Tenaturik

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    [tab=Vorwort][subtab=Willkommen]
    Willkommen in der Welt von Tenaturik!



    Solltest du Interesse daran haben deine Zeit ein wenig in diese Geschichte zu investieren, wirst du eine Welt kennenlernen, die nicht gegensätzlicher sein könnte. Es sollen Spannung, Abenteuer, Gefühl und Kampf verbunden werden. Die Charaktere werden sich alle weiter entwickeln, die Story wird Wege gehen, die selbst ich nicht alle vorhersehen kann. Langweilig sollte es auf keinen Fall werden.


    Über aktive Leser freue ich mich. Über Kommentare ebenso und noch mehr über diejenigen, die Lust darauf haben ein bisschen die Story mit zu beeinflussen, indem sie mir ihre Meinung mitteilen und mit mir ggf. auch Brainstorming machen.
    Wer eine Affinität zu Technik, Wissenschaft oder einfach nur so Lust hat, der kann sich bei mir melden. Zu beiden Ersteren wäre es cool, da ich daran interessiert bin über manche Dinge zu diskutieren. Wie etwas möglich sein kann, warum dies und jenes so oder so ist usw.


    Die Welt von Tenaturik ist sehr komplex. Alles zu beschreiben, ist fast unmöglich, es sei denn ich will ein ganzes Buch darüber schreiben. Es gibt viele Fakten, aber es gibt nur wenige Namen bsp. für Städte. Ich habe alles in meinem Kopf drin, aber die Bezeichnungen müssen erst nach und nach hinzugefügt werden. Passende Namen zu finden, ist manchmal gar nicht so einfach.


    Wer mehr über die Welt erfahren möchte, der kann hier im Startpost weiter lesen. Für all diejenigen, die lieber ins kalte Wasser springen wollen: nur zu. Fangt an die Geschichte zu lesen (sobald die ersten Kapitel geschrieben sind).


    Sollte dennoch mal irgendwo was unklar sein, dann bitte mich fragen. Ich stehe bereit dazu alles zu erklären, wenn es nötig ist. Geheimnisse werden jedoch nicht enthüllt. Nicht bevor es in der Story aufgelöst werden soll. Ich gehöre nicht zu denen, die von vorn herein alles preis geben. Das dürfte dem ein oder anderen bereits aufgefallen sein, der meine erste Fanfiction gelesen hat.


    Zu mir selbst noch einmal ein paar kurze Sätze: ich schreibe seit über 10 Jahren Geschichten, Gedichte, RPGs. All das, worauf ich selber Lust habe. Schreiben ist einer meiner größten Leidenschaften, bei denen ich mich kreativ austoben kann. „Fanfictions“ an sich gehören da weniger zu meinem Repertoire. Meine erste Fanfiction ist auch bisher meine einzige Fanfiction.
    Alles andere, was ich bisher geschrieben habe, war frei erfunden. Ich beziehe mich nur ungern auf schon vorgegebene Dinge, Bücher, Filme, was auch immer. Lieber denke ich mir etwas eigenes aus.
    Deshalb an dieser Stelle: Sollte in Tenaturik irgendwo eine Überschneidung mit einem bereits existierenden Medium vorkommen, dann ist das rein zufällig und war definitiv nicht beabsichtigt. Alles, was ihr hier zu lesen bekommt, habe ich selbst entwickelt, selbst geschrieben, selbst erfunden.
    (Sollte es den ein oder anderen geben, der mit mir Brainstorming betreiben möchte, dann wird derjenige natürlich dankend erwähnt.)


    So, an dieser Stelle wünsche ich euch vorerst schon mal viel Spaß beim Weiterlesen.
    Ich hoffe, ich kann euch begeistern und euch gefällt das, was ich hier produziere.


    Liebe Grüße
    Alexia Drael
    [subtab=Klappentext]


    Die Welt hat sich im Laufe der Jahrhundert stark verändert. Auf dem Kontinent Daraium herrscht auf der einen Seite die Menschheit, die in ihren weißen Großstädten immer gefühlskälter werden und mehr denn je den Humanoiden ähneln, die sie selbst erschaffen haben. Auf der anderen Seite wiederum sind die Großstädte vom gewaltigen Dschungel eingeschlossen. Wer sich in die Natur hinaus wagt, riskiert sein Leben. Ist es in einer solch gefühlskalten und brutalen Welt noch möglich ein Gefühl der Liebe aufkommen zu lassen?



    Worum geht es in Tenaturik?


    Tenaturik ist eine Welt, die extreme Gegensätze aufzeigt. Auf der einen Seite ist da die Menschheit, die in sehr großen Städten lebt und deren Technologie und Entwicklung ziemlich fortgeschritten ist (Achtung! Es gibt KEINE Raumschiffe, die durchs Weltall fliegen, keine fliegenden Autos etc.) Es ist eine fortschrittlichere Welt, als wir es aus unserer realen Welt kennen.
    Auf der anderen Seite ist da die Natur. Stark, brutal und unnachgiebig. Sie ist nicht ausgelöscht worden, wie man es aus manchen Endzeit-Szenarien kennt. Nein, sie ist mächtiger als jemals zuvor. Man sollte sich besser in Acht nehmen.


    Tenaturik ist in erster Linie im Bereich Fantasy angesiedelt, wobei man hier aufgrund der neuzeitlichen Moderne sagen kann, dass es auch unter dem Einfluss von Sci-Fi steht.
    Ich selbst bin kein Sci-Fi-Schreiber und interessiere mich nur bedingt für dieses Thema. Deshalb gibt es wie oben erwähnt auch keine Raumschiffe oder fliegende Autos. Aber die Technik ist extrem modern, es gibt Flugzeuge und auch kleinere fliegende Maschinen, die das Leben vereinfachen. Vor allem die Forschung ist weiter voran geschritten.
    Ich habe auch noch nie eine Sci-Fi-Geschichte geschrieben. Es kommt zum ersten Mal vor, dass Elemente daraus in einer meiner Geschichten vorkommen.


    Es wird Dramen geben, es werden auch Gefühle eine wichtige Rolle spielen. Im Vordergrund steht der Kampf zwischen Natur und Technik. Wer wird gewinnen? Der Fortschritt oder doch die harte Wildnis? Und trotzdem wird es so viel mehr geben als nur diesen einen großen Kampf.


    (Mehr Informationen im Tenaturik-Lexikon zu lesen - Achtung, dort gibt es Spoiler!)


    [tab=Tenaturik-Lexikon][subtab=Die Welt wie sie existiert]
    Worum geht es in Tenaturik?


    Tenaturik ist eine Welt, die extreme Gegensätze aufzeigt. Auf der einen Seite ist da die Menschheit, die in sehr großen Städten lebt und deren Technologie und Entwicklung ziemlich fortgeschritten ist (Achtung! Es gibt KEINE Raumschiffe, die durchs Weltall fliegen, keine fliegenden Autos etc.) Es ist eine fortschrittlichere Welt, als wir es aus unseren realen Welt kennen.
    Auf der anderen Seite ist da die Natur. Stark, brutal und unnachgiebig. Sie ist nicht ausgelöscht worden, wie man es aus manchen Endzeit-Szenarien kennt. Nein, sie ist mächtiger als jemals zuvor. Man sollte sich besser in Acht nehmen.


    Tenaturik ist in erster Linie im Bereich Fantasy angesiedelt, wobei man hier aufgrund der neuzeitlichen Moderne sagen kann, dass es auch unter dem Einfluss von Sci-Fi steht.
    Ich selbst bin kein Sci-Fi-Schreiber und interessiere mich nur bedingt für dieses Thema. Deshalb gibt es wie oben erwähnt auch keine Raumschiffe oder fliegende Autos. Aber die Technik ist extrem modern, es gibt Flugzeuge und auch kleinere fliegende Maschinen, die das Leben vereinfachen. Vor allem die Forschung ist weiter voran geschritten.
    Ich habe auch noch nie eine Sci-Fi-Geschichte geschrieben. Es kommt zum ersten Mal vor, dass Elemente daraus in einer meiner Geschichten vorkommt.


    Es wird Dramen geben, es werden auch Gefühle eine wichtige Rolle spielen. Im Vordergrund steht der Kampf zwischen Natur und Technik. Wer wird gewinnen? Der Fortschritt oder doch die harte Wildnis? Und trotzdem wird es so viel mehr geben als nur diesen einen großen Kampf.


    Wie muss man sich nun genau die Welt um Tenaturik vorstellen? Achtung Spoiler! Wer nicht zu viel am Anfang erfahren möchte, sollte an dieser Stelle nicht weiter lesen. Sehr viele Informationen! Sollte man vielleicht lesen, wenn man bereits mehrere Kapitel der Geschichte gelesen hat.



    [subtab=Inspiration]
    Wie bin ich auf die Idee von Tenaturik gekommen?
    Musik.
    Ganz ehrlich jetzt. Es war Musik, die mich inspiriert hat. Was nicht selten der Fall ist, aber in diesem Fall war es extrem. Ich hatte sofort eine komplette Welt vor Augen und das seit ein paar Jahren nun. Ich wollte die Geschichte schon immer irgendwie aufschreiben, hab sogar versucht ein RPG daraus zu machen. Aber aufgrund des Zeitmangels meines Gegenübers ist daraus nichts geworden. Jetzt will ich die Geschichte also komplett selbst schreiben. Wer jedoch Lust hat mich zu beeinflussen, der darf mich gerne anschreiben. Ich bin neugierig, was da raus kommen mag.


    Welche Musik hat mich inspiriert?
    Seit Interstella 5555 bin ich ein großer Fan von Daft Punk. Ich hab deren Album geliebt und hab seit diesem jedes Mal das neue Album gekauft, wenn wieder eines von Daft Punk erschienen war.
    Der Witz daran war, dass ich blind gekauft hatte. Das heißt, als ich hörte das ein neues Album erschien, hab ich es mir einfach zugelegt ohne zu wissen ob es mir gefallen würde. Das Gute daran war: ich hab es bislang mit keinem Album bereut. Ich mochte jedes. Große Überraschung für mich, besonders am Anfang als ich noch gar nicht viel von Daft Punk wusste.


    Die Inspiration zu Tenaturik an sich beruht auf dem Album Random Access Memories. Die meisten kennen vermutlich daraus Get Lucky. Toller Song. Ich hatte mir das Album gekauft und war hellauf begeistert davon. Und das war noch bevor die Songs im Radio gespielt wurden.
    Warum ich ausgerechnet bei diesem Album die Ideen hatte, weiß ich nicht. Es hat mich einfach gepackt und seitdem lässt es mich nicht mehr los.


    Musik ist schon was Feines.
    Let's dance, people!



    [subtab=Charaktere]
    Die Charaktere sind wie die Story, der Hintergrund und alles andere natürlich frei erfunden. Ich werde zur gegebenen Zeit weitere Fakten hinzufügen, um am Anfang noch nicht zu viel zu verraten. Das hier dient auch mehr einer Erinnerung statt einer Vorstellung. Deswegen ist es nicht notwendig die Beschreibungen im Vorfeld durchzulesen. Ihr werdet die Charaktere nach und nach alle kennen lernen, die wichtig sind. Es sind auch noch nicht alle aufgeführt.









    [subtab=Bilder zu Tenaturik!]
    Aufgrund einer Inspiration habe ich mich dazu entschlossen nun eher Bilder zu erstellen als eigentlich geplant. Deswegen füge ich hier auch einen entsprechenden Tab ein. Wer sich also gern mal die Chars anschauen möchte, um eine noch bessere Vorstellung zu bekommen nur zu.


    Ich hoffe, euch gefallen sie ^^'
    Die Bilder findet ihr auch in meiner Galerie: Alexia's Welt




    [subtab=Erklärungen]
    Ich werde hier ein paar vorkommende Begrifflichkeiten erläutern. Damit man sich darunter was vorstellen kann. Sobald etwas neues im Kapitel erwähnt wird, werde ich es hier hinzufügen.


    Tenaturik
    (wird später einmal ergänzt)


    Technikmenschen
    Das ist eine schlichte Bezeichnung für die Menschen, die in den Großstädten leben. Da die moderne Technik das Zentrum ist und ohne diese Technik die Menschheit ziemlich hilflos wäre.


    Synthetiker
    Menschen, die modifiziert wurden. Das bedeutet, sie haben an ihrem Körper irgendwo ein Implantat, eine Prothese oder sogar ganze Bereiche, die durch Technik ersetzt wurden. Gründe dafür gibt es verschiedene. Manche lassen sich mit Absicht modifizieren, um leistungsfähiger zu werden, andere wiederum sind darauf angewiesen, um leben zu können. Bei einigen wurden auch explizit in der Richtung Experimente gemacht, um neue Modifikationen auszutesten.


    Humanoide Roboter = Humanoide
    Das sind menschenähnliche Roboter, die aber keine Menschen als solche sind. Sie wurden vom Mensch erschaffen und "leben" unter den Menschen. Es gibt unter ihnen ganz einfache Exemplare, die nur ihre Aufgabe erfüllen müssen. Genauso gibt es aber auch ein paar mit höherer Intelligenz, so dass sie im ersten Augenblick nicht von einem richtigen Menschen unterschieden werden können.


    Synoria
    Das ist eine Großstadt auf dem Kontinent von Daraium. Nadeya ist dort aufgewachsen.


    Daraium
    Dabei handelt es sich um einen Kontinent auf diesem Planeten. Es gibt noch weitere Kontinente. Daraium ist hauptsächlich vom Dschungel ausgefüllt bis auf die etlichen weißen Großstädte, die wie weiße Flecken mitten im Grün zu stehen scheinen.


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    Copyright
    Story, Charaktere, Hintergrund – einfach alles ist von mir selbst erfunden. Entnahme der Idee bzw. der Texte ist nicht gestattet. Wer Interesse daran hat, soll mich direkt kontaktieren. Ansonsten fress' ich denjenigen, der irgendetwas nimmt ohne zu fragen.
    Mögliche Ähnlichkeiten zu anderen Medien wie Büchern, Filmen, was auch immer, ist weder gewollt noch geplant gewesen. Ich habe mir alles komplett allein erdacht. Bitte respektiert das.


    Freigegeben ist die Geschichte ab 12 Jahre. Allerdings kann und wird es auch Stellen geben, die besser ab 16 Jahre zu lesen sind. Das hier ist keine Kindergeschichte. Die Protagonisten sind und werden alle erwachsen sein (ob Ausnahmen drin vorkommen, steht bisher nicht fest).




    AKTUALISIERUNGEN:


    03.03.2016
    Endlich ein neues Kapitel und im Anhang des Startposts eine PDF zum Runterladen mit den ersten 9 Kapiteln.


    29.03.2016
    Korrekturen fertig von: Kapitel 1, Kapitel 2, Kapitel 3
    Kapitelübersicht hinzugefügt


    18.07.2016
    Korrekturen fertig von: Kapitel 4 bis 7





    Meine andere Fanfiction.



  • 1. Kapitel - Tenaturik


    17. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Die Unterstadt von Synoria - "Die weiße Stadt"


    Tenaturik. Sie haben sich so genannt, weil sie sich nicht erdreisten wollten zu behaupten, dass man gänzlich auf Technik verzichten konnte oder wollte. Immerhin konnte man sagen, dass einige Entwicklungen und Erfindungen durchaus ihre positiven Seiten besaßen und somit sehr praktisch waren. Dennoch gab es einige technische Dinge, die zum Nachdenken anregen.
    War es wirklich notwendig Gefühle zu unterdrücken? Sich der Kälte hinzugeben, nur weil man dadurch angeblich weniger Probleme besaß? Keine Aufregung, keine Wut und kein Zorn. Ein klarer Verstand, der ohne den störenden Einfluss von Gefühlen zu schnellen Lösungen für Probleme kam. Es wurde nichts mehr hochgeschaukelt, denn die Ursache wurde schnell erkannt und effizient beseitigt. Das war einer der Grundgedanken, weshalb die Menschheit immer kühler und technischer wurde. Aber es war auch der Grund, weshalb sich Nadeya nicht in dieser Welt wohl fühlte. Sie war emotional und sensibel. Wegen einer Sache Tränen zu vergießen, schien vollkommen falsch zu sein. Zumindest war das die allgemeine Meinung. Tränen mussten nicht mehr vergossen werden, denn wenn man Trauer und Verzweiflung nicht mehr an sich heran ließ, dann verschwendete man auch keine unnötige Energie. Energie, die man für andere Dinge einsetzen konnte, vorzugsweise um Pläne und Ziele zu verwirklichen, die wiederum für größeren Profit garantierten. Profit! Als gäbe es nichts anderes mehr in dieser Welt!
    Frustriert hielt Nadeya den Touchscreen in ihren Händen, auf dem die neusten Nachrichten flimmerten. Papier gab es kaum noch, alles wurde über die Jahrhunderte modernisiert, besser gemacht. Wozu also Papier erzeugen, um aufwändig Zeitungen zu drucken, die dann nur dafür sorgen würden, dass die Stadt verschmutzt wurde? Indem man alles über Bildschirme laufen ließ, kam man viel schneller zu Informationen und nicht zuletzt war es eine sehr viel bessere Investition. Einmal die Bildschirme angeschafft, konnten sie Jahre lang genutzt werden. Eine Zeitung hingegen besaß nur einen geringen Nutzen, zerriss, wurde weggeworfen, nahm wichtigen Platz weg. Dabei mochte Nadeya Papier. Es glich einem Wunder, dass ihr Vater noch ein paar alte Bücher besaß. Der Geruch dessen war immer etwas besonderes für sie gewesen und sie hütete diese Bücher wie einen riesigen Schatz. Doch leider musste auch sie zugeben, dass diese Materialien nicht lebenslänglich erhalten blieben. Schon jetzt sah man die Vergilbung der Seiten und die Schrift schien mehr und mehr verblassen zu wollen. Wie viele Jahre gab es diese Bücher schon? Leider konnte man es nicht mehr im Impressum nachlesen. Aber die Bücher waren auch gut verschlossen in einer Truhe, wo keiner sie entdecken würde. Wenn Nadeya jetzt einatmete, dann bekam sie keinen nostalgischen Geruch von dem Bildschirm in ihrer Hand. Es war einfach nur ein Gerät, das jederzeit ersetzt werden konnte und das war wirklich sehr, sehr schade. Aber dafür war die Bar, in der sie saß, besser. Weil alt. Nicht so modern und voller Technik voll gestopft. Man könnte meinen, man befand sich im Jahre 2000, dabei lebten sie schon im 6. Jahrtausend! Wie es wohl damals noch gewesen war, als die Technik nicht so einen Überhang besessen hatte? Sie wusste es nicht, glaubte jedoch trotzdem, dass es besser gewesen sein musste, weil mehr Gefühle vorhanden gewesen waren. Wie dem auch sei. Sie hob gerade ihren Kopf, der von langen wilden roten Locken umrandet worden war. Allein ihr Aussehen hatte etwas Aufmüpfiges an sich, was aber nicht ihre Schuld war. Heutzutage wurde stets darauf geachtet schlicht und angemessen gekleidet zu sein und dementsprechend auch Frisuren zu haben. Aber ihre Mutter hatte ihr diese rote Mähne vererbt, die sich kaum bändigen ließ und so fiel sie allein wegen dieser Locken in der Masse auf. Ein Grund mehr sich lieber in der Unterstadt aufzuhalten. Ihren Kopf hob sie nur deshalb an, weil sie die Tür hörte, die eben geöffnet wurde. Keine automatische Mechanik, man musste tatsächlich die Hände einsetzten, um sie zu öffnen. Für jemanden, der das gar nicht mehr kannte, war das fast unvorstellbar. Nadeya lachte immer wieder, wenn sie Leute vor der Tür stehen sah, die die Stirn runzelten und glaubten, dass sie einfach verschlossen war, weil sie sich nicht von allein öffnete. Aber jetzt öffnete sie sich, weil offenbar ein neuer Gast eintrat. Ihre braunen Augen besaßen fast eine goldene Farbe. Besonders dann, wenn Sonne auf sie strahlte. Doch in dem eher diffusen Licht hier in der Bar ihres Vaters wirkten ihre Augen dunkler als üblich. Fast schwarz.
    Ihre Kleidung bestand aus einem Jeansstoff, der über die Jahrhundert auch arg verbessert wurde. Er passte sich perfekt der Körperkontur an, war elastisch und robust zugleich. Es musste schon eine Menge passieren ehe der Stoff wirklich zerriss. Und dennoch befand sich an ihrem rechten Knie ein ausgefranstes Loch, was sie mühevoll dort hinein geschnitten hatte. Denn sie wollte nicht wie andere sein, obwohl allein dieses Loch fast schon wieder zu viel des Guten für das Ordnungsamt war. Deswegen trug sie die Hose auch nur, wenn sie hier in der Bar saß.
    Weil momentan auch nicht so viele Gäste da waren, saß sie an einem kleinen runden Tisch auf einem hohen Hocker. Ansonsten würde sie nämlich herum wuseln und bedienen, während ihr Vater hinter der Theke stand und die besten Drinks und Cocktails zubereitete, die man je probiert hatte. Er war großartig darin und wenn man erst mal seine Getränke probiert hatte, glaubte man das pure Leben schmecken zu können. Nun, mal sehen ob es notwendig war jetzt wieder bedienen zu müssen oder ob der Gast sich direkt an die Bartheke setzten würde. Er würde auf jeden Fall von ihren Augen verfolgt werden. Hier in die Unterstadt von Synoria verirrte sich kaum einer hin, der sonst üblicherweise weiter oben lebte. Die Stadt war wie viele andere weiße Städte auch, in Ebenen und Etagen eingeteilt. Treppen und diverse Aufzüge verbanden die verschiedenen Etagen der Stadt. Es gab etliche Wege, über die Hälfte davon waren automatisiert worden damit der Mensch keine große Mühe hatte von einer Stelle auf die andere zu kommen. Es war erstaunlich, wie weit der Fortschritt voran geschritten war. Und erstaunlich, dass man durch all den Komfort nicht in die Breite wuchs. Mal ehrlich, wer sich so wenig bewegte, müsste doch ganz von selbst aufgehen wie ein Ballon. Aber auch das schien fast unmöglich. Die Nahrungsprodukte, die es in den handelsüblichen Märkten gab, waren dermaßen angepasst, dass sie genau den Tagesbedarf abdeckten, die ein Mensch brauchte. Für Nadeya manchmal unverständlich. Wenn man zu viel aß, müsste man doch zwangsläufig trotzdem zunehmen. Oder nicht? Über solche Dinge und andere machte sie sich öfters Gedanken. Sie war ein aufgewecktes Kind. Schon immer gewesen, hatte stets ihr Vater gesagt. Aber diese Seite durfte sie nicht zeigen. Niemals gegenüber den anderen Mitmenschen die Gedanken offenbaren, die sie so oft besaß. Sie würde sofort als Rebell abgestempelt werden.
    Da war es wieder. Dieses Wort. Rebell. Störenfried. Gesetzloser. Verbrecher. Es gab viele solcher Wörter und noch schlimmere. Die meisten Wörter davon wurden achtlos in einen Topf geworfen. Die Menschen sahen dann nur noch den Mensch, der sich gegen die Gesellschaft stellte und dieser Schaden zufügen wollte. Warum er das tat, wurde meistens gar nicht erst nachgefragt. Ein Rebell musste doch schließlich nicht zwangsläufig ein Verbrecher sein, oder?
    Das leise Ping-Geräusch von ihrem Touchscreen holte Nadeya zurück aus den Gedanken. Hatte sie nicht eigentlich den Fremden beobachten wollen, der in die Bar gekommen war? Ihr Augenmerk lag schon gar nicht mehr auf ihm, da sie die neu eingetroffene Nachricht auf ihrem Tablet begutachtete. Eine neue Meldung ist eingetroffen und verbreitete sich über die Nachrichten. Genau diese Nachrichten flimmerten nun über ihren Bildschirm.


    Seit kurzem ist bekannt, dass die Gruppe, die in den vergangenen Wochen immer wieder Unruhe stiftete, sich Tenaturik nennt. Damit beweist sie, dass es sich hierbei um eine organisierte Verbrecherbande handelt und nicht nur um irregeleitete Menschen, die den Pfad des Verstandes verlassen haben.
    Der oberste General des Ordnungs- und Sicherheitsamtes versicherte vor wenigen Minuten, dass man sich intensiv um dieses kleine Problem kümmern und die Sträflinge schnellstmöglich wieder zur Besinnung bringen wird. Die Bürger von Synoria wie auch von ganz Daraium haben nichts zu befürchten. Der Fortschritt der Welt ist nicht gefährdet.


    Nachdenklich runzelte Nadeya die Stirn, so dass sie Falten schlug. Sie war nicht sicher, was sie von dieser Nachricht halten sollte. In den vergangenen Wochen hatte sie natürlich von den Vorfällen gehört, aber es waren nur minimale Schäden entstanden. Jedenfalls glaubte man das. Denn die Regierung war gut darin manche Fakten einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Natürlich ganz im Sinne, um die Bürger nicht in Sorge zu versetzen oder gar in Panik. Wie auch immer man das finden sollte, vielleicht war es langsam an der Zeit umzudenken?
    Nadeya hatte sich schon als Kind viele Gedanken um die Welt gemacht. Sie hatte nie verstanden, warum man nicht traurig sein durfte. Warum man nicht herzhaft lachen konnte, wenn einem danach war. Später war ihr aufgegangen, dass es nicht einmal viel zum Lachen gab. Also warum sollte man es dann tun? Aber das war nicht der eigentliche Grund. Man wurde dazu erzogen die Gefühle zu unterdrücken oder besser gesagt gänzlich abzuschalten. Dabei hatte sie noch viel mehr das Gefühl, das man dadurch zu einem dieser humanoiden Roboter wurde. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wollte sich gedanklich damit nicht weiter befassen und schaltete das Tablet aus, um es auf den Tisch zu legen an dem sie saß. Endlich hob sie auch wieder den Kopf an und sah rüber zu dem Gast, der vorhin hinein gekommen war. Er hatte natürlich sich schon längst einen Sitzplatz an einem Tisch gesucht, aber er wirkte auf seine kühle Art doch etwas irritiert. Nadeya ahnte woran es lag.
    Es gab keinen Monitor, an dem er sofort die Bestellung tätigen konnte. Die meisten Restaurants und Bars waren nur dafür da, um Geschäfte abzuwickeln oder um tatsächlich schnell etwas zu essen oder zu trinken. Man bestellte nicht beim Kellner, sondern direkt an einem Monitor. Man tippte einfach die Zahl ein von dem, was man haben wollte und die Meldung kam in weniger als einer Sekunde im hinteren Bereich des Lokals an. Ausgeliefert wurde das auf unterschiedliche Art und Weise und doch sehr ähnlich. Denn es war alles automatisiert wurden. Entweder kam tatsächlich ein humanoider Roboter, der die Bestellung brachte oder es wurde mittels eines Fließbandes zum Kunden gebraucht. Menschliche Arbeitskraft war dafür völlig unnötig und so fiel natürlich auch das Trinkgeld aus. In der Bar ihres Vaters war das anders. Nicht nur, dass die Einrichtung immer noch alt wirkte im Gegensatz zu all den modernen Einrichtungen: Hier ging man auch direkt an den Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Keine Monitore, keine automatischen Roboter oder Ähnliches, die die Arbeit abnahmen.
    Nadeya erhob sich deshalb von ihrem Platz und ging auf den Mann zu. Ihre roten Lockenmähne wippte bei jedem Schritt mit. Sie hatte das Haar zu zwei Zöpfe gebunden, aber trotzdem war es kaum möglich sie zu bändigen. Damit musste sie einfach leben. Auch damit, dass sie den typischen nachdenklichen Blick erhielt, wenn man sie sah und musterte. Sie konnte erkennen wie die Augen des Fremden an ihrer Statur hinab glitten und an dem Loch in ihrer Hose hängen blieben. Kaum merklich bildete sich eine Denkfalte auf seiner sonst glatten Stirn. Dann huschten bereits die Augen wieder nach oben, die mal nebenbei gesagt von einem satten Blau waren. Der Mann war älter als sie. Vielleicht sogar so alt wie ihr Vater, vielleicht auch ein paar Jahre jünger als er. So genau konnte sie das nicht einschätzen. Sie war noch nicht einmal in der Lage einzuschätzen, ob nicht vor ihr einer der humanoiden Roboter saß. Mal ehrlich: Bis auf seine Augen hatte er rein gar nichts an sich bewegt. Ach und die Stirn natürlich. Ansonsten war er starr sitzen geblieben und bewegte sich kaum. Nadeya wagte es kaum auf seinen Brustkorb zu blicken, ob sie ein Ein- und Ausatmen erkennen konnte. Es wäre zu auffällig gewesen, weil er sie ansah und abwartete, was sie tun oder sagen würde. Humanoide oder doch ein Mensch?
    »Guten Tag, was darf ich Ihnen bringen?«, stellte sie ihre Frage sofort ohne Umschweife. Als Antwort kam nichts. Nur Schweigen und Anstarren. Das machte sie nervös. Sie hasste so was! Vor allem weil sie sich konzentrieren musste selbst ruhig zu bleiben. Sich nichts anmerken zu lassen, die Fassade aufrecht zu erhalten, die nötig war gegenüber anderen. Dabei war das in der Bar jetzt gar nicht so üblich. Doch die Erscheinung des fremden Gastes ließ darauf schließen, dass er nicht aus der Unterstadt kam. Sein Mantel, den er trug, war weiß. Es bestand aus dem Material, das zu achtzig Prozent für die Herstellung von Kleidung genutzt wurde. Robust, dehnbar und damit anpassungsfähig. Es zerriss auch nicht so schnell. Ähnlich wie ihre Hose, die sie trug. Was sich unter dem Mantel befand, konnte sie nicht erkennen. Er war verschlossen. Das Haar des Mannes war vom dunklen Braun und kurz gehalten. Nichts auffälliges, nicht so wild wie ihre Mähne. Nachdem er jedoch immer noch nichts gesagt hatte und sie allmählich drohte die Geduld zu verlieren, erhob sie wieder ihre Stimme:
    »Sir?« Vielleicht hatte er sie nicht verstanden? Hatte sie zu leise gesprochen? Eigentlich nicht. Doch da nutzte auch er endlich seine Stimme.
    »Wie … meinen Sie das? Was Sie mir bringen dürfen?«
    Eindeutig: Oberstadt! Das war der erste Gedanke, der ihr in den Sinn kam. Er kannte den Ablauf in dieser Bar nicht, war vermutlich den Automatismus in all den anderen Lokalen gewöhnt. Deswegen hatte er vorhin auch so irritiert gewirkt. Anders konnte sie es sich nicht erklären.
    »Nun, Sie sind sicher hier her gekommen, weil sie etwas essen oder trinken möchten. Ich nehme Ihre Bestellung auf«, erklärte sie geduldig und freundlich, wenn auch nicht zu freundlich. Ein Lächeln wäre zu viel gewesen. Aber zu neutral wollte sie auch nicht wirken, vor allem weil das nicht ihrer Persönlichkeit entsprach. Wenigstens schien der Herr jetzt sie besser verstanden zu haben, wenn auch wieder das Runzeln der Stirn zu sehen war.
    »Verstehe«, meinte er, ohne jedoch zu sagen, was er bestellen wollte, so dass sie ihn es bringen konnte.
    »Und?«, fragte sie deshalb nach. Wieder sah er sie nur an. Sie wollte bereits den Mund erneut öffnen, als sich die Tür der Bar meldete. Um genau zu sagen: Sie flog förmlich auf, dass man ein polterndes Geräusch hören konnte, was sämtliche Köpfe nach oben zucken ließ. Nicht, dass hier besonders viele Anwesende im Raum waren. Neben Nadeya, dem fremden Gast, ihrem Vater an der Theke und den beiden anderen an einem Tisch weiter hinten, gab es niemanden. Abgesehen von derjenigen, die gerade durch die Tür herein gepoltert kam.
    Das hatte Nadeya auch noch nicht erlebt. Erst recht nicht diesen Anblick, der sich ihr bot. Ihre Augen weiteten sich und sie machte ein paar Schritte auf die Person zu, die eben herein gekommen war.
    Das schwarze lange Haar war ganz zerzaust, der Körper wies nicht nur mehrere Schmutzflecke auf, als hätte sie sich im Dreck gesuhlt, sondern auch Blutflecke. Und Metall. Metall von Modifikationen, die man sonst nicht gesehen hätte, wenn da der Stoff der Kleidung an der rechten Körperseite nicht zerrissen wäre. Nadeya kamen mehrere Fragen in den Sinn, aber keine davon stellte sie. Sie kam auch gar nicht dazu, da bereits die Fremde auf sie zu getaumelt kam. Ja, sie taumelte! Nadeya blieb gar nichts anderes übrig als die Arme nach vorn auszustrecken. Gut, andere Menschen hätten wohl einfach nur dagestanden und dabei zugesehen wie jemand umfiel, ohne sich dabei selbst zu rühren. Nicht Nadeya. Sie konnte gerade noch so die Fremde auffangen, damit sie nicht zu Boden ging.
    »W-was?« Völlig verwirrt darüber ging sie selbst in die Knie, denn der Körper der Fremden war auch nicht gerade leicht zu halten. Sie schien kurz davor zu sein das Bewusstsein zu verlieren. Also kein Humanoide, sondern wirklich ein Mensch, oder? Wie Nadeya es hasste sich diese Frage zu stellen. Doch heutzutage blieb einem gar nichts anderes übrig, wenn man sich nicht nur mit der oberflächlichen Erscheinung zufrieden geben wollte.
    »Helft … mir. B-bitte«, kam es über die Lippen der Fremden. Nadeya hörte außerdem die Schritte hinter sich selbst. Ihr Vater war herbei geeilt, um ihr zu helfen und auch um nachzuschauen, was das alles zu bedeuten hatte.
    Anders als Nadeya besaß Nathan Coulinus blondes kurzes Haar und war auch alles andere als zierlich und klein wie die Tochter. Tatsächlich war er über einen Meter Neunzig groß und besaß einen muskulösen Körperbau. Wer klug war, wollte nicht mit seiner Faust Bekanntschaft machen. Man konnte sich denken, dass das ziemlich weh tun würde. Jetzt kam die Stärke ihres Vaters auf jeden Fall zu Hilfe. Als würde die Fremde kaum etwas wiegen, hob er sie an und legte sie auf einen Tisch in der Nähe ab. Das alles war nur in wenigen Wimpernschlägen passiert. Auch die beiden anderen, die noch vorhin am hinteren Tisch gesessen hatten, waren aufgesprungen und herbei geeilt. Nadeya kannte die beiden sehr gut, weil sie mit ihnen aufgewachsen war. Doch bevor irgendwer noch eine Frage stellen konnte, wurde die Tür der Bar erneut aufgerissen. Man hörte das auffällige Geräusch das Waffen so von sich gaben, wenn sie geladen und in Position gebracht wurden. Einmal gedrückt und man konnte das Leben eines anderen auslöschen.
    Es waren mehrere Waffen, die zu mehreren Einheiten gehörten. Eine Gruppe vom Ordnungs- und Sicherheitsamt hatte sich vor der Bar stationiert. Die Tür stand sperrangelweit offen und drei der bewaffneten Männer traten herein. Sie trugen, wie es nicht anders für das Amt üblich war, weiße Kleidung, die jeweils an der Seite einen blauen Streifen von oben nach unten besaßen. Es waren weiße Jacken beziehungsweise Mäntel, die etwas länger waren, aber noch über dem Knie aufhörten. Genauso weiß waren auch die Hosen und die Helme, die jeweils den blauen Streifen aufwiesen. Nur die Schuhe oder auch Stiefel, die sie trugen, waren schwarz. Die Helme schützten vor Angriffen und hatten ein blaues spezielles Glasvisier, das sogar Schüsse abblocken konnte. Je nachdem um welche Schusswaffe es sich handelte. Es gab Waffen, die waren so gefährlich, da konnte selbst die Ausrüstung des Ordnungs- und Sicherheitsamtes nichts ausrichten. Nadeya wusste, dass die Männer unter den Mänteln auch schützende Westen und Polsterungen besaßen. Wie genau die aufgebaut
    waren, wusste sie nicht, aber das spielte auch keine Rolle. Sie selbst war unbewaffnet. Zumindest besaß sie keine Schusswaffe. Kämpfen wollte sie so gesehen eigentlich auch nicht. Wer wollte sich schon mit dem Amt anlegen? Einmal Ärger mit denen und man wurde sie kaum noch los. Man würde nur noch von ihnen beobachtet werden, selbst wenn man nur eine Kleinigkeit angestellt hatte. Und jetzt standen sie auf einmal hier in der Bar und bedrohten ihr Leben?
    »D-Dad?«, wandte sie sich an ihren Vater, der ziemlich grimmig drein sah.


    »Dies ist eine gesetzliche Anordnung vom obersten General. Übergeben Sie die flüchtige Zielperson augenblicklich und Ihnen wird nichts widerfahren. Sollten Sie sich weigern zu kooperieren, machen Sie sich strafbar!« Die Stimme klang weniger menschlich und hatte mehr Ähnlichkeiten mit den Stimmen der bekannten Humanoiden. Es könnte sich hierbei aber genauso gut um einen modifizierten Menschen handeln – einen Synthetiker. Nadeya fand diese Leute noch viel unheimlicher als die Humanoide selbst. Was sollten sie tun? Das Logischste war natürlich die Zielperson auszuhändigen. Sie hatten mit ihr nichts zu tun und wussten auch nicht, weshalb sie geahndet wurde. Man musste schon was ganz schön Krasses angestellt haben, wenn man so schwer bewaffnet verfolgt wurde. Vermutlich hatte die Fremde daher ihre Verletzungen. Apropos …
    »B-bitte … « Die Stimme war brüchig, aber noch viel mehr überraschte Nadeya wie flehentlich sie klang. So … gefühlvoll, dass sie eine Gänsehaut davon bekam.
    »Oh-oh das gibt Ärger«, meinte Nadeyas bester Freund, der neben ihr stand. Sein schwarzes Haar war nicht ganz so kurz wie das ihres Vaters, aber dafür dreimal so durchzaust. Er hatte schon immer so einen Eindruck hinterlassen, weswegen er genauso seltsam gemustert wurde von anderen wie
    Nadeya selbst. Seine dunkelbraunen Augen waren fast schwarz, hier in dem eher diffusen Licht erst recht. Aber Nadeya konnte trotzdem den Ernst in seinem Gesicht erkennen.
    »Dammisch!«, meinte fluchend das Weibsbild neben ihm, die ebenso mit Nadeya befreundet war. Nadeya kannte den fluchenden Ausdruck von Jessi und sie konnte ihr nur zustimmen. Sie hatten hier ein übles Problem am Hals. Dabei hatte es heute eigentlich ruhig bleiben sollen! Jessi besaß einen Akzent in der Stimme, der sie deutlich von den Bewohnern von Synoria abhob. Obwohl sie bereits als Kind hier her gekommen war, hatte sich dieser Akzent niemals aus der Stimme verflüchtigt. Das lag sicher daran, dass Jessi auch gern in ihrer Muttersprache redete. Diese hatte blondes Haar, war kurz und gern mal in sämtliche Richtungen abstehend. Niemals hatte sich Jessi den Regeln der Gesellschaft unterordnen wollen, doch zu einem gewissen Maß war auch sie dazu genötigt wurden halbwegs normal zu sein. Normal im Sinne von gefühlskalt. Jessi war nicht dumm. Sie wusste, wann es besser war sich anzupassen und wann man doch einmal so sein konnte wie man eben war. Ihre Augen waren blau und funkelten die Amtsmänner an. Sie hatte diejenigen noch nie leiden können. Sie waren immer so steif und wirkten oft immer so, als würden sie bei jeder falschen Bewegung, bei jedem falschen Wort gleich einem festnehmen wollen.
    »Bei drei«, sagte Nadeyas Vater knapp. Die drei anderen wussten sofort, was das zu bedeuten hatte.
    »Eins!«, begann Nathan bereits zu zählen.
    »Dad!«, rief Nadeya, die nicht sicher war, ob das eine so gute Idee war. Andererseits …
    »Drei!«, hörte sie ihren Vater bereits rufen.
    Die Sekunden rasten nur so dahin. Während Daiske sich noch darüber beschwerte »Du hast die zwei ausgelassen!« sprangen sie bereits zur Seite. Ihr Vater warf sich mit der Fremden über den Tisch, der dadurch umfiel und zumindest für einen Moment als Schutzschild dienen konnte, sobald das Schussfeuer frei gegeben wurde. Denn sie wussten, dass es so kommen würde. Nadeya selbst wich mit Daiske und Jessi in die andere Richtung aus. Sie hatten alle dabei den fremden Gast vergessen, der offenbar wie vom Erdboden verschluckt schien. Nadeya konnte ihn im Chaos jedenfalls nicht mehr sehen, als jenes ausbrach. Denn kaum waren sie aus dem Weg gesprungen, flogen Schüsse durch die gesamte Bar und zerbrachen Gläser, Flaschen, zertrümmerten Stühle, Tische und verwandelten die Einrichtung in einen Trümmerhaufen. Ihnen blieb nichts anderes übrig als den Rückzug anzutreten. Nathan hatte das fremde Weib, welches ihnen auf jeden Fall eine Erklärung schuldig war, über die Schulter geworfen und rannte bereits auf die Tür auf der linken Seite zu, wo er am nächsten war. Nadeya und ihre beiden Freunde nahmen die Tür hinter der Theke und mussten dabei höllisch Acht geben nicht von den Schüssen getroffen zu werden. Dass sie überhaupt dort lebend heraus kamen, schien eigentlich unmöglich. Trotzdem schafften sie es. Mit eiligen Schritten durchquerten sie den hinteren Bereich der Bar. Es war nicht nur eine Bar,
    sondern auch das Zuhause von Nadeya und ihrem Vater. Die Vorstellung, dass hier alles zunichte gemacht wurde, ließ in Nadeya einen dicken Kloß aufkommen, doch sie hatte keine Zeit, um darüber genauer nachzudenken. Sie mussten fliehen! Denn jetzt, wo sie nicht die Fremde ausgeliefert hatten, standen sie genauso auf der Fahndungsliste wie die Fremde selbst.
    »Dammisch, wenn das Weib keine Erklärung dafür hat, bring ich sie selbst um!«, brüllte Jessi wütend während sie lief. Sie hatten den hinteren Bereich durchquert und kamen dadurch auf den Hof. Nadeyas Vater war kurz darauf auch da. Das Gebäude besaß mehrere Ausgänge, deswegen war es auch so praktisch gewesen. Die Frage blieb jedoch wie weit sie überhaupt kommen würden.
    »Wir treffen uns im K-13!«, rief er ihnen zu.
    »Dad, wir sollten lieber … !«, lenkte Nadeya sofort ein, denn ihr gefiel es gar nicht, dass ihr Vater sie dazu anwies sich zu trennen.
    »Macht schon!« Wie es so typisch für ihn war, akzeptierte er kein Nein. In dieser verzwickten Lage erst recht nicht. Daiske, der ohne Einwände gehorchte, schnappte sich Nadeyas Arm und zerrte sie bereits weiter. Jessi war schon weiter gerannt und hatte die beiden Motorräder startklar gemacht, die hier auf dem Hof standen. Sie gehörten Jessi und Daiske und besonders Daiske schraubte gern an den Fahrzeugen herum. Sie mussten nur noch aufspringen. Nadeya blieb nichts anderes übrig, als hinter Daiske aufzusteigen und sich an ihm festzukrallen, damit sie bei dem rasanten Tempo nicht einfach herunter purzelte. Ihren Vater hatte sie bereits aus den Augen verloren, als er um die nächste Häuserecke gelaufen war. Er schleppte die Fremde. Würde er sich dadurch nicht erst recht in Gefahr bringen? Schließlich lenkte er die Aufmerksamkeit auf sich. Nadeya biss sich auf die Lippen. Sie wollte ihren Vater nicht auch noch verlieren! Schließlich hatte sie früh ihre Mutter verloren und es schmerzte sie bis heute. Sie wollte nicht zur Vollwaise werden …





    [tabmenu]
    [tab=Erklärung]
    Ich werde nach jedem Kapitel Fragen stellen. Diese dienen zur Motivation oder zur Orientierung worauf man eingehen könnte. Es ist nicht zwingend erforderlich die Fragen zu beantworten, wenn man einen Kommentar zum Kapitel abgeben möchte. Das könnt ihr frei entscheiden. Mich persönlich würde es aber interessieren.


    Meistens ist es besser, wenn man das Kapitel liest, danach die Fragen beantwortet und erst danach mit dem nächsten Kapitel fortfährt und weiter liest. Denn es kann vorkommen, dass bestimmte Dinge im Kapitel nicht direkt erwähnt werden, die ich aber erfrage, um die Gedanken und Vorstellungen der Leser zu erfahren. Wenn man aber bereits weiter gelesen hat und dann schon die Lösung kennt, macht es wenig Sinn noch auf die Fragen zu antworten. Voraussetzung wäre dabei natürlich, wenn man doch auf die Fragen antwortet, ehrlich zu sein.


    Ich bin neugierig wer Lust darauf hat.
    Viel Spaß beim Lesen und Beantworten.


    Alexia Drael
    [tab=Fragen]
    Da es sich hierbei um das erste Kapitel handelt, werden die Fragen teilweise auch ein bisschen allgemein gehalten.


    1. Als du das Wort "Tenaturik" gelesen hast, was ist dir da als Erstes in den Sinn gekommen? Konntest du überhaupt was damit anfangen?
    2. Was hältst du von dem Konzept der Geschichte? Das, was du bisher davon erfahren hast (im Kapitel bzw. im Startpost)?
    3. Was für einen Eindruck hast du bisher von den vorkommenden Charakteren gewonnen? Hätte vielleicht mehr von ihnen beschrieben werden müssen im 1. Kapitel?
    4. Welcher Spitzname würde die spontan für Nadeya einfallen?
    5. "Ende" des Kapitels - wirkt es zu abrupt?
    Ich muss gestehen, dass ich eine geeignete Stelle gesucht habe, wo ich einen Cut machen kann für's Erste. Eigentlich hatte das Kapitel schon ein Stück früher zum Ende kommen sollen als das Amt aufgetaucht war, aber das schien mir dann doch nicht passend gewesen zu sein. Da jetzt das Kapitel aber schon recht lang ist, habe ich auch dann nicht mehr weiter geschrieben nach der Trennung. Hätte ich das doch weiter ausbauen sollen?
    [/tabmenu]

  • [size=8][font=georgia]

    Hallöle Alexia o/


    Hab dir ja einen Kommentar schon angedroht, aber dass ich ihn so schnell schreiben würde, damit hätte ich jetzt auch nicht wirklich gerechnet. '-' Aber! Ich bin gerade motiviert, also auf geht's!


    Gestaltungskrimskrams


    Ich hab auf deine FF geklickt, weil ich den Titel interessant fand, was ja auch eigentlich der Fall sein sollte. "Tenaturik" - ein Wort, das einem zuerst einmal gar nichts sagt, was sofort Fragen aufwirft, wofür es denn stehen könnte. Auf mich klang es sofort aber sehr High-Fantasy-haft, y'know, das ganze Klischee mit Feen und Zwergen unso, haha, und dementsprechend überrascht war ich, als ich eine Geschichte vorfand, die in der Zukunft spielt! Was mich dann auch gefreut hat, eben weil es so unerwartet war und weil es halt auch schon von Anfang an interessant klang. Toller Titel, erfüllt seinen Zweck und noch dazu klingt das Wort auch sehr cool. o/
    Der Startpost wirkt erst einmal recht kahl, da er keine Bilder oder Farbe beinhaltet, allerdings ist alles drin, was drin sein sollte und der Rest ist ja eh subjektiv. =D Dennoch fände ich persönlich ein bisschen Farbe darin schön, um den Leser noch gespannter zu machen auf die Story - ein schicker Startpost ist mit einem Buchcover zu vergleichen und je schöner das Cover, desto mehr Lust bekommt man doch irgendwie auf die Geschichte, auch, wenn man auch so schon sehr gespannt ist. Aber wie gesagt, subjektiv. :3 (Und mit WBB4 einen schicken Startpost zu basteln, ist eh eher Qual als Freude, heul.)
    Mich hypet das "Auf der anderen Seite ist da die Natur. Stark, brutal und unnachgiebig. Sie ist nicht ausgelöscht worden, wie man es aus manchen Endzeit-Szenarien kennt. Nein, sie ist mächtiger als jemals zuvor. Man sollte sich besser in Acht nehmen." ziemlich, das da so in den Informationen steht - ich bin schon riesig gespannt, wie das wohl Gestalt annehmen wird! Klingt auf jeden Fall schon mal ziemlich awesome. =D
    Eventuell wäre eine Benachrichtigungsliste im Startpost noch nice (nicht nur, weil ich da drauf will ... Okay, größtenteils, weil ich da drauf will xD), find die immer schön übersichtlich. ^-^


    Viel zu sagen habe ich nicht zu dem Design, aber doch: das mit den Fragen am Ende eines Kapitels finde ich eine super Idee, die ich in der Form noch nicht gesehen habe, aber die definitiv Anhaltspunkte bietet, mehr zu schreiben und sich Gedanken zu machen. Awesome! \o/


    [align=center]1. Kapitel - Tenaturik


    War schon etwas überrascht, als Kapitel 1 gleich so hieß wie die Story, haha. Umso überraschter dann, als ich gesehen hab, wie verdammt lang das ist. '____' woerter-zaehlen.de sagt über 4000 Worte, was für ein erstes Kapitel schon verdammt viel ist. Wobei es das auch für jedes andere Kapitel wäre, wenn man sich nicht unbedingt mit den Leuten vergleicht, bei denen jedes Kapitel 6000 Worte lang ist, lol. Das ist jetzt weder gut noch schlecht, aber durchaus erwähnenswert, vor allem, weil diese 4000+ Worte sich wie deutlich weniger anfühlen.
    Was für eine schöne Überleitung, denn dafür gibt es ja auch einen Grund! Ich mag deinen Schreibstil. ^w^ Er ist nicht abgehoben oder mit zu vielen Fremdwörtern vollgestopft, aber auch nicht zu einfach gehalten. Er klingt halt einfach natürlich, was nicht so selbstverständlich ist, wie es immer klingt. =D
    Du solltest aber auf das Tempus achten, mir ist immer mal wieder aufgefallen, dass du plötzlich die Erzählzeit gewechselt hast, teilweise sogar mitten im Satz. Passiert vor allen in so langen Texten dann doch manchmal, da kann ich nicht mal viele Tipps geben, außer die Zeit einfach so selten wie eben möglich zu wechseln, lieber die ganze Zeit im Präteritum bleiben, als zwar technisch gesehen richtige Präsenseinschübe einzubauen, die dann am Ende doch dafür sorgen, dass man sich nur selbst verwirrt. x)


    Im ersten Kapitel passierte ja schon Einiges, und ich finde, du hast ein schickes Mittelmaß gefunden, was das Zeigen von Informationen angeht. Man läuft gerade zu Beginn öfter die Gefahr, entweder so wenig Infos zu geben, dass der Leser überhaupt keinen Plan hat, was abgeht, oder schon alle nötigen Infos auf einen draufzudumpen, sodass man erst einmal von der Flut erschlagen wird. Fällt mir immer noch schwer, aber du hast das hier toll gelöst - man hat schon einmal einen Ersteindruck, aber doch bleibt noch vieles im Dunkeln. Gerade die Sache mit den Leuten (oder doch Humanoiden? Oder Synthetikern? Die Vorstellung klingt tatsächlich gruselig) vom Amt weckt Interesse und mich interessiert jetzt, wie das alles eigentlich abläuft, sie wirken ja doch sehr autoritär. Was wohl passiert, wenn man sich ihnen widersetzt? Will ich das überhaupt so genau wissen, haha? '-'
    Dann ist da natürlich die mysteriöse Frau - wer ist sie und warum wird sie gesucht? Ich vermute jetzt mal frech, dass sie was mit Tenaturik zu tun hat, aber ansonsten tappe ich da noch im Dunkeln. Was gut ist, immerhin sollte man ja nicht alles im ersten Kapitel beantworten, wär ja noch schöner, lol. Dann ist mir der komische Mann auch irgendwie suspekt, y'know, der, der nichts bestellte. '-'
    Eine Welt ohne (viel) Papier stelle ich mir übrigens schrecklich vor, ich kauf mir ja schon keine eBooks, weil ich meine Bücher physisch haben will, das geht da ja so gut wie gar nicht mehr. Technik hat so seine Vorteile, aber das ist so ein ganz persönliches No-Go für mich. x) Andererseits finde ich die Vorstellung witzig, wie Leute vor der Tür stehen und sich wundern, warum sie nicht aufgeht xD Hachja, für uns erscheint das so absurd, aber in Nadeyas Welt ist das halt völlig normal. Ob das nun gut ist, sei mal dahingestellt ... '-' A propos Nadeya!
    Ich mag sie schon gern. Schon eine ziemlich verquere Welt, in der keine Emotionen gezeigt werden, da würde ich mich wohl ähnlich wie sie auch gegen sie wehren. Kann sie also völlig nachvollziehen - auch, wenn ich wahrscheinlich zu große Angst hätte, das wirklich auszuleben, lol. Spitznamen ... Irgendwie nenne ich sie gern Nana. Nana. Nanaaaaaa ~ In meinem Kopf habe ich sie zu Beginn öfter als "Nadya" gelesen (Macht der Gewohnheit? Auch, wenn ich noch nie von einer Nadya gelesen habe ...), finde aber, dass der Name "Nadeya" noch schöner ist. o/ Hat der irgendeine Bedeutung oder hast du ihn dir ausgedacht? Die ganzen Namen und Bezeichnungen generell klingen ja recht ungewohnt, aber gut, wir befinden uns auch im 5. Jahrtausend! (Ich kenn übrigens das Problem mit Ortsnamen nur zu gut. Bis man da mal was Gutes gefunden hat ...)
    Auch Jessi wirkt sehr sympathisch, zu den anderen habe ich noch keine wirkliche Meinung, aber das muss ich ja auch gar nicht - ich finde diesen Einstieg in die Geschichte auch von den Beschreibungen der Charaktere her völlig ausreichend, solange man in den späteren Kapiteln mehr lernt, was ich mal stark annehme! Irgendwie interessiert mich vor allem Daiske. Wieso auch immer. '__'


    Das Ende ist imo völlig in Ordnung so, tatsächlich sogar ein cooler Quasi-Cliffhanger, der zum Weiterlesen animiert - eventuell ist es tatsächlich etwas abrupt, aber das liegt eher am letzten Satz als an den Geschehnissen, der wirkt noch etwas so, als würde da was kommen. Das ist jetzt aber nicht so dramatisch, vielleicht findest du dennoch was Besseres da. ^-^


    Jaaa, viel mehr kann ich auch gar nicht sagen, nur, dass ich das erste Kapitel schon verdammt gern mochte und gespannt bin, wie es weitergeht und in welche Richtung du die Geschichte trägst o/ Man merkt dir auch an, dass du Erfahrung hast, weshalb ich da positiv in die Zukunft blicke. Ich bin auf jeden Fall für das nächste Kapitel wieder hier und solltest du eine Benachrichtigungsliste anlegen, würde ich gern drauf, wie schon gesagt \o/


    Nija [color=#770022]~

  • 2. Kapitel - Flucht



    17. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Die Unterstadt von Synoria - "Die weiße Stadt"



    Mit aufgeregt klopfendem Herzen rasten sie auf den Motorrädern durch die Stadt. Es war heller Tag, kaum Wolken am Himmel. Eigentlich könnte man den Eindruck erhalten, dass es heute friedlich wirkte. Keine grauen Wolken verdeckten die Sonne und in Anbetracht dessen, dass die Stadt in ihrer weißen Schönheit erstrahlte, wirkte alles so … harmonisch. Geradezu perfekt. Nadeya hasste diesen Perfektionismus. Er machte alles kaputt! Weil die Menschheit sich danach sehnte den perfekten Standard aufzubauen, haben sie so viel in der Vergangenheit geopfert. Es wäre falsch zu sagen, dass alles schlecht war. Man musste sich in dieser Stadt nur einmal umsehen. Die Stadt befand sich im tadellosen Zustand. So weit zumindest, dass man nicht behaupten könnte, dass es besonders herunter gekommene Ecken gab. Ja, es gab ein paar Bereiche, die nicht ganz so erfreulich wirkten, aber da das Ordnungs- und Sicherheitsamt sehr hinterher war alles im Einklang zu halten, war es fast unmöglich irgendwo zwielichtige Bereiche zu erschaffen. Das Bewusstsein für die Hygiene war stark ausgeprägt. Kein Wunder, dass die Krankheiten eingedämmt worden waren. Schlecht war das sicherlich nicht, aber wenn ein Kind nicht einmal mehr auf der Straße im Dreck spielen durfte, wo führte das am Ende hin?
    Die Häuser waren hoch gebaut. Es gab kaum noch Gebäude, die aus weniger als zwanzig Stockwerken bestanden. Trotz dieser Höhe standen sie nicht alle komplett in Reih‘ und Glied, sondern gaben das Bild einer Stadt preis, die in verschiedenen Stufen und Höhen gebaut worden war. Es gab viele Ebenen und Nadeya und ihre Freunde kamen aus einer der untersten Ebenen, die es in der Stadt gab. Um zu K-13 zu gelangen, mussten sie aus der Unterstadt heraus fahren – so wie man den Stadtteil nannte. Unterstadt traf es ziemlich gut. Teile dieses Stadtviertels lagen sogar unterhalb des Erdbodens. Trotzdem gab es auch höher gelegene Gebäude, so wie jenes, aus dem sie vorhin geflüchtet waren. Nadeyas Zuhause. Wenn man ihr Zuhause durchsuchte würde das Ordnungs- und Sicherheitsamt einige interessante Entdeckungen machen. Und wenn sie das taten, hätten sie mehr als nur einen Grund sie und ihren Vater zu verfolgen. Nicht nur, weil sie der Flüchtenden geholfen hatten, sondern auch wegen der Dinge, die sie daheim aufbewahrt haben.
    Angefangen von den kostbaren alten Büchern. Sie waren verboten, weil sie von Zeiten sprachen, die längst vergangen waren und demzufolge nicht mehr im Sinne der Menschheit standen. Gefühle. Sie waren vor Jahrtausenden keinesfalls als störend abgestempelt wurden, sondern hatten ganz normal zum Leben dazu gehört. Nadeya schluckte. Selbst wenn man noch irgendeine Ausrede finden konnte, um wegen der alten Bücher nicht beschuldigt zu werden, so würden am Ende die Pflanzen dafür sorgen, dass ihr Vater und sie verurteilt werden würden. Nadeya hatte in ihrem Zimmer mehrere Töpfe mit verschiedenen Pflanzen, hauptsächlich Blumenarten, eingepflanzt. Sie war fasziniert von der Natur gewesen und ihr Vater hatte ihr hin und wieder sogar ein paar Samen besorgt. Wie man damit umging und sie dazu brachte zu wachsen, war nicht ganz einfach gewesen herauszufinden. Nadeya hatte viel Geduld aufbringen müssen, aber nachdem sie das erste kleine Pflänzchen aufgezogen hatte, war sie regelrecht davon besessen gewesen noch weitere Pflanzen in
    ihren Töpfen wachsen zu lassen. Besonders nachdem die erste Pflanze wunder­schöne hellblaue Blüten hervor gebracht hatte. Sie wusste nicht wie man die Pflanze nannte. Sie selbst hatte sie einfach nur Icekrystalla genannt. Ihrer Meinung nach ein sehr passender Name für die Pflanze, deren Blüten wie kleine schöne blaue Kristalle funkelten. Besonders am Abend, wenn es dunkel wurde und die Nacht herein brach, hatte Nadeya die Blütenblätter manches Mal funkeln sehen. Sie waren so wunderschön gewesen, dass es für sie unbegreiflich war, wie man solch ein kleines Wunder aus dem Leben der Menschheit verbannen konnte. Sie hoffte, dass sie nach Hause zurückkehren konnte, um ihre Blumensammlung wiedersehen zu können. Es wäre sehr traurig, wenn nicht.


