisse Parallelen, die ich einfach nicht ignorieren konnte. Erst gestern hatte Stan die wahre Absicht seiner Reise enthüllt: Leute wie er kennen lernen und Freundschaften schließen. Ich war ihm vielleicht nicht immer ein allzu guter Freund auf unserer gemeinsamen Reise gewesen, doch sicherlich eine hilfreiche Stütze, wenn es darauf ankam. Leider musste ich mir an dieser Stelle jedoch selbst eingestehen, dass er mehr mit unserem alten Reisegefährten Colin als mit mir gemein hatte – und ich spreche nun nicht nur von den äußeren Merkmalen wie zwei Beine und den komischen Zinken im Gesicht. Colin und Stan hatten sich stets bestens verstanden; bei uns dagegen sind hin und wieder im wahrsten Sinne des Wortes die Funken geflogen. Ein Zufall, dass es Stan sichtlich schlechter ging, seit er seinen Artgenossen hinter sich gelassen hatte? Wie sehr schmerzte ihn dieser Abschied wohl? Wie sehr lastete diese erdrückende Erfahrung auf ihm? Wie es wohl sein musste, wenn man – abgesehen von Colin - keinen Freund auf dieser Welt hatte? Und die Frage aller Fragen: Wie sehr würde ihn wohl unser Abschied dann irgendwann mitnehmen? Nachdenklich gestimmt sah ich eine ganze Weile der spätabendlichen Sonne beim Untergehen zu. Wie viel Wahrheit steckte in Fukanos Gekläffe? Was konnte man tun, ja, was konnte ich für ihn tun ...?
    „Also dann, Sheinux, Sohn des sechsten Hauses ...“ Völlig in Gedanken verloren und für den einen Moment der Existenz meines stummen Gesprächspartners beraubt schreckte ich auf. Fukano hatte mir zwischenzeitlich den Rücken zugekehrt und Abstand zu mir und meinen verborgenen Gedanken eingenommen. Sein buschiger Schwanz entfernte sich mit jedem weiteren seiner kleinen, mir nicht völlig unähnlichen Schritte. „Vielleicht sieht man sich ja irgendwann wieder. Dir noch alles Gute weiterhin!“
    Fukano beschleunigte seine Schritte, bis es fast einem Rennen gleichkam und er völlig meinem Blickfeld entschwand. Zurück blieben ich und zwei nur schwer zu verdauende Lektionen, die er mir mit auf den Weg gegeben hatte: Wie einsam Stan womöglich doch war, und dass Unachtsamkeit einem manchmal teuer zu gestehen kommen kann. Es waren keine bis auf das Äußerste geschärfte Sinne wie die meinen von Nöten, um bereits nach kurzer Aussondierung des Umfeldes zu erkennen, dass etwas im Busch war – oder vielmehr, dass etwas fehlte! Dieser Schuft hatte sich doch tatsächlich an meinen Habseeligkeiten zu schaffen gemacht! Der Fisch, der mir als Höhepunkt meiner kulinarischen Reise in die Länder der Gelüste hätte dienen sollen, war weg! Dieses ganze Gefasel war nichts anderes als eine Ablenkung gewesen. Blieben nur noch zwei Dinge zu hoffen: Dass er hoffentlich niemandem von diesem Raubzug Bericht erstattete und er sich schon jetzt einen netten Schuhkarton für seine eigene Bestattung ausgesucht hat. Genieße deinen Triumph, nächstes Mal bist du dran!*


    Die ersten Anzeichen des Nachtlebens regten sich in den Straßen von Malvenfroh City. Die sich gemächlich zur Ruhe bettende Sonne rüttelte eine schlafende Straßenlaterne nach der anderen wach. Mehr und mehr dunkle Spießgesellen tauschten mit den pausbäckigen Zuckerbäckern und deren wandernde Ständchen Plätze. Meine Rückkehr an diesem kurz vor dem Ableben stehenden Tag verlief ereignislos. Ich hatte nicht nur genügend Zeit, die Köstlichkeiten Malvenfroh Citys halbwegs zu verdauen, sondern auch noch einmal über die Worte Fukanos zu sinnieren. Vielleicht steckte ja doch ein redlicher Kern unter der verlogenen Ansammlung von Pelz, eine Spur von Wahrheit in seinem Gebell. Meiner Kehle entrann ein müder Seufzer. Wie langes starrte ich nun bereits die große Tür des Pokémon-Centers nieder, hinter der mein hoffnungsloser Kumpel wohl bereits sehnlichst meine Rückkehr erwartete? Vielleicht sollte mit dem Ende dieses Tages ein völlig neuer Zeitabschnitt für uns beide anfangen? Wer wusste schon, was die Zukunft für uns beide noch bereit hielt ...?
    Schwere, aufgeregt klingende Schritte näherten sich hinter der Tür. Schritte, die eigentlich gar nicht zu meinem Freund passten. Und doch war es sein fahles Gesicht, das urplötzlich die vollelektronische Tür des Pokémon-Centers eiligst durchquerte. Zu seiner ungesunden Blässe auf Gesicht und Stirn reihten sich perlender Schweiß und – sofern ich mich nicht schwer täuschte – Schamesröte von der übelsten Sorte. Er rann nach Atem, als hätte er soeben den ganzen Weg von hier bis zu mir nach Hause zurückgelegt.
