Die Freiheit der Gedanken

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    ES IST EINE SACHE, EINE AUSNAHME ZU SEIN.


    Anastasia Clarence ist eine Gedankenleserin, doch darüber freut sie sich nicht wirklich, haben doch viele ihrer Verwandten viel interessantere Arten des Lesens erhalten. Als gewöhnliche Rezensentin, die Gedanken lesen, aber sie nicht entschlüsseln kann, was die Fähigkeit nutzlos macht, wurde sie in Anbetracht der außergewöhnlichen Fähigkeiten ihrer Familienmitglieder immer aufs Abstellgleis geschoben, vor allem, da eine solche Ansammlung von besseren Fähigkeiten in so kurzer Zeit einem Wunder gleichkommt. Als Anastasia ein schreckliches Geheimnis erfährt, ist sie die jedoch einzige, die noch etwas tun kann. Denn nur Rezensenten sind resistent gegen die Macht, die die Familie Clarence bedroht ...


    DIE EINZIGE NORMALE ZU SEIN, IST ETWAS GANZ ANDERES.



    v o r w o r t


    Die Gedanken sind frei ... Oder?


    Herzlich Willkommen zu meiner neuen Fanfiction, die nicht wirklich eine Fanfiction ist, sondern ein Original. Die Geschichte um Anastasia Clarence begleitet mich jetzt schon eine Weile; die Idee kam mir zuerst in den Herbstferien 2013. Wirklich ausgearbeitet habe ich sie aber erst vor Kurzem und nun kann ich sie euch in aller Frische präsentieren!
    Warum ausgerechnet Gedankenleser? Bessere Frage: warum nicht? Ich bin mir gar nicht mehr genau sicher, wie ich auf die Idee gekommen bin. Dennoch hänge ich mittlerweile sehr an ihr, insbesondere an den Charakteren. Ich hoffe, ich kann euch Anastasia, Nicole, Henry und die anderen Personen meiner Geschichte genau so besonders und doch irgendwie normal präsentieren, wie sie mir erscheinen!
    Ich selbst würde ja nicht gern Gedanken lesen wollen, wenn ich ehrlich bin. Manchmal wäre es praktisch, aber man erfährt bestimmt auch Dinge, die einem nicht gefallen. Da lebe ich lieber in meiner Unwissenheit - genau wie Anastasia. Auch, wenn die es nicht ganz so super findet, dass ihre Fähigkeit nutzlos ist. Aber das liegt auch eher daran, dass sie von Ungewöhnlichkeiten umgeben ist. Ich fand es schon immer interessant, über Charaktere zu schreiben, die eben nichts Besonderes sind und die in anderen Geschichten wohl eher Sidekicks wären von denen, die mehr drauf haben. So jemand ist auch Anastasia, und doch wird sie noch herausfinden, dass gerade ihre Unfähigkeit ihre größte Waffe sein kann.


    Diese Story ist nicht sehr gewalttätig oder psychisch belastend, wobei es durchaus Stellen gibt, die etwas seltsam daherkommen könnten. Daher würde ich sie guten Gewissens als P12 einstufen, aber auch, wenn ihr darunter seid, wird es euch jetzt nicht auf ewig brandmarken, keine Sorge, haha. Sämtliches Copyright liegt übrigens bei mir, sowohl für die Idee, als auch für die Charaktere und die Umsetzung.


    Ich hoffe, ihr habt genau so viel Spaß beim Lesen dieser Geschichte, wie ich beim Schreiben habe! Eine Charakterübersicht werdet ihr übrigens nicht finden, aufgrund von Spoilern und auch, weil ich denke, in einer solch charaktergetragenen Geschichte ist es wirklich besser, ohne Vorwissen hineinzugehen und sie im Laufe der Story kennenzulernen.



    b e g r i f f e


    Es gibt mehrere Typen von Gedankenlesern, und obwohl sie in der Geschichte erklärt werden, möchte ich sie dennoch hier auflisten. Nur, um Verwirrung vorzubeugen! Auch weitere Begriffe werden hier erklärt.


    Gedankenleser gibt es übrigens auch außerhalb der Familie Clarence, diese halten sich aber zumeist im Hintergrund und sind für die Story nicht relevant. Von anderen Fähigkeiten erzählen nur die Geschichten.


    REZENSENTEN sind die häufigste Art von Gedankenlesern. Alles außer ihnen wird nur selten geboren. Sie können die Gedanken anderer Leute einsehen, sie aber nicht verstehen, was ihre Fähigkeit quasi nutzlos macht. [bekannte lebende Rezensenten: Anastasia Clarence (Protagonistin), Alicia Clarence (ihre Tante)]
    KRITIKER kommen seltener vor. Sie können die Gesinnung von Gedanken und Wünschen erahnen - böswillig, gutwillig oder neutral. [bekannte lebende Kritiker: Nicole Clarence (Anastasias Schwester)]
    ANALYTIKER kommen sehr selten vor. Ihr Gehirn übersetzt Gedanken von anderen Leuten in sie verständliche, damit verkörpern sie am Ehesten das klassische Bild des Gedankenlesers. [bekannte lebende Analytiker: Jeremy Clarence (Anastasias und Nicoles Onkel)]
    LEKTOREN kommen extrem selten vor. Zwar verstehen sie Gedanken nicht, können jedoch ihre Intensität ändern - zum Beispiel können sie dafür sorgen, dass man seine Wut lieber an einer Blume auslässt als einem Menschen. [bekannte lebende Lektoren: Horton Clarence (Anastasias und Nicoles Vater)]


    Es gibt verschiedene Arten von Gedanken, zumindest werden sie als solche klassifiziert.


    EINDRÜCKE sind wohl die häufigsten - was immer ein Mensch sieht oder hört oder in anderer Art und Weise mit seinen Sinnen aufnimmt, gehört dazu. Meinungen übrigens auch.
    IMPULSE, also spontane Ideen und Wünsche, sind tückisch, denn unter Umständen kann es vorkommen, dass sie ohne Zutun auf Leser übergehen, wenn der Urheber sie heftig verspürt. So kann auf einmal ein Leser plötzlich Durst auf Cola bekommen, obwohl er die gar nicht mag.
    PROZESSE bezeichnen alles, was im Kopf nicht mit der bloßen Aufnahme abgeschlossen ist. Man kann sich darunter zum Beispiel das Lösen einer Aufgabe, das Fantasieren oder das Durchgehen eines Gespräches im Kopf vorstellen.



    b e n a c h r i c h t i g u n g e n


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    Momentan auf der Liste: Reducto, Kapitan Jefi, Cáithlyn, Lucario-Chan, Crystalx, Nocturnex


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    k a p i t e l

    0. IMPULS
    KOLLISIONSKURSE


    1. IMPULS
    KONKURRENZGEDANKE


    2. IMPULS
    BUCHENTFÜHRUNG


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    » 0 . -- I m p u l s «

    K O L L I S I O N S K U R S E





    Es ist eine Sache, eine Ausnahme zu sein. Das einzige schwarze Schaf in einer weißen Herde, die einzige Katze zwischen Hunden, meinetwegen auch der einzige Englischlehrer auf einer Mathematikvorlesung.
    Die einzige Normale zu sein, ist etwas ganz Anderes.
    Wenn man besonders ist, kriegt man das ja immerhin noch mit. Dann hört man von überall Sachen wie ‚Du bist ja so anders!‘ oder so, und man wird beneidet und gelobt und alle finden toll, was man macht oder kann oder was weiß ich. Aber wenn die gesamte Verwandtschaft eine wandelnde Ausnahme ist, ein Sammelsurium an Besonderheiten, einer toller als der Andere, und man selbst das Pech hat, der Normalfall zu sein, schert sich keiner um einen. Wieso auch? Man kann ja nichts. Nichts Besonderes.
    Um’s kurz zu machen: mein Onkel ein Analytiker, mein Vater ein Lektor, meine Schwester eine Kritikerin, meine verschollene Cousine angeblich auch besonders, auch, wenn ich nicht weiß, wie.
    Nein, nicht so, wie ihr jetzt wahrscheinlich denkt. Irgendein Vollidiot kam auf die blöde Idee, die Namen der Begabungen, die seit einigen Generationen – sprich, seit immer – in unserer Familie weitergegeben werden, an Buchbegriffe anzulehnen. Wenn man bedenkt, dass wir Gedanken lesen, passt es, aber es klingt nun einmal bescheuert.
    Eigentlich wird nur alle Jubeljahre mal etwas anderes als ein Rezensent – klingt besser, als es ist – geboren. Das ist dann immer ein Riesenereignis, hat man mir zumindest erzählt. Und jetzt übertragt das mal auf mein Leben.
    Ich komme mir vor wie eine gottverdammte Quotenrezensentin.
    Ein dreifaches Hurra für Anastasia Clarence.


    *****


    Ich hätte niemals Latein wählen sollen. Also, schon, aber erst, wenn Mathe nicht mehr Pflicht ist. Jetzt sitze ich in meiner Matheprüfung und kann nicht wirklich nachvollziehen, wie ich diese Gleichung auflösen muss, dafür ist mir gerade aber wieder eingefallen, in welcher Zeitform dieses eine Zitat von Seneca da geschrieben ist und warum man es auch im Präsens übersetzen könnte. In der Lateinprüfung saß ich nur so da à la f(x)=u‘(v(x))•v‘(x). Sowas passiert mir sonst nie. Die beiden verdienen ja sowas von die Bezeichnung ‚Kollisionskurse‘.
    Ich schätze, die Hälfte plus minus zwei von euch fragt sich jetzt, warum ich nicht einfach die Gedanken des Lehrers lese – sowas habe ich ja mal erwähnt – und dann hat sich das. Tatsächlich könnte ich; Mr. Coleman zieht seine Runden durch den grässlich fröhlich orangefarbenen Raum, mittleres Alter, Halbglatze, die verbleibenden Haare schwarz, etwas untersetzt, aber sympathisch, während meine fünfundzwanzig Mitschüler auf ihre Hefte und Blätter, die Holzdecke oder die Weltkarte neben der Tafel ganz vorne, also so weit weg von mir wie möglich, starren, entweder hochkonzentriert oder leicht ahnungslos. Die Klausur ist fair gestellt und machbar, aber ich bin halt eine Niete. Würde ich seine Gedanken lesen, wovon er natürlich nichts mitbekommen würde, wäre da allerdings ein kleines Problem, das sich eröffnen würde.
    Leider sind Gedanken nämlich eine verdammt komplizierte Sache. Hauptsächlich, weil jeder die Welt anders sieht. Was bei jemand anderem rot ist, könnte ich nicht identifizieren. Farben und Formen, die ich mir nicht einmal auszudenken vermag, und bei jedem sehen sie anders aus.
    Was fremde Gedanken für mich völlig unbrauchbar macht. Weil Menschen nicht in Worten denken, sondern in ... Naja, wie Gedanken halt sind. In Gefühlen. In Bildern. Da steigt kaum ein Fremder durch. Die einzigen, die so etwas verstehen können, sind Analytiker und Lektoren. Wir Rezensenten sind dazu verdammt, am Rand zu sitzen, zu lesen und so zu tun, als verstünden wir was. Unser Name ist noch viel zu nett für unsere Fähigkeit. Der klingt ja so, als wären wir den Kritikern sehr ähnlich, aber das sind wir nicht.
    Kritiker wie meine kleine Schwester Nicole können nämlich immerhin fühlen, in welche Richtung die Gedanken gehen, welche Gesinnung sie haben. Das ist schon einmal ganz hilfreich. Analytiker entschlüsseln, und Lektoren besitzen die sehr coole Fähigkeit, unter enormer Kraftaufwendung, die Richtung zu verschieben. Dann lässt ein psychisch gestörter aggressiver Massenmörder auf einmal seine Wut raus, indem er eine Blume pflückt. Zum Beispiel.
    Worauf läuft das also hinaus? Dass meine Fähigkeiten absolut nutzlos sind.
    Traurig, aber wahr.
    „10 Minuten noch!“, tönt Mr. Coleman in seinem tiefen Bass, als er sich wieder an sein Pult setzt, das vor der an der Wand hängenden Tafel steht. Fünfundzwanzig Schüler an über den Raum verteilten Einzeltischen werfen schockierte Kommentare ein. Ich nicht. Ich denke mir nur Usus est optimus magister vivendi, während ich auf mein mit durchgestrichenen Lösungsansätzen überfülltes Collegeblockblatt starre.
    Scheiße.


    *****


    „Ich hasse mein Leben!“, mault Rachel Thaller, Schulschönheit, während ich aus meinem sonnengelben Spind mit der unglaublich kreativen Schlosskombination 1234 mein spanisches Wörterbuch hervorkrame, oder es zumindest versuche, denn es ist unauffindbar. Ohne innezuhalten, seufze ich genervt.
    „Beschwer dich nicht. Ich hab grad eine Klausur abgegeben, auf der nur ein Satz steht, und der ist ‚Veni, vidi, perdidi‘.“ Was übrigens ‚ich kam, sah und verlor‘ heißt. Ich fand es in der Situation angemessen. Wo ist denn dieses verdammte ...
    „Aua. Latein?“
    Das kann doch nicht einfach weg sein! „Mathe.“ Señora Avo wird mich umbringen!
    Aua!
    „Du sagst es.“ Ungläubig starre ich in meinen Spind hinein. Manga-Bilder, manche ausgedruckt, manche unter Biegen und Brechen selbst gezeichnet, eine Zettelwirtschaft von verdrängten Prüfungen – ich sollte mir ein Heft zulegen, aber nö – sowie ein Badmintonschläger plus die dazugehörigen Bälle ... Aber vom Wörterbuch fehlt jede Spur. „Es ist weg! Mein Spanischdictionary ist verpufft oder so!“ Ich drehe mich zu Rachel nach links und starre entgeistert in ihr hübsches Gesicht. Barbiepuppenhübsch, sei dazu gesagt. Lange, blonde Haaren und große blaue Augen inbegriffen. Sie sieht aus wie die Klischee-Schulzicke schlechthin, aber eigentlich ist sie total nett. Wir sind jetzt keine besten Freundinnen oder so, aber treffen uns immer mal wieder und sitzen in manchen Kursen zusammen.
    Rachel runzelt die Stirn. „Das hier?“ Und sie hält mir ein dickes, rotes Buch, mit den Worten ‚Español – Inglés. Englisch – Spanisch“ in fetten gelben Lettern zusammen mit dem Foto eines lachenden, lächerlich standardisierten hispanisch anmutenden Gesicht darauf, mit ihrer rechten Hand, auf deren Nägeln roter Lack schimmert, direkt vor die Nase. Ungläubig und für einen kurzen Moment perplex halte ich inne. Rachel kichert, ein sehr schrilles Kichern. „Was guckst du das so an wie ein Auto? Du hast es mir gegeben, weil du noch was suchen wolltest.“
    Oh. Stimmt ja. So langsam erinnere ich mich. Trotzdem bin ich immer noch leicht verwirrt, als ich ihr das schwere Wörterbuch aus der Hand nehme und in meine weiße Umhängetasche stecke, die schon sehr dreckig ist. Das kommt davon, wenn man sie ständig in die Ecke schmeißt. Warum hab ich sie eigentlich in Weiß genommen? Da sieht man doch jeden Fleck drauf, und sie passt auch nicht zu meiner größtenteils gedeckten Kleidung, die ich zur Auswahl habe. Wobei ich auch gern mal Gelb trage, wie heute. Das gelbe Top mit den Spaghettiträgern und dem Aufdruck ‚Never let the sun go down‘ in schwarzen Buchstaben darauf gehört zu meinem Lieblingen im Kleiderschrank, obwohl sich Gelb nicht unbedingt mit meiner blasseren Haut, so blass, wie man sie haben kann, wenn man im sonnigen Tenluce, einer Kleinstadt nahe Los Angeles, lebt, verträgt. Immerhin habe ich im Gegensatz zu so manch anderen auf der Tenluce High dunkelbraune Haare, wenn auch mit einer giftgrünen Strähne, und grüne Augen – ich will nicht aussehen wie die ganzen Mädchen mit wasserstoffblonden Haaren, die viel heller sind als die Haut. Das ist einfach... Komisch.
    „Okaaay“, bringe ich heraus. „Und du hast jetzt ...?“
    Rachel lässt den Kopf ein wenig hängen. Verdammt, selbst so ist sie größer als ich. Ich hasse es, so klein zu sein, echt. Mit meinem einem Meter neunundfünfzig ist ein Basketballkorb ein unerreichbar fernes Ziel. Ehrlich, müsste ich um mein Leben Körbe werfen, würde mein potenzieller Mörder wahrscheinlich am Rand stehen und sich einen ablachen. „Englisch.“ Es ist mehr ein Seufzen als eine Antwort. Beziehungsweise, ein Seufzen als Antwort... Ach, ihr wisst schon, wie ich das meine.
    Das ändert nichts daran, dass ich ihre niedergeschlagene Miene nicht nachvollziehen kann. „Was ist so schlimm an Englisch?“
    Sie bedenkt mich mit einem Blick irgendwo in Richtung ‚Nicht dein Ernst, oder?‘ und erklärt langsam, so als spreche sie mit jemandem, dessen Denke etwas hängt: „Analysen. Irgendeinen Mist hereininterpretieren, den sich der Autor garantiert nicht gedacht hat. Außerdem ist meine Rechtschreibung mies.“
    „Was ich immer noch nicht verstehe.“ Ich meine, wir sind keine kleinen Kinder mehr, wir haben gelernt, wie man richtig schreibt, und Kommata setzt, und so weiter und so fort. Aber naja, ich rege mich mal wieder auf ... „Jedenfalls hab ich jetzt Spanisch, du weißt nicht zufällig, wo mein Raum ist?“
    Ja, es ist durchaus peinlich, dass ich mir nach einem Monat in diesem Jahrgang immer noch nicht gemerkt habe, wo mein Spanischraum ist, lacht mich ruhig aus. Ich weiß auf jeden Fall, dass er sich irgendwo im zweiten Stockwerk, also ganz oben, befindet, aber fragt mich bloß nicht, wo. Ich glaube, am Flur ... Glaube ich ...
    „Raum 210. Wo wir gerade nebenstehen.“
    Oh.