    Daiske hielt an. Sie waren jetzt ziemlich weit durch die Stadt gefahren, hauptsächlich in höhere Lagen, um ein Lagerhaus zu erreichen, in denen sie die
    Motorräder unterbringen wollten. Sie würden den restlichen Weg zu Fuß hinter sich bringen. Das Lagerhaus befand sich in einer Querstraße, in der kaum ein Mensch vorbei ging. Das war ideal, weil es dadurch nicht auffiel. Es war auch kein wirklich großer Lagerraum. Aber hier hatte vor allem Daiske sein Werkzeug gelagert, um wie gesagt an den Motorrädern herum zu basteln. Er wollte ihnen eine Flugfunktion geben, hatte aber bislang noch nicht die nötigen Teile und Materialien gehabt, um die Motorräder so umzubauen wie er es sich im Kopf ausgemalt hatte. Er mochte Technik. Nein, er liebte sie sogar. Das bedeutete aber nicht, dass er deswegen einverstanden mit der allgemeinen Situation war, die die Regierung vorgab. Wie Nadeya auch, war ihm dieses unterkühlte Verhalten der Menschen zuwider. Er fand es eigentlich lächerlich, aber da man auch so erzogen wurde, war es nur schwer nach außen richtige
    Gefühle zu zeigen. Manchmal fiel es selbst ihm schwer so zu sein, wie er wirklich war und sich nicht so zu benehmen, wie er es von klein auf gelernt hatte. Wenn man stets eine Fassade gegenüber anderen aufrecht erhalten musste, um nicht aufzufliegen, war es schwierig nicht irgendwann dauerhaft so zu sein. Das Problem hatte auch Nadeya. Solange die drei untereinander waren, mochte es noch gehen. Da konnten sie die Fassade fallen lassen. Aber oft mussten sie diese aufsetzen. Nachdem sie nun in die keine Lagerhalle gefahren waren, stieg Nadeya vom Motorrad ab und lief bereits zum Ausgang. Jessi und Daiske beeilten sich damit die Maschinen abzuschließen, damit sie nicht ohne weiteres gestohlen werden konnten, falls sich doch jemand mal hier hinein verirrt. Von Verbrechen als solches hörte man so gut wie nichts in den allgemeinen Nachrichten. Mörder, Vergewaltiger oder einfach nur Diebe schienen förmlich ausgestorben zu sein, nachdem die Menschheit sich auf diesen Pfad des Verstandes begeben hatte. Doch in der Unterstadt gab es das unterschwellige Gerücht, dass auch da die Regierung trickste. Wie war es möglich in solch einer Welt nicht doch mal den Verstand zu verlieren? Menschen, die durchdrehten, weil sie das stoische Leben einfach nicht mehr aushielten und etwas anderes tun mussten. Weil sie sich eingesperrt fühlten in ihrem vorgegebenem Leben und irgendwie ausbrechen mussten. Um das zu tun, blieb meistens nichts anderes übrig als gegen die Gesetze zu verstoßen. Manche, die tatsächlich den Verstand verloren, drehten durch und wurden zu blutrünstigen Monstern. Anders konnte man sie kaum beschreiben, wenn sie andere Menschen umbrachten, sich am Ende vielleicht sogar selbst. Wenn Taten ausgeführt wurden, die gegen die menschliche Logik und den Verstand gingen. Es war nicht schön so etwas zu hören. Was das anging, wäre Nadeya die Illusion lieber, dass eigentlich alles heil und perfekt war. Zu wissen, dass es doch irgendwo Gräueltaten gab, war erschütternd. Besonders, wenn es angeblich solche Verbrechen – oder auch in anderer Form – vor Jahrtausenden Gang und Gebe waren.
    Ja, man konnte nicht alles schlecht reden in der heutigen Zeit. Aber auch dieser scheinbare Perfektionismus hatte seine Schwächen, die vertuscht werden sollten und wurden.
    »Ich glaube, die Luft ist rein«, sagte Nadeya. Sie hatte am Eingang der Halle gestanden und hinaus geblickt, um eventuelle Verfolger zu entdecken. Doch wie sie bereits vorhin schon vermutet hatte, konzentrierte sich die Verfolgung garantiert auf ihren Vater. Die Sorge um ihn blieb bestehen und deswegen rannte sie auch los, nachdem Daiske und Jessi bereit waren und ihr folgten. Sie mussten ein paar Straßen weiter laufen, aber sie nutzten nicht die Hauptwege. Inständig hoffte Nadeya, dass ihr Vater es geschafft hatte und im K-13 auf sie wartete, ohne dass ihm was Schlimmeres widerfahren war. Die hohen Wände der Gebäude um sie herum, schlossen sie ein, so dass es unmöglich war über sie hinweg zu sehen. Sie konnten nur nach vorn oder zurück. Von hinten kam allerdings nichts, da immer noch keine Verfolger auftauchten. Auch der Weg nach vorn durch die Straße war nicht blockiert. Sie hatten gute Chancen unentdeckt zu K-13 zu gelangen. Eben jenes lag unmittelbar hinter der nächsten Ecke. Sie mussten nur nach rechts abbiegen und … Mit einem entweichenden erschrockenen Laut taumelte Nadeya zurück und fiel Daiske in die Arme, der nur knapp hinter ihr gewesen war. Jessi rannte sogar ein Stück an ihnen vorbei ehe sie sich selbst stoppen konnte. Grund dafür war das Hindernis, welches sich einfach vor Nadeya aufgetan hatte. Verwirrt darüber und wieder aufgerichtet, blickte sie den Mann an, der direkt vor ihr stand. War das nur ein Passant oder hatten sie ein ernsthaftes Problem vor sich? Sie wollte vom Ersterem ausgehen und versuchte bereits eine Entschuldigung hervorzubringen, um schnell der Situation zu entkommen. Doch ihre Stimme brachte nicht einmal den Satz hervor, weil ihre Augen sich den Fremden genauer ansahen. Konnte es sein, dass sie ihn nicht schon mal gesehen hatte? Die blauen Augen des Mannes kamen ihr bekannt vor wie auch seine Gesichtszüge, die sie vor nicht all zu langer Zeit bereits gesehen hatte. Es war der Mann aus der Bar, der nicht dazu gekommen war irgendetwas zu bestellen. Nadeya starrte ihn an, weil sie nicht begreifen konnte wie er hier so schnell aufgetaucht war. Warum er überhaupt hier war und wie er vorhin einfach so verschwunden war. Es war alles sehr seltsam.
    »Nana, wir müssen weiter!«, meinte Daiske, der gerade weniger auf den Fremden achtete und ihn wohl auch nicht erkannte. Er hatte vorhin auch nicht wirklich auf den Typen geachtet gehabt. Jessi ging es da nicht anders, die bereits nach Nadeyas Handgelenk griff, um sie weiter zu ziehen.
    »Ja, ich … « Sie wusste gerade nicht, was sie sagen sollte. Da Jessi sie weiter zog, verlor sie den Blick zu dem Mann, der den Dreien schweigend hinterher sah. Sie liefen die Straße weiter so schnell sie konnten. Nur wenige Menschen gingen hier entlang, aber jene, die sie sahen, blickten verwundert auf. Es kam selten vor, dass jemand so in Eile durch die Straßen rannte. Meistens hatte das nichts Gutes zu bedeuten, doch keiner versuchte sie aufzuhalten oder sich in ihre Angelegenheiten einzumischen.
    Daiske suchte seine Schlüsseltürkarte aus seiner Hosentasche heraus, als die vor einer Tür stehen blieben, die genauso unbedeutend aussah wie das Meiste hier. Die Verriegelungen der Türen waren meistens auf elektronischer Art. Entweder man musste einen speziellen Code auf einer Konsole eingeben oder man nutzte die speziellen Schlüsselkarten. Es gab auch noch andere technische Spielereien, wie man Türen und alles andere verschließen konnte, aber diese beiden Varianten waren die am häufigsten Genutzten. Manuelle Schließmechanismen, die mit einem einfachen Schlüssel zu öffnen waren, gab es schon sehr lange nicht mehr. Daiske zog die Schlüsselkarte durch den Spalt an der Konsole rechts von der Tür. Es dauerte keine Sekunde, da ertönte das typische Ping, das ihnen sagte, dass die Tür nun offen stand. Kurz sah Nadeya zurück durch die Straße. Von dem Mann von vorhin war nichts zu sehen. Das irritierte sie schon wieder, aber sie hatte keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen, was es mit ihm auf sich hatte. Sie folgte Jessi und Daiske durch die Tür in den Raum dahinter. Dieser wies nicht viel vor. Hier stand nur ein Schreibtisch in einer Ecke und auf der anderen Seite ein Schrank. Jessi lief zu diesem, öffnete ihn und holte die große Tasche hervor, die sich darin befand. Daiske und Nadeya eilten bereits weiter durch die Tür, die auf der anderen Seite des kleinen Raumes war. Dahinter war eine Treppe, die sie nach unten nahmen. Die Treppe war aus solidem Metall gefertigt, so dass die Schuhe ein klackendes Geräusch darauf hinterließen. Wer es eilig hatte, würde sich so definitiv nicht anschleichen können. Aber das war jetzt auch gar nicht notwendig. Sie liefen die Treppe hinab, die sich in die Tiefe schlängelte bis sie eine weitere Tür erreichten, die Daiske ohne Umschweife aufriss, damit sie hindurch laufen konnten. Mittlerweile atmeten Nadeya und er etwas heftiger aufgrund der Anstrengung und der Eile. Aber sie waren noch längst nicht erschöpft. Eilig liefen sie in den Raum hinein, der um einiges größer war. Eigentlich konnte man es schon als Halle bezeichnen. K-13. Es war das dreizehnte Kellergewölbe von denen es über Hundert gab. Die wenigsten von ihnen wurden noch aktiv genutzt oder wenn dann nur als Lagerbereich, in denen altes Zeug verstaubte. K-13 jedoch war etwas Besonderes. Auch wenn es nach nichts Besonderem aussah, denn wer sich hier umsah, konnte nicht viel Auffälliges erkennen. Der Raum wurde mit grellen Lampen erhellt. Jeweils an den Wänden gab es noch zusätzliche Lampen, die eine Linie bildeten und blau leuchteten. Sie wiesen einen Weg, der nur dann sichtbar wurde, wenn man ein spezielles Knöpfchen drückte. Auf der rechten Seite des Raumes gab es mehrere Schränke und verschiedene Truhen und Kisten. In all ihnen waren Sachen, Ersatzteile und sogar Waffen gelagert. Neben diesem Lagerbereich stand eine größere Konsole. Es war ein langer, leicht gebogener Tisch mit etlichen Knöpfen, Hebeln und auch Monitoren über den Schaltflächen. Dort stand Nadeyas Vater, weswegen diese erleichtert aufatmete. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und sie rannte hinüber, um sich zu vergewissern, dass es ihrem Vater auch wirklich gut ging. Dieser war gerade dabei wild auf den Tasten herum zu klicken. Er gab bereits Befehle in die Konsole ein, die andernorts bereits die Flucht vorbereiteten. Denn etwas anderes blieb ihnen nicht übrig, deswegen waren sie hier.
    »Dad!«, rief Nadeya, da ihr Vater mit dem Rücken zu ihnen stand. Daiske blieb neben ihr stehen und ihr Vater drehte den Kopf um, so dass er über die Schulter zu ihnen sah. Er wandte sich aber nicht von der Konsole ab.
    »Da seid ihr ja. Zieht euch um. Wir können gleich starten.« Keine Zeit, um nachzufragen, ob alles in Ordnung war. Je mehr Zeit sie verschwendeten, desto größer wurde die Gefahr, dass man sie doch noch zu fassen bekam.
    Jessi kam nun auch endlich hinunter und trug die große Tasche, in der sie unter anderem noch ein paar Sachen eingepackt hatte, die oben im Schrank gelagert hatten. Daiske machte sich bereits an einem der Schränke neben dem Konsolenbereich zu schaffen. Er holte ein paar Kleidungsstücke hervor, die er sowohl Jessi als auch Nadeya reichte. Dann war er bereits dabei sein eigenes bisheriges Oberteil über den Kopf zu ziehen, um sich davon zu entledigen. Schamgefühl gab es in diesem Augenblick nicht. Sie alle funktionierten gerade nur, um die Flucht zu ermöglichen. So wie die meisten anderen Gefühle auch, war Schamgefühl oder Verlegenheit so gut wie aus dem menschlichen Dasein ausgemerzt wurden. Man musste sich bereits als Kind etlichen Untersuchungen unterziehen, nur damit man feststellen konnte, ob das Kind gesund war oder nicht irgendwo einen Schaden besaß. Was früher einfach nur als Gesundheitscheck bekannt gewesen war, hatte sich im Laufe der Jahre zu einer extremenere Variante entwickelt. Man wurde geradezu von oben bis unten durchleuchtet. Nichts blieb den Ärzten verborgen. Sie stellten schon frühzeitig fest, ob ein Kind gegebenenfalls später erkranken konnte wegen einer Erbkrankheit oder etwas ähnlichem. Nadeya verscheuchte diese Gedanken und begann selbst sich umzuziehen. Sie mussten etwas anderes anziehen, damit sie nicht sofort erkannt wurden. Wobei sie kaum glauben mochte, dass das wirklich helfen konnte. Gerade wenn man sich ihre rote Lockenmähne mal betrachtete. Die zerrissene Hose, die sie bis eben noch getragen hatte, wurde durch eine schwarze enganliegende Hose ausgetauscht. Darüber zog sie noch eine helle kurze Hose, die sicherlich genauso für Aufsehen sorgen würde wie ihre roten Haare. Ihr momentanes Oberteil wurde durch ein Tanktop ausgetauscht, über das sie noch ihre schwarze Jacke drüber zog, die sie offen ließ. Die Jacke reichte ihr nur bis zur Hüfte, war daher nur vom kurzen Schnitt. Zuletzt zog sie ihre schwarzen Stiefel. Sie hatten keinen hohen Absatz und waren praktischer, besonders wenn man viel laufen musste. Sie gaben ihr festen Halt und auch Schutz. Irgendetwas fehlte allerdings noch, als sie an sich herunter sah.
    »Dai, hast du meinen Gürtel irgendwo gesehen?«, wollte sie von ihrem besten Freund wissen und sah in dem Moment auf, in dem er das schwarze Unterhemd gerade über seine Bauchmuskeln zog. Ihr Vater hatte die drei schon von klein auf im waffenlosen Kampf trainiert. Nadeya hatte als Kind nie verstanden, wozu das gut sein sollte, schließlich sorgte doch das Ordnungs- und Sicherheitsamt für den Schutz der Bürger. Heute sah das anders aus und sie hatte im Laufe der Jahre einiges besser verstehen können. Daiske sah noch einmal in den Schrank. Mittlerweile trug er seine dunkelbraune Tarnhose und wie sie feste schwarze Stiefel. Zum Schluss würde er sich noch seine braune Lederjacke drüber ziehen, doch zuerst klaubte er Nadeyas braunen breiten Gürtel aus dem Schrank, um ihn ihr zu überreichen. Mit einem dankenden Lächeln nahm sie ihn entgegen und legte sich ihn um. Der Gürtel war wichtig, weil sie kurz darauf zu einer der Truhen ging, sie öffnete und dort einen dreißig Zentimeter langen oder eher kurzen Stab heraus holte. Er sah nach nicht viel aus, aber sie musste nur einen kleinen Knopf an der Seite drücken und das kurze Ding würde sich zu einem mehr als zwei Meter langen Stab ausfahren. Da sie kein besonderer Fan von Schusswaffen oder auch anderen scharfen Waffen war, hatte ihr Vater ihr gezeigt, wie man mit einem Stab kämpfen konnte. Sie beherrschte ihn selbst mittlerweile wie kein anderer. Den kurzen Stab befestigte sie auf der Rückseite ihres Gürtels. Daiske hatte ihren Gürtel nämlich mal vor Jahren so angepasst, dass sie den Stab dort ohne Probleme einhaken wie auch schnell ziehen konnte, wenn es mal wirklich darauf ankam. Das war sehr praktisch, fand sie. Nadeya sah rüber zu Jessi, die bereits auch umgezogen war. Wie Nadeya trug sie ein schwarzes Tanktop, aber ähnlich wie Daiske eine dunkle Tarnhose. Daiske wollte Jessi ebenfalls eine Jacke reichen, aber diese lehnte sie ab. Sie wollte sich nichts drüber ziehen, dafür war ihr einfach zu warm. Die Jacke würden sie so mitnehmen. Denn nachdem sie soweit umgezogen waren, eilten sie auch schon weiter. Nadeyas Vater war noch dabei die letzten Befehle auf der Schaltfläche einzugeben, als er dann auch schon den Hebel an der rechten Seite betätigte. Das sorgte dafür, dass sich das Tor, welches man erst dann erkannte, wenn es sich bewegte, öffnete. Das Tor befand sich auf der anderen Seite des Raumes. Außerdem stand dort ein Fluggleiter. Es war ein Flugzeug, das Platz für maximal sechs Personen bot. Demnach war es auch eher klein gehalten und sehr schnell und wendig. Mit dieser Maschine konnte man ideal schnelle Wendemanöver fliegen. Es besaß auch einen einfachen Abwehrmechanismus mit zwei Geschossen. Allerdings waren die im Gegensatz zu manch anderen Fluggeräten kaum der Rede wert. Sie konnten zwar durchaus Schaden anrichten, aber wenn man sich besonders die Waffentechnik von dem Ordnungs- und Sicherheitsamt betrachtete, dann war das hier nur ein kleines Spielzeug. Es ging auch gar nicht darum, dass sie besonders starke Schusskraft besaßen, sondern viel mehr darum, dass sie entkommen konnten. Mit einem schnellen wendigen Flugzeug war die Chance auf Flucht viel größer als mit einem Fluggerät, das mehr auf Angriff spezialisiert war. Leider war die Lademöglichkeit auch nur sehr begrenzt, weshalb sie nur die wichtigsten Sachen einpackten. Neben Wechselsachen war auch Proviant dabei. Waffen mussten leider auch sein. Wenn es hart auf hart kam, mussten sie sich schließlich verteidigen können. Als Nadeya mit Jessi und Daiske den Fluggleiter betraten, um ihn zu beladen, entdeckten sie die fremde Frau, die auf einer einfachen Pritsche dalag. Es gab insgesamt nur zwei solcher Liegemöglichkeiten. Die Frau war so blass, dass man sie für tot halten konnte. Aber Nadeya sah auch die Verbände, die sie bereits trug. Ihr Vater hatte sich um sie gekümmert. Da sie aber nicht bei Bewusstsein war, würde man sie auch nicht fragen können, wer sie eigentlich war. Es war immer noch unverständlich, dass sie wegen dieser Fremden ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten. Machte das Sinn? War das logisch? Eigentlich nicht. Nadeya wandte sich wieder ab und kam ihrem Vater entgegen, der eben auch das Flugzeug betrat und zwei Taschen an die Seite stellte.
    »Nana, hol draußen die letzte Tasche rein, dann können wir los. Dai, Jess, nehmt eure Positionen ein!« Nadeya folgte der Aufforderung wie es auch Daiske und Jessi taten, die mit einem »Aye, Sir!« in das Cockpit stiegen und jeweils ihre Plätze links und rechts neben dem mittleren Sitz einnahmen. Der vorderste war für Nathan selbst. Nadeya hingegen würde mit der Steuerung des Fluggleiters nichts zu tun haben. Sie würde sich hinter den dreien auf einen der letzten Sitze setzen, sobald sie die letzte Tasche rein geholt hatte.
    Aber … wo war diese denn? Nadeya war etwas verwirrt, als sie draußen sich umsah. Gerade als sie sich dann auch noch umdrehte, erschrak sie sich halb zu Tode. Sie gab demzufolge auch einen lauten Quietscher von sich, der dafür sorgte, dass ihr Vater heraus gerannt kam. Ihr Herz pumpte in ihrer Brust so stark, dass sie fürchtete, dass es gleich heraus springen würde.
    »Was zum-? Wer seid Ihr?« Nathan fixierte den fremden Mann sofort mit den Augen. Verflucht, hatten sie etwa doch Verfolger gehabt und es nicht bemerkt? Panik wollte den Verstand übernehmen, aber Nathan war viel zu gut darin seine Emotionen zu unterdrücken. Er hatte eine noch viel strengere Erziehung genossen als manch andere. Viele Jahre lang war er kalt wie ein Stein durch sein Leben gegangen ohne begriffen zu haben, was Leben eigentlich wirklich bedeutete. Wenn er daran zurückdachte, dann konnte er kaum glauben, wie es hatte möglich sein können, dass er so blind gewesen war.
    Die Erinnerungen versteckte er wieder tief in seiner Gedankenwelt und musterte den Fremden wie auch den Rest des Raumes. Er konnte niemand sonst noch entdecken, also war der Fremde allein. Das gab Nathan die Möglichkeit direkt auf den anderen zuzugehen und zwar so schnell, dass er ihn packen wollte, um ihn zu Boden zu schleudern. Leider stellte sich heraus, dass der andere auch ziemlich schnelle Reflexe besaß. Die beiden schafften es nicht den jeweils anderen außer Gefecht zu setzen. Da beide schnell zu dieser Erkenntnis kamen, hielten sie sich nur fest. Der Fremde hatte seine rechte Hand um den Unterarm von Nathan gelegt während er wiederum von Nadeyas Vaters an seinem Mantel festgehalten wurde.
    Nadeya erkannte den Mann aus der Bar. Vorhin war er es gewesen und jetzt schon wieder. Es war ihr unbegreiflich, wie es sein konnte, dass er hier reingekommen war. Denn der Mechanismus der Tür, die Daiske vorhin kurzzeitig entriegelt hatte, verschloss sich, sobald die Tür wieder in das Schloss fiel. Es war also unmöglich so einfach hier herein zu spazieren. Wie hatte er … ?
    »Ihr braucht meine Hilfe«, war alles, was der Fremde sagte. Mit festen unerschütterlichen blauen Augen sah er Nathan direkt an. Dieser verschmälerte seine Augen sehr misstrauisch.
    »Ach ja? Warum? Wir wissen noch nicht einmal wer Ihr seid!« Das war eine gute Argumentation, die man kaum ihm verübeln konnte.
    »Ihr müsst mich mitnehmen.« Schon wieder dieser Ausdruck. Mit fester Stimme sagte er es, als würde ihr gesamtes Leben davon abhängen, weswegen sie ihn mitnehmen mussten. Das machte doch gar keinen Sinn! Was sollte das?
    »Ich sagte bereits, dass … !«. begann Nathan vom Neuen, um diesen Kerl abzuwimmeln.
    »Ihr müsst! Ich kann euch jetzt noch nicht alles erklären, aber ihr begeht einen Fehler, wenn ihr nicht auf mich hört.« Die Stimme des Mannes, den sie nicht kannten, war noch sehr ruhig und sachlich. Obwohl der Inhalt seiner Worte sehr fraglich war, wirkte er nicht aufgebracht. Aber auch nicht feindselig gestimmt. Genau das war das Problem. Er wirkte wie ein typischer Technikmensch, der die Gefühle völlig abgestellt hatte. Das verursachte nicht nur bei Nadeya Sorgen, sondern auch bei ihrem Vater. Solchen Leuten durfte man einfach nicht vertrauen! Sie konnten einem in den Rücken fallen, ohne dass man es merkte.
    »Seid Ihr von Sinnen? Wir sollen Euch einfach blind vertrauen?« Nathan klang im Gegensatz zu seinem Gegenüber aufgebrachter. Aber das lag nur daran, dass bei dem Fremden keine Gefühle herauszuhören waren. Würde der direkte Vergleich nicht vor Nadeya dastehen, hätte sie auch ihren eigenen Vater als sehr ruhig und sachlich eingestuft. Die wenigen Unterschiede zwischen gefühlskalt und ein bisschen mehr Gefühl zeigen, waren vorhanden. Aber nicht viel.
    »Vertrauen ist ein irrationales Gefühl, welches an die Richtigkeit der Worte oder Taten eines anderen glaubt oder davon überzeugt ist«, kam als Antwort von dem Fremden. Er klang wie ein Lexikon, als hätte man von ihm wissen wollen, was Vertrauen eigentlich war. Nadeya verwirrte das nur noch mehr.
    »Er wirkt wie ein Humanoider.« Diese Worte von ihr lösten eine Denkfalte auf der Stirn des Mannes aus. Das war mehr Reaktion als sie erwartet hatte! Er drehte sogar seinen Kopf leicht zur Seite, um zu ihr zu sehen. Nebenbei ließ er sogar ihren Vater los, weswegen die beiden Männer ein Stück Abstand von einander nahmen.
    »Ich bin kein Humanoider«, sagte er trocken in seiner sachlichen Stimmlage.
    »Aber Ihr wirkt wie einer. Warum sollten wir Euch glauben? Wer versichert uns, dass wir keinen Fehler begehen, wenn wir Euch mitnehmen?«, lenkte Nadeya ein. Der Mann wirkte tatsächlich etwas nachdenklich deswegen, aber seine Antwort kam ohne zu zögern.
    »Das kann euch niemand versichern.«
    »Oh, großartig!« Innerlich war Nathan darüber genervt wie auch wütend. Dieser Fremde glaubte doch nicht allen Ernstes, dass sie ihn einfach mitnahmen?
    »Das Ordnungs- und Sicherheitsamt wird jeden Augenblick hier auftauchen. Wenn wir nicht sofort los fliegen, wird es zu spät sein«, sagte der Fremde und erinnerte sie wieder daran, dass sie keine Zeit verlieren sollten. Sie mussten schnell weg von hier.
    »Oh, verdammt!«, rutschte es Nadeya heraus. Sie sah ihren Vater an, der ihr zunickte und ihr damit vermittelte, dass sie einsteigen sollte. Bevor sie das tat, sah sie sich noch kurz um und entdeckte endlich die Tasche, die sie sich schnappte und gleich mit hinein nahm. Über eine ausfahrbare Treppe konnte man das Flugschiff betreten, was sie gerade auch tat. Die Tasche selbst ließ sie bei dem anderen Gepäck stehen und eilte nach vorn ins Cockpit, wo sie sich hinsetzte und den Gurt anlegte.
    »Wieso dauert denn das solange?«, wollte Daiske von ihr wissen, dem man die Ungeduld anhören konnte. Nadeya kam zu keiner Antwort, da ihr Vater gerade auftauchte und nach vorn ging, um selbst Platz zu nehmen. Es ging also endlich los. Zu ihrem Entsetzen jedoch setzte sich auch der Fremde auf einen der freien Plätze neben sie hin. Mit großen Augen sah sie ihn an, dann blickte sie schnell nach vorn. Es brauchte keine fünf Minuten, da war das Flugzeug gestartet und schoss durch den langen Gang, welcher das Tor von vorhin offenbart hatte, ehe der Ausgang sichtbar wurde. Ein paar Minuten später konnte Nadeya auf die weiße Stadt nach unten schauen. Es war ein überwältigender Anblick von oben. Denn erst in der Luft erkannte man die wahre Größe dieser weißen Städte. Sie konnte den zentralen Platz ausmachen, auf dem der größte Brunnen stand, den es in dieser Stadt gab. Das Wasser war so klar und rein, dass man es ohne Bedenken trinken konnte. Die Sonne, die immer noch schien, reflektierte sich an vielen Stellen der Stadt und gab ihr so einen glänzenden Ausdruck. Nicht selten wurden die weißen Städte auch als Silberstädte bezeichnet. Es war faszinierend und wunderschön und trotzdem hatte der Anblick einen bitteren Beigeschmack.
    »Äh, Boss?«, erhob Daiske seine Stimme und sprach damit Nathan an. Dieser sah nicht auf und konzentrierte sich auf den Flugweg.
    »Wer ist der Typ da hinten?« Das interessierte nicht nur Daiske, sondern auch Jessi. Auch Nadeya würde gerne mal wissen, wer dieser Mann war, der wie ein Humanoider wirkte! Von Nathan kam keine Antwort, allerdings von dem Fremden.
    »Mark Brian O‘Cellaigh.« Auf einmal herrschte vollkommene Stille. Diese wurde erst durch Daiskes geschocktes »Etwa DER Mark Brian O‘Cellaigh?« durchbrochen.
    »Dammisch!«, fluchte Jessi lauthals los.
    »Wieso verdammt noch mal ist Mark Brian O‘Cellaigh bei uns an Bord?«, wollte Daiske sehr aufgebracht von Nathan wissen. Doch dieser schwieg immer noch. Das sah Nadeyas Vater gar nicht ähnlich. Deswegen fragte sie sich, was die beiden Männer möglicherweise noch besprochen hatten, als sie vorhin schon ins Flugschiff gestiegen war.
    »Sie kommen von rechts«, ertönte die neutrale Stimme von Mark Brian O‘Cellaigh, ohne auf das vorangegangene Gespräch einzugehen. Nathan rief nur noch ein »Festhalten!«, ehe dann schon das gesamte Schiff durchgerüttelt wurde. Nadeya kniff fest die Augen zusammen und hoffte, dass sie das alles hier heil überlebten und nicht beim Versuch der Flucht drauf gingen.
    Sie wollte noch nicht sterben!




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    [tab=Ein paar Worte]
    Ich werde nach jedem Kapitel Fragen stellen. Diese dienen zur Motivation oder zur Orientierung worauf man eingehen könnte. Es ist nicht zwingend erforderlich die Fragen zu beantworten, wenn man einen Kommentar zum Kapitel abgeben möchte. Das könnt ihr frei entscheiden. Mich persönlich würde es aber interessieren.


    Nadeya hat einen Spitznamen bekommen, juhu. Ganz spontan einfach mal so. Oder sagen wir besser, es war allein @Arythmia Schuld. Sorry Mäuschen, aber ich fand deine Idee ganz zauberhaft und hab mich dazu entschlossen deine Inspiration zu übernehmen. Ich hoffe, du bist damit einverstanden. Nadeya einen Spitznamen zu geben ist gar nicht so einfach. Der Name ist zwar schön, aber es manchmal noch kürzer schreiben zu können, gefällt mir besser. Und es gibt ein bisschen Abwechslung, wenn man den Chars Spitznamen verpassen kann :)


    Die Länge der Kapitel für Tenaturik war so eigentlich nicht geplant. Tatsächlich habe ich vorgehabt in etwa genauso lang zu schreiben wie bei meiner ersten Fanfiction. Irgendwie klappt das nicht. Mag vielleicht an den verschiedenen Tehmen liegen. Ich finde, bei Tenaturik bleibt mir auch gar nichts anderes ürbig als so viel zu schreiben innerhalb eines Kapitels. Ansonsten würde irgendwie was fehlen. Ich hoffe, ihr könnt damit leben bzw. euch gefällt das so.


    Ich bin selbst sehr gespannt wie es weiter gehen wird. Viel Spaß beim Lesen. Vielleicht mag jemand auf die Fragen antworten? Egal zu welchem Kapitel.


    Liebe Grüße
    Alexia Drael
    [tab=Fragen]
    Fragen zum zweiten Kapitel


    1. Wie findest du den Namen Icekrystalla? Hast du ggf. noch andere Ideen, wie man bestimmte Pflanzen oder Blumen nennen könnte?
    2. Sind die Beschreibungen der Umgebung eigentlich zu wenig von den Details her? Oder reicht das vollkommen aus? Ich hab zwar ein klares Bild vor Augen und weiß wie alles ausschaut, aber das in Worte zu fassen, ist verflucht schwer. Irgendwie befürchte ich, dass es nicht genug sein könnte, um ein klares Bild zu vermitteln …
    3. Warum glaubst du, sind die anderen am Ende so geschockt über Mark Brian O'Cellaigh? Was könnte das wohl zu bedeuten haben? ;) (Spekulationen erwünscht.)
    4. Kommen die Gedankengänge eigentlich verständlich rüber, die das Leben in der Stadt beschreiben und auch die Probleme teilweise benennen bzw. erörtern? Oder ist möglicherweise irgendwas unklar?
    [tab=Antwort für Arythmia]

    Zuallererst einmal mein herzlichen Dank an dich, dass du mir einen Kommentar geschrieben hast. Ich habe mich wahnsinnig gefreut und würde mich natürlich weiterhin erfreuen, wenn ich noch mehr Kommentare bekommen würde.


    Ich war überrascht davon von dir zu lesen, dass du bei dem Wort „Tenaturik“ tatsächlich ans klassische Fantasy gedacht hast. Hätte ich so nicht erwartet, allerdings weiß ich ja was das Wort bedeutet. Dementsprechend habe ich auch eine Vorstellung. Wer die Geschichte jedoch verfolgt, wird sich vermutlich früher oder später selbst erklären können, was es heißt. Im Laufe der Geschichte wird aber auf jeden Fall noch mal näher darauf eingegangen.


    Farbe: ja, könnte ich hinzufügen bzw. ein klein wenig hab ich da schon was eingefärbt. Ich mag's übersichtlich und nicht zu bunt. Ich bin zwar schon immer mehr in Foren unterwegs gewesen als auf anderen Plattformen, aber in Foren Farbe einzusetzen, war nie großes Thema für mich. Kam ehe selten bis gar nicht vor. Ich werde in Zukunft mal schauen, dass ich das ggf. ändere. Allerdings werde ich mich da nur auf eine Farbe vermutlich beschränken. Ich mags nicht zu bunt. Ist, wie du bereits gesagt hast, Geschmackssache.


    Bilder: Warum sind da keine zu sehen? Aus dem einfachen Grund, dass ich mich weigere Fremdbilder einzusetzen. Allein wegen des Copyrights. Selbst wenn es Bilder gibt, die man frei verwenden kann, stellen sich mir da eher die Nackenhaare auf von fremden Künstlern Bilder zu benutzen. Zumal man da auch erst einmal ein passendes finden muss.
    Ich kann natürlich selbst Bilder erstellen bzw. malen. Tue ich seit ich klein bin. Aber da der Aufwand für diese mit viel Zeit verbunden ist, brauche ich erst eine Überwindung dazu. Und vor allem die zeit ^^' Bei Gelegenheit, Zeit und Lust werde ich vielleicht mal das ein oder andere Bild zu meinen Geschichten erstellen und hinzufügen. Aber in erster Linie steht das Schreiben an vorderster Front.


    1. Kapitel Name: Ja, hast du recht. Schon seltsam wenn man das 1. Kapitel auch gleich noch so nennt wie die Geschichte heißt. Ich hatte den Text geschrieben gehabt und saß dann vor meinem Laptop und dachte mir: das Ding braucht noch einen Namen. Äääääh … Statt mir da nun auf Gebrechen einen Kapitelnamen auszudenken, habe ich den von der gesamten Story genommen. Das hätte ich nicht getan, wenn es nicht gepasst hätte. Denn da es bereits am Anfang schon um Tenaturik geht, auch wenn man noch nicht alles darüber erfährt, fand ich, dass ich das so umsetzen könnte. Ich wüsste jetzt auch auf Anhieb nicht wie ich das Kapitel sonst nennen sollte?!



    Schreibstil: Dankeschön für das Lob! Ich freue mich immer wie ein Honigkuchenpferd, wenn mir jemand sagt, dass er meinen Schreibstil mag :) Ich selbst finde mich (wie im Startpost erwähnt) als nichts Besonderes. Ich schreibe gern und viel und das ist meine Leidenschaft, aber trotzdem bin ich da eher zurückhaltend, was meine Lobgesänge auf meine Fähigkeiten angeht.
    Btw. bin ich auch kein großer Fan von Fremdwörtern. Wenn man nicht versteht, was dann damit gemeint ist, macht es die Story kaputt bzw. erschwert das Lesen. So was möchte ich gern vermeiden.


    Was die Zeitformen angeht, hrm. Ja, da hast du sofort meine Schwäche aufgedeckt. Das ist etwas, womit ich schon von Anfang meine Probleme habe. Ich gebe dir da natürlich vollkommen Recht, das es besser wäre, wenn man nur in einer Zeitform schreibt. Ich bekomme es trotzdem nicht hin. Asche über mein Haupt. Das hat sich einfach so in meinen Schreibstil eingenistet. Ich lese meinen Text auch immer zur Kontrolle. Einmal während des Schreibens und dann auch im Nachhinein noch mal. Manchmal fallen mir Fehler auf, dann korrigiere ich sie. Aber gerade was die Zeitformen angeht, sehe ich das nicht immer. Falls es also tatsächlich mal arg störend sein sollte, dann bitte mich direkt darauf hinweisen wo der Fehler liegt und ich würde das korrigieren! Es mag an meiner verqueren Logik liegen, dass ich dann doch mal eine andere Zeitform in meinen Sätzen benutze, weil ich unbewusst denke: da muss jetzt aber Präsenz hin statt Präteritum. Muss man nicht verstehen ^^' Ich kann nur darum bitten mich zu verbessern und hoffe einfach mal, dass mein Schreibstil dadurch nicht in einem Kauderwelsch endet.


    Eine Welt ohne viel Papier stelle ich mir genauso schrecklich vor. Ich gehöre auch zu denen, die lieber ein Buch statt ein eBook kaufen. Dementsprechend platzt mein Schrank aus allen Nähten. Es hat natürlich auch seine Vorteile, wenn man die Technik hat (eBooks). Und genau das ist es, was unter anderem im Mittelpunkt dieser Geschichte steht: diese krassen Gegensätze. Ich erörtere auf meine Weise die Vor- und Nachteile von Technik und Natur. Was ist besser, was ist schlechter, wo fängt das Problem an, wo ist die Lösung vorhanden? Es soll zum Nachdenken anregen, nicht nur über Tenaturik selbst, sondern auch über unsere Welt, wenn man die sich mal so anschaut. Ist Fortschritt immer gut oder sollte man sich da nicht doch mal entscheidende Fragen stellen?


    Nadeya: Der Name als solches besitzt keine Bedeutung. Zumindest keinen mir bekannten, da ich den Namen frei für mich erfunden habe. Ob der ggf. mal woanders vorkommt, kann schon sein, aber davon weiß ich dann einfach nichts ^^
    Der Name ist aber hier nicht zum ersten Mal von mir in Verwendung. Ich selbst bin noch auf Logd-Servern unterwegs, wo ich mal einen Charakter hatte, der Nadeya hieß. Das war der erste Einsatz gewesen. Da ich den Namen mochte, habe ich ihn für meine kleine Hauptheldin in Tenaturik verwendet, da der andere Char auf dem Logd-Server nicht mehr vorhanden ist.
    Was allgemein Namen angeht, versuche ich sie mir meistens auszudenken. Einfach um die Andersartigkeit darzustellen. Die Welten, in denen ich schreibe, sind oft frei erfunden und ja sicher ist es cool, wenn ein Name eine besondere Bedeutung hat. Aber meistens nehme ich Abstand von Fremdsprachen, damit man nicht auf die Idee kommen könnte: oh das ist französisch angelehnt, oh das ist Latein oder ähnliches.
    Die anderen vorkommenden Namen in Tenaturik bisher sind im Gegensatz zu Nadeya doch ziemlich … normal, finde ich. Aber auch dazu kann ich was erzählen: Jessi und Daiske (eigentlich ursprünglich Daisuke) sind zwei Namen und auch zwei Charaktere, die von Anfang an in meinem Kopf existiert haben, seit ich mir Geschichten ausdenke. Sie sind von der Persönlichkeit mit dem Namen stark verbunden. Jessi ist einfach Jessi, die ordentlich drauf hauen kann und keinen Blatt vor den Mund nimmt, wenn es nötig ist. Daiske hingegen (oder auch Daisuke bzw. eigentlich auch Dash s. meine erste FF) ist der Typ, der lockerer drauf ist und durch Jessis eher Ernsthaftigkeit (die manchmal trotzdem zum Lachen ist) die Situation auch etwas entschärft und auffrischt. Die zwei sind ein Duo, die ich nicht getrennt voneinander schreiben kann. Sie tauchen stets im Doppelpack auf und werden hier in Tenaturik auf jeden Fall Nadeya weiterhin unterstützen. War das jetzt zu viel gespoilert? Ich hoffe nicht …



    Noch einmal herzlichen Dank für dein Interesse! Ich finde es auch sehr amüsant, dass du bereits Jessi und Daiske magst bzw. dich für diese interessiert. Vor allem Jessi, wo die doch nicht viel im ersten Kapitel von sich gegeben hatte ^^


    Ich freue mich sehr, dass ich dich für meine Story begeistern konnte und hoffe natürlich, dass ich dich weiterhin als Leserin behalten kann bzw. dich dann nicht irgendwann enttäusche :)


    Bis zum nächsten Mal! <3
    Alexia Drael

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  • 3. Kapitel - N1-7365-VX


    17. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Fernab von Synoria – Dschungelland


    Ganz fest wurden die Zähne aufeinander gepresst, damit man sich nicht versehentlich auf die Zunge biss. Ein weiteres Durchrütteln sorgte dafür, dass Nadeyas Magen protestierte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich festzukrallen und zu hoffen, dass sie das alle hier lebend überstanden. Kaum hatten sie das schützende K-13 hinter sich gelassen und flogen über die Stadt hinweg, hatte bereits das Ordnungs- und Sicherheitsamt sie entdeckt und damit begonnen sie zu attackieren. Man hatte ihnen nicht einmal groß die Möglichkeit gelassen, sich doch noch zu ergeben.
    »Festhalten!«, brüllte ihr Vater, was eigentlich überflüssig war. Nadeyas Fingernägel bohrten sich bereits in die Armlehne ihres Sitzes. Sie fürchtete bereits, dass sie bald ganze Löcher hinein gebohrt haben würde. Ein weiteres Rütteln, ein weiteres Aufpiepen der Geräte und der Mechanik des Flug­gleiters. Es blinkte ein oranges Licht am Steuerungscockpit, welches die Piloten warnen sollte, dass es arge Schwierigkeiten gab. Nadeya kannte sich mit der Technik nicht aus. Sie hatte nie ein Verständnis dafür besessen und sich auch nicht sonderlich dafür interessiert. Lieber überließ sie das Wissen Daiske, der mehr als begeistert von dem ganzem Zeug war. Doch auch er war extrem angespannt und versuchte den Fluggleiter noch ein Weilchen in der Luft zu halten. Jessi, die langsam mehr als genug hatte, sah zu Nathan rüber.
    »Ich ballere sie ab, ich ballere sie ab!«, brüllte sie zu ihm rüber. Nathan warf ihr einen genervten Blick zu. Keiner von ihnen war scharf darauf das Feuer zu eröffnen, um andere Leben zu bedrohen. Jedoch mussten sie der Tatsache ins Auge blicken, dass ihr eigenes Leben mehr als bedroht war. Warum also nicht zurückschießen? Die Schusswaffen des Fluggleiters waren nicht die gefährlichsten, aber sie waren in der Lage Schaden anzurichten, wenn es denn sein musste. Was konnten sie jetzt noch machen? Sie mussten fliehen, so oder so. Nathan nickte Jessi zu. Er wusste, wie temperamentvoll das Weib sein konnte. Sie scheute sich nicht, sich in einen Kampf zu stürzen. Wenn es darum ging jemanden zu vermöbeln, war sie an vorderster Front. Das mochte den Eindruck erwecken, als würde sie aggressive Brutalität bevorzugen und ja, vielleicht war das teilweise auch so. Aber Jessi war noch nie besonders gut mit Worten und noch viel weniger gut in Diplomatie gewesen. Wenn jemand sie dumm anmachte oder ihr Leben oder das der anderen bedrohte, dann war sie mehr als bereit sich in einen Kampf zu stürzen. Nathan wusste, dass sie ein guter Soldat gewesen wäre, hätte sie jenen Weg eingeschlagen. Doch trotz Jessis Kampfbereitschaft hatte sie nie das Bedürfnis gehabt, für die Regierung zu arbeiten.
    »Alles Vollpfosten!«, hatte sie mal gemeint. Sie war nicht besonders zufrieden mit der Regierung oder mit der Vorgehensweise, die das Ordnungs- und
    Sicherheitsamt präsentierte. Lieber ging sie ihren eigenen Weg. Auch wenn das hin und wieder bedeutete, dass sie direkt mit dem Kopf durch die Wand brach.
    »Es sind zu viele!«, rief Daiske, der die Situation vor sich auf dem Bildschirm analysierte. Drei Quadcopter waren rechts von ihnen. Sie näherten sich unaufhörlich. Da diese aber im Gegensatz zu ihrem kleinen Fluggleiter ein wenig schwerfälliger waren, würden sie ihnen durchaus entkommen. Vorausgesetzt die Technik machte es noch mit. Sie hatten bereits ein paar Treffer einstecken müssen. Es waren zwar noch keine schwerwiegenden Treffer gewesen, weil sie sich immer noch in der Luft halten konnten, aber das hieß nicht, dass das weiterhin so bleiben würde.
    Jessi hatte bereits die Steuerung über die Schusswaffen des Fluggleiters übernommen und begann damit auf den erstbesten Feind zu zielen.
    Feind. Wie hatte es soweit kommen können? Und das alles nur wegen einer Fremden? In einem kurzen Moment, wo der Fluggleiter gerade nicht durchgerüttelt wurde, wagte Nadeya sich links von ihrem Sitz etwas hinaus zu lehnen, um nach hinten zu sehen. Sie konnte die Bewusstlose nicht richtig erkennen, aber das war auch nicht nötig. Sie wusste, dass sie dort im hinteren Bereich auf einer Pritsche lag. Alles wegen ihr. Trotzdem war es Nadeya nicht möglich, sauer auf die Fremde zu sein. Dabei hatte sie eigentlich gute Gründe ihr Vorwürfe zu machen. Sie blickte wieder nach vorn und sah in diesem Augenblick, wie Jessi bereits die erste Salve auf eines der herannahenden Flugschiffe abfeuerte. Es gab ein paar Treffer, was soweit ausreichte, um an dem anderen Flugschiff vorbei zu sausen, ohne dass es ihre Verfolgung aufnahm. Jessi war ziemlich gut darin zu zielen. Sie grinste diabolisch über das ganze Gesicht.
    »Manchmal machst du mir echt Angst, Jess«, meinte Daiske nebenbei, als er kurz zu ihr sah.
    »Wir müssen sie abhängen, wenn wir hier lebend heraus kommen wollen«, meldete sich Mark Brian O‘Cellaigh zu Wort. Daiske hatte den Typen fast vergessen, bis er wieder den Mund aufmachte. Dementsprechend verzog er auch das Gesicht.
    »Warum war er noch mal hier?«, wollte Daiske erneut angesäuert wissen, aber Nathan gab immer noch keine Antwort darauf. Nadeyas Vater war viel zu sehr damit beschäftigt den Fluggleiter an den Hochhäusern von Synoria vorbei zu manövrieren und gleichzeitig auch den Quadcoptern auszuweichen, die immer wieder versuchten ihnen den Weg abzuschneiden oder sie beschossen.
    Die Passanten weit unten am Boden sahen auf, als sie die Schüsse hörten. Aber keiner von ihnen brach in Panik aus. Manche blieben zwar stehen und starrten zum Himmel hinauf, aber niemanden kam es in den Sinn in Deckung zu gehen. Angst war ein Gefühl, das ausgeschaltet war. Genauso wie Panik oder Sorge. Sie sahen die Flugschiffe des Ordnungs- und Sicherheitsamtes und wussten dadurch, dass alles in Ordnung war. Das Amt würde sich um das Problem kümmern, die Bürger der Stadt hatten nichts zu befürchten.
    Nadeya konnte natürlich aus der Höhe nicht die Gesichter oder die einzelnen Menschen sehen. Aber das musste sie auch gar nicht. Sie wusste ganz
    genau wie sie alle tickten. Wie ruhig sie waren. Wie Zombies. Konnte man es anders beschreiben?
    »Hat sich eigentlich schon mal jemand überlegt, wohin wir fliehen sollen?«, meldete sich Daiske wieder zu Wort. Er und die anderen verspürten das Aufkommen von Panik und Angst. Immerhin mussten sie um ihrer aller Leben fürchten. Na gut, was Mark Brian O‘Cellaigh betraf, konnte man sich nicht sicher sein, ob dieser Typ überhaupt was fühlte oder spürte. Aber der Rest der Besatzung dieses Schiffes hatte durchaus Angst das Leben zu verlieren. Von ihnen wollte keiner abgeschossen werden, doch sie alle würden lieber den Tod wählen als sich vom Amt gefangen nehmen zu lassen. Es gab schlimmeres als den Tod, wenn man in der Gefangenschaft des Amtes war.
    Nadeya hatte nur Gerüchte gehört. Dumme Geschichten, die man den Kindern erzählte, um ihnen einzubläuen wie der Hase langläuft und was man zu tun und zu lassen hatte. Allerdings wagte sie diese Geschichten gerade auch nicht anzuzweifeln. Jedenfalls war sie nicht bereit dazu herauszufinden, ob
    daran wirklich etwas Wahres dran war.
    »Erst mal von hier weg und alle abhängen, danach sehen wir weiter«, antwortete Nathan nebenbei auf Daiskes Frage. Der hatte zwar mehr erwartet, nahm es allerdings jetzt einfach hin.
    Der Fluggleiter glitt haarscharf an dem riesigen Monument des nördlichen Hauptplatzes entlang. Es war eine gewaltige Statur des Gründers und ersten Präsidenten des vereinigten Daraiums. Mit ihm war auch das Ordnungs- und Sicherheitsamt ins Leben gerufen wurden. Obwohl das schon mehrere Hundert Jahre lang her war, verehrte man diesen Mann von damals bis heute noch. Ja, manche vergötterten ihn regelrecht als wäre er ein Heiliger. Nadeya hatte sich nie dafür begeistern können. Die Mimik des Mannes wirkte hart auf dem Monument. Zugegeben, es handelte sich um eine Steinstatue. Vielleicht hatte dieser Mann auch ein warmes freundliches Lächeln besessen. Aber man konnte nicht verleugnen, dass mit ihm auch das kalte Zeitalter begonnen hatte. So nannte es Nadeya. Kalt in dem Sinne, dass die Gefühle nach und nach verloren gegangen waren.
    »Vorsicht! Links ist … !« Bevor Daiske seinen Satz beenden konnte, riss Nathan den Fluggleiter in die Höhe, um einem Schuss zu entkommen. Ein Quadcopter war hinter einem Gebäude aufgetaucht und hätte sie fast erwischt. Gerade rechtzeitig hatte Nadeyas Vater dafür gesorgt, dass der Fluggleiter eine geschickte Wendung machte damit sie dem Tod entkamen. Das bedeutete
    allerdings auch, dass dafür andere sterben mussten.
    Nadeya sah, wie der Schuss, der für sie bestimmt war, in einem der nahen Gebäude einschlug. Sofort loderte eine Flamme auf. Glas war zerborsten und Schreie hallten durch die Luft. Rauch stieg in den Himmel auf während einige Trümmerstücke vom Gebäude in die Tiefe stürzten. Das Gebäude war stabil genug gebaut, um durch den Schuss nicht in sich zusammen zu fallen. Aber es war ein Bürogebäude gewesen, wo tagtäglich Tausende von Menschen arbeiteten. Nadeya wollte nicht wissen wie viele durch diesen Fehlschuss ihr Leben ausgehaucht haben. Sie schluckte und wünschte sich in eine Zeit zurück, die viel friedlicher war. Zurück in die Bar ihres Vaters, noch bevor die Fremde aufgetaucht war. Noch bevor das Ordnungs- und Sicherheitsamt aufgetaucht war, um ihnen Ärger zu bereiten.
    Sie hätten die Fremde ausliefern sollen.


