Blitzgewitter
geschrieben am 13.07.16
„Ava, wach auf!“
Mit einem kaum überhörbaren Knurren vergrub ich mein Gesicht noch tiefer im Kissen, das mir wesentlich mehr Wohltat schenkte, als es diese glockenklare und unfassbar lästige Stimme tat, die mich jeden Morgen aufs Neue nervte. Sollte sie sich doch selbst mal Frühstück machen.
„Du bist wirklich herzlos, Liebes“, antwortete Aphrodite trocken, woraufhin ich nur kurz schnaubte. Wenn sie sich noch länger in meinen Gedanken herumtreiben sollte, dann könnte das länger dauern.
Ich musste sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie in diesem Moment ein übertrieben freundliches Lächeln aufgesetzt hatte.
„Oh, du bist ein Schatz, Ava! Lass dir ruhig Zeit beim Aufstehen“, trällerte sie und verschwand sogleich aus meinem Zimmer. Ich seufzte laut. Als Liebesgöttin mochte sie zwar alle Menschen um sie herum betören, aber wie sie so ein sprunghaftes Gemüt haben konnte, war mir bis heute schleierhaft.
Ich streckte mich einmal ausgiebig durch, bevor ich die Bettdecke zur Seite schob und aufstehen wollte. Immerhin wollte ich ja auch noch etwas von meinem Tag haben und musste auch meiner Mission weiterhin nachgehen. Die Wette durfte ich einfach nicht verlieren!
Jedoch kam es erst gar nicht so weit. Just als ich aufstehen wollte, flog ich auch schon spektakulär und händeringend mit einer doppelten Schraube zu Boden und wusste nicht, wie mir geschah. Mit schmerzendem Kinn hob ich mich mit meinen Händen etwas hoch und versuchte erneut aufzustehen, allerdings ebenfalls ohne Erfolg und ich sah mich bald wieder auf dem Boden der Tatsachen.
Mein Gleichgewichtssinn spielte heute Morgen nicht mit. Ob Aphrodite etwas damit zu tun hatte? Wäre ja nicht das erste Mal, dass sie mir irgendeinen Fluch oder etwas Ähnliches anhängen wollte, aber dass sie es wirklich tat, wunderte mich. Der Tag nahm ja schon mal keinen guten Anfang.
Gerade als ich mich wieder etwas konzentrierte und zu meinen Händen sah, merkte ich, wo genau das Problem lag. Reflexartig sah ich auch meinen restlichen Körper an, was meine Augen weiten ließ. Ich wusste auch nicht, wie lange ich geschrien haben könnte, bis Aphrodite erneut in meiner Tür aufgetaucht war.
Meine Hände waren keine mehr. Und auch mein Körper war ein deutlich anderer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Überall befand sich anstatt der Alabasterhaut, die mir Aphrodite verliehen hatte, blaues und schwarzes Fell!
„Gefällt es dir, Ava-Schätzchen?“, flötete die Liebesgöttin und schien schon zu tanzen beginnen zu wollen.
„Was. Hast. Du. Getan?!“, brüllte ich lauter, als mir lieb war. Zu allem Überfluss hörte sich mein Brüllen auch nicht besonders menschlich an, sondern animalisch. Wie von einem Löwen, wenn ich es nicht besser wüsste. Angesichts der Situation fühlte ich mich auch wie ein Löwe, der gerade auf seine Beute lauerte und zuschlagen wollte.
Aphrodite spitzte die Lippen und schien beleidigt zu sein. „Da mache ich dir einmal ein Geschenk und du freust dich nicht darüber? Schäm dich, Ava. Dafür bekommst du demnächst keine Maniküre.“
„Als ob ich das in dieser Gestalt nötig hätte, du ...“ Ich hielt mich zurück, da mir kein passender Fluch für dieses Ekel von griechischer Göttin einfiel. Selbst Hekate hatte mit ihrem Humor sicher mehr Geschmack als die Frau, die da so ausgelassen vor mir stand!
Mit einem Mal hielt sie jedoch in ihrer Bewegung inne und zuckte zusammen, was mir nicht entging.
„Denk nie wieder an diesen Namen, hörst du?“, zischte sie sogleich und sah mich ernst an.
Ich stutzte. Keine Ahnung, was sie von mir wollte. Meine Gedanken gehörten immer noch mir, also wenn ich gern an Hekate dachte, dachte ich eben gern an Hekate. Obwohl - konnte man das überhaupt als Leistung betrachten, gern an Hekate zu denken?