    *****


    Kleiner Tipp am Rande: baut euch kein Haus mit großen Fenstern und ohne Klimaanlage in Tenluce. Das wird nicht gutgehen. Und so stolpere ich bei den dreißig Grad Celsius, die draußen herrschen, in mein gefühlt doppelt so heißes Heim, schwitzend wie ein Eisbär in der Wüste und keuchend wie ein ... Eisbär in der Wüste.
    Ich sollte mir dringend neue Vergleiche ausdenken.
    Mein Zuhause ist ein durchschnittliches Wohnhaus mit Keller, Erdgeschoss, erster Etage und Dachboden, dessen Küche, in die ich gerade schlurfe, in roten Farben gehalten ist, und dessen zahlreiche Rollläden und Gardinen eigentlich immer zugezogen sind, was man bei dem Wetter auch wirklich verstehen kann.
    Eigentlich haben die Clarences ja genug Geld, um sich locker eine Klimaanlage leisten zu können, eigentlich alle von uns, die keine Rezensenten sind, sind bei der Polizei angestellt, und wir genießen ein hohes Ansehen dadurch, dass eben diese Nichtrezensenten ihre Arbeit so extrem gut machen. Alles andere wäre ja auch bescheuert. Wir besitzen auch einige große, prunkvolle Häuser mit überteuerten Gemälden an den Wänden und allem möglichen Tatata, aber meine Mutter – die keine Leserin ist, und nebenbei gesagt tot. Der einzige Grund, warum ich das nicht mit Trauer sagen kann, ist der, dass sie starb, als ich fünf war, sie selten zuhause war und ich sie daher nie wirklich gekannt habe. Traurig, aber wahr – hat es bevorzugt, wie die normalen Menschen von nebenan zu leben. Um ehrlich zu sein ist es mir relativ egal. So eine Villa ist bestimmt toll, aber irgendwann nutzt sich das doch auch ab und der ganze Effekt ist dahin und alle Freunde, die dich besuchen, sagen so Zeug wie „Oha, du lebst ja in einem tollen Haus“, und man selbst denkt sich, dass es nur halb so toll ist, wie es klingt, wenn man sein ganzes Leben da verbracht hat. Glaube ich zumindest.
    Im Wohnzimmer liegt auf der braunen Couch rücklings meine kleine Schwester Nicole und daddelt gerade konzentriert irgendein Spiel auf ihrem 3DS XL, Version Xerneas Blue. Ihr gegenüber läuft der Flachbildfernseher mit einer Weltraumdoku leise im Hintergrund, und ich nehme mir die Fernbedienung, die auf dem Kaffeetisch liegt, nachdem ich meine Schultasche auf das Sofa geworfen habe, um lauter zu machen.
    Ein nicht unbedingt seriös wirkender Fernsehastrologe schwafelt uns von schwarzen Löchern zu, während ich mir Chips aus dem Wohnzimmerschrank hole und mich in die Ecke der Couch, neben meine Tasche, kuschele.
    „Kannst du dich bitte entscheiden, ob du laut Chips isst oder Fernsehen schaust?“ Nicole seufzt genervt.
    „Setz doch Kopfhörer auf, wenn’s dich stört“, entgegne ich nur und stopfe mir extralaut eine Handvoll der salzigen Dinger in den Mund. „Was spielst du überhaupt?“
    „Pokémon Y.“
    „Ah ... Bitte was?!“ Das kann ja wohl nicht wahr sein. „Du weißt genau, dass Y meine Edition ist, kauf dir selber eine! Und überhaupt, du hast X!“
    Nicole starrt mich von der Seite aus an, mit einem Blick, der mir sagt, ich habe wohl gar nichts begriffen. „Erstens, ich bin zwölf und werde damit bestenfalls in Bonbons bezahlt, wenn überhaupt. Und zweitens, sei mal lieber dankbar für das Shiny Evoli, das ich dir gezüchtet habe.“
    „Du hast was getan?“ Verdattert hebe ich eine Augenbraue. Ehrlich jetzt?
    Meine kleine Schwester hält leicht triumphierend das technische Gerät in die Höhe, auf dessen Bildschirm ich tatsächlich ein silbernes Fuchswesen erkennen kann. „Dir ein Shiny Evoli gezüchtet. Hat perfekte DVs und ist noch dazu weiblich und mit versteckter Fähigkeit!“ Doch, mit den letzten paar Worten merkt man deutlich, dass sie bei weitem nicht so apathisch ihrem Erfolg gegenüber ist, wie sie zu klingen versucht. Der Singsang verrät genug. Aber das ist mir auch total egal, denn ich grinse schon wie ein Honigkuchenpferd und kichere wie ebenjenes. „Okay, vergiss alles, was ich je über dich gesagt habe, Nicole Clarence, du bist wunderbar!“
    „Danke für die Blumen.“


    *****


    „Und er meinte tatsächlich, ich bin ihm mittlerweile voll egal geworden und dass er nur noch mit mir zusammen war, weil er zu faul war Schluss zu machen! Wie hab ich’s eigentlich drei Monate lang mit diesem Arschloch ausgehalten, kannst du mir das mal verraten?“, schreit mich Rachel über Telefon an, das ich auf zehn Zentimetern Sicherheitsabstand von meinem Ohr weghalte. Damit haben wir wohl den Grund, warum sie ihr Leben hasst, wie sie sagte, und ich finde, sie übertreibt. Wäre sie verheult und am Boden zerstört, okay, aber sie regt sich einfach nur auf, klingt, als würde sie gleich in die Luft gehen, und die paar Worte Trauer, die sie ablässt, wirken auf mich stark wie ein klarer Fall von verletzter Eitelkeit. Aber gut, ich kann in Sachen Beziehungen sowieso nicht wirklich mitreden, meine letzte war irgendwann in der siebten Klasse, und ich habe zwar viele Freunde beider Geschlechter, aber so richtig verliebt war ich auch noch nie. Mir soll’s recht sein, ich komme auch gut alleine aus, aber dann stellt sich nur noch die Frage, warum zur Hölle sich eigentlich alle immer bei mir ausheulen, wenn es um sowas geht!
    „Also“, unterbreche ich sie in ihrem Redeschwall, dem ich nur mit einem halben Ohr zugehört habe, „ich finde, du solltest einfach irgendwie ins Schwimmbad gehen oder sowas. Und da triffst du dann den nächsten Jungen, der zu gut aussieht, um wahr zu sein, und die ganze Geschichte geht wieder von vorne los...“
    Ich kann ihren bösen Blick praktisch durch das Telefon spüren und stecke mir zur Belohnung ein Stück Schokolade in den Mund und lasse mich mit dem Rücken zuerst auf mein Bett fallen, sodass ich nun auf dem pink bezogenen Kuschelding mit den viel zu vielen Stofftieren liege statt sitze wie bis gerade eben noch. Im Kopf zähle ich runter – drei, zwei, eins ...
    „Du bist mir keine große Hilfe! Nein, du bist mir gar keine Hilfe! Mein Leben geht gerade den Bach runter und du kommst mir mit sowas an! Was soll ich denn jetzt machen? Was?! Clarence, sag mir sofort, was ich jetzt machen soll!“
    Tief durchatmen, Anastasia ... „Okay, reden wir mal Klartext. Ich hab keine Ahnung von Beziehungen. Und ich hab vor allem keine Ahnung von festen Freunden. Aber so wie du dich anhörst, ist das Einzige, was du jetzt brauchst, ein Boxsack, um deine Aggression loszuwerden. Wäre dein Leben wirklich im sprichwörtlichen Arsch, dann würdest du jetzt heulend unter deiner Decke sitzen, dich mit Zartbitter-Schokolade vollstopfen und dich nicht einmal über dein verlaufenes Mascara beschweren. Zumindest geht das diesen Klischee-Filmprotagonistinnen immer so. Und glaub mir, davon kenne ich viele!“
    Aufgelegt.


    *****


    Ich stochere in meinem Nudelsalat rum, während mein Vater mir gegenüber sich mit Nicole angeregt über irgendeinen Polizeifall unterhält. Horton Clarence ist nicht nur für einen Mann recht klein mit Halbglatze und Brille, sondern vor allem ein Lektor. Es ist die mit Abstand coolste Leserfähigkeit und die, die ich am meisten beneide. Kritiker wie Nicole – Gedanken lesen können und sehen, in welche Richtung sie gehen, ob sie böswillig, gutartig oder neutral sind, hat schon seine Vorteile, aber stinkt gegen Dads Fähigkeit völlig ab – zu sein ist zwar nett, aber nichts geht über die geballte Macht des Lektoren.
    Lasst mich nicht lügen, ich bin verdammt neidisch darauf.
    „Was denkst du denn, Stasia?“, reißt er mich aus meinem eifersüchtigen Gedankengang und ich antworte das erste, was mir in den Sinn kommt.
    „Schau doch nach.“
    Dad lacht darüber, aber von Nicole neben ihm kriege ich einen bösen Blick ab. „Wie oft soll ich dir sagen, dass du über unsere Fähigkeiten keine Witze machen sollst? Sie sind eine großartige Gabe!“
    „Sprach die Kritikerin zu der Rezensentin“, murmele ich als Antwort. „Besagte Kritikerin ist übrigens zwölf, wie sie heute mal erwähnte, und sollte sich viel eher mit der Schule beschäftigen oder so.“
    „Ich hab überall Bestnoten“, wendet sie sehr hilfreich ein.
    Ich stopfe mir eine Gabelvoll Nudelsalat in den Mund und erwidere mampfend: „Das ist nicht mein Punkt.“
    „Iss auf, bevor du redest!“
    „Sorry“, entgegne ich mit immer noch vollen Mund. Sie sieht aus, als würde sie gleich durchdrehen.
    Dad schüttelt nur lachend den Kopf. Schon alleine diese Tatsache sollte Nicole eigentlich Grund genug dafür geben, das Ganze mal etwas lockerer zu sehen. Wenn er nicht automatisch ihre Seite ergreift, er, der erfahrene Lektor, dann muss das doch wohl ein Zeichen sein.
    Abrupt bricht er jedoch ab, bewegt sich für ein paar Sekunden gar nicht und seufzt dann einmal ausgiebig. Nicole und ich wechseln einen verwirrten Blick.
    „Ich hab völlig vergessen, euch das zu erzählen.“
    Sein Tonfall klingt, als hätte er unser Haus verkauft oder etwas ähnlich Schreckliches, deshalb wappne ich mich für das Schlimmste und bin dementsprechend erstaunt, als er ebendieses nicht bestätigen kann.
    „Eure Tante, also, meine Schwester, Alicia, kommt morgen zu uns.“
    „Tante Alicia?“, rufen Nicole und ich gleichzeitig aus, wenn auch in völlig unterschiedlichen Tonlagen – sie mit Entsetzen, ich mit Freude. Tante Alicia ist super, und vor allem …
    „Wie lange will sie bleiben?“, fragt Nicole mit geweiteten Augen, sichtlich desorientiert und geschockt. Die folgenden Worte sollen mir noch für eine Weile in Erinnerung bleiben.
    „Das weiß ich noch nicht genau und sie auch nicht. Offenbar hatte sie einen Wasserschaden, deswegen braucht sie jetzt erst einmal einen Ort, an dem sie wohnen kann, und naja, sie ist meine Schwester …“
    Ich reiße mit einem kräftigen „yes!!“ die Faust in die Luft, während Nicole ein „och nee, bloß nicht“ von sich gibt.
    Endlich bin ich nicht mehr die einzige Rezensentin im Haus! Endlich gibt es hier mal jemanden, der mich dahingehend versteht! Und nach dazu kauft mir Tante Alicia ständig Zeug! Kann es etwas Schöneres geben?
    Dass gerade Tante Alicias Besuch alles verändern soll, weiß ich noch nicht.


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    Wortanzahl: 3061


    Was ein langer Prolog! Dennoch ist es einer, denn hier lernen wir erst einmal Stasias (ich wollte ihr den Spitznamen "Stasi" geben, weil Gedankenleser Leute ausspionieren können ... Sie jetzt nicht, aber y'know. Fand's dann aber doch irgendwie geschmacklos. owo) Umfeld kennen. Natürlich noch nicht alles, aber bereits in Kapitel 1 wird das Tempo angezogen (ganz anders als in Wolfsjäger, ha) und der Hauptplot eingeführt. Das lässt ja auch der letzte Satz irgendwie verlauten!


    Ich hab mir vorgenommen, meine Kapitel hier eher lang zu machen, dafür aber weniger zu schreiben. Mein Ziel sind etwa 15 lange Kapitel, weiß nicht, wie ich das einhalten kann, aber ich geb mir Mühe. Hauptcharaktere, Beziehungen untereinander und ja, sogar das Outcome stehen bereits, nur ein paar nicht-Clarence-Nebencharas müssen noch ausgefleischt werden. Rachel bleibt da natürlich nicht die Einzige.


    Ich muss ja sagen, ich LIEBE Rachel. Nicht, weil sie eine angenehme Person ist, sondern, weil sie so typisch Schulzicke ist, die beliebte, wasserstoffblonde Barbiepuppenschönheit, die aber trotzdem keine Antagonistin ist wie in den meisten Fällen. Ich dreh' mir meine Klischees gern so, wie ich es will. ♪ Und freut euch schon auf Alicia, die ist SUPER.


    Und ja, die vielen kurzen Abschnitte sind gewollt. Das hier wird wirklich eher eine schnelle Geschichte, in der viel hin- und hergeswitcht wird. Im Vergleich zu Wolfsjäger hat es durchaus das Tempo einer Achterbahnfahrt, während Erstgenanntes grad erst einmal anfährt (und wir sind schon in Kapitel 6), lol. Zeit zum Ausruhen wird überbewertet!

  • Hi!


    Also ich bin ziemlich neu hier im Bereich und bin nur durch Zufall hier auf deine Geschichte gestossen, allerdings wollte ich trotzdem meine unqualifizierte Meinung dalassen ^^


    Also dein Eröffnungspost sieht echt sehr schön aus. Ich bin zwar kein Fan von rosa (Stereotyp Junge, mach da was draus ;)), allerdings sind die Beiträge wirklich gut gestaltet, gefällt mir sehr gut. Viel mehr kann ich dazu nicht sagen, ausser dass ich es gut finde, dass du in deinem Eröffnungspost nicht zu viel über die Charaktere oder die Story erzählst. Nun zum eigentlichen Kapitel.


    Erst das positive, dann das negative, wie es sich gehört, ne?
    Also ich finde die Idee sehr interessant. Gedankenlesen ist sicher etwas, worüber sich viele schon mal Gedanken gemacht haben, ist definitiv ein spannendes Thema. Schön finde ich auch, dass du die Gedankenleser in verschiedene Klassen einteilst, wodurch es dir u.A. gelingt, Anastasia wieder gewöhnlich erscheinen zu lassen. Dadurch und durch ihre verplante Art kann Man sich mit ihr identifizieren. Die Ich-Perspektive schadet da sicherlich auch net :)
    Soweit ich es beurteilen kann, hast du einen angenehmen Schreibstil, ich konnte das Kapitel ohne Probleme lesen. Hier und da musste ich auch grinsen, was immer ein Pluspunkt ist. Schön ist auch, wie du ab und zu die vierte Wand durchbrichst. Ich weiss zwar nicht, ob das bei dieser Erzählperspektive üblich ist, nichtsdestotrotz liebe ich sowas (Deadpool anyone?).
    Bis auf Anastasia haben wir ja noch niemand wirklich kennengelernt, allerdings bin ich schon auf Alicia gespannt.
    Die Anspielungen auf Pokemon sind natürlich auch nett.


