[Wichteln] Geschenke-Topic

Ein besonderer Tag

„Da kommen sie.“
„Ja.“
Ihre Zustimmung löste in dem jungen Mann mit den langen grünen Haaren ein komisches Gefühl aus. Es war eigentlich noch gar nicht solange her, dass sie sich im Kampf gegenübergestanden hatten. Ein Kampf, von dem er sich mittlerweile sehnlichst wünschte, dass er ihn verloren hätte. Dann wäre vielleicht alles anders geworden.
Doch das Schicksal hatte es anders gewollt. Er hatte sie besiegt und damit seine Herrschaft über die gesamte Region besiegelt, nur um schließlich mit der schrecklichen Wahrheit konfrontiert zu werden, dass er nur benutzt worden war. Fast sein ganzes Leben war eine einzige große Lüge gewesen. Der Schmerz darüber saß immer noch tief in ihm, doch er durfte sich davon nicht übermannen lassen. Er brauchte seine Kraft, denn dies war zweifellos die letzte Schlacht, die geführt werden musste, die Schlacht, die über die Zukunft entscheiden würde. Eine einzige Stadt war noch übrig, eine letzte Bastion hielt stand gegen die finsteren Mächte, die gierig ihre Hände nach ihr ausstreckten. Wenn sie fiel, war alles aus.
„Alles in Ordnung?“, fragte das hübsche Mädchen mit den braunen Haaren und den blauen Augen.
„Ja. Alles in Ordnung“, erwiderte N mechanisch. „Das heißt... Du weißt schon...“
Er war im Umgang mit Menschen immer noch ein wenig unbeholfen. Früher, als er sich seiner Ansichten sicher gewesen war, hatte dies kein Problem dargestellt. Aber inzwischen hatte diese Selbstsicherheit, die beinahe über Arroganz hinaus ging, natürlich nachgelassen. Doch für die Unterhaltung mit White war das sowieso egal.
„Ich verstehe schon“, sagte sie ruhig.
„Es ist deine Heimatstadt“, sagte er zerknirscht.
„Du brauchst dir nicht die Schuld daran zu geben.“
„Es lässt sich nicht leugnen, dass ich das alles möglich gemacht habe.“
Für einen Moment war es still und beide beobachteten nur den langsam größer werdenden schwarzen Punkt am Horizont.
„Du kannst aber nichts dafür. Man hat dich reingelegt und manipuliert“, sagte White schließlich.
„Ich hätte klüger sein können.“
„Das warst du. Sonst wäre ich nicht hier.“
Wieder trat Schweigen ein. N überlegte. Warum hatte er sie damals fliehen lassen? Eigentlich hätte er ihr nach seinem Sieg all ihre Pokémon wegnehmen müssen. Das war, was er angekündigt hatte und doch hatte er es nicht getan. Lag es nur daran, dass er trotz seiner Ansichten und Erwartungen ein tiefes Band zwischen ihr und ihren Pokémon gespürt hatte? Oder steckte dahinter... mehr?
„Du verzeihst viel zu leicht“, sagte er.
„Man kann nicht zu leicht verzeihen“, lächelte White. „Es ist sogar sehr schwierig. Aber wie ich schon sagte: Du wusstest nicht, was dein Vater geplant hatte. An deiner Stelle hätte auch jeder andere Mensch stehen können. Aber das ist sowieso nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass wir es hier und heute zu Ende führen werden. So oder so.“
„Unsere Chancen stehen schlecht“, sagte N wahrheitsgemäß. Er hatte die Wahrscheinlichkeiten schon vor Tagen grob im Kopf überschlagen. „Wir sind zahlenmäßig unterlegen und stehen der wohl mächtigsten Waffe gegenüber, die diese Region je gesehen hat.“
„Aber wir haben auch etwas, das sie nicht haben, wie du weißt.“
N lachte bitter auf. „Ja,und ich habe mir die größte Mühe gegeben, es zu zerstören.“
„Und es ist kein Wunder, dass es dir nicht gelungen ist. Deinem Vater wird es auch nicht gelingen. Aber das ist ja noch nicht alles. Du warst es doch, der mir von unserem neuen Verbündeten erzählt hat. Er wird uns in der Schlacht unterstützen, nicht wahr?“
„Das hat er gesagt. Ich konnte deutlich seine Stimme hören. Aber um uns geht es dabei eigentlich gar nicht, sondern um seine Freunde.“
„Das kommt aufs Gleiche raus. Wir wollen auch nur unsere Freunde beschützen.“
Sie hörten Schritte hinter sich und drehten sich um. Ein uniformierter junger Mann kam schnell auf sie zu.
„Die ersten Berichte der Späher treffen ein. Es wird erwartet, dass sie beide sich bereit halten“, teilte er ihnen mit.
„Natürlich“, sagte N ruhig. „Ich schätze, bis zu Beginn des Kampfes bleiben uns noch vier Stunden.“
„Das ist in der Tat das, was uns auch unsere Späher berichten“, nickte der Mann.