    „Was ist jetzt schon wieder? Kann man dich nicht einmal fünf Minuten alleine lassen, verdammt noch mal?!“
    Wie es so seine Art war, schreckte Stan völlig überdreht auf, suchte mit wildem Hin und Her seines Kopfes die Umgebung ab, bis er endlich mich erspähte. „Sheinux!“
    „Zumindest an meinen Namen erinnerst du ... Wah! Was soll das?! Lass mich runter, sonst setzt es was!“
    „Später!“, rief Stan mit mir fest unter dem Arm eingeklemmt und hechtete Hals über Kopf los.*


    Verabschiede dich von den bereisten Orten als atmeten sie die gleiche Luft wie auch du sie atmest, so wie ein guter Freund, dem man „Lebe wohl“ sagt. Auf meiner äußerst unbequemen Schaukelfahrt über die Stadtschwelle schaute ich ein letztes Mal über die Schultern und verabschiedete mich im Geiste ein letztes Mal von Malvenfroh City, einem Freund, wenn auch einem verrückten Freund.

  • Moin Jens,


    sorry, dass ich etwas für das Kommi gebraucht habe, aber seit Rock am Ring war ich echt am Arsch^^. Du hattest ja angekündigt, dass es bald zu einer Konfrontation mit den Straßenpokémon von Malvenfroh kommen würde. Hierbei hatte ich aber schon etwas mehr erwartet. Bislang ist ja lediglich Fukano erneut in Erscheinung getreten und wurde dabei noch nicht einmal genau mit Stan konfrontiert. Eine nette Idee ist´s aber schon, dass er Fukano vor dem mal wieder so wütenden Metzger rettet. Doch irgendwie kann und will ich mich jetzt nicht damit abfinden, dass ein kurzes Gespräch zwischen Sheinux und Fukano alles gewesen sein soll, was du diesbezüglich geplant hast. Zugegeben, eben dieses Gespräch könnte sich noch als ziemlich wichtig herausstellen, da Sheinux ja bereits ein wenig über dessen Inhalt nachgedacht hat und - man höre und staune - sogar recht einsichtig gewirkt hat. Selbstverständlich ist das jedenfalls nicht, aber vielleicht neigt er jetzt auch langsam aber sicher zu geringfügigen Veränderungen. Wäre meiner Ansicht nach auch logisch und in gewisser Weise sogar an der Zeit. Denn sein wir mal ehrlich, Sheinux hat durchaus seine Eigenarten und denkt in erster Linie an sich, wobei er dafür auch noch Respekt verlangt, aber ein kaltherziger Dreckskerl ist er definitiv nicht. Gerade als die Geschichte mit Deoxys und dem Körpertausch seine Höhepunkte gefunden hatte, hat man immer wieder die andere Seite von Sheinux gesehen und vielleicht zeigt diese sich demnächst mal wieder. Wir werden sehen.
    Und dann wars mal wiederr ein Cliffhanger. In letzter Zeit sehe ich die überall, wo ich kommentiere und langsam hab ich echt keine Lust mehr, mir das Hirn zu zermatern, wie es jetzt weitergeht. Also lass ich es einfach sein und warte einfach ab, verbleibe mit Grüßen und wünsch dir was.


    Pheno

  • Kapitel 5: Alte Liebe rostet nicht



    Part 1: Über das Mannsein



    Ungeachtet den verlockenden und noch so weichen Betten, die in dem Pokémon Center auf uns warteten, verbrachten Stan und ich diese Nacht weit hinter den Pforten von Malvenfroh City. Das sternenreiche Himmelszelt war unsere Bettdecke, das noch von dem mittäglichen Schauer nasse Gras unsere Matratze, das Flüstern einer lauen Sommerbrise unser Schlummerlied. Natürlich hatte ich Stan vor unserer gemeinsamen Schlummerpartie noch ausgiebig über die Vorfälle im Pokémon-Center gelöchert. Er aber hatte mich mit den Worten „Morgen, morgen ...“ auf den nächsten Tag vertröstet. So erschöpft die wenigen seiner Worten an dem besagten Abend waren, so erschöpft wirkte auch sein Äußeres. Es erweckte nicht gerade den Eindruck, als hätte Shaymin sonderlich großen Erfolg mit ihren erzieherischen Maßnahmen verbuchen können. Dass sie allerdings kläglich bei dieser eigentlich doch simplen Aufgabe versagt hatte, diesen Gedanken hatte ich vor dem Zubettgehen nicht laut zur Aussprache bringen wollen. Was auch immer während meiner kurzen Abwesenheit hinter den Mauern des Pokémon-Centers vorgefallen war, ich redete mir selbst ein, dass ich die Wahrheit spätestens beim Frühstück zusammen mit einer zünftigen Portion kaltem Elend serviert bekommen würde. Stan aber gab sich am Folgetag unverhofft eisern, richtig stur. Wiederholt fand er immer wieder irgendwelche Vorwände, um von meiner expliziten Frage auszuweichen. Schon seltsam – gestern hatte ich ihn noch dazu gedrängt, mit ihm Smalltalk halten zu dürfen, heute jedoch ödete mich das überflüssige Geleier über Handtücher nur noch an. Von Feurigel erwartete ich mir keine halbwegs brauchbare Antwort – der war mit seinen ganz eigenen Gedanken sehr weit von uns entfernt. Was Shaymin und Fiffyen anbelangte, so hatte deren spannungsgeladene Beziehung scheinbar ihren eisigen Höhepunkt erreicht. Neben einigen gezielten kleinen Sticheleien, die sich die beiden gegenseitig an den Kopf warfen, behandelten sie einander, als wäre keiner von ihnen Teil der Welt des anderen gewesen. Sowohl für Stan als auch für mich natürlich ein absolutes Labsal, diese vorzeitige Waffenruhe. Allerdings schwante mir irgendwie, dass die beiden Weiber Schuld an Stans elegischen Zustand zweckten. Zuletzt hatte ich ihn schließlich mit dem – wie Fiffyen sie heute Morgen so liebevoll genannt hatte – wandelnden Gemüsegarten gesehen, doch Shaymin allein war kaum dazu fähig, dass Stan einen solchen Rückfall erleiden würde. Nein, Fiffyen – oder Fuffi, wie sie an diesem Morgen so bissig von Shaymin genannt wurde - hatte sicherlich auch ihre Pfoten beim gestrigen Treiben im Spiel gehabt, darauf ging ich jede Wette ein.