    Nun die Kritikpunkte:


    Zitat

    Kritiker wie Nicole – Gedanken lesen können und sehen, in welche Richtung sie gehen, ob sie böswillig, gutartig oder neutral sind, hat schon seine Vorteile, aber stinkt gegen Dads Fähigkeit völlig ab – zu sein ist zwar nett, aber nichts geht über die geballte Macht des Lektoren.

    Stört vielleicht nur mich, allerdings kam ich an dieser einen Stelle ein wenig ins Stocken. Die Textstelle zwischen den Bindestrichen ist eventuell ein wenig zu lang.

    Zitat

    Ich stopfe mir eine Gabelvoll Nudelsalat in den Mund und erwidere mampfend: „Das ist nicht mein Punkt.“

    Haha, da musste ich schon lachen :D
    Also soweit ich weiss sagt man das so im Deutschen nicht, "Darauf will ich nicht hinaus" oder "Das meine ich nicht" wäre imo passender gewesen. Ich habe sogar danach gegoogelt, "das ist nicht mein Punkt" konnte ich so nicht finden, stattdessen ein Link zum Thema erogene Zonen ^^ Ich nehme an, dass du den Satz (ob nun bewusst oder unbewusst) aus dem Englischen "That's not my point" abgewandelt has. Wenn das jetzt Absicht war, finde ich das wieder cool, du könntest das als Stilmittel oder als Anastasias Gewohnheit oder so einbinden. Du hast mehrere so englische Dinger drin, wenn ich mich recht erinner, könntest das also weitermachen.
    Ich bin nicht ganz sicher, obich das als Kritikpunkt zählen soll, aber ich hatte durch deine Einleitung die Erwartung, dass Anastasia ein deutlich schlechteres Verhältnis mit ihrer Familie hatte, als ich aus dem Prolog rauslesen konnte. Aber das ist ja erst der Anfang, vielleicht urteile ich zu schnell.


    So, das wärs schon. Ich hoffe, du kannst mit meinem Kommentar etwas anfangen und halte mich bitte auf dem Laufenden, will wissen, wies weitergeht ^^
    LG,
    Jefi

  • Okay sorry, das ganze wird jetzt etwas unstrukturiert & ist mein erster Kommentar seit ewig zu ner Story, also erwarte nicht allzuviel produktive Kritik o.ä.


    Okay, kommen wir einfach mal zum Kommentar.
    Ich muss sagen, der Titel an sich hat mich nicht unbedingt angesprochen. Ich wollte nur mal wieder meine Aktivität in den Ff-Bereich verlagern & irgendwas lesen, deine Story stach da als erstes ins Auge weil zwei Posts im Topic nach schön wenig zu lesen klingen. es geht doch nichts über fortgeschrittene Stories in die man sich erstmal 3h reinlesen darf
    Zur Story, man merkt natürlich dass du jetzt nicht die schlechteste Schreiberin bist & es eine Idee ist die wirklich ausgearbeitet ist. Kein 0815 Gedankenlesen sondern wirklich etwas das dahintersteckt, spricht einfach bedeutend mehr an. Klingt blöd, aber es ist eben 'realistisches' Gedankenlesen & nicht dieses übermächtige Gehabe was man vielleicht kennt, alleine für die gelungene Ausarbeitung der Gabe also +1.
    Womit ich dann zum Prolog an sich komme, die Story profitiert natürlich von der Wahl des Ich-Erzählers, dir steht es frei alle Geschehnisse umgangssprachlich zu kommentieren, was dem ganzen etwas persönliches gibt. Man hat relativ schnell sein Bild von Stasi ( :> ), ist durch ihre Anmerkungen natürlich gezwungen auch andere Charaktere so zu sehen wie sie, aber darum geht es ja - die Geschichte aus ihren Augen zu erleben. Das finde ich zumindest schonmal im Prolog sehr gut umgesetzt, wobei ich sagen muss dass mir die Klausur-Szene da noch am besten gefällt. In den folgenden Sequenzen fehlt irgendwie dieses gewisse Etwas. Liegt natürlich auch daran dass die Szene von Alicias Gedanken & Beschreibungen lebt, welche du sehr gut in Worte fasst, während die übrigen Szenen alle von den Gesprächen getragen werden. Ich bin ein Fan dieser Textstellen in denen ein Charakter in sich geschlossen ist, alles voll von beschreibenden Gedanken. Okay, aber weiter im Text ha, wortakrobat.
    Desweiteren gefällt mir die bis hierhin humorvolle Gestaltung der Story ganz gut, aber ich denke du weißt selber ab wann es ins lächerliche geht. Nicht dass es das hier schon gewesen wäre, aber ich habe Angst davor dass irgendwann die ernsthaften Szenen, wenn die Story sich zuspitzt, zerstört werden von überflüssigem Humor. Aber auch das ist ne persönliche Neigung denke ich.
    Eine weitere persönliche Neigung ist dabei, dass ich mir speziell im Prolog vielleicht eine etwas genauere Beschreibung des Hauses gewünscht hätte, ich habs immer ganz gerne wenn ich den Raum 1:1 vor mir habe & mir nichts mehr dazu denken muss um die Szene im Kopf nachzubauen, dafür war (ich finde die Textstelle grade nicht wieder, deshalb mal so ausm Kopf & etwas zugespitzt) 'rote Küche' etwas wenig. Man neigt dazu, zu wenig zu beschreiben wenn man selber diese genaue Vorstellung von der Umgebung im Kopf hat. Natürlich muss man da ein gesundes Mittelmaß finden & darf nicht dem Wahnsinn verfallen über eine halbe Seite die Einrichtung der Küche zu beschreiben, dazu kommt dass es Geschmackssache ist & ich mir vorstellen kann dass man als Author auch gerne dem Leser vieles selber überlassen will.. aaaaaber für mein persönlichen Geschmack war es etwas zu wenig.
    Soweit, so gut also, ich habe das Thema ohnehin abonniert, ob du mir trotzdem ne Benachrichtigung da lassen willst ist dir überlassen, aber ich würde aufjedenfall gerne weiterlesen & bei nachfolgenden Kapiteln vielleicht etwas mehr konstruktive Kritik beitragen - wie gesagt, unerfahrener Kommentator, ich muss mich erstmal wieder reinfinden.

  • [font='Georgia, Times New Roman, Times, serif']


    » 1 . -- I m p u l s «

    K O N K U R R E N Z G E D A N K E





    „Anastasia, Liebes! Das ist schon so lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Wie geht’s dir denn?“
    Ich liebe Tante Alicia, wie ich schon erwähnt habe. Ihre lockigen, braunen Haare sehen aus, als könnten sie jeden Schlag mit einem Badmintonschläger damit abfedern – ich sollte es wirklich mal versuchen – und ihre haselnussbraunen Augen strahlen geradezu vor Wärme und Freude darüber, mich mal wieder zu sehen, und noch dazu ist sie winzig. Ich fühle mich geradezu groß, wenn ich sie umarme. Tante Alicia ist einfach der Inbegriff der tollen mittelalten Dame, die man schlicht und einfach gern haben muss!
    Nicole hat ihr bestes Nichtenlächeln aufgesetzt, was nicht viel heißt. Wenn sie eines lernen muss, dann, wie man überzeugend Freude heuchelt. Mein Enthusiasmus hingegen ist echt, als ich auf die Frau, die gerade aus dem roten Mercedes ausgestiegen ist, vielleicht ein wenig zu fest drücke.
    „Mir geht’s super, danke der Nachfrage!“, entgegne ich in einem Singsang, bevor ich Tante Alicia dann doch loslasse und mich stattdessen zum Kofferraum ihres Autos bewege, um ihr beim Kofferschleppen zu helfen. Ich weiß genau, wie es darin aussehen wird – mindestens zwei Koffer voll von fragwürdigen Modeentscheidungen und stark nach Rosenparfum riechenden alten Büchern. Rein von ihrem Erscheinungsbild sollte man meinen, Tante Alicia sei eine alte Dame, obwohl sie sogar jünger ist als Dad. Anscheinend steht sie einfach nur sehr auf den Vintage-Stil.
    Tatsächlich begrüßen mich im Kofferraum drei Koffer und eine kleinere Tasche, die allesamt sehr vollgestopft aussehen.
    Irgendwie sollte ich vielleicht mal Dad zur Hilfe holen.
    Ich rufe quer über unseren Vorgarten nach ihm und tatsächlich kommt er angelaufen und hilft mir dabei, die schweren Dinger aus dem Wagen zu hieven. Und verdammt, sie sind tatsächlich schwer.
    „Was hast du da drin, Alicia?“, keucht Dad. „Backsteine?“
    Tante Alicia beäugt für ein paar Sekunden den Koffer in seiner Hand und schüttelt dann den Kopf. „Nein, in dem da dürften die Bücher sein.“
    Ich weiß schon, warum ich lieber Filme schaue. DVDs und BluRays sind doch beträchtlich leichter.
    Mit meinem Koffer habe ich wohl einen voll Kleidung erwischt, denn er ist zwar schwer, aber ich habe trotzdem nicht das Gefühl, ich hebe mir gleich einen Bruch. Nicole steht wenig hilfreich an der Hecke und fächert sich Luft zu. Ja, mit einem Fächer. In Tenluce gehen die weg wie warme Semmeln, was bei der momentan herrschenden Hitze auch kein Wunder ist. Ich mache mir eine mentale Notiz, sobald es geht unter die Gartendusche zu springen, denn dank des Kofferschleppens schwitze ich noch mehr als eh schon bei dem Wetter.
    „Hach, vielen, vielen Dank, dass ich bei euch unterkommen darf, Horton!“ Dad nickt nur auf seinem Weg zur offenen Haustür, wahrscheinlich, weil es zu viel Anstrengung erfordert, neben des Koffertragens auch noch zu reden. Ich beneide ihn nicht um seinen Koffer. Irgendwann, vor ein paar Jahren, habe ich Tante Alicia mal gesagt, sie soll sich doch Koffer mit Rollen zulegen, aber wie erwartet hat sie vehement abgelehnt mit den Worten „das ist mir viel zu neumodisch, Kind, und du weißt, wie ich mich bei neumodischen Sachen anstelle“. Dass sie da eigentlich gar nichts kaputtmachen kann, wollte sie mir nicht glauben. Ich versuche es am besten gar nicht mehr.
    Dad stellt sichtlich erleichtert den Koffer erst einmal im Eingangsbereich des Hauses ab und ich folge kurz darauf. Fehlen nur noch der dritte Koffer und die Tasche, wobei sich Letztere Tante Alicia gerade selbst aus dem Kofferraum holt.
    Ich schaue Dad an.
    Dad schaut mich an.
    3 … 2 … 1 …
    „Bins nicht!!“, rufen wir gleichzeitig. Das hat irgendwie kein Ergebnis hervorgebracht.
    „Schere, Stein, Papier?“, frage ich.
    „Schere, Stein, Papier“, bestätigt Dad.
    Die Anspannung steigt, die Rivalität ist geradezu in der Luft zu sehen, winzige Blitze, die zwischen uns hin- und herzucken, als unsere Hände durch die Lüfte schwingen. Eins, zwei, drei …
    Dad hat die Hand flach ausgebreitet, während ich Zeige- und Mittelfinger zu einer Schere geformt habe – und gleich darauf zu einer triumphierenden Faust. „Du bist!“
    Dass er darauf immer noch reinfällt. Ich nehme immer Schere. Das weiß er auch, nimmt aber nicht Stein, weil er sich jedes Mal denkt, dass ich mich doch mal für was anderes entscheide. Es funktioniert immer und es ist grandios.
    Nicole verdreht die Augen und ich bin kurz davor, sie zu fragen, warum sie uns nicht hilft, bis mir wieder einfällt, dass sie viel zu zerbrechlich ist. Schon Dad plagt sich mit dem letzten Koffer sichtlich. Es ist eines der wenigen Dinge, die uns äußerlich unterscheidet – bis auf unser Alter, versteht sich; während Sport eins meiner Lieblingsfächer ist und ich durchs Schwimmen durchaus Muskeln aufgebaut habe, sieht sie aus, als könnte sie ein Windhauch umpusten. Angeblich kann sie aber einige Kampfsportarten, Quelle: sie selbst. Ich weiß nicht ganz, ob ich ihr das glauben soll. Sie sieht jedenfalls nicht so aus.
    „Das Wetter war in London aber deutlich besser“, kommentiert Tante Alicia, die Dad mustert, während er keuchend den Koffer abstellt und schnell die Tür wieder schließt, wo es doch drinnen kühler als draußen ist. Die Wärme soll mal schön da bleiben! Wobei der Unterschied jetzt nicht so groß ist. Da muss ich Tante Alicia definitiv recht geben, lieber Regen als Dauerhitze.
    Nicole schnaubt belustigt. „Würden wir da wohnen, würden die meisten sich auch beschweren.“
    „Bei Regen kann man immerhin einen Regenschirm benutzen“, werfe ich ein und bedeute den Anderen, mir ins Wohnzimmer zu folgen. Es entgeht mir dabei nicht, dass sich Dad noch schnell das letzte bisschen Apfelschorle in ein Glas kippt. Gemeinheit. „Bei Hitze weiß man irgendwann nicht mehr, was man ausziehen soll. Und darf.“
    „Erspar mir das Kopfkino, bitte ...“ Ich muss lachen, als Nicole bei dieser Aussage das Gesicht verzieht. Allerdings verkneife ich mir eine Anmerkung, dass Kopfkino mit mir immer noch besser ist als das mit eventuellen Anderen. Ich hab da zum Beispiel diesen einen Biolehrer, der ... Nein, verzichte, das Terrain betrete ich erst gar nicht. Am Ende stecken noch mir verstörende Bilder im Gehirn.
    Nicole wedelt mir nur demonstrativ mit dem Fächer ins Gesicht. Dad hat seine Apfelschorle auch noch mit Eiswürfeln und einem Schirmchen gefüllt, wie mir auffällt, als wir uns hinsetzen. Meine Schwester dabei übrigens so weit weg von Tante Alicia, wie möglich. Solidarisch verpflanze ich mich neben meine Mitrezensentin, solche müssen doch zusammenhalten!
    „Aaaaalso“, hole ich aus, „Wasserschaden, huh?“
    Tante Alicia nickt nur. Was eine seltsame Reaktion von ihr, ich hätte mindestens eine Ausführung, wie schrecklich sich der Gestank mit dem Rosenparfum beißt, erwartet. Aber wer weiß, vielleicht war das Ereignis ja so traumatisierend für sie, dass es ihr die Sprache verschlagen hat. Kann alles sein.
    Was mich jedoch stutzig macht, ist der Kommentar meines Vaters darauf. Oder eher der fehlende Kommentar. „Stasia, wolltest du nicht mit Soren und Octavia treffen?“
    Wow. Da will mich wohl wer loswerden.
    „Eigentlich nicht, nein.“
    „Solltest du aber“, drängt er absolut unauffällig, „ich meine, wann seht ihr euch denn mal?“
    Soll das ein Witz sein? „Jeden Tag in der Schule und an den meisten Sonntagen im Souvenirshop. Dein Ernst?“
    „Anastasia.“ Autsch. Das tat weh. Nicht einmal meinen Spitznamen hat er gerade für mich übrig.
    „Sag halt, wenn du willst, dass ich nicht zuhöre“, murmele ich und versuche, nicht allzu feindlich zu klingen. Hey, das ist bestimmt wichtiges Familiengerede, aber warum genau darf Tante Alicia bleiben? „Hab’s schon kapiert.“
    Unmotiviert stehe ich auf und verziehe mich hoch in mein Zimmer, die Wendeltreppe hinauf, erste Tür im ersten Stock gleich links. Tatsächlich habe ich sicher nicht vor, die einfach reden zu lassen; wäre doch gelacht, keinen Platz zum Lauschen zu finden! Nur weiß das Dad leider für gewöhnlich auch. Deswegen schickt er mich ja außer Haus und nicht hoch. Argh, er kennt mich zu gut.
    Außerdem … Ich brauche eine Abkühlung bei der Hitze. 34° Celsius, und das auch noch vor Mittag, sagt mir mein Weckerthermometer auf dem Nachttisch gerade und ich stöhne auf. Ja. Definitiv eine Abkühlung.
    Wer weiß, vielleicht kann ich ja später Informationen aus Tante Alicia rauskriegen, mit dem Abstellgleis gebe ich mich sicher nicht zufrieden und wenn meine Tante einmal anfängt zu reden, hört sie so schnell nicht auf. So gesehen ist es gut, dass sie es ist, die vorbeikam und offensichtlich irgendetwas Wichtiges mit Dad und Nicole zu bereden hat, und nicht etwa meine Großmutter oder gar Onkel Jeremy. Erstere ist gar keine Leserin und soweit ich weiß in noch weniger Familiengeheimnisse eingeweiht als ich und Letztgenannter … Ich mag Onkel Jeremy an sich, aber er ist doch ein wenig neben der Spur manchmal. Und zudem kann er schweigen wie sonst nur Alicia über den Vater ihrer Tochter. Dessen Identität wird wohl auf ewig ein Mysterium bleiben …
    Eigentlich war Dads Idee, mich mit Octavia, Soren oder beiden zu treffen, nicht mal schlecht. Andererseits ist Soren Hemingway der Bruder von dem Typen, der Rachel gestern abserviert hat und da ist es wahrscheinlich, dass ich mir das ganze Drama nochmal anhören darf, wo Soren doch so gern die Gerüchteküche umrührt - wäre nicht das erste Mal. Octavia Gills hingegen ist eine der angenehmsten Zeitgenossinnen, die mir in meinem kurzen Leben begegnet sind, nur dürfte die momentan arbeiten. Ich könnte auch Rachel anrufen, die sich bestimmt mittlerweile wieder beruhigt hat ... Bestimmt. Was nicht heißt, dass es unbedingt so sein muss.
    Als ob man mir die Entscheidung abnehmen will, klingelt in diesem Moment doch tatsächlich mein Handy. Die penetrante Melodie des Gangnam Styles habe ich schlicht und ergreifend als Klingelton gewählt, um anderen Leuten damit auf die Nerven zu gehen, aber irgendwie nervt sie mich mehr als alle anderen. Seufzend werfe ich einen Blick auf das Display und sehe mit Überraschung den Namen Henry Ohkubo dort stehen. Der große Bruder von Nicoles bester Freundin Isla? Was will der denn bitte?
    Ich nehme ab und begrüße ihn mit: „Sorry, falls du Nicole sprechen willst, die hat grad eine superwichtige Familiendiskussion am Laufen. ... Glaube ich.“
    „Äh, nein, warum sollte ich dich dann anrufen, ich hab ihre Nummer?“
    Ja, okay, ergibt Sinn.
    „Nee“, fährt er fort, „eigentlich wollte ich nur wissen, ob du die Zeitung von vorvorgestern noch hast.“
    „Warum um alles in der Welt sollte ich die Zeitung von vorvorgestern noch haben?“
    „Hätt’ ja sein können“, murrt er sichtlich enttäuscht. „Verdammt, keiner hat die mehr ...“
    Und … „Das ist jetzt warum genau wichtig?“
    Ich wünschte, ich hätte nicht gefragt. Notiz an mich selbst: Henry Ohkubo verstrickt sich gern in Verschwörungstheorien und ich Vollidiotin unterstütze ihn auch noch dabei. Das merke ich leider erst mal wieder, als er anfängt, wie ein Wasserfall zu reden. „Naja, du erinnerst dich bestimmt noch an die Geschichte des grauen Mädchens von Dustvile? Jedenfalls, alle halten das nur für eine Legende, aber mir fiel heute Morgen ein, dass in der Zeitung von vorvorgestern davon berichtet wurde, als ich …“
    Ich blende sein Gelaber aus, während ich aus der Schublade meines Nachttisches ein Haargummi herauskrame und mir nach kurzem Überlegen einen Dutt mache. So sieht man zwar meine tolle giftgrüne Strähne nicht mehr so gut, aber lieber sterbe ich gar nicht als mit Stil. Wobei es natürlich am besten wäre, wenn ich mal sterbe, mit Stil zu sterben … Irgendwann. Wer weiß, vielleicht sterbe ich ja gar nicht. Vielleicht habe ich eine Rezensentensuperkraft, die mich unsterblich macht? Kann alles sein.
    „… weshalb ich denke, dass …“
    „Jaja“, falle ich Henry nicht sehr höflich ins Wort, „das ist ja alles ganz toll, aber ich muss wirklich los.“ Keine Ahnung, wohin … Aber irgendwohin sicher.
    Es bleibt einen Moment lang still am anderen Ende der Leitung, bis er wieder redet. „Du hast mir nicht zugehört, oder?“
    „Kein bisschen“, entgegne ich wahrheitsgemäß. „Tschö!“
    „Stasi—“
    Ja, okay, vielleicht bin ich ein wenig zu gemein.