    Jessi jubelte auf, als sie einen Quadcopter traf, der notgedrungen zur Not­landung ansetzen musste, bevor er endgültig in die Tiefe stürzte. Damit hatten sie einen Verfolger weniger. Trotzdem gab es immer noch welche, die hinter ihnen her waren. Je weiter sie sich allerdings von der Stadt entfernten und mehr und mehr über den Dschungel hinweg flogen, desto besser konnten sie entkommen. Der Fluggleiter war flinker und vor allem war er wendiger. Nathan nutzte diesen Vorteil aus, um in den Wipfeln des Dschungels unterzutauchen und an den riesigen Ästen und Stämmen vorbei zu fliegen. Das Amt hatte keine Chance ihnen auf diesem Weg zu folgen. Die Manövrierfähigkeit ihrer Flugschiffe war dafür nicht geeignet. Tja, hätten sie doch nur andere Flugzeuge genutzt, dann würden die Aufständischen ihnen nicht so ohne Weiteres entkommen.
    Dass sie allerdings noch nicht so schwer getroffen worden waren, kam Nadeya wie ein Wunder vor. Sie wollte sich noch nicht in Sicherheit wiegen.
    Davon ganz abgesehen, dass sie dem Dschungel nun viel näher waren als zuvor. War das besser oder schlechter? Ihr Vater steuerte den Fluggleiter wieder in höhere Regionen, so dass sie über den Bäumen hinweg fliegen konnten. Keiner von ihnen fühlte sich besonders sicher, wenn sie dem Dschungel so nahe waren. Es war, als hätten sie alle den Atem angehalten, denn es war im Fluggleiter fast totenstill. Als würden sie die nächste Katastrophe erwarten. Irgendeine Gefahr, die aus dem Dschungel kommen würde und sie verschlang. War das nicht lächerlich? Angst vor ein paar Bäumen zu haben …
    Aber es war nicht die Angst vor den Bäumen. Es war eher die Furcht davor, was in dem Dschungel lauern konnte und sollte. Das, was niemand kannte oder begreifen konnte und von dem doch jeder wusste, dass es existierte. Die Frage war nur: Was war es? Keiner konnte darauf eine exlizite Antwort geben.
    »Haben … wir es geschafft?« Nadeya war es, die zaghaft ihre Stimme erhob, um einerseits die Stille zu vertreiben, andererseits sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich nicht mehr verfolgt wurden.
    Daiske, der die Überwachung übernommen hatte und alles analysierte, was sich auf seinem Bildschirm abspielte, war es auch, der ihr antwortete.
    »Verfolgt werden wir nicht mehr. Ich glaube wir sind si… Nein halt. Was ist das? Hä?« Verwirrung spiegelte sich in Daiskes Stimme wieder.
    »Was ist los?«, wollte Nathan wissen und sah kurz rüber zu Daiske, der immer noch verwirrt auf seinen Bildschirm sah und auf der Tastatur ein paar Befehle eintippte.
    »Das kann doch gar nicht sein. Das verstehe ich nicht.« Es schien als würde Daiske mit sich selber reden.
    »DAI! Raus mit der Sprache, was ist los?!«, wollte nun Jessi wissen, die nicht für ihre Geduld bekannt war.
    »Das Ortungssystem ist ausgefallen. Es spielt völlig verrückt. Es … ah!« Nicht nur Daiske schrie erschrocken auf. Auch Nadeya. Ein heftiger Ruck ging durch den Fluggleiter, brachte alles zum Wackeln. Dinge, die nicht niet- und nagelfest waren, flogen durch den Raum. Sie wurden in die Sitze gedrückt und konnten froh sein, dass die Sicherheitsgurte sie festhielten, sonst wären sie allesamt durch den Raum geschleudert wurden.
    In der nächsten Sekunde drehte sich bereits alles. Nadeya wusste nicht wie ihr geschah, was hier vor sich ging. Sie hörte nur ihren Vater brüllen, dass sie sich festhalten sollten. Mal wieder. Dabei hatte sie immer noch nicht von den Armlehnen los gelassen, als wären ihre Finger mit diesen verwachsen. Sie sah nicht viel, außer dass sich alles drehte.
    Dann wurde alles schwarz um sie herum.


    »Nadeya? Nana? Komm schon, wach auf!« Die Stimme klang sehr vertraut und warm, wie auch besorgt. Leider war sie nicht dazu fähig den pochenden Schmerz im Kopf zu beseitigen, weshalb sich ein schmerzhaftes Stöhnen über die geschwungenen Lippen Nadeyas stahl. Es dauerte ein bisschen bis sie die Augen öffnen konnte, doch alles was sie sehen konnte, war nur ein verschwommenes Bild. Ohne es wirklich mitbekommen zu haben, hatte sie ihre rechte Hand nach oben ausgestreckt, die von zwei warmen Händen umfasst wurden und ihr dabei halfen sich aufsetzen. Ihre andere freie Hand legte sich an ihren Kopf, weshalb sie gleich wieder zusammen zuckte.
    »Au!«
    »Vorsicht! Du hast dir den Kopf gestoßen«, ertönte wieder die bekannte sanfte Stimme. Nadeya gab als Antwort nur ein weiteres Stöhnen. Sie hatte die Augen wieder geschlossen und atmete tief durch, lauschte in sich hinein und stellte fest, dass auch andere Teile ihres Körpers schmerzten. Das war doch ein gutes Zeichen, oder? Solange sie etwas spüren konnte, war sie sich sicher nicht irgendetwas verloren zu haben. Um jedoch ganz sicher zu gehen, öffnete sie wieder die Augen. Diesmal war die Sicht klarer. Alles war noch dran. Sie sah ihre Füße, die von den dunklen Stiefeln eingehüllt waren. Sie sah ihre Beine, an deren rechtem Knie sich ein Loch in dem Stoff befand. Es war aufgerissen und die Haut darunter war aufgeschürft, aber es war nicht weiter tragisch. Ihr restlicher Körper schien weitestgehend intakt zu sein. Ihre Bauchregion war nicht verletzt. Sie hatte keine blutigen Wunden davon getragen, nur einige blaue Flecken. Gut, ihr Kopf war ein wenig angeschlagen wie sie feststellen musste. Denn dort, wo sie mit ihrer Hand diesen berührte, konnte sie das feuchte Blut spüren. Es war allerdings nur oberflächlich und Daiske war bereits dabei, sich darum zu kümmern und ihr ein Tuch auf die Wunde zu drücken.
    »Autsch. Was ist passiert?«, wollte sie wissen und verzog noch einmal das Gesicht. Bis auf die Kopfschmerzen fühlte sie sich weitestgehend gut.
    »Wir wurden von irgendwas getroffen. Leider weiß ich nicht von was. Jedenfalls sind wir abgestürzt und hatten riesiges Glück nicht zerschellt zu sein.« Daiske deutete zur rechten Seite. Nadeyas Blick folgte ihm und sie sah den Fluggleiter. Ramponiert, wenn auch nicht in Einzelstücke zerlegt. Er hing absurd in dicken Ranken nur knapp über dem Boden.
    Ranken? Nadeyas Blick huschte weiter, sie sah sich um. Doch alles, was sie sehen konnte, war grün. Überall war es grün. Sie waren förmlich davon umgeben.
    »Sind wir etwa … ?«, begann sie zu fragen.
    »Im Dschungel? Jab«, bestätigte Daiske und half ihr dabei aufzustehen. Er schien nichts weiter abbekommen zu haben. Nadeya fiel ein, dass Daiske und sie nicht allein gewesen waren. Was war mit Jessi und ihrem Vater? Sofort suchte sie die beiden und fand sie nur ein paar Meter von sich entfernt. Jessi hockte auf dem Boden an einem riesigen dicken Baumstamm gelehnt. Sie war blass im Gesicht und Nathan hockte neben ihr und fummelte an ihrem Arm herum.
    Tapfer biss Jessi die Zähne zusammen. Vorher hatte sie scharf die Luft eingesogen. Sie wollte nicht schreien, nicht jammern, aber es war offensichtlich, dass sie litt.
    Nadeya achtete nicht weiter auf Daiske und rannte zu ihrer Freundin hinüber, um sich auf ihrer anderen Seite niederzulassen.
    »Was ist passiert?«, wollte sie wissen.
    »Beim Absturz hat sie sich ihren Arm gebrochen«, antwortete Nadeyas Vater, der gerade dabei war behelfsmäßig eine Schiene anzulegen. Zum Glück kannte sich Nathan ein bisschen mit der medizinischen Versorgung von Wunden aus. Aber es wäre definitiv besser, wenn sie eine ärztliche Station aufsuchen könnten. Allerdings würden sie hier im Dschungel so etwas nicht finden und wenn sie sich den Fluggleiter ansahen, würden sie mit diesem auch nicht mehr weit kommen können.
    »Geht es euch sonst gut?«, wollte Nadeya besorgt wissen und sah von Jessi zu ihrem Vater, der sich eher wortkarg gab.
    »Ja.« Er war nie der Typ gewesen, der viel jammerte oder sich über irgend­etwas aufregte. Er machte das im Stillen. Gefühle nach außen zeigen, war für ihn immer eine Herausforderung gewesen. Aber wen wunderte es, wenn man in einer solchen gefühlskalten Welt aufgewachsen war? Trotzdem empfand Nadeya ihren Vater als einen viel wärmeren Menschen als die meisten, die sie sonst auf der Straße traf. Er mochte auf den ersten Blick wie ein Fels wirken, von dem nicht viel kam. Aber er war ihr Dad und er hatte sie schon immer beschützt und nie von ihr verlangt, dass sie alles zurückhielt. Nicht, wenn sie unter sich waren. Sie hatte bei ihm weinen wie auch lachen dürfen. Umso trauriger machte es sie, dass er leider nicht so ungezwungen seine Gefühle preis geben konnte.
    Nadeyas braune Augen kehrten zurück zu Jessi, die immer noch blass war. Aber auch diese war der Meinung, dass man sich keine Sorgen um sie machen musste. Jessi war kein Jammerlappen. Sie konnte zwar ordentlich Dampf ablassen, aber Nadeya hatte sie noch nie weinen sehen. Sie schluckte alles runter und versuchte einfach weiter zu machen, egal was kam. Sie bewies Stärke, auch jetzt. Ein gebrochener Arm war ganz gewiss nicht angenehm, aber es war auch kein Weltuntergang. Nicht für Jessi.
    »Was machen wir denn jetzt? Irgendeine Idee wie wir wieder hier raus kommen?« Daiske hatte sich gemeldet. Seine Frage war berechtigt. Wenn sie hier mitten im Dschungel waren, würden sie ewig brauchen, um die nächste Stadt zu erreichen. Sofern sie herausfanden, wo die nächste lag. Es war schwer, eine Orientierung zu finden.
    Nachdem Nathan Jessis Arm provisorisch geschient und einen Verband angelegt hatte, stand er auf, um sich noch einmal umzusehen.
    »Ich würde sagen, wir sitzen gehörig in der Scheiße.«
    »Dad!«
    Normalerweise waren es die Eltern, die ihre Kinder ermahnten, wenn sie Schimpfwörter in den Mund nahmen. In diesem Fall war es andersherum. Nathan zuckte nur mit den Schultern. Immerhin hatte er Recht damit.
    »Wenn wir nicht schleunigst aus dem Dschungel kommen, haben wir ein echtes Problem. Ich will nicht wissen, was hier los ist, sobald die Sonne untergegangen ist.«
    Das Problem an der Sache war, dass es nur noch ein paar Stunden zum Sonnenuntergang waren. Sie hatten also nicht mehr viel Zeit.
    »Im Norden liegt die Stadt Sytrax. Wenn wir uns bis dorthin schlagen können, sind wir sicher.« Als eine Stimme diesen Vorschlag in den Raum warf, drehten sich alle um und blickten auf Mark Brian O‘Cellaigh. Auch er hatte den Absturz halbwegs unverletzt überlebt. Bis auf ein paar Kratzer, Schürfwunden oder kleine Prellungen waren sie alle recht gut davon gekommen. Bis auf Jessi mit ihrem gebrochenen Arm. Es hätte schlimmer enden können. Dass sie noch lebten, war wirklich reines Glück. Die Frage war jetzt nur, wie lange dieses Glück anhalten mochte. Mitten im Dschungel sein zu müssen, ließ die Überlebenschance auf ein Minimum hinab sinken.
    Wenn Nadeya darüber nachdachte, konnte sie das gar nicht so recht nachvollziehen. Was ihre Augen sahen, was ihre Ohren hörten und ja, was selbst ihre Nase wahrnahm, erschien ihr nicht feindlich. Sie konnte im Dschungel nichts entdecken, was ihr Leben bedrohen könnte. Noch nicht. Alles was sie sah, waren riesige Bäume, die bis in den Himmel hinauf wuchsen. Blätter, Ranken, Farne, etliche Büsche, wohin das Auge sah. Dieser Ort strotzte nur so vor Leben. Sie konnte es regelrecht fühlen.
    Es kam ihr vor, als würde sie sich zum ersten Mal richtig lebendig fühlen. Wenn sie an die Stadt zurückdachte, dann war dort alles kalt, trist und grau. Gut, die Stadt wirkte weiß aufgrund des speziellen Materials, was verbaut worden war. Und auf eine absurde Art und Weise war es auch eine kalte Schönheit, die die Städte von sich ausstrahlten. Aber im Vergleich zu dem wilden Dschungel, in dem sie sich befanden, wirkten die Städte fast tot.
    Am liebsten würde sie loslaufen und die hier anwesende Botanik genauer anschauen. Sie wollte die Blüten betrachten, die sie hier und da entdecken konnte, wollte sehen, welche Geschöpfe in den Ästen der Bäume kletterten und entlang flogen und diese seltsam anmutigen Melodien von sich gaben. Dem Zwitschern eines Vogels zuzuhören wäre in den Städten so gut wie undenkbar. Die Natur hielt sich fern von den Städten. Man konnte sich das kaum vorstellen, wenn man nicht in solch einer Welt aufgewachsen wäre.
    Nadeya lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zu den anderen und bekam gerade noch mit, wie Daiske sich über den Kerl aufregte, der sich hier angeblich aufplusterte. Nach Norden, wie weit müssten sie denn nach Norden laufen? Sie würden doch kaum die Nacht hier überstehen! Und was war eigentlich mit der Fremden? Wo war diese?
    Nadeya blickte an den anderen vorbei und sah die Gesuchte auf beiden Beinen stehen. Ohne auf die Streithähne zu achten, marschierte Nadeya direkt auf die andere zu und blieb vor ihr stehen. Diese stand etwas vornüber gebeugt da, hielt sich mit der linken Hand am rechten Arm fest und wirkte immer noch schwach. Aber sie lebte. Soweit konnte das Nadeya beurteilen. Dabei hatte sie noch in der Unterstadt gedacht, dass diese Frau fast tot war.
    »D-Danke.« Das war das Erste, was über die Lippen der Fremden kam.
    Nadeya starrte sie einfach nur an. Unfähig ihr Fragen an den Kopf zu werfen, noch irgendetwas anderes von sich zu geben. Sie betrachtete die schwarzen Haare der Frau, die immer noch zerzaust wirkten. Ihr Blick glitt an ihrem Körper hinab, fixierten die Stellen, die vom getrockneten Blut bedeckt waren. Nadeya hätte nicht erwartet, dass die Fremde überhaupt in der Lage war sich noch zu bewegen. Möglicherweise war sie doch nicht so stark verletzt gewesen wie sie erst angenommen hatte?
    »Wer seid Ihr?« Endlich konnte Nadeya ihre Stimme wieder einsetzen. Es wurde Zeit ein paar Fragen zu stellen, damit endlich ein paar Antworten auf den Tisch kamen.
    »Mein Name ist Natascha. Oder wie das Forschungsinstitut mich nennt: N1-7365-VX.«
    »Ihr seid eine Humanoide.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung und sie kam nicht von Nadeya, sondern von Mark Brian O‘Cellaigh, der wie die anderen zu Nadeya und Natascha gekommen war. Letztere senkte den Blick, als wäre ihr diese Tatsache unangenehm. Das verstörte Nadeya umso mehr. Natascha wirkte so … menschlich. Wie konnte eine Humanoide so viel mehr Gefühl zeigen als richtige Menschen? Verlegenheit, Zweifel, Angst – das alles hatte Nadeya bereits schon bei Natascha gesehen, seit sie aufgetaucht war. Sie blutete sogar richtig, auch wenn man an ihrer Seite den metallenen Körper sehen konnte.
    »Moment mal? Wir haben unser Leben für eine Humanoide aufs Spiel gesetzt? Das soll doch wohl ein verdammter Scherz sein!« Daiskes Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Er stand kurz davor völlig auszurasten. Wegen einer Humanoiden in solch eine Gefahr zu geraten, war etwas, was ihm überhaupt nicht gefiel. Jessi war da ganz seiner Meinung. Ihre Gesichtszüge verfinsterten sich. Was Nadeya davon halten sollte, wusste sie nicht. Sie war einfach nur ratlos, unfähig Wut zu empfinden, aber genauso auch unfähig zu sagen, was sie sonst fühlen sollte.
    »Schlimm genug, dass dieser verdammte Militärfuzzi bei uns ist!«, brüllte Daiske und deutete auf Mark Brian O‘Cellaigh, der sich nach wie vor nicht aus der Ruhe bringen ließ.
    »Aber diese Humanoide ist ja wohl die absolute Krönung!« Die Situation und vor allem die Stimmung hätte kaum schlechter sein können.




    [tabmenu][tab=Ein paar Dankesworte]
    An dieser Stelle möchte ich meinen Dank aussprechen (auch wenn es eher an Personen geht, die nicht unbedingt im Bisaboard vertreten sind, leider.)



    Erst einmal lieben Dank an Feechen (Feendrache), die mich ermutigt hat Fanfiction als solches zu schreiben und zu veröffentlichen. Obwohl ich seit Jahren schreibe, habe ich das eher für mich getan. (Außerdem ist sie eine liebe Freundin von mir mit der ich oft Sushi essen gehe, yeah.)
    Herzlichen Dank an Daniel, der mir ein paar Tipps bzgl. Technik (Flugzeugmöglichkeiten) gegeben hat. Hat mir auf jeden Fall geholfen. Ich bin echt unwissend, was den technischen Kram angeht.
    Danke an meine Betaleser, die meine Texte korrigieren und natürlich auch einen herzlichen Dank an diejenigen, die sich für meine Geschichte begeistern können und eifrig mitlesen!



    Ich freue mich auf weiteres Feedback, Kommentare (und auch Korrekturen damit ich alle Fehler beseitigen kann) und bemühe mich das nächste Kapitel euch bald liefern zu können.
    Wenn ich ganz gut bin, schaffe ich es vielleicht schon morgen, yeah. Da ich nämlich eine Idee im Kopf habe, die ich unbedingt einbringen möchte, weswegen ich weder euch noch mich lange warten lassen möchte.


    PS: im Startpost findet ihr ein Bild von Nadeya!


    [tab=Fragen]
    Und hier sind die Fragen zum aktuellen Kapitel:



    1. Wie gefällt euch der bisherige Verlauf der Geschichte?
    2. Was würdet ihr machen, wenn ihr mitten im Dschungel sein würdet? Was wäre eure Überlebensstrategie?
    3. Humanoide – erschaffene menschliche Roboter, ohne Seele und Gefühle. Was haltet ihr von denen und würdet ihr einem solchen Humanoiden helfen, wenn er euch darum bittet oder würdet ihr diesen eher doch als Maschine betrachten und ihn sich selbst überlassen?
    4. Wart ihr überrascht darüber wer die Fremde ist? Oder habt ihr damit gerechnet?


    Ich stelle nicht die Frage ob man was mit dem Kapitelnamen anfangen kann. Ich weiß ganz genau, dass man es nicht kann bis man das Kapitel komplett gelesen hat, haha. [/tabmenu]

  • 4. Kapitel - Biowalküre


    17. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: fernab von Synoria – Dschungelland


    »Daiske«, sagte Nathan und legte dem jüngeren Mann eine Hand auf die Schulter.
    »Beruhige dich. Es bringt nichts sich jetzt aufzuregen.« Daiske sah nicht so aus, als ob er auf Nathan hören wollte. Er holte Luft, um eine weitere Schimpftirade heraus zu lassen, aber es kam nichts. Abgesehen von dem Knurren und dem empörten Schnauben versuchte er sich nun etwas zurückzuhalten. Das bedeutete für ihn aber noch lange nicht, dass er mit all dem hier einverstanden war. Der Humanoiden traute er kein Stück über den Weg und das Mark Brian O‘Cellaigh hier anwesend war, gefiel ihm genauso wenig.
    »Unsere Priorität sollte sich vorerst darauf beschränken, aus diesem Dschungel lebend wieder heraus zu kommen. Um alles weitere können wir uns später noch kümmern. Seit ihr damit einverstanden?« Nathan sah sehr ernst von einem zum anderen. Wenn sie sich jetzt gegenseitig das Leben schwer machten, würden sie nicht weit kommen. Solange sie hier waren, mussten sie an einem Strang ziehen. Mag sein, dass das hier nicht die beste Situation war, aber genau deswegen mussten sie das Beste daraus machen. Was blieb ihnen anderes übrig? Nathan war pragmatisch veranlagt.
    Nacheinander nickten sie ihm alle zu und waren vorerst mit seinem Vorschlag einverstanden. Daiske hingegen würde ein waches Auge auf die beiden Fremden haben. Was die Humanoide vorhaben könnte, war nicht sicher. Als menschlicher Roboter war sie vermutlich auf irgendein Ziel programmiert. Und was Mark Brian O‘Cellaigh anbelangte, war Daiske erst recht miss­trauisch. Er gehörte zum Militär und war keineswegs nur einfacher Fußsoldat. Dieser Mann war bekannt für seine konsequente Vorgehensweise. Ihm als Feind zu begegnen war das Schlimmste, was einem passieren konnte. So sagte man. Gnade, Mitleid und Erbarmen kannte er angeblich nicht. Daher befürchtete Daiske auch, dass dieser Mann ihnen allen ein Messer in den Rücken rammen würde, wenn sie nicht richtig aufpassten.
    »Dai, hör auf so finster drein zu schauen, sonst bekommst du noch Falten auf der Stirn«, scherzte Jessi und das, obwohl sie nicht viel zu scherzen hatte. Sie konnte ihren Arm dank des Bruchs nicht einsetzen und das war für sie echt von Nachteil. Noch dazu, weil es genau der Arm war, den sie primär nutzte. Um diesem Negativ auszuweichen lenkte sie lieber ihre Aufmerksamkeit auf die Gesamtsituation. Nicht an den Schmerz denken, nicht daran denken, was alles passieren könnte. Sie mussten versuchen zu überleben. Daher suchten und sammelten sie alles vom Fluggleiter ein, was sie im Gepäck mit dabei gehabt hatten. Proviant und vor allem auch Waffen. Wenn sie hier heil heraus kommen wollten, waren die Waffen unverzichtbar. Da jedoch der Fluggleiter mehr als dämlich in den riesenhaften Ranken der Bäume hing, war es nicht gerade einfach dort wieder in den Frachtraum zu kommen.
    Bei diesem skurrilen Anblick fragte sich Nadeya erneut, wie sie dort überhaupt heraus gekommen war, noch dazu lebend. Jetzt war sie es, die die Stirn in Falten legte. Ihr Blick wanderte zu den anderen, aber ihr Vater und Daiske
    waren damit beschäftigt, die verstreuten Sachen aufzuklauben. Zumindest das, was vorhanden war. Viel war es nicht, aber sie würden alles mitnehmen, was ging und vor allem was nützlich sein konnte. Jessi konnte leider nicht viel machen wegen ihres gebrochenen Arms. Natascha stand ein paar Schritte weit entfernt und beobachtete das Tun der anderen. Sie wirkte auf Nadeya mitgenommen, was sie immer noch sehr irritierte. Wenn es sich um eine
    Humanoide handelte, dürfte sie nicht so wirken. Ihre Augen huschten weiter zu Mark Brian O‘Cellaigh, der einige Schritte weiter gegangen war und hinauf gen Himmel sah. Ob er etwas erkennen konnte? Nadeya glaubte zu erahnen, dass er versuchte herauszufinden, in welcher Richtung Norden lag, um überhaupt einen Anhaltspunkt zu finden.
    »Der Kompass spinnt vollkommen«, murrte Daiske. Allgemein schienen die elektronischen Geräte in diesem Dschungelgewirr nicht sehr hilfreich zu sein. Lag es an der Präsenz der Natur? Nadeya sah sich wieder um, blickte hier und dort hin und auf einmal kam ihr der vor Leben strotzende Dschungel unheimlicher vor. Es war, als würde jeden Augenblick irgendwo etwas hinter einer Ecke hervor gesprungen kommen und sie anfallen. Dann erschreckte sich Nadeya tierisch und gab demnach einen erschrockenen Laut von sich. Jessi sah sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
    »Was ist denn los?« Es war Jessis Hand gewesen, die sie berührt hatte und die dazu geführt hatte, dass Nadeya sich erschrak. Nadeyas Herz schlug aufgeregt und ihr war das sichtlich peinlich. Ihre Verlegenheit über ihre schreckhafte Ader konnte sie nicht verbergen.
    »‘Tschuldigung«, nuschelte sie. »Der Dschungel macht mich ein wenig nervös.«
    »Ja, wen nicht?!«, antwortete ihr Jessi und blickte rüber zu den anderen.
    Daiske und Nathan schienen bereit zu sein. Sie haben sich offenbar auch abgesprochen in welche Richtung sie aufbrechen wollten.
    »Dann wollen wir mal«, meinte Jessi zu Nadeya und beide folgten den
    anderen. Einen letzten Blick warf Nadeya über ihre Schulter. Sie hatte das
    unheimliche Gefühl beobachtet zu werden, aber sie konnte nichts erkennen, was dieses Gefühl rechtfertigte. Trotzdem blieb sie besorgt. Die Faszination des Dschungels, die sie vorhin verspürt hatte, war wie weg geblasen. Jetzt hinterließ der Anblick ein beunruhigendes Gefühl in ihrem Bauch.
    Auch nach einer halben Stunde war nichts Aufregendes passiert. Der Dschungel war zwar nach wie vor präsent um sie herum, aber weder tauchte ein Monster auf, noch ließ sich das Amt blicken. Sie waren hier vollkommen allein. Zumindest hatte das den Anschein. Wenn man mal das Geraschel weit oben in den Wipfeln der Bäume ignorierte. Nadeya hatte bereits einen kurzen Blick auf so manches kleinere Tierchen erhaschen können. Neben den Insekten und anderen Krabbeltieren zu ihren Füßen, konnte sie manchmal eine Vogelart entdecken, die ihr gänzlich unbekannt war. Allgemein sah sie hier so viele Dinge, die ihr nicht bekannt vorkamen. Wenn sie so darüber nachdachte, war es eigentlich bedauerlich, dass man heutzutage in der Schule nicht mehr darüber unterrichtet wurde, was alles im Dschungel lebte. Stattdessen bestand die Ausbildung aus logischen Denkaufgaben, Vorbereitung auf wirtschaftliche Prozesse und natürlich wie man am besten Profit steigern konnte. Über die Natur wurde nicht viel gelehrt. Es wurde nicht darüber gesprochen, welche Tierarten man im Dschungel antreffen konnte noch welche Pflanzensorten es gab. Das einzig Biologische, was in der Schule behandelt wurde, war der menschliche Körper. Und selbst da ging es nur um langweilige Fakten, wie gut man jede Krankheit bekämpfen konnte und wie überflüssig die traditionelle Fortpflanzung von einst war.
    Kinder wurden gezeugt, nicht durch die Liebe der Eltern, sondern rein aus profitablen Gründen. Man brauchte einen Erben, also schaffte man sich einen Erben an. Wie? Mit künstlicher Befruchtung. Man verschwendete keine Zeit mit dem Akt als solchen. Die Absurdität ging so weit, dass geschäftige Frauen nicht ihre eigenen Kinder austrugen, sondern dafür Ersatzmütter nutzten. Selbst das war noch unpraktisch, denn die neunmonatige Schwangerschaft war vielen ein Dorn im Auge. Man wollte die Entwicklung beschleunigen.
    Nadeya wusste nicht, was sie davon halten sollte. Allein die Tatsache, dass Humanoide als Ersatzmütter herhalten sollten. Dass das überhaupt möglich war! Als zum ersten Mal dieses Thema in der Schule behandelt worden war, als wäre es das Normalste von der Welt, hatte damals auch Nadeya ihren Vater gefragt wie sie zur Welt gekommen war. Hatte es eine Humanoide gegeben, die sie ausgetragen hatte?
    Die Antwort war verblüffend gewesen, angesicht dessen wie man heute mit der Reproduktion des Menschen umging, als würde es sich um eine einfache Fabrikarbeit handeln. Nadeya hatte eine Mutter gehabt. Eine Mutter, die bereit gewesen war das Kind selbst auszutragen. Mit allen Begleiterscheinungen, die eine Schwangerschaft nun mal ausmachte. Selbst die Geburt, die kein Zuckerschlecken für eine Frau war. Trotzdem war das heutzutage nur noch schwer vorstellbar. Wenn Nadeya sich allerdings hier im Dschungel umsah und einen Blick auf kleine Tiere erhaschen konnte … Auf Vögel, die in den Ästen ihre Nester bauten oder kleine Nager, die an den Baumstämmen hinauf kletterten, dann wunderte sie es doch sehr. Der Mensch nutzte eine immer weiter entwickelte künstliche Reproduktion. Tiere waren dazu nicht in der Lage. Sie hatten keine Technik als Hilfe. Sie mussten also selbst für ihre Nachkommen sorgen auf ganz natürlichem Weg. Oder nicht? Je länger sie darüber nachdachte, desto verwirrender fand sie es. Sie hatte nicht genug Wissen, um sich diesen Weg der Fortpflanzung auch nur ansatzweise vorzustellen. Wenn die Reproduktion so lästig war, dass die Menschen es auf künstlichen Weg versuchten, war es dann sogar unangenehm? War es also eine positive Entwicklung, dass der Mensch einen anderen und wohl besseren Weg fand Kinder zu erzeugen?
    »Woran denkst du?« Eine Stimme holte Nadeya aus ihrer Gedankenwelt zurück in den Dschungel. Sie blickte auf und direkt in die violettfarbenen Augen der Humanoiden.
    »Ich … äh … « Nadeya ging auf, dass sie immer weiter zurück gefallen war. Die anderen waren bereits mehrere Meter weit entfernt und es würde nicht lange dauern, da würden sie einfach im Dickicht des Dschungels verschwinden, wenn sie nicht mit ihnen Schritt hielt. Natascha schien sich zurückfallen gelassen zu haben, um zu Nadeya zu kommen.
    »Du scheinst ein sehr nachdenklicher Mensch zu sein«, stellte Natascha fest. Auf ihrer Stirn bildete sich eine kleine Denkfalte. Nadeya starrte sie deswegen an und ihr huschten noch etliche andere Fragen und Gedanken durch den Kopf.
    »Du scheinst keine normale Humanoide zu sein«, entgegnete sie Natascha, die daraufhin den Blick zu Boden senkte.
    »Ja, das stimmt«, bestätigt diese sogar.
    »Warum bist du geflohen? Warum bist du ausgerechnet in die Bar meines Vaters gekommen?« Nadeya wollte sich nicht länger zurückhalten. Sie war neugierig, wollte wissen und verstehen. Es ging ihr nicht darum irgendjemandem Schuld zu zuschieben oder jemanden zu verurteilen. Vielleicht sollte sie das von vornherein klar machen? Aber wer wusste schon, welche Gründe
    Natascha hatte?
    »Ich … wollte nicht mehr benutzt werden.« Bei dieser Antwort starrte Nadeya die Humanoide einfach nur ungläubig an.
    »Das verstehe ich nicht. Du bist eine Humanoide, ein Roboter … wie kann es sein, dass du etwas nicht willst? Du dürftest doch nicht einmal ein solches
    Bewusstsein haben.« Eine weitere Überraschung kam, als Natascha wieder den Kopf hob und sie anblickte. Mit einem zurückhaltenden, fast schon schüchternen Lächeln auf den Lippen.
    »Du sagtest doch bereits, dass ich keine normale Humanoide bin.« Die Antwort war so simpel wie auch nichtssagend und trotzdem sagte sie alles aus, was wichtig war. Fürs Erste. Nadeya war verblüfft darüber.
    »NANA! Jetzt bummle nicht so herum, sonst gehst du uns noch verloren!« Es war Daiskes Stimme, die nach ihr rief. Nadeya blickte wieder nach vorn und stellte fest, dass der Abstand zu den anderen viel größer geworden war. Der Grund war einfach festzustellen: Sie selbst war mit Natascha stehen geblieben, ohne es wirklich mitbekommen zu haben.
    »J-ja, ich komme!«, rief sie den anderen zu, warf Natascha einen auffordernden Blick zu und setzte sich eilig in Bewegung. Die Humanoide schien keine Probleme zu haben mit ihr Schritt zu halten.
    »Ihr scheint auch keine normalen Menschen zu sein«, hörte Nadeya die Stimme der anderen und sah sie wieder an.
    »Wie meinst du das?«, wollte Nadeya wissen.
    »Ihr sorgt euch umeinander. Seid nicht so … leblos.« Nadeya stolperte über die eigenen Füße und wäre hingefallen, wenn Natascha nicht beherzt zuge­griffen hätte, um sie festzuhalten. Sie starrten sich gegenseitig an, wissend, dass der jeweils andere sich von der Allgemeinheit stärker abhob, als man eigentlich sollte. Schweigend folgten sie den anderen, die sie wieder erreicht hatten. Daiske murrte vor sich hin, weil ihm all das Grünzeug um sie herum auf die Nerven ging. Mit jedem Schritt schien der Dschungel dichter zu werden und ein Vorankommen war immer schwieriger. Sie mussten sich den Weg förmlich mit ihren Messern frei hacken, um durchzukommen.
    »Weiß eigentlich irgendjemand, wo wir sind?«, fragte Jessi, um die Stille in der Gruppe etwas zu überbrücken.
    »Im Dschungel«, antwortete Daiske trocken.
    »Haha, sehr witzig. Genauer geht’s wohl nicht?«, meinte Jessi daraufhin nur.
    »Was fragst du denn so? Du weißt doch selbst, dass wir mitten im Nirgendwo abgestürzt sind«, brummte Daiske. Nathan seufzte auf.
    »Es bringt nichts sich darüber den Kopf zu zerbrechen«, meinte Nadeyas Vater.
    »Hmpf.« Daiske schnaubte auf und zerhackte ein langes Farnblatt vor sich.
    »Ich sehe was, was ihr nicht seht und das ist grün.« Ein schlechter Versuch die Stimmung aufzuhellen, indem man Späße machte. Aber keinem von ihnen war wirklich zum Scherzen zumute.
    »Irgendwie will es mir einfach nicht in den Kopf reingehen, wie es sein kann, dass der Dschungel sich so stark ausgebreitet hat, wo wir doch eigentlich über modernste Technik verfügen. Hätte man da nicht einfach was dagegen machen können?« Ein Feuer legen, die Bäume abholzen, irgend so etwas.
    Theoretisch klang das sehr einfach. Wie konnte es also sein, dass es praktisch gesehen nicht funktioniert hatte? Die Regierung hatte schließlich eine nette Ansammlung von »Spielzeugen«, die sie hätten nutzen können.
    »Kennst du nicht die Geschichten über den Dschungel?« Mark Brian O‘Cellaigh meldete sich zu Wort. Daiske, der mit Nathan immer noch die Führung übernahm, drehte sich um, damit er Mark ansehen konnte.
    »Sicher kenne ich die. Schlechter Abklatsch von Märchen, die Kindern Angst einjagen sollen, damit sie nicht in den Dschungel laufen.«
    »So? Glaubst du?«, fragte Mark auf seine ganz neutrale Art nach und verzog nicht einmal die Mundwinkel dabei.
    »Was soll ich sonst glauben? Außer das wir höchstens an dem ganzen Grünzeug um uns herum ersticken. Hier ist doch nichts anderes!«
    »Beschwör‘ es nicht herauf, Junge«, sagte Nathan und mischte sich in das Gespräch mit ein. Sie alle sahen sich um, in der stillen Befürchtung, dass jeden Augenblick etwas Schreckliches passieren könnte. Tat es aber immer noch nicht. Sie waren sicher. So sicher wie man in einem Dschungel mitten im
    Nirgendwo sein konnte.
    »Wir sollten Ausschau nach einem Versteck halten. Wenn die Nacht eingebrochen ist, wäre es nicht sehr ratsam noch weiter umher zu laufen«, sagte Mark Brian O‘Cellaigh.
    »Darf … ich Sie etwas fragen, Herr äh … O‘Cellaigh?« Nadeya war unsicher wie sie den Mann ansprechen konnte. Ihr schien es nicht richtig, einfach mit einem Du anzukommen. Daiske, der ihre Worte wie die anderen hörte, drehte sich zu ihr und warf ihr einen Blick zu, der ihr sagen sollte: Ist das dein Ernst? Diese Höflichkeit?
    Nadeya versuchte den Blick zu ignorieren. Außerdem antwortete Mark
    Brian O‘Cellaigh bereits mit einem knappen: »Ja.«
    »Wie oft waren Sie schon im Dschungel? Sie wirken so, als hätten Sie bereits Erfahrungen gesammelt … « Oder täuschte sie sich da etwa?
    »Mehrere Male. Aber es waren immer nur sehr kurze Ausflüge gewesen.« Bis auf einen, den er nicht erwähnte.
    »Und dabei ist nie etwas passiert?«, fragte Nadeya weiter.
    »Das habe ich nicht gesagt.« Nadeya konnte solange warten, wie sie wollte. Sie bekam keine ausführliche Antwort auf ihre Frage. Keine Beschreibung von dem, was eigentlich im Dschungel auf sie lauern könnte. Es war alles so ungewiss, dass man den Eindruck gewinnen könnte, dass sie sich hier umsonst fast in die Hosen machten. Daher konnte Nadeya auch Daiske verstehen, der momentan einfach die Dschungelgefahr nicht ernst nehmen konnte.
    Es passierte rein gar nichts.


    Die nächsten eineinhalb Stunden verbrachten sie immer noch damit, sich durch den Dschungel zu kämpfen. Einen Unterschlupf hatten sie noch nicht für sich entdecken können, weswegen es bereits Überlegungen gab, ob sie nicht einfach auf irgendeinen Baum klettern sollten, um dort Schutz für die Nacht zu suchen. Doch ganz gleich was sie sich auch ausdachten, keiner von ihnen war wirklich begeistert. Die Baumkletterei kam für Jessi schon mal sowieso nicht in Frage. Ihr gebrochener Arm hinderte sie daran irgendwo hinauf zu klettern. Trotzdem verrann die Zeit immer mehr und die nahende Nacht machte sie zunehmend nervöser. Sie brauchten ein Versteck, in denen sie sich halbwegs sicher fühlen konnten, aber momentan sah es so aus, als wenn sie einfach unter den Bäumen ihre Nachtruhe nehmen mussten.
    »Ich glaube, da vorne ist etwas«, meldete sich Nathan. Er hatte etwas zwischen den Blättern des Dschungels gesehen. Etwas, was geblendet hatte, als würde das restliche Sonnenlicht reflektiert werden. Aber da die Fauna immer noch sehr dicht war, konnte man nicht sofort erkennen, worum es sich dabei handelte. Vielleicht war es auch nur eine Einbildung gewesen und weiter vorne war nichts? Trotzdem wollten sie nachsehen. Daiske schnitt mehrere lange Farnwedel vor sich weg, damit sie durchkamen und als sie über einen riesenhaften umgestürzten Baumstamm klettern mussten, entdeckten sie es.
    Vor ihnen tat sich eine Lichtung auf. Sie war nicht besonders groß und sie war keines natürlichen Ursprungs. Mehrere Bäume waren umgestürzt und lichteten dadurch den Dschungel ein wenig. Farne und andere Buschgewächse waren platt gedrückt. Überall lagen Äste, abgerissene Ranken- und Trümmerteile. Daiske ließ die Luft pfeifend durch die Zähne raus.
    »Das sieht nicht so aus, als wenn es lange her wäre … « Die Rede war von dem Absturz des Flugschiffes, welches sich vor ihnen offenbarte. Es war sehr viel größer als der kleine Fluggleiter, den sie geflogen waren. Das Flugschiff vor ihnen war extrem groß, bot viel Platz. Ein Frachtschiff? Von der Größe nach zu urteilen, hätte es ein solches sein können. Aber es sah anders aus, als die üblichen Frachtschiffe, die zwischen den Städten hin und her flogen, um Materialien, Nahrungsmittel und anderweitige Ladungen zu liefern.
    »Was ist das?«, wollte Nadeya wissen, die wie die anderen sich dem abgestürzten Flugschiff näherten. Rauch stieg gen Himmel auf, aber der Absturz war keine Woche alt. Allerdings auch nicht erst vor kurzem. Das hätten sie bestimmt mitbekommen. Den Lärm, den Krach, der bei solch einem gewaltigen Absturz ausgelöst wurde. Es gab kein Feuer, nicht mehr. An manchen Stellen konnte man sehen wie Holz verbrannt war, wie die Außenseite des Luftschiffes angekokelt war. Aber es dürfte kein besonders großes Feuer gewesen sein. Nicht so verheerend, dass es alles zerstörte. Möglicherweise hatte sogar der Regen über dem Dschungel dafür gesorgt, dass sich ein Feuer nicht ausgebreitet hatte.
    »Das ist eines der Forschungsluftschiffe von dem Forschungsinstitut in
    Sytrax«, meldete sich Mark Brian O‘Cellaigh.
    »Woher wisst Ihr das?«, wollte Nadeya wissen. Sie konnte absolut nichts erkennen, was dieses Flugschiff als solches auswies. Mark hob seinen Arm und deutete auf ein Zeichen, das nicht mehr komplett zu erkennen war. Aber die verräterischen Farben und der grüne Kreis des Symbols war noch soweit zu identifizieren, dass man erahnen konnte, dass es sich um das Forschungsinstitut handelte. Es besaß sein eigenes Logo, um sich auszuweisen und für alle erkennbar zu sein.
    »Ich glaube sogar, dass es sich hierbei um die Biowalküre handelt. Sie war vor ein paar Tagen verschwunden und man konnte sie nicht mehr finden«, erklärte Mark weiter.
    »Wieso nicht finden? Das Ding raucht doch immer noch. Man muss nur der Rauchschwade folgen.« Für Daiske klang das alles unlogisch. Mark drehte sich zu dem Jüngeren und nahm ihn fest ins Auge.
    »Du bist ganz schön grün hinter den Ohren. Wenn der Dschungel nicht will, dass die Menschen etwas finden, dann finden wir Menschen auch nichts. Merk dir das. Der Dschungel hat seinen eigenen Willen. Er verschlingt dich schneller als dir lieb sein kann.«
    »Aber … aber … das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!« Mark Brian O‘Cellaigh ging auf den Widerspruch nicht weiter ein. Er wusste, dass Daiske irgendwann noch verstehen würde. Zwar könnte es sein, dass es dann zu spät war, aber alles von vornherein zu erklären, war schier unmöglich. Man musste es sehen, um es glauben zu können. Mit selbstsicheren Schritten ging er auf die Biowalküre zu. Auch Nathan und Jessi taten es und Daiske schloss sich an, um selbst das abgestürzte Flugschiff genauer zu betrachten.
    Was die Frage über ein mögliches Versteck betraf, hatten sie wohl ihre Antwort gefunden. Sie könnten die Nacht hier verbringen und würden nicht unter dem freien Himmel schlafen müssen. Oder unter den Ästen der Bäume.
    »Ich glaube nicht, dass es hier Überlebende gibt«, murmelte Jessi, die neben Nathan her ging.
    »Das glaube ich auch nicht. Aber vielleicht finden wir hier etwas, was uns noch von Nutzen sein könnte.«
    Nadeya stand noch immer draußen und sah wie die anderen einen Eingang in das abgestürzte Flugschiff suchten. Sie wollte dieses Flugschiff nicht betreten. Wenn es sich um diese Biowalküre handelte, wie Mark Brian O‘Cellaigh behauptete und damit zum Forschungsinstitut gehörte, dann würden sie vermutlich dort drinnen ein ganzes Labor finden können. Sie hatte von den Flugschiffen gehört, die Forschungen an Bord übernahmen. Forschungen, die ihrer Meinung nach zu extrem waren, als das sie es unbedingt gutheißen konnte. Damit man Modifikationen am menschlichen Körper vornehmen konnte, musste vorher alles entwickelt und getestet werden. Das passierte nicht selten auf solchen Forschungsschiffen.
    Notgedrungen setzte sich Nadeya trotzdem in Bewegung. Sie wollte nicht als Letztes hier draußen stehen bleiben. Selbst Natascha war bereits voran gegangen und den anderen ins Innere gefolgt. Auch wenn Nadeyas Magen rebellierte, als sie sich dem Eingang näherte, der mehr einem großen Loch in der Flanke des Flugschiffes glich, als wirklich einer Tür, betrat sie das Innere. Vorerst konnte sie nichts Auffälliges erkennen. Alles war aus Metall, wirkte neutral und hier und da flackerte eine der Lampen oder war komplett ausgefallen. Die Technik schien zwar beschädigt zu sein und zum größten Teil daher nicht mehr funktionstüchtig, aber trotzdem war es möglich sich im Inneren des Flugzeuges umzusehen.
    Seltsam war es schon. Entweder war die Bauweise des Schiffes dermaßen stabil und robust, dass es durch den Absturz deswegen nicht in Tausend Stücke zersplittert war oder das Flugschiff war aus keiner allzu großen Höhe abgestürzt. Vielleicht hatten die zahlreichen Bäume auch den Sturz abgebremst? Nadeya konnte sich das alles nicht erklären. Es könnte ihr Glück sein, dass dieses Luftschiff nicht vollkommen beschädigt war, auch wenn sie es kaum dafür verwenden konnten, um mit ihm in die Luft aufzusteigen.
    Wo waren eigentlich die anderen? Verwirrt darüber ging sie weiter und suchte ihren Vater und ihre Freunde, aber entweder sie war in einen falschen Gang abgebogen oder die anderen waren schon viel weiter entfernt. Konnte das sein? Ein bisschen unheimlich fand sie es schon. In dem Inneren des Luftschiffes konnte man sich gut und gern verlaufen, auch wenn man an manchen Stellen gar nicht weiter kam, weil der Weg von Trümmern blockiert wurde oder es sich schlicht um eine Sackgasse handelte. Manche Türen waren auch abgesperrt, die man nicht so ohne Weiteres mehr öffnen konnte, weil die Eingabekonsole daneben an der Wand nicht mehr funktionierte.
    Sie sollte zurück zum Eingang gehen, doch dann kam sie an einem abgedunkelten Raum vorbei, der aus irgendeinem Grund ihre Aufmerksamkeit erregte. Die Tür war offen. Vermutlich ließ sie sich auch nicht mehr schließen. Im Raum selbst gab es ein paar blaue Lampen, die noch für ein bisschen Helligkeit sorgten. Trotzdem war es sehr diffus hier drinnen. An der rechten Wand flackerte ein weißes Licht. Das restliche Leben, was sich in der Lampe befand. Sie stand kurz davor völlig den Geist aufzugeben. Überall lagen kleinere Trümmer oder Instrumente herum. Werkzeuge, die für die Forschung gebraucht wurden. Zersplittertes Glas oder verstreute Tablets und ja, sogar ein paar herum fliegende Papiere konnte Nadeya sehen. Notizen wurden nur noch selten auf Papier angefertigt. Meistens mussten die Tablets herhalten, die man überall hin mitnehmen und von denen man die Daten beliebig auf andere Bildschirme übertragen konnte. Der Datentransfer war eine erstaunliche Technik, aber noch erstaunlicher fand Nadeya das, was sie eigentlich in diesem Raum vorfand. Weiter hinten – der Raum war verhältnismäßig sehr groß – gab es mehrere senkrechte röhrenähnliche Konstrukte. Sie standen an der Wand beziehungsweise waren direkt in die Wand hinein gebaut wurden. Wenn Nadeya das richtig erkannte, hatten sie alle eine glasähnliche Tür. Das Konstrukt ganz links war zu Bruch gegangen. Ob es wirklich echtes Glas war oder nur ein ähnlich aussehendes Material konnte sie nicht sagen. Es spielte für sie auch gar keine Rolle. Der Boden war dort, wo das zerstörte Konstrukt war, vollkommen nass, als wäre etwas ausgelaufen. Das konnte sie gut nachvollziehen, denn die beiden anderen Konstrukte schienen noch intakt zu sein. Oder wenn nicht intakt, dann doch zumindest nicht zerbrochen. Näher heran gehen wollte sie nicht. Ihr Körper war sowieso schon ganz erstarrt. Sie zitterte sogar ein wenig und verknotete ihre Finger miteinander, um dem Zittern entgegen zu wirken. Genau das hatte sie nicht vorfinden wollen.
    Hinter den gläsernen Türen, deren untere Hälfte mit einer Art Milchglasfolie überklebt waren, befanden sich menschliche Körper. So menschlich wie sie eben sein konnten.
    Humanoide? Sie nahm es an. Anders konnte es wohl kaum sein. Nadeya wollte sich jedenfalls nicht vorstellen, dass hier zwei Menschen eingesperrt in einer ihr nicht bekannten Flüssigkeit waren. Sie konnte wegen des diffusen Lichts nicht viele Details erkennen, aber das, was sie sah, reichte ihr schon vollkommen aus. Die linke Person im mittleren Konstrukt hatte kurzes Haar. Nicht Millimeter kurz. Es war ein paar Zentimeter lang, aber nicht genug, um einen Zopf machen zu können. Ob die Haare braun waren oder dunkler konnte sie nicht sagen. Es war zu dunkel hier drinnen, um eine passende Farbe zu definieren. Die andere Person rechts im Konstrukt hatte aber eindeutig helleres Haar. Beide Humanoide besaßen einen menschlichen Körper. Auch wenn sie davon wegen der Milchglasfolie nicht alles erkennen konnte. Die Unterschiede zwischen Mann und Frau waren trotzdem eindeutig. Man erkannte es allein schon an den Gesichtern.
    Und das war es, was sie eigentlich so erschreckte: Wenn sie in die Gesichter der beiden Personen sah, dann wirkten sie, als würden sie nur schlafen. Nicht tot, aber auch nicht lebendig. Am Hals des Mannes in der Mitte war eine metallene Platte. Nadeya konnte nicht genau sagen, was das zu bedeuten hatte. Denn bei dem Mann auf der rechten Seite gab es diese am Hals nicht. Dafür aber hatte er über der linken Brust eindeutig eine Modifizierung. Sie kannte sich zu wenig mit Humanoiden aus, um zu verstehen wie diese aufgebaut waren. Sie hatte gehört, dass es unter den Humanoiden einige Unterschiede gab. Je nachdem für welchen Zweck sie erschaffen und gebaut wurden. Bei einigen war die Hauptsteuerung direkt im Kopf, bei anderen im Brustkorb. So genau wollte sie nicht darüber nachdenken. Es erschreckte sie viel zu sehr, dass diese beiden hier wie normale Menschen aussahen, abgesehen von der Kleinigkeit am Hals und Brustkorb. Sie wollte auch nicht wissen, wofür sie erschaffen worden waren, welchen Zweck sie erfüllen sollten, ehe das Flugschiff abgestürzt war.
    Die Tatsache, dass jeder Mensch unter ihnen auch ein Humanoide sein konnte und es nicht mehr auffiel, war für sie erschreckend. Würde am Ende die Menschheit durch die Technik vielleicht sogar abgelöst werden? Nadeya warf einen letzten Blick auf die beiden, ehe sie sich von dem Anblick los riss und den Raum verließ. Es war nicht nur deren Antlitz, der sie aus der Fassung brachte. Es war noch etwas anders, was sie aber nicht genau definieren konnte. Irgendetwas war da gewesen, was sie berührt wie auch erschreckt hatte. Sie lief zurück zum Eingang, ohne einem der anderen zu begegnen. Es war ihr gerade egal. Sie wollte nur raus an die frische Luft und verließ deshalb das Flugschiff, wie sie es vorhin betreten hatte. Draußen angekommen, würde sie wieder klarer denken können. Dass sie überhaupt so durcheinander war, ergab gar keinen Sinn. Humanoide, Synthetiker – sie alle gehörten zur menschlichen Gesellschaft dazu. Es war aber gar nicht die Tatsache, dass Roboter und Modifikationen im menschlichen Leben hinzu kamen, weswegen Nadeya sich davor fürchtete und sich nicht damit identifizieren konnte. Es war viel mehr die Gefühlskälte, die von den Menschen selbst ausging. Als wollten alle unbedingt sich mehr und mehr der Technik anpassen, selbst zu Robotern werden. Denn Synthetiker waren auch nichts anderes als Menschen, die sich modifizieren ließen, um in irgendeiner Weise besser zu sein. War das richtig? War das falsch?
    Nadeya gehörte vermutlich zu den wenigen Menschen, die sich ernsthaft darüber den Kopf zerbrachen, während der Rest der Welt sich längst mit diesem Fortschritt abgefunden hatte. Erschöpft ließ sie sich auf einen Baumstamm in der Nähe der Absturzstelle nieder, atmete tief ein und aus und sah zum Himmel, der immer dunkler wurde.
    Denn die Sonne ging unter.