    „Sagen wir es so ...“, murmelte Stan müde, nachdem ich ihm auf dem weiteren Weg endgültig angedroht damit hatte, seinem bröckeligen Gedächtnis mit einer Elektroschock-Therapie die notwendige Starthilfe zu geben und ihm somit auf die Sprünge zu helfen, „Shaymin und Fiffyen sind nicht ganz unschuldig, bist du jetzt endlich zufrieden?“
    Na, was habe ich euch gesagt? Das hatte doch bereits im Voraus zehn Meilen gegen den Wind gestunken, dass sogar ein Geruchsblinder die Witterung hätte aufnehmen können. Ob ich mit Stans knappem Geständnis allerdings zufrieden war? Wo denkt ihr hin? Ganz und gar nicht!
    „Was rechtfertigt bitteschön, dass wir gestern eine derart peinliche Flucht aus der Stadt hinlegen mussten? Die Leute haben sicher geglaubt, du hättest nicht mehr alle Kekse in der Dose. Du bist doch sonst so erpicht darauf, nur nicht aus der Rolle zu fallen ...“
    „Mildernde Umstände“, verteidigte sich Stan mit gequältem Lächeln. „War immer noch besser als im Pokémon-Center zu bleiben ... bei all den Leuten.“
    Bei all den Leuten?“, wiederholte ich die ausgesprochenen Worte stirnrunzelnd. Das war es also? Fiffyen und Shaymin hatten mit ihrem Auftritt ein wenig Leben in die trostlose Bude gebracht; ein Eklat, der wohl unter Stans Artgenossen Aufsehen erregt hatte. Irgendwie aber passte das zusammen wie der überflüssige Deckel auf eine Tonne. Jedem anderen hätte ich diese Geschichte nicht abgekauft. Mein schüchterner Freund aber bildete da natürlich die Ausnahme.
    „Was soll nur aus dir einmal werden ...“, seufzte ich.
    Stan würdigte diese Frage mit keiner Antwort und schwieg.
    „Ich kann dir schon jetzt versprechen, dass du so niemals Freunde finden wirst, deine Feinde niemals Respekt vor dir haben werden, ganz zu schweigen davon, dass sich Weibchen von solchen übervorsichtigen Typen wie du einer bist nicht gerade angezogen fühlen. Und wenn dann doch der fast unmögliche Fall der Fälle eintreten sollte ...“ Hier geriet ich kurz ins Stocken. Ein amüsiertes Lächeln huschte mir über das Gesicht. Ich schmunzelte ihn schelmisch an. „Sorry, aber ich kann mir dich einfach nicht beim Eier Ausbrüten vorstellen. Aberwitzige Vorstellung ...“
    „E-Eier au-ausbrüten?“
    „Ach, du bist auch nicht so einer? Na, dann willkommen im Club“, zwinkerte ich ihm zu.
    „C-Club? Nein, das verstehst du falsch! Ich will ... ich kann ...! Beziehungen ... Kinder ... Also ... Ich bin doch ... Du weißt schon ...“
    Mein Schmunzeln zerfiel augenblicklich in Stücke. Zurück blieben wütend bleckende Zähne. „Jetzt schlägts aber dreizehn!“ Unter meinem wütenden Starren schrumpfte Stan fast auf meine Körpergröße zusammen. „Ja, willst du dich denn dein ganzes Leben lang vor deiner heiligen Verantwortung als Männchen drücken?“
    „Ähh ...“, zögerte Stan peinlich berührt eine Antwort hinaus.