    *****


    „Und dann meinte er einfach nur, dass ich gehen soll, ohne irgendeine Erklärung zu liefern“, erläutere ich und seufze. „Ist ja nicht so, als sei das voll auffällig.“
    Soren sagt nichts, wahrscheinlich, weil er nicht weiß, was. Ist ja nicht so, als hätte er eine Ahnung von dem Gedankenlesekram. Für die meisten Außenstehenden gehöre ich einfach nur zu der Familie von begabten Psychologen oder so.
    Dass ich ihm ausgerechnet im Freibad des Nachbarstädtchens Dustvile antreffen würde, hätte mir im Vorhinein mal jemand sagen können. Normalerweise geht er in Tenluce schwimmen, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann, weil das in etwa 20 Minuten entfernte ‚Dustvile Badeparadies‘ (ja, mit Deppenleerzeichen) nicht nur größer ist, sondern im Gegensatz zu unserem eine Rutsche hat. Ich schwimme ja gern mal Bahnen, aber … Rutsche! Hallo?
    So hängen wir also am Beckenrand des Schwimmerbeckens, umgeben von allen möglichen Leuten, die eine Abkühlung bei dem Wetter suchen, und betrachten nebenbei im benachbarten Becken die Turmspringer. Der Fünfer motiviert mich sonst eigentlich immer, mal runterzuhüpfen, aber irgendwie …
    Mein Freund fährt sich durch die dunkelblonden Haare, die vom Schnitt her schon irgendwie an Justin Bieber in seinen jungen Jahren erinnern, und verdreht die braunen Augen. Ich geh ihm wahrscheinlich schon auf die Nerven; wie lange habe ich mich jetzt schon darüber ausgelassen? Eine Viertelstunde? Aber hey, er bietet sich als Ventil grad so an.
    „Ich erwarte ja nicht, dass ich erfahre, was für komische Sachen die da besprechen, die selbst Nicole mithören kann – nein, halt genau das erwarte ich! Wenn es ‚Erwachsenenkram‘“ – ich schweife mit dem Arm weit aus und haue fast versehentlich einen Schwimmer, der gerade umdreht – „oder so ist, dann sollen sie zumindest Nicole da raushalten. Die einzige Ahnungslose zu sein, kotzt an.“
    Aber ja, es erinnert mich schon so ein bisschen an die „dafür bist du noch zu klein“-Thematik. Kein Zutritt für unter 18jährige und Rezensenten. Nein, für unter 18jährige Rezensenten. Immerhin ist Tante Alicia ja auch dabeigeblieben. Dabei wäre „mach dir doch einen schönen Tag mit deiner Tante“ eine viel bessere Ausrede gewesen, mich loszuwerden.
    Aber wahrscheinlich ist Tante Alicia der Grund, warum dieses Familienmeeting überhaupt einberufen wurde. Irgendwas ist bestimmt mit ihr los. Kurz schlägt mein Herz etwas schneller, als mir der Gedanke kommt, dass sie an einer Krankheit leiden könnte – bis mir wieder einfällt, dass man mich dafür nun wirklich nicht hätte wegschicken müssen. Nein, so loyal ist Dad immerhin. Es ist ja auch nicht so, als wäre er ein furchtbarer Vater, ganz im Gegenteil. Aber wenn er sich so benimmt, dann heißt es „wichtiges Lesertreffen, nur für die, die mit ihren Fähigkeiten was anfangen können, alle anderen hat das nicht zu interessieren“. Toll. Wirklich super.
    Mittlerweile glaube ich auch nicht mehr an die Geschichte mit dem Wasserschaden. Obwohl, das kann immer noch ein Zufall gewesen sein, der dazu passte. Wieso würde man sowas Geheimes nicht einfach mit einem Trip nach London regeln, der mir einen ziemlich guten Grund geben würde, zuhause zu bleiben? Blöde Schule. Nicole wird für sowas freigestellt. Wegen ihrer Supernoten und der Tatsache, dass der Schulleiter der Mann des Cousins meiner Mutter ist. Warum kann nicht mein Schulleiter der Mann des Cousins meiner Mutter sein?
    Nein, doch, Wasserschaden passt schon so.
    Trotzdem.
    „Vielleicht solltest du mal mit deinem Vater darüber reden?“, schlägt Soren wenig hilfreich vor und zieht mich damit aus meinen Gedanken. Ich schenke ihm zwei hochgezogene Augenbrauen und ein passendes sarkastisches Grinsen.
    „Weil ich das auch noch nie versucht hab, klar.“
    Das endet nur leider meist in einem „es ist zu deiner eigenen Sicherheit“. Anscheinend ist nämlich alles, was mit meiner Familie zu tun hat, gefährlich. Ich bin manchmal der festen Überzeugung, wir haben einen geheimen Mafiaring, der die Unterwelt fest in der Hand hat. Was mich noch wütender macht, weil es wenig Cooleres gibt, als die Tochter eines Mafioso zu sein. Ich könnte einen Anzug tragen und wenn das kein Grund ist, weiß ich nicht.
    „Ich, äh …“ Soren hat offensichtlich nichts mehr zu sagen – oder keine Lust mehr, sich mit mir rumzuschlagen. Irgendwie kann ich’s ihm ja nicht verübeln. „Ich geh noch mal springen.“
    „Viel Freude“, murmele ich, aber als er sich aus dem Wasser zieht und sich auf dem Weg Richtung Sprungbecken macht, halte ich inne in meinem selbstbemitleidenden Gedankengang. Ich hab immer noch nicht wirklich Lust, zu springen, aber …
    Kurzerhand folge ich ihm. Der Weg zum Becken beträgt nur um die zehn Meter und die Schlange für den Fünfer ist nicht existent. Einerseits verwundert mich das, weil es wirklich recht voll ist und die anderen Bretter recht gut besucht werden, andererseits lache ich nur still in mich hinein. Angsthasen. Soren erspähe ich am Ende der Reihe für das Dreimeterbrett und als er mich vorbeigehen sieht, winke ich ihm zu und verbessere automatisch meine Haltung. Erhobenen Hauptes erreiche ich die Leiter und klettere flink hinauf.
    Ich bin Anastasia Clarence, verdammt! Warum lasse ich mich hiervon so runterziehen? Ist ja nicht das erste Mal, dass sowas passiert. Ich sollte das hier nicht als eine Niederlage sehen, sondern eine Chance – eine Chance, meine Detektivfähigkeiten zu verbessern und mich toll zu fühlen, wenn ich erst einmal herausgefunden haben werde, was Sache ist.
    Ich vergewissere mich, dass die kleinen Kinder, die mir von unten mit Staunen zuschauen, das Becken freigemacht haben, nehme Anlauf und springe.


    *****


    Es ist siebzehn Uhr, als ich den Schlüssel in die Tür stecke. Das dürfte ja wohl genug Zeit gewesen sein, meine Familie reden zu lassen. Schlussendlich habe ich mich doch länger als erwartet an den Sprungtürmen aufgehalten und bin dann noch ein paar Mal gerutscht. Auf dem Rückweg dann auch noch Octavia zu treffen und von ihr ein Eis ausgegeben zu bekommen, hat nicht unbedingt dafür gesorgt, dass ich schneller zurückkam. Aber hey, mittlerweile bin ich zumindest nicht mehr ganz so sauer.
    Ich stehle mich ins Haus und werde begrüßt von … Wind? Tatsächlich steht an gefühlt jeder zweiten Ecke ein Ventilator. Ungewöhnlich, aber hey, ich werde mich sicher nicht beklagen!
    „Dad? Nicole?“, rufe ich durch das Erdgeschoss. Keine Antwort. „Tante Alicia?“
    „Anastasia, Liebes, willkommen zurück!“
    Es kommt aus dem Wohnzimmer und als ich mich durch den Türbogen begebe, sehe ich sie mit einem Buch auf dem Sofa liegen. Der schwarze Ledereinband sieht alt und abgegriffen aus, als hätte sie das Werk schon x-tausendmal gelesen. Wobei es auch einfach sein kann, dass sie das nur der Ästhetik wegen so hat wirken lassen …
    Dad und Nicole sind allerdings nirgends zu sehen. Ich werfe meiner Tante einen fragenden Blick zu und sie lächelt mich an, so wie immer. „Horton und deine Schwester haben etwas zu erledigen, deswegen sind sie noch einmal los. Sie sollten aber bald wieder da sein.“
    Etwas zu erledigen, huh? „Was denn? Moment.“ Ich husche schnell in die Küche, um mir aus dem Kühlschrank etwas zu trinken zu holen. Apfelschorle ist ja leider alle, aber mit Fanta begnüge ich mich auch. Ich kippe mehr Eiswürfel rein, als ich sollte, und nach kurzem Zögern füge ich eins von diesen Dingern hinzu, die aussehen, als hätte man Lametta auf einen Holzstiel geklebt. In Palmgrün. Wenn schon, denn schon.
    Zurück im Wohnzimmer lasse ich mich neben Tanta Alicia fallen und beginne erneut. „Was denn?“, wiederhole ich meine Worte von gerade.
    „Ach, Anastasia.“ Och nee. Belehrende Rede über die Gefahren eines Lebens als Clarence-Tochter in drei … Zwei … Eins … „Ich würde es dir wirklich gern sagen, aber es ist am besten, wenn es so wenig Leute wie möglich erfahren. Eigentlich sollte ich es auch nicht wissen, aber da ich direkt damit verknüpft bin … Nein, es ist zu deiner eigenen Sicherheit.“
    Natürlich. Wie immer. Dass es etwas mit Tante Alicia zu tun hat, ist klar, da erfahre ich hier nichts Neues. Aber Moment …
    Sie wird mir nicht sagen, was los ist, aber das bedeutet nichts, dass ich gar nichts erfahren kann. Zumindest das Grobe.
    „Ich kann mir nicht vorstellen, was so gefährlich sein könnte“, entgegne ich mit demonstrativ fragendem Gesicht. Ich könnte den Welpenblick probieren, aber Octavia hat mir mal gesagt, das würde sich mit giftgrünen Augen beißen. Immer diese Klischees … Ich schieb’s auf Disney!
    Tante Alicia seufzt und in ihrem Blick sehe ich, dass es ihr wirklich schlecht dabei geht, mir etwas zu verheimlichen. Okay, irgendwie fühle ich mich gerade etwas mies. Aber andererseits ist es mal an der Zeit, mir was zu sagen! Und sie ist wirklich die perfekte Chance. Mental sage ich ‚sorry‘. Nicht, dass sie es verstehen könnte.
    „Liebes, es gibt so vieles, über das die meisten Mitglieder der Familie im Dunkeln gelassen werden … Nicht alles davon ist bedrohlich, aber manche Geheimnisse sollten solche bleiben. Dieses hier ist eines davon …“
    Himmel, ich glaube, ich brauche einen Kaffee. Keine Ahnung, wieso. Ich brauche einfach einen.
    „Gleich wieder da“, signalisiere ich ihr und stehe schwungvoll auf – und auf einmal rammt etwas mein Knie. Fest. Schmerzhaft. „Autsch!“ Verdammt. Am Kaffeetisch gestoßen! Wundervoll. Ein weiterer Punkt auf meiner Liste der bescheuerten Sachen, die heute passieren.
    „Alles in Ordnung?“, fragt Tante Alicia besorgt und legt sogar ihr Buch nieder, um die Arme nach mir auszustrecken.
    Ich fluche leise und schüttele den Kopf. „Gar nichts ist in Ordnung heute … Ach, was soll’s, scheiß was drauf. Geht schon.“ Dabei ist mir die Lust auf Kaffee aber irgendwie vergangen. Kaffeetische, sie ruinieren spontane Trinkgelüste seit … 1899. Warum auch immer.
    Als ich mich wieder fallen lasse, mustert mich Tante Alicia verwirrt. „Wolltest du nicht etwas machen?“
    „Ja, Kaffee holen, aber nicht mehr … Blöder Tisch.“
    Es herrscht einen Moment Schweigen im Raum, wobei mir auffällt, dass das Radio auf dem Schrank Never gonna give you up spielt. Den Ohrwurm hab ich jetzt auch wieder für eine Weile. Wie viel besser kann’s noch werden? Ugh.
    Nach etwas, das sich anfühlt, wie eine Ewigkeit, findet Tante Alicia ihre Sprache wieder. „Du … Magst Kaffee?“
    Ich hole Luft, um etwas zu erwidern, halte aber inne, als ich mich an etwas erinnere. „Nein. Eigentlich nicht, nein. Hab ich noch nie und werd ich auch nie.“
    Wow. Blöde Situation. Wobei ich mir jetzt immerhin erklären kann, woher der spontane Gedanke kam. „Soll ich dir einen bringen?“, wende ich mich an meine Tante.
    „Ja, der Impuls kam von mir.“
    Impulse … So kann man’s auch nennen, ich bevorzuge ‚Konkurrenzgedanken‘. Spontane Ideen, Wünsche und Gelüste haben die furchtbar nervige Tendenz, wenn sie stark sind manchmal auf Leser überzugehen, die sich in der Nähe befinden. Ist mir schon mehrmals passiert, dass ich auf einmal in der Mensaschlange stand und mir etwas gekauft habe, gegen das ich allergisch bin … Oder, dass ich plötzlich ein Boot kaufen wollte. Dafür hat leider mein Geld nicht gereicht, schade eigentlich, ich hätte mich nicht beklagt. Okay, wir haben hier kein Meer … Aber hey, ich hätte ein Boot!
    Hauptsächlich bedeutet das aber gerade, dass Tante Alicia wirklich gerne Kaffee hätte. Wahrscheinlich, weil sie das Reden über sowas mit mir stresst. Warum Leute bei Stress Koffein zu sich nehmen, ist mir ein Rätsel.
    „Ich … Ich mach dir gleich was“, seufze ich. „Ich sitz grad so schön … Okay?“
    Sie lacht leise. „In Ordnung, Liebes.“
    Jedenfalls. Wo waren wir? Gefahren. Geheimnisse. Wir haben also mit einem gefährlichen Familiengeheimnis zu tun? Damit kann ich arbeiten. „Ich bin genauso eine Clarence wie du und Dad und Nicole. Und ich bin kein kleines Kind mehr, Tante Alicia, ich bin 17! Überhaupt, wenn es so wenig Leute wie möglich wissen sollen, warum hat man dann ausgerechnet Nicole mit einbezogen? Die Zwölfjährige?!“
    Ich höre die Antwort, bevor sie mir gesagt wird. Nicht durch Gedankenlesen, das wäre ja noch schöner, sondern, weil es die übliche ist. „Nicole ist besonders … Und besonders eingespannt durch ihre Mitarbeit bei der Polizei. Sie hilft Horton wirklich sehr und ist gerade für ihr Alter so begabt, dass man mittlerweile nicht mehr auf sie verzichten kann. Ich fühle mich auch nicht wohl bei der Sache, aber Horton vertraut ihr.“
    Autsch, das tut mehr weh als mein Knie gerade. Ja. Dad vertraut ihr.
    Aber mir offensichtlich nicht.
    Herzlich willkommen in der Familie Clarence …
    „Das bedeutet nicht, dass ich nicht finde, du solltest es erfahren!“ Das lässt mich aufhorchen. Kriege ich es doch aus ihr heraus? Wenn ich ihr verspreche, es geheim zu halten? Darin bin ich verdammt gut. Die positiven Nebeneffekte einer Familie mit besonderen Kräften. Laut meinen Informationen endeten die letzten Versuche, es der Welt zu vermitteln, darin, dass man uns gruselige Dämonen nannte. … Gut, das ist auch schon ein paar Jahrhunderte her, aber es hat sich eingeprägt … Bevor ich aber auf irgendetwas hoffen kann, zerstören ihre nächsten Worte meine Freude, bevor sie jemals existierte. „Also, eigentlich … Eigentlich stimmt das nicht. Du solltest es nicht erfahren. Niemand sollte es erfahren. Es wäre am besten, wenn es der Welt für immer verschlossen bleiben würde, aber …“ Sie seufzt und fährt sich durch die Haare.
    „Aber was?“, hake ich nach. Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Oh nein, ich will zumindest Bestätigung, dass nach diesem ‚aber‘ ein ‚die Situation lässt es nicht anders zu, weil es uns nun wieder betrifft‘ folgt. Das ist nicht schwer abzusehen, aber man weiß ja nie.
    „Aber wenn wir nichts dagegen tun, könnte …“
    Okay, damit habe ich nicht gerechnet. Könnte was? Mein Kopf spinnt sich bereits ein Weltuntergangsszenario zurecht – könnte das Universum, wie wir es kennen, auf ewig verenden? Könnte es morgen kein Nutella mehr geben, so puff, einfach weg?
    Ich weiß, dass es andere Familien mit Fähigkeiten gibt, aber so wie die Clarences geben die nur wenig von sich preis. Ich kann mir kaum ausmalen, was es da für eine Vielfalt an Kräften gibt – wer sagt denn, dass nicht einer von denen gehörig Mist gebaut hat und wir … Äh, pardon, Dad, Nicole und aus irgendeinem Grunde auch Tante Alicia das jetzt ausbügeln müssen? Himmel, am Ende hat es noch mit dem Vater ihrer Tochter zu tun, über den sie nie ein Sterbenswörtchen verliert. So viele Möglichkeiten …
    Und ich will gefälligst eine Antwort.
    „Könnte was?“ Als sie nicht sofort darauf anspringt, seufze ich genervt und versuche, ruhig zu bleiben. Sie will nur helfen. Wirklich, es ist schon furchtbar genug von mir, sie so über Sachen auszuhorchen, über die sie nicht reden will und darf, da muss ich nicht auch noch grantig werden. „Ich weiß, es ist schwierig und ich darf auch nichts wissen, aber bitte, gib mir nur … Mach einfach nur diesen Satz zu Ende!“
    Sie schaut mir direkt in die Augen und ich sehe ihre Lippen beben, die Augen glasig.
    Oh.
    Verdammt.
    Tante Alicia ist eine emotionale Person, aber ich habe sie nie in meinem Leben weinen sehen.
    Schon allein der Gedanke daran legt in mir einen Schalter um. Was immer hier passiert, es ist wichtig und gruselig und sie will wirklich nur, dass es uns allen gut geht. Sie ist um uns besorgt, ganz besonders um mich, die Rezensentin, die nicht einmal ansatzweise weiß, was in den Köpfen ihrer Mitmenschen vorgeht.
    „Weißt du was?“, bringe ich heraus und schüttele vehement den Kopf, wobei mir auffällt, dass sich eine Strähne aus dem Pferdeschwanz, den ich mir nach dem Schwimmbad gemacht habe, gelöst hat. „Vergiss es. Vergiss es einfach, vergiss, dass ich gefragt habe, ich kommt schon zurecht.“
    Sie nickt mir zu und schließt die Augen. „Es tut mir leid, Anastasia. Es muss schlimm für dich sein. Ich weiß, wie das ist, nichts erfahren zu dürfen …“
    Einer der Gründe, warum ich Tante Alicia immer mochte – sie ist wie ich. Ihre Brüder Analytiker und Lektor und sie … Die Quotenrezensentin. Aber in einem gewissen Maße habe ich das gerade vergessen. Jetzt ist sie für mich genau wie Dad und Nicole eine Eingeweihte in einem Geheimnis, bei dem sich keiner drum schert, wie das für das fünfte Rad am Wagen ist. Nur die Sache ist – sie schert sich drum. Weil sie mich versteht.
    Oh Mann.
    Ich bin eine furchtbare Person.
    Schweigend stehe ich auf, nehme mir meine Fanta, die nur halb so fröhlich wirkt, wie sie es tat, als ich hier reinkam und mir Infos erhoffte, und gehe nach oben.