Aphrodite knirschte nun aufgewühlt mit den Zähnen. Von meiner Seite konnte ich gern weitermachen, aber womöglich war es besser, es nun dabei zu belassen. Meine Rache hatte ich damit schon erreicht.
„Gut, dass du das einsiehst, Ava.“ Und bleib endlich aus meinen Gedanken draußen, du Stück! „Wie auch immer. Komm mal her und sieh dich im Spiegel an.“
Widerwillig versuchte ich erneut, mich aufzurichten. Meine Hände wankten schon beim leisesten Versuch, das Gleichgewicht zu halten und auch die Haltung, die ich einnehmen wollte, war weitaus unangenehmer, als ich sie normalerweise gewohnt war. Scheinbar konnte ich es vorerst vergessen, überhaupt auf zwei Beinen stehen zu wollen; das ließ mein aktueller Körperbau nicht zu.
Ich seufzte schließlich hörbar und versuchte die Taktik auf vier Beinen. Auch wenn das schon wesentlich besser lief, hatte ich Probleme, mich zu halten, was nicht zuletzt an dem wild peitschenden Schweif lag, bei dem ich erst jetzt durch das Torkeln bemerkte, dass ich ihn besaß. In dem Fall war ich aber auch ganz glücklich darüber, denn er half mir, mich besser halten zu können.
Mir war nicht ganz bewusst wie, aber ich hatte es schließlich geschafft, zu Aphrodite aufzuschließen und mich selbst im Spiegel zu betrachten. Was ich sah, verschlug mir noch mehr die Sprache, als es das schon beim Anblick des vielen Felles getan hatte.
Ich sah in meine eigenen, mittlerweile stechend gelben Augen, welche mir den Anblick auf mein katzenartiges Äußeres ermöglichten. Eine große schwarze Mähne und weiteres blaues Fell auf meinem Rücken zeigten mir, dass ich mit meiner Einschätzung als Löwe wohl gar nicht so schlecht geraten hatte. Vielleicht war es auch etwas anderes, denn es sah schon sehr anders aus als das, was ich sonst so gewohnt war. Außerdem zierte meinen Schweif, wie ich nun bemerkte, ein gelber Stern. Ob das etwas zu bedeuten hatte?
„Wieso hast du das gemacht?“, schnauzte ich Aphrodite noch mal an, die sich davon jedoch nicht beirren ließ.
„Wie gesagt, ich wollte dir eine Freude machen und da du so hart für deine Mission kämpfst, wollte ich dir auch einmal etwas Gutes tun.“
„Ja, genau, indem du mich zur Katze machst und mich überhaupt davon abhältst, etwas für meine Mission zu tun!“
Ich nahm eine niedrige Haltung ein und fauchte entsprechend auf. Im nächsten Moment zuckten bereits kleine Blitze durch den Raum, die Aphrodite einen spitzen Schrei entlockten und mich auch zurückweichen ließen. Woher kam plötzlich diese Spannung in der Luft?
„Pass doch auf, was du tust!“, herrschte mich die Liebesgöttin an und ich sah an mir herab. Das Fell war durch die vorhergehende Anspannung noch aufgestellt und tatsächlich spürte ich die Kraft. Die Blitze. Die Elektrizität, die meinen Körper durchflutete, mich aber nicht schmerzte oder gar betäubte.
Was zur Hölle sollte das?!
„Kühl dich mal ab, Ava-Schätzchen“, meinte Aphrodite nun wieder gelassener, was mich so weit provozierte, ihr gern noch einmal einen Blitz entgegen zu schleudern. „Du hast große Macht und du solltest sie beherrschen lernen.“
Beherrschen. Okay.
Ich äußerte meine Antwort, indem ich explosionsartig los spurtete und meinen Körper gegen den ihren warf. Aphrodite blieb durch die Wucht gar keine Wahl als nachzugeben und schmerzerfüllt zu jammern, als sie mit dem Hinterkopf an die Wand stieß. Mir gab es Zeit, mich wieder zu sammeln und zu merken, wie überaus schnell ich mich an diesen Löwen-Körper gewöhnt hatte. Womöglich war es auch nur die Wut, die mich gerade antrieb und zu Höchstleistungen anspornte.
Mein Gegenüber hatte sich in der Zwischenzeit wieder gefangen und aus dem Nichts einen Kugel beschworen. Wollte sie mich jetzt damit bewerfen?