    „Warum verschwende ich nur immer wieder meinen Atem ...?“, stöhnte ich betroffen. „Wenn alle aus eurem Wurf so wie du wären, dann wärst du jetzt nicht hier und ich müsste mich jetzt nicht mit dir rumärgern. Bist du dir darüber überhaupt bewusst, hm?“
    „Also ...“
    Weißt wahrscheinlich noch nicht einmal, wie du eine rumkriegen sollst, wenn es dann man wirklich soweit sein sollte. Das sehe ich schon an deinem Blick, habe ich Recht?“
    „Sheinux, hör mal ...“
    „Brauch dir nicht peinlich zu sein, sei lieber froh. Du hast Glück, dass ausgerechnet ich dir als Adjutant zugeteilt wurde. Also, hör zu: Am besten vergisst du gleich alles, was du über Beziehungen weißt; aber so wie ich dich kenne, kann das ja nicht viel sein. – Unterbrich mich nicht!“, mahnte sich Stan, als er bereits zu einem Kommentar ansetzen wollte. „Für Fragen bleibt am Ende der Lehrstunde noch genügend Zeit. Also, wo war ich ...? Schon die Anbahnung einer Romanze ist eine heikle Angelegenheit und will wohl durchdacht sein. Vergiss Blumen, vergiss Pralinen, vergiss die ausgeschlagenen Zähne oder ausgerupfte Haarbüschel deiner Mitbewerber – wenn du schlechtes Wetter erwischt hast oder gar die falsche Jahreszeit gewählt hast, kannst du bei deinem Objekt nicht landen. Erfahrungsgemäß ist der späte Frühling ein lohnender Zeitpunkt, um auf die Pirsch nach einer potenziellen Gefährtin zu gehen. Wo unsereins sich von reichen Erdbeerplantagen, einem brutzelnden Happen auf dem Grill oder einer prallgefüllten Mülltonne ködern lässt, ist das andere Geschlecht dagegen ganz vernarrt auf Blumen und so ein Schrott. Wo also die Zutaten für den perfekten Salat wie Unkraut wuchern, sind die Frauen meist nicht weit; also Obacht, wenn du so nichtsahnend in der Nähe eines wilden Gänseblümchenfeld spazieren gehst! Vielleicht wagt sie sogar den ersten Schritt und wirft sich dir mit ausgefahrenen Klauen an den Hals. Im Normalfall solltest jedoch du die Initiative ergreifen. Und jetzt frage ich dich, Stan. Folgende Situation: Das Objekt deiner Begierde ist ausfindig gemacht steht vor dir. Was würdest du tun?“
    Stan antwortete nicht sofort, sondern nutzte die ersten Momente, um seine Hände ineinander zu verkeilen, mit den Fingern zu spielen und seine nächsten Worte sorgfältig abzuwägen. Dann murmelte er nachdenklich: „Äh, Komplimente, oder? Sie zum Essen einladen, mit ihr reden, ...“
    „Schwachsinn! Sülz sie nicht zu Tode und schmier ihr nicht lange Honig ums Maul, sondern brat ihr eins über den Pelz! So wird das gemacht!“
    „Ich soll was?!“
    „Ihr eins auf die Rübe geben. Ist doch nicht so schwer zu verstehen ...“
    „Bist du noch zu retten? Ich kann doch nicht ... Das geht doch nicht ...“, warf Stan teils empört, teils zutiefst erschüttert ein.
    „Gott, bist du naiv! Die Weibchen erwarten von einem dominanten Männchen sogar, dass sie K. O. geschlagen werden“, folgte meine Belehrung. Stan reagierte mit augenscheinlichem Unverständnis. Das aber hatte ich als Lehrer von meinem Schüler erwartet. „Wenn du die Witterung des brünstigen Weibchens aufgenommen hast und es aus dem Versteck getrieben hast, darfst du nicht lange zögern. Handle, bevor dir jemand zuvor kommt! Der Feind schläft nicht! Wenn sich dir die Gelegenheit bietet, entführst du sie auf eine elektrifizierende Grillparty und jagst ihr ein paar hundert Volt durch den Leib. Im Anschluss siehst du zu, dass du sie schleunigst in deinen Bau schleppst, bevor ein Konkurrent sie dir abspenstig macht. Dann, ja dann ... kommt die Nacht.“ An dieser Stelle wuchs mein Schmunzeln langsam in die Breite. „Die Nacht – eure Zusammenkunft. Wie auch immer du diesen Moment angehst, alles läuft am Ende zwangsläufig darauf hinaus, dass ihr euch in einem romantischen Techtelmechtel gegenseitig die Augen auskratzt und die Haare ausrupft. Näher möchte ich nicht darauf eingehen. Das überlasse ich ganz deiner Vorstellungskraft“, zwinkerte ich meinem mit hängender Kinnlade dreinschauenden Gefährten verschwörerisch zu. „Es folgt: der Morgen danach. An diesem Punkt obliegt es ganz deiner Entscheidung, in welche Richtung sich die Romanze entwickeln soll. Die meisten Männchen - zu denen auch ich mich zähle - ziehen es in diesem Augenblick vor, sich vor der weiteren Verantwortung zu drücken, und bestellen der Dame zum Abschluss noch das Taxi, um den Korb so galant wie nur irgendwie möglich zu gestalten.
    „Die Abfuhr sozusagen ...“, murmelte Stan.