    *****


    Ich hocke im Bad.
    Wahrscheinlich war es nicht wirklich umweltbewusst, eine Stunde lang zu duschen, aber bei dem Wetter ist das hoffentlich zu rechtfertigen. Danach habe ich irgendwie den Rest der Zeit damit verbracht, an der Badewanne zu lehnen und aus dem Fenster zu starren, immer mal wieder mit Blick auf die Uhr, die im jetzigen Moment 21:48 Uhr zeigt. Äh, okay, vielleicht sollte ich mittlerweile doch mal aufstehen und mir etwas anziehen, das kein flauschiger Bademantel ist. Zwar sind flauschige Bademäntel (und das auch noch in Neongrün!) immer gut, aber doch ziemlich warm. Am Ende muss ich gleich nochmal duschen und das wäre nun wirklich Wasserverschwendung.
    Irgendwie kann ich mich aber auch nicht dazu aufraffen. Ich bin ziemlich sauer auf mich, was Tante Alicia angeht. Ich hätte sie einfach sein lassen sollen, spätestens bei ‚niemand sollte es erfahren‘.
    Und ich Miststück habe ihr nicht einmal ihren Kaffee gebracht, wie mir gerade auffällt.
    Ich habe gerade das dringende Bedürfnis, meinen Kopf gegen die kalten Wandfliesen zu schlagen. Wären die nicht so weit weg, würde ich das wahrscheinlich auch tun.
    „Verdammt, Anastasia“, schimpfe ich mich selbst leise aus, „Taktgefühl ist dir fremd, was?“
    Normalerweise lache ich über Leute, die Selbstgespräche führen, welche keinem höheren Zweck dienen. Das ist nur ein Indikator dafür, wie mies ich offenbar drauf bin.
    „Anastasia!“
    Die Stimme meiner Tante reißt mich aus meinen Gedanken. Sie klingt alarmiert – und verdammt nah. Ich habe gar nicht mitbekommen, wie sie die Treppe hochgelaufen kam.
    „Äh, anwesend?“, entgegne ich in Richtung der geschlossenen Holztür und rappele mich nun doch auf. So stehe ich also hier in all meiner Pracht und neongrünem Bademantel und öffne die Badezimmertür, nur um Tante Alicia zu sehen, wie sie mich mit geweiteten braunen Augen vom anderen Ende des sandfarben tapezierten, hell erleuchteten Flures anschaut. Irgendwas ist los. „Alles in Ordnung?“
    Es ist eine blöde Frage. Mein Herz rast schon, bevor sie etwas sagt, und noch mehr, als ich das Telefon in ihrer Hand bemerke. Wow, wie abwesend war ich, dass ich nicht gehört habe, wie es geklingelt hat?
    Sie hält sich das Gerät ans rechte Ohr, hat es so fest im Griff, dass es aussieht, als würde sie es zerbrechen wollen. Gar nicht gut. Gar nicht gut!
    „Tante Alicia, was ist los?“, frage ich mit wachsender Besorgnis. Dad und Nicole sind offenbar noch nicht zurück, sonst würde sie nicht nach mir rufen …
    Oh nein.
    Oh nein.
    Oh nein!
    „E-es sind Horton und Nicole …“
    Nein. Nein, bitte nicht, alles, nur nicht …
    Sie bejaht irgendwas im Telefon und ich schüttele nur langsam den Kopf, wie in Trance. Dad und Nicole sind okay. Sie müssen okay sein. Es geht ihnen gut. Es muss ihnen gut gehen!
    Tante Alicia legt auf. Zitternd. Ich sehe eine Träne ihre Wange herabkullern.
    „Was ist passiert?!“, rufe ich, schreie ich sie an. „Es geht den beiden doch gut, oder? Sie brauchen nur länger, sie … Es geht ihnen gut!“
    Es ist nur ein Wort, das sie wispert. Nur ein Name. Einer, der mir unterbewusst bekannt vorkommt, so als hätte ich ihn schon einmal gehört. Bestimmt habe ich das, er ist nicht sonderlich ausgefallen. Aber er wirkt … Bedrohlich. Er erinnert mich an Geschichten von bösen Feen und gruseligen Fähigkeiten.
    Ich kenne diesen Namen und ich weiß, dass er Schlechtes bringt. Weil es mir einmal erzählt wurde, nur einmal, vor so langer Zeit. Ich weiß es.
    Tante Alicias Stimme ist nur mehr ein Flüstern.
    „Helen.“


    [align=center]




    Wortanzahl: eine Menge. 5182


    Konkurrenzgedanke in zweierlei Hinsicht: erst einmal wegen des Impulses (MERKT EUCH DAS DAS WIRD NOCH WICHTIG), aber auch wegen Anastasias Gedanken selbst. Gerade im Vergleich zu Nicole.


    Das hier wäre viel früher fertig gewesen, hätte ich Word zur Verfügung gehabt, heul. ;A; Da ich es aber seit heute gestern endlich wieder habe, hab ich's jetzt endlich fertig gebracht, tadah! Eventuell merkt man, an welcher Stelle ich die Pause gemacht hab. Hint: es ist nicht bei einer Unterbrechung! Ich mag den Anfang des Kapitels nicht so, das Ende noch eher. Merkt euch Soren und vor allem Octavia, die hatte noch keine Screentime, aber wird sie noch kriegen. Und Henry!


    And here you can see: Anastasia being rude. Ähm. Sie sieht es ja schlussendlich ein ...
    Anastasias Beziehung zu ihrer Familie ist ... Zwiegespalten. Wie man in diesem Kapitel auch sehen kann, hoffe ich. Sie hat vor allem ihren Vater echt gern, so ist's nicht, aber es kommt doch immer wieder vor, dass sie etwas nicht mitkriegt oder mitkriegen darf, weil Horton und Nicole schon irgendwie eine gewisse ... Geschlossene Einheit sind. Sie arbeiten zusammen, sie sind die mit den tollen Kräften, Nicole auch noch als sehr gute Schülerin ... Und Stasia ist halt da. Alicia hat schon recht, wenn sie sagt, dass sie sie nur beschützen wollen, was man auch später noch sehen wird - aber das ändert nichts daran, dass es absolut nicht toll ist, so behandelt zu werden. '-'


    Wer wohl Helen ist? Und was mit ihr los ist? Thihihi. Woher Stasia den Namen wohl kennt tho ... Es ist fast so, als hätte da jemand geplaudert, der es nicht hätte tun sollen. (Das ist kein wirklicher Spoiler, ich darf das sagen. xD) Oh, und wenn ich das mal so anmerken darf: ALICIA IST VOLL KNUFFIG.


    Ich hätte auch auf die Kommentare schon viel früher geantwortet, wenn ich mir nicht gesagt hätte "das machst du, wenn du Kapitel 1 postest". Uuuuuuuhm. Ja. Da das jetzt schon wieder eine Weile her ist, gehe ich jetzt mal nicht auf euch beide direkt ein, sondern gemeinsam! Unso!


    Die angesprochene Stelle ... Ja, die stört mich auch enorm. Wollte ich eigentlich schon längst ausgebessert haben, aber irgendwie ist das total untergegangen, kümmer mich da mal drum, weil da stolpert man wirklich. '-'
    Das mit dem "Punkt" ist so eine Sache, die ich aus meinem alltäglichen Sprachgebrauch übernommen hab. xDD Ich sag das ständig, haha. Find aber, dass es irgendwie zu Anastasia passt, weil sie sich nicht wirklich gewählt ausdrückt, weshalb ich es erst einmal drin lasse - inb4 irgendwann stört es mich selbst. '-'
    Keine Sorge - Humor bleibt zwar ein wichtiger Aspekt der Story, aber ich denke, ich werde es da einigermaßen hinkriegen, einen guten Draht zu finden - gerade das Ende von Kapitel 1 war ja nicht wirklich humorvoll jetzt und so hat das auch zu sein, ich will da nichts in Lächerliche ziehen. Zumindest versuche ich es, das hinzukriegen. Vor allem, weil es durchaus ernste Szenen geben wird - wie man schon merkt!
    Hach, Beschreibungen, mein alter Feind. ._." An Orten, die Anastasia als Ich-Erzählerin gut kennt, schlampe ich da gern mal rum, ups. Weil sie würde es ja auch nicht so beschreiben, wenn es für sie alltäglich ist und / oder sie einfach nicht so wirklich drauf achtet. Stimmt aber durchaus, argh.

  • Hallo, Lady Nija von Alpakistan,


    jetzt habe ich mich mal dazu durchgerungen, diese Geschichte zu lesen und muss sagen: Das könnte interessant werden! Man bekommt ja schon durch den Startpost einigermaßen ein Gefühl dafür, was kommen wird und generell ist die Grundidee eine recht frische. Man erfährt ja selten von verschiedenen Gedankenlesern und hier könnte das natürlich für den ein oder anderen Twist sorgen - zum Beispiel, wenn noch nicht genau bekannt ist, ob das wirklich alle Fähigkeiten sind, die jemand hat. Aber erst mal der Reihe nach.
    Wie gesagt, der Startpost ist gut formatiert, beinhaltet alles Wichtige übersichtlich und ist sehr ansprechend fürs Auge. Gut so! Was du noch machen könntest, wäre die Kapitel zu verlinken, damit man schneller auf sie zugreifen kann. Da du noch am Anfang bist, fällt das nicht so stark auf, aber für später könnte sich das durchaus anbieten.