„Also“, sagte White. „Dann sollten wir uns vorbereiten.“

Im Versammlungsraum der Plasma-Fregatte saßen mehrere Leute an einem großen Tisch. Einige von ihnen trugen schwarze Uniformen, andere kostbarer wirkende Gewänder. Am Ende des Tisches saß ein Mann mit grünen Haaren, der einen langen schwarzen Mantel mit hohem Stehkragen trug. Neben seinem Stuhl lehnte ein seltsam geformter Stab, der unmittelbar unter dem Griff einen Kreis beschrieb, in dem das Plasma-Wappen eingelassen war. Von diesem Mann ging eine merkwürdige Aura aus, die alle anderen in dem Raum zu einer leicht unterwürfigen Haltung zwang. Die einzige Ausnahme bildete ein ruhiger, gelassener Mann mit blondem Haar, von dem eine kunstvoll frisierte blaue Haarsträhne abstand. Seine Brille und sein langer Laborkittel verliehen ihm das klischeehafte Aussehen eines Wissenschaftlers, welches durch seine professionell anmutende Ruhe noch unterstrichen wurde. Tatsächlich wirkte er sogar ein wenig gelangweilt.
„Achromas“, sagte der Mann im schwarzen Mantel. „Bericht.“
Seine Worte waren an den Blonden im Laborkittel gerichtet, der sofort aufstand und zu einigen Bildschirmen an der Wand ging. Er drückte ein paar Knöpfe auf einer Schalttafel daneben. Sofort flammten die Bildschirme auf und zeigten Karten sowie Landschaften.
„Wie sie alle wissen“, begann der Mann namens Achromas zu sprechen, „befindet sich fast ganz Einall in der Hand von Team Plasma. Die einzige Stadt, die noch fehlt, ist Avenitia. Wie wir wissen, haben sich sämtliche Rebellen dorthin zurück gezogen, während die Zivilbevölkerung mit Unterstützung aus dem Ausland über Route 17 aus der Gefahrenzone gebracht wurde. Wir nehmen an, dass die Flucht ins Ausland geplant ist, sollte die Verteidigung der Stadt zusammen brechen. Dies ist jedoch, da uns Route 17 ohne Avenitia sowieso nur schwer zugänglich ist, von untergeordneter Bedeutung.“
Er hielt kurz inne und drückte einen Knopf auf der Schalttafel, sodass alle Bildschirme die Luftaufnahme einer Route zeigten.
„Unsere Bodentruppen werden über Route 1 einen direkten Frontalangriff auf die Stadt starten. Dabei ist geplant, dass sie durch unser Schiff unterstützt werden, jedoch...“
Er machte eine Pause und streckte fast ein wenig ratlos die Arme aus.
„Jedoch ist dieses Szenario für den Feind zweifellos vorhersehbar. Daher ist damit zu rechnen, dass sie mit fliegenden Pokémon und möglicherweise Flugzeugen einen Angriff auf unser Schiff starten werden, um dessen unterstützende Feuerkraft abzulenken oder...“
„Oder dessen Quelle auszuschalten“, beendete der Mann im schwarzen Mantel den Satz.
Ein aufgeregtes Gemurmel brach unter den Anwesenden aus.
„Wie werden wir darauf reagieren?“, fragte ein grauhaariger Mann in dickem, lilanem Mantel, ohne dabei einen besorgten Unterton verbergen zu können.
„Zitterst du jetzt aus Angst oder wegen deiner Kälteempfindlichkeit, Violacaeus?“, fragte der Mann im schwarzen Mantel in sehr hartem Ton.
Stille senkte sich über den Raum, verbunden mit einer seltsamen Anspannung. Lediglich Achromas schien davon unbeeindruckt zu bleiben. Interessiert blickte er von Violacaeus, der sich sichtlich unwohl zu fühlen schien, zu dem grünhaarigen Mann im schwarzen Mantel und wieder zurück.
„Ich verspüre natürlich keinerlei Furcht, großer G-Cis“, versicherte Violacaeus kleinlaut.
„Und das möchte ich dir auch raten“, erwiderte der grünhaarige Mann mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ.
Erneut trat gespannte Stille ein, die schließlich von dem Mann namens G-Cis durchbrochen wurde.
„An sich ist unsere Fregatte auch gegen stärkere Pokémon-Angriffe gefeit. Bedauerlicherweise verfügt der Feind noch über eine Waffe, die uns Probleme bereiten könnte. Da N damals dieses Mädchen entkommen ließ, gelang es uns nicht, uns ihres Drachen zu bemächtigen. Und diesem Drachen, der in dieser finalen Schlacht mit größter Sicherheit gegen uns eingesetzt werden wird, haben wir nur eins entgegenzusetzen, und das ist die Quelle der Hauptwaffe unserer Fregatte. Daher müssen wir diese von der Waffe lösen und in einem direkten Kampf gegen ihr Pokémon einsetzen, denn die Waffe selbst ist zu unpräzise. Unser Vorteil liegt darin, dass das fusionierte Kyurem weitaus stärker sein dürfte, somit wäre der Kampf schnell vorbei. Anschließend kann es wieder unser Schiff mit Energie speisen. Somit wird sich alles ein wenig verzögern, aber das ist auch alles.“
Einige in dem Raum schienen dem letzten Punkt nicht zuzustimmen, doch offenbar wusste jeder, dass Widerworte sinnlos und der eigenen Position nicht zuträglich waren.