    „Ich sehe, du lernst schnell“, stellte ich zufrieden fest und nickte ihm zu. Zu Recht nahm meine Stimme nun einen ernsten Ton an. „Wenn aber die eigenen Kopfschmerzen nach dieser Erfahrung doch zu stark sind, der weitere Wille von der aufgestauten Reue dermaßen übertüncht wurde und man sich womöglich sogar doch in die zwei zerkratzten, geröteten Augen vor einem hingezogen fühlt, dann legt man sein weiteres Leben in Knechtschaft und verabschiedet sich endgültig von dem Junggesellendasein. Der Rest folgt schneller, als du es dir zu träumen wagst: Sie legt ihre Eier, ihr verbringt einige schlaflose Nächte damit, um über euer Gelege zu wachen, brütet die Eier aus und ehe du es dir versiehst, heucheln dir Gratulanten ihre falschen Glückwünsche für dieses wahre Freudenbündel vor. Ein dutzend Kinderpfoten trappeln dir durch deinen Bau, zerschlagen deine angesammelten Trophäen zu Kleinholz und tanzen dir tagein, tagaus auf der Nase rum. Zahllose schlaflose Nächte folgen, in denen ihr euer gemeinsames Nest mit euren Jungen teilen müsst, weil sie sich im Dunkeln fürchten oder schlecht geträumt haben. Wenn es euch dann nach Monaten endlich gelingt, die Welpen mit Ach und Krach vor die Tür zu setzen, kehrt der Alltag in eure Beziehung ein: Abends kommst du von deinen Beutezügen heim, sie fragt dich ,Wie war dein Tag, Schatz?’, du antwortest ihr, dass du jeden wachen Moment an sie gedacht hast, tatsächlich aber nur unter dem Vorwand, ihr zu entlocken, was es zum Abendessen gibt. Am Wochenende trinkst du dir dann mit deinen Saufkumpanen die Hucke voll, ziehst hinter ihrem Rücken darüber her, dass sie jeden Tag mehr und mehr wie eine faulende Zwetschge aussehen würde. Später in der Nacht darfst du dir dann von ihr unter Tränen anhören, wo du wieder die ganze Nacht gesteckt hättest, was für saublöde Freunde du doch hättest, wie du wieder stinken würdest, was für eine treu- und lieblose Tomate du doch wärst und dass sie doch auf ihre Mutter hätte hören sollen. Am nächsten Morgen schlabberst du ihr zur Entschuldigung einfach über die Wange und schon ist dann wieder alles wieder beim Alten. Und so verbringt ihr jeden Tag eures Lebens gemeinsam, jeden wachen Moment, immer und immer wieder ... Du siehst also, warum ich mich mit Herz und Seele dieser Lebensphilosophie verschworen habe. Ach, was habe ich damals insgeheim gelacht, als im Hause Paras Nachwuchs angestanden hat. Die waren äußerst fleißig. Mussten ihren Bau fast verdreifachen, um genügend Platz zu bekommen. Am Ende war er dann nur noch ein Wrack, taugte nicht mal mehr für einen Pizzabelag, ist ins Exil geflüchtet und hat seine Lebensgefährtin mit rund zwanzig nörgelnden Schreihälsen zurückgelassen. Ich habe ihn nicht mehr wieder gesehen.“ Ich wandte mich im Weitergehen wieder direkt an Stan und lächelte. „Das alles kann dir erspart bleiben, wenn dir nur nicht die Willenskraft fehlt. Alles klar soweit?“
    „Werde ich mir merken, danke ...“
    „Und, was hast du jetzt vor?“, hakte ich neugierig nach.
    Stan schindete viel Zeit damit, indem er vortäuschte, ein am Wegesrand vor sich hinvegetierendes Schild zu lesen. Ohne es wirklich realisiert zu haben, hatten wir das weite, fruchtbare Tiefland durchquert. Ein gut gesättigter, grüner Forst bäumte sich vor uns auf. Ich konnte das Säuseln des lauen Windes vernehmen, der verschwörerisch durch die Zweige fuhr, das Ächzen mächtiger Stämme unter der Last ihrer Kronen und das leise, erquickende Plätschern eines lebenspendenden Bächleins. Der vorgegebene Trampelpfad, den wir die ganze Zeit über gefolgt hatten, führte direkt in das Innere. Eine willkommene Abwechslung nach der fast einschläfernden Wanderung durch die Grünterrasse vor Malvenfroh City. Ein gewagter Schritt seitens Stan führte ihn – und somit auch mich – über die mit Tannennadeln gepflasterte Schwelle hinweg. Ein spürbarer Temperatursturz schloss uns herzlich in seine Arme und spätestens an diesem Zeitpunkt musste auch Stans unausgeprägter Geruchssinn den markanten Duft von moosüberwucherten Felsen, immergrünen Farnen und Baumharz aufgeschnappt haben.
    „Also?“, bohrte ich erneut. Zumindest meinen Verstand hatte die neue Umgebung nicht beeinträchtigt.
    „Was? Oh ja ...! Also, ich werde mir wohl noch etwas Zeit lassen. Etwas.“ Unzweifelhaft erwartete er eine verwerfliche Reaktion meinerseits, denn mied er direkten Augenkontakt mit mir. Völlig grundlos allerdings.