    [tabmenu][tab=laberdilaber]
    Liebe Leser,


    wie bereits im 3. Kapitel angekündigt, wollte ich das nächste Kapitel schreiben und hier habt ihr es nun.
    Was mich jedoch interessieren würde: wer liest sich diese Geschichte eigentlich überhaupt durch? Gibt es stumme Leser, die sich einfach nicht zu Wort melden? Oder interessiert es tatsächlich niemanden (bis auf ein, zwei Ausnahmen) ?


    Ihr könnt euch auch gern per Konversation bei mir melden. Auch wenn ihr Lust habt die Fragen (per Konversation) zu beantworten.


    Du hast eine Frage an mich? Kannst du mir gerne stellen. Entweder über Konversation oder direkt hier: ask.fm/AlexiaDrael


    Liebe Grüße
    Alexia Drael


    [tab=Fragen]
    Hier kommen meine Fragen:


    1. Wie würdest du es finden, wenn es Humanoide in unserer Welt gäbe und sie kaum von einem echten Menschen zu unterscheiden wären?
    2. Wenn du die Möglichkeit hättest deinen Körper beliebig zu modifizieren, um ein Körperteil zu verbessern oder was auch immer, würdest du es tun? Und wenn ja welche Modifikation würdest du für dich bevorzugen? Was fändest du „cool“?
    3. Wie verständlich war für dich dieses Kapitel? Gab es irgendetwas, was du nicht recht verstehen konntest, was vllt. unlogisch erschien oder nicht ganz klar war? (Achtung, manche Dinge werden mit Absicht natürlich noch nicht verraten ;) Geheimnisse braucht eine Geschichte.)


    Die Fragen könnt ihr mir auch direkt per privater Nachricht beantworten, falls ihr keine Lust auf ein Kommentar habt (das bezieht sich auf alle Fragen, die ich in meinen Geschichten stelle).
    [/tabmenu]

  • 5. Kapitel - Humanoide oder Mensch?


    17. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Fernab von Synoria – Dschungelland (Biowalküre)


    Wie lange Nadeya bereits schon hier auf dem Baumstamm saß, konnte sie nicht sagen. Eine ganze Weile musste vergangen sein, während sie den Himmel beobachtete, wie er dunkler wurde. Die Sonne konnte sie nicht richtig erkennen, dafür waren einfach die Baumkronen viel zu hoch gewachsen.
    Wie viele Meter waren es? Fünfzig? Hundert? Reichten die Bäume schon
    Kilometer weit nach oben? Sie war schlecht darin, Abmessungen per Auge zu machen … zu schätzen … Aber es war sehr hoch. Manche Bäume waren sogar noch höher gewachsen, als die größten und höchsten Hochhäuser der Stadt. Man mochte es sich kaum vorstellen, dass das möglich war. Aber so war es. Der Himmel selbst war fast wolkenlos. Wo vorhin, als sie die Flucht gestartet hatten, es so ausgesehen hatte, als würde sich der Himmel noch verdüstern und zuziehen, so schien er nun wieder freundlich zu sein. Allerdings würde das bedeuten, dass die Nacht auch kälter werden würde, wenn sie sternenklar war. Ob Nadeya das bedauern sollte? Nicht unbedingt. Die Temperaturen hier im Dschungel waren angenehm. Teilweise sogar etwas wärmer. Zum Frieren kam man einfach nicht. Es herrschte hier auch eine recht hohe Luftfeuchtigkeit, aber sie war nicht so erdrückend, wie man es sich vielleicht vorstellen würde. Oder sie kam einfach besser damit zurecht als andere. Wer wusste das schon? Nadeya war ihr Leben lang noch nie im Dschungel gewesen. Heute war das erste Mal. Wenn sie sich diese Tatsache stärker vor Augen führte, dann konnte sie nur staunen. Immer noch war kein Monster aufgetaucht, wie es die Geschichten und Gerüchte immer erzählten. Allmählich kam in ihr die Vermutung hoch, dass da tatsächlich nichts dran war. Aber wenn dem so wäre, warum breitete sich der Mensch dann nicht weiter aus? Sie hatte schon früh begriffen, dass die Städte nicht größer wurden. Ja, es wurde viel gebaut, die Architektur veränderte sich hier und da, verbesserte sich. Aber an Fläche nahmen die Städte nicht zu. Maximal wuchsen sie in die Höhe, aber nicht in die Breite. Das verhinderte der Dschungel.
    Nachdenklich über dieses Thema ließ sie den Blick schweifen. Alle Bäume wirkten alt. Als hätten sie bereits Jahrhunderte gesehen. Ihre Stämme waren von starker Rinde überzogen. Manche wiesen Höhlen auf, in denen sich Tiere versteckten. Nadeya konnte nicht alles genau erkennen, da die Entfernung zu groß war und die Helligkeit immer mehr abnahm. Ihre Augen waren nicht unbedingt gut im Dunkeln. Was sie eigentlich dazu bringen sollte, zurück in die Biowalküre zu gehen. Hinein zu den anderen, wo auch immer sie sich dort befanden. Doch sie gruselte sich davor. Sie wollte keine Körper hinter Glas sehen, als wären es Reagenzgläser und die Körper selbst die Proben, an denen man Versuche unternahm. Allein diese Vorstellung ließ sie frösteln. Es gab vieles, womit sie nicht einverstanden war und bei dem sie sich wünschte, dass es endlich anders sein würde. Aber was konnte ein einzelner Mensch schon ausrichten?
    Tenaturik. Ihr fiel dieses Wort so plötzlich wieder ein, dass sie aufsah. Ihre Augen waren leicht geweitet und sie hätte sich gegen die Stirn klatschen können. Tenaturik! Eine Organisation, die gegen das bestehende Regime ankämpfte. Eine Rebellengruppe, so sagte man, die der Regierung zusetze. Aber dieses Problem mit ihnen wurde herunter gespielt. Angeblich wäre es nicht weiter tragisch, das Amt würde sich schließlich darum kümmern. Wie viel war an Tenaturik dran?
    Sie würden sich sowieso überlegen müssen, was sie tun wollten. Jetzt waren sie noch auf der Flucht. Suchten einen Weg aus diesem Dschungel, aber selbst wenn sie Sytax erreichten, wie würde es dann weiter gehen? Das waren alles Fragen, die man nicht zu weit weg schieben sollte. Nadeya sollte mit den anderen sprechen. Außerdem bekam sie langsam Hunger und die Dunkelheit vertrieb immer mehr das restliche Sonnenlicht. Sie sollte nicht länger hier sitzen, um Löcher in die Luft zu starren. Deswegen erhob sie sich vom Baumstamm, strich in einer fließenden und nebensächlichen Handbewegung ihre Kleidung etwas glatt und drehte sich zur Biowalküre um. Denn bisher hatte sie mit dem Rücken zu dieser gesessen und den Blick auf den Dschungel gerichtet gehabt. Als sie sich allerdings umdrehte, entfuhr ihr sofort ein schriller kurzer Schrei. Sie erschrak sich so sehr, dass sie einen Satz zurück machte und dabei das Gleichgewicht verlor. Schuld daran hatten auch die Trümmerteile und die gebrochenen Äste der Bäume, die hier überall verstreut lagen. Sie blieb an einem morschen Ast hängen und ging rücklings zu Boden. Dadurch saß sie nun auf ihrem Hinterteil, doch rühren tat sie sich nicht. Mit geweiteten Augen starrte sie die Person vor sich an, die so unerwartet aufgetaucht war. Es hätte Daiske, Jessi oder auch ihr Vater sein können. Vielleicht sogar einer der beiden anderen, aber keiner war es. Niemand, den sie kannte. Nicht direkt.
    Hochgewachsen und den Körper nur in einer einfachen Hose und einem nicht mehr ganz so passablen Hemd, das vermutlich irgendeinem Forscher mal gehört hatte, stand er direkt vor ihr. Die Füße waren nackt, aber das schien ihn nicht weiter zu stören, dass er auf dem unebenen Boden stand. Seine Augen besaßen eine helle Farbe, bei der Nadeya nicht genau wusste, ob sie mehr silbern oder mehr blau waren. Durch das schwindende Licht war es sowieso nicht einfach viel zu erkennen. Wer wusste schon, wie er im hellen Tageslicht wirkte? Die hellbraunen, fast blonden Haare standen ihm teilweise vom Kopf ab, waren durcheinander als hätte man nur flüchtig mit der Hand durch diese gestrichen. Dennoch konnte Nadeya einen Rest an Feuchtigkeit erkennen, als wäre er erst vor kurzem aus der Dusche gestiegen. Angesicht ihrer Erinnerung, wo er sich vorhin noch befunden hatte, wunderte es sie nicht.
    Viel seltsamer war es, dass er jetzt überhaupt vor ihr stand! Es war eine der männlichen Personen, die sich in diesem seltsamen Konstrukt befunden hatten. Wie war er heraus gekommen und war er vorhin schon wach gewesen? War er überhaupt lebendig? Bestimmt war er doch nur ein Humanoider!
    Anders konnte es sich Nadeya kaum erklären. Es musste einfach so sein. Trotzdem beantwortete das nicht ihre Frage, wie er dort heraus gekommen war. Schweigend starrte er sie an. Sie starrte zurück. Wie lange sie sich nur gegenseitig musterten, wusste Nadeya nicht. Sie war einfach nur erstarrt, un­fähig sich zu bewegen. Dafür raste ihr Herz in einem Affenzahn, dass sie fürchtete, dass es gleich aus ihrer Brust springen könnte. Es schien zudem so still um sie herum zu sein, dass er es vermutlich hören konnte. Ihren aufgeregten Herzschlag. Der Unbekannte setzte dazu an die Lippen zu öffnen, um Worte auszusprechen, aber die Stimme passte nicht dazu,
    »Nadeya?!«, rief er. Nein, es war nicht der Unbekannte. Es war die Stimme von Daiske, der sie rief und nun eiliger zu ihr hinüber lief, weil er sie holen wollte. Sie hatten nach ihr gesucht, weil sie irgendwie verschwunden war.
    Daiske war froh, dass er Nana hier draußen vorfand, aber gleichzeitig war er in Alarmbereitschaft. Er hatte sofort erkannt, dass der Typ hier fremd war. Vielleicht ein Feind? Daiske machte sich auf alles gefasst und kam herbei gerannt, um neben Nadeya sich in Stellung zu bringen.
    »Wer ist das?«, wollte Daiske wissen. Zwar sah er den Fremden an, aber die Frage hatte er an Nadeya gerichtet. Mittlerweile hatte der Fremde die Lippen wieder geschlossen. Sein Blick ruhte noch eine Sekunde lang auf Nadeya selbst bis er ihn auf Daiske richtete. Es gab keine Antwort von seiner Seite. Nadeya hingegen rappelte sich wieder auf. Jetzt, wo Daiske dazu gekommen war, erinnerte sie sich wieder daran, wie man den Körper bewegte. Es war ihr unangenehm und der Schreck saß noch immer in ihren Knochen.
    »Ich weiß es nicht«, murmelte sie leise als Antwort. Die fremden Augen richteten sich erneut auf sie. Er wirkte so, als wollte er etwas sagen, etwas erwidern. Irgendetwas von sich geben. Aber er tat es nicht. Seine Stirn legte sich dafür in Falten. Konnte er denn reden? Die Frage war vielleicht berechtigt, wenn er ein Humanoider war. Manche dieser Roboter waren nicht imstande zu sprechen, weil ihre Aufgaben in anderen Bereichen lagen.
    »Nana? Dai?« Das war Jessis Stimme. Gemeinsam mit Nathan und den anderen zwei, kam sie aus der Biowalküre und ihnen näher. Auch sie bemerkten den Fremden, doch der sah nicht einmal zu der ankommenden Gruppe. Stattdessen ruhte sein Blick auf Nadeya, was dieser nur noch unangenehmer war. Was sollte das?
    »Wer ist das?«, fragte Nathan mit seiner strengen, tiefen Stimme und musterte den Fremden. Misstrauen sprach eigentlich aus jedem Gesicht. Außer bei Natascha. Diese schien neutral zu sein, aber sie wirkte auch nicht so, als würde sie den Fremden kennen. Möglicherweise war es ihr einerlei, wer das war. Wenn sie doch selbst eine Humanoide war …
    Nadeya suchte nach einer Antwort auf die Frage, hatte aber immer noch keine. Was sollte sie auch antworten? Sie hätte natürlich sagen können, dass sie ihn vorhin im Labor schon gesehen hatte. Aber sie tat es nicht. Nicht, weil sie es unbedingt verschweigen wollte. Vielleicht hätte sie es getan, wenn der Fremde nicht nun doch dazu angesetzt hätte zu sprechen.
    »Ich bin Lu… « Er brach ab noch bevor er sich richtig vorgestellt hatte. Seine Augen sahen aus, als wollten sie gleich aus seinen Höhlen fallen, weil er sie weit aufriss. Er riss seine rechte Hand nach oben und legte sie um seinen Hals. Nadeya kannte den Grund nicht, aber sie sah, wie geschockt er war. So geschockt, als hätte er etwas sehr Schreckliches eben gesehen oder erlebt. Dabei war ihr nicht wirklich klar, was es hätte sein können.
    Oder doch? Sie betrachtete ihn genauer, seine Mimik, seine Körpersprache, die genauso wenig zu einem Humanoiden passte wie Natascha, die scheinbar ein Bewusstsein entwickelt hatte. Waren die beiden vielleicht einfach nur verbesserte und weiter entwickelte Humanoide, in der Lage dazu Gefühle deutlicher zu zeigen? Aber wie viel Sinn ergab das, wenn man sich vor Augen führte, dass die Menschheit immer kühler wurde? Nadeya schob den Gedanken erst einmal zur Seite, denn je länger sie den Fremden betrachtete, desto mehr glaubte sie allmählich, dass er vor seiner eigenen Stimme erschrocken war.
    Vor seiner Stimme, die so metallen, so unwirklich und künstlich klang. So … elektronisch, dass sie nicht menschlich wirkte, sondern wie von einem Computer abgespielt. War das sein Problem und wenn ja, warum?
    »Lu-was?«, wollte Daiske wissen, der auf den geschockten Anblick nicht näher einging. Er blieb misstrauisch, erwartete eine genauere Antwort. Auch die anderen rührten sich nicht von der Stelle, noch fragten sie nach, was los sei. Was für ein Problem er hatte.
    Anders Nadeya. Dieser Ausdruck in den Augen von Lu – wenn sie ihn jetzt kurzzeitig einfach mal so nennen wollte – berührte sie auf eine nie dagewesene Art und Weise. Sie hatte Mitleid mit ihm, ohne den genauen Grund dafür zu kennen. Er wirkte so verletzt, so schockiert, dass er nicht einmal darauf achtete, was alle anderen von ihm wollten. Man hätte ihn angreifen können und er hätte vermutlich nicht einmal was dagegen getan. Deswegen löste Nadeya sich aus ihrer Haltung und ging die wenigen Schritte auf den Fremden zu. Er war um mindestens einen Kopf größer als sie, so dass sie den Kopf ein bisschen in den Nacken legen musste. Mit ihren eigenen hellbraunen Augen sah sie ihn an, blickte in sein Gesicht. Fragend und auch besorgt. In dieser Welt war es nicht unbedingt gesund, sich um Fremde Sorgen zu machen. Man könnte in etwas hinein gezogen werden, was man nicht wollte. Für Nadeya allerdings gab es gerade keine andere Option. Sie fühlte wie sie fühlte und konnte das nicht steuern. Ja, sie war nicht einmal dazu gewillt, sich irgendwie anders zu verhalten.
    »Hey, ist ja gut«, meinte sie. Warum sie das sagte? Sie hatte das Gefühl, der andere benötigte Trost. Auch wenn sie unsicher war, wie sie jemanden trösten sollte, den sie nicht kannte. Noch dazu, wo sie glaubte, dass es sich hierbei um einen Humanoiden handelte. Machte das alles einen Sinn? Diese Frage konnte man im Prinzip auf die gesamte Situation und die Ereignisse der letzten vergangenen Stunden beziehen.
    »Nadeya, was machst du denn? Komm von ihm weg!«, mahnte Daiske, der nicht davon überzeugt war, dass der Fremde harmlos war. Sie durften ihm nicht trauen! Genauso wenig wie sie eigentlich Mark Brian O‘Cellaigh trauen durften. Aber darauf wollte Daiske jetzt besser nicht eingehen. Er war schon drauf und dran, Nadeya einfach von dem Kerl wegzuziehen, als noch jemand auftauchte.
    Als wäre der eine Fremde nicht schon genug, tauchte ein zweiter hinter ihnen auf. Es war ausgerechnet Mark Brian O‘Cellaigh, der seine Waffe zog, die er bisher so gut wie ungesehen unter seinem Mantel versteckt gehalten hatte. Eine Schusswaffe eindeutig vom Sicherheits- und Ordnungsamt. Die übliche Standardausrüstung. Nicht unbedingt vertrauenserweckend. Da aber Mark die Waffe nicht auf einen von ihnen richtete, sondern auf den zweiten Fremden, war es Daiske gerade ziemlich egal. Die Augenpaare richteten sich auf die zweite Person, die bereits die Arme nach oben genommen hatte. Ein Zeichen der Aufgabe, auch wenn er langsam näher kam.
    »Bitte. Wir wollen niemanden verletzen … und auch nicht verletzt werden.« Die Stimme des zweiten Mannes klang sehr viel menschlicher, nicht künstlich. Nadeya konnte immer noch nicht sagen, ob seine Haare blond waren oder eher hellbraun. Der Mangel an hellem Licht war nicht gerade förderlich, um Farben allgemein erkennen zu können. Aber er hatte trotzdem nach wie vor eine hellere Haarfarbe als Lu.
    Seine Augenfarbe war unmöglich zu bestimmen. Nicht solange er zu weit weg stand und es zu dunkel war. Aber ähnlich wie Lu trug er auch nicht viel mehr als eine einfache Hose mit einem einfachen Hemd. Irgendwelche Sachen, die sie vermutlich im Inneren der Biowalküre gefunden hatten. Die Füße waren genauso nackt. Schuhe hatten sie offenbar nicht gefunden.
    »Ach ja? Dann sagt endlich wer ihr seid und was ihr wollt!«, erhob Jessi ihre Stimme, die ziemlich ungeduldig wurde. Sie hasste es hingehalten zu werden. Bisher hatten sie noch nicht viel über die Fremden erfahren.
    »Mein Name ist Patryk und das hier ist mein Bruder Lucjan. Bitte, wir wollen wirklich keinen Ärger bereiten.« Patryk deutete zwischenzeitlich auf Lucjan, der immer noch wie angewurzelt dastand, zu Boden blickte, die rechte Hand am Hals haltend.
    Nadeyas Augen huschten von Patryk wieder zu Lucjan. Er hatte gesagt sie seien Brüder. Wenn sie Brüder, waren bedeutete das …
    »Ihr seid Menschen?« Ihre Stimme war nicht laut, aber das war auch nicht notwendig, um sie trotzdem zu verstehen. Man warf ihr kurz Blicke zu und Patryk selbst sah sie an und nickte bestätigend.
    »Ja, das sind wir.« Es schien ihm merkwürdig vorzukommen, dass sie solch eine feststellende Frage äußerte. Für die anderen weniger, wobei Nadeya nun selbst immer mehr begriff, was in Lucjan vorgehen könnte. Er war tatsächlich darüber geschockt wie seine Stimme geklungen hatte! So wie er drein sah, wie er sich den Hals festhielt und wenn Nadeya zurückdachte, wie sie die beiden gesehen hatte … in dieser fremdartigen Flüssigkeit und dem Metall am Körper. Die Modifikationen. Einer hatte eine solche über dem Herzen gehabt, der andere knapp unter dem Hals. Dort wo die Stimmbänder lagen. Das Grauen wurde noch viel größer als Nadeyas Befürchtungen in Gedanken Kontur annahmen. Dass sie wahr sein könnten, dass man hier an Menschen herum experimentierte! Lucjan würde nicht so geschockt dastehen, wenn er einverstanden gewesen wäre, dass man seine Stimme … seine …
    Nadeyas Hand legte sich auf ihren Mund. Sie schluckte, versuchte sich nicht grauenhafte Bilder von irren Forschern vorzustellen, die unschuldige Menschen für ihre Zwecke missbrauchten. Wer behauptete, dass es auch wirklich so gewesen war? Vielleicht spann ihr eigenes Gehirn gerade die schlimmsten Vorstellungen zusammen und sie interpretierte die ganze Situation komplett falsch?
    »Woher kommt ihr? Wart ihr etwa in diesem Flugschiff? Gibt es noch andere, die überlebt haben?« Es wurden Fragen gestellt. Jeder war neugierig, wollte so viel wie möglich wissen. Während Lucjan immer noch stumm vor sich hinstarrte, versuchte Patryk die Fragen zu beantworten, aber die Ergebnisse waren nur bedingt zufriedenstellend.
    Ja, sie waren auf diesem Schiff gewesen und nein, er wusste weder was von Überlebenden noch darüber, was hier passiert sein könnte. Er konnte sich auch nicht mehr genau daran erinnern, wie er und sein Bruder auf die Biowalküre gekommen waren. Offenbar war sein Gedächtnis lückenhaft und da Lucjan nicht so aussah, als wollte er viel reden, konnten sie auch nichts weiter herausfinden. Womöglich wusste Lucjan genauso wenig wie Patryk selbst.
    »Hey, was ist los? Ist es … wegen deiner Stimme?« Nadeya wagte sich den erstarrten Lucjan noch einmal anzusprechen. Ein Versuch ihn aus dieser Haltung herauszureißen, damit er nicht wie ein Statue wirkte. Sie berührte ihn auch vorsichtig am Arm, was ziemlich seltsam für sie war. Körperkontakt war etwas, was nicht sonderlich intensiv unter den Menschen ausgeübt wurde. Nicht, seitdem sie gefühlskälter wurden. Nadeya hatte auch nie viel Kontakt zu ihrem Vater auf diese Weise gehabt. Umarmungen oder einfach leichte Berührungen waren eher seltener gewesen. Eben weil ihr Vater in dieser Starre an Gefühlskälte gefangen war, obwohl er sich sehr darum bemühte, nicht wie ein Roboter zu wirken. Nadeya selbst kamen Berührungen demzufolge auch ein bisschen komisch vor. Meistens war es ihr unangenehm, jemand anderen so nahe zu kommen. Auch Daiske und Jessi erging es so. Wenn man in so einem Käfig aufwuchs, wie sollte man da nicht so fühlen?
    »Ich … « Die Stimme von Lucjan klang nach wie vor künstlich und allein bei diesem einen Wörtchen sah er aus, als würde man ihm eine schallende Ohrfeige verpassen. Er war schockiert darüber, wollte es nicht wahrhaben und verstummte erneut. Er kämpfte sichtlich um seine Fassung. In seinem Gesicht spiegelten sich so viele Gefühle wider, dass Nadeya gar nicht anders konnte als ihn anzustarren.
    »Tut mir leid, was euch widerfahren ist. Glaub ich. Ich meine, es … äh … « Nadeya wusste nicht, was sie genau sagen sollte noch wie sie ihn aufmuntern konnte. Wieso lag ihr überhaupt so viel daran? Zu sehen, dass jemand anderes dermaßen litt, gefiel ihr nicht. Das wurde ihr bewusst. Aber wie könnte sie das Leiden eines anderen schon besänftigen? Wie könnte sie seine Situation erträglicher gestalten? Schließlich konnte sie ihm keine neue Stimme geben. Selbst wenn sie es gewollt hätte, konnte sie es nicht, weil sie nicht das nötige Wissen darüber verfügte. Anderseits fragte sie sich, warum ihm diese fremde Stimme so sehr erstarren ließ. Gut, es war nicht schön plötzlich anders zu klingen. Aber noch konnte er sprechen, oder nicht? Er war nicht komplett stumm und das war es doch, worüber er sich glücklich schätzen konnte. Etwa nicht?
    Nadeya sah zur Seite zu den anderen, als die sich darauf einigten, in die Biowalküre hinein zu gehen. Die Nacht brach an und keiner von ihnen war bereit draußen diese Nacht zu verbringen. Die Angst war immer noch vorhanden, dass etwas im Dschungel lauerte, was sie nachts angreifen könnte. Egal ob es nur Geschichten waren oder doch der Wahrheit entsprach. Keiner wollte das so genau herausfinden.
    Nadeya zupfte unbeholfen am Ärmel von Lucjan, um ihn dazu zubringen mitzukommen. Ansonsten wäre er wohl draußen einfach stehen geblieben. Nur widerwillig setzte er sich in Bewegung, aber Nadeya musste ihn nicht extra noch auffordern und auch nicht an ihm reißen oder ihn schieben, damit er es tat. Seine Miene blieb weiterhin traurig, erschüttert und verzweifelt. Sie hätte so gern was dagegen getan. Als er dann doch einmal von seinen Füßen aufsah und sie an, richtete sie ihren Blick nach vorne. Die ganze Zeit über starrte sie ihn schon so an, was dazu führte, dass sie verlegen wurde.
    Verlegenheit – auch so eine Gefühlsregung, die innerhalb der Stadt fast ausgerottet war. Man wurde so gut wie nie verlegen, denn man benahm sich schließlich perfekt. Man musste sich für nichts schämen, denn man kam seiner Arbeit nach. Tat sowieso das, was erwartet wurde. Nadeya schüttelte den Kopf darüber.


    Da das Schiff auch Schlafräume besaß und wenigstens ein Raum noch halbwegs betretbar und nutzbar war, hatte sich die Gruppe dort versammelt. Die Betten wurden aufgeteilt, genauso wie der Proviant und das, was man auf der Biowalküre noch fand. Fürs Erste steckte man im selben Boot, also würde man sich auch nicht gegenseitig bekriegen, sondern zusammen arbeiten. Misstrauen blieb nach wie vor bestehen, aber was sollten sie sonst machen? Patryk zeigte freundlicher Höflichkeit und war bereit jede Frage zu beantworten, sofern er das konnte. Doch die Fragen gingen schnell aus, wobei ihm selbst auffiel, dass keine persönlichen Fragen gestellt wurden. Es ging immer nur darüber wie sie hier her gekommen waren, was sie auf dem Flugschiff getrieben haben oder welches Ziel verfolgt worden war. Keine Frage darüber, wo genau er und Lucjan her kamen oder ob sie noch Familie hatten oder etwas Ähnliches. Das irritierte Patryk. Er kannte das, jedoch hielt er sich mit seinen Gedanken zurück und beobachtete die allgemeine Situation. Ihm wurde sehr schnell klar, dass diese Menschen sehr viel anders waren, als jene aus seiner Heimat.
    Nadeyas Vater hatte ihr eine Packung mit nahrhaftem Trockenessen gegeben. Das klang komisch und ja, es war keine Delikatesse, aber es beinhaltete alles, was der Körper brauchte. Eine anständige Mahlzeit. Wer etwas Kulinarisches haben wollte, würde in Daraium ewig und drei Tage suchen müssen. Das kreative Kochen war längst ausgestorben. Wichtig war nur noch, dass der menschliche Körper die Nährstoffe bekam, die er wirklich brauchte, um fit und gesund zu bleiben. Das Auge aß schon lange nicht mehr mit. Man durfte keine Zeit damit verschwenden aufwendig zu kochen.
    Die Mahlzeit dürftig herunter gewürgt, legte Nadeya ihre Aufmerksamkeit auf die Betten, vorzugsweise ihrem eigenen, dass sie für diese Nacht nutzen würde. Sie war mit Jessi in einem Zimmer, allerdings war jene gerade in den Gängen mit Daiske unterwegs. Die beiden wollten sich noch umschauen und Nadeyas Vater hatte auch vorgeschlagen, dass man eine Nachtwache einsetzen würde. Da sie hier im Dschungel nicht wussten, was passieren würde, wollten sie sich gegenseitig beim Wache schieben abwechseln. Nadeya musste nicht zuerst wach bleiben und würde sich einfach unter die Decke verkriechen und versuchen zu schlafen. Ob sie zum Schlafen kam, war eine ganze andere Frage. Ihr ging einfach zu viel durch den Kopf und es war so viel an diesem Tag passiert, dass sie glauben wollte, dass das alles nur ein Traum gewesen war. Wenn sie morgen früh erwachte, würde sie bestimmt in ihrem eigenen Bett in Synoria aufwachen und nichts von dem war geschehen.
    Wenn es doch nur so einfach wäre …




    [tabmenu][tab=Gute Nacht]
    Liebe Leser,


    ja, ich glaube dieses Kapitel ist ein bisschen kürzer als die vorhergehenden, aber meiner Meinung reicht das so aus wie es ist. Ich verspreche euch allerdings, dass im nächsten Kapitel mehr Aufregung, Drama und … wer weiß noch alles vorkommt. Auf jeden Fall wird es spannend, das verspreche ich euch hoch und heilig! Noch war alles friedlich, aber hey: der Dschungel ist gefährlich. Es wäre enttäuschend, wenn da nichts passieren würde, oder?
    Ich verrate nichts und werde mich nun ins Bett begeben, denn es ist schon wieder viel zu spät.
    Also dann, ich hoffe ich kann auch weiterhin darauf zählen, dass ihr meine Geschichte lest.


    Und wenn's nicht zu viel ausmacht, würde ich mich sehr darüber freuen ein paar mehr Kommentare zu bekommen. Das vermisse ich ein wenig :(


    Wer Rechtschreib- und Grammatikfehler findet, darf sie mir gerne mitteilen, damit ich sie ausradieren kann. Danke!


    Liebe Grüße
    Alexia Drael



    PS: Nein, ausnahmsweise habe ich mal keine Frage. Aber ihr dürft mir eure Meinung trotzdem mitteilen. Ich freue mich immer auf Feedback. Ob nun als offizieller Kommentar oder als private Nachricht. Das sei euch freigestellt.
    [tab=Fragen]
    Nö, gibt's diesmal nicht.
    [/tabmenu]

  • 6. Kapitel - Alptraum


    18. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Fernab von Synoria – Dschungelland (Biowalküre)


    Es war dunkel und kalt und unheimliche aufblitzende Augen hoben sich von der Finsternis um sie herum ab. Zwar konnte sie keine Münder, keine Lippen, keine richtigen Gesichter sehen, aber sie wusste aus einem Gefühl heraus, dass man gehässig auf sie hinab blickte. Die Augen grinsten, ohne dass man es sehen konnte. Sie grinsten mit messerscharfen Zähnen, lachten höhnend auf und ließen das Unwohlsein stärker werden. Diese Dunkelheit war wie ein kaltes Gefängnis, aus dem sie einfach nicht entkommen konnte.
    »Bitte nicht!«, flehte sie jämmerlich und wusste doch, dass sie nicht gehört wurde. Eine einzelne Träne drängte sich aus ihrem Augenwinkel und kullerte ihr über die Wange. Der eigene Leib zitterte, denn die Angst nahm immer mehr zu, je näher die namenlosen Augen aufblitzten. Was waren das für Monster? Kreaturen? Was würden sie mit ihr tun?
    Nadeya drückte die beiden kleinen Hände auf ihre Augen. Ganz fest, um das Gelächter um sich herum nicht zu hören.
    »Aufhören, geht weg!«, flehte sie wieder und ein Schluchzen löste sich aus ihrer Kehle. Ihr Bewusstsein hatte nicht begriffen, dass sie sich als kleines Mädchen in dieser Finsternis befand. Ihr kleiner Körper trug ein schlichtes weißes Kleid. Ihre roten Haare fielen in vielen Locken hinab. Auch damals, als sie sieben Jahre alt war, hatte sie bereits lange Haare gehabt. Nie hatte sie ihre Lockenmähne abgeschnitten. Wenn dann nur die Spitzen, mehr nicht.
    »Nadeya!« Sie hörte ihren Namen rufen und öffnete die vertränten Augen, aber in der Dunkelheit konnte sie nicht erkennen, woher die Stimme kam.
    »Nadeyaaa!« Da, noch einmal! Es blieb nicht dabei. Immer wieder hörte sie eine Stimme, dann waren es zwei, drei … vier? Stimmen, die nach ihr riefen. Immer wieder. Manchmal mit ihrem Kosenamen: »Nana!«
    Die Stimmen kamen ihr vertraut vor, aber sie war nicht in der Lage sie zuzuordnen. Wer waren sie? Was wollten sie? Sie klangen nicht gefährlich. Nicht feindlich.
    »Nadeya, wo bist du? Komm her, Schätzchen!« Sie würde gerne hinkommen, wenn sie nur wüsste, wo das genau war. Ihre kleinen Füße bewegten sich bereits, rannten los und durch die umwallende Finsternis. Sie hatte immer noch Angst, was man an ihrem wild klopfenden Herzen hören konnte. Aber dann sah sie ein Lichtchen. Es war erst eines, dann kam noch eins dazu bis es eine Handvoll an Lichtern waren. Wie Irrlichter schwebten sie durch die Dunkelheit und von ihnen kamen die Stimmen. Sanftes angenehmes Lachen kam vor allem von einem. Es war so verlockend, so anziehend, dass Nadeya unbedingt zu diesem Licht hin wollte. Sie streckt bereits die kurzen Ärmchen dem Licht entgegen, denn die Konturen wurden klarer. Es waren sanfte, goldene, lächelnde Augen, genauso lächelten die vollen rosa Lippen, die zum gleichen Gesicht gehörten. Aus dem Licht wurde eine ganze Gestalt, die Nadeya erkennen konnte. Ja, erkennen. Sie wusste, wer das dort war.
    »Mami, bleib hier! Bitte!«, rief Nadeya ihr zu. Sie wollte zu ihr, zu ihrer
    Mutter, die eine angenehme Wärme ausstrahlte. Sie war nicht kalt, noch nie gewesen. In ihren Erinnerungen war sie warm, fürsorglich und sehr, sehr menschlich gewesen. So hatte sie sie in Erinnerung behalten und so wollte sie sich auch weiterhin an sie erinnern. Aber aus irgendeinem Grund erreichte die kleine Nadeya ihre Mutter nicht. So schnell sie auch lief und flehentlich und schon langsam verzweifelnd ihr nachrief, sie solle auf sie warten, so kam sie einfach nicht zu ihr hin. Auch die anderen Lichter konnte sie erkennen. Ihren Vater, der unglaublich stark war. Er war zwar nicht so gefühlsbetont wie ihre Mutter, aber sie hatte sich stets von ihm beschützt gefühlt und das war ein sehr angenehmes Gefühl gewesen. Außerdem erkannte sie auch ihre beiden besten Freunde. Mit denen hatte sie in geheimen Stunden lachen können. Nicht viel und meist zurückhaltend. Aber auch sie waren nie so kalt gewesen wie all die anderen Menschen. Nur mit zunehmendem Alter war es schwieriger geworden die Wärme für sich zu behalten und nicht am Ende selbst wie ein Roboter aufzutreten.
    »Wartet, wartet – Neeeeeeeeeeeeeeeein!« Nadeyas Stimme verwandelte sich in ein hysterisches angstvolles Schreien, als sie sah, was passierte. Die Familie, die ihr so wichtig war, erreichte sie nicht. Das war jedoch nicht einmal das Schlimmste. Das Bild vor ihr verzerrte sich. Die Gesichter der einzelnen geliebten Personen wurden zu Fratzen, als würde schwarze Tinte über ihre Gesichter, über ihre Körper laufen. Nadeya musste zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass es keine schwarze Tinte war, sondern rotes Blut. Es tropfte auf den schwarzen Boden und sammelte sich. Die Stimmen der Einzelnen, die noch eben liebevoll ihren Namen gerufen hatten, bildeten zunehmend gräss­lichere Laute. Gurgeln, selbst ein gehässiges irres Lachen war zu hören.
    Nadeyas Herz sackte nach unten, ihre Augen waren ganz weit aufgerissen und ihre eigene Kehle schrie aus Leibeskräften. Doch egal wie sehr sie vor Angst brüllte, es ging unter bei all den anderen Geräuschen. Ihre Stimme war stumm und die bis eben noch geliebte Familie wandte sich gegen sie und liefen wie hirnlose Zombies auf sie zu. Arme vor sich ausgestreckt und aus zahlreichen Wunden blutend. Der Untergrund bebte, immer stärker, immer heftiger, bis Nadeya das Gleichgewicht verlor und fiel.


    Sie fiel auf den Boden und setzte sich doch sehr schnell auf, einen erschrockenen Schrei aus der Kehle stoßend. Ihr Brustkorb hob und senkte sich rasend schnell, als hätte sie eben einen Marathon hinter sich gebracht. Ihre aufgerissenen Augen sahen sich in alle Richtungen um. Viel erkannte sie nicht, weil es düster war. Aber nicht so pechschwarz wie eben noch. Es bebte wieder und sie zuckte erneut erschrocken zusammen. Es dauerte ein paar Wimpernschläge, bis sie realisierte, dass das von eben nur ein schrecklicher Alptraum gewesen war. Das Beben jedoch war nicht aus dem Traum. Denn erneut wackelte der Raum um sie herum. Vermutlich war das der Grund, weshalb sie aus dem Bett gefallen war – und natürlich auch, weil sie sich im Traum hin und her gewälzt hatte.
    Mit zittrigen Beinen versuchte sie sich aufzurappeln und musste sich doch am nahestehenden Schrank festhalten, um nicht wieder umzufallen. Schon wieder ein Stoß, der durch die Erde ging! Was war nur los? Verwirrt darüber taumelte Nadeya zur Tür und öffnete sie. Jessi war nicht mit im Raum. War sie bereits nach draußen gerannt, um nachzusehen was hier los war? Oder war sie einfach nur mit der Nachtwache dran? War überhaupt schon Tag?
    Nadeya hatte zu viele Fragen, um die sie sich nicht kümmern konnte. Sie ging durch den Gang, in den sie kam, nachdem sie das Zimmer verließ. Die wenigen Lichter, die man hier vorfinden konnte, flackerten. Gleich gaben sie den Geist auf – so sah es aus. Barfuß rannte Nadeya los und musste aufpassen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Denn jedes Mal, wenn die Erde wackelte, drohte sie umzufallen. Sie konnte froh sein, dass das Flugschiff nicht zusammen fiel. Noch nicht. Wer sagte ihr, dass es nicht in wenigen Minuten bereits in seine Einzelteile zerfiel? Um sich nicht eine weitere Katastrophe vorzustellen, konzentrierte sie sich darauf, wo sie hin laufen musste. Sie kam an eine Abzweigung. Die bisherigen Türen hatte sie ignoriert, an denen sie vorbei gekommen war. Es handelte sich dabei nur um andere Räume, manche waren nicht einmal betretbar wegen der Trümmer von innen oder außen. Musste sie jetzt nach links oder nach rechts?
    »Denk nach, Nana«, forderte sie sich selbst auf und nahm die Abzweigung nach links. Es war der richtige Weg gewesen. Weiter vorne konnte sie Natascha erkennen, die sie bemerkte. Ihr Gesicht sah besorgt aus, was nach wie vor für Nadeya sehr irritierend war. Doch auch darüber wollte sie nicht lange nachdenken und kam auf die Humanoide zu.
    »Was ist hier lo-oooh!« Nadeya verlor das Gleichgewicht als die Biowalküre einen so heftigen Stoß abbekam, dass alles bebte, wackelte und sogar die Decke über ihnen drohte einzustürzen. Nadeya stolperte nach vorne und wurde durch Natascha bewahrt, die sie schnell festhielt, bevor sie auf den Boden fiel.
    »Ein Angriff!«, antwortete Natascha mit ruhiger Stimme. Das Gesicht von der Humanoiden zeigten aber alles andere als Ruhe.
    »Ich weiß nicht, was es ist. Ich kenne es nicht«, fügte Natascha hinzu. Die beiden Frauen brauchten nicht viel miteinander zu reden, um sich zu einigen, dass sie nach draußen wollten. Allein schon, um nicht am Ende noch von irgendeinem fallenden Trümmerteil erschlagen zu werden.
    Kurze Zeit später erreichten sie den Ausgang der Biowalküre, doch das Bild, was sich ihnen offenbarte, hätte genauso gut aus einem Alptraum entspringen können. Nadeya zuckte zusammen. Ihre Augen fielen ihr fast aus den Höhlen.
    Es war immer noch Nacht, aber da der Himmel wolkenfrei war, glitzerten zahlreiche Sterne am Firmament und boten dadurch Licht. Die zwei Monde am Himmel spendeten zusätzlich noch ein wenig Helligkeit. Der größere Mond war noch nicht ganz voll, aber im Gegensatz zum kleineren, wirkte er wie eine zweite Sonne, wenn auch nicht so feuernd. Nadeya traute ihren Augen kaum, als sie all die Lichter sah. Nicht die Sterne am Himmel, sondern der Dschungel um sie herum. Überall glitzerte, funkelte und leuchtete es. Sei es nun kleine bewegte Lichter – Glühwürmchen oder Irrlichter? – oder doch die Fauna, die Licht ausstrahlte. Es war ein atemberaubender Anblick, den jedoch niemand hier bewundern konnte. Nadeyas Augen blieben an den seltsamen Dingern hängen, die wie Schlangen oder Tentakel in der Luft zappelten. Woher sie kamen, war nicht ganz klar. Eines der Dinger schien direkt aus dem Boden gesprossen zu sein. Andere hingegen kamen direkt aus dem Dschungel. Wo der Ursprung war, konnte man nicht sehen. Nadeya musste erst mehrmals hinsehen, um die kleinen Unterschiede zu erkennen. Es waren Wurzeln und es waren tatsächlich pflanzliche Ranken. Dass diese sich allerdings in dieser Form bewegten, war eindeutig anormal. Zumindest glaubte das Nadeya. Wie konnte sie es schon wissen, wenn in den Städten das Wissen über den Dschungel nur sehr geringfügig verbreitet wurde? Peitschend sauste eine der Ranken direkt auf sie zu.
    »Nadeya, pass auf!«, hörte sie Daiske brüllen, der zu weit weg stand, um ihr zu helfen. Natascha war es, die als Erstes reagierte und Nadeya einfach heftig zur Seite schubste. Dadurch wurde die Humanoide von der Ranke getroffen und gegen die Biowalküre geschleudert. Nadeya selbst landete direkt in den Armen von Lucjan. Woher dieser auf einmal kam, war ihr nicht klar, aber so wurde ihr eine unangenehme Landung auf den Boden erspart. Verwirrt starrte sie ihn an, aber es war keine Zeit dafür, um etwas zu sagen. Weitere Ranken schlängelten sich heran und sie mussten in Bewegung bleiben, um nicht getroffen zu werden. Es war schwer bei all der Hektik, die hier herrschte einen genauen Überblick zu bekommen.
    Irgendwie schaffte es Nadeya zu ihrem Vater aufzuschließen, der mit einer Schusswaffe bewaffnet war und auf die Ranken schoss.
    »Diese blöden Viecher juckt das nicht im Geringsten!«, beschwerte er sich. Sie konnten so viel auf die Ranken und Wurzeln abfeuern wie sie wollten, doch aufhalten konnten sie diese nicht. Die Kugeln blieben entweder stecken oder man traf sie nicht einmal.
    »Dad, was ist das?«, rief Nadeya fragend ihrem Vater zu. Der sah über die Schulter zu ihr. Nur einen Moment riskierte er es.
    »Der Dschungel.« Mehr als Antwort erhielt sie nicht. Der Dschungel griff sie hier an, aber wie sollte man das verstehen? Nadeya sah wie ihre Freunde versuchten auszuweichen. Sie konnte sogar Mark Brian O‘Cellaigh erkennen, wie er versuchte den Dschungel abzuwehren. Die Ranken, die sich um seinen linken Fuß schlängelten, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Jessi hatte sich ein scharfkantiges Trümmerteil von der Biowalküre besorgt und hackte auf alle Wurzeln und Ranken ein, die ihr zu nahe kamen. Nadeya verstand die Welt nicht mehr. Auch wenn sie nicht viel Ahnung von Botanik besaß, so dürfte eigentlich die Pflanzenwelt sich in dieser Form nicht bewegen können. Und trotzdem wurden sie genau davon attackiert. Wie bekämpfte man Monsterpflanzen? Mit Feuer? Würden sie nicht riskieren den ganzen Dschungel abzufackeln? Wäre es überhaupt möglich, wenn man bedachte, dass die Regierung nichts gegen den Dschungel unternehmen konnte? Zumindest nichts, um ihn zurückweichen zu lassen? Oder sie taten es und berichteten nur nicht von all den Niederlagen, die sie eingeheimst hatten. Nadeya schüttelte den Kopf darüber. Sie war unfähig etwas zu tun, stand nur da und beobachtete mit aufgerissenen Augen die Szene, wie die anderen alles Erdenkliche taten, um sich zu wehren.
    Wieso … wieso passiert das alles hier? Warum bekämpfte der Dschungel sie so hartnäckig? Denn es war offensichtlich, dass er dazu drängte, sie zu töten.
    Bitte, das muss aufhören! Nadeyas Körper zitterte, erbebte von den Gefühlen, die sich tief in ihr drin ansammelten. Es war Trauer und Verzweiflung und Unverständnis über diese Situation. Wieso war es nicht möglich gemeinsam zu leben? Warum musste es eine solche harte Grenze zwischen Mensch und Natur existieren? Gehörte die Menschheit eigentlich nicht auch zur Natur? Waren sie nicht Teil eines Ganzen?
    Ihr Kopf drohte zu platzen, weil die Schmerzen größer wurden. All die Fragen in ihrem Kopf pochten ohne eine Antwort darauf zu finden. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um herumzustehen und darüber zu grübeln, was der Sinn des Lebens war oder wie man miteinander leben konnte. Sie mussten die Gefahr eindämmen, damit sie überleben konnten. Aber Nadeya konnte es einfach nicht.
    »Nadeya, steh nicht nur herum!«, hörte sie Daiske brüllen, der immer mehr von Ranken bedrängt wurde. Um seinen Körper wickelte sich eine dicke dunkelgrüne Ranke und drohte ihn zu zerquetschen. Er schlug auf das Gewächs ein, denn er gab nicht kampflos auf.
    »Nadeya!«, hörte sie ihren Vater brüllen, der Daiske zur Hilfe eilte, um ihn zu befreien.
    »Nana! Nadeya!« Immer wieder ihr Name … immer wieder … genau wie in dem Traum, den sie noch vor einigen Minuten gehabt hatte. Man rief nach ihr und sie wusste, wenn sie die Augen öffnete, würden sie alle verschwunden sein. Würden sie von der Dunkelheit verschlungen werden.
    Nein, bitte nicht …


    Nathan lief zu Daiske und schnitt mit dem langen Messer, das er bei sich trug, die Ranken um Daiskes Körper ab. Er musste sie von ihm los bekommen, damit der Junge nicht zerquetscht wurde. Denn je länger das dauerte, desto enger wickelten sie sich um seinen Leib.
    Mit kraftvollen Hieben schaffte es Nathan, aber erleichtert war er nicht. Die Ranken und Wurzeln waren überall und da sie sich mitten im Dschungel befanden, war es sehr fraglich, ob sie hier eine Chance hatten zu überleben. Allmählich dämmerte ihnen allen, warum niemand lebend aus dem Dschungel zurückkam. Man wurde von diesem direkt verschlungen. Wenn sie Pech hatten – und es sah gerade wirklich nicht gut aus – würden sie heute ihre letzte Nacht erleben. Es war traurig, dass es so enden musste. Nathan hatte nicht sein Ziel erreicht, welches er sich auferlegt hatte. Deswegen spürte er auch die Wut in sich und deswegen war er noch nicht bereit dazu aufzugeben. Wenn es bedeutete die ganze Nacht zu kämpfen, um zu überleben, dann würde er das tun! Er drehte sich um, sah in die Richtung, wo seine Tochter stand. Sie hatte die Hände auf ihre Ohren gepresst, wirkte wie ein kleines verängstigtes Kind. Was war nur los? Warum riss sie sich nicht zusammen? Nathan wusste nur zu gut, dass seine Tochter sehr sensibel war. Aber sie besaß auch einen Kampfwillen. Warum sie jetzt nur dastand und nichts tat, begriff er nicht. Er wusste, wenn er sie nicht wachrüttelte, würde sie noch schneller hier sterben als alle anderen von ihnen.
    »Nadeya!«, brüllte er zu ihr, denn er war zu weit entfernt, nachdem er Daiske zu Hilfe geeilt war. Ob er es zu ihr schaffte, konnte keiner sagen. Vermutlich würde sich der Dschungel zwischen sie stellen, aber Nathan musste es probieren und rannte deswegen wieder los. Als er erneut zu Nadeya blickte, da er sich eben kurz umgesehen hatte, fiel ihm etwas auf: Leuchten. Es war nur ein sachtes, fast gar nicht wahrnehmbares warmes Licht, das sich um Nadeya ansammelte. Oder … kam es von ihr selbst? Je länger Nadeya dort stand, je länger man sie ansah, desto stärker wurde das Licht. Es musste von ihr selbst kommen, aber was es war, wusste niemand. Vielleicht nicht einmal sie selbst. Nathan hatte keine Zeit dafür, um seine Tochter zu erreichen, noch um zu ergründen, was das alles zu bedeuten hatte. Hinter den Bäumen und dem Gestrüpp des Dschungel nur wenige Meter weit weg von Nadeya, kam etwas hervor, was niemand von ihnen je gesehen hatte.
    Das Ungetüm war fast drei Meter hoch. Wenn man mal von den Füßen bis hoch zum Kopf ging. Auf dem Kopf selbst befand sich ein mächtiges Geweih, was noch einmal zusätzlich an Höhe und Größe zunahm. Die Ranken und Wurzeln waren da völlig vergessen. Jeder sah zu dem Geschöpf, welches sich zeigte. Der Kampf schien für diesen einen Moment vollkommen stillzustehen. Weder wurden die Menschen angegriffen, noch mussten sie sich gegen die Pflanzenplage zur Wehr setzen. Alle Augenpaare, die es hier gab, fixierten das Wesen mit Staunen und Erschrecken.
    Die Hufe des Tieres waren kaum zu sehen, weil das Gras am Boden sie verbargen. Die vier langen Beine wirkten unheimlich elegant, weniger muskulös. Man bekam Angst, dass dieses erhabene Tier sich ein Bein brechen könnte, wenn es umfiel. Allein die Schritte, die es tat, waren so majestätisch, dass man es einfach anstarren musste. Es war überwältigend und die Angst, die man gerade noch im Grunde des Herzens gespürt hatte, ließ nach, verschwand sogar vollkommen. Das Fell des Hirsches war weiß und schimmerte unter den beiden Monden silbern. Um das Geweih selbst waren ein paar Pflanzenranken gewickelt, die einfach zu dem Tier dazu gehörten. Sogar eine zarte Blume blühte im Geäst des Geweihs. Wer genau hinsah, konnte auch die Spuren der Botanik im Fell des Hirsches sehen und je länger man ihn betrachtete, desto mehr begriff man, dass dieses Tier eins mit der Natur um sich herum war.
    Vielleicht sogar der König des Dschungels? Dieser Gedanke kam womöglich auf, wurde aber durch nichts bestätigt.
    Der riesige Hirsch ging ohne Zögern weiter, direkt auf Nadeya zu. Jene hatte mittlerweile die Hände von den Ohren genommen und starrte genauso wie die anderen das Tier an. Ihr Mund stand leicht offen.
    Angst hatte sie keine. Sie konnte nicht sagen, warum das so war, nur das sie sich nicht bedroht fühlte. Die Augen der Kreatur waren schwarz, aber sie schienen so tiefgründig und so voller Weisheit und Güte zu stecken, dass es unmöglich war ihnen etwas Böswilliges andichten zu wollen. War da vielleicht auch ein Funken von Intelligenz zu sehen? Ein Funken der Gefühle, die Menschen langsam immer mehr verloren? Nadeya stand seitlich zu dem Tier, nicht in der Lage sich zu bewegen. Sie sah nur wie der Hirsch auf sie zu kam und dann ging alles ziemlich schnell.
    Keiner von ihnen wusste, was das Auftauchen des Tieres zu bedeuten hatte. War es ein Feind? Ein Monster? Als der Hirsch den Mund öffnete und gen Himmel seinen hohen Ruf ausstieß, konnte man messerscharfe Zähne erkennen. Er hob einen der beiden Vorderläufe und der bis dato angenommene Huf war gar kein Huf. Es war eine Pfote, die scharfe Krallen besaß. Dieses Tier war nicht einfach nur ein Hirsch. Es hatte zwar die zarte Eleganz eines Hirsches, war aber gleichzeitig mit den Vorteilen eines Raubtieres ausgeschmückt. Wer einen echten Hirsch einmal gesehen hatte, würde auch den Unterschied in der Kopfform erkennen. Die Nase war nicht schmal und lang, sondern etwas platter und breiter. Dünne Schnurrhaare sprossen an den Seiten heraus und dienten als Orientierungs- und Tastsinn. Der Schwanz des weißen Raubtierhirsches peitschte in der Luft und das musste wohl endgültig dazu geführt haben, dass Jessi aus ihrer Erstarrung gerissen wurde. Aus Angst, dass ihre Freundin von diesem Monster attackiert und gefressen werden könnte, preschte Jessi los. Sie zögerte keine Sekunde lang, um sich zwischen Nadeya und dem Tier zu stellen.
    »Hey du Bastard!«, brüllte Jessi dem Monster entgegen. Der Zauber von eben war vollkommen vorbei. Auf einmal brach wieder Hektik, Angst und Überlebenswille durch die Lichtung. Jessi warf ihre scharfkantige Trümmerwaffe im hohen Bogen auf das Monster zu. Sie war nicht hier, um dabei zuzusehen wie einer ihrer Freunde vom Dschungel getötet wurde. Sie hatte gewusst, dass es in diesem Dschungel Abartigkeiten gab, weswegen die Menschen in der Stadt gewarnt wurden. Alle Geschichten waren wahr. Das wussten sie spätestens jetzt!
    Das Trümmerteil flog drehend auf den Raubtierhirsch zu. Es war nicht in der Lage rechtzeitig noch auszuweichen, weswegen es direkt im Brustbereich getroffen wurde. Das Stück Eisen bohrte sich hinein und ließ Blut auf das weiße Fell spritzen.
    »Nein!«, schrie Nadeya auf, die nicht fassen konnte, was eben geschehen war. Aber noch viel schlimmer war der nächste Augenblick. Ohne etwas dagegen tun zu können, stellte sich der Hirsch auf die Hinterläufe. Er brüllte vor Schmerz und Zorn gen Himmel auf, donnerte mit den beiden Vorderpfoten auf dem Boden auf und stürmte voran. Es waren nur wenige Schritte, die er hinter sich bringen musste. Weder Nadeya noch Jessi waren schnell genug. Das Tier hatte ein Tempo drauf, dass es jedem unmöglich gewesen wäre ihm zu entkommen. Noch bevor irgendwer etwas hätte tun können, bohrte sich einer der langen Äste des Geweihs direkt durch Jessis Brustkorb. Die blauen Augen der blonden Frau weiteten sich. Aus ihrer Kehle kam nur ein Gurgeln, nicht mal mehr ein Schrei. Das Schreien übernahm dafür Nadeya und auch Daiskes Stimme war zu hören. Der Körper wurde durch einen Schock geschüttelt. Jessi umfasste mit ihren eigenen Händen die Astgabel des Geweihs, die direkt in ihr steckte. Dann wurde sie mit einer einfachen Kopfbewegung des Tieres von den Füßen gerissen. Sie hing auf dem Geweih wie ein aufgespießtes Schwein und wurde dann mit einer weiteren Drehung des mächtigen Kopfes weg geworfen, als wäre sie Müll, den man nicht mehr brauchte. Jessis Körper flog durch die Luft und kam viele Meter weiter weg erst auf dem Boden auf. Das Aufprallen war hart und brach ihr einige Knochen, aber sie bekam es nicht mehr mit. Die Augen, die immer noch sperrangelweit aufgerissen waren, starrten nur leblos in den Himmel hinauf, als sie nach mehrmaligen Drehen und Rollen über den Boden auf dem Rücken liegen blieb.
    Die Welt hielt den Atem an. Es war unheimlich still auf der Lichtung bis der Raubtierhirsch erneut in seinem hohen Ton aufschrie.
    Nadeya war geschockt. Sie sah rüber zu dem sich nicht mehr bewegenden Körper am Boden. Sie sah wie Daiske zu Jessi rannte, sich neben ihr niederließ und verzweifelt etwas vor sich hin stammelte, sie schüttelte und sie wieder zurück ins Leben rufen wollte. Er wusste, dass er nichts mehr tun konnte, aber in solchen Momenten war es nur schwer vernünftig zu denken. Das Gehirn schaltete sich ab und wollte nicht das wahrhaben, was geschehen war.
    Auch Nadeya wollte es nicht wahrhaben. Ihre Stimme war nicht mal mehr in der Lage, ihrem Schluchzen einen Klang zu geben.