Dennoch regte sich nach einiger Zeit noch ein weiteres Mal der Mann namens Violacaeus.
„Da gäbe es noch eine Sache“, sagte er zögerlich. „Es gab in letzter Zeit immer wieder Angriffe auf unsere Stellungen, Angriffe, die nicht menschlichen Ursprungs waren. Wir vermuteten dahinter...“
Weiter kam er nicht, denn G-Cis brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. Auch Achromas musste kurz schmunzeln.
„Oh, das hatte ich vergessen“, sagte er. „Es gibt eine Information, die ihnen bisher noch nicht mitgeteilt wurde. Die Quelle dieser Angriffe konnte erfolgreich neutralisiert werden.“
Erneut drückte er einen Knopf auf der Schalttafel und nun flimmerte auf allen Bildschirmen das Bild eines großen Eisblocks, in dem drei schemenhafte Gestalten zu erkennen waren. Aufgeregtes Stimmengewirr setzte ein.
„Sind das...?“
„Unmöglich!“
„Wie kann das...?“
Die laute Stimme von Achromas durchbrach das Gemurmel: „Ich präsentiere ihnen... Die Ritter der Redlichkeit!“

N und White liefen zügig über den improvisierten Flugplatz. Die kleine Fliegerstaffel würde gleich starten.
„Unser Verbündeter kommt wohl nicht mehr“, meinte White bitter.
„Er wird noch dazu stoßen“, sagte N zuversichtlich. „Er hat es mir versprochen und ich glaube ihm.“
„Wenn wir erst mal in der Luft sind, wird es ziemlich schwer für ihn, uns noch zu treffen.“
N erwiderte nichts. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er belogen worden war. Nicht von ihm.
Ihr Flugzeug stand bereit. Es war eine mittlerweile recht alte und auch leicht mitgenommen aussehende Maschine, die für Personentransport, nicht jedoch für den Kampf vorgesehen war. Jedoch hatte der recht geräumige Innenraum ermöglicht, stets eine Vielzahl an für den Luftkampf geeigneten Pokémon mitzunehmen und kam zusätzlich der anstehenden Mission entgegen, für die White und N ebenfalls an Bord sein müssten.
Der Gedanke an die Pokémon versetzte N einen scharfen Stich. Er hasste es, dass Pokémon in diesem Krieg verletzt wurden. Gegen die brutalen Kämpfe, die dieser mit sich brachte, waren die früheren Trainerkämpfe wie ein freundschaftliches Fußballspiel gewesen. Doch im Krieg hörte keiner auf, wenn der Gegner temporär kampfunfähig war. Nein, der Gegner sollte chronisch ausgeschaltet sein.
An der Maschine warteten ein Mann und eine Frau. N konnte sich noch gut an die jeweiligen Tage erinnern, an denen von den beiden den ihrer Arena zugehörigen Orden erhalten hatte. Damals hatte er insbesondere die Arenaleiter verabscheut. Jetzt betrachtete er sie nicht zwangsläufig anders, doch meistens eher mit gemischten Gefühlen und immer seltener mit grenzenloser Abneigung.
Tatsächlich konnte er sich für ihre jeweiligen Positionen keine geeigneteren Kandidaten vorstellen: Der ehemalige Arenaleiter von Marea City, der aufgrund der Tatsache, dass er auch damals die anderen Arenaleiter gegen sechs der sieben Weisen angeführt hatte sowie seiner weitreichenden Handelskontakte ins Ausland und seiner pragmatischen Art zum Oberbefehlshaber der Rebellen bestimmt worden war und die ehemalige Arenaleiterin von Panaero City, die natürlich als Flieger-Ass das Kommando über alle Flugeinheiten zugeteilt bekommen hatte.
N und White erreichten die beiden und nickten knapp.
„General“, sagte White höflich. „Captain.“
„An diesen Titel werde ich mich nie gewöhnen“, meinte die Frau in Pilotenmontur. „Geht es dir nicht auch so, Turner?“
„In der Tat, Géraldine. Ich wünschte, ich könnte wieder den Untergrund durchwühlen. Beim Gedanken, dass dieser Mistkerl meine Mine ausbeutet, dreht sich mir der Magen um“, erwiderte der Mann. Er schien heute besonders schlecht gelaunt.
„Kommen wir zur Sache“, fuhr er fort. „Ihr drei werdet in wenigen Minuten starten. Mir ist zwar nicht wohl bei dem Gedanken, dass wir Gefahr laufen, die stärkste Waffe aus unserem Arsenal dem Feind auf dem Silbertablett zu präsentieren, aber wir haben keine Wahl. Wenn das Schiff am Kampf teilnimmt, wird es eine kurze Schlacht. Das hat die Erfahrung bereits gezeigt. Also müssen wir es beschäftigen.“
„Wenn wir das Schiff erreicht haben, werden euch meine Vogel-Pokémon auf dessen Deck absetzen“, erklärte Géraldine. „Dann jedoch seid ihr fast gänzlich auf euch gestellt.“
White nickte, doch N warf an Turner gewandt ein: „Sie sagten, wir müssten die Fregatte beschäftigen.“
Turner verzog das Gesicht. „Ja, das sagte ich.“
„N...“, begann White, doch er unterbrach sie.
