Die Streunerin hatte sich während der Junge gierig über die Flasche hergemacht hatte, zurückgelehnt und den von ihm abgewandten Arm über die Rückenlehne gelegt. manch einer hätte dies sicher als schlechte Manieren bemängelt, doch Marika war dies egal. Als der andere das Wasser auf ex vernichtet hatte und sich bedankt hatte, hob sie eine Augenbraue ob seiner Frage. "Stellt man sich nicht eigentlich zuerst selbst vor, wenn man den Namen seines Gegenübers erfragt?", erkundigte sie sich ablehnend, seufzte dann jedoch leicht, "Mein Name ist Marika. Schätze, ich kann wohl irgendwie nachempfinden, wie du dich fühlst." Sie wante ein wenig das Gesicht ab, behielt den anderen aber aus en Augenwinkeln im Blick. "Probleme mit Menschen, aus der Gesellschaft ausgestoßen zu sein und verachtet zu werden, kein Vertrauen zu Mitmenschen aufbauen können, vielleicht ausgenutzt zu werden, die Blicke, die das Mahl unerklärlichem Ursprungs auf sich zieht und die seltsamen Fähigkeiten und Kräfte, die sonst keienr hat - bei mir waren diese Probleme, die unsereins tragen muss, nie so graviewrend wie bei den anderen. Wenn du bei diesen Mitgefühl erwartest, solltest du dich an jeden anderen hier im Bus wenden. Aber ich weiß, wie man sich fühlt, wenn selbst der kleinste Schluck Wasser zur puren Erlösung wird."
Nun sah sie ihn wieder an und setzte sich halbwegs vernünftig hin, ehe sie die Hand mit der Handfläche nach oben in seine Richtung hielt. "Na los, Pfote her! Wird Zeit dir deinen eigenwilligen Schmuck abzunehmen."
Man stellte ich zuerst vor, bevor man nach Namen fragte? Von solch komplizierten Regeln der Gesellschaft wusste Shaya zwar nichts, aber wenn es der blonden Kratzbürste so besser gefiel, konnte er ja mal sehen was sich machen liess. Allzu übel schien sie ihm es sowieso nicht zu nehmen, denn sie sprach gleich weiter und stellte sich dann doch als Marika vor. Sie meinte, sie könne nachvollziehen, wie er sich fühlte – erschöpft, ziel- und ratlos, aber trotzdem erleichtert, dass man um ein Haar lebenslanger Haft entkommen ist? Verdammt, sie hatte wohl auch einiges durchgemacht. Danach konnte er ihr leider nicht mehr ganz folgen, auch wenn er ungefähr verstand, was sie sagen wollte. Doch hochinteressant war es. Was Marika erzählte klang wie eine Zusammenfassung seines bisherigen sozialen Lebens, und Shaya beschlich das Gefühl, dass er nicht durch puren Zufall auf diesen Bus und seine merkwürdigen Passagiere gestossen war. Marikas Ausführungen hatten alte Erinnerungen geweckt, und er spürte, wie sich in seiner Brust unangenehme Gefühle breitmachten. Nein, nein, nein. Nicht jetzt, nur nicht jetzt, er konnte es sich nicht leisten, die einzige Person, die in letzter Zeit ansatzweise freundlich zu ihm gewesen war, mit seinen negativen Gefühlen anzustecken. Inständig hoffte er, dass Marika nichts vom Kampf mitbekam, der gerade in ihm – und ein stückweit wohl auch auf seinen Gesichtszügen – tobte. Umso erleichterter war er, als sie ihre Arbeit von vorher wiederaufnehmen wollte und nach seinen Händen fragte. Möglichst ohne ihr in die Augen zu sehen streckte er ihr die Handgelenke entgegen und atmete tief durch, bevor er seinen Namen murmelte. Einen weiteren Augenblick später konnte er sich schliesslich zu einer vollständigen Antwort aufraffen. Er hatte Fragen. "Kräfte… Mal? Warum hat mich der," er machte mit dem Kopf eine schwache Bewegung in Brunos Richtung, "hier einfach reingelassen? Wer sind diese Leute? Und warum wollt ihr mich… hier?" Shaya hatte zwar eine ungefähre Ahnung davon, was hier los war, aber er wollte lieber die Bestätigung. Oder eben auch nicht.