    [tabmenu][tab=Worte]
    Liebe Leser,


    wie versprochen ein bisschen mehr … Aufregung.
    Mich würde eure Meinung interessieren. Teilt sie mir bitte mit!


    Wer Rechtschreibfehler findet, möge sich bitte direkt bei mir melden. Ich würde diese gerne korrigieren.


    Facebook? Twitter? Ihr findet mich als „Alexia Drael“.


    Lieben Gruß
    Alexia Drael


    PS: Das Gewitter bei mir passt perfekt zu dem, was in diesem Kapitel geschehen ist. Traurig, oder?
    Ihr findet Bilder von Nadeya und Lucjan im Anfangspost bzw. auf meiner Deviantart-Seite "Alexiani" oder direkt bei Twitter bzw. Facebook.
    [tab=Fragen]
    Da ich irgendwie nur Selbstgespräche mit mir führe und keiner meine Fragen beantwortet, gibt es zukünftig auch keine mehr.
    Ich vermute mal das Bisaboard interessiert sich nicht für Tenaturik? Schade, dass sich keiner zu Wort meldet ...
    [/tabmenu]

  • Nachdem ich anlässlich des Kommentar-Marathons bereits einige Werke im allgemeinen Fanfictionbereich kommentiert habe, habe ich heute einmal in deine Geschichte hinein geguckt.


    [tabmenu][tab='Kommentar']
    Bevor ich auf den Inhalt deiner Geschichte eingehe - und weil du bei den Fragen vom ersten Kapitel auch direkt danach gefragt hast -, möchte ich zunächst einmal auf den Titel eingehen. Mit dem Wort „Tentaturik“ konnte ich zunächst einmal recht wenig anfangen. Für mich klingt es irgendwie nach einer Bezeichnung für irgend eine Art von Technik, also hätte ich mir - wenn mir ein Buch mit diesem Titel in die Hände gefallen wäre - einen Sachtext vorgestellt, in dem die (mir unbekannte) Technik erklärt wird. Hier im Fanfictionbereich sind Sachtexte aber irgendwie fehl am Platze, so dass ich statt dessen eine Science-Fiction-Geschichte erwartet hatte, bei der die erwähnte Technik eine sehr große Rolle spielt. Vielleicht kannst du dir das am besten vorstellen, wenn du überlegst, was du mit Geschichten assoziiert hättest, die die Namen „Elektronik“, „Physik“ oder „Mathematik“ haben. Keinesfalls hätte ich mir unter dem Wort „Tentaturik“ eine Bezeichnung für eine Gruppe von Personen vorgestellt, die alle Arten der Technik ablehnen.


    Der Startpost ist für mich einer der wenigen, wo ich an der Verwendung eines Tabmenüs gar nichts auszusetzen habe. Normalerweise mag ich ein solches als einziges Gestaltungsmittel für einen Startpost nicht, weil ich die Informationen lieber auf einen Blick habe und nicht jeweils nach zwei oder drei Sätzen auf den nächsten Tab weiter klicken möchte. Bei dir sind die für einen Startpost wichtigen Informationen allerdings alle auf dem ersten Tab zu finden, und die Informationen über die Welt übersichtlich in dem zweiten Tab (und dessen Unterpunkten) aufgelistet. Diese Verwendung des Tabmenüs ist sehr durchdacht und gefällt mir gut.
    Nebenbei bemerkt habe ich mir die Informationen zur Welt erst nach den Kapiteln durchgelesen, weil ich solche Informationen lieber erst im Laufe der Geschichte erfahren möchte.
    Weil ich auf dem ersten Tab allerdings keinen Klappentext finden kann, möchte ich dir vorschlagen, den Einleitungstext zu dem Tentaturik-Lexikon (also den Abschnitt „Worum geht es in Tenaturik?“ ohne den Spoiler) auf den ersten Tab zu verschieben.


    Was den Inhalt der Geschichte angeht, muss ich sagen, dass mir das Thema durchaus zusagt. Der Text lässt sich auch relativ gut lesen, wobei mich deine Unsicherheiten im Gebrauch der Grammatik aber leider etwas stören. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, im Startpost und in den ersten beiden Kapiteln die Fehler zu notieren und Korrekturen dafür in den weiteren Tabs hinzu gefügt. Auch in den anderen Kapiteln sind noch Fehler vorhanden, aber da hatte ich dann keine Lust mehr, diese zu notieren - zumal das Korrektur lesen deutlich mehr Zeit in Anspruch nimmt als wenn ich mir ein Kapitel nur vom Computer vorlesen lasse und dabei ganz entspannt zuhöre. (Längere Texte am Bildschirm zu lesen ist mir zu anstrengend.) Vielleicht werde ich mir nach dem Ende des Kommentar-Marathons irgendwann einmal die Zeit nehmen, um bei den folgenden Kapiteln entsprechende Fehlerkorrekturen anzufertigen.


    Was die Beschreibungen angeht, habe ich übrigens nicht das Gefühl, dass da groß etwas fehlt oder dass diese zu langatmig wären. Auch die Gedankengänge sind gut beschrieben, so dass ich Nadeyas Reaktionen durchaus nachvollziehen konnte.
    Bei dem sechsten Kapitel finde ich es übrigens überraschend, dass du das Ungetüm plötzlich als Hirsch bezeichnest. Natürlich kann sich der Leser gleich etwas darunter vorstellen, aber weil der Abschnitt aus Nadeyas Blickwinkel erzählt ist und diese in der Schule rein gar nichts über den Wald und seine Bewohner gelernt hat, dürfte sie das Wort eigentlich gar nicht kennen.
    Schließlich möchte ich erwähnen, dass mir durch den letzten Abschnitt des fünften Kapitels doch ein paar Fragen gekommen sind, die du sicher irgendwann im Laufe der Geschichte noch beantworten wirst. Dadurch, dass Patryk die Abwesenheit von Fragen zu der Herkunft von ihm und Lucjan bemerkt, habe ich irgendwie das Gefühl, dass sich die Menschen dort, wo die beiden Brüder her kommen, nicht so emotionslos verhalten wie in den weißen Städten - wodurch ich mich frage, wo die beiden überhaupt her kommen. Spontan würden mir da drei Theorien einfallen: Zunächst einmal könnte es sein, dass es außerhalb der weißen Städte noch andere Menschen gibt, die im Einklang mit der Natur leben und in ihrem Verhalten mehr den Vorbildern aus unserer realen Welt entsprechen. Diese Theorie wird allerdings durch das Verhalten der Natur im sechsten Kapitel zunichte gemacht. Zweitens könnte es auf anderen Kontinenten Städte geben, wo sich die Emotionslosigkeit nicht durchgesetzt hat, und drittens könnten Patryk und Lucjan aus der Vergangenheit stammen und irgendwie durch einen Zeitsprung oder weil sie in Kryostase versetzt wurden in der fernen Zukunft angekommen sein. Aber das sind nur Theorien, und ich würde es begrüßen, wenn du - außer in weiteren Kapiteln - keine Andeutung machst, ob ich damit richtig liege oder nicht.





    [tab='Fehler im Startpost']


    [tab='Fehler in Kapitel 1']



    [tab='Fehler in Kapitel 2']

    [/tabmenu]

  • 7. Kapitel - Jessi


    18. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Fernab von Synoria – Dschungelland (Biowalküre)


    Trüb und leblos starrten die Augen gen dunklen Himmel. Sterne leuchteten dort oben, wurden jedoch schon längst nicht mehr wahrgenommen. Im Dschungel herrschte eine solche Stille, dass man zuerst glauben wollte, dass jedes Tier, jedes Lebewesen den Atem angehalten hatte, um der Trauer Platz zu machen, die sich über die Gemüter gelegt hatte.
    Eine zarte Hand hatte sich über die Lippen gelegt, unterdrückten die Schluchzer, die in der Kehle hängen geblieben waren. Die braunen Augen, die je nach Lichteinfall entweder heller oder dunkler wirken konnten, waren nun fast schwarz und blickten auf den unbewegten Körper hinab. Sie waren weit aufgerissen und Tränen hingen in den Augenwinkeln, lösten sich immer mal wieder und liefen über die Wangen, perlten und tropften hinab zu Boden. Der Verstand wollte nicht recht wahrhaben, was sich für ein Bild vor ihm erstreckte. Das alles erschien unwirklich. Die Bedrohung des Dschungels war vorübergehend vorbei, als wäre er damit zufrieden, dass es ein Opfer bereits gab. Ob noch weitere folgen würden? Ging man von den Geschichten aus und von dem, was nur vor wenigen Augenblicken geschehen war, dann musste man auf jeden Fall damit rechnen. Aber daran dachte niemand. Nicht Nadeya, auch nicht Daiske, die beide neben der leblosen Jessi am Boden saßen und nicht wahrhaben wollten, dass ihre Freundin einfach so von ihnen gegangen war. Aufgespießt von einem Geweih, das einem unglaublichen Geschöpf gehörte. Nathan stand wenige Schritte hinter Nadeya. Er war unfähig seine Tochter zu trösten, wusste nicht, wie er es am besten anstellen sollte. Darüber hinaus verspürte er auch das unangenehme Zusammendrücken des Brustkorbes, wenn sich Trauer über einen legte. Er kannte Jessi wie die anderen seit ihren Kindertagen. Die Kleine hatte ebenso dazugehört und ordentlich Ärger bereitet wie Daiske und Nadeya. In gewisser Weise war sie auch so etwas wie eine Tochter für ihn gewesen. Mag sein, dass Nathan nicht fähig dazu war die Gefühle nach außen hin richtig zu zeigen, das bedeutete aber noch lange nicht, dass er nicht welche hatte.
    Weniger erschüttert war dafür Mark Brian O‘Cellaigh, der in Abstand zu den anderen stand. Die Humanoide Natascha stand neben ihm, zeigte aber auf ihrem Gesicht sehr viel mehr Anteilnahme, als es der Offizier je gekonnt hätte. Er war gut darin, alles zu verbergen und das Leben der einzelnen Person spielte für ihn keine Rolle, solange die Gruppe selbst in irgendeiner Weise überlebte und hier wieder aus dem Dschungel kam. Natürlich wäre es ihm lieber, wenn keine weiteren Verluste erlitten wurden. Er war der pragmatische Typ, aber um Ziele zu erreichen, würde er nicht zwangsläufig über Leichen gehen. Es sei denn, es gab keine andere Möglichkeit. Zukünftig würden sie noch besser Acht geben müssen. Das Mädchen war seiner Meinung nach auch selbst Schuld an ihrem Tod. Wäre sie nicht dem Monster entgegen gerannt und hätte es angegriffen, würde sie vielleicht noch leben. Eigentlich wäre es ihm sogar lieber, wenn sie endlich zum Aufbruch ansetzten. Noch war der neue Tag nicht da, aber hier bei der Biowalküre zu bleiben, käme für ihn auch nicht mehr weiter in Frage. Sie sollten weiter gehen, einen Weg suchen und finden wie sie hier möglichst lebend wieder heraus kamen. Zeit vergeuden sollten sie nicht, erst recht nicht mit solchen Gefühlen wie Trauer. Trotz dieses Wissens hielt Mark den Mund. Er öffnete ihn nicht, um darauf hinzuweisen, dass es besser wäre sich in Bewegung zu setzen. Denn er ahnte nur zu gut, dass man in diesem Fall wohl eh nicht auf ihn hören würde. Die junge Nadeya war zu geschockt, um sich zu bewegen und dieser Daiske war insgeheim ein ungestümer Kerl. Am Ende würde er noch wütend auf ihn los gehen. Nicht, dass Mark damit ein Problem hätte. Es wäre ein Kinderspiel den Burschen abzuwehren, so grün wie er hinter den Ohren war. Trotzdem war das hier nicht der richtige Zeitpunkt.
    Und … war er nicht auch schlussendlich hier, um etwas zu verändern? Um diese Kälte, die die Menschheit in Besitz genommen hatte zu durchbrechen? Wenn er ehrlich war, fürchtete er sich auch ein bisschen davor. Dann fragte er sich doch, ob das eine so gute Idee war oder ob er nicht besser zurückkehrte. Wenn er die Humanoide einfach mitbrachte, würde er vielleicht noch eine Gnade erhalten und nicht gänzlich aus dem Amt entlassen werden. Er könnte auch die übrigen dem Ordnungs- und Sicherheitsamt übergeben, vor allem da diese eh bereits auf der Fahndungsliste standen. Es wäre also eine gute Möglichkeit wieder die Gunst der Obrigkeit zu erhalten. Nur bestand doch im Endeffekt auch die Frage, ob er das wirklich wollte? Zurück in alte Muster fallen?


    Mit großen Kulleraugen begegnete sie dem ernsten, ja fast trotzigen Blick ihres Gegenübers. Die Augen, die sie ansah, waren blau und wurden teilweise von blonden Strähnen eingerahmt. Trotzdem war das Haar wüst und eher kurz gehalten und von der braven Frisur, die die Kinder von Synoria zu tragen hatten, fehlte jede Spur. Eigentlich kam sogar der Eindruck auf, dass ihr gegenüber vor Kurzem erst irgendwo entlang gerobbt sein musste. Nicht nur, dass das blonde Haar zerzaust war, es waren auch die Sachen. Überall konnte man Schmutzflecke sehen, sogar auf der linken Wange klebte Dreck, der bereits im Versuch ihn weg zu wischen, verschmiert worden war. Wenn man es also ganz genau nahm, wirkte ihr Gegenüber mehr als skurril. Manch einer würde sich fragen aus welchem Loch sie hervor gekrochen war. Wo bitte war sie denn aufgewachsen? Oder besser noch: Man würde sie einfach in ein Labor stecken, wo man sie zuallererst überprüfen würde, ob sie auch wirklich gesund war und nicht irgendetwas an sich hatte, was der Menschheit schaden könnte. Dabei war sie auch nur ein Kind wie jedes andere auch. Na, vielleicht nicht ganz wie jedes andere. Denn das blonde Mädchen ihr gegenüber schien wenig davon zu halten, was die Erwachsenen von ihr erwarteten. Deswegen war sie auch hier. Abgeschoben, um eine strenge Ausbildung zu erfahren, um Disziplin beigebracht zu bekommen und um zu lernen, wie sie sich zu verhalten hatte. Und nicht um irgendwo in irgendwelchen Löchern oder Höhlen herum zu klettern und zu kriecren oder am besten noch sich in den Dschungel zu verlaufen.
    »Äh … hallo?!«, versuchte es die kleine Nadeya. Sie wusste nicht so genau, wie sie sich den anderen gegenüber verhalten sollte. Das Aussehen irritierte sie einfach zu sehr und sie guckte so wahnsinnig grimmig drein, dass es schon zu viel des Guten war. Erwachsene waren auch streng, hin und wieder guckten sie auch ein bisschen grimmig, aber das Mädchen ihr gegenüber schien förmlich den bösen Blick für sich gepachtet zu haben. Das machte Nadeya ein klein wenig nervös.
    »Ich bin Nadeya und du? Du kannst mich auch Nana nennen«, versuchte sie es weiter mit freundlichen Worten. Von dem anderen Mädchen kam keine Reaktion. Sie guckte immer noch so drein und rührte sich keinen Millimeter. Wie sollte man sich da verhalten, wenn man keine Reaktion bekam? Nadeya legte ihren Kopf schief und betrachtete die andere sehr nachdenklich.
    »Verstehst du mich denn? Du kommst aus Mirrowia, stimmt‘s?« Auch da gab es keine Reaktion. Oh – oder etwa doch? Das blonde Mädchen, das auch ungefähr sieben Jahre alt sein dürfte, senkte leicht den Kopf, um zu Boden zu blicken. Die grimmige Grimasse verschwand nicht ganz, aber Nadeya glaubte so einen traurigen, vielleicht auch verletzten Ausdruck zu erkennen.
    Ihr Vater – Nathan – hatte gemeint, dass ein Mädchen aus Mirrowia zu ihnen kommen würde. In Mirrowia sprach man eine andere Sprache, weswegen die Kommunikation ein wenig erschwert sein könnte am Anfang. Aber das sollte Nadeya nicht daran hindern, mit dem Mädchen Kontakt aufzunehmen. Zugegeben, die andere sah eigentlich auch ein bisschen aus wie ein Junge. Allein schon wegen der kurzen zerstrubbelten Haare und die Sachen, die sie trug, waren auch eher bei Jungen typisch, wenn überhaupt. Angeblich soll es in Mirrowia ein paar Probleme gegeben haben und Nathan hatte die Verantwortlichen von der Blonden dazu überreden können, sie zu ihm zu schicken. Daher war sie jetzt hier bei ihnen. Nadeya kannte die ganzen Verstrickungen und Anweisungen nicht. Sie war doch auch nur hier, um es der anderen so angenehm wie möglich zu machen. Damit sie nicht ganz so allein war. Fraglich war jetzt nur, ob man sich sprachlich verständigen sollte. Vielleicht sollte sie es einfach anders probieren? Deswegen machte Nadeya auch ein paar Schritte auf die andere zu, die sofort aufsah, als sie die Bewegung bemerkte. Sie wich jedoch keinen Schritt zurück und guckte dafür umso erstaunter, als Nadeya nach ihrer Hand griff und sie festhielt. Nicht doll. Nur um sie eben festzuhalten, ihr zu zeigen, dass alles gut war. Dabei waren solche Körpergesten
    und -kontakte mehr als ungewöhnlich. Man gewöhnte es frühzeitig allen ab. Man sollte Distanz wahren, sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Dabei gehörte der normale umgängliche Körperkontakt doch zum Menschsein dazu. Was für eine seltsame Welt es doch mittlerweile war …
    »Also, wie gesagt kannst du mich Nana nennen. Lass uns Freunde sein, ja? Dann ist alles viel besser und schöner!« Der Kopf neigte sich von Nadeya auf die andere Seite und ihr Lippenpaar bildete ein sehr sanftes und offenes Lächeln, das von Herzlichkeit sprach. Verwirrt darüber blinzelte die Blonde. Ihre blauen Augen musterten die Braunhaarige. Sie spürte die fremde Hand in ihrer, zog sie aber nicht weg. Seltsam, oder? Wenn sie Berührungen bekommen hatte, dann waren es Schläge. Schläge dafür, weil sie sich wieder mal nicht so verhalten hatte, wie man es von ihr erwartete. Weil sie etwas getan hatte, was der Sitte nicht entsprach. Weil sie einfach trotzig und kindisch war und nicht immer auf das hören wollte, was die Erwachsenen von ihr verlangten. Dass jemand ihre Hand einfach so nahm, war schon seltsam. Aber auch angenehm.
    »Freunde?«, fragte sie verwirrt nach, runzelte sogar die kleine Stirn. Nadeya nickte eifrig.
    »Ja, Freunde!« Ein schüchternes Lächeln huschte sogar nun über die Lippen des blonden Mädchens, erwiderten das von Nana.
    »Okay. Hallo Nana, ich bin Jessi.« Bei dieser Antwort lächelte Nadeya nur noch mehr. Ja, sie grinste förmlich über das ganze Gesicht. Zwar konnte man den Akzent von Jessis Stimme hören, aber offenbar verstand sie sie. Ein so starkes Kommunikationsproblem würde es demnach nicht geben. In den nächsten Wochen brachte Nadeya trotzdem Jessi noch einige neue Wörter bei, die sie nicht kannte. Manchmal verhaspelte Jessi sich, aber das war nicht weiter tragisch. Es machte ihr Wesen aus und als Jessi sich eingelebt hatte,
    bemerkte Nadeya auch ihre doch recht temperamentvolle Ader.
    »Dammisch!«, hatte sie von Anfang an gesagt. Immer dann, wenn etwas schief lief oder wenn ihr irgendetwas nicht passte. Sie machte ihrem Ärger Luft anstatt alles in sich hinein zu fressen. Manchmal überraschte das Nadeya, die vor Schreck dann nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Doch im Nachhinein war sie sehr froh über Jessis offene Art gewesen. Denn so hatte sie stets gewusst, woran sie bei ihr war. Sie hatte sich nicht verstellt und war auf ihre Art und Weise ehrlich gewesen. Damit war sie sehr oft auch bei anderen angeeckt. Nicht nur einmal. Selbst mit Daiske hatte sie sich regelrecht angelegt und sich gerauft und wenn Nathan zurück von seiner Arbeit gekommen war, hatte er die drei schon so manches Mal verwundert angesehen, wie sie wieder ausgesehen haben. Verdreckt von oben bis unten, manchmal mit blauen Flecken, weil sie in höheren Lagen herum geklettert waren, obwohl sie das nicht sollten. Die weiße Stadt bot eine Menge Schlupfwinkel und Ecken, die man erkunden konnte, ohne dass davon das Amt was mitbekam oder andere Erwachsene. Man musste eben nur diese Stellen finden und dann konnte selbst die Stadt zu einem richtigen Abenteuerspielplatz für Kinder werden, die sich weigerten sich wie Roboter zu benehmen.
    Sie waren seit Jessis Ankunft in Synoria ein unzertrennliches Trio gewesen und hatten ganz gewiss Nathan schon so manchen Nerv geraubt gehabt. Aber sie hatten nun mal zusammen gehört.
    Zusammen …


    Lucjan und Patryk standen selbst nicht unweit von den anderen entfernt. Nachdenklich beobachteten die beiden die Szene, die sich still vor ihnen abspielte. Die Verzweiflung, die Trauer, ja sogar die insgeheime Nervosität von Mark, welcher zu gern weiter gehen wollte. Es war unwirklich und doch so real. Nadeya wollte nicht wahrhaben, dass das unzertrennliche Trio, das sie seit Kindertagen abgegeben haben, nun getrennt sein sollte. Jessi durfte nicht tot sein! Sie hatte ihr ganzes Leben noch vor sich! Sie hatte immer gegen den Strom schwimmen wollen, nie sich verbiegen lassen. Sie war die Starke von ihnen beiden gewesen. Nadeya war immer die Einfühlsamste, aber auch Verletzlichste gewesen. Dank Jessi als auch Daiske hatte sie es bisher in dieser eher kalten Welt ausgehalten. Jetzt, wo ein Teil fehlte, würde es noch schwerer werden. Schließlich war Jessi ihre beste Freundin gewesen! So unterschiedlich sie auch eigentlich gewesen waren, es hatte trotzdem zusammen gepasst.
    Leise, gedämpfte Schritte näherten sich ihr. Nadeya sah nicht auf. Ihr Blick lag ganz auf Jessi, die einfach nicht wieder aufstehen wollte. Es dauerte einen Moment bis Nadeya begriff, wer sich genähert hatte. Nämlich erst, als man ihre Hand nahm, sah sie auf und direkt in das tiefe Blau von Lucjans Augen. Er sah sie an, hockte ihr gegenüber, auf der anderen Seite von Jessis Körper.
    Daiske war immer noch da, aber wie Nadeya, war er in seiner Trauer versunken. Nadeya konnte nur erahnen, was in ihm vor sich ging. Sie würde ihn gerne trösten, konnte es aber nicht, weil sie es selbst einfach nicht schaffte ihre eigene Trauer zu verdauen. Wie sollte man das auch schon so schnell, wenn der Tod erst vor wenigen Minuten eingetreten war? Lucjan holte ihre Aufmerksamkeit zu sich zurück, indem er auch noch seine zweite Hand um ihre legte. Er hielt sie fest, wirkte nachdenklich und sie begriff erst gar nicht, was das zu bedeuten hatte. Versuchte er auf seine Weise ihr Trost zu spenden, wollte er ihr sein Mitleid aussprechen? Oder eher übermitteln? Aber wieso sollte er das so tun, wo eigentliche solche Gesten völlig unnormal waren?
    »In ihr steckt noch Leben«, murmelte Lucjan leise, aber verständlich für Nadeya. Auch Daiske hörte das, der ein wenig den Kopf anhob. Doch wie Nadeya verstand er nicht wirklich, was Luc damit ausdrücken wollte. Es brauchte weitere Worte bis diese überhaupt in Nadeyas Gehirn eindrangen, um sie vernünftig verarbeiten zu können.
    »In ihr steckt noch Leben. Noch ist nicht alles verloren.« Lucs Worte klangen falsch und trotzdem richtig. Es war ganz komisch. Obwohl jeder hier
    Jessis toten Körper sah und jeder auch wusste, dass sie absolut tot war, war es für Nadeya unmöglich die Worte von Lucjan anzuzweifeln. Es war, als wüsste sie es selbst tief in sich drin, dass er Recht hatte. Nur was sollte sie mit diesem Wissen anfangen? Jessis Leben wurde mit jeder verstrichenen Minute weiter verbraucht bis wirklich nichts mehr übrig sein würde. Keine Lebensgeister, keine Seele – wie auch immer man es nennen wollte.
    »Luc!« Es war Patryk, der näher heran getreten war und seinen Bruder ermahnte. Nicht laut, aber durchdringend. Er war nicht damit einverstanden, was Lucjan vor hatte. Aber Patryk würde, wenn Luc es tatsächlich wollte, ihn auch nicht davon abhalten. Er gab nur zu bedenken … Auch wenn er keine Worte groß von sich gab, Lucjan verstand ihn auch so.
    »Ich muss es tun«, sagte Lucjan, ohne zu Patryk zurück zu sehen. Er sah noch immer Nadeya in die Augen, die ihn anstarrte und die langsam ihre Trauer nicht vergaß, aber eben doch ein wenig in den Hintergrund stellte während sie versuchte zu begreifen, was Lucjan vor hatte. Denn das verstand sie nicht.
    »Was … ?« Sie wollte ihre Frage richtig ausformulieren, aber sie kam nicht dazu. Einmal weil ihr die passenden Worte fehlten, zum anderen weil Lucjan seine Hände zurückzog und sich Jessi zuwandte, die vor ihm auf dem Boden lag. Unter ihr hatte sich die Blutlache gebildet von dem Blut, welches aus ihrem Körper durch die Wunde heraus floss. Der Boden saugte sich immer noch damit voll.
    Luc legte die Hände auf die Wunde, drückte darauf, als wollte er die Blutung stoppen. Aber so einfach konnte das nicht sein, vor allem weil es auch sinnlos erschien. Sie war tot, was sollte es bringen nun verhindern zu wollen, das noch mehr Blut ihren Körper verließ? Obwohl diese Sinnlosigkeit allen vor Augen stand und Nadeyas logische Vernunft ihr das ebenfalls mitteilte, reagierte sie instinktiv und legte selbst ihre Hände auf die Wunde. Sie wollte helfen, obwohl sie nicht einmal richtig wusste, was sie da tat oder welchen Zweck das jetzt noch erfüllen sollte.
    »Du musst es fühlen«, sprach Lucjan zu ihr. Sehr leise und noch immer klang seine Stimme so falsch, dass man glauben musste, dass man mit einem Roboter sprach und nicht mit einem echten lebenden Menschen. So angewidert er auch selbst davon war, es war die einzige Möglichkeit, um manche Gedanken auszudrücken. In diesem Augenblick spielte es keine Rolle, was mit ihm geschehen war. Wichtig war nur die tote Jessi, die diesen Tod heute nicht verdient hatte. Der Kreislauf des Lebens gab vor, dass jeder irgendwann mal sterben musste. Auch wenn sich die Menschheit sehr bereitwillig dagegen sträubte und versuchte den Tod zu umgehen. In dieser Nacht sollte nicht das Leben eines so jungen Menschen genommen werden. Lucjan hatte die Augen geschlossen und konzentrierte sich nur darauf. Was Nadeya sah, konnte sie nicht beschreiben, auch nicht erklären. Es war ihr unbegreiflich. Genauso wie das, was sie fühlen konnte. Richtig fühlen konnte. Es war erst nur ein schwaches, später ein stärkeres Pulsieren. Woher es kam, konnte sie nicht genau sagen. Sie fühlte es überall, als wäre es in ihr drin, wie auch um sie herum. Ein Pulsschlag, der zur Welt selbst gehörte. Lucjan atmete tief ein und wieder aus. Was auch immer er tat, die Blicke lagen auf ihm und auf Jessi. Seine und die Hände von Nadeya lagen noch immer auf der Wunde von Jessi, ließen ein seltsames Aufleuchten entstehen. Nathan, der vorhin dieses Leuchten bereits gesehen hatte, wenn auch nicht bei Lucjan, legte nur die Stirn in Falten. Weder gab er einen überraschten Laut von sich, wie Daiske, noch reagierte er anders darauf. Er beobachtete nur stillschweigend, wie sich die Veränderung sichtbar bemerkbar machte. Nadeya hingegen riss überrascht die Augen auf. Sie konnte die Anstrengung auf Lucjans Gesicht sehen, als würde er versuchen etwas ganz Schweres anzuheben, wofür er all seine Kraft benötigte. Aber er gab keinen Mucks von sich und schien völlig in seiner Konzentration versunken zu sein. Patryk, der mit einigen Schritten Abstand noch immer dastand, hätte seinem Bruder helfen können. Aber in diesem Fall war es nun mal Lucjans Entscheidung gewesen und Patryk konnte und durfte in dieser Entscheidung nicht mit eingreifen. Er musste es selbst durchführen – ohne ihn. Obwohl nicht einmal für ihn sicher war, ob es wirklich gelingen mochte.
    Nadeya spürte in sich einen noch stärkeren Puls, gefolgt von einem Energie­strom, den sie zuerst kaum wahrgenommen hatte, der aber immer stärker wurde. Es war warm, nicht heiß, und angenehm. Ein sachtes Kribbeln, was sich durch ihren Körper bahnte. Kam es von Lucjan selbst? Oder aus dem Boden? Nadeya konnte den Fluss dieser seltsamen Energie spüren, die so natürlich wirkte, dass sie sich am liebsten wohlig darin gesuhlt hätte. Es war ein Gefühl der Geborgenheit. Auch eines der Sicherheit, als könnte nichts und niemand ihnen etwas anhaben.
    Daiske beobachtete ganz genau, was da vor sich ging. Das Leuchten, das die beiden einnahm und das, was es mit Jessi anstellte. Von der Energie konnte er rein gar nichts spüren. Auch die anderen nicht. Aber das spielte auch keine Rolle, denn er konnte genau erkennen, wie die Farbe in Jessis Gesicht zurück kam. Wie immer weniger Blut aus der Wunde kam, die von den Händen überdeckt wurde und was noch viel wichtiger war: Wie sich der Brustkorb mit Luft füllte und kurz darauf ein tiefes Luftschnappen von Jessi kam, als würde sie unter der Wasseroberfläche eines Sees wieder auftauchen und gierig ihre Lungen mit Sauerstoff füllen.
    »Jessi!« Daiske konnte sich gar nicht an sich halten. So schnell wie er konnte, war er bei ihr und stützte ihren Körper, in dem er sich hinter sie setzte und ihr dabei half weiter aufrecht sitzen zu bleiben, in dem sie sich an ihn lehnen konnte.
    »Jessi, oh mein Gott, du lebst!« Bevor Jessi überhaupt etwas sagen noch anderweitig reagieren konnte, schlangen sich auch schon die kräftigen Arme von Daiske von hinten um sie und drückten sie.
    »Dammisch, gleich aber nicht mehr!«, beschwerte sie sich, was ein Auf­lachen von Daiske zur Folge hatte. So kannte er sie!
    Das Leuchten hatte mit dem ersten Atemzug von Jessi aufgehört und auch der Energiestrom, den Nadeya gespürt hatte, war verschwunden. Sie wollte sich freuen, innerlich tat sie es auch, aber während Daiske einfach nur glücklich über Jessis Auferstehung war und ihr auch half wieder auf die Beine zu kommen, konnte Nadeya nicht von Lucjan wegsehen. Er saß immer noch ihr gegenüber, wirkte aber sehr viel müder und erschöpfter, als bis eben noch. Seine Augen waren wieder geöffnet, aber er brauchte einen Moment, ehe er den Kopf hob, um den erstaunten Blick von Nadeya zu erwidern. Ihre Lippen formten ein Wie? ohne die eigene Stimme einzusetzen. Eine stumme Frage, die er verstand, aber jetzt sofort nicht beantworten konnte. Es steckte viel mehr dahinter, als sie bisher ahnte und er wäre nur zu gern bereit es Nadeya zu erklären. Aber sie waren hier nicht allein und das bekamen sie auch schnell mit, als sich Mark zu Wort meldete.
    »Ihr seid also tatsächlich Naturika!« Seine Stimme hatte einen entsetzten Unterton, den man so von ihm nicht erwartet hätte. Sogar seine Augen zeigten die Überraschung. War er begeistert oder fürchtete er sich vor Lucjan und
    Patryk, nach dem was er gerade gesehen hatte? Es war nicht eindeutig zu erkennen. Freundlich hatte es aber schon mal nicht geklungen.
    Nadeya war schon wieder verwirrt. Sie hatte das dumpfe Gefühl viel zu wenig über diese Welt zu wissen.
    »Naturika?« Diesmal setzte sie ihre Stimme ein, sah von Mark wieder zu Lucjan und jenen fragend an. Was sollte denn das schon wieder bedeuten? Daiske und Jessi schienen das vorerst nicht so sehr zu kümmern. Besonders Daiske war einfach nur froh, dass Jessi wieder lebte – die, wie sie eben Daiske nebenbei androhte, ihn gleich windelweich prügeln würde, wenn er sie nicht endlich los ließ.





    [tabmenu][tab=X]
    Liebe Leserinnen und Leser,


    eigentlich wollte ich kein Kapitel mehr hier rein stellen, aber nachdem ich nun zwei Kommentare (jeweils eines zu meinen Geschichten) erhalten habe, stelle ich doch mal wieder was hinein.


    Von Tenaturik gibt es bereits 10 geschriebene Kapitel und nein, die Story ist noch nicht fertig. Wie meine Kalos-FF ist auch das hier eine lange Geschichte, die sehr viel Zeit und Ausdauer in Anspruch nimmt.


    Viel Spaß beim Lesen
    Alexia
    [tab=Antworten]
    Hallo @Feuerdrache,


    jetzt war ich doch sehr überrascht kurz nacheinander Kommentare zu erhalten. Von Rusalka hatte ich es bereits erwartet, weil ich mit ihr schon im Gespräch war. Es hat mich sehr gefreut, dass du dir meine Geschichte durchgelesen hast (oder halt vorlesen lassen hast, ist ja auch okay :) )


    Zum Thema Namen "Tenaturik" - eigentlich will ich da an dieser Stelle gar nicht viel sagen, es würde nur zu viel verraten. Ich habe absichtlich diesen Namen verwendet und er setzt sich eigentlich sehr logisch zusammen. Ist gar nicht mal so schwer, aber ich glaube, bisher ist niemanden das wirklich aufgefallen und ich sage dazu auch einfach noch nichts. Früher oder später wird es in der Geschichte sowieso mal erwähnt. Da ich aber jemand bin, der gerne Informationen zurückhält und Geheimniskrämerei betreibt, kann das dauern. Zumal ich immer auf den richtigen Zeitpunkt warte.


    Ja ansonsten ... kann ich jetzt auch nicht viel mehr sagen, außer mich bei dir zu bedanken! Ich möchte jetzt auch nicht spoilern, vor allem weil du auch darum gebeten hast dir keinen Hinweis zu geben. Im Laufe der Geschichte werden natürlich alle Fragen beantwortet, aber ich selbst kann noch nicht genau sagen, wann das passieren wird. Nur bestätigen, dass es früher oder später kommt. Eben dann, wenn der Zeitpunkt dafür gekommen ist.


    Vielen Dank auch für die Fehlerkorrektur. Ich habe keinen wirklichen Betaleser und obwohl ich oft meine Texte durchlese, entgehen mir leider immer wieder ein paar Stellen, die nicht unbedingt richtig sind. Deswegen bin ich immer froh, wenn man mich darauf hinweist.


    Ach ja zum Startpost! Ich werde dann wie du es mir empfiehlst den Klappentext noch nach vorne ziehen. Danke für's Feedback!


    Lieben Gruß und hoffentlich bis bald
    Alexia
    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab='Kommentar']
    Nachdem ich bei den meisten aktiven Werken des allgemeinen Fanfictionbereiches mit seit Längerem unkommentierten Kapiteln Abhilfe geleistet habe, kann ich mich jetzt (immer noch im Zuge des Kommentar-Marathons) um dein neues Kapitel kümmern.


    Nachdem in den voraus gehenden Kapiteln eigentlich immer ein angemessenes Maß an Action vorhanden war, passiert in dem neuen Kapitel fast gar nichts: Die Protagonisten trauern um Jessi, dann gibt es eine Rückblende und schließlich wird Jessi wieder ins Leben zurück geholt. Allerdings wird die fehlende Action durch entsprechende Darstellungen der Gefühle der Charaktere mehr als ausgeglichen. Auch das neue Kapitel liest sich gut - wenn ich einmal von der stark verstümmelnd wirkenden Formatierung absehe. Ich nehme an, dass du den Text in einem anderen Programm vor geschrieben hast und dass die Leerzeichen irgendwie bei dem Kopieren des Textes in den Beitrag verloren gegangen sind? Von solchen Problemen habe ich an anderer Stelle bereits gehört, wobei ich ehrlich gesagt zugeben muss, dass dieser Fehler bei meinen eigenen Texten noch nicht aufgetreten ist.


    Übrigens habe ich bei diesem Kommentar gleich die Gelegenheit ergriffen und habe bei zwei weiteren Kapiteln Korrekturen für die vorhandenen Fehler angefertigt.



    [tab='Fehler in Kapitel 3']


    [tab='Fehler in Kapitel 4']


    [tab='Fehler in Kapitel 7']
    Weil es in diesem Kapitel sehr viele fehlende Leerzeichen gibt und ich nicht will, dass die übrigen Korrekturen dadurch untergehen, habe ich bei den zusammengezogenen Wörtern das fehlende Leerzeichen eingefügt und die Stelle unterstrichen.


  • Hallo @Feuerdrache,


    danke fürs Weiterlesen und korrigieren.
    Ja, die Formatierung - da hatte mich Rusalka schon gestern drauf aufmerksam gemacht bei meiner Kalos-FF, hab aber selbst Tenaturik vollkommen vergessen. Es liegt am rein kopieren, da scheint es aktuell einen Bug zu geben. Ich editiere einfach kurz das Kapitel noch mal rein, damit es wenigstens ordentlich ausschaut. Gut, dass du es noch mal erwähnt hast. Und danke für's Feedback im Allgemeinen.


    Lieben Gruß
    Alexia

  • 8. Kapitel – Naturika


    18. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Dschungelland


    Naturika – ein Begriff, der angeblich seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, ausgestorben war. Dementsprechend konnte sich Nadeya darunter auch nichts vorstellen und sah fragend noch immer zwischen Mark Brian O‘Cellaigh und Lucjan hin und her. Was hatte das zu bedeuten? War das ein Problem? Nicht nur, dass diese Fragen wichtig waren. Sie wollten alle auch erfahren, wie es möglich war Jessi von den Toten wieder zurück zu holen. Jene hatte sich aus der Umarmung von Daiske retten können, der sie nur notgedrungen wieder los gelassen hatte. Jemanden zu verlieren, der einem wichtig war, konnte unerträglich sein. Denjenigen wieder zu bekommen, löste einen Schwall von Freude aus, aber auch die Angst, dass der Verlust erneut erlitten werden musste.
    »Naturika sind Naturverbundene Menschen, denen man nachsagt, dass sie außergewöhnliche Fähigkeiten besitzen.« Es war Nathan, Nadeyas Vater, der eine Erklärung lieferte. Er war ganz ruhig, wirkte keinesfalls überrascht und schien zumindest schon mal von diesen Menschen gehört zu haben. Nadeyas braune Augen, die wegen der Dunkelheit eher schwarz wirkten, musterten ihren Vater. Im Prinzip hätte man sich das Wort selbst erklären können. Vielleicht nicht alles, aber zumindest hätte man es erraten können. Dass Lucjan und möglicherweise auch Patryk solche Menschen sein sollten, erschien in Anbetracht ihrer Modifikationen irgendwie seltsam. Es passte auf den ersten Blick nicht. Aber was die besonderen Fähigkeiten anging, würde es immerhin das mit Jessi erklären – ihre Wiederbelebung und die Energie, die Nadeya gespürt hatte. Nadeyas Augen wanderten zurück zu Lucjan.
    »Ist das der Grund, weshalb du Jessi wiederbeleben konntest?«, wollte sie von ihm direkt wissen. Besaß er diese Fähigkeit und könnte es auch sein, dass er noch andere Dinge tun konnte? Mark wirkte weniger erfreut darüber. Er schien es eher als Bedrohung wahrzunehmen. Für Nadeya war es vorerst ein Segen. Schließlich war Jessi wieder am Leben. Sollte nicht nur das zählen?
    »Wir können keine Toten wiederbeleben«, war das Erste, was Lucjan von sich gab. Nadeya war bereits dabei den Mund zu öffnen, um zu widersprechen, aber Luc kam ihr zuvor.
    »Es ist richtig. Jessi lebt. Aber nicht, weil wir Tote einfach wieder zurück­holen können, sondern weil in ihr immer noch das Leben pulsiert hatte. Solange dieses vorhanden war, brauchte ich ihr nur die nötige Energie zuführen, um ihre Selbstheilung anzukurbeln.« Auf Nadeya wirkte es so, als wenn Lucjan der Sache keine große Bedeutung beimessen wollte. Er zuckte sogar mit den Schultern, aber für sie war es weitaus mehr. Es war wie Magie gewesen, die sie nicht richtig begreifen konnte.
    »Dammisch! Dann hast du mir also das Leben gerettet? Auch wenn ich kein bisschen von dem verstanden habe, was du gerade gesagt hast. Irgendwie … eh … « Jessi war nicht allein mit der Verwirrung, aber auch für die Blonde zählte nur, dass sie am leben war. Was an sich schon sehr seltsam in ihren Ohren klang. Sie hatte nicht das Gefühl gehabt tot gewesen zu sein. Ja, sie war angegriffen worden und ja, sie konnte sich an den höllischen Schmerz erinnern, als sie durchbohrt worden und dann durch die Luft gesegelt war, um im Nachhinein unsanft auf dem Boden aufzuprallen. Aber den Aufprall hatte sie schon gar nicht mehr so genau wahrgenommen. Sie war … weg gewesen. Als hätte sie geschlafen. Die Verwirrung nahm nicht ab und so schüttelte sie den Kopf, um nicht weiter darüber nachzudenken. Sie lebte, was zählte denn sonst?
    »Wenn du es so nennen willst, dann ja«, antwortete ihr Luc. Er blieb ziemlich gelassen, allerdings auch etwas zurückhaltend, als wollte er lieber dieses Thema so schnell es ging wieder bei Seite schieben.
    »Und was noch? Was könnt ihr noch außer Tote wiederbeleben?« Das war Mark, dessen Stimme angriffslustig klang, als wollte er Lucjan Böses unterstellen. Fürchtete er sich davor, dass Lucjan seine Fähigkeiten ihm entgegen schleudern könnte?
    »Hey, jetzt halte mal die Luft an! Wir können froh sein, dass er dazu in der Lage war, ja?!« Auch Daiske mischte sich in die Unterhaltung ein und nahm tatsächlich Lucjan in Schutz. Warum auch nicht? Er hatte Jessi gerettet, er war ihm zu Dank verpflichtet. Andersherum war Mark ihm immer noch suspekt!
    »Wir sollten alle die Luft anhalten und lieber uns darauf einigen, was wir als nächstes tun. Denn hier bleiben, wäre keine gute Idee«, mischte sich Nathan ein, ehe eine heftigere Diskussion zwischen Daiske und Mark ausbrechen konnte. Besser sie lieber im Keim ersticken und die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche konzentrieren.
    Nadeya hielt sich im Gespräch zurück, das zwischen den Männern entbrannte, um sich zu einigen, wie sie weiter verfahren wollten. Weiter gehen und wenn ja, in welche Richtung? Sie ging zu Jessi, stellte sich vor sie und fragte: »Wie geht es dir? Alles gut? Was ist mit deinem Arm?«
    Überrascht sah Jessi sie an und hob ihren Arm, der eigentlich noch vor kurzem gebrochen war. Sie konnte ihn ohne Probleme anheben und bewegen und stellte dabei fest, dass der Bruch verschwunden war.
    »Wow, so viel zur Selbstheilung.« Sofern das stimmte, was Lucjan gesagt hatte. Jessi war nicht nur wieder am Leben, sie hatte auch keine Verletzungen mehr. Zwar waren ihre Sachen in Mitleidenschaft geraten, aber die Wunde am Bauch war weg – kein Loch mehr – und auch vom Armbruch war nichts mehr zu spüren. Das war wirklich erstaunlich. Nadeya atmete erleichtert auf und umarmte Jessi glücklich. Es war ein kurzes, herzliches und freundschaftliches Drücken, was Jessi auch erwiderte und sie zum Lächeln brachte.
    »Ich bin so froh, dass es dir gut geht!«, murmelte Nadeya.
    »Danke, ich auch.« Jessis Blick wanderte rüber zu Lucjan, der nur ein sachtes Nicken zeigte. Worte waren nicht nötig, er hatte auch so verstanden, dass Jessi selbst dankbar dafür war. Manchmal brauchte es eben keine direkten Worte, um solche Gefühle auszudrücken. Nadeya hatte sich bereits wieder von Jessi gelöst und lauschte auf, als die anderen sich darauf einigten vorerst sich auf das Überleben als solches zu konzentrieren und alles andere in den Hintergrund stellten. Fragen gab es viele, aber sie hatten keine Zeit ewig lange herum zu labern, sondern mussten endlich aus diesem Dschungel heraus! Deswegen wollten sie auch nicht mehr zum Morgengrauen abwarten, sondern setzten sich in Bewegung, nachdem sie alles eingesammelt hatten, was sie als wichtig erachteten, um weitergehen zu können.