    Du hast mir ja schon etwas über Anastasia erzählt, aber schlussendlich hast du mich mit ihr überrascht. Sie ist sehr sympathisch und besonders die Eigenkommentare zu bestimmten Begebenheiten sind überaus auflockern und witzig. Ebenso sind ja auch die meisten Gespräche und Situationen so gehalten, dass immer etwas Witz vorhanden ist. Ich erinnere mich nur an den letzten Koffer im Auto und sie fangen instinktiv an, Schere-Stein-Papier zu spielen. Das sieht man so eigentlich recht häufig in Serien, hat aber wirklich gut zur Situation gepasst. Generell fällt auf, wie unglaublich locker die Geschichte erzählt ist, ganz gemäß dem Alltag und ohne noch störende Einflüsse war der Prolog mit seinen größeren Sprüngen sehr erwähnenswert. Ich hätte auch nichts dagegen gehabt, wäre es so weitergegangen, weil die Zeitsprünge durchaus jedem Charakter Screentime geben können; und derer hast du viele, die man schon jetzt ins Herz schließen kann. Rachel ist zum Beispiel bisher recht cool rübergekommen und, ganz untypisch Schulzicke eigentlich, ist sie für einen Witz immer zu haben. Nicole als das Vorzeigekind, das besser ist als die größere Schwester - auch wieder eines dieser Klischees, aber zumindest verhält sie sich dem Alter entsprechend. Und es passt auch wunderbar zur Harmonie in der Familie, denn Neckereien gehören dazu. Alicia ist auch wunderbar mit ihrer herzlichen, aber auch etwas zurückhaltenden Art. Ich denke, der Cast wird sich im späteren Verlauf noch gut entwickeln können. Sympathisch sind sie jetzt schon alle.
    Wirklich mit dem Plot begonnen hast du ja erst zum Ende des ersten Kapitels und noch lässt sich nicht wirklich erahnen, worauf das Ganze hinaus läuft. Wer ist diese Helen und was hat sie mit der Familie zu tun? Handelt es sich womöglich um ein verschollenes Familienmitglied? (Das alles erfahrt ihr in der nächsten Folge!) Auch, was die Kräfte anbelangt, lässt du noch einige Stellen offen, denn bisher wurden sie ja nur grob erwähnt, ohne gezeigt zu werden. Einen Impuls hat man durch Anastasia schon gesehen, allerdings ist das noch recht wenig, um die Kraft des Gedankenlesens wirklich greifen zu können. Besonders, wie andere damit arbeiten und umgehen, wäre interessant zu erfahren.


    Kurz und allgemein, wie es sich für einen Beginn gehört. Ich hoffe, dass dir der Kommentar Freude bereitet hat und ich denke, man liest sich sicher irgendwann wieder. Bis dann!


    ~Rusalka

  • Soo, jetzt aber ^^


    Das Kapitel jst gut geworden. Durch dieses Geheimnis, mit dem die ganze Zeit vor Anastasias (und des Lesers) Gesicht herumgewedelt wird, macht das Kapitel spannend. Vor Allem das Ende war super, der Cliffhanger ist sehr gut aufgebaut. Diese Angst/ Panik, die sich in Anastasia stetig steigert, ist schön beschrieben und ich fühlte mich gut in sie hineinversetzt. Jetzt will ich wissen, wer genau diese Helen ist und was mit Nicole und Horton passiert ist. Es scheint, als würde die Story langsam ins Rollen kommen ^^ Das ist schön, da wir die Charaktere zu genüge kennengelernt haben.
    Mit Alicia und Horton kann ich aber noch nicht so viel anfangen (übrigends ist die Namenswahl von Alicia / Anastasia eher suboptimal, da man die Namen doch eher leicht verwechseln könnte. Ist mir zwar noch nicht passiert, aber trotzdem). Alicia ist erst dieses Kapitel eingeführt worden und sie scheint eine recht stereotypische, ältere, leicht verwirrte Dame zu sein. Ich freue mich schon darauf, mehr von ihr zu erfahren, sie hat das Potential, eine schöne Charakterentwicklung durchzumachen. Anastasia ist auch richtig cool. Ich frage mich, mit was für Problemen sie konfrontiert wird ^^


    Freue mich schon auf das nächste Kapitel ^^


    Lg, Jefi

  • [font='Georgia, Times New Roman, Times, serif']


    » 2 . -- I m p u l s «

    B U C H E N T F Ü H R U N G





    „Helen“, wiederhole ich das Wort, das meine Tante geflüstert hat. Ja, der Name kommt mir sicher bekannt vor, aber woher nur? Ich weiß bloß, dass er nichts Gutes verlauten lässt, und so langsam wird mir bewusst, dass ich zittere. „Helen …“
    „Clarence“, vollendet sie und die Zeit bleibt stehen.
    Diese Helen, wer auch immer sie ist, dieser Person, die meinem Vater und meiner Schwester etwas angetan hat, von dem ich mich fürchte, zu erfahren was es ist … Ist eine Clarence.
    Aber ich kenne keine Helen Clarence, zumindest nicht näher. Ist sie das Geheimnis, das die drei gehütet haben? Oder ist sie nur ein weiteres Problem? Sicher bin ich mir nur bei einer Sache: Sie gehört zu den Dingen, vor denen mich meine Familie schützen wollte.
    Und nun sind sie selbst … Sie sind …
    „Wo sind sie?“, bringe ich heraus, doch alles um mich herum scheint noch in der Zeitlupe festzustecken, setzt sich erst langsam wieder in Bewegung, Zahnrad für Zahnrad. „Was ist mit ihnen passiert?“
    Tante Alicia hält ihren Kopf in beiden Händen und ich höre sie leise schluchzen, bevor sie mich mit gequältem Blick ansieht.
    Sie sind nicht tot.
    Sie dürfen nicht tot sein.
    Eine Clarence, nicht einmal eine scheinbar gefährliche, würde nicht …
    „Sie sind verschwunden …“
    Ich atme hörbar aus und mein Herz pocht stärker gegen meinen Brustkorb. Sie leben. Wenn sie verschwunden sind, dann leben sie noch. Sie müssen noch leben.
    Meine Tante versucht sichtlich, sich zu sammeln, doch ihre Stimme bebt noch immer, als sie mir die Situation erklärt. „Als sie auf dem Polizeirevier waren, um die Informationen, die wir gesammelt haben, weiterzugeben … Hat Horton anscheinend auf einmal einen Stift genommen und … Hat auf ein Blatt Papier geschrieben …“
    Mangels besseren Wissens lege ich ihr eine Hand auf die Schulter. Sie braucht jede Unterstützung, die sie haben kann, und mir gibt es auch Halt. Ich habe das Gefühl, wir sind beide kurz davor, einfach umzufallen.
    Ich sehe euch hat er geschrieben und Niemand stutzt einem Falken die Flügel … Sein Gesichtsausdruck soll leer gewesen sein und bald darauf soll es auch Nicole …“
    Ich muss mich zwanghaft daran erinnern, zu atmen.
    „Und dann sind sie einfach weggegangen … Helens Werk.“
    Was soll das alles? Das klingt wie eine Story aus einem schlechten Horrorfilm, in dem Leute von Dämonen besessen sind oder so. Hätte ich nicht immer noch Angst um meine Familie, würde ich wahrscheinlich lachen. Stattdessen zwinge ich mich dazu, eine Frage zu stellen, irgendeine, die mir das irgendwie erklärt, wenn auch nur im Ansatz. Ich sage das Erste, was mir einfällt. „Was hat sie gemacht?“
    Tante Alicia atmet tief durch, zitternd, bevor sie mir genau in die Augen sieht. Erst jetzt merke ich, dass mir eine Träne die Wange hinunterläuft. Ich wische sie schnell weg, einer von uns beiden muss jetzt irgendwie stark sein, so schwer es auch ist …
    „Sie hat die Kontrolle über sie übernommen.“
    Die … Was?
    Sie schüttelt den Kopf, langsam und bedächtig. „Du hättest es niemals erfahren sollen. Niemand hätte es jemals …“
    „Was erfahren sollen?“, hake ich nach, ungeduldig, ungläubig.
    „Anastasia …“ Tante Alicia macht eine Pause, als müsste sie sich darauf vorbereiten, das hier zu sagen. Sich … Oder mich. Dann endlich spricht sie. „Helen Clarence, meine Tochter, deine Cousine … Ist eine Autorin.“


    *****


    „Was immer du tust, wenn du den Namen Helen Clarence hörst, dann bleib unauffällig. Du darfst unter keinen Umständen riskieren, dass sie auf dich aufmerksam wird.“
    Ich schaute mit großen Augen zu meiner Tante hinauf, auf deren Schoß ich saß. Das Feuer brannte im Kamin, draußen schneite es unaufhörlich weiße Flocken, bedeckte die Straße. Bis auf das Hupkonzert, das dort unten herrschte, war es das Bilderbuchbeispiel eines gemütlichen Dezemberabends; erleuchtet war das kleine, mit roten, weichen Sitzmöbeln und dunklen Holzschränken ausgestattete Wohnzimmer in einem Mehrfamilienhaus in London bloß vom flackernden Feuer und einigen Kerzen auf dem Tisch neben dem Sessel.
    Es war das erste Mal, dass ich Tante Alicia in ihrer Heimat treffen durfte und das erste Mal, dass ich länger als bis acht Uhr abends wach war. Mom war zuhause geblieben, während Dad und ich über Weihnachten zu seiner Schwester gereist waren. Zwei Tage noch bis zum 25. Dezember, doch das größte Geschenk hatte ich bereits erhalten.
    „Warum?“, fragte ich Tante Alicia mit geneigtem Kopf, doch sie schüttelte nur ihren.
    „Es ist besser, du weißt nichts … Wenn Horton herausfindet, dass du ihren Namen kennst, geht er ohnehin bereits die Wände doch. Aber ich fand es wichtig, dass du die Gefahr kennst. Ein Leben als Clarence-Tochter kann schwierig sein …“
    Ich fragte nicht nach, was sie meinte. Vier Jahre war ich alt, noch zu jung, um Zweifel zu hegen oder nicht zufrieden zu sein mit dem, was ich besaß. Ein unschuldiges Kind, das allen, die es mochte, vertraute. Das noch nicht wusste, wie es war, anders normal zu sein. Immerhin war ich für Mom und Dad das wichtigste, am meisten besondere Mädchen der Welt. Ihre Tochter.
    Und doch hatte ich mich Tante Alicia immer mehr verbunden gefühlt. Meine Mutter war keine Leserin, wusste von unsere Fähigkeiten, aber nicht mehr – und war öfters fort als bei uns. Mein Vater war ein Held für mich, gleichwohl unerreichbar. Der Kritiker.
    Tante Alicia war wie ich.


    *****


    „Eine Autorin“, wiederhole ich tonlos. Starre sie einfach nur an, wie sie schluchzt und weint. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll.
    Autoren sind ein Mysterium unter Mysterien. Eine Legende in der Familie Clarence. Es heißt, es gab einst einen Autor, unser aller Vorfahr, dessen absolute Macht sich mit Menschen ohne Fähigkeiten vermischte und daher abschwächte. Aber selbst das sind alles nur Geschichten, die man allgemein als die Wahrheit akzeptiert, so wie die Sache mit den anderen Fähigkeiten.
    Tante Alicia nickt schwach und stützt sich an der Wand ab. Ich hingegen habe komplett heruntergefahren. Ich fühle gerade gar nichts.
    Laut den Erzählungen können Autoren in die Gedankenwelt von jemandem eindringen, sie komplett entschlüsseln und sie verändern. Ohne Grenzen. Es ist die absolute Kontrolle.
    Laut den Erzählungen wurde auch der anscheinend andere Autor, der Ur-Clarence, von dieser Macht so eingenommen, dass er wahnsinnig wurde und sich schlussendlich selbst das Leben nahm.
    Niemand stutzt einem Falken die Flügel.
    „Was … Was um alles in der Welt habt ihr mit ihr gemacht?“
    Ich kann es nicht glauben. Ich kann nichts von alldem glauben. Ich bin mir sicher, dass es nur ein großer, bescheuerter Scherz ist und dass Dad und Nicole sich hinter einer dieser Türen am Flur verstecken und mich auslachen. Tanta Alicias Tochter … Eine Autorin. Es gibt gar keine Möglichkeit, wie das stimmen könnte. Es ist schlicht und ergreifend unmöglich.
    Meine Tante, meine Mitrezensentin, die ist wie ich, ist wirklich gar nicht wie ich, sondern hat eine Autorin geboren.
    Mein Vater und meine Schwester wurden von ebendieser Autorin mitgenommen und wahrscheinlich irgendwo festgehalten.
    Und zwischen all dem stehe ich und habe ein furchtbares Gefühl bei der Sache, nicht nur Dad und Nicole wegen, sondern vor allem …
    Wegen Helen.
    „Was habt ihr mit ihr gemacht?“, wiederhole ich, lauter, energischer. Ich war vier … Diese alte Erinnerung von gerade, losgelöst durch all diese Ereignisse, in der war ich vier Jahre alt und Helen galt bereits als gefährlich. Ich weiß nicht, wie alt sie ist, aber viel älter als ich kann sie nicht sein.
    Sie gilt … Nein, galt als verschollen. Aber Tante Alicia wusste schon länger, was mit ihr ist. Weil sie überhaupt nicht verschollen war, sondern …
    „Sie …“ Tante Alicia scheint kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen, so sehr zittert sie. Ich sollte still sein, die Klappe halten und sie in Ruhe lassen, bis wir uns beide beruhigt haben, aber das hier ist wichtig. Weil es uns helfen könnte, Dad und Nicole zu retten … Und weil ich wissen will, warum Helen das getan hat. Tante Alicia schaut mir nicht in die Augen. „Wir haben sie weggesperrt.“


    *****


    Ich träume in dieser Nacht.
    Es ist ein Wunder, dass ich überhaupt eingeschlafen bin, aber so im Nachhinein bereue ich es, ins Bett gegangen zu sein.
    Für gewöhnlich weiß ich, dass ich träume, und das ist diesmal nicht anders. Was mir aber ganz und gar nicht behagt, ist die Tatsache, dass ich den Ort, an dem ich mich befinde, nicht ändern kann, so sehr ich es versuche.
    Luzides Träumen ist so eine Fähigkeit, die viele Gedankenleser zu haben scheinen. Bei mir war es immer schon ziemlich stark ausgeprägt und als ich klein war, habe ich mich oft darauf gefreut, schlafen zu gehen, einfach, um meine kühnsten Fantasien auszuleben, inklusive Regenbogeneinhörnern und Mondreisen. Nicht unbedingt erholsam, mittlerweile habe ich da ein besseres Maß gefunden, aber doch witzig.
    Aber heute …
    Heute bin ich umgeben von vier dunkelgrauen Mauern, die meinen Traumkörper so sehr einengen wie anscheinend meine Fähigkeiten. Früher hatte ich das mit Albträumen, aber ich habe irgendwann gelernt, wie ich mich auch aus denen einfach wegbeamen konnte.
    Anastasia Clarence, zumindest Traum-Anastasia Clarence, wird nicht eingesperrt.
    Unerhört.
    Mein Herz rast schneller, als ich es mir eingestehen will, die ganze Atmosphäre macht mir größtenteils einfach Angst. Licht spendet nur eine flackernde Neonröhre über mir. In ihrem kalten Licht erkenne ich, dass auf den Wänden Dinge eingeritzt sind, Buchstaben, Zahlen, aber größtenteils Strichlisten. Da hat wohl jemand gezählt, wie lange er schon hier war.
    Oder wann er wieder rauskonnte …
    Mangels besserer Alternativen und in der naiven Hoffnung, mich ablenken zu können, beginne ich, zu zählen. Bei 30 habe ich schon keine Lust mehr, aber es hilft; je länger ich auf die Striche starre, desto langsamer schlägt mein Herz. 46, 47, 48 …
    Als ich die 120 erreiche, merke ich, dass etwas nicht stimmt.
    Na gut, nichts stimmt hier, aber mein Herz … Oh, verdammt.
    Mein Herz schlägt nicht.
    Aus irgendeinem Grund bin ich von meiner vorigen Angst in einen geradezu surrealen Zustand der Entspannung übergegangen, ich will hysterisch kichern, als ich merke, dass ich technisch gesehen tot bin, aber das ist mir zu viel Arbeit. Das einzige, was ich wirklich möchte, ist schlafen. Schlafen und nie wieder erwachen …
    Hey.
    Stopp.
    Ich schlafe schon.
    Mein Herzschlag setzt stotternd wieder ein, bis er sich auf einer noch schnelleren Rate als vorhin befindet. Wer auch immer mit ihm um die Wette sprintet, er muss ziemlich gut sein – und ich hätte gern seine Geschwindigkeit, noch dazu die Stärke vom Hulk, um die Wand einzuschlagen und einfach wegzurennen.
    Weg, weg, weg!
    Ich versuche verzweifelt, mir die Wand aus dem Weg zu träumen, aber es klappt einfach nicht! Das kann doch wohl nicht wahr sein, lasst mich raus, will ich schreien, aber meine Stimme will nicht wie ich. Lasst mich raus!
    Die Lampe flackert zum letzten Mal.
    Dunkelheit.