    „Gute Entscheidung. Noch bist du zu unreif, als dass du dir überhaupt völlig über die Konsequenzen im Klaren sein kannst.“
    Zwei Dinge gingen meiner Antwort nach: Zum einen, dass Stan wohl nicht mit derartigem Verständnis meinerseits gerechnet hatte, und zum anderen allerdings ein deutliches Missfallen über diese Äußerung. Er schenkte mir wieder seinen Blick und hatte bereits leicht empört den Mund geöffnet, als er dann seinen Plan doch änderte. Er nickte mir leicht resignierend zu. „Ja, du hast wohl Recht. Ich bin für den Moment wohl noch etwas unreif.“
    Unreif ist noch gar kein Ausdruck – unterenwickelt trifft es eher. Und ausgerechnet du sollst der eine sein. Bloße Travestie ...“
    Wenn ihr jetzt Behauptungen anstellt, ich hätte meinen Mund mit derartigen Worten befleckt, dann seid ihr gehörig auf dem Holzweg: Wir hatten ungebetene Gesellschaft ...

  • So, wird wiedermal Zeit für ein Kommi meinerseits zu deinen neuen Parts^^
    Tut mir Leid wegen der Verzögerung, wie du ja weißt bin ich leider recht langsam, was Kommentare angeht ... Also, wo fange ich am besten an?


    Der kurze „Dialog“ am Anfang des finale Part von Kapitel 4 hat mich anfänglich etwas verwirrt, bis ich schließlich verstanden hab, dass wir es hier mit einem guten alten Bekannten zu tun haben. Ach ja unser guter Müllmann, der wird wohl in keinem Pokemoncenter seine Ruhe von Meister Sheinux bekommen, abgesehen wenn er wirklich kündigt ... Auch wenn ich mir gut vorstellen könnte, dass er selbst in einer anderen Berufssparte vielleicht das Pech haben könnte, nicht von Sheinux verschont werden würde ... hehe.
    Hui und dann folgt glatt noch eine kurze Begegnung mit unserem Freund Fukano, dass hab ich jetzt gar nicht erwartet. Natürlich hat er Sheinux nicht als diesen erkannt ... Was ja eigentlich nicht falsch ist, immerhin steckt nun jemand ganz anderes in diesem Körper, der wirklich ganz andere Einstellung als Stan hat. Völlig misstrauisch. Auch nicht ganz zu Unrecht, wie man am ja sieht. Ha, das ist mein Junge ... Ähm ich meine, man ist das fies, Fukano kann doch nicht einfach so Sheinux Fressen klauen xD
    Hausmensch ... Na das ist auch mal eine interessante Ansicht. Hat mich irgendwie so an eine Unterhaltung zwischen einem Hundebesitzer und einem alten Bekannten erinnerte. Welpensitter, Stubenrein, richtiges Futter ... Da hast du dir wieder etwas wirklich Amüsantes einfallen lassen xD
    Und was wohl wirklich im Pokemoncenter während Sheinux Abwesenheit passiert ist ... Aber wie ich im Trivia lese, wirst du uns das erst später in einem Sonderkapitel verraten. Na gut, dann muss ich wohl noch warten, bin aber schon neugierig, was wohl die beiden Damen derartiges veranstaltet haben, dass Stan die Flucht ergreift ...
    Was bekommen wir also statt einer genauen Antwort? Ratschläge von Sheinux über Beziehungen. Na das nenne ich mal sehr ... „männliche“ Beziehungstipps aus der Pokemonperspektive ... Wobei sich wohl einiges genauso gut auf viele Menschen übertragen lässt. Ich sehe schon, Sheinux wäre wohl der beste Vater den sich ein Weichen für ihre Welpen wünschen könnte, er besitzt schon sehr vorbildliche Qualitäten, wie viel er von „Verantwortung als Männchen“ spricht xD Davon abgesehen, dass unser guter Sheinux sich vor nicht allzu langer Zeit von dem weiblichen Geschlecht durch die Gegend hat jagen lassen ... Also ich bezweifle fast, dass Sheinux seine Beziehungstipps selbst so leicht in die Tat umsetzten könnte, denn unsere liebe „Fuffi“ und der wandelnden Gemüsegarten haben ja selbst schon paar Mal die Initiative Ergriffen, ohne sonderliche Freund von seiner Seite xD
    Gegen Ende hatte ich aber das Gefühl, dass die Beschreibung mehr au Menschen zugeschrieben waren, als eine auf ein Pokémon, besonders was das mit Kumpels saufen angeht. Ich meine Wasser wird wohl nicht damit gemeint sein ... Auch wenn ich mich recht erinnere, dass Sheinux scheinbar schon eine Ahnung hat, was Alkohol ist. Fand ich trotzdem nicht ganz so passend, aber gut. Ansonsten hab ich mich eigentlich prächtig über Sheinux Ansichten über Beziehungen und Romanzen amüsiert und mal sehen ob bzw. wo sich das Ganze noch weiter entwickeln wird, aber da lass ich mich mal von dir überraschen.