    Zwei Stunden später konnte man bereits die ersten Sonnenstrahlen zwischen den Baumkronen aufblitzen sehen. Seit dem Angriff und der skurrilen Wiedererweckung von Jessi war nichts weiter passiert. Kein Angriff von Seiten des Dschungels. Kein Auftauchen von seltsamen Geschöpfen oder Monstern. Auch sämtliche Ranken und Wurzeln, die sie sahen oder über die sie stolperten, regten sich nicht. Es wirkte wieder alles friedlich, als hätte vorerst der Dschungel genug ausgeteilt. Trotzdem wollte keiner aus der Gruppe erleichtert aufatmen und hoffen, dass sie das Schlimmste überstanden hatten. Erst, wenn sie wieder eine Stadt betreten konnten, würden sie sich sicherer fühlen.
    Natascha, die Humanoide, war seit dem Angriff sehr still. Sie hatte kein Wort gesagt. Auch Lucjan und Patryk hielten sich sehr zurück. Die einzigen, die hin und wieder das Wort erhoben, waren Nathan, Daiske und Mark. Manchmal auch Jessi, wenn sie sich darüber genervt aufregte, das schon wieder ihr ein Busch im Weg stand. Nadeya selbst beobachtete die Gruppe. Sie war mit einer der Letzten während vorne Mark und Nathan die Führung übernahmen. Jessi war auch vorne mit bei Daiske und eigentlich wirkte alles normal. Sie schien sich nicht wirklich verändert zu haben. Eigentlich. Nadeya wollte sich nichts einbilden und trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass dieser kurze Tod und das Zurückkehren ins Leben nicht irgendwelche Spuren an Jessi hinterlassen hatte. Jessi wirkte normal, reagierte so, wie sie sie kannte. Dennoch glaubte Nadeya auch eine seltsame Unsicherheit in Jessi zu sehen, immer nur dann, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit nicht auf Jessi lag. Das bereitete Nadeya Sorgen, aber jetzt war nicht der richtige Augenblick, um sie darauf anzusprechen. Selbst wenn sie es getan hätte, was hätte sie zur Besserung beitragen können? Sie würde abwarten bis sie in Sicherheit waren. Vielleicht verflog auch dieser Eindruck sobald sie in einer Stadt angekommen waren. Als Nadeya von Jessi weg sah, bemerkte sie, dass Lucjan neben ihr her ging. Er hatte die Hände in die einfachen Hosentaschen gesteckt. Von der Seite wirkte er wie ein ganz normaler Mann, wie ein ganz normaler Mensch. Abgesehen davon, dass sein Kinn bereits Haarstoppeln aufwies, genauso wie bei den anderen Herren, die hier im Dschungel beileibe nicht dazu kamen sich zu rasieren. Nicht, dass es Nadeya störte. Es war nur ein eher ungewohnter Anblick, betrachtete man sich mal die Einheitsmode in den Städten. Von Mode an sich konnte man sowieso nicht mehr reden. Die Sachen waren zweckdienlich, waren den Umständen angepasst, dienten nur noch dem praktischen Gegebenheiten. Es ging nicht mehr darum besonders schön zu wirken oder sich in irgendeiner Weise von der Masse abzuheben. Ziemlich eintönig, wenn man es genau betrachtete. Wer was anderes tragen wollte, musste sich selbst Stoffe organisieren und selber nähen. Aber das taten die wenigsten. Individualismus wurde schnell verpönt. Man hatte keine Chance sich als Freigeist in der Stadt zu bewegen, denn man würde viel zu schnell vom Ordnungs- und Sicherheitsamt ermahnt werden sich wieder der Masse anzupassen. Wer das nicht wollte, musste mit unangenehmen Konsequenzen rechnen.
    »Lucjan, darf ich dich etwas fragen?«, erhob Nadeya leise die Stimme, um sich an den Genannten zu wenden. Sie sprach nicht laut, damit es die anderen nicht hörten. Nicht, dass sie irgendwelche Geheimnisse austauschen wollte. Aber ihr erschien es klüger, leise zu reden. Lucjan sah zur Seite und damit zu ihr runter. Sie war nun mal ein ganzes Stück kleiner als er, so dass ihm nichts anderes übrig blieb als das Kinn abzusenken.
    »Ja«, antwortete er mit seiner verzerrten Stimme. Nadeya konnte den Anflug der Missbilligung darüber in seinen Augen kurz aufhuschen sehen, ehe er sich wohl damit abfand, dass er an seiner Stimmlage derzeit nichts verändern konnte.
    »Woher kommst du? Oder ihr beiden? Und … warum wart ihr auf der Biowalküre?« Nadeya wusste nicht, ob das vielleicht zu persönlich war oder ob sie überhaupt das Recht hatte solch eine Frage zu stellen. Mehrere Fragen sogar! Aber in ihrem Kopf gab es so viele Dinge, die sie sich nicht erklären konnte und irgendwie hatte sie das dumpfe Gefühl, das sie nur von Lucjan oder auch Patryk Antworten erhalten konnte, um endlich schlauer aus alledem, was
    passiert war, zu werden.
    »Du bist ziemlich neugierig«, stellte Luc fest. Das löste in Nadeya sofort Unbehagen aus, die betreten zu Boden sah.
    »T-tut mir leid«, murmelte sie.
    »Das muss dir nicht leid tun. Neugierde ist gut. Besser als Gleichgültigkeit oder Ablehnung.« Diese Antwort hatte sie gar nicht erwartet und sah wieder zu Lucjan auf.
    »Ja?« Nadeya sah wieder auf und in seine unergründlichen Augen. Störte ihn die Neugierde also nicht?
    »Ja. Patryk und ich kommen von einem weit entfernten Land. Es ist dort ganz anders als hier.«
    »Als hier? Du meinst den Dschungel oder eher die Stadt?«
    »Die Städte. Sie sind so … kalt. Die Menschen sind distanzierter und haben den Blick für das Wesentliche verloren.«
    »Für das Wesentliche?«
    »Gefühle. Die Freuden des Lebens, auch die Trauer oder den Schmerz. Die Liebe.« Lucjan schüttelte den Kopf.
    »Ich habe hier keine Mutter gesehen, die liebevoll ihr Kind in die Arme nimmt. Keine Paare, die ungezwungen auf der Straße Händchen halten.« Als Lucjan wieder zur Seite sah, weil er bis eben geradeaus gesehen hatte, um auf den Weg durch den Dschungel zu achten, bemerkte er, dass Nadeya ihn verwundert ansah. Sie öffnete die Lippen, aber irgendwie schienen ihr die passenden Worte zu fehlen. Sie brauchte einen Moment, um ihre verwirrten Gedanken zu ordnen.
    »Irgendwie … das klingt irgendwie … ganz komisch. Ich meine, wie du darüber redest, weil es ist doch, na ja, normal.« Nadeyas Unsicherheit war deutlich in der Stimme zu hören und ihre Verwunderung wurde noch viel größer als sie sah, dass Lucjan anfing die Mundwinkel nach oben zu ziehen und zu schmunzeln.
    »Normal? Du nennst das wirklich normal?«
    »Ja, nein, ich meine … i-ich weiß nicht! Es ist doch überall in den Städten so. N-nicht?« Wieso musste er sie so nervös machen? Das war nicht fair! Eigentlich war es völlig normal in den Städten, dass diese Distanz bestand. Aber wenn sie mit Lucjan so darüber redete und hörte wie er darüber sprach und dabei seine eigene Meinung darüber insgeheim offenbarte, dann erschien es sogar Nadeya als nicht Normal. Dabei kannten sie nichts anderes. Die Menschen gingen aneinander vorbei, wenn sie miteinander nichts zu tun hatten. Sie eilten auf ihre Arbeit, sie lernten in den Schulen, sie vermieden es zu lachen und zu weinen. Wie Roboter. Das fiel ihr nicht zum ersten Mal auf, aber jemanden darüber reden zu hören, der dieses Bild von den Menschen in den Städten als unnormal betrachtete, war ihr dann doch neu und irritierte sie. Niemals hätte irgendwer in der Stadt das als falsch angesehen. Und wenn doch wäre ganz schnell das Ordnungs- und Sicherheitsamt gekommen und hätte denjenigen festgenommen.
    »Dort wo ich herkomme, ist das nicht so. Da streitet man sich, aber man liebt sich auch. Da reicht man dem anderen hilfreich die Hand und redet miteinander, lächelt, weint und singt.«, redete Lucjan weiter und sorgte dafür, dass Nadeya ihn mit großen ungläubigen Augen ansah.
    »Man singt?« Ausgerechnet dieses Wort suchte sie sich heraus? Lucjans Mundwinkel schafften es gar nicht mehr nach unten. Er lächelte immer noch.
    »Ja, man singt.«
    »Ähh … « Nadeya sah aus, als wollte sie sich gerade vorstellen wie es wohl klingen mochte, wenn man sang. Dann wurde aber Lucjan etwas anderes bewusst: vermutlich wusste sie nicht einmal, was es bedeutete zu singen. Was das war. Wie viel von der Kultur konnte ausgemerzt werden? Wie viel konnte in Vergessenheit geraten?
    »Ich würde dir etwas vorsingen, aber … « Jetzt verschwand das Lächeln doch. Die Erinnerung und der allgemeine Klang seiner falschen Stimme trübte die gute Stimmung, die eben aufgekommen war. Nadeya schien zu begreifen, was er sagen wollte ohne es direkt auszusprechen. Vielleicht konnte sie mit dem Begriff »singen« doch etwas anfangen?
    »Dort wo du herkommst, scheint es schön zu sein. Zumindest klingt es irgendwie … wärmer.«
    »Das ist es.«, bestätigte er ihr.
    »Vermisst du deine Heimat?«
    »Ja. Sehr sogar.«
    »Warum bist du dann von dort weg?« Die Frage traute sie sich kaum zu stellen, in der stillen Befürchtung, dass der Grund dafür etwas ganz schreckliches sein könnte.
    »Ich wollte jemanden helfen. Einer Person, die mir sehr wichtig ist.«, antwortete er ihr. Es ließ weitere Fragen in Nadeya aufkommen, die sie gerne alle stellen wollte, aber sie musste ihren Mut zusammen nehmen, um überhaupt weiter zu fragen. Irgendwie erwartete sie auch, dass Lucjan jeden Moment ihr mitteilen würde, dass er genug von ihrer Fragerei hatte.
    »Ist … diese Person in Gefahr?«
    »Mhm, das kommt darauf an von welcher Seite man es betrachtet. Ich möchte sie retten, denn ich glaube, wenn ich es nicht tue, wird sie irgendwann wie ein zartes Pflänzchen eingehen, das nicht genügend Sonne bekommen hat. Sie ist sehr sensibel und einfühlsam.« Obwohl Lucjan eine verfälschte Stimme besaß und dadurch ähnlich wie die üblichen Humanoiden oder anderen Roboter klang, konnte Nadeya deutlich aus seiner Stimme heraushören wie wichtig ihm diese eine Person zu sein schien. Er sprach mit so viel Wärme über sie, dass ihr eigenes Herz begann schneller zu schlagen und ihr bewusst werden ließ, dass sie bisher noch niemanden je so über einem anderen hat reden hören. Während die meisten Menschen ihre Gefühle verbargen, vielleicht auch vergessen hatten, ging Lucjan mit den seinen ganz offen um. Er verbarg nichts, hielt sie nicht zurück und ließ andere wissen, was in ihm vorging. Vielleicht gab er nicht alles von sich preis, aber es war sehr viel mehr, als man es von anderen Menschen gewöhnt war. Er zeigte Gefühle auf eine so selbstverständliche Art und Weise, dass es für Nadeya unmöglich war sich vorzustellen wie er in solch einer Welt, wie die, die sie kannte, aufgewachsen sein könnte. Das schien ihr absolut unmöglich. Hatte er je seine Gefühle verbergen müssen? Dort, wo er herkam, wohl ganz eindeutig nicht. Aber wo war dieser Ort, in dem es anders war? Wärmer? Nadeya konnte sich an keinen Ort erinnern, der jemals namentlich erwähnt wurde, wo es nicht so gefühlskalt sein könnte. Oder wurde das einfach nur geheim gehalten?
    »Sind alle Naturika so wie du?«, wollte sie deshalb wissen. Vielleicht war Lucjan auch nur ein Sonderfall? Andererseits hatte ihr Vater vorhin gemeint, dass Naturika Menschen seien, die mit der Natur eng verbunden waren. Wie sollte sie sich das vorstellen?
    »Nicht genauso wie ich, aber ähnlich, wenn du es darauf beziehen willst, dass wir noch nicht den Blick für das Wesentliche verloren haben. Im Grunde genommen unterscheiden wir uns nicht von euch. Wir sind auch Menschen wie ihr.«
    »Aber ihr habt besondere Fähigkeiten!«
    »Weil wir nicht verlernt haben mit der Natur im Einklang zu stehen«, konterte er und brachte Nadeya erneut dazu verwirrt drein zu blicken.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Das wirst du noch. Das verspreche ich dir.« Darauf fiel Nadeya nichts ein, als sie das hörte. Sie würde es verstehen? Wann? Wie? Wieso konnte er sich da nur so sicher sein?
    »Schenke mir ein bisschen Vertrauen und du wirst es nicht bereuen.« Da war es wieder: Dieses Lächeln auf seinen Lippen, das so sympathisch wirkte, so warmherzig und einladend, dass es unglaublich traurig und schade war, dass andere Menschen dieses Lächeln nicht zeigten.
    »Ich vertraue dir. Glaube ich. Ich meine … du hast vorhin ja auch Jessi gerettet.«
    »Das hättest du auch gekonnt.« Als Nadeya ihn fragend ansah, fügte er noch hinzu: »Es liegt in deinem Blut. Deswegen bist du auch viel sensibler als die anderen. Du hast eine Verbindung zur Natur, eine ganz instinktive, die dir nur noch nicht bewusst ist.«
    »D-das kann gar nicht sein!«, protestierte Nadeya, wenn auch verunsichert. Wie kam er darauf? Und viel wichtiger: Könnte er damit Recht haben?
    »Warum sonst hast du Blumen in deinem Zimmer wachsen lassen?«, entgegnete er ihr, weswegen Nadeya abrupt stehen blieb. Sie starrte Lucjan an, der weiter ging, sie immer noch anlächelte und dann seine Aufmerksamkeit nach vorn richtete. Nadeyas Mund ging auf und zu wie bei einem Fisch, den sie nicht kannte und konnte nicht verstehen, woher er das wusste. Sie hatte ihm gegenüber das doch gar nicht erwähnt! Oder? Nein! Wann hätte sie das auch tun sollen? Bevor sie dazu kam ihn deswegen zur Rede zu stellen, rief ihr Vater nach ihr und auch nach den anderen näher zu kommen. Der Grund
    dafür wurde schnell allen klar, als sie sich durch das Gestrüpp vor ihnen durchkämpften und dahinter auf einem Vorsprung ankamen, von dem aus sie eine Stadt erblicken konnten.Weiß und erhaben glitzerte und glänzte sie in der aufgehenden Sonne majestätisch, als könnte man ihr nichts anhaben. Alle Städte wirkten ähnlich auf diese Weise. Sie wirkten wie weiße Flecken, wie weiße Fremdkörper mitten im Dschungelland, so dass man sich fragen musste, wie überhaupt ein solches riesenhaftes Gebilde sich aus dem ganzen Grün herausgebildet haben konnte. Die Entwicklung zu diesem Anblick verstanden heute nur noch die wenigsten. Nur jene, die das Wissen der Geschichte kannten, denn vieles davon war schon nicht mehr zugänglich oder eben einfach vergessen worden.
    »Sofern ich mich nicht täusche, dürften wir hier vor der Stadt Sytrax stehen«, meldete sich Mark zu Wort und war innerlich erleichtert, endlich wieder eine Stadt zu Gesicht zu bekommen. Er war nicht allein mit dieser Einstellung.
    »Endlich!«, kam es prompt von Daiske, der eindeutig genug vom Dschungel hatte. Wenn man es genau nahm, dann war ihr Ausflug in den Dschungel recht kurz gewesen. Ein Tag, wenn überhaupt. Doch es war seiner Meinung genug passiert, dass er heilfroh war, dass er die Stadt endlich betreten konnte. Was wiederum zum nächsten Problem führte, wie Nathan begann zu erklären.
    »Jetzt haben wir fast die Stadt erreicht, aber wie wir sie betreten wollen, ist mir ehrlich gesagt noch ein Rätsel«, sagte er.
    »Wir können nicht dort einfach hinein spazieren, als wäre es das Normalste von der Welt. Wenn ich mich recht entsinne wird Natascha gesucht und wir als Flüchtlinge und Helfer bei der Flucht der Humanoide werden sicherlich auch nicht besonders willkommen sein. Darüber hinaus haben unsere Sachen im Dschungel gelitten, weswegen wir erst recht auffallen, sobald wir auch nur einen Fuß hinein setzen. Sich in eine Stadt hineinzuschleichen ist fast unmöglich.« Die Hoffnung, die alle hatten endlich Zuflucht in einer Stadt zu finden, wurde ordentlich gedämpft. Die Bedenken, die Nathan aussprach, waren berechtigt. Durch die Bedrohung des Dschungels gab es strenge Vorkehrungen, wer, wann und wie die Stadt betreten oder auch verlassen durfte. Einfach hinein spazieren ging nicht. Wenn sie hinein wollten, würden sie sich etwas einfallen lassen müssen. Außerdem standen sie hier auf einem Vorsprung, einer Art Klippe mitten im Dschungel. Sie mussten erst von hier runter und die paar Kilometer bis zur Stadt durchqueren. Bis dorthin konnte immer noch was im Dschungel passieren. Zwar sahen sie das Licht am anderen Ende des Tunnels, aber ob sie es auch erreichen konnten, war eine ganz andere Frage. Und selbst wenn, blieb immer noch die Frage ungeklärt, wie sie dieses Licht betreten wollten und konnten. Jessi wusste ganz genau wie sie diese verzwickte Situation kommentieren musste: »Dammisch!«

  • Kleines Vorwort: Ich war so dämlich und habe nicht einmal bemerkt, dass das 8. Kapitel fehlte. Worauf mich @Rusalka hingewiesen hat. Vielen Dank dafür (und für noch ein paar mehr Dinge, was du schon weißt <3). Deswegen habe ich meinen vorhergehenden Post auch mal schnell geändert und das 8. Kapitel rein gestellt und hier findet ihr nun noch das 9. Mit dem Gedöns, was ich eh schon mitgeteilt habe. Viel Spaß beim Lesen!


    PS: Ich werde demnächst mal weitere Fehler ausmerzen. Also nicht nur in der PDF, sondern eben auch direkt hier die Beiträge. Sobald ich dazu komme. x3








    9. Kapitel – Rebellen


    18. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Sytrax


    Das Problem hätte nicht größer sein können. Wie sollten sie es lösen, ohne dabei zu riskieren selbst in Gefahr zu kommen? Wie schmuggelte man sich in eine Stadt, deren Eingänge genausten kontrolliert wurden?
    »Fällt irgendwem was ein, wie wir da rein kommen?«, fragte Daiske in die Runde, doch bisher hatte niemand eine passende Antwort darauf. Die Entfernung zwischen der Klippe, auf der sie gestanden hatten, als sie auf die Stadt geblickt hatten, und zur Stadt selbst hatten sie nach eineinhalb Stunden Fußmarsch hinter sich gebracht. In der Zwischenzeit war nichts Ungewöhnliches passiert, weswegen die Vermutung groß war, dass nur nachts der Dschungel besonders gefährlich war. Am Tag passierte nichts Auffälliges. Daher hatte auch keiner von ihnen besonders große Lust dazu eine weitere Nacht im Dschungel zu verbringen. Sie wollten die Stadt Sytrax betreten, wie auch immer sie das anstellen wollten. Während alle anderen sich beratschlagten, welche Optionen sie besaßen, um in die Stadt zu kommen, hielt sich Nadeya wieder vornehm zurück. Sie dachte über viele Dinge nach, wenn auch nicht über die wichtigsten wie etwa einen Weg in die Stadt zu finden. Ihre hellbraunen Augen lagen auf der Gestalt von Lucjan, der mit seinem Bruder ein paar Schritte weiter entfernt vom Rest der Truppe stand und sich ebenfalls zurückhielt. Seine Bemerkung vorhin ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Woher wusste er, dass sie Pflanzen in ihrem Zimmer aufgezogen hatte? Nicht, dass sie davon noch ausging, dass das Ordnungs- und Sicherheitsamt auch nur eine der Pflanzen dort zurückgelassen hatte. Bestimmt war das Haus ihres Vaters und somit auch ihr eigenes Zuhause völlig auf den Kopf gestellt wurden. Jetzt, wo sie darüber so nachdachte, wurde ihr langsam bewusst, dass sie womöglich nie wieder zurückkehren konnte. Nadeya biss sich auf die Unterlippe und versuchte die aufkommenden Gefühle zu unterdrücken. Obgleich sie die gefühlskalte Welt, in der sie leben musste, nicht sonderlich gut heißen konnte, wollte sie jetzt trotzdem nicht zu viel von sich zeigen. Manchmal war eine Fassade eben doch besser, anstatt alles zu zeigen, was in einem vorging.
    »Hey Nana, träumst du oder was?«, fragte Jessi, als diese wie aus dem Nichts vor Nadeya auftauchte. Sie war so sehr in ihren eigenen Überlegungen versunken gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sich Jessi ihr genähert hatte.
    »N-nein. Tut mir leid«, entschuldigte sich Nadeya für ihre Abwesenheit.
    »Lass uns weitergehen«, meinte Jessi nur und deutete in die Richtung der anderen.
    »Weitergehen? Habt ihr euch was überlegt, wie wir in die Stadt kommen können?«, wollte Nadeya verwirrt wissen.
    »Du hast echt nichts mitbekommen, was? Wo bist du denn ständig mit deinen Gedanken? Wir wollen zuerst einmal das Eingangstor näher betrachten. Vielleicht gibt es einen Schlupfwinkel und wenn nicht, wollen wir die Stadt umrunden. Vielleicht finden wir dann etwas«, klärte Jessi sie auf.
    »Die Stadt umrunden? Die ist aber … sehr groß«, gab Nadeya zu bedenken.
    »Momentan bleibt uns nichts anderes übrig. Aber möglicherweise finden wir noch vor Einbruch einen Weg ins Innere, denn wenn die Nacht herein bricht, wird ein Hineinkommen unmöglich sein«, meldete sich Mark Brian O‘Cellaigh mit seiner sehr neutralen, fast kalten Stimme.
    »Sie werden die Stadt wie jede andere abriegeln, sobald es dunkel wird«, fügte Nathan, Nadeyas Vater, hinzu.
    »Wundert mich mittlerweile nicht mehr, nachdem wir gesehen haben, was im Dschungel lauert«, kommentierte auch Daiske, der wenig Begeisterung für den Dschungel übrig hatte. Noch weniger als vor diesem kleinen Trip ins Grün.
    Die Gruppe entschied sich daher weiter zu gehen und ihren Plan in die Tat umzusetzen. Er war vielleicht nicht besonders gut ausgereift, aber etwas anderes blieb ihnen nicht übrig, damit sie sich eine Übersicht über die Lage verschaffen konnten. Sie schlichen sich daher näher an die Stadt heran, wobei der Dschungel in diesem Fall ihnen zugute kam. All das Grünzeug um sie herum, die Bäume, die Farne, die Sträucher, boten ihnen genug Sichtschutz, um sie nicht sofort zu entdecken. So dachte Nadeya bis sie ausgerechnet von Mark aufgehalten wurde.
    »Stopp!« Nadeya hielt mitten im Schritt an, ein Bein noch in der Luft.
    »Was ist?«, wollte sie wissen. Eine direkte Erklärung gab es nicht, nur den ausgestreckten Finger von Mark, der nach oben zu einem Baum deutete. In mehreren Metern weiter oben an einem Baumstamm war ein Gerät angebracht worden, was stets die Umgebung scannte. Wer nicht aufpasste und in die Reichweite des Scanners kam, würde einen stillen Alarm auslösen. Er war ganz sicher nicht dazu gedacht, um Menschen ausfindig zu machen, weil man glaubte, jemand würde sich in die Stadt hinein schleichen. Zumindest war das nicht die offizielle Erklärung für diese kleinen, aber teuflichen Geräte. Der Dschungel war einfach zu gefährlich und deshalb besaß jede Stadt ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen. Sollte sich etwas aus dem Dschungel der Stadt nähern, würde es auf diese Weise entdeckt werden.
    »Und jetzt?«, wollte Nadeya wissen. Auch die anderen waren stehen geblieben und wirkten für’s Este sehr ratlos, doch Mark schien es besser zu wissen. Er führte die Gruppe an und damit an allen Scannern und möglichen Fallen, die es gab, vorbei. So kamen sie der Stadt näher, ohne einen Alarm auszulösen. Als sie so nah heran gekommen waren, dass sie fast schon vor der Stadt standen, blieben sie stehen. Das Dickicht verließen sie nicht, aber vor dem Südtor gab es noch eine größere freie Fläche, die nicht nur durch das Amt bewacht wurde, sondern auch ständige Kontrollen durchführte. Egal, wer hier her kam, an der Kontrolle kam man nicht vorbei. Nicht, das irgendwer aus dem Dschungel gestiefelt kam und die Stadt betreten wollte, nein. Der Platz vor dem Tor war so groß, dass hier immer wieder kleinere und mittlere Flugschiffe landen konnten. Auch innerhalb der Stadt gab es mehrere Flughäfen, die man anvisieren konnte, um in die Stadt zu gelangen. Aber auch da gab es zur Genüge Kontrollen. Vor allem die großen Handelsflugschiffe landeten auf diesen Plätzen in der Stadt. Denn vor der Stadt konnte man nur sehr umständlich die Ladungen in die Stadt bringen. Das machte einfach keinen Sinn.
    »Auch wenn ich mich dafür hasse es vorzuschlagen, aber … Ihr seid doch vom Amt, richtig?« Daiske flüsterte nur, als er mit den anderen redete und dabei vor allem Mark Brian O‘Cellaigh ansprach.
    »Könntet Ihr uns nicht … na ja, einfach hinein schmuggeln? Ausweis vorzeigen und sagen wir gehören zu Euch oder so etwas in der Art?« An und für sich war das mal gar kein so schlechter Vorschlag. Wenn Mark schon vom Amt war, wie sich in den letzten Stunden heraus gestellt hatte, dann könnte man das sogar ausnutzen.
    »Bedaure, dass ich dich enttäuschen muss«, dämpfte Mark augenblicklich den Keim der Hoffnung.
    »Ich gehörte einmal dazu, jetzt aber nicht mehr«, erklärte er und machte deutlich, dass dieser Plan nicht funktionieren würde.
    »Und was ist der Grund?«, wollte Daiske misstrauisch wissen. Was hatte dieser Mann angestellt, dass er nicht mehr zum Amt dazu gehörte, womöglich selbst gesucht wurde?
    »Reicht es dir nicht, dass ich euch in den Dschungel gefolgt bin und daher ebenso ein Flüchtling und Gesuchter bin wie ihr auch?«
    »Nein. Ihr seid aus heiterem Himmel aufgetaucht, ohne eine plausible Erklärung abzuliefern! Woher sollen wir wissen, dass Ihr nicht ein durchgedrehter Mörder seid, der uns jeden Augenblick ein Messer in den Rücken rammen kann? Oder dass … « Daiske wollte erst so richtig los legen und diesem aufgeblasenen Mark Brian O‘Cellaigh noch mehr an den Kopf werfen, aber da meldete sich Nathan zu Wort.
    »Schluss jetzt, Daiske! Dafür haben wir keine Zeit! Wir wissen von niemanden hier, wer er wirklich ist oder was er vorhat.« Damit bezog sich Nathan nicht nur auf Mark, sondern auch auf Lucjan und Patryk, bei denen auch nicht ganz klar war, welche Ziele sie insgeheim verfolgten. Natascha, die Humanoide nicht zu vergessen!
    »Dammisch! Ich hab die Schnauze voll von dieser Geheimnistuerei!«, beschwerte sich Jessi, die ähnlich wie Daiske verärgert darüber war, dass sie nur so wenig erfuhren.
    »Könnten wir diese Unterhaltung bitte auf später verschieben, wenn wir in der Stadt sind? Wir haben gerade wichtigere Probleme«, ermahnte Nathan beide, die trotzdem vor sich hin murrten. Er konnte verstehen, dass Daiske und Jessi nicht sonderlich angetan von der Gesamtsituation waren, aber sie hatten keine Zeit über solche Details zu diskutieren. Sie brauchten zuallererst einen sicheren Ort, an dem sie sich ausruhen konnten. Nadeya verstand ihren Vater nicht, der sich schon wieder für Mark eingesetzt hatte, indem er ihn nicht dazu nötigte eine Erklärung abzuliefern. Auch wenn Mark sich auf ihre Seite gestellt hatte – so schien es – so wollte weder Nadeya noch ihre beiden besten Freunde ihm vertrauen.


    »Schön, hat nun jemand einen Vorschlag, wie wir da herein kommen sollen?« Aus Daiskes Stimme konnte man die schlechte Laune heraus hören. Ihr Problem, wie sie in die Stadt kommen sollten, war immer noch nicht gelöst.
    »Aye, und warum wollt ihr in die Stadt?«, fragte eine Stimme, die Nadeya zu niemanden zuordnen konnte. Zu niemanden, den sie kannte, niemanden aus ihrer Gruppe. Erschrocken darüber wollte sie sich umdrehen, musste aber feststellen, dass ihre Bewegung arg eingeschränkt wurde, weil man ihr eine scharfe Klinge an den Hals drückte. Nicht nur ihr, auch Daiske, Jessi und Mark. Ebenso wurde ihr Vater Nathan von einer Schusswaffe bedroht. Natascha, die Humanoide, war von drei Männern umzingelt. Zwei hatten die gleiche Schusswaffe in der Hand, wie die anderen Fremden. Der Dritte besaß einen langen Stab, den er auf Natascha richtete. Nadeya erkannte ihn, denn sie wusste, dass solche Stäbe vom Amt eingesetzt wurden, um Elektroschocks auszuteilen. Sie waren recht effektiv auch gegenüber Humanoide. Wobei normalerweise diese nicht gegen die Roboter eingesetzt wurden, schließlich funktionierten sie tadellos. So ließ es jedenfalls immer die Regierung dastehen. Natürlich wusste jeder, dass das nur eine Lüge war und es immer wieder mal Probleme mit Humanoiden gab, die nicht so funktionierten, wie sie eigentlich sollten. War das vielleicht auch ein Problem mit Natascha? Weshalb sie floh … ?
    Die Fremden, die einfach aufgetaucht waren ohne groß ein Geräusch zu verursachen, weswegen man sie nicht bemerkt hatte, zwangen sie alle aufzustehen und mitzukommen. Wenn sie das nicht tun würden, gäbe es nur noch mehr Probleme. Was Nadeya allerdings daran verwirrte, war die Aufmachung der Fremden. Sie waren nicht in der typischen Uniform des Amtes gekleidet, trugen Tücher um ihre Gesichter, um diese halb zu verdecken und wirkten an sich ziemlich … individuell. Es war seltsam. Dieses Bild ergab überhaupt keinen Sinn. Die meisten von ihnen trugen zwar Tarnhosen und -jacken und trotzdem konnte man nicht behaupten, dass sie alle die steife Art besaßen, die man sonst von den Menschen aus der Stadt kannte. Ein Mann, der in etwa genauso hünenhaft war, wie ihr Vater, war ebenso muskulös gebaut und verzog das Gesicht zu einer grimmigen Miene. War er der Anführer? Denn er war derjenige gewesen, der vorhin gesprochen hatte.
    »Wenn ihr Ärger macht, geht’s euch an den Kragen, klar?« Seine raue Stimme hatte etwas bedrohliches, was an sich Nadeya Angst einflößen sollte und dennoch völlig verwirrte. Die typische Kälte fehlte, wenn man mal von der Unfreundlichkeit als solche absah. Dieses neutrale, gefühlskalte Benehmen vermisste Nadeya bei der gesamten Truppe, die daher erst recht auffiel.
    »Ach? Und mit wem haben wir hier das Vergnügen?« Daiske konnte nicht an sich halten, er musste einfach fragen. Das brachte ihn aber nur ein »Schnauze!« von dem Mann ein, der ihn mit seiner Waffe bedrohte und daher dazu zwang mitzukommen. Das wollte sich Daiske nicht bieten lassen und gab diesem einen so harten Stoß, dass er tatsächlich zurück taumelte. Mit dieser Attacke hatte er nicht gerechnet, allerdings war ein zweiter Mann sofort zur Stelle und zog seine Schusswaffe mit dem anderen Ende über Daiskes Kopf. Der Stoß reichte aus, um ihn auf den Boden zu befördern und ihm das Bewusstsein zu nehmen. Jessi brüllte protestierend auf und wollte sich in den Kampf stürzen, aber auch bei ihr waren die Männer sofort zur Stelle und hielten sie fest.
    »Ich sagte doch: Wenn ihr Ärger macht, geht’s euch an den Kragen!«, wiederholte der größere Mann seine Worte. Da man eine Waffe an Jessis Kehle hielt und man nur abdrücken musste, um ihr das Leben zu nehmen, wurde sie still. Was jedoch nicht bedeutete, dass sie nicht beschwerend vor sich hin knurrte. Einverstanden war sie mit dieser Behandlung natürlich nicht. Auch die anderen konnten nicht gerade behaupten, dass sie von diesem Begrüßungskomitee begeistert waren, aber sie besaßen genug Verstand, um keinen Widerstand zu leisten.
    »Was habt ihr mit uns vor?«, wollte Mark auf seine ganz kühle Art wissen. Er wirkte nicht besonders beunruhigt, was aber nichts heißen musste. Dieser Mann zeigte in etwa so viel Gefühl wie ein lebloser Stein.
    »Wir stellen die Fragen. Mitkommen!«, war die einzige Antwort, die vom grobschlächtigen Kerl kam. Nadeyas Herz rutschte in die Hose. Erst recht, als man ihr und den anderen einen Sack über den Kopf zog, so dass sie nichts mehr sehen konnten.


    Die ganze Zeit über konnte Nadeya nicht sehen, wohin sie gehen musste. Wenn man sie nicht hin und wieder festgehalten hätte und sie dadurch bewahrte zu stolpern, wäre sie schon mehrere Male hingefallen, weil sie auch nicht erkennen konnte, ob ihr etwas im Weg lag. Sie fühlte sich verunsichert, konnte aber manchmal die Stimmen der anderen hören. Von ihrem Vater wie auch von Jessi. Daiske gab keinen Mucks von sich, da er immer noch sein Bewusstsein nicht wieder erlangt hatte. Er wurde von zwei Männern mitgeschleift, damit er nicht zurückgelassen wurde.
    »Wohin bringt ihr uns?«, hörte Nadeya Nathan fragen, der darauf aber keine Antwort bekam. Man schubste sie nur weiter voran bis sie irgendwann angekommen waren. Wo auch immer das war. Nadeya hatte das Gefühl, dass es eine Ewigkeit gedauert hatte. Ihre Füße schmerzten aber nicht nur deswegen, sondern auch wegen der Wanderung durch den Dschungel. Sie hatte Rückenschmerzen und Hunger sowie Durst. Sie wäre froh darüber sich ausruhen zu können, doch die Anspannung blieb in ihrem Körper bestehen. Auch, als man ihr endlich den Sack vom Kopf nahm und sie wieder etwas sehen konnte. Wenn auch noch mit ein paar Schwierigkeiten, weil sie sich erst noch an das Licht gewöhnen musste, dass trotz allem nur diffus in diesem Raum strahlte. Sie blinzelte ein paar Mal ehe sie ihre Umgebung wahrnehmen konnte.
    Stein. Überall sah sie Stein und zwar solch einen, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Der Raum unterschied sich von all den Einrichtungen, die sie bisher gekannt hatte. Nicht, dass hier irgendetwas Besonderes zu sehen war. Er war schlicht, wenn nicht sogar sehr karg eingerichtet. Abgesehen von dem Bett auf der einen Seite, bei dem auch ein kleines Schränkchen stand sowie ein größerer Schrank auf der anderen Seite, war nicht viel zu erkennen. Das Mobiliar war sehr schlicht und … sehr alt. So sah es aus. Mit gerunzelter Stirn trat sie an eine der Wände näher heran und fragte sich, aus welchem Material sie bestand. Stein, ja, aber nicht der weiße Baustoff, den man sonst für die Städte verwendete. Mehrere Kacheln schienen aufeinander gebaut worden zu sein. Sie wusste nicht, dass es sich um Ziegelsteine handelte, die man vor Jahrhunderten für den Häuserbau verwendet hatte.
    Nadeya, was machst du denn? Sie ärgerte sich über sich selbst und ermahnte sich. Wie konnte sie hier über den Raum und die Wand nachdenken? Ist sie denn völlig irre? Sofort drehte sie sich auf den Absatz um und starrte in das Gesicht in einer ihr fremden Frau, die bei der Tür stand.
    »Wo bin ich?«, wollte Nadeya wissen und musterte ihr Gegenüber. Sie war nicht viel größer als sie selbst, trug eine enganliegende braune Hose, die von einem schwarzen Gürtel gehalten wurde und in schwarzen Stiefeln steckte. Ihr Oberteil war eine beigefarbene geraffte Bluse, wie man sie sonst gar nicht mehr auf der Straße sah. Darüber trug die Frau sogar ein Mieder aus Leder, woraus wohl auch die Hose bestand. Ihre Haare waren in einem lockigen blonden Pferdeschwanz gebunden. Das ganze Outfit war viel zu auffällig, um damit direkt auf die Straße zu treten.
    »Gefalle ich dir etwa nicht?«, fragte die Fremde und stützte ihre rechte Hand locker in ihre Hüfte. Nadeya blinzelte und fühlte sich verlegen.
    »I-ich … « Was sollte sie darauf antworten?
    »Ach komm schon, man kann nicht gerade behaupten, dass du viel sittlicher oder normaler wirkst, wie man es sonst erwarten würde.« Das »normal« setzte die Frau mit ihren Fingern in Anführungszeichen. Allein ihre Art wie sie redete, verstörte Nadeya. Sie kannte so einen Umgang nicht von anderen.
    »Wer bist du? Wo bin ich? Was … ?«, begann Nadeya erneut, die versuchte ihre Verwirrung zu verbergen.
    »Du bist in Sicherheit, so viel kann ich dir schon mal verraten«, antwortete die Fremde auf einer ihrer Fragen.
    »Und die anderen?«, wollte Nadeya wissen, denn zwischendurch war sie von den anderen getrennt wurden. Wo hatte man sie hin gebracht?
    »Vorerst auch sicher. Na ja, dieser eine Typ vielleicht nicht. Der, der so ekelhaft kalt wirkt. Und was wir mit der Humanoiden anstellen, wissen wir auch noch nicht.« Die Blonde zuckte nur mit den Schultern, als wäre ihr das Schicksal dieser beiden egal.
    »Wo sind sie? Wo ist mein Vater? Daiske und Jessi?«, fragte Nadeya weiter und ging auf die Blonde zu.
    »Ach so heißen die beiden Schreihälse?« Als die Blonde das sagte, biss sich Nadeya auf die Unterlippe. Hätte sie die Namen nicht erwähnen sollen? Verdammt! Sie war verunsichert, dabei wollte sie doch nur zu den anderen, um sicher zu gehen, dass es ihnen gut ging.
    »Mach dir mal nicht so viele Gedanken, ja? Ruh dich erst einmal aus und dann … «
    »Nein!«, unterbrach Nadeya die Blonde. »Ich will mich nicht ausruhen. Ich will zu den anderen! Was habt ihr mit uns vor?«
    »Himmelherrgott, du bist vielleicht neugierig. Und störrisch wohl auch, fein, von mir aus. Dann bringe ich dich eben zu ihnen. Aber mach mir keinen Ärger, hörst du?« Nadeya nickte sofort als Einverständnis. Sie hatte nicht vor Ärger zu machen. Noch nicht. Wenn es nötig wäre, würde sie kämpfen, auch wenn das nicht unbedingt ihre Art war. Jessi und Daiske waren schon immer besser im Kämpfen gewesen, auch wenn sie mit ihrem Stab umzugehen wusste. Apropos Stab, den hatte man ihr natürlich schon im Dschungel abgenommen, als man sie aufgegriffen hatte.
    Die Blonde drehte sich und gab Nadeya ein Zeichen, das sie den Raum verlassen konnte. Lange fackelte sie auch gar nicht herum und trat in einen Gang, der die gleichen Wände aufwies wie der Raum, in dem sie eben gestanden hatte.
    »Hier lang«, meinte die Blonde, als diese an ihr vorbei schritt und ihr den Weg wies.
    »Ach, du wolltest ja wissen, wer ich bin. Fiona, so nennt man mich«, stellte sich die Fremde vor.
    »Und bevor du wieder anfängst zu fragen: Wir haben wirklich nicht vor euch etwas anzutun. Vorausgesetzt ihr zwingt uns nicht dazu«, erklärte sie weiter, auch wenn Nadeya noch Hunderte Fragen hatte.
    »Wer seid ihr überhaupt? Und wieso … ?«
    »Na, na! Nicht so voreilig, meine Liebe. Wart’s erst mal ab«, stoppte Fiona Nadeya, bevor diese noch mehr Fragen stellen konnte. Der lange Gang, durch den Fiona sie führte, schien kaum ein Ende zu nehmen. Es gab immer wieder Türen, an denen sie vorbei kamen, aber wohin sie führten, konnte Nadeya nicht sehen, da sie allesamt verschlossen waren. Gerade als Nadeya schon dazu ansetzen wollte, wie weit es noch war, öffnete Fiona eine Tür, an der sie stehen blieb. Sie war wie die anderen aus einem Material, der sich Nadeya nicht ganz erschloss. Obwohl er, wenn sie so darüber nachdachte, irgendwie wie die Bäume aussah, die sie im Dschungel gesehen hatte. Die Oberfläche wies diese Ringförmigen Muster auf, die auch bei den Stämmen der Bäume zu sehen waren. Bevor Nadeya Fiona in den Raum hinter der Tür folgte, konnte sie nicht anders, als über das Material zu streichen. Es fühlte sich ganz anders an, als das, was sie sonst gewohnt war.
    »Das ist Holz. Noch nie gesehen, was?«, fragte Fiona mit einem amüsierten Lächeln auf den Lippen.
    »Holz? Etwa das aus dem Dschungel? Wie … ?«
    »Himmel hilf, bist du neugierig! Du musst alles hinterfragen, was?«, meinte Fiona nur und ging weiter. Nadeya folgte mit einem Stirnrunzeln. Diese blonde Frau war wirklich ganz anders, als alle Menschen, die sie bisher in der Stadt getroffen hatte. Aber das würde nicht die einzige Erfahrung sein, die Nadeya hier machen würde. Als sie ihr in den Raum folgte, wurden ihre Augen zu den Personen gelenkt, die auf der anderen Seite jeweils auf einem Stuhl saßen. Sie waren gefesselt, wenn auch nicht geknebelt.
    »Dammisch noch eins, jetzt bindet uns endlich los!«, protestierte Jessi lautstark. Ein Mann, der vor wenigen Stunden ebenfalls bei der Gefangennahme dabei gewesen war, schnaubte nur auf und drehte sich um, als er Fiona und Nadeya bemerkte, die heran kamen. Er trug ähnlich wie Fiona eine braune Lederhose und ein schwarzes Oberteil, worüber er eine Jacke trug. Ebenfalls aus Leder? Seine schwarzen Haare waren kurz gehalten, zumindest konnte das Nadeya erahnen, da sie nur wenige Haarsträhnen unter dem weiß-schwarzen Kopftuch erkannte. Seine blauen Augen verfolgten sie, als sie nicht anders konnte und zu Jessi und Daiske rannte.
    »Jessi! Dai!«, rief sie aus. Jessi freute sich ebenfalls, als sie Nadeya erkannte und zappelte nur noch mehr auf ihrem Stuhl, ohne wirklich frei zu kommen.
    »Ngh, verdammt, brüllt nicht so herum … «, beschwerte sich Daiske, der noch etwas benommen war. Sein Kopf hämmerte wie verrückt. Nadeya konnte es sich vorstellen, als sie sich bei den beiden nieder hockte und sie betrachtete. An Daiskes Schläfe war bereits eine Beule und Verfärbung zu erkennen. Vermutlich durch den Schlag, den er bekommen hatte, als er sich gegen die Gefangennahme gewehrt hatte.
    »Wie geht’s euch?«, wollte sie von ihnen wissen, obwohl sie sich das bei Daiske schon selbst beantworten konnte.
    »Super, wenn ich nicht gefesselt wäre. Sag diesem Blödmann dort, dass er uns los machen soll!«, maulte Jessi in ihrem typischen Akzent los und starrte bitterböse zu dem Kerl, der zwei Meter von ihnen entfernt stand. Fiona hatte sich mittlerweile zu ihm gesellt und wirkte genauso amüsiert wie er. Was für ein ungewöhnliches Bild! Als Nadeya die beiden betrachtete, fragte sie sich immer mehr, wo sie hier gelandet waren und wer diese Gruppe war, die sie hier her geschleppt hatte. Außerdem warf sie den beiden einen fragenden Blick zu. Was war mit den Fesseln? Konnte man sie nicht Jessi und Daiske abnehmen?
    »Auf keinen Fall!«, beantwortete der Fremde Nadeyas unausgesprochene Frage.
    »Ich riskiere ganz sicher nicht, dass dieses Weibsbild auf mich los geht.« Er zuckte mit den Schultern. Nadeya hob ihre Augenbrauen und sah Jessi wieder an, die böse knurrte und den Kerl immer noch fixierte.
    »Das wirst du mir büßen!«, brüllte sie zu ihm.
    »Seht ihr! Genau deswegen!«, meinte er nur trocken und verschränkte die Arme vor der Brust. Fiona lachte neben ihm auf.
    »Offenbar hast du dich sehr beliebt gemacht, Mattix!« Fiona lachte immer noch, als sie das aussprach und der Genannte ihr einen skeptischen Blick zuwarf.
    »Ja, ja, mach du dich nur lustig darüber. Hoffentlich beweinst du meinen Tod, sollten wir diese Verrückte dort frei lassen!« Diese Antwort führte dazu, dass Fiona nur noch mehr lachte. So herzlich und laut, dass Nadeya das Gefühl hatte in einer völlig anderen Zeit gelandet zu sein. Was ging hier vor? Wer waren diese Leute nur?
    »Ich denke, es sollte kein Problem sein, ihnen die Fesseln abzunehmen.« Die raue tiefe Stimme, die auf einmal im Raum zu hören war, sorgte dafür, dass sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf den Hünen legte, der gerade den Raum durch eine andere Tür betrat. Erst jetzt nahm Nadeya diesen Raum richtig wahr. Er hatte drei Türen, eine davon hatte sie selbst benutzt, durch die andere auf der östlichen Seite des Raumes kam der Hüne hindurch. Auf der gegenüberliegenden Seite war ebenfalls noch eine Tür. Vielleicht war das hier eine Art Treffpunkt für die Gemeinschaft, denn es gab einen sehr langen Tisch, der wie eine Tafel wirkte und an dem lange Bänke standen, auf denen man sich setzen konnte. Außerdem standen an den Wänden etliche Schränke und Regale, die gefüllt mit Dingen waren, die Nadeya nicht alle benennen konnte. Teilweise handelte es sich um Nahrungsmittel, teilweise konnte sie auch Waffen erkennen oder Sachen. Aber nur bei den Regalen, die offen standen. Was sich in den Schränken selbst befand, konnte Nadeya nicht sehen. Außerdem gab es mehrere Truhen, die nicht nur groß, sondern auch schwer wirkten. Wer wusste, was darin gelagert wurde? Das diffuse Licht, welches das gleiche war wie in dem Zimmer, in dem Fiona sie vorher gebracht hatte, wurde durch alt aussehende Lampen erzeugt. Sie hatten nichts mit dem hellen Kristalllicht zu tun, das man sonst überall in den städtischen Einrichtungen und Wohnungen vorfinden konnten.
    »Dad!« Nadeya erkannte ihren Vater, der gleich nach dem Hünen ebenfalls diesen Raum betrat. Was war sie froh ihn zu sehen! Er war weder gefesselt, noch sah er aus, als wäre er verletzt. Ein großer Stein fiel Nadeya vom Herzen, doch sie riss sich zusammen und rannte nicht auf ihn zu. Davon mal abgesehen kam er sowieso zu ihr. Der andere Mann, der auftauchte, war genau der, der schon ein paar Stunden zuvor die Festnahme befohlen hatte. War er also doch der Anführer? Nadeya bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick, lenkte aber ihre Augen schnell zu Mattix, als dieser widersprach.
    »Ich glaube nicht, dass das eine so gute Idee ist!« Er war nicht davon begeistert, dass man Jessi frei lassen sollte. Fürchtete er wirklich um sein Leben? Als wollte Jessi unbedingt diesen Eindruck hinterlassen, knurrte sie in seine Richtung. Kein Wunder, dass er davon abriet! Nadeya bedachte Jessi mit einem langen Blick.
    »Jessi?«, sprach sie sie an, damit sie sich von Mattix abwandte und zu ihr sah. »Kannst du versprechen, das du … ihm nichts tust, wenn er dich loslöst?«, fragte Nadeya. Sie tat es, um einerseits Mattix zu beruhigen, andererseits um Jessi zur Vernunft zu bringen, falls diese doch vor hatte auf Mattix los zu gehen, sollte sie frei kommen. Das wäre sicher sonst nicht förderlich einen friedlichen Weg zu gehen. Noch dazu, wo hier niemand eine Waffe auf einen anderen richtete. Das war auch etwas, was Nadeya verwirrte, aber worüber sie auch sehr dankbar und froh war. Mürrisch knurrte Jess noch einmal vor sich hin, ehe sie klein bei gab.
    »Na schön, von mir aus, ich verspreche es!« Mattix wirkte nicht so, als würde er ihr so ohne weiteres glauben wollen und kniff die Augen ein wenig zusammen.
    »Nun mach schon!«, keifte Jessi ihn an, weswegen nicht nur Nadeya aufstöhnte, sondern auch Daiske.
    »Halt endlich die Klappe, Jessi, sonst kommen wir hier nie los!«, beschwerte sich Daiske, der auch frei kommen wollte. Eigentlich hatte er doch den größeren Grund Mattix eine reinzuhauen. War er es nicht gewesen, der ihn niedergeschlagen hatte? Aber darum ging es Daiske nicht. Ihm war seine Rauflust gehörig vergangen, nachdem er Sternchen gesehen hatte.
    »Verdammisch«, murrte Jessi noch einmal, ehe endlich klar war, dass sie sich ruhig verhalten würde. Auch wenn Mattix diesem Frieden nicht traute, löste er die beiden von ihren Fesseln. Daher wandte sich Nadeya auch wieder ihrem Vater zu, der zu ihr heran trat und eine Hand auf ihre Schulter legte. Keine Umarmung, kein Geherze, aber allein diese Geste ließ Nadeya genug wissen, dass er sich Sorgen um sie gemacht hatte und froh darüber war, sie wohlauf wiederzusehen.
    »Was ist passiert?«, wollte sie von ihrem Vater wissen.
    »Eine ganze Menge fürchte ich. Aber nicht zwangsläufig zu unserem Nachteil«, begann Nathan zu erklären.
    »Das muss es auch nicht. Wir wollen euch nichts Böses, nur um das mal von vornherein klarzustellen«, erhob der Hüne seine tiefe Stimme.
    »Ach ja?« Jessis Stimme und ihr Blick ihm gegenüber zeigte deutlich, was sie von seinen Worten hielt. Sie rieb sich die Handgelenke, jetzt, wo sie wieder frei war.
    »Ich gebe euch mein Wort und darauf war schon immer Verlass, also könnt ihr mir glauben. Solange ihr keinen Ärger macht, bekommt ihr auch keinen mit uns«, bestätigte der Hüne.
    »Warum sind wir dann hier?«, wollte Nadeya wissen. Es gab noch so viele unbeantwortete Fragen.
    »Lasst mich uns erst einmal vorstellen. Mein Name lautet Darell Cantos. Ich bin die rechte Hand unseres Anführers von Tenaturik und … «
    »TENATURIK?« Nicht nur aus Nadeya kam die Nachfrage, sondern auch von Jessi und Daiske, die nun wacher als zuvor wirkten.
    »Etwa die Rebellengruppe?«, fragte Daiske nach und zischte dann auf, als sein Kopf protestierte, weil er sich zu ruckartig aufrichtete. Fiona verschwand für einen kurzen Moment hinter der dritten Tür, ehe sie wieder erschien und Daiske ungefragt einen Eisbeutel in die Hand drückte.
    »Ganz recht, Tenaturik«, bestätigte Darell derweil. »Ich habe bereits mit Nathan über einige Dinge gesprochen, so dass ich damit einverstanden bin, euch hier zu behalten. Was wir allerdings mit eurer kleinen Humanoiden-Freundin und den Typ vom Amt machen sollen, wissen wir noch nicht. Wie dem auch sei: Ihr seid vorerst hier sicher. Fiona und Mattix stehen euch zur Verfügung. Wenn ihr Fragen habt oder etwas benötigt, dann wendet euch an sie.« Kaum hatte Darell dieses Angebot ausgesprochen, knurrte Jessi auf. Nicht sie direkt, eher ihr Magen.
    »Wie wär’s mit was zum Essen?« Sie legte ihre beiden Hände auf ihren Bauch. Ihr Magen fühlte sich an, als würde er bereits in den Kniekehlen hängen. Wann hatten sie das letzte Mal was gegessen?
    »Gute Idee, ich könnte auch was gebrauchen«, bestätigte Daiske, der sich wieder gesetzt hatte und den Eisbeutel an seine Schläfe hielt. Nadeya würde auch gerne etwas essen, aber sie hatte noch so viele Fragen, die ihr auf der Zunge brannten und darunter war eine, die sie nicht länger zurückhalten konnte. Wenn Darell schon anbot, dass man ihnen Fragen beantwortete, dann wollte sie das auch nutzen.
    »Was ist mit Lucjan und Patryk?« Sie erinnerte sich an die beiden Brüder, die ebenso abgeführt worden waren wie die anderen. Oder nicht? Wenn Nadeya ehrlich war, dann war sie sich gar nicht mehr so sicher. Bisher hatte noch niemand ein Wort über sie verloren. Ging es ihnen gut? Wurden sie gefangen gehalten wie Natascha und Mark? Darell tauschte einen nachdenklichen Blick mit Mattix und Fiona aus, den Nadeya beunruhigend fand. Was hatte das zu bedeuten? Doch dann nickte Darell Fiona zu, die dann vortrat.
    »Ich kann dich zu den beiden bringen, wenn du das willst?«, bot sie Nadeya an. Sie war verunsichert. Musste sie das Schlimmste befürchten? Hilfesuchend sah sie zu ihrem Vater, der ihr nur zustimmend zunickte. Es war also in Ordnung, wenn sie mitging.
    »Okay«, bestätigte Nadeya daher. Jessi und Daiske wirkten so, als würden sie darüber nachdenken, ob sie mitkommen wollten oder nicht, aber da meldete sich auch schon Mattix.
    »Und ich werde euch mal was zum Essen besorgen, was? Bevor das blonde Weibsbild noch auf die Idee kommt hier irgendwen zu verspachteln.« Ihn zum Beispiel! Jessi sprang sofort auf diese Provokation an und sah so aus, als würde sie Mattix tatsächlich gleich anspringen, um ihn zu fressen.
    »Ich habe einen Namen!«, maulte sie ihn an.
    »Ach? Was du nicht sagst«, kam es locker von Mattix, der bereits dabei war hinter der Tür zu verschwinden, wo Fiona zuvor mit dem Eisbeutel wiedergekommen war.
    »Ich bleibe besser hier, um aufzupassen, dass Jessi keine Dummheiten anstellt«, sagte Daiske zu Nadeya und gab ihr zu verstehen, dass sie mit Fiona allein gehen konnte. Nadeya nickte ihm zu und folgte der blonden Frau, hörte aber im Hintergrund noch das aufgebrachte Gezeter von Jessi, die Mattix als ungehobelten Idioten beschimpfte.





  • Hallo Lexi,


    nachdem ich mich vor einiger Zeit mal durch Tenaturik gelesen habe, soll jetzt etwas überblickendes Feedback folgen, weil du in diesen neun Kapiteln ja wirklich sehr viel beschrieben hast und die Charaktere voll zur Geltung kamen. Vielleicht sollte ich bei denen auch einmal anfangen. Inmitten dieser riesigen Welt und der Gefühllosigkeit ist es gut zu sehen, dass sich eine kleine Gruppe gebildet hat, die dem entgegen wirkt. Zwar hatte ich schon die Frage, wie viele da im Untergrund nun unterwegs sind, aber das sollte auch vorerst eine Frage für die Ewigkeit bleiben. Dass du nämlich mit der Tür ins Haus fällst und die Regierung gleich mal auf diese Gruppe ansetzt, war überraschend und dadurch steigst du auch schon mal voll ein, ohne auf die gegebene Welt zu achten. Die stellst du erst nachfolgend vor, was einerseits gut ist, aber andererseits natürlich dem Ersteindruck einen kleinen Dämpfer verpasst. Zumindest hätten mich hier Nadeyas Gedanken interessiert, wenn sie zum Beispiel durch die Stadt geht; zumindest stelle ich mir vor, dass sie das trotz ihrer Einstellung auch tun wird.
    Die anschließende Flucht und der Ausflug in den Dschungel waren ebenfalls sehr turbulent und ich hatte öfter das Gefühl, dass du immer wieder mit etwas Neuem überrascht und so eigentlich weder die Charaktere noch die Leser gänzlich zur Ruhe kommen. Mich hat es angetrieben, mehr von der Welt zu erfahren; auf der anderen Seite ist es aber ebenfalls gut, den Charakteren Zeit zu geben, sich vorzustellen und sich einfach einmal miteinander zu unterhalten. Immerhin kenne ich von allen die generelle Einstellung und ihre Persönlichkeit schon etwas, jedoch fehlt mir bei allen noch ein Tick zum Durchbruch. Da ist also noch viel Luft nach oben und ich bin mir sicher, dass du im weiteren Verlauf auch merken wirst, wie du das umzusetzen hast.


    Schreiberisch hast du eine angenehm andere Note, als ich es von dir gewohnt bin. Du hinterfragst viel, lässt die Charaktere rätseln, aber teilweise verstrickst du dich auch etwas zu stark in den Gedanken, sodass die Dialoge eher beiläufig wirken. Das ist mir besonders am Anfang aufgefallen, hat sich mit der Zeit aber immer mehr gelegt. Ich möchte es hier nur einmal erwähnt haben. Davon abgesehen schreibst du aber wie gewohnt toll und man taucht einfach gern in die Welt ein und lässt sich von der Prämisse fangen. Gefühlslosigkeit in einer Welt ist eine nette Thematik und ich bin mal gespannt, was du noch aus aus dem Ärmel zauberst.


    In diesem Sinn: Bis dahin!

  • 10. Kapitel – Naturkräfte


    18. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Sytrax


    Trotz der Offenheit und der mehrmaligen Bestätigung, dass man ihnen nichts antun wollte, fühlte sich Nadeya trotzdem nicht sicher. Sie hatte nicht vor, einfach zu vertrauen und das aus gutem Grund. Ihr Vater hatte ihr das schon sehr früh beigebracht, nicht jedem gleich die Hand zu reichen, auch wenn Nadeya zugegeben ein Mensch war, der lieber das Gute in anderen sehen wollte. Aber nach dem Vorfall mit dem Amt, der Flucht und dem Überlebenskampf im Dschungel wollte Nadeya nicht zu vertrauensvoll mit dieser Gruppe hier umgehen.
    Tenaturik – Sie galten als eine Rebellengruppe, die der Regierung Ärger bereitete und obwohl stets in den Nachrichten darauf plädiert wurde, dass Tenaturik keine ernstzunehmende Gefahr darstellte und das Ordnungs- und Sicherheitsamt alles unter Kontrolle hatte, war sich Nana sicher, dass diese Gruppe es faustdick hinter den Ohren hatte. Sie hatten sie im Dschungel ohne Probleme gefunden, überfallen und in die Stadt verschleppt. Jedenfalls glaubte Nadeya, dass sie in der Stadt waren. Wo denn sonst? Wenn auch vermutlich in irgendeinem geheimen Versteck. Aber im Dschungel waren sie ganz sicher nicht mehr! Wie sie allerdings in die Stadt hinein gekommen waren, war noch ein Rätsel. Nadeya hätte diese Frage gerne laut ausgesprochen, aber sie ahnte, dass Fiona ihr keine richtige Antwort geben würde. Keine, die zu viel verriet. Daher folgte sie ihr einfach nur durch die Gänge und Türen, da Fiona ihr zeigen wollte, wo Patryk und Lucjan waren.
    Ob es ihnen gut ging? Waren sie verletzt? Egal wie sehr sich Nadeya auch anstrengte, sie erinnerte sich einfach nicht mehr daran, wie die beiden festgenommen worden waren. Sicherlich waren sie auch nicht besonders sanft behandelt worden, aber Nana hatte dazu keine Erinnerung. Das war seltsam, aber vielleicht auch gar nicht so unüblich. Alles war so verdammt schnell gegangen und sie war von Jessi und Daiske abgelenkt gewesen, die versucht hatten sich zu wehren. Ohne Erfolg natürlich.
    »Hier«, sagte Fiona und blieb stehen. Nadeya wäre fast in sie hinein gerannt, weil sie so abwesend in ihren Gedanken versunken war. Überrascht sah sie auf und die Tür vor sich an, die noch verschlossen war.
    »Dahinter findest du die beiden«, sagte Fiona und wirkte nicht so, als wollte sie durch die Tür mitgehen. Das beunruhigte Nadeya und für einen Moment überlegte sie, ob sie zurück zu den anderen gehen sollte. Wenn das nun eine Falle war? Andererseits hatte ihr Vater ihr zugestimmt mitzugehen und ihm vertraute sie. Wenn er der Meinung war, dass ihr Gefahr drohte, dann hätte er sie gar nicht aus den Augen gelassen. Nadeya fasste sich ein Herz und berührte die Türklinke, um sie zu betätigen. Einen kleinen Augenblick musste sie darüber lächeln, weil sie sich an die Bar ihres Vaters erinnerte. Auch dort gab es eine manuelle Tür, weswegen oftmals Neukunden einfach verwirrt davor stehen blieben, da sie sonst automatisch öffnende Türen gewöhnt waren. Nadeya öffnete nun selbst die Tür, die genau wie alle anderen aus echtem Holz bestand. So etwas gab es schon lange nicht mehr. Die Menschen hatten im Laufe der Jahrhunderte alternative Rohstoffe für sich gewonnen, meistens künstlich hergestellt. Das hatte auch seinen Grund, denn auch wenn man meinen möchte, dass der Dschungel unheimlich viel Holz bieten konnte, so war es schier unmöglich die Bäume abzuholzen. Seitdem der Dschungel als gefährlich eingestuft wurde und Nadeya selbst eine Nacht darin verbracht hatte, verstand sie, dass der gewaltige Dschungel einfach zurückschlagen würde, wenn man ihm an seine Bäume gehen wollte. Ja, es würde zu Kämpfen kommen und Nana wollte nicht wissen, was für Kreaturen noch im Dschungel lebten. Mit Schrecken, aber auch mit einer gewissen Faszination, dachte sie an das weiße Geschöpf mit dem mächtigen Geweih zurück, welches Jessi getötet hatte. Es war furchtbar gewesen. Wenn Lucjan nicht dabei gewesen wäre und Jessi zurück ins Leben geholt hätte, dann würde diese jetzt nicht eifrig herum zetern können, um Mattix auf den Nerv zu gehen.