    *****


    Schreiend wache ich auf.
    Ich sitze aufrecht auf dem Sofa im Wohnzimmer, auf dem Couchtisch einige Blätter voll Notizen und Gedankengängen ausgebreitet, manche sind bereits heruntergefallen. Außerdem tut mein Ellbogen weh, also habe ich entweder mies gelegen oder ihn mir beim Aufwachen gestoßen.
    Was um alles in der Welt war das?
    Eine Anastasia Clarence hat keine Albträume und sicherlich keine, in denen sie in seltsamen engen Räumen gefangen gehalten wird und ihr Herz aufhört, zu schlagen. Und allem voran wacht eine Anastasia Clarence nicht nachts schweißgebadet wegen ebenjenem Albtraum auf. Verdammt, ich verliere wirklich an Standhaftigkeit!
    Ich versuche, mich etwas zu beruhigen, als ich merke, dass mein Herz auch im wachen Zustand noch nicht mit seinem Sprint fertig ist. Usain Bolt ist nichts dagegen, wie es scheint. Es funktioniert nicht wirklich.
    Toll. Wirklich super. Mein Tante hat eine vielleicht ein wenig geistesgestörte Autorin geboren und weggesperrt, Letztere ist uns bestimmt nicht fröhlich gesinnt und hat meine Schwester und meinen Vater …
    Nicole … Dad …
    Ich balle meine Hände zu Fäusten, plötzlich entschlossen.
    Soll die geistesgestörte Autorin doch kommen, ihr trete ich dreimal in den Hintern und dann nochmal, nur, um sicherzugehen! Genug Trübsal geblasen, genug über komische Träume verwirrt gewesen, jetzt wird eine Familie gerettet!
    … Aber erstmal wird jetzt wieder geschlafen, sonst bin ich morgen … Heute … Eher mit einer Leiche zu vergleichen als mit einer tollen Heldin.


    *****


    Ich habe die Nacht ohne weitere Albträume überstanden und bin darüber wirklich froh, doch am Morgen wartet schon der nächste Schrecken auf mich.
    Frühstück.
    Wenn ich zu einem nicht zu gebrauchen bin, ist das Kochen. Oder Backen. Oder Brötchenbelegen.
    So stehe ich also in unserer Küche, Tante Alicia schweigend am Tisch. Ich habe ihr den Rücken zugewandt, weniger, weil ich ihr aus dem Weg gehen will, sondern eher, weil ich verzweifelt versuche, alle auf meinem Smartphone angezeigten Anweisungen für Rührei zu befolgen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich es mindestens schon versalzen habe. Dabei bin ich nicht einmal verliebt.
    Es ist eigentlich eine Schande. Ich meine, ich bin siebzehn Jahre alt, nicht sechs. Aber Dads Essen war immer so gut, dass ich mich nach endlosen Versuchen, es ihm gleichzutun, gefragt habe, warum ich es überhaupt versuche. Als ich keine Antwort gefunden habe, war die Sache mit dem Kochen dann erledigt.
    Ein Fehler, wie sich jetzt zeigt.
    Das da in meiner Pfanne schreit mich um Gnade anzuwinseln, seinem traurigen Leben doch endlich ein Ende zu bereiten, aber ich bin grausam und überhaupt eine furchtbare Person, also kann ich ihm diesen Gefallen noch nicht erweisen. Obwohl es wahrscheinlich für unsere Gesundheit besser wäre …
    Tatsächlich habe ich aber erstaunlich gute Laune. Ich sollte mich wohl schlecht fühlen deswegen, aber ich tröste mich damit, dass diese Stimmung davon kommt, dass ich erstaunlicherweise noch immer motiviert bin, Dad und Nicole und am besten noch den Rest der Welt aus dieser Misere zu befreien. Auf, auf, Anastasia! Je früher, desto besser!
    Ich habe mich sogar passend angezogen, um das Rettungsmanöver so schnell wie möglich durchzuziehen. Schwarz, edel und klassisch, mit Lederjacke und Stiefeln und einer engen Hose, wie diese Actionheldinnen, nur cooler, weil meine grüne Strähne so schön heraussticht, wie auch meine Augen. Auf Tante Alicia muss ich wirken wie ein Alien. Ein übermotivierter, kleiner Alien.
    Soll Helen doch kommen. Sie wird stehen bleiben und mich bewundern müssen.
    Ich erkläre das Rührei als fertig (mit Gott, der Welt und den Nerven) und kippe es unsanft auf einen Teller, bis ich merke, dass wir zwei Personen sind. Ein paar Stückchen oder wie auch immer man die nennt fallen daneben, auf den langen Teppich, der vor dem Herd liegt, aber ich entschließe mich, mich nicht weiter dran zu stören. Aufräumen kann ich auch noch, wenn Dad und Nicole wieder in Sicherheit sind. Oder es Nicole aufzwängen.
    Als ich mich zum Tisch drehe, sehe ich, wie Tante Alicia mich anstarrt. Ich glaube, meine Alientheorie hat sich hiermit bestätigt.
    „Anastasia …“, ist das erste Wort, das ich heute von ihr höre, als ich mich ihr gegenüber an den Tisch setze.
    „Anwesend“, entgegne ich und lege den Kopf schief, während ich meine Rühreileiche betrachte und mit meiner Gabel, die ich, vorausschauend wie ich bin, mir und Tante Alicia schon hingelegt habe, darin herumstochere.
    Tante Alicia sieht aus, als würde sie versuchen, mir etwas zu sagen, aber einfach nicht die richtigen Worte finden. Ich kann mir geradezu vorstellen, was in ihrem Kopf vorgeht. Gut, viel mehr kann ich dahingehend auch nicht anstellen. Wie praktisch wäre es, Analytiker zu sein!
    Und wow, das Rührei ist sogar essbar. Wenn man darüber hinwegsehen kann, dass es beim Anschauen schon in sich zusammenfällt, vielleicht sollte ich mir lieber einen Löffel holen. Aber hey, es ist Rührei, so schlimm kann das also gar nicht sein.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit des mit sich stetig öffnendem und schließenden Mund Anstarrens vonseiten meiner Tante wird es mir etwas zu viel. Ich unterdrücke ein Seufzen, schiebe mir eine Gabel luftigen Rühreis in den Mund und als ich heruntergeschluckt habe, frage ich so simpel wie genial: „Alles okay bei dir?“
    Sie blinzelt. Sie blinzelt mich einfach an, wie in einem Film. Aber anscheinend habe ich sie aus ihrer Schockstarre geholt. „Warum … Warum hast du so gute Laune?“
    „Nun“, beginne ich und versuche, mir mehr Rührei aufzuspießen. Als ich zu ihr rüberschaue, überrascht es mich nicht, dass sie ihr Rührei noch nicht angerührt hat. „Ich bin motiviert! Helen mag eine Autorin sein, aber ich bin Anastasia.“
    Tante Alicia scheint leicht zu zittern. Okay, das war nicht meine Intention. „Du überschätzt dich“, sagt sie. „Und du unterschätzt sie. Sie ist …“
    „Ich weiß, ich weiß.“ Tue ich tatsächlich. Ich mag zwar etwas übermotiviert sein, aber ich bin nicht blöd. Das hier wird kein Spaziergang, egal, wie schön es wäre, wäre dem so. Die Autorenfähigkeit ist wirklich verdammt gruselig und ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich Helen erst einmal gegenüberstehe, werde ich deutlich weniger angespornt sein. Aber … „Wenn wir jetzt nicht versuchen, etwas zu tun, ist es zu spät. Dad und Nicole sind vielleicht manchmal ziemlich unfair zu mir, aber sie sind meine Familie. Und wenn ich einfach schon aufgebe oder wenn ich nicht zumindest mit so viel Freude an die Sache gehe, wie’s möglich ist, dann wird das gar nichts und glaub mir, dass ich mir dann ewig die Schuld daran gebe.“ Demonstrativ balle ich die Hand zur Faust und recke sie in die Höhe. „Operation Buchentführung kann beginnen!“
    „Operation … Wie?“
    „Buchentführung“, wiederhole ich. „Du weißt schon, weil wir alle Leser sind und Dad und Nicole durch Leserkräfte entführt wurden … Ach, vergiss es.“


    *****


    Zwei Dinge.
    Erstens, so etwas auf einem Sonntag anzufangen ist eine bekloppte Idee. Ich hab ja keine Ahnung, wie lange ich weg sein werde, und mir ist es zwar herzlich egal, welchen Unterricht ich verpasse, meinen Lehrern und damit meinen Noten aber nicht so wirklich. Aber gut, das ist ein zu verschmerzender Verlust, trotzdem, können die Ferien nicht jetzt schon anfangen? Okay, für das Wohle meiner Familie bleibe ich auch sitzen … Ich hoffe, ich kann das aufarbeiten … Und ich hoffe, Dad schreibt mir eine Entschuldigung, wenn er wieder zuhause ist. Immerhin hab ich heute im Souvenirshop frei.
    Zweitens, Schwarz mag zwar cool aussehen, eignet sich aber für eine Mission in Tenluce nicht allzu sehr. Ich schwitze mich halb zu Tode, steche aus den wenigen Leuten, die auf den Straßen unterwegs sind, raus wie sonst nie und überhaupt denke ich mir so im Nachhinein, dass ich es wohl ein wenig übertrieben habe.
    Immerhin sehe ich cool aus.
    Vielleicht nicht ganz so cool, wenn man betrachtet, wie ich gerade draußen an der besten örtlichen Eisdiele – ein Ruf, der bei sechs Eisdielen in einer einzigen kleinen Fußgängerzone schon eine ziemliche Ehre ist – sitze und mein Vanilleeis löffle. Außer mir sehe ich nur noch zwei Jungen an einem Tisch näher am Eingang, ansonsten scheint hier keiner zu sein. Eigentlich müssten sie denen hier die Bude einrennen, was soll das?
    Nach einigem Nachdenken habe ich … Immer noch keine Ahnung, wo ich anfangen soll, wenn ich ehrlich bin. Wie findet man eine anscheinend Verrückte, die einen dazu zwingen kann, alles zu tun? Eigentlich sollte man doch meinen, ich könne sie irgendwie herauslocken, aber das würde sie wahrscheinlich wissen, ich gehe davon aus, dass sie Gedanken auch versteht und nicht nur einpflanzt, sonst wär das ja komisch. Außerdem habe ich wirklich keine Lust darauf, dass die Aktion mich auch noch zu ihrer Marionette macht. Wär ja noch schöner.
    Den Albtraum der Nacht habe ich immer noch im Hinterkopf. Wenn der nichts mit Helen zu tun hat … Na gut, er könnte genauso einfach meine geistige Reaktion auf die Tatsache sein, dass ich nun weiß, dass Tante Alicia meine ach so liebenswerte Cousine in irgendein Irrenhaus oder so gesperrt hat …
    Heilige Scheiße. Meine liebe, knuffige Tante Alicia hat ihre eigene Tochter weggesperrt. Je mehr ich darüber nachdenke, desto gruseliger wird es. Und jetzt weiß ich auch, warum ich den niedlichen Charakteren in Filmen und allen voran Anime selten traue. Kyubey und Nyu haben da schon früh für gesorgt und anscheinend bestätigt sich der Verdacht auch im echten Leben.
    Naja, es ist nicht so, dass ich Tante Alicia nicht mehr traue … Wenn mir meine Erinnerung keinen Streich gespielt hat, dann hat sie mich sogar früher mal gewarnt. Trotzdem, wäre ich die Autorin …
    Wäre ich die Autorin, wäre ich nicht wahnsinnig. Aber wäre ich die wahnsinnige Autorin, dann hätte ich das sein können, diese Helen.
    Himmel, ich hasse sie jetzt schon. Zugegeben, alles andere wäre auch komisch. Sie hat meine Familie.
    „Stasia?“
    Als ich den Kopf hebe, sehe ich doch tatsächlich Octavia Gills auf mich zukommen, direkt vom Juwelier gegenüber. Sie trägt die dunkelblonden Haare kurz wie immer, ich kann das Lächeln in ihren blauen Augen schon von hier sehen und ihr Outfit steht in krassem Gegensatz zu meinem – gelb, gut, wahrscheinlich nicht wirklich günstig.
    „Octavia“, entgegne ich sehr geistreich, als sie an meinem Tisch stehen bleibt und mich mit ihrem Lächeln anschaut, das die Sonne selbst neidisch machen würde. Die Sonne hat es eh verdient. Soll mal aufhören, so erbarmungslos zu scheinen. „Setz dich?“
    Sie folgt meinem Vorschlag und lässt sich in einer eleganten Bewegung, die ich nie so hinbekommen hätte, auf dem Stuhl mir gegenüber nieder. Wo ich sie so direkt vor mir habe, nur von mir getrennt von diesem runden, unter dem Sonnenschirm doch recht kühlen Tisch, bemerke ich einmal mehr, wie sehr ich sie eigentlich beneide. Ich bin nicht hässlich oder so, muss ich so ganz objektiv mal sagen, aber ich habe eher so den … Selbstbewusstes-lautes-Mädchen-Charme und sie wirkt dort wie ein Supermodel aus einer Modezeitschrift. Einer ziemlich renommierten Modezeitschrift.
    „Ähm … Hübsches Outfit. Sehr ungewohnt. So … Dunkel.“ Immerhin kann ich guten Gewissens behaupten, dass mir dieses Schwarz deutlich besser steht, als es ihr jemals würde. Ich weiß nicht, wie sie es schafft, aber ihre Haut ist so hell, man sollte meinen, sie wäre nur zu Besuch hier. Das wäre ein noch größerer Kontrast bei ihr, sie würde rein farblich aussehen wie ein Eisbär im Anzug. Mit dunkelblonden Haaren.
    Ich nehme ihr Kompliment mal wörtlich und grinse in meiner besten Imitation ihres Sonnenscheinlächelns. Hätte ich einen Spiegel dabei, wäre er bestimmt zerbrochen. „Danke! Find es ja sehr cool.“
    Octavia wirkt ein wenig verloren in Anbetracht meiner doch sehr seltsamen Präsenz. Eigentlich sollte ich ja auch verwundert sein, ich bin davon ausgegangen, dass sie heute arbeitet, aber vielleicht hat sie sich frei genommen. Oder die Besitzer des Shops haben endlich kapiert, dass Sonntags eh keiner vorbeischaut und sich Tenluce-Wimpel kauft. Ja, so etwas haben wir. „Sag mal … Ist das nur eine, äh, Modeerscheinung oder … Hast du irgendetwas vor?“
    Ich würde ihr liebend gerne so etwas sagen wie Jep, meine Schwester und mein Vater wurden von einer wahnsinnigen Gedankenleserin entführt, die vielleicht auch ebendieses mit mir vorhat, warum auch immer, eigentlich weiß keiner so genau, was eigentlich los ist, aber ich mach mich jetzt auf die Suche. Allerdings hat Octavia, wie jeder andere normale Mensch, der nicht bei der Polizei einen Eid abgelegt hat, nichts zu verraten, auch, keine Ahnung von den Talenten der Familie Clarence. Der Sicherheit wegen und so. Ich überlege, ihr diese Erklärung trotzdem genau so an den Kopf zu knallen, aber entscheide mich dagegen. Dad würde mich umbringen, wenn ich ihn gerettet habe. Und Nicole auch, nur, um sicherzugehen. Aber ich kann auch nicht einfach nichts sagen. Also nehme ich die erste Erklärung, die mir in den Kopf kommt: „Ich will klettern gehen.“
    Sie blinzelt. Und blinzelt nochmal. Und hebt dann sehr elegant eine Augenbraue. „Du willst klettern. In Tenluce. Bei dieser Hitze. Stasia, ich weiß, du bist manchmal etwas verrückt, aber das kann nicht gesund sein. Und wie du bestimmt selbst weißt, haben wir keinen Kletterpark.“
    „Ich klettere auf … Bäumen?“ Die Idee ist nicht mal schlecht. Wer weiß, vielleicht kann ich ja von weiter oben irgendetwas Besonderes sehen. Wahrscheinlich nicht.
    „Auf Bäumen“, wiederholt Octavia mit noch immer hochgezogener Augenbraue. „Selbstverständlich. Und dann, wenn du oben bist …“
    „Schau ich mir die Gegend an“, beende ich ihren Satz. „Tenluce von oben ist doch bestimmt nicht schlecht. Vielleicht finde ich einen Baum, von dem ich das Schwimmbad sehe und Leute auslachen kann, die ausrutschen und hinfliegen. Oder einen, bei dem ich einen perfekten Blick auf das Polizeipräsidium—“
    Das Polizeipräsidium.
    Natürlich.
    Wie blöd bin ich denn bitte?
    „Ja, ich glaube, das mach ich jetzt!“ Schneller als unauffällig stehe ich auf, werfe drei Dollar auf den Tisch, die mein halb gegessenes, halb zur Unkenntlichkeit geschmolzenes Eis bezahlen sollen, fahre mir durch die offenen Haare und erkläre feierlich: „Ich schau mir jetzt dicke donutfressende Polizisten dabei an, wie sie keine Fälle lösen können. Bye!“
    Bevor sie etwas sagen kann, bin ich schon über alle Berge, direkt in Richtung Polizeipräsidium.