„Sie haben also vor, ihren Plan umzusetzen?“, fragte N ungläubig und mit einem Anflug des alten Abscheus in seiner Stimme.
Turner seufzte, doch sein Tonfall blieb hart.
„Mein Junge, mir gefällt das ebenso wenig wie dir. Aus idealistischer Sicht wünsche ich mir natürlich, dass ihr beide es schafft, das Schiff komplett aus dem Spiel zu nehmen. Aber für den Fall, dass ihr uns nur etwas Zeit verschaffen könnt, will ich diese auch genutzt wissen. Operation Tagesbruch wird also auf jeden Fall vorbereitet. Wenn ihr es schafft, werde ich sie nicht durchführen. Sollte jedoch der schlimmste Fall eintreten, gewährt sie uns den sicheren Rückzug und möglicherweise die Flucht in andere Regionen. Auch wenn sie wohl zwangsläufig Opfer fordern wird.“
„Die sie aber nicht kümmern“, meinte N zynisch.
Turners Gesicht verfinsterte sich nun endgültig. Obwohl er ruhig blieb, klang seine Stimme gefährlich: „Es ist gut möglich, dass meine eigenen Pokémon dabei verletzt werden oder dass noch weitaus Schlimmeres passiert. Also sage nicht, es sei mir egal.“
Peinliche Stille trat ein, die schließlich von Géraldine gebrochen wurde.
„Wir sollten nun starten“, sagte sie.
„Ja“, stimmte Turner zu. Er schüttelte White die Hand (N verweigerte es ihm) und sagte aufrichtig und ehrlich „Viel Glück“, ehe er ging.
N und White stiegen in den Frachtraum des Flugzeugs. Mehrere Vogel-Pokémon krächzten und schnatterten darin durcheinander. N streichelte den schönen Kopf eines großen Swaroness, doch war er immer noch verärgert. „Dieser Plan ist schrecklich“, meinte er.
„Ich weiß“, sagte White. „Ein Grund mehr, dass wir es schaffen, nicht wahr?“
N nickte. „Ich werde nicht zulassen, dass noch mehr Pokémon verletzt werden. Dieses verfluchte Schiff wird heute aufhören, seinen Schatten auf Einall zu werfen.“
White kicherte.
„Was ist so lustig?“, wollte N wissen.
„Ach, nichts“, sagte sie gut gelaunt. „Es ist nur so, dass ich dich schon lange nicht mehr so entschlossen gesehen habe.“
N wurde rot, sagte jedoch nichts.

„Wie ist der Zustand unserer Systeme?“, fragte G-Cis
„Alles arbeitet einwandfrei“, sagte Achromas. „Und...“
Er zögerte.
„Was?“
„Es scheint, dass sich mehrere fliegende Objekte nähern.“
„Dann sollen sich unsere Leute bereithalten.“
Auch ohne seine Hauptwaffe war das Schiff durchaus nicht wehrlos: Es beherbergte zahlreiche Trainer mit ihren Pokémon. Diejenigen von ihnen, die auf Fernangriffe spezialisiert waren, bildeten die restlichen Hauptangriffsmöglichkeiten der Fregatte und schossen ihre Attacken entweder von Deck oder durch Luken im Rumpf ab. Zudem würden sämtliche sich auf dem Schiff befindlichen Flugpokémon in den Luftkampf geschickt werden.
G-Cis lächelte. Er zweifelte nicht daran, dass N und das Mädchen kommen würden. Vielleicht würde es gelingen, sie vorher abzuschießen, doch insgeheim hoffte er darauf, dass sie es an Bord schaffen würden. Es würde ihm ein Vergnügen sein, sie mit dem übermächtigen Kyurem zu besiegen und sich anschließend auch ihren Drachen einzuverleiben, während sie gezwungen sein würden, hilflos zuzusehen.

„Also“, sagte Turner im Besprechungszelt, umgeben von den Befehlshabern der Kompanien, die sich aus Elite-Trainern wie zum Beispiel der früheren Top Vier und der Arenaleiter zusammen setzten. „Der Plan bleibt wie besprochen. Wenn wir den Gegner in eine Gefecht verwickelt haben, werden unsere Boden-Pokémon das Erdreich unter dem Schlachtfeld gehörig untertunneln. Ein Teil von ihnen wird hinter dem Gegner auftauchen, sodass wir ihn von zwei Fronten attackieren können. Sollte das Schiff zu feuern beginnen, wissen wir, dass wir keine Wahl mehr haben. Dann werden sich alle zurückziehen und die im Untergrund verbliebenen Pokémon das Erdreich endgültig zum Einsturz bringen.“
Die Befehlshaber der einzelnen Kompanien schwiegen.