    »Was … ?« Nadeya trat durch die geöffnete Tür, da sie endlich wissen wollte, wie es Patryk und Lucjan ergangen war. Doch was sie hinter der Tür im dahinter liegendem Raum vorfand, damit hätte sie niemals gerechnet. Ihre braunen Augen wurden ganz groß und das Licht, das in diesem Raum ganz anders war, als in allen anderen Räumen, ließ ihre Augen goldener wirken. Es war kein künstliches Licht, was ihr entgegen strahlte und es war auch keines von uralten Lampen, wie sie im Rest des Gebäudes vorgefunden hatte. Es war heller, strahlender und trotzdem blendete es sie nicht. Es wirkte warm und sanft, als wollte man sich damit umgeben und es nie wieder missen wollen. Nur wenige Schritte tat Nadeya in den Raum, weil sie zu erstaunt war, dass sie nicht wusste, wohin sie gucken oder gehen sollte. Ihre Lippen standen offen und ihr Verstand war kaum in der Lage zu begreifen, wie dieser Anblick hier möglich war. Der ganze Raum war von so viel Grün bedeckt, dass man kaum noch den alten Stein erkennen konnte, aus dem diese Mauern gebaut worden waren. Was für Pflanzen Nadeya hier zu sehen bekam, wusste sie nicht. Sie hatten alle so unterschiedliche Blätter und Blüten, streckten ihre Köpfe dem Himmel entgegen und wirkten so, als gehörten sie einer anderen, ja phantastischeren Welt an. Bunte Farben waren zwischen all dem Grün zu sehen, doch statt dass Nana nun in helle Panik ausbrach, legte sich eine angenehme Ruhe über ihre Seele. Sie spürte keine Angst, spürte nicht die drohende Gefahr, die von einem gefährlichen Dschungel ausging, wo wer weiß was für Monster hervor brechen konnten. Dieser Raum war mit so viel Leben gefüllt, mit so vielen Pflanzen, doch nichts davon stellte eine Gefahr dar. Das Licht um sie herum schien von den Pflanzen selbst zu kommen. Sie wirkten auf ihre ganz eigene Art geradezu magisch. Anders konnte es Nadeya nicht beschreiben. Magisch. Ein Begriff, der das beschrieb, was man sonst nicht richtig erfassen und verstehen konnte. Weiter vorne im Raum erkannte sie zwischen all dem leuchtenden Grün eine Gestalt sitzen. Da sie mit dem Rücken zur Tür saß, konnte Nadeya nicht das Gesicht erkennen, doch sie ahnte, um wen es sich handelte. Mit vorsichtigen Schritten ging sie auf ihn zu und stellte erstaunt fest, dass scheinbar die Pflanzen um sie herum ein wenig Platz schafften, damit sie auf keine einzige trat. Sie ließen sie durch. War das überhaupt möglich oder war das nur eine Sinnestäuschung?


    Lucjan stand von seinem Platz auf und drehte sich um. Er hatte sie schon bemerkt gehabt, als sie noch nicht einmal von außerhalb die Tür erreicht hatte. Jetzt sah er Nadeya, die nichts anderes konnte, als wie ein staunendes Kind dazustehen und die Pflanzen zu bewundern. Kleine Lichtkugeln schienen sich stetig von den Pflanzen abzuheben und lösten sich in der Luft auf, ließen den Raum weiterhin strahlen.
    »Das ist unglaublich«, hauchte sie voller Anerkennung und sah endlich auf und damit Lucjan an. Auf seinen Lippen erschien ein sehr sanftes Lächeln, das auch seine Augen erreichte.
    »Ja, das ist es«, bestätigte er ihr. Nadeya wurde von dem Lächeln angesteckt, das er ausstrahlte und lächelte selbst. Sie konnte gar nicht anders. In ihrer Brust war ein glückseliges Gefühl, was sie auf diese Weise noch niemals zuvor gespürt hatte. Sie fühlte sich so wohl an diesem Ort, dass sie ihn am liebsten nie wieder verlassen wollte.
    »So sollte es eigentlich überall sein«, sagte Lucjan zu ihr und hob seine rechte Hand, um eine der kleinen Lichtkugeln einzufangen, die sich doch wieder auflöste. Nadeya war fasziniert davon und wollte das gleiche tun, aber da trat Patryk zu ihnen. Wo er sich befunden hatte, wusste Nadeya nicht. Er war ihr vorhin gar nicht aufgefallen.
    »Und doch ist es nicht so.« So sanft wie Lucjan gesprochen hatte, trotz seiner Modifikation an seinen Stimmbändern, so hart sprach nun Patryk die Realität aus und klang dabei sehr verbittert. Der Zauber, den Nadeya gespürt hatte, ließ nach, verflog immer mehr und selbst der Raum begann weniger zu strahlen, bis das Licht sich gänzlich auflöste. Die Pflanzen blieben, aber sie wirkten nicht mehr so magisch wie zuvor, trotz aller Anmut, die sie noch immer inne hatten. Nadeya war enttäuscht von diesem Wandel. Es kam ihr vor, als wäre die Welt auf einmal grauer und trister geworden. Dabei reichte allein schon das Grün hier aus, um die Welt etwas farbenfroher zu gestalten.
    »Was ist passiert?«, fragte sie. Die Enttäuschung konnte man aus ihrer Stimme heraus hören. Sie sah sich um, sah immer noch all die Pflanzen, aber nun fiel ihr auch der alte Stein dazwischen auf. Obwohl die Wände teilweise mit Moos bedeckt waren und sich bis in die Höhe erstreckte, wusste Nadeya, dass sie nicht im Dschungel war, sondern in einem abgeschlossenen Raum.
    »Was ist das hier für ein Ort?«, wollte sie wissen und richtete ihre Aufmerksamkeit zu den Brüdern.
    »Einer der letzten Orte, der noch nicht von der Kälte vergiftet wurde«, antwortete Patryk und klang genauso verbittert wie schon zuvor.
    »Von der Kälte … ?« Nadeya legte den Kopf zur Seite und runzelte die Stirn. Sie hatte nicht das Bedürfnis Gefühle zurückzuhalten und eine Fassade zu tragen, wie man es sonst in der Öffentlichkeit von ihr erwartet hätte.
    »Die Kälte, die durch den Fortschritt der Technik ausgelöst wurde. So nennen wir es«, erklärte Lucjan mit seiner modifizierten Stimme. Sie hatte etwas Kratziges an sich, etwas Elektronisches, als würde er durch eine Art Lautsprecher reden. Nur sprach er deswegen nicht lauter, sondern einfach anders. Dieser Umstand gefiel ihm auch nicht, so interpretierte Nadeya jedes Mal seinen Gesichtsausdruck, wenn er sprach. Er wirkte danach immer so nachdenklich, als müsste er sich immer noch daran gewöhnen, mit einer falschen Stimme zu sprechen.
    »Menschen, die selbst wie Roboter wirken«, ergänzte Patryk und Nadeya sah zwischen den beiden jungen Männern hin und her.
    »Ich verstehe nicht ganz … «, sagte sie verwirrt. Was hatte der technische Fortschritt mit diesem Raum zu tun? Die Antwort sollte sie sogar bekommen, als Lucjan weitersprach.
    »Dadurch, dass die Menschen sich von der Natur abgewandt haben, wurde die Kluft zwischen dem Natürlichen und der Menschlichkeit viel größer. Als würden sich die Menschen ihrer Umgebung anpassen, die immer trostloser wird. Dem lieblosen Stein, den Maschinen und Geräten, die sie erschaffen. Sie schrauben sogar an sich selbst herum und wirken dadurch nur noch mehr wie eine Maschine.« Lucjans Stimme wurde immer härter, ähnelte der Verbitterung, die bereits Patryk ausgestrahlt hatte. Nadeya ahnte, dass es an seiner eigenen Modifikation lag, die er nie gewollt hatte. Man hatte sie ihm aufgezwungen. Das wusste sie, ohne dass er das je hätte sagen müssen.
    »Aber … aber ist es nicht der Dschungel, der uns dazu gebracht hat, uns von der Natur fern zu halten? Ich meine, nachdem ich nun den Dschungel selbst erlebt habe, kann ich in gewisser Weise auch verstehen, warum wir vermeiden ihn zu betreten«, sagte Nadeya, die immer noch versuchte zu verstehen. Patryk verschränkte seine Arme vor der Brust und schnaubte.
    »Tenaturik«, sagte er und verwirrte Nadeya umso mehr.
    »Tenaturik?«, fragte sie nach und Lucjan war derjenige, der wieder erklärte.
    »Tenaturik, so nennt sich hier diese Gruppe und das aus gutem Grund. Sie sind Menschen wie jeder andere auch, aber sie haben begriffen, dass die Ausgrenzung der Natur nicht der richtige Weg ist. Mensch und Natur gehört zusammen, denn der Mensch ist Teil dieser. Sie akzeptieren die Natur und damit auch den Dschungel, der so einzigartig wie auch gefährlich ist. Aber das war nicht immer so. Der Dschungel verkörpert die Naturkraft dieses Planeten, der sich gegen die kalte Technik der Menschen wehrt. Vor allem aber gegen die Gefühlskälte, die durch den Fortschritt erst ausgelöst wurde. Ein schleichender Prozess, der in Gang gesetzt wurde. Noch so ein paar Jahre und man wird die Menschheit nicht mehr von ihren Schöpfungen unterscheiden können, weil sie alle wie Roboter wirken. Die Menschlichkeit geht verloren, dabei ist sie so unsagbar wichtig.«
    »Die Menschlichkeit … geht verloren … «, wiederholte Nadeya. Ihr schwirrte der Kopf von dem, was Lucjan ihr ohne Weiteres erzählte. Sie versuchte zu begreifen, was er ihr sagen wollte. Der Kampf zwischen der Natur gegen den Menschen. Gegen den kalten Menschen, wie die Brüder es nannten. Gegen die Technik.
    »Aber nicht alles ist an der Technik schlecht. Oder?« Sie war verunsichert. Nana wollte nicht glauben, dass allein die Technik für diese riesige Kluft verantwortlich war. Wenn sie daran dachte, wie praktisch doch manche Dinge waren, gerade auch in der Medizin. Wie viele Menschen hatten von Krankheiten geheilt werden können, weil es durch den Fortschritt möglich gewesen war? Vor einigen Hundert Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Menschen hätten an ihrer Krankheit sterben müssen. Wäre das etwa besser gewesen? Ganz bestimmt nicht.
    »Tenaturik«, riss Lucjan sie aus ihren Überlegungen heraus. »Deswegen nennt sich diese Gruppe Tenaturik. Nicht, weil sie komplett auf Technik verzichten will. Sie möchte eine Symbiose erschaffen, so dass der Mensch sowohl mit der Natur, als auch der Technik leben kann. Ein Mittelweg, der gefunden werden will.« Nadeya ging förmlich ein Licht auf. Sie verstand endlich, was genau der Begriff Tenaturik bedeutete.
    »Es ist wichtig, dass der Mensch sich an seine Wurzeln erinnert, doch aktuell sieht es ganz danach aus, als wäre es bereits zu spät«, ergriff Patryk wieder das Wort und wirkte nun selbst sehr nachdenklich.
    »Als wir die Städte sahen, konnten wir es kaum glauben. Kein Fleckchen grün, während der Dschungel gewalttätiger als jemals zuvor gegen Eindringlinge vorgeht.« Nadeya begann die Stirn zu runzeln, weil ihr bei Patryks Worten etwas seltsam vorkam.
    »Was meinst du mit als ihr die Städte saht? Wo seid ihr denn aufgewachsen?«, fragte sie deshalb und sah, wie die beiden Brüder einen Blick austauschten, doch verstehen tat sie es nicht. Eine Antwort kam nicht sofort, nicht von den beiden, denn noch etwas anderes fiel Nadeya ein.
    »Naturika! So hatte Marc Brian O‘Cellaigh euch im Dschungel genannt, richtig? Was genau hat es damit auf sich?« Wieder sah Nadeya zwischen den beiden Männern hin und her, die zögerten weiterzusprechen. Patryk zuckte irgendwann mit den Schultern, als würde er aufgeben oder als wäre es ihm egal, wenn Lucjan wieder erklärte, damit ein paar Fragen von Nadeya beantwortet wurden.
    »Naturika, so nennen sie uns, weil wir eine intensivere Affinität zur Natur besitzen, ja. Aber wir unterscheiden uns nicht so sehr von anderen Menschen. Jeder könnte ein Naturika sein, wenn man so will.« Das Wort »Naturika« setzte Lucjan mit seinen Fingern in Anführungszeichen, denn für ihn war das nur ein Begriff, der für Andersdenkende etwas beschrieb, was für ihn einfach normal war. In seinen Augen war jeder Mensch gleich, unterschied sich nur von der eigenen Meinung und Ansicht. Jeder könnte daher eine Affinität zur Natur haben, wie er es mit seinem Bruder hatte.
    »Wir wissen einfach um die wahre Stärke der Natur, weil wir ein Teil von ihr sind und uns nicht von ihr losgesagt haben. Mehr ist es nicht«, fügte Patryk hinzu und zuckte wieder mit den Schultern.
    »Du bist auch ein Teil davon«, sagte Lucjan, der Nadeya sanft anlächelte, dass ihr ganz anders zumute wurde. War das eine Art Kompliment? Es fühlte sich so an. Als wäre es etwas Gutes ein »Naturika« zu sein. In den Augen von Patryk und Lucjan war es vermutlich sogar so.
    »Aber wie … ?«
    »Du hast dich nicht annähernd so stark verschlossen wie andere Menschen. Du bist natürlich, hinterfragst die Dinge dieser Welt. Das sollte jeder Mensch tun anstatt alles hinzunehmen, wie es ist.« Nadeya bekam bei Lucjans Worten große Augen.
    »Hinterfragen? Aber tun die Menschen das denn nicht?« Sie dachte an die Maschinen wieder, an die Computertechnik, auch an die Medizin und all die anderen Naturwissenschaften, die für die Gesellschaft von Bedeutung waren. Und, was ihr dabei ebenfalls auffiel, nannte es man nicht umsonst Naturwissenschaft? Ohne die Dinge zu hinterfragen, wäre die Forschung gar nicht voran geschritten.
    »Nein, tun sie nicht. Geh auf die Straße und sieh dir die Menschen an, die wie Marionetten der Regierung dienen. Sie leben nicht einmal richtig!«, begehrte Patryk so unerwartet auf, dass Nadeya zusammenzuckte. Lucjan legte beruhigend eine Hand auf die Schulter seines Bruders.
    »Die Menschheit hat viel geschafft und entwickelt. Das will ich nicht abstreiten, aber zu welchem Preis? Ihren Kindern verbieten zu lachen und zu weinen? Im Dreck zu spielen?« Lucjan sprach wieder und schüttelte den Kopf. Nadeya sah sehr nachdenklich drein. Lachen, weinen, im Dreck spielen … Dinge, die aus seinem Mund so normal, ja selbstverständlich wirkten, doch für Nadeya war es anders. Sie brauchte nur an ihre eigene Kindheit zu denken. An die Schul- und Bildungszeit, die sie durchlebt hatte. Immer dann, wenn sie nicht daheim gewesen war und was alle anderen von ihr erwartet hatten. Akkurat sprechen, gerade und aufrechte Körperhaltung, keine Emotionen zeigen. Sie schluckte schwer und sah zu Boden. Das alles wirkte so falsch, wenn sie mit Patryk und Lucjan sprach. War sie nicht selbst eine Marionette gewesen? All die Jahre über …
    »Ich weiß nicht, ob es gut ist Emotionen zu unterdrücken oder nicht«, begann Nadeya. Ihre Stimme war sehr leise. Sie fühlte sich schlecht, als hätte sie etwas Falsches getan und würde dafür nun eine Rüge erhalten.
    »Es geht nicht darum, ob es gut oder schlecht ist. Zu viele Emotionen können auch belastend sein, das kommt immer auf die Situation drauf an. Es geht viel mehr darum, dass die Natürlichkeit nicht verloren geht«, nahm Lucjan das Wort auf und versuchte Nadeya zu trösten, weil er merkte, dass sie sich viele Gedanken machte und sie durch das Gehörte sich nicht zwangsläufig besser fühlte. Sie hatte ein anderes Leben nie gekannt. Hinaus gehen, um im Freien zu spielen, über satte Blumenwiesen zu rollen, den Himmel unbeschwert zu betrachten oder gar sich in Traumwelten dazu zu verlieren. Das waren Dinge, die bei den gesellschaftlich korrekten und gefühlskalten Menschen undenkbar wären.
    »Wir sollten das Gespräch an dieser Stelle beenden«, kam Patryk zum Schluss und wandte sich an seinen Bruder. Er tauschte mit ihm noch einen Blick aus und nickte ihm zu, ehe er sich löste und an Nadeya vorbei ging. Diese sah Patryk hinterher, als er zur Tür ging, durch die sie auch vorhin gekommen war. Als die Tür sich schloss, sah sie zurück zu Lucjan, der noch immer bei ihr verweilte.
    »Dieser Raum hier«, ergriff Nana das Wort. »Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen und das Leuchten der Pflanzen … «
    »Es gibt kaum noch Orte wie diesen hier, wenn man vom Dschungel an sich mal absieht«, sagte Lucjan und lächelte traurig. »Man kann hier deutlich fühlen, wie der Zauber der alten Zeit noch vorhanden ist. Das Leben pulsiert.«
    »Zauber der alten Zeit?« Nadeya sah Lucjan fragend an, doch ihre Augen huschten schon kurz danach durch den Raum.
    »Ja. Die Städte würden lebendiger wirken, wenn auch Pflanzen da wären. Bäume, Sträucher, Blumenbeete und Parks«, sprach Lucjan weiter und hinterließ auf Nadeya den Eindruck, dass er sich sehr gut vorstellen konnte, wie so eine Stadt aussehen könnte. Sie selbst konnte mit so einem Bild nichts anfangen, denn sie wusste noch nicht einmal, wie sie es sich vorstellen sollte.
    »Wieso leuchten sie nicht mehr?«, fragte sie ihn lieber und sah auf eine Blume hinab, die Nadeya ihren Blütenkopf entgegen streckte. Die Blütenblätter waren rosa und endeten in den Spitzen im hellem Weiß. Sie war sehr hübsch und wirkte so unschuldig, dass Nadeya nicht begreifen konnte, warum Blumen in der Stadt nicht erlaubt waren. Was könnten sie schon anrichten?
    »Das Leuchten ist nur die sichtbare Form des Lebens. Wenn die Energien stark pulsieren, dann leuchten sie auf«, erklärte Lucjan.
    »Also ist es keine Magie?«, hackte Nadeya nach.
    »Magie?« Lucjan lächelte bei diesem Wort und sah sie spitzbübisch an, dass sich Nadeyas Wangen rot färbten.
    »Na ja, das … «, begann sie zu stottern und wusste nicht, wie sie reagieren sollte.
    »Magie könnte man es auch nennen, wenn man will«, meinte er und half Nana sich nicht mehr ganz so verlegen zu fühlen. Lucjan wusste um die Welt, um die Naturkraft und die Energien. Von dort, wo er herkam war es Alltag gewesen die Natur um sich zu haben. Dementsprechend schockiert war er beim ersten Anblick der weißen Städte, als er die Erste davon betreten hatte und wo dann das gesamte Drama begonnen hatte. Sein Bruder und er und die Biowalküre …
    »Luc?«, riss Nadeya ihn aus seinen Gedanken. Er begann wieder zu lächeln, da sie ihn besorgt musterte, was er nicht wollte. Es gab schon genug Dinge über die sie ihr Köpfchen zerbrach, da musste sie sich nicht auch noch mit seinen Sorgen herum plagen.
    »Lass uns zu den anderen gehen«, schlug er vor. Nadeya nickte zustimmend, weswegen sich Lucjan in Bewegung setzte und den naturbedeckten Raum verlassen wollte. Er wartete bei der Tür auf Nadeya, die noch einen Moment länger benötigte, um noch ein weiteres Mal den Raum mit den unterschiedlichen Pflanzen auf sich wirken zu lassen. Sie sahen nicht wie die Pflanzen im Dschungel aus, da sie auch nicht so groß gewachsen waren. Aber sie besaßen ihre ganz eigene Magie.
    Magie – ein schönes Wort, welches sie für sich beibehalten wollte, denn bislang wirkte alles sehr magisch auf sie. Besonders aber auch Lucjan und Patryk, die so anders waren, als alle Menschen, die sie zuvor kennen gelernt hatte. Zwar hatte sie heute einiges Neues erfahren, doch noch immer türmten sich die Fragen in ihrem Kopf. Sie konnte noch nicht das große Ganze erfassen, aber sie würde dran bleiben. Besonders um heraus zu finden, wer Lucjan und Patryk wirklich waren und woher sie kamen. Welcher Ort konnte so magisch sein, dass der Anblick der weißen Städte einen so überraschte? Nadeya löste sich von ihrer Position und folgte Lucjan.
    Magie. In dieser Welt gab es weitaus mehr, als sie bislang geahnt hatte.



    »Was ist das?«, hörte Nadeya die skeptische Stimme von Jessi, die sich gerade über den großen Topf beugte, um zu überprüfen, was sich darin befand. Nadeya war gemeinsam mit Lucjan zurück in den Raum gegangen, wo sich auch die anderen befanden. Der Saal, der sich mittlerweile auch mit anderen Menschen gefüllt hatte. Die lange Tischtafel war gedeckt worden. Besteck und Teller lagen bereit, die Ersten saßen bereits auf der Sitzbank und unterhielten sich oder schaufelten sich das Mahl in den Schlund. Jessi und Daiske waren nicht ganz überzeugt von der angebotenen Mahlzeit, denn sie war völlig anders, als sie es sonst gewohnt waren.
    »Das ist ein Eintopf«, sagte Mattix und verdrehte die Augen, als würde er Jessi für zurückgeblieben halten. Diese funkelte ihn sogleich böse an. Daiske versuchte es mit schlichtenden Worten, damit nicht schon wieder ein Streit verursacht wurde. Mattix hatte es drauf Jessi zu provozieren und diese ließ es jedes Mal zu.
    »Frische Zutaten und total lecker, probiert, solange noch was da ist«, sagte Fiona, die zu den Dreien trat, um sich ihren Suppenteller mit Eintopf zu füllen.
    »Das sieht aber seltsam aus«, meinte Jessi, die noch nicht überzeugt von dem Eintopf war. In ihm schwammen allerhand seltsam aussehende Dinge herum. Grünes Zeug, oranges Zeug, gelbes Zeug! Sie wusste nicht einmal, wie sie es nennen sollte, weil sie das Gemüse nie auf diese Weise zu Gesicht bekommen hatte.
    »Und es riecht auch komisch«, fügte Jessi hinzu.
    »Blödsinn, es riecht köstlich!«, protestierte Fiona und setzte sich danach auf einen freien Platz. Den Löffel tauchte sie ein und schob ihn sich danach in den Mund. Kurz darauf kam ein »Mmmhm!« von ihr, das zeigen sollte, wie gut es ihr schmeckte. Jessi war immer noch nicht überzeugt davon, doch Mattix war schon dabei zwei Suppenteller zu füllen, von denen jeweils er einen in die Hände von Jessi und Daiske drückte.
    »Probiert und beschwert euch danach!«, wies er sie an und nahm sich auch einen Teller voll, um es Fiona gleich zu tun. Daiske und Jessi setzten sich, doch es war Daiske, der zuerst probierte, während Jessi ihn ganz genau beobachtete. Sie hatte großen Hunger, aber konnte man das wirklich essen? Daiske war sich auch nicht sicher deswegen, war aber eindeutig mutiger und schob den Löffel in den Mund. Er sah sehr nachdenklich aus, als würde er genau analysieren, was er da gerade im Mund hatte und wie es schmeckte. Gespannt wartete Jessi immer noch, deren Magen in den Kniekehlen hing.
    »Und?«, wollte sie von ihm wissen, doch Daiske ließ sich extra viel Zeit zum Antworten.
    »Also, es ist … wie soll ich sagen?«, begann er zu reden. Mattix stöhnte genervt auf.
    »Jetzt sag doch endlich, dass es gut schmeckt! Mit dem abgepackten Zeug aus der Stadt ist das kein Vergleich!«
    »Aus der Stadt? Wo genau befinden wir uns denn hier?«, mischte sich nun Nadeya ein, die die ganze Zeit die Szene und den Saal beobachtet hatte, wurde aber ignoriert. Ihr Vater stand am Rand des Saals und unterhielt sich mit Darell Cantos. Sie sah auch einige andere Menschen, aber keinen von ihnen erkannte sie wieder. Waren sie bei dem Überfall dabei gewesen, oder nicht? Spielte das überhaupt eine Rolle? Nana richtete ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihre Freunde, um mitzubekommen wie auch Jessi nun den Eintopf kostete und ein erstauntes Gesicht machte.
    »Na? NA? Hab ich es nicht gesagt!«, meinte Mattix selbstzufrieden, weil er davon überzeugt war, dass der Eintopf Jessi schmeckte. Diese verzog nur eine Grimasse, aß aber trotzdem weiter, weil sie Hunger hatte. Daiske ging es da nicht anders. Einen Löffel nach dem anderen schoben sie sich in den Mund, was Nadeya daran erinnerte, dass auch sie selbst großen Hunger hatte. Sie setzte sich zu ihren Freunden und bekam von Lucjan einen gefüllten Teller gereicht, wofür sie sich lächelnd bedankte.
    Anders als sie es gewöhnt waren, war hier im Saal einiges los. Nicht nur, dass sich die Rebellengruppe zum gemeinsamen Mahl versammelte, sie schwatzen und diskutierten miteinander, tauschten sich aus, machten sogar Späße, dass Nadeya nicht nur einmal erstaunt aufsah, wenn sie jemanden lachen hörte. Auch Jessi und Daiske wirkten so manches Mal irritiert davon, ließen sich aber nicht davon abhalten weiter ihren Eintopf zu löffeln.
    Kurze Zeit später gesellte sich Nathan, Nadeyas Vater, zu ihnen und setzte sich neben seine Tochter. Auf ihrer anderen Seite saß Luc und ihnen gegenüber saßen direkt Jessi und Daiske.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Nana ihren Vater und sah ihn dabei sehr fragend an. Er nickte stumm und aß von seinem Eintopf. Ob es ihm schmeckte, war nicht zu erkennen. Die Kälte der Gesellschaft hatte sehr viel länger auf ihn gewirkt, so dass es manchmal sehr schwer war seine Emotionen zu erkennen.
    »Weißt du wo Natascha und Mark Brian O‘Cellaigh sind?«, wollte sie von ihm wissen. Nadeya sprach extra ein wenig leiser, damit die Rebellen um sie herum nicht zu viel von diesem Gespräch mitbekamen.
    »Ja, sie werden festgehalten. Aber es geht ihnen soweit gut«, antwortete ihr Vater.
    »Was wird aus ihnen?«, fragte Nadeya weiter und wurde von Mattix und Fiona skeptisch gemustert.
    »Du interessierst dich sehr für die beiden, was?«, sagte Mattix und wirkte nicht besonders angetan von dieser Feststellung.
    »Die Eine eine Humanoide und der Andere ein Vertreter vom Ordnungs- und Sicherheitsamt, du solltest dich besser von ihnen fernhalten«, riet Fiona Nadeya, doch diese wollte sich damit keineswegs zufrieden geben.
    »Haltet ihr sie nur deswegen fest?«, entgegnete Nana ihr und kurze Zeit herrschte zwischen den beiden eine größere Anspannung, die besorgniserregend war.
    »Vorerst sind sie sicher, auch wenn sie festgehalten werden«, sprach Nathan, um Nadeya ein wenig zu beruhigen. Sie glaubte ihrem Vater, machte sich aber trotzdem Sorgen um Natascha. Was sie von Mark halten sollte, wusste sie nicht, aber Natascha hatte nicht wie jemand gewirkt, die man einsperren musste. Hatte sie nicht sogar um Hilfe gebeten? Das wollte Nadeya ebenfalls herausfinden, was es mit der Humanoiden auf sich hatte. Dafür würde sie mit ihr reden müssen, ob sie das wohl durfte?
    »Wie geht es jetzt eigentlich weiter?«, wollte Daiske wissen, der die Frage in den Raum warf. Nathan erhob wieder seine tiefe Stimme, um darauf zu antworten.
    »Darell Cantos hat mir versichert, dass wir vorerst hier bleiben dürfen. Wir können aktuell sowieso nirgendwohin, da das Amt nach uns sucht. Allerdings dürften hier in Sytrax unsere Gesichter noch nicht bekannt sein. Dennoch müssen wir vorsichtig bleiben«, erklärte Nathan.
    »Und das Labor?«, mischte sich Patryk ein. Lucjan hatte aufgehört zu essen und wirkte angespannter als zuvor. Das fiel Nadeya auf, die nicht recht wusste, worum es nun ging. Labor?
    »Darell hat einige Leute von sich beauftragt noch mehr Informationen darüber in Erfahrung zu bringen. Sobald er mehr weiß, wird er uns in Kenntnis setzen«, antwortete wieder Nathan, der scheinbar über alles Bescheid wusste. Nadeya sah ihren Vater fragend an.
    »Was ist mit dem Labor?« Sie schien einiges verpasst zu haben oder irrte sie sich?
    »Das Forschungslabor von Sytrax ist unter anderem dafür bekannt, Modifikationen an Menschen durchzuführen«, sagte Nathan und Nana ging ein Licht auf. Modifikationen! Es ging vermutlich um die von Luc und Patryk, weswegen sie sich an die beiden wandte.
    »Was wollt ihr im Labor erreichen?« Statt dass einer der Brüder antwortete, war es Mattix, der sich zu Wort meldete.
    »Sie müssen erst untersucht werden, was genau das für Modifikationen sind, denn hier haben wir nicht die nötigen Mittel und Geräte dafür und die beiden können uns das auch nicht sagen.« Nadeya sah zwischen Mattix und den Brüdern hin und her. Sie war nicht sicher, was sie darauf sagen sollte. Ihr Beileid aussprechen, dass man gegen ihren Willen Modifikationen angebracht hatte? Was sollte das schon bringen?
    »Wenn ihr wollt, könnt ihr euch morgen ein bisschen in der Stadt umsehen, aber dann solltet ihr auf jeden Fall frische Kleidung anziehen. In euren Zimmern findet ihr alles, was ihr braucht«, warf Fiona ein anderes Thema in den Raum, da auch sie die missmutige Stimmung bemerkte. Ein ausgelassenes Gespräch kam trotzdem nicht mehr zustande. Jeder hing mehr oder weniger seinen Gedanken nach, besonders Nana, die es einfach nicht lassen konnte sich über so viele Dinge den Kopf zu zerbrechen. Erst gestern, so kam es ihr vor, hatte sie in der Bar ihres Vaters gesessen und sich aus Problemen so weit heraus gehalten, wie sie nur konnte. Sie hatte ihr eigenes Leben geführt, wie sie es für richtig hielt, ohne die Aufmerksamkeit des Amtes auf sich zu ziehen und heute war auf einmal alles anders. Da dachte sie über so viele Dinge nach und stellte mehr und mehr fest, dass sie in dieser Welt, in der sie lebte, so nicht mehr weiter machen wollte. Anders ausgedrückt: Ihr ganzes Weltbild war auf den Kopf gestellt wurden und das war nur die Spitze des Eisberges, das ahnte sie.



  • 11. Kapitel – Vorbereitungen


    19. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Sytrax


    Mit einer Hand schirmte sich Nadeya die Augen ab, da die Sonne gerade hinter einer Wolke hervor kam und sie blendete. Momentan befand sie sich vor dem Eingang des Rebellengebäudes, wie sie es selbst nannte, und wartete auf die anderen, um mit ihnen in die Stadt zu gehen. Wie sie sich schon gedacht hatte, befanden sie sich mitten in Sytrax, die Stadt, die für ihr Forschungsinstitut bekannt war. Fiona hatte ihr erklärt, dass ein unterirdischer, geheimer Gang hinaus in den Dschungel führte und sie dadurch in die Stadt gelangt waren. Wo genau sich dieser Gang befand, hatte sie allerdings nicht erwähnt. Bei allem Vertrauen, die sie versuchten gegenseitig aufzubringen, waren beide Parteien dennoch vorsichtig und wollten nicht zu viel verraten. Nadeya konnte das gut nachvollziehen, obwohl ihre Neugierde damit nicht befriedigt wurde. Nicht komplett. Doch zurück in den Dschungel wollte sie aktuell sowieso nicht. Sie stand hier vor dem Eingang eines schlichten Gebäudes, das im Prinzip genauso wie alle anderen Häuser aussah. Auf Individualität wurde in der Architektur schon lange kein besonders großer Wert mehr gelegt. Es sei denn es ging um wichtige Gebäude für die Regierung oder andere Monumente, die etwas Spezielles darstellen sollten. Aber die allgemeinen Häuser, seien es Wohnkomplexe oder Bürohochhäuser, wirkten alle gleich. Wie in Synoria waren die Fassaden mit dem weißen Baustoff bestückt, wodurch auch diese Stadt gänzlich weiß erschien. Wenn man von manchen grauen Stellen absah, die nicht gut gepflegt waren, aber wen interessierte das schon?
    »Nadeya?« Die Genannte drehte sich um, als sie ihren Namen hörte und erblickte Lucjan. Sie hatte gewusst, dass er es war, denn seine verzerrte Stimme war einfach von den anderen zu erkennen. Nadeya lächelte ihm zu, bemerkte aber seinen verwunderten Blick auf ihr. Das lag vermutlich daran, dass sie andere Kleidung angezogen hatte, passend um in der Stadt umherzulaufen. Angepasst an der hiesigen Mode, die nicht anders als in anderen Städten war. Schlicht, komfortabel, aber auch ziemlich unspektakulär und in hellen Farben gehalten. Luc sah nicht viel anders aus, als sie. Der Kleidungsstil war identisch, damit auch er nicht auffiel, wenn er durch die Straßen ging. Einfache Hosen mit schlichtem Oberteil, darüber eine Jacke. Sein Bruder zeigte das gleiche Bild sowie Jessi und Daiske, die ebenfalls da waren. Sie hatten sich angepasst, um nicht erkannt zu werden. Da aber Nadeya rote Locken besaß, hatte Fiona darauf bestanden, dass sie eine Perücke trug. Nun stand Nadeya mit schwarzen Haaren vor den anderen und wirkte etwas befremdlich auf sie. Daher musterte Lucjan sie auch so seltsam.
    »Hast du deine Haare gefärbt?«, wollte Jessi wissen und sah skeptisch drein. Sie hatte Nadeya noch nie mit einer anderen Haarfarbe gesehen.
    »Nein, das ist eine Perücke von Fiona. Sie meinte, ich sei zu auffällig.« Dass Nadeya wenig davon begeistert war, konnte man daran erkennen, dass sie die Arme vor der Brust verschränkte.
    »Da hat sie nicht ganz Unrecht. Deine rote Mähne erkennt man überall«, stimmte Daiske Fiona zu, die nicht anwesend war. Er hätte gegrinst, aber da sie sich hier bereits in der Öffentlichkeit befanden, tat er es nicht. Sein Gesicht zeigte die ausdruckslose Fassade wie Jessi und wirkte durch sie wie jeder andere Bewohner dieser Stadt. Gefühlskalt und distanziert. Das verstörte Nadeya ein wenig. In den letzten Tagen hatte sie so viele Emotionen erlebt, die sie nicht einmal im ganzen Jahr bei anderen sehen würde.
    »Bereit?«, fragte Mattix, der hinter den anderen aus der Eingangstür getreten kam und damit der Letzte im Bunde war.
    »Warum kommt der eigentlich mit?«, wollte Jessi von ihnen wissen, ohne auf Mattix' Frage einzugehen.
    »Weil ich euer Anstands-Wau-Wau bin und ich aufpassen muss, dass ihr nicht irgend etwas Dummes anstellt«, antwortete Mattix prompt und musterte vor allem Jessi kritisch.
    »Du weißt schon, dass du in der Unterzahl bist, oder?«, fragte Daiske, der damit andeuten wollte, dass Mattix sich die Mühe sparen konnte auf sie aufzupassen.
    »Mit dem werde ich auch allein fertig«, schnaubte Jessi und sah so aus, als wollte sie sich gleich die Ärmel hoch krempeln und sich mit Mattix anlegen.
    »Kommt schon, lasst es uns ruhig angehen, okay?«, warf Nadeya ein, die nicht wollte, dass wieder Streit ausgelöst wurde.
    »Genau, hört auf euer Engelchen. Ihr kennt euch sowieso nicht in Sytrax aus«, kommentierte Mattix und zwinkerte Nadeya zu, die verdutzt darüber war und ihm nachstarrte, als er sich an den anderen vorbei schob, um die Führung zu übernehmen.
    »Irgendwann werde ich ihm eine reinhauen, irgendwann … «, murrte Jessi schlecht gelaunt vor sich hin. Daiske ging neben ihr her, als sich die Truppe in Bewegung setzte und sah sie von der Seite aus an.
    »Du willst doch jedem eine runterhauen«, sagte er zu ihr, so dass er sich einen bösen Blick von ihr einhandelte. Daraufhin zuckte er nur mit den Schultern und beließ es dabei.


    Eine Viertelstunde später waren sie mitten auf den Straßen von Sytrax unterwegs. Mattix hielt sich zurück, was Erklärungen anbelangte, damit sie nicht wie eine Gruppe wirkten, die sich nicht auskannte. Das würde zu viel Aufmerksamkeit erregen.
    »Hey Hohlkopf, wohin führst du uns?«, wollte Jessi wissen, die nur ungern in fremden Gegenden umherirrte, ohne zu wissen, wo ihr Ziel lag.
    »Aber Honigbärchen, das solltest du bereits wissen.« Als Mattix mit dieser Antwort heraus rückte, konnte Nadeya sehen, wie schwer es Jessi fiel, sich zurückzuhalten. Sie war kurz davor auf ihn loszugehen.
    »Sei froh, dass hier so viele Menschen um uns herum sind, sonst würdest du jetzt deinen Kopf verlieren!«, drohte sie ihm, was Mattix aber nicht weiter beunruhigte.
    »Gerne das nächste Mal«, antwortete er ihr und sorgte dafür, dass Jessi fast die Beherrschung verlor. Daiske erinnerte sie daran, dass sie sich besser still verhalten sollte, was sie dazu brachte vor sich hin zu knurren. Sie hasste es, besonders als Daiske ihr auch noch auf die Nase band, dass sie sich zu einfach von Mattix provozieren ließ. Nadeya war von dem allgemeinen Verhalten ziemlich verwirrt. Sie kannte Daiske und auch Jessi seit ihrer Kindheit, aber es gab Dinge, die sie bislang nicht an ihnen gesehen hatte. Außerdem wirkte Mattix auf sie total skurril. Überhaupt nicht wie ein typischer Bewohner von Daraium.
    »Was war heute früh im Essen drin? Das ist doch nicht normal«, redete sie mit sich selbst, aber Lucjan neben ihr bekam ihre Worte mit.
    »Das ist absolut normal«, sagte er, so dass sie ihn ungläubig ansah.
    »Sie sind kurz davor eine echte Beziehung einzugehen!«, ließ er sie wissen und es klang wie eine Verkündung eines Preises, den man unbedingt gewinnen wollte.
    »Hä?«, war alles, was Nana als Antwort parat hatte, denn sie verstand ihn nicht.
    »Dort, wo wir herkommen, ist es gar nicht so untypisch, dass diejenigen, die sich ganz besonders mögen in Form von Neckereien ihre Gefühle zueinander ausdrücken«, erklärte Patryk, der vor Nadeya ging und sich leicht zu ihr umdrehte. Er hatte das Gespräch zwischen seinem Bruder und ihr mitbekommen. Aber auch das half ihr nicht weiter, denn sie sah immer noch ganz verwirrt drein.
    »Das verstehe ich nicht«, gab sie daher zu.
    »Das macht nichts. Vielleicht wirst du es eines Tages besser verstehen können«, sagte Luc verheißungsvoll. Nadeya runzelte nur die Stirn darüber und richtete ihr Augenmerk zurück auf den Weg vor sich und damit auch auf ihre Umgebung.
    Die Menschen von Sytrax sahen genauso aus wie die in Synoria. Da gab es keine nennenswerte Unterschiede zu erkennen. Gleicher Kleidungsstil, alle mit sich selbst beschäftigt, nicht großartig auf andere achtend. Vielleicht hätte Nadeya hier Purzelbäume schlagen können, ohne dass es jemanden aufgefallen wäre? Sie erkannte eifrige Geschäftsmänner, die mit ihrem Kommunikationsgeräten durch die Straßen liefen, weil sie von einem Termin zum nächsten hetzten. Sie sah auch eine Mutter mit ihrem Kind gerade die Straße überqueren und danach ihnen entgegen laufend. Die Mutter schien es etwas eiliger zu haben und ging daher schneller, so dass ihr Kind, welches ungefähr fünf oder sechs Jahre alt sein müsste, zu tun hatte hinterher zu kommen. Wie manch einer es geahnt hatte, stolperte die Tochter über die eigenen Füße und so verlor die Kleine ihr Gleichgewicht und kippte nach vorne um. Sie landete auf dem Fußweg, die Knie dabei aufgeschürft.
    Lucjan neben Nadeya blieb stehen und beobachtete die Szenerie, weswegen auch sie stoppte. Sie sah in Lucs nachdenkliches Gesicht und dann wieder zu dem Kind am Boden, dass nur ein paar Meter weit weg von ihnen hingefallen war. Die Mutter war stehen geblieben und betrachtete ihre Tochter, machte aber keinerlei Anstalten ihr aufzuhelfen oder gar tröstende Worte zu verlieren. Das Einzige, was sie noch tat, war sie aufzufordern endlich aufzustehen, denn sie hatten es eilig. Die Kleine stemmte sich wieder auf die Füße und gab keinen Mucks von sich. Weder gab es Geschrei noch purzelten ihr Tränen über die Wangen, weil ihre Knie weh taten.
    »So kalt«, hörte Nadeya Lucjan sagen und sah ihn wieder an.
    »Was meinst du?«, fragte sie ihn, doch er schüttelte nur den Kopf.
    »Vergiss es.« Mit diesen Worten folgte er den anderen, doch Nana sah ihm nach. Was hatte er damit gemeint? Sie sah zurück zu dem Mädchen, was ihrer Mutter folgte. Sie bogen im nächsten Moment um eine Ecke und waren damit aus dem Sichtfeld. Nana hatte so eine Szene nicht zum ersten Mal gesehen, aber zum ersten Mal fragte sie sich, was daran falsch war. Hätte es anders ablaufen müssen? So wie Lucjan nachdenklich, ja fast kritisch drein gesehen hatte, kannte er es vermutlich anders. Nur wie sah das »anders« aus?
    »Nana?«, rief Jessi und riss sie aus ihren Gedanken. Nadeya beeilte sich die anderen wieder aufzuholen, damit sie nicht zurückblieb.
    »Das Forschungszentrum befindet sich im zentralen Bereich der Stadt«, erklärte Mattix und deutete mit seinem ausgestreckten Arm auf ein Gebäude, dessen Spitze über viele der anderen Häuser drumherum herausragte. Zu Fuß würden sie ohne Probleme den Bereich erreichen können, obgleich es etwas länger dauern würde. Das Forschungsinstitut konnten sie allerdings nicht einfach so betreten. Es gab Sicherheitsvorkehrungen und nur jene, die einen speziellen Ausweis besaßen, kamen an den Kontrollen vorbei. Aktuell besaß Mattix solch einen Ausweis nicht, wie er berichtete, aber daran wurde gearbeitet. Tenaturik besaß überall Kontaktpersonen und Spione, so dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie einen gültigen Ausweis in den Händen hielten.
    Mattix führte die Gruppe an einigen Geschäften vorbei, doch keines konnten sie betreten. Geschäfte waren allgemein mit Überwachungskameras ausgerüstet und sie wollten nicht riskieren zufällig entdeckt zu werden. Daher mieden sie diese, so gut sie konnten. Die größere Einkaufspassage wurde ebenfalls umgangen, die vor allem für Studenten und Wissenschaftler sehr interessant war. Es gab viele Läden, die wissenschaftliches Zubehör für die Forschungen anboten und etliche elektronische Büchersoftware, die wissenschaftliche- und technische Themen behandelten. Auch die Techniker als solche kamen nicht zu kurz und würden hier einige Ersatzteile finden können. Daiske liebäugelte mit einigen Geschäften, die er von außen erkennen konnte, aber er würde keine Gelegenheit bekommen sie aufzusuchen.
    Neben den eher kleineren Modegeschäften, die stets den schlichten Trend oder die Berufsbekleidung aufwiesen, gab es noch wenige Läden, die für den kleinen Hunger etwas zum Essen anboten. Aber auch da würde man keine kulinarische Köstlichkeiten vorfinden können.
    Sie brauchten fast eine ganze Stunde, um mehrere Plätze zu überqueren und das Forschungszentrum zu erreichen. Trotzdem hielten sie Abstand. Das Gebäude überragte so ziemlich alle anderen, die darum standen. Es war das größte Forschungslabor, welches in ganz Daraium existierte. Hier wurde der Großteil der bisherigen Modifikationen erforscht, getestet und teilweise auch umgesetzt. Ebenso gab es einen sehr großen, medizinischen Bereich, der für den Erfolg für die Gesundheit der Menschheit wesentlich beigetragen hatte. All das und noch einiges mehr, erfuhren sie von Mattix, der gut informiert war. Er wusste auch von den geheimen unterirdischen Laboren, in denen spezielle Tests durchgeführt wurden, von denen die meisten nichts ahnten. Nadeya fragte Mattix nach diesen Tests, da er diese erwähnte, aber auch er wusste nicht genau, worum es sich dabei handelte.
    »Einige vermuten, dass es für den medizinischen Bereich eine große Rolle spielt. Das Austesten von neuen Medikamenten oder Ähnlichem und andere wiederum behaupten, angeblich würde Genmanipulation durchgeführt werden, um Monster zu erschaffen. Am schlimmsten finde ich die Theorie, dass sie dort dabei sind den perfekten Menschen zu kreieren.« Mattix schüttelte den Kopf über seine eigenen Worte.
    »Als würde es nicht schon ausreichen, dass es unter uns Humanoide gibt. Wie perfekt sollen die denn noch werden?« Anhand seiner Worte verstand Nadeya die Abneigung gegen die Humanoide, die Mattix empfand. Jessi und Daiske ging es ähnlich. Sie fürchteten sich vor dem Tag, da es mehr Humanoide als Menschen gab.
    »Was wären wir denn ohne unsere Fehler, hä?«, warf Mattix in den Raum und brachte Nana weiter zum Nachdenken. Humanoide wurden erschaffen, um hauptsächlich Arbeiten auszuführen, die ein Mensch nicht zu Hundert Prozent selbst erledigen konnte oder teilweise nur fehlerhaft. Andererseits wurden sie auch in Bereichen eingesetzt, um allgemein die Menschen mehr zu entlasten. Humanoide sollten wie Roboter funktionieren und dennoch einen scharfen Verstand wie ein Mensch besitzen, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. War das nicht eigentlich Irrsinn? Für die Wirtschaft war das ein guter Schritt in eine richtige Richtung, um noch mehr Profit herauszuschlagen, aber was bedeutete das für die Menschheit im Allgemeinen?
    »Wie kommen wir dort rein?«, wollte Patryk wissen, der die Frage an Mattix stellte.
    »Im Moment gar nicht. Aber schon bald … Dann können wir herausfinden, wo genau eure Modifikationen sitzen und wie wir sie vielleicht sogar entfernen können.« Der Satz klang wie Musik in den Ohren von Lucjan, der sich nichts sehnlicher wünschte. Aber er verstand auch, wie gefährlich das eigentliche Unterfangen war. Sie würden auf irgendeine Weise in das Forschungslabor einbrechen. Hinein schleichen, um Untersuchungen zu machen und das möglichst unbemerkt. Ob das funktionieren konnte? Das Forschungsinstitut dürfte gut bewacht werden. Aktuell war es für Luc schwer sich vorzustellen, wie man dieses Unterfangen bewerkstelligen konnte, ohne größeres Aufsehen zu erregen.
    »Kommt, ich werde euch noch ein paar Schleichwege zeigen. Nur für den Fall der Fälle … «, fuhr Mattix fort und führte die Gruppe vom Institut weg.