    Wo wir schon bei überraschen sind ... endest du diesen Part einfach wieder mit einem Cliffhänger. Anfänglich hab ich wirklich gedacht, dass tatsächlich Sheinux diese ganzen Worte in den Mund genommen hatte, aber sieht wohl so aus, dass jemand anders diese Aufgabe übernimmt. Hm, jetzt ist die Frage ob es sich um eine unserer beiden Streithennen handelt oder um jemand anderes ... etwa um ein alter Bekannter? Das wirst du wohl bald auflösen^^
    Ich bleib jedenfalls mal gespannt, mal sehen mit was du uns wohl als nächstes überraschst!


    Mit freundlichen Grüßen,
    Toby

  • Part 2: Die Ruhe vor dem Sturm



    Eagles Blick war genauso gefühlskalt, wie wir es von den letzten Begegnungen noch gut in Erinnerung hatten. Unser letztes Scheiden hatte unter keinem allzu guten Stern gestanden: Stellvertretend für Stan, dessen Geist zu diesem Zeitpunkt noch in meinem Körper festgesessen hatte, hatte ich seinem Artgenossen die Tracht Prügel seines Lebens verpasst und K. O. geschlagen. Verständlicherweise war er nicht allzu begeistert darüber gewesen, als er in unserem Beisammensein das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Obwohl eigentlich ich ihm ein schönes violettes Veilchen verpasst hatte, waren auch wie damals noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen. Eagle hatte auf Rache für diese Demütigung geschworen, hatte sich allerdings auf dem Gästebett der Familie Knox deutlich in einer schlechten Situation und dazu noch in der Unterzahl gesehen. Und nun stand er wieder vor uns. Der Mensch, dessen Egoismus beinahe meine und Stans erfolgreiche Rückverwandlung auf dem Wissen gehabt hätte. Die Schwellung am Auge, wo ich ihm mein liebevolles Autogramm verpasst hatte, war zwischenzeitlich deutlich abgeklungen, wovon man bei seinem Abscheu uns gegenüber jedoch nicht sprechen konnte. Er musste uns die ganze Zeit über unbemerkt gefolgt sein. Spätestens jetzt hätte ihn allerdings das verräterische Aufknirschen des Waldes unter seinen Sohlen verraten. Unsere Alarmglocken schlugen aber erst jetzt aus, nachdem er uns regelrecht hinterrücks überfallen hatte. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt, um Stans und mein intimes Gespräch unter Männern zu beenden. Zu dumm nur für meinen eingeschüchterten Kameraden, dass ich nur einen solch kleinen Schatten warf, in dem er sich unmöglich verstecken konnte. Versuche ließ er jedoch nicht unversucht. Ein mitleiderregendes Bild, so ging es sicherlich auch unserem Gegenüber durch den Kopf. Augenscheinliches Interesse an Stans plumpen Versteckspielchen zeigte er allerdings nicht.
    „Ich wollte den Gerüchten im Pokémon-Center keinen wirklichen Glauben schenken. Es hörte sich wie ein Hirngespinst an - die vergeblichen Versuche eines Verzweifelten, der nach Aufmerksamkeit sucht, oder um sich öffentlich zu profilieren.“
    Von was er Vogel redete? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Stan konnte ich in jenem Moment nur sehr schlecht mit Fragen löchern. Ohnehin hätte er mir aber wohl kaum eine vernünftige Antwort geben können, so glasig war sein Ausdruck. Warum aber sollte mich das hirnlose Gezwitscher von diesem fell- und schwanzlosen Elend überhaupt interessieren ...?
    „Dass es zwangsläufig darauf hinauslaufen würde, dass sich der meine Weg mit dem des ominösen Pokémon-Flüsterers kreuzt, der nach Süden unterwegs sein soll, war abzusehen. Nicht aber, dass es sich bei ihm ausgerechnet um dich handeln soll. Welch Idiotie ...“
    Vergeblich suchte ich Stans Aufmerksamkeit. Der tat allerdings alles Menschenmögliche, um ja keinen Blickkontakt mit mir oder gar Eagle herzustellen. Meine Frage konnte ich mir an dieser Stelle allerdings nicht verkneifen. „Was hast du angestellt?“ Er wusste es. Eagle besaß zweifelsohne Kenntnis über Stans erst kürzlich angeeignetes Talent, und – seiner Aussage zu Folge - offenbar auch ein Großteil seiner Artgenossen im Pokémon-Center. Und dass, obwohl Stan sich bislang so sehr bemüht hatte, eben dies geheim zu halten.
    „Na, was ist? Der kleine Luftverpester wartet wohl auch auf eine Antwort. Willst du sie ihm nicht geben? Oder war es gar keine Frage? Ich weiß es nicht. Für mich klingt all sein hirnverbranntes Rumgesülze völlig gleich. Nicht aber für dich, habe ich Recht?“
    Eagle konnte uns noch so finster entgegenblicken – mit der Angriffswut in meinen Augen konnte er sich unmöglich messen. Dieser Typ provozierte doch förmlich eine Abreibung. Vielleicht lag auch gerade dies in seine Absicht, hatte er schließlich Rache für seine erlittene Niederlage geschworen, die bislang noch ungesühnt war. Diesen unmissverständlichen Wink mit dem Zaunpfahl konnte Stan jedoch nicht auffangen, ganz im Gegensatz zu mir.