„Dabei werden wir selbst sicherlich auch Verluste erleiden, weil wir den Einsturz räumlich gesehen nicht genau planen können, jedoch wären diese bei weitem nicht so schwerwiegend wie bei unserem unvorbereiteten Gegner. Dennoch ist das nur unser letzter Ausweg, der hauptsächlich einen sicheren Rückzug ermöglichen soll.“
Er seufzte. Für einen Moment sah er ungewöhnlich müde und alt aus.
„Das wäre also alles davon“, schloss er. „Wollen wir hoffen, dass uns das erspart bleibt. Gibt es noch Fragen?“
Ein Mann mit hellblauen haaren hob die Hand.
„Ja, Sandro?“, fragte Turner.
„Haben wir neue Berichte von Kamilla erhalten?“
Turner musste sich zusammen nehmen, um nicht bitter loszulachen.
„Keine“, sagte er trocken. „Scheint fast so, als würden ihre Kontakte in Kanto zu lange brauchen, um eine Entscheidung zu fällen. Inzwischen ist es wohl sowieso zu spät, wir können uns nicht darauf verlassen.“
Stille trat ein.
„Sonst noch etwas?“
Doch keiner hatte noch Fragen.
„Dann bereiten sie jetzt bitte die Truppen vor“, schloss Turner.

„Wir sind fast in ihrer ungefähren Schussreichweite!“, rief Géraldine aus dem Cockpit. „Ich öffne gleich das Heck, haltet euch also bereit!“
„Verstanden!“, rief White zurück. „Also...“
Sie holte einen Pokéball hervor. Kurz darauf ertönte das Klacken der Luke, die sich nun langsam öffnete. Als sie komplett geöffnet war, schoss ein Strahl roten Lichts aus dem Pokéball, der sich außerhalb des Flugzeuges verdichtete und schließlich zu einer großen Gestalt manifestierte, die einen langgezogenen Schrei ausstieß.
„Reshiram“, hauchte N, als er den großen Körper mit seinen weiten weißen Schwingen sah und davon für einen Augenblick wie gebannt war.
„Bereit?“, fragte White.
N nickte.
„Na dann...“
White nahm Ns Hand und drückte sie fest. Beide atmeten noch einmal tief durch. Im nächsten Moment rannten sie los und sprangen auf den Rücken des großen Drachen-Pokémon, welches sogleich unter dem Flugzeug abtauchte. Für einen Augenblick hörten sie nur das Rauschen des Windes und spürten trotz der für niedrige Temperaturen ausgelegten Kleidung die schneidende Kälte, dann explodierte um sie herum eine laute Batterie an Knallen, Schreien und Rufen. N warf einen Blick zurück und sah, wie die ganzen Vogel-Pokémon aus dem Flugzeug hinaus an ihnen vorbei stoben und sich in die Schlacht stürzten. Der Gedanke an sie versetzte ihm wieder einen Stich. Dann fiel sein Blick auf das große Schiff vor ihnen, von welchem verschiedenste Attacken auf sie abgefeuert wurden. Blitze, Flammen, Strahlen aus Eis, Wasser und seltsamem Licht schossen in ihre Richtung und an ihnen vorbei.
N hörte White, wie sie Reshiram den Einsatz von Schutzschild befahl und sah, wie sich eine schützende Sphäre um sie schloss, an der die Attacken wirkungslos abprallten. Dennoch überkam ihn ein Anflug von Angst, als sie dem riesigen Schiff näher und näher kamen.

„General?“
„Ich sehe sie.“
„Sie scheinen noch nicht angreifen zu wollen.“
Turner nickte seinem Adjutanten zu und beobachtete, seine eigenen Leute im Rücken, die noch weit entfernte Menge. „Ich dachte es mir fast. Sie konnten sich sicher denken, dass wir ihr Schiff mit dem stärksten Pokémon auf unserer Seite angreifen würden. Dieser Achromas ist ein fähiger Analytiker. Jedenfalls werden sie nicht angreifen, bis ihr Schiff eine Unterstützerrolle einnehmen kann.“
„Und was werden wir tun?“
„Unsere Chance nutzen, solange das Schiff beschäftigt ist. Bereitmachen zum Angriff. Fernangreifer sollen durch Nahkämpfer geschützt werden. Die heilenden und unterstützenden Einheiten sollen in Bereitschaft versetzt werden.“
„Bereits alles geschehen. Es wird nur noch auf ihren Befehl gewartet. Und bezüglich der Tagesbruch-Operation...“
Turner biss sich auf die Lippen. „Die Boden-Pokémon sollen versammelt werden und sich bereithalten.“
Er kramte einen Pokéball hervor und rief sein Stalobor heraus. „Mein Stalobor kommt mit ihnen, denn es wir die anderen Pokémon anleiten.“
„Verstanden.“
Turner nickte seinem Stalobor zu, welches den kurzen Gruß erwiderte. Dann verschwand es mit dem Offizier.
Turner trat ein paar Schritte vor und drehte sich dann um. Die endlos wirkende Menge aus Trainern erwartete gespannt seine Befehle.