    21. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Sytrax


    Zwei Tage vergingen, ohne dass Nadeya noch einmal das Rebellenversteck verlassen hatte. Momentan konnten sie nicht viel unternehmen. Sie wurden von der Regierung gesucht, weil sie einer flüchtenden Humanoide geholfen hatten. Möglicherweise waren auch schon ihr Zuhause komplett auf den Kopf gestellt und dabei noch weitere Gründe gefunden worden, warum Nadeya, ihre Freunde und ihr Vater gesucht und gefangen genommen werden sollten.
    Aus den meisten Gesprächen hielt sich Nadeya heraus, besonders wenn ihr Vater mit Darell Cantos sprach, der hier weiterhin den Ton angab. Sie besprachen viele Dinge, wie es weiter gehen sollte, doch Nadeya erfuhr nur das Nötigste. Trotz ihrer sonstigen Neugier lag ihr wenig daran sich in diese Gespräche mit einzumischen, denn oftmals ging es um militärische Auseinandersetzungen und Operationen, die durchgeführt wurden. Was Nana jedoch allmählich ahnte, war, dass ihr Vater scheinbar nicht zum ersten Mal mit so etwas konfrontiert wurde. Kämpfen, sich verteidigen, Waffen richtig einsetzen und strategisch für sich nutzen. Nadeya mochte diese ganze Waffengewalt nicht. Zwar konnte sie mit ihrem Kampfstab gut umgehen und von ihrem Vater hatte sie auch den waffenlosen Kampf erlernt, aber sie hatte wenig Interesse daran mit den Schusswaffen zu üben, wie es Daiske und Jessi die letzten Tage öfters taten.
    Mit einem tiefen Seufzen ließ sie sich auf den Boden sinken. Während die anderen sich kampferprobten, suchte sie lieber den Raum des Gartens auf. Es war der Raum, in denen es so viele Pflanzen gab und den man ihr am Anfang gezeigt hatte, wo sie Lucjan und Patryk wiedergesehen hatte.
    »Wirst du das Versteck langsam überdrüssig?«, hörte Nana eine Stimme hinter sich und drehte sich im Sitzen um.
    »Luc?« Sie hatte nicht bemerkt, wie er ebenfalls den Raum betreten hatte, doch sie lächelte ihn an, als er sich zu ihr gesellte und sich genauso auf den Boden setzte, wie sie.
    »Überdruss würde ich es nicht nennen, aber … ich weiß nicht so recht, was ich tun soll«, gestand sie ihm. Seine Mundwinkel zuckten.
    »Kann ich verstehen. Hier gibt es nicht viel, außer diesen Raum. Oder, wenn man ganz erpicht darauf ist, dann die Übungsräume.« Nadeya verzog bei der Erwähnung der Übungsräume den Mund.
    »Mir wurde in letzter Zeit genug gekämpft«, sagte sie.
    »Und trotzdem scheint es so, als würde kein Ende in Sicht kommen«, antwortete Lucjan. Sie beide sahen sich schweigend an, bis Nadeya nickte und erneut seufzte.
    »Scheint so. Nicht, wenn wir hier weiterhin bleiben und diese Rebellen auch noch unterstützen.«
    »Möchtest du das nicht?«, fragte Lucjan nach, als er einen leicht aufgebenden Unterton in Nadeyas Stimme erkannte. Anders als bei ihm. Es war schwierig mittels seiner verzerrten Stimme gewisse Gefühlsregungen durchscheinen zu lassen.
    »Ich weiß nicht. Auf der einen Seite erscheint mir ihr Bestreben wünschenswert zu sein. Dieser starke Drang nach Technik und die unmittelbare Gefühlskälte kann auf Dauer nicht gesund sein. Und wenn ich mir diesen Raum hier ansehe, würde ich mir wünschen, dass es mehr grüne Stellen in den Städten gibt. Natürlich nicht mit der Gefahr aus dem Dschungel, aber … na ja … einfach … schöner!?« Nadeya wusste nicht, wie sie es beschreiben sollte, aber anhand Lucjans Lächeln und dem sanften Leuchten in seinen Augen glaubte sie, dass er verstand, was sie sagen wollte.
    »Andererseits gefällt dir der Einsatz der Waffen nicht?«, mutmaßte er frei heraus und sie nickte zustimmend.
    »Ja. Ein friedlicher Weg wäre mir lieber. Muss man sich gegenseitig bekriegen?«, stellte sie die rhetorische Frage, auf die Lucjan dennoch einging.
    »In diesem Fall leider ja. Die Versuche die Regierung und auch andere Institutionen davon zu überzeugen einen anderen Weg einzuschlagen, sind fehlgeschlagen. Mit Reden kommt man nicht mehr weit. Andererseits verstehe ich deinen Einwand, dass Waffengewalt keine wirkliche Lösung sein kann. Was bleibt nach dem gegenseitigen Zerstören wohl am Ende übrig? Wer leidet am meisten unter einem Krieg? Denn dazu wird es früher oder später kommen, wenn es so weiter geht.« Die Szenen, die Lucjan mit seinen Worten in Nadeyas Kopf unmittelbar hinauf beschwor, erschreckten sie. Sie hatte Angst vor der Zukunft. Angst davor, was alles geschehen könnte, vor allem wer dabei zu Tode kommen könnte. Beinahe hätten sie Jessi verloren, allerdings wegen dem Dschungel, der schon so gefährlich genug war. Wohin sollten sie, wenn die Städte nicht mehr sicher waren, weil dort sich alle gegenseitig bekämpften? Sie schluckte nur schwer den Kloß in ihrem Hals hinab.
    »Gibt es denn keinen anderen Weg?«, fragte sie leise. Auch darauf erwartete sie keine Antwort. Woher sollte Luc diese auch kennen? Es lag nicht in ihrer alleinigen Macht über die Geschehnisse zu entscheiden, die eintrafen. Die Regierung als auch die Rebellengruppe Tenaturik standen sich irgendwann offen im Feld gegenüber und dann würde wohl nur derjenige als Sieger hervor gehen, der die besseren Waffen und die meisten Männer auf seiner Seite hatte.
    Nadeya hob den Kopf leicht an, um Lucjan wieder ansehen zu können, denn sie hatte vorherh auf den Boden gestarrt gehabt. In seinen Augen erkannte sie einen Schimmer, doch interpretieren konnte sie ihn nicht. Als … Wollte er ihr etwas sagen? Sie legte den Kopf schief und sah ihn fragend an, konnte ihn dabei beobachten wie er leicht die Lippen auseinander machen wollte, um Worte zu entlassen, aber es kamen keine. Seine Lippen verschlossen sich wieder und er blieb stumm. Eine Antwort gab es nicht. Keine Ausgesprochene, allerdings glaubte Nadeya nun, dass Lucjan noch so viel mehr wusste, als er in Wahrheit preis gab. Sie setzte an eine entsprechende Frage zu stellen, wurde allerdings unterbrochen, da sie mit Lucjan nicht mehr alleine war. Wie vorhin bei Lucjan hatte sie nicht bemerkt, dass Patryk in den Raum gekommen war und wie lange er schon da stand, mehrere Meter von ihnen entfernt, konnte sie genauso wenig sagen. Luc war der Erste, der ihn bemerkte und deshalb seinen Kopf drehte, um zu seinem Bruder zu sehen. Erst da hatte auch Nadeya Patryk gesehen und ließ ihre Frage unausgesprochen.
    Die beiden Brüder tauschten einen intensiv Blick miteinander aus, dass Nana sich sicher war, dass die beiden sich ohne Worte verständigten. Irgendwas ging vor, was sie nicht verstehen konnte. Zwischen Geschwistern sagte man, dass diese sich auch gerne mal ohne Worte verstanden, doch in diesem Moment hätte Nadeya zu gerne gewusst, was Patryk von Lucjan wollte, der sie nun wieder ansah. Er lächelte sie an und erhob sich, was sie ihm sofort gleich tat.
    »Wir sollten Abendessen gehen«, sagte er zu ihr. Sie war sich bewusst, dass es nicht das gewesen war, was er ihr eigentlich hatte sagen wollen. Trotzdem nickte sie nur leicht und bekam große Augen, als er mit seinen Finger sanft über ihre Wange strich. Es irritierte sie, vor allem weil er sie auch so keck anlächelte, den Kopf schief legte und danach sich von ihr löste. Sie öffnete die Lippen, um selbst etwas zu sagen, tat es aber dann doch nicht. Seitdem sie ihm begegnet war, brachte er sie regelmäßig durcheinander. Das war verwirrend. Seltsam war es für sie. Sie wusste nicht, was sie davon halten noch denken sollte.
    Sie sah ihm nach, als er zu seinem Bruder ging, einen Blick austauschte, die Hand zum Gruß hob und an ihm vorbei ging, um zur Tür zu gehen. Patryk folgte ihm noch nicht und blickte zu ihr hinüber. Er musterte sie für mehrere Sekunden, als würde auch er überlegen, ob er etwas sagen wollte, tat es aber genauso wenig wie Lucjan vorhin. Er blieb stumm, legte die Stirn in Falten und drehte sich weg. Er hatte sie so ernst und nachdenklich angesehen, dass sich Nadeya absolut sicher war, dass die beiden etwas vor ihr verheimlichten, vielleicht vor allen anderen auch. Leider war sie sich nicht ganz sicher, ob es nicht möglich war, dass Patryk sie einfach nur nicht richtig leiden konnte. Was an sich schon sehr seltsam für sie sein sollte, denn es sollte für sie als Bewohner von Daraium gar keine Priorität haben, ob jemand sie mochte oder nicht. Darum sollte es nie gehen, sondern einzig um allein, dass man miteinander klar kam. Man brauchte sich nicht zu mögen, nicht zu lieben. Man musste nur miteinander arbeiten können, damit die Arbeit nicht behindert wurde.
    Nadeya schüttelte den Kopf über diese Gedanken. Es nervte sie, was die Regierung von ihren Bürgern verlangte! Sie wollte nicht gefühlskalt sein! Das spürte sie mit jedem Tag mehr. Außerdem wurde ihr in diesem Moment klar, dass sie ebenfalls nicht wollte, dass Patryk sie nicht mochte. Sie wollte sich mit ihm verstehen können, genauso wie mit Lucjan. Dabei kannte sie die beiden gar nicht gut genug. Eher riefen sie immer wieder scheinbar unlösbare Fragen auf.
    Ein weiteres Mal seufzte Nadeya ehe sie sich endlich in Bewegung setzte und so wie Patryk und Lucjan zuvor den Raum verließ, um dem Abendessen beizuwohnen.


    22. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Sytrax


    Am nächsten Morgen verkündete Mattix feierlich, dass seine Kontakterin genau das besorgt hatte, was sie brauchten, um ins Forschungsinstitut zu kommen.
    »Einen Ausweis? Hätte man den nicht irgendwie fälschen können?«, fragte Daiske, der noch leicht verschlafen war. Fiona, die wie einige andere der kleinen Versammlung beiwohnte, verdrehte die Augen.
    »Wäre es so einfach hätten wir das natürlich längst getan.« Es fehlte nur noch, dass sie Daiske einen Klaps auf den Hinterkopf gab. Nadeya wusste nicht warum, aber irgendwie erwartete sie das, obwohl es nicht geschah. Dennoch sah Fiona so aus, als hätte sie genau das tun wollen.
    »Der Ausweis ist mit einem speziellen elektronischen Code gesichert, weswegen diese Dinger immer extra aufwendig hergestellt werden. Ist also gar nicht so einfach einen zu bekommen«, meinte Mattix und hielt den Ausweis hoch.
    »Aha? Und wie seid ihr an ihn dann gekommen?«, wollte Jessi skeptisch wissen.
    »Betriebsgeheimnis!«, kam es nur von Mattix, der dazu nichts weiter sagen wollte. Auch Fiona und Darell hielten sich zurück. Darell fuhr sogar mit der Planung fort, weswegen sie alle hier versammelt waren. Sie befanden sich in einem der kleineren Räume, der vorzugsweise für Besprechungen genutzt wurde. An der hinteren Wand befand sich eine Karte von dem Kontinent Daraium, auf dem sie sich befanden. Sehr gut konnte man die weißen Flecken darauf erkennen, die nichts anderes als die Städte darstellten, während um sie herum sich der Dschungel von einer Küste bis zur anderen ausgebreitet hatte. Auch die Gebirge und Felsformationen waren zu erkennen, aber da selbst diese von der Natur beherrscht wurden, waren sie für die meisten uninteressant. Nadeya bemerkte mit einem Blick zu Lucjan, dass er weniger dem Gespräch der anderen folgte, als viel mehr genau diese Karte ansah, auf die sie selbst eben einen Blick geworfen hatte. Er wirkte genauso nachdenklich wie vor wenigen Tagen in der Stadt, als er die Mutter mit der Tochter auf der Straße gesehen hatte. Bezog sich sein nachdenklicher Blick wirklich auf die Karte oder war er zu Gedanken versunken? Nadeya lenkte sich von ihm ab, indem sie wieder dem allgemeinen Gespräch lauschte, doch sie stellte fest, dass sie ein paar Details verpasst hatte.
    Mittlerweile beratschlagte sich die Gruppe wer zum Forschungsinstitut ging. Sie waren sich allesamt einig, dass es eine kleine Gruppe sein musste. Nadeyas Vater Nathan verkündete, dass er hier bleiben würde. Auch Darell würde bei der Aktion nicht dabei sein, denn Mattix würde diese anführen. Fiona würde ihn begleiten und natürlich wären die Brüder Lucjan und Patryk mit von der Partie, denn wegen diesen beiden wurde das Ganze durchgeführt. Jessi und Daiske wollten sich ebenfalls heraushalten, was verständlich war. Außerdem war es gut so, denn die Gruppe durfte nicht zu groß werden.
    »Ich würde gerne mitkommen«, verkündete Nadeya frei heraus und überraschte damit so ziemlich jeden damit. Die anderen starrten sie an, als hätten sie sie nicht richtig verstanden.
    »Ich komme mit«, wiederholte sie und sah dabei zu Mattix und Fiona, die die Leitung der Aktion besaßen.
    »Warum? Du hast gar keinen Nutzen davon«, sagte Fiona, was auch berechtigt war. Nadeya hatte keinen Nutzen, wenn sie ins Forschungsinstitut gehen würde. Es gab dort nichts, was sie interessierte und sie besaß auch keinerlei Modifikationen, die untersucht werden mussten. Nathan war sofort dagegen. Seine Tochter in eine gefährliche Situation zu wissen, gefiel ihm nicht. Auch Jessi und Daiske begehrten auf beziehungsweise boten an mitzukommen, damit Nadeya nicht alleine war.
    »Nein, das würden zu viele sein«, unterbrach Darell Jessi und Daiske. Besonders Jessi beschwerte sich erneut, weil sie Nadeya nicht alleine lassen wollte.
    »Schluss jetzt! Es reicht, wenn Fiona und Mattix gehen«, sagte Darell mit fester und strenger Stimme, so dass alle ruhig wurden. Auch Nadeya beschwerte sich nicht, obwohl sie das Bedürfnis hatte bei der Aktion mit dabei zu sein. Ja, ihr wurde es ziemlich mulmig zumute, wenn sie daran dachte sich irgendwo einzuschleichen, wo sie in Gefahr geraten könnte. Aber viel größer war die Neugier um Patryk und Lucjan. Von der Aktion versprach sie sich mehr über sie herauszufinden, doch das konnte sie nun vergessen.
    »Schön. Wenn wir sowieso nicht dabei sein können, warum informiert ihr uns dann darüber?«, wollte Daiske wissen, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Nadeya strich sich eine rote Locke hinter das Ohr, als sie leichte Nervosität in sich aufkommen spürte.
    »Das war nicht unser Wunsch, sondern von den beiden«, antworte Darell und deutete auf Lucjan und Patryk. Sowohl Jessi als auch Daiske runzelten die Stirn darüber, weil sie diesen Beweggrund nicht nachvollziehen konnten.
    »Warum das?«, wollte Jessi wissen und alle Augenpaare legten sich auf die Brüder.
    »Wir sind euch im Dschungel begegnet und seitdem sitzen wir im selben Boot. Reicht das nicht?«, meinte Lucjan, zuckte die Schultern und wollte es damit abhandeln. Die anderen erwiderten darauf nichts, wohl weil sie selbst es nicht besser wussten. Nadeya hingegen fand das verdächtig. Lucjan und Patryk waren nicht verpflichtet mit ihnen alles zu teilen und genau das taten sie auch nicht. Sie hatten Geheimnisse, das wusste sie. Aber warum es ihnen wichtig war, dass sie von der Aktion bezüglich Forschungsinstitut wussten … ?! Vielleicht lag es an dem Ausflug? Es war schließlich kein Geheimnis gewesen und sie alle hatten sich darüber unterhalten.
    »Wie dem auch sei. Heute Abend geht es los. Bis dahin solltet ihr euch ausruhen«, verkündete Darell und sprach sowohl seine zwei Leute als auch die Brüder an. Die Versammlung wurde an dieser Stelle beendet, denn die näheren Details wurden nur innerhalb des Teams erörtert. Das bedeutete, dass Nathan, Daiske, Jessi und auch Nadeya den Besprechungsraum verlassen durften. Sie würden bis morgen abwarten müssen, welche Ergebnisse erzielt worden waren, sofern das Team überhaupt so weit kam. Ein Risiko bestand nach wie vor und genau deswegen machte sich Nadeya Sorgen um die beiden Brüder. Was würde passieren, wenn sie im Forschungsinstitut entdeckt wurden und als Eindringlinge erkannt wurden? Was würden sie mit ihnen anstellen?
    Mit Grauen erinnerte sich Nadeya an die Biowalküre und wie die beiden in diesen überdimensionalen Reagenzgläsern gefangen gewesen waren. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und ihr Magen verknotete sich so sehr, dass sie Magenschmerzen bekam. Genau deswegen zog sie sich auf ihr Zimmer zurück und kam auch den Rest des Tages nicht mehr hervor. Zwischendurch brachte Jessi ihr etwas zu essen, um auch nach ihrem Befinden zu fragen, doch Nadeya bestand darauf für sich allein zu bleiben. An diesem Tag sah man sie nicht mehr …


  • 12. Kapitel – Herzstillstand


    22. Tag des 5. Monats im Jahre 5682
    Ort: Sytrax – Forschungsinstitut


    Das ungute Gefühl wollte nicht verschwinden. Dabei versuchte Lucjan schon die ganze Zeit sein Inneres zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht. Zwar wirkte er nach außen ruhig und gefasst, aber innerlich war er aufgewühlt wie schon lange nicht mehr.
    Fiona und auch Mattix führten die kleine Gruppe an. Sie hatten am Nachmittag den Einsatz besprochen gehabt und waren nun auf dem Weg zum Forschungszentrum und damit zum Institut. Beide Tenaturik-Rebellen wirkten auf Lucjan wie ausgewechselt. Ihre Mienen waren versteinert und ihre Kleidung war angepasst, um im Forschungsinstitut nicht aufzufallen. Sie trugen beide einen weißen Mantel, der wie ein Kittel aussah. Passend für Forscher, die der Wissenschaft nachjagten. Fiona hatte ihre Haare in einen strengen Dutt zurück gebunden und trug eine dreieckige Brille, was sie noch viel mehr wie eine Wissenschaftlerin aussehen ließ. Wenn es Lucjan nicht besser gewusst hätte, wäre er auf ihre Verkleidung herein gefallen und hätte sie wie alle anderen als gefühlskalte Frau abgestempelt. Als Sklavin der Regierung, der Wissenschaft und der Emotionslosigkeit. Mattix gab kein viel besseres Bild ab. Während sonst seine Haare eher ungeordnet waren, schien nun jedes einzelne Haar seinen akkuraten Platz zu haben. Gekämmt und in Form gebracht, würde er damit ganz gewiss in der Starre der Forscher keine Aufmerksamkeit erregen.
    Zu Lucjans Überdruss sahen auch Patryk und er selbst nicht viel anders aus. Das einzige, was sie von Fiona und Mattix unterschied, waren die fehlenden Kittel und die fehlenden Namensschilder auf der linken Brustseite, die alle Mitarbeiter im Forschungsinstitut trugen. Patryk und er waren von vornherein als Probanden vorgesehen gewesen, was nicht einmal so fern von der Wahrheit war. Schlussendlich wollten sie zum Institut, um sich untersuchen zu lassen.
    Eine leichte Brise kam auf und wehte eine einzelne, kurze Strähne von Lucs Haaren nach vorn. Er blieb stehen und sah über die Schulter in den Himmel hinauf. So friedlich und blau dieser auch wirkte, so wusste Luc ganz genau wie gefährlich diese Welt geworden war. Er schloss einen Augenblick die Augen und sog die Luft tief in seine Lungen, doch eines fehlte ihm: Der Duft der Natur. Der Stadt fehlte der frische Geruch von Natur, vom frisch gemähten Gras, von Blüten und einzelnen Tierdüften. Wenn man den Geruch der Stadt überhaupt definieren konnte, dann roch es wie kalter, lebloser Stein, in manchen Ecken stank es auch. Aber das waren dann Gerüche nach … Künstlichem. Nach Chemikalien und anderen heutigen Abfällen, die weitestgehend entsorgt wurden, damit die Städte so sauber wir möglich blieben. Wenn man etwas Positives anmerken wollte, dann war es wirklich die Sauberkeit in den Städten. Es mochte einige Ecken geben, die nicht ganz ideal erschienen, aber im Großen und Ganzen war das einer der Faktoren, weshalb Krankheiten so weit wie möglich zurückgedrängt worden waren. Die Sauberkeit und die medizinische Versorgung hatten viel dazu beigetragen. Da wunderte es Lucjan nicht, dass der älteste Mensch auf diesem Planeten bald schon seinen hundertfünfzigsten Geburtstag feierte. Sicher war dieser Herr, der dieses Alter erreicht hatte, nicht mehr der Fitteste, aber allein diese Langlebigkeit war etwas Besonderes. Lucjan fürchtete sich davor. Welches Leben könnte er noch leben, wenn er einmal so alt war? Würde überhaupt dann noch etwas an ihm natürlich sein, wo die Wissenschaft immer mehr dazu neigte die Menschen zu Robotern umzuwandeln?
    Modifikationen wohin das Auge auch blickte. Luc brauchte sich nur auf der Straße umzusehen, um mehrere Passanten mit Modifikationen zu erkennen. Ein Mann hatte einen künstlichen Arm, bei einem anderen konnte er am Hals eine Metallplatte erkennen – oder woraus diese Modifikation gemacht worden war. Er kannte sich nicht genügend mit dieser Technik aus, um zu wissen, welche Materialien bei Modifikationen verwendet wurden. Es war ihm auch herzlichst egal, solange er selbst keine erhielt, sofern sein Leben nicht davon abhing. Nachdenklich hob er den rechten Arm und legte ihn auf seinen eigenen Hals. Von dort wanderten seine Finger ein Stück weit hinab, wo seine Stimmbänder lagen. Eigentlich. Jetzt war da irgendetwas Künstliches in ihm, was seine komplette Stimme verändert hatte.
    Er spürte den Blick seines Bruders auf ihm ruhen, senkte die Hand wieder und sah zur Seite zu Patryk. Sie tauschten einen Blick aus, der Patryk verstehen ließ, wie sich Lucjan fühlte. Sie waren Brüder. Schon von klein auf hatten sie füreinander eingestanden. Daran änderte sich auch heute nichts mehr. Egal was kam.


    Trotz ihrer Verkleidung hatte sich Mattix dafür entschieden die Schleichwege zu nutzen. Abgelegene Nebenstraßen, in denen die Wahrscheinlichkeit geringer war andere Menschen zu treffen. Oder Humanoide. Heute konnte keiner mehr sagen, wie viele von denen tatsächlich unter der Bevölkerung lebten, außer die Regierung selbst und die war dafür bekannt, nur die nötigsten Informationen heraus zu geben.
    Schweigend folgte Lucjan mit seinem Bruder den beiden Rebellen. Auch diese sagten nicht viel, so dass man vergeblich auf einen Smalltalk warten konnte. Gerade diese Stille unter ihnen verhalf Luc dabei mehr auf seine Umgebung zu achten. Die Geräuschkulisse war gedämpft, da die stärker befahrenen Straßen weiter weg lagen. Außerdem war die Technik bereits soweit, dass vor allem kleinere Fahrzeuge so leise waren, dass man sie mitunter einfach überhören konnte, wenn man abgelenkt war und nicht darauf achtete. Mit seltsamem Gefühl erinnerte sich Luc an die Zeiten, in denen die Fahrzeugmotore stärker zu hören waren. Stille hatte seine positiven Seiten, aber sie konnte auch gruselig sein. Er wusste nicht, was er von all diesen Veränderungen halten sollte. Mehr denn je wünschte er sich zurück in die Natur, aber selbst dort war das Leben nicht sicher. Wenn er an den Ausflug in den Dschungel dachte, dann …
    Ein Geräusch im Hintergrund weckte seine Aufmerksamkeit und verhinderte, dass er die Ereignisse vom Dschungelerlebnis noch einmal Revue passieren ließ. Stattdessen blieb er stehen und sah zurück, konnte aber nichts erkennen. Seine silber-blauen Augen suchten die Gasse hinter sich ab, aber mehr als hohe Wände und die Straße, die sie gekommen waren, konnte er nicht sehen. Nicht einmal ein Müllcontainer oder Abfall stand oder lag hier herum. Trotz allem war er sich sicher gewesen, etwas gehört zu haben. Sein Blick wanderte weiter nach oben, aber auch in höheren Etagen konnte er nichts erkennen. Vergeblich suchte er nach einem Vogel, der das Geräusch verursacht haben könnte, aber in Städten gab es keine Tiere. Das war eine der schlimmsten Tatsachen, die er hatte feststellen müssen, als er das erste Mal eine weiße Stadt betreten hatte. Das Fehlen der Natur war für ihn gleichzusetzen mit dem Fehlen des Lebens.
    »Luc?« Sein Bruder rief ihn, da die anderen mehrere Meter weiter gegangen waren. Damit er nicht den Anschluss verlor, wandte sich Luc von der Gasse und seinen Gedanken ab und folgte den anderen. Wie lange sie bis ins Forschungszentrum brauchten, konnte er nicht mit Bestimmtheit sagen, aber als er das riesige Gebäude vor sich schon bald auftürmen sah, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, wäre er auf der Stelle davon gerannt und hätte dieses wissenschaftliche Gebäude weit hinter sich gelassen. Aber dort drinnen sollten ein paar Fragen geklärt werden und jetzt einen Rückzieher zu machen, erschien ihm nicht richtig.
    »Alles klar, meine Informantin dürfte gleich auftauchen. Dann können wir rein«, ließ Mattix die Gruppe wissen. Fiona und er wirkten sehr gefasst und auch Patryk machte einen sehr ruhigen, ja beinahe schon gelassenen Eindruck. War Lucjan der Einzige, der innerlich so aufgewühlt war wegen dem, was ihnen bevor stand? Er konnte nicht einmal sagen, ob er mehr Angst vor der Untersuchung als solches hatte mitsamt den Ergebnissen, die daraus resultierten oder, ob es nicht einfach die Angst davor war, entdeckt zu werden.
    Mit ungutem Gefühl im Magen wartete er wie die anderen auf die Informantin. Sie standen hinter dem Gebäude und nicht auf der Seite beim Haupteingang. Hier hinten war es wesentlich lebloser und daher sehr ruhig. Keine Fahrzeuge, keine Menschen. Die Absperrung des Geländes würden sie noch überwinden müssen, aber möglicherweise würde da die besagte Informantin aushelfen können. Der Zaun um das Gelände sah wie ein stinknormaler Drahtzaun aus, aber Luc entdeckte sehr schnell die angebrachten Kameras auf den vereinzelten Steinsäulen, die im gleichmäßigen Abstand um das Gebäude standen. Alles war auch hier schlicht. Es gab nicht mal auf der Vorderseite auf dem Hauptplatz eine Skulptur, wo es sich doch angeboten hätte. Man würde so etwas einfach erwarten. Wenigstens ein Brunnen, der vor sich hin plätscherte, doch architektonische Schönheit suchte man auch hier vergeblich.
    Mit einem langen Ausatmen wandte sich Lucjan den Straßen und anderen Gebäuden zu. Es gab nicht viel. Nichts, was besonders auffällig war oder sich allgemein heraus hob. Anders ausgedrückt: Es war absolut langweilig hier zu warten und die Umgebung zu mustern. Doch dabei blieb es nicht. Lucs Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Stirn legte sich nachdenklich in Falten. War dort hinten jemand? Er verengte die Augen, als könnte er dadurch besser sehen, aber er musste warten, bis die Person sich nahe genug heran gewagt hatte. Als er sie dann endlich erkennen konnte, wurden seine Augen größer. Nicht nur seine. Auch Patryk, Mattix und Fiona wirkten überrascht, wobei die letzten beiden ihre Überraschung gut in Griff hatten und es sich kaum anmerken ließen.
    »Was tust du hier?«, wollte Fiona sofort wissen. Ihre Stimme klang eisig.
    »Ich wollte … «, begann im Gegenzug eine zarte Stimme zu antworten und wurde schnell unterbrochen.
    »Wir haben keine Zeit für Spielchen«, sagte Mattix, der nicht viel freundlicher klang als Fiona. Nadeya sah schuldbewusst zu Boden. Sie wusste, dass es keine gute Idee gewesen war hier her zu kommen, aber sie hatte es einfach müssen. Nur wie erklärte sie das den anderen am besten?
    »Mattix?« Eine weitere Stimme mischte sich ein, doch diesmal kam sie aus der entgegengesetzten Richtung. Alle drehten sich um damit sie die Informantin betrachten konnten. Keine andere war es, denn Mattix begrüßte sie ohne zu zögern.
    »Enina Farewell.« Die Dame trug die gleiche Kluft wie Fiona und ihr Name stand ebenfalls auf einem Schildchen, welches auf ihrer linken Brustseite zu sehen war. Ihre Haare waren dunkelblond und im Nacken zusammen gebunden, so dass ihr keine störenden Strähnen ins Gesicht fallen konnten. Ihre grünen Augen waren stechend und musterten alle Anwesenden.
    »Seid ihr bereit? Wir haben nicht viel Zeit. Die Kameras nehmen ihre Funktion gleich wieder auf.« Ein kurzer Blick von ihr genügte in Richtung der Überwachungskameras, um zu verstehen, welche sie meinte. Enina Farewell wartete nicht einmal eine richtige Antwort ab und drehte sich wieder um. Sie durchschritt das schmale Tor des Zauns, der vorhin noch abgeschlossen war. Dort wartete sie, dass alle anderen ihr folgten und ihr Blick sagte ihnen, dass sie sich damit möglichst beeilen sollten.
    Mattix warf Nadeya einen warnenden Blick zu und ging mit Fiona los. Patryk folgte den beiden ohne Umschweife, nur Lucjan und Nadeya setzten sich noch nicht in Bewegung.
    »Warum bist du uns gefolgt?«, wollte er von ihr wissen. Nadeya sah ihn an, runzelte die Stirn und suchte eine Antwort auf diese Frage.
    »Ich wollte … « Sie begann mit den gleichen Worten, aber ihr fehlte der Rest. Was wollte sie hier? Wie die anderen schon am Vormittag angemerkt hatten, gab es hier im Institut nichts, was sie interessieren müsste. Hier her gekommen zu sein war sicher ein Fehler gewesen, den sie jedoch nicht bereit war einfach auszumerzen. Sie wollte mit. Dieses drängende Gefühl in ihr brachte sie dazu.
    »Na komm, beeil dich«, sagte Luc und überraschte sie damit. Er drängte sie nicht zu einer Antwort und fragte nicht weiter nach. Stattdessen forderte er sie sogar auf mitzukommen, weswegen Nadeya ihm folgte. Würde Enina Farewell nicht darauf bestehen, dass sie sich alle zu beeilen hatten, hätte Mattix schon längst etwas gesagt und Nadeya zurück geschickt, doch gerade jetzt wollte er keine weitere Diskussion riskieren und folgte Enina wie auch den anderen ins Innere des Instituts. Dafür nutzten sie den Hintereingang, der etwas kleiner als der Haupteingang war. Weder Wachkontrollen noch irgendwer sonst kam ihnen entgegen. Das einzige, was Enina tun musste, war ihren Ausweis in den Kontrollspalt zu stecken, um die Hintertür zu öffnen.
    Keiner von ihnen sagte etwas außer die Informantin, die gleichzeitig nun ihre Führerin durch das Institut war. Sie schien ganz genau zu wissen, wohin sie mussten, doch nach jeder Ecke und Abbiegung waren sie alle besonders wachsam.
    »Werden die Gänge videoüberwacht?«, wollte Mattix zwischendurch wissen, der gerade nach hinten sah, um zu überprüfen, dass sie nicht schon entdeckt und verfolgt wurden.
    »Nein, in diesem Bereich nicht. Habt ihr euren Ausweis dabei?«, stellte Enina eine Gegenfrage. Diese wurde beantwortet, als Fiona kurz ihren Ausweis hochhielt und dann wieder einsteckte.
    »Wenn wir im M72-Trakt sind, habt ihr maximal eine halbe Stunde Zeit, wenn überhaupt«, klärte Enina sie auf und ging weiter. Sie liefen nicht, um nicht unerwartet in jemanden hinein zu rennen, doch sie schlichen auch nicht durch die Gänge, die für Nadeya einem Labyrinth gleich kamen. Mehrere Male waren sie bereits abgebogen und hatten ebenso einige Treppen überwunden. Einer Menschenseele waren sie bislang noch nicht begegnet.
    »Arbeitet hier überhaupt jemand?«, stellte Lucjan die Frage, die auch Nadeya beschäftigt hatte. Ihr kam es seltsam vor, dass bisher niemand zu sehen gewesen war.
    »Natürlich. Deswegen kommt uns auch niemand entgegen.« Nadeya hatte das Gefühl, dass Enina etwas zerknirscht über die Frage von Lucjan war, als sie ihm antwortete. Als würde er ihre eigene Arbeitsmoral anzweifeln und ihr unterstellen wollen, sie würde nicht arbeiten. Dabei war das eine interessante Frage, was Enina hier überhaupt tat.
    Nachdem Enina um die nächste Ecke biegen wollte, blieb sie abrupt stehen und wich zurück. Dadurch blieben auch alle anderen stehen und verschanzten sich in den Gang, in dem sie standen, anstatt weiter zu gehen. Enina lugte um die Ecke, da sie ein paar Forscher gesehen hatte, die gerade unterwegs waren. Da diese jedoch eine andere Richtung anstrebten, kamen diese ihnen nicht entgegen, so dass schon nach kurzer Wartezeit die Luft wieder rein war. Enina gab das Zeichen ihr weiter zu folgen, bis sie einen Aufzug erreicht hatten.
    »Dieser wird hier selten benutzt«, sagte sie, als würde das als Antwort ausreichen. Musste es wohl, denn eine Frage stellte niemand, als befürchtete jeder, wenn er etwas sagen würde, dass sie doch entdeckt wurden. Als sie so im Aufzug standen und Enina die Taste für die Zieletage angetippt hatte, fiel ihr Augenpaar auf Nadeya. Kaum sichtbar entstand ein nachdenklicher Ausdruck in ihrer Mimik, die Nadeya unverzüglich nervös machte. Anders als die anderen hatte sie keine vorzeigbare Uniform an. Dafür stand sie mit ihren schwarzen Sachen da, die sie von den Rebellen vor einigen Tagen bekommen hatte. Sie waren nicht dafür besonders gut geeignet, um in der Öffentlichkeit herum zu laufen, aber sie waren wesentlich bequemer, als das, was man sonst in der Stadt je hätte kaufen können. Ein Unding der Unmöglichkeit möchte man meinen angesichts des üblichen Fortschritts.
    Neben diesen Sachen dürften es aber vor allem ihre Haare sein, die Enina zu stören schien. Dieses leuchtende Rot und dann auch noch die Locken! Das war nicht besonders typisch, vor allem nicht für Menschen aus Sytrax.
    »Frag lieber nicht«, meinte Mattix, als könnte er Eninas Gedanken lesen. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper und als sich die Aufzugstür wieder öffnete, war sie die Erste, die den Fahrstuhl verließ.
    Der M-72-Trakt hatte vermutlich die Ziffer wegen der Etage, in der sie sich nun befanden und das M … ? Nadeya vermutete, dass es sich ganz schlicht um den Bereich handelte, der hier erforscht wurde. M wie Modifikationen. Ob es wirklich so einfach war, wusste sie nicht mit Sicherheit, aber naheliegend wäre es. Denn Enina führte sie in einen der Räume hinein.
    In diesem Raum selbst gab es nur diffuses Licht, bis Enina den entsprechenden Schalter betätigte und das Ausmaß des Labors zum Vorschein kam. Gerätschaften, die Nadeya zuvor niemals gesehen hatte. Aktenschränke standen an den Wänden, ebenso Regale mit etlichen Reagenzgläsern, die teilweise gefüllt waren. Mehrere Monitore befanden sich auf der rechten Seite, darunter eine große Kontrollstation. Nadeya sah so vieles, was sie nicht einmal benennen konnte.
    Ein röhrenähnliches Gebilde befand sich in einem Nebenraum, den man durch eine Tür betreten konnte. Da es eine Glaswand gab, konnte man direkt hinein sehen. Was es damit auf sich hatte, wusste Nadeya nicht. Sie sah zu den anderen, die sich mit Enina unterhielten.
    »Hier wären wir. Wie gesagt, ihr habt ungefähr eine halbe Stunde Zeit. Besser ihr seid früher draußen. Ich muss euch nun verlassen, daher seid ihr ab sofort auf euch allein gestellt. Solltet ihr erwischt werden, kenne ich euch nicht.« Enina machte ihnen klar auf welcher Seite sie stand, nämlich auf ihrer eigenen. Sollte irgendetwas schief laufen, würde sie ihnen nicht helfen. Nadeya hoffte, dass es nicht so weit kam und alles gut ging.
    Mattix nickte Enina zu, die sich verabschiedete und den Raum verließ. Es war nur eine kurze Bekanntschaft gewesen. Wirklich etwas von ihr erfahren hatte man nicht, aber Mattix machte den Eindruck, als kannte er sie schon länger. Oder täuschte sich Nadeya? Um das herauszufinden, war nur eines notwendig: Ihrer Neugier nachgeben.
    »Wie lange kennst du sie schon?«, fragte sie ihn. Er sah sie stutzig an, gab aber zu ihrer Überraschung eine Antwort, ohne dabei zu murren.
    »Mein halbes Leben schon.«
    »Ist sie auch … ?«, stellte Nadeya noch eine Frage, wurde aber bereits mit einem »Nein!« unterbrochen. Mattix hatte gewusst, was sie fragen wollte. Ob Enina zu Tenaturik gehörte.
    »Aber sie hilft uns?«, stellte Nana fest. Irgendwie ergab das für sie keinen Sinn.
    »Das ist korrekt. Aber das liegt viel mehr daran, dass wir mal Kollegen waren.« Bevor Nana auf diese Antwort von Mattix eingehen konnte, sprang Lucjan bereits darauf an.
    »Kollegen? Du hast hier gearbeitet?«, fragte er. Diese Frage wurde mit einem einfachen Kopfnicken beantwortet.
    »Wir haben keine Zeit für lange Reden, ab in den Nebenraum!« Mattix wies Lucjan dazu an hinüber zu gehen, wo er ihm erklärte, dass es sich bei der Maschine um ein Magnetresonanztomographie-Gerät handelte. Es war bekannt in der Medizin, da man damit eine diagnostische Darstellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper machen konnte. Selbst Nadeya hatte davon gehört, doch es wunderte sie, dass sie dafür extra hier her ins Institut kommen mussten.
    »Hätten wir dann nicht einfach in ein Krankenhaus gehen können?«, stellte sie die Frage in den Raum. Fiona war diesmal diejenige, die zu einer Antwort ansetzte.
    »Nein. Die üblichen MRT-Geräte, die man in der Medizin einsetzt, sind nicht in der Lage die Modifikationen so detailliert darzustellen, dass man weiß, wie sie eingesetzt wurden, geschweige denn ob man sie wieder heraus bekommt. Hier bekommen wir ein viel besseres Bild.« Nadeya schwirrte der Kopf davon. Sie konnte sich das gar nicht vorstellen, würde aber auch nicht weiter nachfragen. Wer wusste schon, ob Mattix oder Fiona nicht eine wissenschaftliche Erklärung heraus schmetterten. Darauf konnte Nana wirklich verzichten. Ihr Fachgebiet war es nicht und kompliziert war es ohnehin schon. Lieber beobachtete sie Lucjan, der eher widerstrebend sein Oberteil auszog, um sich auf die Liege zu platzieren, damit Mattix Gebrauch vom MRT-Gerät machen konnte. Nun verstand Nadeya auch, warum er mit dabei war und die Gruppe anführen sollte. Er kannte sich in diesem Institut aus. Nicht nur das. Auch mit den Geräten wusste er umzugehen.
    So wie sie ihn im Rebellenversteck bislang erlebt hatte, hätte sie nicht erwartet, das er einmal ein Forscher oder Wissenschaftler gewesen war. Oder was auch immer er hier für einen Job gehabt hatte.
    Da Nana nichts weiter tun konnte, als abzuwarten bis die Untersuchung von Lucjan und Patryk beendet war, sah sie sich weiter im Labor um. Doch mit all den Dingen, die sie hier zu sehen bekam, konnte sie nicht wirklich etwas anfangen. Obgleich nicht viel Zeit verging, schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis Mattix mit den Bildern und Aufnahmen von Lucs Inneres zufrieden war. Während Luc noch im Nebenraum in der Röhre steckte, stand Patryk und Fiona neben Mattix an der Kontrollstation. Fleißig tippte Mattix auf irgendwelchen Tasten herum, soweit Nadeya es erkennen konnte, während auf den Monitoren darüber die Bilder von Lucs Modifikation erschien. Es betraf tatsächlich die Stimmbänder, so viel konnten sie feststellen. Die Aufnahmen hielt Mattix auf einem Datenträger fest, den er extra mitgebracht hatte, denn er holte ihn aus seiner Hosentasche hervor und steckte ihn an der Kontrollstation an.
    »Okay, gleich haben wir es … «, murmelte er dabei vor sich hin, während er darauf wartete, dass die Daten kopiert wurden.
    »Lucjan kann wieder heraus kommen«, sagte er außerdem an Fiona gewandt, die sogleich in den Nebenraum ging, um Lucjan zu befreien. Patryk war als Nächster dran, doch dieser schien für einen Moment zu stocken.
    »Ich denke nicht, dass es notwendig ist mich zu untersuchen«, sagte er, was die anderen nicht erwartet hätten. Fragend sahen sie ihn an. Auch Lucjan hatte es mitbekommen und runzelte die Stirn.
    »Was redest du da? Jetzt wo wir hier sind … !« Seine Worte waren energischer, als man es für gewöhnlich erwarten würde, dennoch zögerte Patryk, als wollte er widersprechen.
    »In dem Ding passiert dir nichts. Mach schon!«, sagte Fiona und deutete auf den Nebenraum. Patryk setzte zu Widerworte an, aber der Blick seines Bruders auf ihn und das Drängen von Mattix ließen ihn einknicken. Er ließ sich auf sein Schicksal ein und legte sich kurz darauf auf die Bank, um ebenfalls gescannt zu werden.
    »So, wollen wir doch mal sehen … «, begann Mattix zu murmeln und auf der Kontrolltatstatur zu tippen. Anders als bei Lucjan, bei dem man hören konnte, dass seine Modifikation die Stimmbänder betraf, wussten sie bei Patryk nicht, was es sein könnte. Nadeya erinnerte sich zurück an den Dschungel und dass sie an Patryks Körper die Platte am Brustkorb gesehen hatte. Sie war allerdings nichts wie bei Luc in der Nähe der Stimmbänder gewesen, so dass es etwas anderes sein musste. Betraf es die Lungen? Aber das wäre zu krass. Nana hatte noch von keinen modifizierten Lungen gehört. War das überhaupt möglich? Als die ersten Bilder auf den Monitoren auftauchten, wurde das Übel bekannt. Sie hätten sicher mit Vielem gerechnet, aber nicht mit dem, was sie jetzt vor sich sahen.
    Nadeya war sich noch nicht einmal sicher, was sie da überhaupt sah. Leicht legte sie den Kopf schief, bis sie ihn drehte, um Lucjan anzusehen. Dieser starrte wie entgeistert auf die Monitore. Er wirkte … geschockt. Nana hatte noch nie einen solch geschockten Gesichtsausdruck gesehen. Konnte es sein, dass er auch ganz blass geworden war?
    »Lucjan?«, sprach sie ihn an, aber er reagierte nicht. Er starrte nur auf den Monitor, wo das Herz von Patryk abgebildet wurde. Und besser gesagt diese Stelle, wo das Herz überlicherweise hätte schlagen müssen. Statt einem Herz sahen sie ein Konstrukt aus Metall, welches dieses ersetzte. Es gab keinen Herzschlag. Es war totenstill, doch dieses Konstrukt schien trotz allem dafür zu sorgen, dass Patryk immer noch lebte. Vermutlich war im Inneren die Funktionsweise verborgen, denn die Aterien und Venen führten direkt hinein und hinaus. Blut wurde durchgepumpt und hielt den Organismus am Leben.
    »Das … hab ich auch noch nicht gesehen und jetzt auch nicht erwartet. Das scheint eine echt hochleistungsfähige Modifikation zu sein«, sagte Mattix, der selbst auf die Monitore sah und anerkennend durch die Zähne pfiff.
    Nadeya wurde es Übel. Die Vorstellung davon, dass die Wissenschaft schon so weit war, dass sie Herzen künstlich ersetzen konnte durch irgend so ein Gerät … war zu grauenhaft. Erst recht, als Mattix den fehlenden Herzschlag erwähnte. Was musste das für ein Gefühl sein, sein eigenes Herz nicht mehr in der Brust schlagen zu hören? Schwindelig von alledem taumelte Nadeya weg von den anderen und direkt hinaus auf den Gang.
    In diesem Moment war es ihr egal, ob sie von jemanden entdeckt werden könnte. Sie musste verarbeiten, was sie gesehen und gehört hatte. Mattix schien es nicht aufgefallen zu sein. Vielleicht weil er selbst ein Wissenschaftler war und hier im Labor gearbeitet hatte. Der Gesichtsausdruck von Luc ging Nadeya allerdings nicht aus dem Kopf. Er hatte sich nicht bewegt, nichts gesagt, nur auf den Monitor gestarrt. Er war genauso geschockt gewesen wie sie und nur ansatzweise ahnte Nana, was das alles für Lucjan und noch viel mehr für Patryk zu bedeuten hatte. Wahrscheinlich war das auch der Grund gewesen, weshalb sich Patryk erst nicht hinlegen wollte. Er hatte gewusst, was die anderen entdecken würden. Das fehlende Herz.


    Schritte kamen näher und bevor Nana sich richtig entscheiden konnte, was sie tun wollte, reagierte ihr Körper sofort. Sie öffnete die nächstbeste Tür und verschwand in den Raum dahinter, um der nahenden Gefahr zu entkommen. Angestellte des Instituts gingen den Gang entlang und unterhielten sich über Forschungsergebnisse, von denen Nadeya keine Ahnung hatte. Da sie allerdings in dem Raum verschwunden war, bekam sie dieses Gespräch nicht weiter mit.
    Wo war sie überhaupt? Hier war es ähnlich dunkel wie in dem Labor, wo die anderen waren, was nur paar Türen weiter lag. Sie hätte dorthin zurückkehren sollen und sollte es auch jetzt tun. Doch sie zögerte. Obgleich die Gefahr auf dem Gang schon bald wieder weg war und nichts weiter passierte und auch nichts weiter zu hören war, blieb Nadeya wo sie war. Ihr Herz schlug in ihrer Brust ganz aufgeregt und sie wusste ganz genau, woran das lag. Die Vorstellung in Patryks Augen zu sehen und zu wissen, dass er kein Herz hatte, war furchterrgend. Nicht, weil sie sich vor ihm ekelte oder Angst vor ihm hatte. Es lag viel mehr an dem, was sein Anblick in ihr auslösen könnte. Eine Flut an Emotionen, die sie nicht unterdrücken konnte. Wie würde sie reagieren? Sie hatte solche Angst davor es herauszufinden, dass sie wie gelähmt war. Ihr Rücken presste sich an die Wand hinter ihr und sie musste mehrere Minuten tief ein- und ausatmen, ehe sie sich wieder halbwegs gefasst hatte.
    Nur langsam registrierte sie, dass ihr Rücken nicht an einer üblichen Wand lehnte, sondern an einer Glasscheibe. Zwar war nicht viel zu erkennen, da es hier drinnen recht düster war, doch sie drehte sich langsam um. Sie wollte wissen, wo sie sich befand, was das hier für ein Labor war. Wurden hier auch Untersuchungen und Tests durchgeführt oder wurden hier nur Dinge gelagert? Ihre Bernsteinaugen gewöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit, aber sie konnte schon mehr erkennen, als noch vor wenigen Augenblicken. Die Glasscheibe hinter ihr entpuppte sich als gläserne Wand, die den zweiten Teil des Raumes abgrenzte, wobei dieser so dunkel war, dass sie dort gar nichts erkennen konnte. Sie konnte daher nicht mit Bestimmtheit sagen wie tief der Raum war. Langsam drehte sie sich komplett um und fuhr mit der Hand über das Glas.
    »Das ist gar kein Glas … «, stellte sie fest. Es musste was anderes sein. Durchsichtig wie Glas war es trotzdem. Sie ließ ihre Stirn dagegen sinken und war dankbar für die Kühle, die das Material besaß. Viele Gedanken waren in ihrem Kopf und sie wusste, dass sie sich nicht ewig hier verstecken konnte. Dabei war es sehr albern sich vor Patryk zu fürchten. Ihn zu meiden. Schließlich war er deswegen niemand anderes. Sie hatte ihn kennen gelernt und obwohl er in mancher Hinsicht introvertierter auf sie wirkte als Lucjan war er immer noch offener als die meisten Menschen, die Nana bislang getroffen hatte. Er schien überlegter als sein Bruder zu sein, aber deswegen nicht besser oder schlechter. Und nur weil er kein Herz hatte, war er deswegen kein Unmensch. Kein Humanoider.
    Oder?
    Nadeyas Augen blickten in die Dunkelheit hinter der durchsichtigen Wand. Es war nichts zu sehen, aber das spielte keine Rolle. Sie war zu versunken, bis etwas an die Scheibe prallte. Sie erschrak sich so sehr, dass sie zurück sprang und einen Schrei aus ihrer Kehle entließ. Ein weiteres Mal schrie sie, als ihr Gehirn die Bilder verarbeitet hatten, die die Augen ihm sendeten. Nadeyas Herz trommelte in ihrem Brustkorb, als würde es gleich heraus springen und hätte sie noch weiter zurückweichen können, hätte sie es getan. Wo sie noch eben an der Glaswand gestanden hatte, drückte sich ihr Rücken nun auf der gegenüberliegenden Seite an die Wand und sah das Ding an, welches sie angesprungen hatte. Oder es versucht hatte.
    Konnte man es denn »es« nennen? Nadeya betrachtete es, ohne sich nur einen Zentimeter zu rühren. Es war ein Mensch, ganz klar. Oder zumindest war es so etwas ähnliches. Ein menschenähnlicher Körper, aus dem mehrere dünne Kanüle und Schläuche ragten und in die Dunkelheit verschwanden. Die Augen waren weit aufgerissen, starrten sie förmlich an. Zwei Schlünde, die das Universum verschlucken könnten. Als dieses menschenähnliche Wesen ein weiteres Mal gegen die Wand schlug, zuckte Nadeya zusammen. Wollte es ausbrechen? Wollte es ihre Aufmerksamkeit? Es bewegte die Lippen, aber Nadeya konnte nichts hören. Entweder weil tatsächlich die Stimme fehlte oder weil der abgesperrte Raum auch abgeschottet war. Es war egal. Nadeya fürchtete sich vor diesem Wesen und gleichzeitig fühlte sie sich so stark angezogen davon, dass ihr Inneres sich anfühlte, als wollte es zerreißen. Die Augen der Frau, denn es handelte sich offensichtlich tatsächlich um eine weibliche Person dem Körperbau nach zu urteilen, schienen heller zu sein, als Nadeya erst gedacht hatte. Der Körper war nur von einem dünnen Hemd begleitet, welche man oft in Krankenhäusern während einer Operation tragen musste. Doch das Auffälligste waren die Haare und das verstörte Nadeya am meisten. Dass sie erst jetzt darauf achtete, schien absurd zu sein. Sie besaßen die gleiche rote Farbe wie von Nana.
    Eigentlich war auch das absurd. Das konnte nicht die gleiche Farbe sein, denn die Haare der Frau, wenn man es so nennen wollte, waren ungekämmt und klebten am Kopf, als wären sie ewig nicht gewaschen worden. Daher wirkten sie auch alles andere als leuchtend, sondern matt und dunkler als die Nadeyas Haare.
    Ein weiteres Mal prallten die offenen Handflächen der Frau gegen die Scheibe, so dass Nana endlich aus ihrer Starre erwachte. Sie wandte sich ab von der Frau und rannte aus dem Raum so schnell ihre Füße sie tragen konnte. Erst auf dem Gang draußen verarbeitete ihr Gehirn weitere Informationen, die sie aufgenommen hatte. Metallplättchen, Kabel, etliche Modifikationen am Körper der Frau. Dort, wo das Hemd den Körper nicht verdecken konnte, hatte man all die künstlichen Teile gesehen, die sie nicht mehr zu einem echten Menschen machten. Synthetiker, so könnte man sie vielleicht noch nennen, aber möglicherweise hatte Nadeya hier auch einen Prototypen eines Humanoiden gesehen. Vielleicht auch etwas Ähnliches.
    Aber das Blut …
    Ja, was war mit dem Blut, welches durch die Schläuche geflossen war, die an der Frau befestigt gewesen waren? Oder war es kein Blut gewesen, sondern etwas anderes? Floss in den Adern von Humanoiden Blut? Besaßen sie überhaupt Adern?
    »Nadeya?« Es war die kratzige Stimme von Lucjan, die an ihre Ohren drang und sie erneut plötzlich zusammenzucken ließen. Ebenfalls kam erneut ein kleiner Schreckenslaut über ihre Lippen. Beinahe wäre ihr Herz stehen geblieben, aber sie konnte Luc nicht böse sein. Vor allem weil er sie besorgt musterte.
    »Wo warst du? Geht es dir gut?«, wollte er von ihr wissen. Sie starrte ihn einen Augenblick lang an und erwartete irgendetwas von ihm, nur nicht, dass er so gefasst auf sie wirkte. Sie blinzelte und versuchte sich innerlich zu beruhigen.
    »J-ja, es geht mir gut. Tut mir leid«, antwortete sie ihm.
    »Wieso entschuldigst du dich?«, wollte Mattix wissen, der hinter Lucjan auftauchte. Fiona und Patryk waren dicht hinter ihm.
    »Wir müssen weg und zwar sofort. Die Zeit ist um«, fuhr er fort, ohne Nadeya antworten zu lassen. Ihr war es recht, denn eine Antwort hätte sie nicht gehabt. Außerdem sah sie Patryk an, bis er ihren Blick erwiderte und sie ihren Kopf senkte. Sie konnte ihn nicht so direkt ansehen. Das ging nicht. War das nicht völlig schwachsinnig? Warum ging ihr das alles so nahe? Warum spürte sie die Flut der Emotionen so knapp unter ihrer Oberfläche. Unter der Mauer, die durch die Gesellschaft aufgebaut worden war und nun kurz davor stand zu bersten?
    »Lasst uns gehen!«, forderte auch Fiona sie auf und gemeinsam gingen sie los. Es war im Institut mehr passiert, als Nadeya für möglich gehalten hatte und sie würde ihre Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten. Doch am aller wichtigsten war hier wieder heraus zu kommen. Denn als sie um die nächste Ecke bogen, standen sie zwei Wissenschaftler und einem Wachmann gegenüber. Beide Gruppen starrten sich gegenseitig an. Die Forscher versuchten wohl Mattix und Fiona zuzuordnen, doch man konnte in ihren Gesichtern ablesen, dass sie die beiden nicht erkannten. Das war nicht einmal was Ungewöhnliches, denn so groß wie das Forschungsinstitut war, war es gang und gebe, dass sich nicht alle kannten.
    Möglicherweise wäre diese Situation sehr harmlos ausgegangen, doch als der Blick der Forscher und des Wachmannes auf Nadeya landeten, die nicht so recht in das Bild hinein passte, wurde allen eines klar: Eindringlinge befanden sich im Institut und waren entdeckt worden.

  • Hallo Lexi,


    grundsätzlich einmal sind Wettbewerbe immer eine coole Sache! Für den Anfang würde es sich vielleicht eher lohnen, klein anzufangen und einmal zu sehen, wie es ankommt. Ideen hast du dafür ja genug, wie du schon bei der Feurigen Leidenschaft bewiesen hast und ich bin mal gespannt, was dir so einfällt.


    Aber jetzt zum aktuellen Kapitel. Du hast letztens ja schon den Ausflug zum Forschungszentrum angeschnitten und nun hat die vorgeschlagene Gruppe das auch in die Tat umgesetzt. Wie sich schnell nach Sichtung der Kontaktperson herausstellt, ist auch Nadeya eher ungewollt mit von der Partie. Dass sie am Ende doch mit muss, um nicht aufzufallen, war zu diesem Zeitpunkt aber zu erwarten, ebenso wie sie in den Forschungsräumen die ein oder andere schockierende Entdeckung macht. Ich finde es aber generell interessant, wie Enina der Gruppe geholfen hat und dabei ist ihre Position in der Geschichte noch gar nicht abzuschätzen. Ich denke, dass sie noch weitere Male auftauchen wird und da vielleicht noch das ein oder andere Geheimnis offenbart, aber das wird sich zeigen.
    Im Großen und Ganzen hast du erneut gezeigt, wie die Welt aufgebaut ist und wie weit die Menschheit bereits mit dem Bau synthetischer Körperteile und dem allgemeinen Fortschritt gekommen ist. Es wirkt nur in diesem Kapitel so, als würde etwas fehlen. Die Information ist eigentlich gut verpackt, aber im Endeffekt ist eben nicht klar, was die Erkenntnis mit dem fehlenden Herz nun bringt, außer die Gruppe die Bestätigung hat. Da hoffe ich einfach mal, dass das noch aufgelöst wird, wenn sie wieder mehr Zeit haben. Oder wie in diesem Fall, dass sie noch einmal mit einem blauen Auge davon kommen und den Wissenschaftlern entwischen können. Da haben sie sich wohl etwas zu viel Zeit gelassen, wobei Nadeya auch einfach unvorsichtig war.

    weshalb Krankheiten so weit wie möglich zurückgedrängt worden waren. Die Sauberkeit und die medizinische Versorgung hatten viel dazu beigetragen.

    Es ist interessant, weil eigentlich durch zu viel Sauberkeit das Immunsystem geschwächt wird, weil es mit Bakterien nicht mehr umzugehen weiß. Dass sich das positiv ausgewirkt hat, zeigt auch hier wieder die Macht des Fortschritts und dass nichts in diese Städte gelangt.


    Wir lesen uns!