Der Streunerin war nicht entgangen, wie die Gesichtszüge ihres Gegenübers bei ihren Worten gebet hatten, doch sie ging nicht darauf ein. Er gab zumindest brav Pfote und sie fuhr mit der Deathblade an seinem Arm entlang unter die Fessel. Ein Ruck und das massive Metall der Handschelle war zerschnitten, doch öffnen lassen wollte sich das Teil natürlich nicht sofort. Sie würde auf der gegenüberliegenden Seite noch einen Schnitt setzen müssen und den Reif als zwei Hälften von seinem Arm abnehmen. Der Junge hatte mittlerweile seine Stimme wieder unter Kontrolle und tat das, was wohl alle Neuen erst einmal machten: Fragen stellen.
Marika löste mit dem zweiten Schnitt die Schelle und die beiden Teile des Rings purzelten auf die Sitzfläche zwischen ihnen. Bevor sie sich aber an seine zweite Hand machte, blickte sie ihn an. „Er hat dich rein gelassen, weil der kleine Sohn der Cheffin, der ganz kleine Junge vorne in der ersten Reihe ihm das gesagt hat“, antwortete sie und musterte Shaya erneut von oben bis unten. Dann wandte sie sich auf dem Sitz soweit um, dass er ihren Rücken und das riesige Mal darauf, dass unter den Trägern ihres Tanktops hervor lugte, sehen konnte. Allerding nur so weit, dass sie ihn noch über die Schulter im Blick behalten konnte. Mit dem Daumen deutete sie auf ihre Rückseite. „Bist nicht der einzige mit so einem Teil, auch, wenn deines anders aussieht“, kommentierte sie ungeduldig und gab ihm einen Moment Zeit dies aufzunehmen, „Jeder in diesem Ofen auf Rollen trägt ein farbiges Mal irgendwo am Körper – ausgenommen der Bär von einem Mann vorne“ sie nickte mit dem Kinn Richtung Bruno und wandte Shaya nun wieder ihre Vorderseite zu. Sie hatte den Rücken nicht gern ungeschützt. „Man nennt Personen wie uns ‚Erleuchtete‘ und die übermenschlichen Fähigkeiten, über die wir verfügen ‚Lichtkräfte‘. Offensichtlich können wir alle nicht mit Menschen und werden von diesen verabscheut. Daher dürftest du auch nicht der einzige hier mit bewegter Vergangenheit sein. Ich glaube jeder hier hat seine eigenen Leichen im Keller. Von uns gibt es im Vergleich zu den Menschen wenige, du bist wie wir, also bist du hier.“ Sie zuckte mit den Schultern und forderte ihn erneut durch eine Geste auf, ihr diesmal die andere Pfote zu geben.
Eigentlich hatte Shaya selbst nicht gewusst, was für eine Antwort er erwartet hatte. Darum warf ihn Marikas Erklärung auch nicht sonderlich aus der Bahn, sondern beförderte ihn noch ein wenig tiefer in seiner Grübelei. Bisher hatte er immer gedacht, dass er ein Einzelfall sei, dass seine erste Zeichnung auf die verdrehten Rituale seiner Grossmutter zurückzuführen war und die daraus entstandenen Probleme und neuen Fähigkeiten ebenfalls. Was zwar noch immer nicht ausgeschlossen war, aber so wie Marika sich angehört hatte, musste es wohl einen anderen, weiter verbreiteten Grund geben. Beiläufig nahm er wahr, dass sie ihre Zeichnung – natürlich könnte es auch eine stinknormale Tätowierung sein – anscheinend auf dem Rücken trug. Jedenfalls weniger auffällig als meine, ging es dem Flüchtigen durch den Kopf, und instinktiv tastete er sich mit der freien Hand über die Stirn. Ihr "Teil", wie sie es genannt hatte, bestand aus zwei schwarzroten Flügeln und erstreckte sich über fast den gesamten Rücken. Auch wenn es komplett anders aussah als sein Mal, konnte man eine gewisse Ähnlichkeit zwischen seinen Kreuzen und ihren Flügeln erkennen, zumindest