„Heute“, begann er, „ist ein Tag, den wir alle gerne anders verbracht hätten. Heute ist ein Tag, der immer der Familie und der Freundschaft gewidmet war. Der Freundschaft, die sowohl Menschen als auch Pokémon einschloss. Heute ist der Tag, an dem sich entscheiden wird, ob diese jahrhundertealte Freundschaft, die wir alle getragen haben, auch in Zukunft Bestand haben wird. Heute ist ein Tag, an dem wir nicht nur eine Stadt verteidigen. Wir verteidigen das letzte Bollwerk gegen die Mächte, die diese Freundschaft pervertieren und zerstören wollen. Es ist der Tag, an dem sich unser Schicksal ein für alle Mal entscheiden wird.“
Er hielt inne und machte eine Kunstpause.
„Dieser Tag ist das Ende. Aber nicht unser Ende. Es ist das Ende unserer Niederlagen, das Ende des ständigen Zurückweichens. Und zugleich ist es ein Anfang. Der Anfang einer neuen Periode des Krieges, in der wir nicht mehr zurückweichen, sondern mutig für das kämpfen werden, an das wir glauben. Heute werden wir uns unseren Feinden entgegenstellen und ihnen klarmachen, dass es bis hierher und nicht weiter geht!“
Jubel und Kampfgeschrei brach aus. Turner wandte sich um, das Gesicht dem Feind entgegen. Er holte seine restlichen Pokébälle hervor rief mit Branwarz, Rabigator und Golgantes drei seiner restlichen fünf Pokémon in den Kampf. Mehr zu koordinieren würde zu schwer sein. Turner hörte, wie sämtliche Trainer hinter ihm es ihm gleich taten und ebenfalls ihre Pokémon aus ihren Bällen befreiten.
Turner gestattete sich einen letzten Moment der Ruhe, dann ganz langsam, ging er los, seine Pokémon an seiner Seite. Er drehte sich nicht um, da er die Schritte der Armee hören konnte. Stattdessen beobachtete er, wie Bewegung in die feindlichen Truppen kam. Auf der Gegenseite erschienen gigantische Anzahlen an Pokémon, nicht wenige davon so groß, dass er sie auch aus der Entfernung problemlos erkennen konnte. Doch er zögerte keinen Augenblick und blieb nicht stehen. Ohne langsamer zu werden schritt er voran und als er vielleicht noch zweihundert Meter von der Gegenfront entfernt war und die ersten Attacken von beiden Seiten abgefeuert wurden, stürmte er los, während seine Pokémon ihn in einer Dreiecksformation umgaben, sein Rabigator vor ihm, Branawarz und Golgantes hinter ihm.
Nun setzte sich auch der Feind in Bewegung. Schwarz uniformierte Gestalten stürzten sich ihm entgegen.
„Branawarz, Strauchler!“, befahl Turner und sah nicht ohne Genugtuung, wie Ranken aus dem Boden wuchsen, sich um die Knöchel der gegnerischen Trainer und Pokémon schlangen und diese so zu Fall brachten.
„Golgantes, Finsterfaust!“
Eine gigantische, schattenhafte Faust schoss aus seinem Rücken hervor, fegte über die soeben gestrauchelten hinweg und traf die hinter ihnen Voranstürmenden, die zur Seite geworfen wurden.
„Rabigator, Steinkante!“
Große, spitze Steine materialisierten sich um das Pokémon, welches sie jedoch sogleich wie einen gefährlichen Hagel in die bereits geschlagene Bresche abfeuerte und sie so weiter vergrößerte. Die Linien des Feindes hatten sich ein wenig aufgelöst, doch schien der Strom der Gegner endlos zu sein. Anscheinend war es nicht möglich, schnell durchzubrechen und bald schon war der General von Kämpfen umgeben, während sein Rabigator mit flammenden Zähnen in alle Richtungen schnappte, sein Branawarz mit Hydropumpe die Gegner auf Distanz hielt und sein Golgantes mit finsteren Fäusten um sich schlug. Der Kampfeslärm, die Explosionen und die Schreie von Menschen und Pokémon waren ohrenbetäubend. Verbissen brüllte Turner Befehle, teils an seine Pokémon, teils an seine Soldaten gewandt, während der Feind nicht weniger energisch auf sie eindrängte und jeden Millimeter Boden nur unter großem Widerstand preisgab.

„Reshiram, pass auf!“, schrie White, doch es war zu spät. Die gigantische Kugel, bestehend leuchtendem und elektrisierendem Eis, prallte mit voller Wucht auf das Schutzschild. N spürte, wie die schützende Sphäre unter der Wucht der Attacke erzitterte. Kurz darauf flackerte sie und brach schließlich zusammen.
„Das war eine Attacke von Kyurem!“, schrie N.
Sie durften jetzt einfach nicht verlieren, sie waren vielleicht noch 50 Meter entfernt. Inzwischen sah N sogar die hoch aufragende Gestalt von Kyurem, die an Deck stand. Und dahinter... Sein Vater.