„Wie recht du doch hast, Ava“, sagte Aphrodite und lachte dann. „Du wirst dich nicht widersetzen können, wenn er dich berührt.“
Interessiert blickte ich auf, während die Liebesgöttin ohne große Anstrengung die Kugel auf mich warf. Im Flug fiel mir auf, dass diese auf der einen Hälfte Rot und auf der anderen weiß war. Ob das irgendein magisches Artefakt aus alter Zeit sein konnte? Oder wollte sie mich mal wieder nur verarschen? Das wäre auch nicht das erste Mal.
Da ich nicht viel von ihrem Schabernack hielt, ließ ich es über mich ergehen und von der Kugel am Kopf treffen. Ein fataler Fehler, wie sich herausstellen sollte, denn unweigerlich, nachdem sie zu Boden gefallen war, öffnete sich die Kugel und ein immenser Sog drohte mich praktisch von meinem aktuellen Standort fortzuwehen. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Plötzlich fühlte ich mich absolut hilflos und schrie mir die Seele aus dem Leib. Adrenalin schoss durch meinen in Panik versetzten Körper und mehrere Blitze stoben zur Seite.
Schließlich wurde mir schwarz vor Augen.
Im nächsten Moment sah ich mit blinzelnden Augen zur Decke des Raumes. Meine Arme waren zur Seite ausgestreckt, während ich noch verschwitzt im Bett lag und realisierte, was Sache war.
Ich begutachtete meine linke Hand, die ich zur Faust ballte und auch wie meine aussah. Nun, wie die meines wiedererweckten Ichs natürlich. Erleichterte atmete ich auf und ließ die Ruhe für den Moment Einzug halten.
„Ava-Schätzchen, kommt du mal kurz?“, rief daraufhin die gewohnte glockenhelle und nervige Stimme durch das Haus. Ich drehte mich zum Trotz zur Seite und lächelte.
Heute nicht; zumindest noch nicht, wenn sie mich schon bis in meine Träume verfolgte und dort auch das Leben zur Hölle machte. Vielleicht sollte ich einmal Zeus fragen, ob er mir beibringt, Blitze zu werfen.
Das wäre doch echt cool.
Dieser Text basiert auf der Geschichte Blue Horizon von @Cáithlyn, welche sich hiermit auch gehighlightet fühlen darf. Denn die beiden Hauptcharaktere erfahren hier eine kleine Alternativgeschichte, die in dem Plot vielleicht einmal stattgefunden hat. Oder auch nicht. Auf jeden Fall hatte ich Spaß bei der Ausarbeitung. Ich hoffe, dass es dir gefällt und ich wünsche dir noch einmal alles Gute an diesem Tag!
Shoutouts gehen übrigens auch an @Alexia und die Mitleser @Cantor und @Jiang.
Zitat(Ehrlich, ich wünschte, die Pokédex-Einträge im Spiel wären so, und wenn sie nur ein Drittel so lang wären!)
Da ist auf jeden Fall viel Luft nach oben und generell sind die auch die einzigen Anhaltspunkte, die man für die Pokémon festlegen kann. Gerade deswegen finde ich so ausgearbeitete Berichte zu Pokémon so interessant, weil sie auch mal ganz neue Seiten aufweisen und vor allem die Kreativität des Lesers anregt, sich darüber mehr Gedanken zu machen.
ZitatDas beige an Flunkifer ist also Fell? Aber wie sieht dann die Haut aus?
Gute Frage. Das Fell war für mich ein Kompromiss für das „Gewand“, weil das weniger wie eine Haut wirkt. Das Problem ist auch, weil die Spiele und Artworks mit dem Cel-Shading-Look die Details verwischen und daher auch nicht auszumachen ist, was es nun ist. Ich kann mir auch vorstellen, dass es zum Gesicht hin eher eine Haut ist, aber wie gesagt ist das schwierig festzustellen.
ZitatMich würde interessieren, ob Flunkifer, wenn es an der Küste wohnen würde, ebenfalls eher Wasser-Pokémon erbeuten würde. (:
Das kommt wohl ganz auf die Umgebung an. Wasser-Pokémon haben den Vorteil, dass sie eher speziell angreifen und auch ins Meer flüchten können, was für Flunkifer wiederum eher einen Nachteil darstellen könnte.
ZitatJedenfalls vielen Dank für diesen großartigen Beitrag zu Flunkifer-chan. .3. ^_^
Gerne doch! Und danke für den Kommentar, der war sehr unterhaltsam. @Temmie