    *****


    Das Präsidium hat trotz seiner Glaswände einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Rest von Tenluce: Es ist klimatisiert.
    Trotzdem halte ich mich nicht in dem mit nicht sehr bequem aussehenden schwarzen Stühlen ausgestatteten Warteraum auf, dessen einziger Wartende ein älterer Herr ist, der einen braunen, sehr niedlichen, aber alt wirkenden Hund an der Leine hat, sondern gehe schnurstracks den Gang runter. Dabei muss ich einigen verwirrten Polizisten, sich öffnenden Hellholztüren und „haben Sie einen Termin?“-Rufen ausweichen, aber das stört mich nicht allzu sehr.
    Warum bin ich nicht sofort darauf gekommen? Das ganze Drama hat laut Tante Alicia hier angefangen – vielleicht auch früher, wenn man bedenkt, wie sie sich gestern noch verhalten haben – und ich denke nicht einmal darüber nach, hier mit meiner Suche anzufangen.
    Ich mache einer Actionheldin alle Ehre, als ich am Ende des Ganges an der Tür ankomme, auf der ein goldenes Schild mit den eingravierten Worten Chief Harrington zu sehen ist, und sie einfach schwungvoll öffne, sehr zur Verwunderung des am überfüllten Schreibtisch sitzenden George Harrington. Zumindest denke ich, dass er so heißt, Dad und Nicole sprechen jedenfalls manchmal von ihm.
    Harrington ist allem Anschein nach ein Mann um die fünfzig Jahre, der erfahren, aber trotzdem irgendwie junggeblieben wirkt, trotz der wenigen grauen Haare und des gedrehten Schnurrbartes, um den ihn bestimmt einige Männer beneiden. Hinter ihm dringt Licht durch das große Fenster, das aber hauptsächlich dazu dient, dass die Berge an Papierkram und damit verbundenen Bürowerkzeugen einem noch mehr ins Auge stechen.
    Das ist mir aber gerade ziemlich egal.
    „Wer … Wie …“, stammelt er völlig verwirrt vor sich hin, aber ich habe nicht die Intention, ihn eine vernünftige Frage stellen zu lassen. Stattdessen suche ich mir das letzte bisschen Tisch, das man unter den Dokumenten noch finden kann, und schlage demonstrativ darauf.
    „Ich bin Anastasia Clarence und meine Schwester Nicole und mein Vater Horton wurden gestern in genau dieser Polizeistelle von einer verrückten Autorin entführt, und wenn Sie nicht wollen, dass die ganze Welt davon erfährt, wie Sie bislang anscheinend noch immer nichts gemacht haben, dann helfen Sie mir, sie zu finden. Es sei denn natürlich, Sie haben Spaß daran, Ihre besten Leute zu verlieren und mit einem ziemlich angepissten Familienmitglied sowie ihrer momentan etwas psychisch labilen Tante klar kommen zu müssen, die Ihnen die Hölle heiß machen, wenn sie nicht alles versuchen. Operation Buchentführung ist genauso ihr Problem wie meines und damit eins klar ist: Die Hölle wird verdammt heiß.“
    Mit diesen Worten will ich eigentlich auf dramatische Weise den Raum verlassen, aber das wäre ziemlich ineffizient. Stattdessen stehe ich also hier, starre Harrington, der auf einmal ganz klein wirkt, aus erbarmungslosen giftgrünen Augen nieder …
    Und warte.


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    Ich weiß gar nicht, warum ich das immer dazuschreibe, lol.


    Inklusive sehr vielen Switches, einem Flashback, das nicht das Einzige bleiben wird, Anastasia going full ragemode, der überaus eleganten Octavia Gills, Chief George (?) Harrington, Alicia, die die Welt nicht mehr versteht, und von einem sehr traurigen Schicksal geplagten Lebensmitteln. Allerdings leider keinem schicken K-Titel mehr. Das war nur Koinzidenz!


    Zu dem überaus knuffigen Rusalka habe ich gar nicht allzu viel zu sagen, wenn ich ehrlich bin, bedankt habe ich mich ja schon für diesen motivierenden Kommentar *^*


    Hachja, das Alicia / Anastasia-Problem ... Muss zugeben, es passiert mir schon öfters, dass ich versehentlich eine Tante Anastasia benenne, lol. Dürfte aber in diesem Kapitel alles ausgebessert sein ... Hoffe ich ... Jedenfalls hab ich für Alicia schon Einiges im Kopf, eventuell wird es überraschen, aber es wird auf jeden Fall ihren Charakter eingehend beleuchten. Hoffe ich.


    Und im nächsten Kapitel sehen Sie: Henry Ohkubo auch mal live und in Farbe! Rachel Thaller mal wieder! Und einen Titel, von dem ich noch nicht weiß, ob er Lichtgeschwindigkeiten oder Krankheitsgefälle heißen wird. Mittlerweile dürfte man auch verstehen, wie die Titel aufgebaut sind. Normales Wort -> Abwandlung für anderen Kontext! Und sie haben sogar in ihrer "normalen" Form Bezug zur Story. ("Kollisionskurse" wegen Latein & Mathe sowie dem Kollisionskurs, auf dem sich alles befindet. "Konkurrenzgedanke" wegen den Impulsen sowie dem Konkurrenzdenken, das Anastasia hat. "Buchentführung" wegen der Operation Buchentführung und der Tatsache, dass alles jetzt wirklich losgeht - quasi Buch geführt wird!) Beide Titel werde ich auf jeden Fall mal benutzen, ebenso wie Albtraumtagebuch (von Traumtagebuch, duh) und Millionengewitter (von Millionengewinner) und Sternensegen (von Sternenregen), aber hmmm. Ich hatte mal so ne tolle Liste ... Auf meinem alten Handy ... Heul. T.T

  • Huhu, ich hab mir mal kurz die Mühe gemacht, deine Geschichte zu lesen. Achtung: Wall of Quotes incomming. Ich hab mir mal so ein paar Stellen rausgepickt, zu denen ich mal mehr oder weniger viel schreiben werde.
    Zu erst: Das Topic macht einen stylischen und aufgeräumten ersten Eindruck. Ich mag das Design.


    Auch, wenn die es nicht ganz so super findet, dass ihre Fähigkeit nutzlos ist. Aber das liegt auch eher daran, dass sie von Ungewöhnlichkeiten umgeben ist. Ich fand es schon immer interessant, über Charaktere zu schreiben, die eben nichts Besonderes sind und die in anderen Geschichten wohl eher Sidekicks wären von denen, die mehr drauf haben. So jemand ist auch Anastasia, und doch wird sie noch herausfinden, dass gerade ihre Unfähigkeit ihre größte Waffe sein kann.

    Nummer 1: Ein kurzes Vorwort vor einer Geschichte ist nicht verkehrt und vermittelt dem Leser einen Überblcik, worum es eigentlich gehen soll. Ziemlich viel Vorausdeutung, aber das ist dann deine Sache, wie es dir halt am Besten gefällt. Der letzte Satz hat dann auch dazu geführt, dass ich hier tatsächlich weitergelesen und nicht weg geklickt habe, was ich bei diesem 08/15 - Titel ehrlich gesagt im ersten Moment vorhatte :S
    Aber da ich schon mal hier bin, kommentiere ich mal ein wenig, was?


    IMPULSE, also spontane Ideen und Wünsche, sind tückisch, denn unter Umständen kann es vorkommen, dass sie ohne Zutun auf Leser übergehen, wenn der Urheber sie heftig verspürt. So kann auf einmal ein Leser plötzlich Durst auf Cola bekommen, obwohl er die gar nicht mag.

    Da merkt man schon, dass diese Impulse vermutlich irgendwann wichtig werden könnten, wenn du schon deine Kapitel danach benennst. Bei dem Satz mit der Cola musste ich das erste mal schmunzeln (kommt noch öfter vor :) )


    Es ist eine Sache, eine Ausnahme zu sein. Das einzige schwarze Schaf in einer weißen Herde, die einzige Katze zwischen Hunden, meinetwegen auch der einzige Englischlehrer auf einer Mathematikvorlesung.

    Wieder so ein Satz. Aber mal im Ernst, als Englischlehrer unter Mathematikern muss es doch langweilig sein, oder? Mir gefällt es, dass du solche Sätze einbaust, die den eigentlich eher ernsten Hintergrund der Geschichte beachtlich auflockern.


    Wenn man besonders ist, kriegt man das ja immerhin noch mit. Dann hört man von überall Sachen wie ‚Du bist ja so anders!‘ oder so, und man wird beneidet und gelobt und alle finden toll, was man macht oder kann oder was weiß ich. Aber wenn die gesamte Verwandtschaft eine wandelnde Ausnahme ist, ein Sammelsurium an Besonderheiten, einer toller als der Andere, und man selbst das Pech hat, der Normalfall zu sein, schert sich keiner um einen. Wieso auch? Man kann ja nichts. Nichts Besonderes.

    Ja, dieser Absatz gibt irgendwie Sinn. Hast du meine Gedanken gelesen?
    Na ja. Man merkt schon, dass Anastasia (hübscher Name übrigens) nicht wirklich zufrieden mit ihrem "Los" ist, was für die Geschichte erheblich Potenzial bietet, das du im späteren Verlauf auch nutzt. :thumbup:


    In der Lateinprüfung saß ich nur so da à la f(x)=u‘(v(x))•v‘(x). Sowas passiert mir sonst nie. Die beiden verdienen ja sowas von die Bezeichnung ‚Kollisionskurse‘.

    Was haben denn Ableitungen mit Latein zu tun? Aber diese Situation zeigt doch, dass Stasia ziemlich verpeilt ist, zumindest in diesem Kapitel. Da gibt es später noch Stellen, wo das zum tragen kommt aber auch das macht den Charakter interessant.


    Kritiker wie meine kleine Schwester Nicole können nämlich immerhin fühlen, in welche Richtung die Gedanken gehen, welche Gesinnung sie haben. Das ist schon einmal ganz hilfreich. Analytiker entschlüsseln, und Lektoren besitzen die sehr coole Fähigkeit, unter enormer Kraftaufwendung, die Richtung zu verschieben. Dann lässt ein psychisch gestörter aggressiver Massenmörder auf einmal seine Wut raus, indem er eine Blume pflückt. Zum Beispiel.

    Oh man, die haben ja mal coole Fähigkeiten. Kein Wunder, das Stasia da so unzufrieden mit ihrer Situation ist.


    Ich hasse es, so klein zu sein, echt. Mit meinem einem Meter neunundfünfzig ist ein Basketballkorb ein unerreichbar fernes Ziel. Ehrlich, müsste ich um mein Leben Körbe werfen, würde mein potenzieller Mörder wahrscheinlich am Rand stehen und sich einen ablachen.

    Also diese Stelle grenzt ja schon an Diskriminierung und dunkelgrauen Humor. Auch wenn ich das nicht unbedingt nachvollziehen kann klingt das durchaus logisch.


    Es ist mehr ein Seufzen als eine Antwort. Beziehungsweise, ein Seufzen als Antwort... Ach, ihr wisst schon, wie ich das meine.

    Das Stasia verpeilt ist, hatte ich ja schonmal festgestellt. Und so wirklich eloquent ist sie jetzt auch nicht gerade. Vielleicht kommt da ja noch was.


    Kleiner Tipp am Rande: baut euch kein Haus mit großen Fenstern und ohne Klimaanlage in Tenluce. Das wird nicht gutgehen. Und so stolpere ich bei den dreißig Grad Celsius, die draußen herrschen, in mein gefühlt doppelt so heißes Heim, schwitzend wie ein Eisbär in der Wüste und keuchend wie ein ... Eisbär in der Wüste.

    Hatten wir gerade, dieses Thema. Der Vergleich ist ja mal sowas von trivial aber gerade deshalb einleuchtend. Fakt ist: Man kann sich gut vorstellen, wie es in Tenluce aussehen muss.


    „Ah ... Bitte was?!“ Das kann ja wohl nicht wahr sein. „Du weißt genau, dass Y meine Edition ist, kauf dir selber eine! Und überhaupt, du hast X!“
    Nicole starrt mich von der Seite aus an, mit einem Blick, der mir sagt, ich habe wohl gar nichts begriffen. „Erstens, ich bin zwölf und werde damit bestenfalls in Bonbons bezahlt, wenn überhaupt. Und zweitens, sei mal lieber dankbar für das Shiny Evoli, das ich dir gezüchtet habe.“
    „Du hast was getan?“ Verdattert hebe ich eine Augenbraue. Ehrlich jetzt?
    Meine kleine Schwester hält leicht triumphierend das technische Gerät in die Höhe, auf dessen Bildschirm ich tatsächlich ein silbernes Fuchswesen erkennen kann. „Dir ein Shiny Evoli gezüchtet. Hat perfekte DVs und ist noch dazu weiblich und mit versteckter Fähigkeit!“ Doch, mit den letzten paar Worten merkt man deutlich, dass sie bei weitem nicht so apathisch ihrem Erfolg gegenüber ist, wie sie zu klingen versucht. Der Singsang verrät genug. Aber das ist mir auch total egal, denn ich grinse schon wie ein Honigkuchenpferd und kichere wie ebenjenes. „Okay, vergiss alles, was ich je über dich gesagt habe, Nicole Clarence, du bist wunderbar!“
    „Danke für die Blumen.“

    Ich meine, wir sind zwar in einem Pokémon-Fanforum, aber die Schleichwerbung muss jetzt nicht unbedingt sein. Die beiden scheinen sich ja zu lieben, wie... genau, wie Geschwister. Irgendwie scheint Nicole ja nicht wirklich viel für Stasia übrig zu haben, aber vermutlich interpretiere ich da zuviel hinein.


    Dass gerade Tante Alicias Besuch alles verändern soll, weiß ich noch nicht.

    Das Ende des Prologs und die Wurzel allen Übels. Ich hasse Cliffhanger... Aber deshalb wollte ich weiterlesen.


    weil sie so typisch Schulzicke ist, die beliebte, wasserstoffblonde Barbiepuppenschönheit, die aber trotzdem keine Antagonistin ist wie in den meisten Fällen. Ich dreh' mir meine Klischees gern so, wie ich es will. ♪ Und freut euch schon auf Alicia, die ist SUPER.

    Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt...
    Ich glaube allerdings, Alicia ist dein Lieblingscharakter, jedenfalls fällt der übermäßige Umgang mit dem Wort "knuffig'" in Verbindung mit "Alicia" doch ziemlich auf. Aber hey, da haben wir was gemeinsam: Ich mag sie auch.


    Anscheinend ist nämlich alles, was mit meiner Familie zu tun hat, gefährlich. Ich bin manchmal der festen Überzeugung, wir haben einen geheimen Mafiaring, der die Unterwelt fest in der Hand hat. Was mich noch wütender macht, weil es wenig Cooleres gibt, als die Tochter eines Mafioso zu sein. Ich könnte einen Anzug tragen und wenn das kein Grund ist, weiß ich nicht.

    Ja, die Vorstellung hat was. Nur leider kann ich da nicht mitreden, weil ich keine Mädchen und auch nicht die Tochter eines Mafioso bin. #unfair


    „Ich kann mir nicht vorstellen, was so gefährlich sein könnte“, entgegne ich mit demonstrativ fragendem Gesicht. Ich könnte den Welpenblick probieren, aber Octavia hat mir mal gesagt, das würde sich mit giftgrünen Augen beißen. Immer diese Klischees … Ich schieb’s auf Disney!

    Du hast es aber mit den Klischees, oder? Es gibt so ein paar Stellen wo ich mir denke: Schon wieder kitschige Klischees? Kann man mal machen...


    Sie schüttelt den Kopf, langsam und bedächtig. „Du hättest es niemals erfahren sollen. Niemand hätte es jemals …“
    „Was erfahren sollen?“, hake ich nach, ungeduldig, ungläubig.
    „Anastasia …“ Tante Alicia macht eine Pause, als müsste sie sich darauf vorbereiten, das hier zu sagen. Sich … Oder mich. Dann endlich spricht sie. „Helen Clarence, meine Tochter, deine Cousine … Ist eine Autorin.“

    OMG, sie ist eine Autorin! Bei den Begriffen die du für die Arten der Leser verwendest, habe ich ein schlechtes Gefühl, was die Autorin angeht. An der Stelle hätte "...ist eine Göttin" den selben Eindruck hinterlassen. Amen.


    So stehe ich also in unserer Küche, Tante Alicia schweigend am Tisch. Ich habe ihr den Rücken zugewandt, weniger, weil ich ihr aus dem Weg gehen will, sondern eher, weil ich verzweifelt versuche, alle auf meinem Smartphone angezeigten Anweisungen für Rührei zu befolgen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass ich es mindestens schon versalzen habe. Dabei bin ich nicht einmal verliebt.

    Jupp, schon wieder Klischees. Du greifst irgendwie jedes mir bekannte Klischee in dieser Geschichte auf. Die Jugend bekommt nichts alleine hin. Wo soll das noch hinführen?


    Ich weiß gar nicht, warum ich das immer dazuschreibe, lol.

    Das habe ich mich allerdings auch gefragt. Ich weiß nur, dass diese KApitel im Vergleich was man sonst so im Bereich hier findet ziemlich lang sind. Das soll jetzt allerdings keine Kritik sein sondern eher ein großes (oder langes :P ) Lob.



    Fazit: Du verstehst es, deine Leser (also diese, nicht diese) bei Laune zu halten und hast einige interessante Charaktere am Start. Ich mag deine Geschichte.
    Ich hab das Topic zwar abonniert, könntest du mir aber bitte trotzdem eine Benachrichtigung über neue Kapitel zukommen lassen?


    LG,
    Nocturnex