Ein seltsames Gefühl stieg in ihm hoch. Das war der Mann, der ihn sein ganzes Leben manipuliert hatte, der Mann, der schlimmer als jeder andere die Pokémon ausgenutzt hatte und der es in Kauf nahm, dass Einall von Zerstörungen heimgesucht wurde. Doch er würde ihn diesmal aufhalten. Sie beide würden ihn diesmal aufhalten.
Ein Blitz zuckte knapp an Reshiram vorbei und plötzlich fiel N ein, dass ja ihr Schutzschild zusammengebrochen war. Wenn Kyurem einen weiteren Angriff starten würde, wären sie ihm schutzlos ausgeliefert. Doch das große Eis-Pokémon bewegte sich nicht. Und plötzlich begriff N. G-Cis wollte, dass sie es an Bord schafften. Er wollte, dass sie sich ihm stellten. Er wollte sie endgültig besiegen und ihnen dabei ins Gesicht lachen.
Und dann waren sie plötzlich über dem Deck des Schiffes und Reshiram verringerte die Höhe, bis sie schließlich mit einer leichten Erschütterung darauf landeten. Ihnen gegenüber stand das mächtige Kyurem. N und White sprangen von Reshirams Rücken. Ihre Glieder waren vom Flug taub und ihre Knie mehr als weich, doch waren sie entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen.
„Sei mir gegrüßt, N!“, rief die höhnische Stimme von G-Cis. Er stand neben dem riesigen Eisdrachen und als N ihn ansah, hörte er er plötzlich ein fürchterliches, anhaltendes Schreien, das in ihm selbst einen schrecklichen Schmerz auslöste. Er griff sich an den Kopf und keuchte.
„N!“, rief White.
„Alles in Ordnung“, antwortete dieser. „Ich kann es hören... Ich kann sie beide hören... Sie leiden Qualen.“
Er blickte zu White und sah ihren besorgten Gesichtsausdruck, dann wandte er sich wieder G-Cis zu. „Es wird heute enden, Vater. Ich werde nicht zulassen, dass du noch mehr Menschen und Pokémon Leid zufügst und Einall in Schutt und Asche legst. Heute werden wir dich endgültig besiegen.“
„Mein törichter Sohn“, sagte G-Cis mit bösartigem Mitleid. „Also bist du immer noch so aufopferungsvoll und idealistisch, wie ich dich erzogen habe. Selbst jetzt, wo du dich gegen mich wendest, kann ich noch meinen Einfluss auf dich sehen. Was für eine Ironie. Und dabei kannst du nicht einmal etwas tun. Dein legendäres Drachenpokémon gehört schon lange mir.“
N zog einen Pokéball aus seiner Tasche, woraufhin sich die Augen von G-Cis vor Überraschung weiteten.
„Was, du hast noch ein Pokémon? Ich dachte, ich hätte sie dir alle weggenommen.“
N warf den Pokéball. Zum Vorschein kam ein Im Verhältnis zu den beiden Drachen recht kleines Pokémon mit schwarz-rotem Fell.
„Oh, du hast es also tatsächlich geschafft, dein Zoroark zu retten?“, höhnte G-Cis. Dann griff er in seinen Mantel.
„Eigentlich habt ihr ja keine Chance, aber da zwei gegen einen nun einmal unfair ist...“
Er warf den Ball, aus dem sich ein furchterregendes, dreiköpfiges Pokémon befreite. G-Cis' Trikephalo. Es stieß ein langgezogenes Brüllen aus, offenbar begierig zu kämpfen.
„Gebt einfach auf“, sagte G-Cis. „Erspart euch den Schmerz der Niederlage.“
„Wir sind garantiert nicht hierhin gekommen, um einfach aufzugeben“, sagte White. „Wir werden kämpfen – und du wirst verlieren.“
„Ah“, sagte G-Cis. „Das kleine Mädchen, dass uns damals schon so viel Ärger bereitet hat. Bald schon wird auch dein Reshiram mir gehören.“
„Das werden wir ja sehen.“
„Ich hatte fast gehofft, dass es zu diesem Kampf kommen würde“, erwiderte G-Cis, seine Stimme zitterte nun vor Erregung. „Ich werde euch zeigen, wie schmerzvoll diese Welt sein kann!“
Er schlug kräftig mit seinem Stab auf den Boden.
„LOS!“, brüllte er.

Turner rief seinem Golgantes zu, dass es nach links ausweichen müsse, doch es war bereits zu spät. Der Eisstrahl traf es mit voller Wucht, sodass es ins Taumeln geriet. Zornig rief Turner sein verletztes Pokémon zurück und schickte an seiner statt sein Libelldra in den Kampf, welches sogleich mit einem Feuersturm zum Vergeltungsschlag ausholte. Bisher hatten sie die Oberhand in der Schlacht behalten, doch mittlerweile ging vielen ihrer Pokémon allmählich die Puste aus, während auf Feindesseite zwar deutlich mehr Verluste herrschten, die angesichts der schieren Überzahl jedoch verkraftbar waren. Er dachte an N und White. Wenn sie das Schiff ausschalten könnten, wäre Reshiram ihnen hier in der Schlacht sicher eine große Hilfe. Aber wenn sie nicht bald kamen, würde sich dieser Kampf noch länger hinziehen und ihre Verluste würden immer größer werden.