    „Stan! Jetzt sag was!“
    Stan aber blieb stumm. Er schluckte schwer, seine vor Einschüchterung gespeisten Muskeln zuckten sporadisch auf, weitere Reaktionen blieben aus.
    Ein gehässiges Grinsen umspielte Eagles Lippen. „Warum auf einmal so sprachlos? Die ganze Zeit über hast du dich so schön mit der kleinen, flohverseuchten Quasselstrippe unterhalten. Es zu leugnen, ist zu spät.“
    Schon wieder! Er tat es schon wieder! Er war tatsächlich auf Prügel aus, anders konnte ich mir die explizit gegen mich gerichteten Sticheleien nicht erklären. Na, die konnte er haben!
    „Wenn du es nicht tust, dann stopf ich ihm eben das Maul!“
    „Sheinux!“
    Ein sich unkontrolliert aus meinem Fell gelöster und auf Stan übergegangener Funke musste meinen eingeschüchterten Freund endlich wachgerüttelt haben.
    „Was?!“
    „Du weißt was!“ Stan hatte die Stimme zu einem geheimtuerischen Flüstern gesenkt und schielte immer wieder in rasanten Zeitabschnitten zwischen mir und seinem unverschämten Mitmenschen hin und her.
    Mein ohnehin verschlagenes Grinsen nahm die Form einer beinahe boshaften Grimasse an. „Du musst schon lauter sprechen, ich verstehe dich nicht.“
    Auf Stans Stirn hätte man Eagle braten können. Ein innerlicher Konflikt von nie zuvor an den Tag gelegten Ausmaßen ging in ihm vor. Man konnte seine Kiefer regelrecht malmen hören. Gleichzeitig aber hatte sein Blick etwas Flehentliches, mitleiderregend wie Eagle es so treffend betitelt hatte.
    „Man, Sheinux, ... Du ... er ...“
    „Du hast ihn doch gehört – er hat uns belauscht. Bestreite es nicht, jetzt hilft es ja doch nichts mehr.“
    „Euch könnte man wirklich stundenlang zuhören, ohne dass einem wirklich langweilig wird. Wie ein sich zankendes Rentnerpärchen. Herzallerliebst. Fragt sich nur, wer von euch beiden die Hosen anhat?“, höhnte uns Eagle von seinem Hör- und Beobachtungsposten an der Seite entgegen.
    Soweit es uns möglich war, überhörten wir den herablassenden Kommentar, was Stan wesentlich besser als mir gelang. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“
    „Biete ihm die Stirn und knall ihm eins vor den Latz! Verschaff dir oder noch besser uns endlich gebührenden Respekt!“, fauchte ich. Weitere energiegeladene, unkontrollierte Blitze lösten sich mir aus dem Pelz, hinterließen eine sengende Schneise auf dem Boden in meinem unmittelbaren Umfeld. Mit dem notwendigen Schritt von mir weg brachte Stan sich und sein Schuhwerk in Sicherheit. Meine gestaute Wut war in diesem Ausmaß jedoch nur von kurzer Dauer und er konnte nach wenigen Augenblicken wieder sicher an mich herantreten.
    Mein Blick durchbohrte ihn. „Also?!“, knurrte ich.
    „Ich will aber nicht gegen ihn kämpfen ...“, murmelte Stan.
    „Es ist mit dir zum Auswachsen“, heulte ich laut auf. „Er lässt uns ja doch nicht zufrieden, so gut müsstest du diese tickende Zeitbombe in der Zwischenzeit doch kennen!“
    Stan war vor Schreck fast einen halben Meter zurückgesprungen und näherte sich nun wieder langsam meiner Position. „Ich weiß ...“
    „Habt ihr euer Kaffeekränzchen nicht endlich bald beendet?“ Eagles rechter Zeigefinger peilte meinen Kameraden an. Mit der anderen Hand hatte er – wie zu erwarten war – einen Pokéball umschlossen. „Ob Pokémon-Flüsterer hin oder her – du bist dran!“
    Ich schenkte Stan ein grimmiges Hab-es-dir-doch-gesagt-Lächeln. „Du kannst ja doch nichts dagegen tun. Jetzt geh schon oder muss ich dir erst wieder ans Schienbein treten, damit du in die Gänge kommst und spurst?!“
    Seinem Schaudern folgte ein resignierendes Seufzen, dass er stets an den Tag legte, wenn er seinen schwächlichen Willen abgelegte und nachgab. Langsam wandte er sich Eagle zu. „Also gut ... Ja, ich kann mit Pokémon sprechen, zufrieden?“ Anfangs hatte er Eagles Blick gemieden, dann aber hatte er den Kopf gehoben und ihm die letzten Worte direkt ins Gesicht geschleudert.
    „Hätte ich wirklich nicht gedacht“, höhnte er herablassend, „und zufrieden werde ich erst sein, wenn du vor mir im Dreck liegst!“ Mit dem Ende seines Satzes hatte der Ball den Halt in seinen Händen verloren. Der Kampf sollte beginnen.