die Farben schienen auf dieselbe unheimliche Art und Weise zu schwach zu leuchten. Als Marika seine zweite Hand verlangte, war Shaya sogar froh, aus seinen wirbelnden Gedanken gerissen zu werden und streckte ihr brav das Handgelenk hin. Eigentlich wollte er sie nicht mit noch mehr Fragen löchern, aber trotz ihren Erklärungsversuchen waren für ihn die Umstände hier noch immer mehr als rätselhaft. "…heftig. Ich hab’ immer gedacht, das wär’ einfach son’ Ding, son’ Ding halt, das nur ich habe." Er brach ab, seine Geschichte musste sie ja nicht gleich erfahren, so hilfsbereit sie sich bisher auch gezeigt hatte. Sie hatte immer noch ein alles zerschneidendes Messer und je weniger sie von seiner Vergangenheit wusste, desto weniger Anlass hatte sie, es gegen ihn zu verwenden. Eines interessierte den Ausbrecher aber dennoch: "Das heisst… du kannst die Leute auch zum durchdrehen bringen? Nervös bis panaro-, poranai… äh, verängstigt halt?" Das war verrückt. Innerhalb von ein paar Minuten hatte sich alles, was Shaya bisher über sich selbst und vor allem über seinen Fluch zu wissen geglaubt hatte, als falsch oder falsch interpretiert herausgestellt. Erleuchtete, Lichtkräfte, farbige Male – kritisch betrachtete der Ex-Pirat die Blonde und wich wieder ein wenig zurück. "Und was genau wollt ihr überhaupt von mir? Was ist", mit der freien Hand wedelte er gegen die vorderen Sitzreihen, die andere noch immer ausgestreckt, "Das hier, diese Karre, diese Leute, wohin geht ihr? Wer ist diese, diese Chefin?" So viel hatte er eigentlich gar nicht fragen wollen. Aber besser jetzt als nie.
Mit einem Klirren fiel auch die zweite Schelle in zwei Teile zerlegt auf den Sitz und Marika schob die Deathblade zurück in ihre Schutzhülle. Erst nachdem die Waffe sicher Verstaut und in den Untiefen ihrer Taschen verschwunden war, wandte sie sich wieder an den Jungen.
"Hör zu, nicht nur du dachtest, du wärst damit allein, ok? Jedem hier ging es so, bis man uns aufgesammelt hat", erklärte sie und es zuckte leicht um ihre Mundwinkel, "Ich würde sagen, dass ich unter bestimmten Bedingungen defintiv Leute zum Durchdrehen bringen kann, aber vermutlich nicht wie du. Denn ich nehme an, du spielst auf deine Lichtkraft an. Jeder hier hat eine andere: Unterwasser atmen, sich zu Nebel auflösen, Glaswände erzeugen und so weiter." Sie zuckte mit den Schultern und ihr Raubtierblick wurde erneut wachsam. "Mit dir vor hat wohl hier direkt keiner etwas. Die Chefin, Alicia sieht sich angeblich als eine Art Mutterrolle für uns und will uns vor den bösen Menschen beschützen. Du musst schon dazu ihre Kinder fragen. Der Rest von uns ist hier, weil es in dem Heim für Erleuchtete, das Alicia gebaut hat, besser ist, als sonst wo. Wir sind frei, haben essen udn ein Platz zum Schlafen - es ist eher wie eine Art Internat für Superkids. Und die Gruppe hier im Bus folgt Sohnemännchen, der per Traum den Hilferuf von einem von uns der wohl in Not ist, empfangen hat. Mehr wissen wir noch nicht." Mit einem Nicken wies sie den Jungen auf die Butterbrottüte hin, die er noch nicht angerührt hatte. "Mehr wird euch Simon erklären, du solltest aber etwas essen. Das Futter ist eher sehr unwahrscheinlich vergiftet, also musst du keine Angst haben. Und was sonst alles angeht... Ich schätze das hier für mich als ein Ort zum Ausruhen und Innehalten ein. Vielleicht auch, um Kraft zuammeln, bevor das Leben einem wieder hart ans Bein pisst."
Damit war für sie das Thema erledigt und sie erhob sich, wartete aber noch einen Moment ob Shaya noch etwas sagen wollte.
Nach Marikas Erklärung starrte Shaya einige Momente stumm die Decke an. Unter seiner Verwirrung machte sich eine ungeheure Erleichterung breit. Er war nicht verflucht, seine Zukunft schien gerade ein ganzes Stück sicherer geworden zu sein, und das Beste, er war nicht alleine. Nach monatelanger Isolation hatte er sich, auch wenn er es nie zugegeben hätte, nach ungezwungenem menschlichem Kontakt gesehnt. Er blinzelte und seufzte lange. "Das heisst also… Ich greife eurer Shefin ein wenig unter die Arme und kriege dafür," Er liess den Zeigefinger kreisen, "Was zu essen und ein Dach über dem Kopf?" Er schluckte und musste sich bemühen, um sich seine Freude nicht anmerken zu lassen. "Klingt eigentlich ganz gut." Unter Wasser atmen und Glaswände erzeugen. Trotz seiner nun erheblich besseren Laune spürte Shaya etwas, das sich beim Gedanken an die anderen Leute hier drin wie ein schmutziger Schleier über seine Gedanken gelegt hatte. Neid. Neid und Erschöpfung. Langsam leckte er sich über die Lippen, fuhr mit der Hand über seine Stirn und durch die Haare. Langsam drehte er den Kopf zu Marika und starrte ihr einen Moment direkt in die Augen, bevor er den Mund öffnete, um etwas zu sagen. "Ich…" Der Rest des Satzes blieb in der Luft hängen. Der Gauner lockerte die Handgelenke und griff dann nach der leeren Flasche. "Danke. Ich hol mir kurz was zu trinken, gleich wieder da."
Er erhob sich mit unsicheren Beinen und balancierte an der Erleuchteten vorbei auf den Gang, wo er benommen an Sitzen und Menschen vorbeiging. In ihm tobte ein regelrechtes Gewitter aus Gefühlen, doch seine Fassade war unerschütterlich, wie immer.
"Kein Grund zur Eile", äußerte die Streunerin und erhob sich ebenfalls, "Die Kästen mit Wasserflaschen sidn ganz vorne, hinter dem Fahrersitz. Nimm die leere am besten auch mit und tausch sie einfach aus. Schätze, du brauchst jetzt eh erst einmal Zeit für dich, um das zu verarbeiten, oder?" Damit sammelte sie die zerschnittenen Metallteile ein und machte sich selbst wieder auf zu ihrem Platz, jedoch nicht, ohne Nic im Vorbeigehen einen leichten Fausthieb gegen die Schulter zu verpassen. "Das hab ich gehört, du Lüstling!", zischte sie dem Blonden zu. Dann wandte sie sich dem dunkelhäutigen Mädchen zu, dessen Haare wie in einer leichten Briese tanzten und deren letzte Anmerkung sie mitbekommen hatte: "Hör mal Windi, du solltest dir klarmachen, dass du in einen Bus voller Superkids - eben Deinesgleichen - eingestiegen bist. Tut mir ja Leid, dich zu enttäuschen, aber sowas gehört bei uns wohl irgendwie dazu. Selbst wenn wir alle erst vor kurzem erfahren haben, dass wir nicht allein sind, fühlt es sich inzwischen fast normal an. Ich bin übrigens Marika und dieser Irre hier heißt Nic." Sie seuftze und lehnte sich gegen die Lehne des nächstbesten Sitzes. "Übrigens Nic, unser frisch aufgesammeltes Kettenhündchen hat mich gefragt, ob ich auch leute zum durchdrehen bringen und nervös bis ängstlich machen kann. Ehrlichgesagt, kam ich mir bei der frage echt leicht verarscht vor - vor allem wenn man bedenkt, was für ne Szene ich vor zwei Nächten verursacht hab", meinte sie und fuhr sich mit der Hand durch den ehlendich wiederspenztigen Borstenkamm, "Ich meine, IRGENDWIE bin ich ja wohl schon dazu in der Lage."
OT Teil zwei des gemeisamen Posts mit
@Slimsala
zeev und Nerubina ich klink mich mal einfach frech in euer Gespräch ein.