Und während er so darüber nachdachte, schoss plötzlich etwas an ihm vorbei, das wie ein rot-blauer Blitz aussah, jedoch keine Attacke zu sein schien. Aber er kannte kein Pokémon in seiner Armee, das sich so schnell bewegen konnte. Die nur schwer erkennbare Gestalt schoss durch die einzelnen Kämpfe hindurch und hier und da ging ein Pokémon des Feindes zu Boden. Turner war verblüfft. Was war das für ein Pokémon? Doch er konnte sich nicht darauf konzentrieren, da gerade sein Rabigator von zwei Roselias und einem Tyracroc bedrängt wurde. Und so entging ihm, dass sich das seltsame Pokémon nicht zufällig durch die Kämpfe bewegte, sondern klar erkennbar in die Richtung lief, in der auch die riesige Plasma-Fregatte lag.

White sah, wie Kyurem einen Eisstrahl auf Reshiram abfeuerte und befahl schnell einen Flammenwurf. Die beiden Attacken prallten in der Luft aufeinander und versuchten große Mengen an Dampf, als das Eis schlagartig durch die Hitze sublimierte.
White hatte keine Zeit, auf N und Zoroark zu achten, die es mit dem gefährlichen Trikephalo zu tun hatten. Ihre ganze Konzentration war auf diesen Kampf gerichtet, den sie und Reshiram gewinnen mussten. Doch hatte sie seit dem Beginn des Kampfes schnell gemerkt, dass Reshiram dem schwarzen Kyurem nicht gewachsen war. Selbst seine Feuer-Attacken wurden mühelos durch die Eis-Attacken des Gegners gekontert. Und allmählich machten sich bereits erste Anzeichen von Erschöpfung bei ihrem Pokéon bemerkbar, welches bereits hierher hatte fliegen und lange Zeit ein Schutzschild aufrecht erhalten müssen.
Doch dachte White nicht eine Sekunde daran, den Glauben an sich und Reshiram zu verlieren. Und auch nicht den Glauben an N. Während sie Reshiram Befehle zurief und es anfeuerte, schweiften ihre Gedanken nebenbei ab, zurück zu den diversen Begegnungen vor so langer Zeit, die schließlich in dem Kampf in seinem Schloss gegipfelt hatten. Sie hatte keuchend am Boden gelegen, ebenso erschöpft wie ihr kampfunfähiges Reshiram. Alles, was sie hatte tun könne, war, es zurückzurufen und zu fliehen. Sie hatte nicht eine Sekunde damit gerechnet, dass N es ihr gestatten würde. Aber er hatte es getan. Er hatte sie gehen lassen, ohne sie zu verfolgen. Er hatte seinen schlimmsten Feind erlaubt, zu entkommen. Und sie ahnte, warum. Er hatte es ihr natürlich nie gezeigt. Wahrscheinlich hatte er es zunächst nicht wahrhaben wollen, da sie sein Feind gewesen war und nach G-Cis' Machtergreifung hatte er sich wohl einfach zu sehr geschämt. Aber ihr war nicht entgangen, wie er sie manchmal ansah. Und dabei hatte sie sich gefragt, was sie eigentlich für ihn empfand, um schließlich zuzugeben, dass sie sich nicht sicher war. Er war auf jeden Fall ein guter Freund geworden. Und jetzt standen sie hier und kämpften Seite an Seite einen Kampf, den sie vielleicht nicht gewinnen konnte. Der Kampf. White verlagerte den kleinen Teil ihres Bewusstseins, der sich abgespalten hatte, um über diese Dinge nachzudenken, wieder in das Kampfgeschehen hinein und befahl Reshiram, mit Antik-Kraft anzugreifen, da dies vielleicht einen entscheidenden kraftschub mit sich bringen würde.

N forderte sein Zoroark auf, der Drachenpuls-Attacke auszuweichen und schnell einen Fokusstoß abzuschießen, der jedoch zu unpräzise war und es dem Trikephalo ermöglichte, mit Leichtigkeit auszuweichen.
Verbissen ballte N die Fäuste, als der Flammenwurf des Drachenpokémon auf den Flammenwurf seines Pokémon traf und beide Attacken sich gegenseitig aufhoben. Er warf nicht oft Blicke zu White, die entschlossen ihr eigenes Pokémon kommandierte und anfeuerte, doch sah er deutlich, dass es nicht gut um Reshiram stand. Während Kyurem schier unbegrenzte Mengen an Energie zu Verfügung haben schien, wurden Reshirams Bewegungen allmählich ein wenig langsamer. Wenn es ihm nur gelingen würde, dieses Trikephalo auszuschalten, dann würden sie gemeinsam vielleicht eine Chance haben. Aber so...
Zoroark wich blitzschnell einem weiteren Flammenwurf aus und N befahl Nachtflut, in der Hoffnung, dass durch die finstere Attacke die Trefferquote des Gegners sinken würde. Doch selbst dann würde er immer noch ungeheuer stark sein. Es schien aussichtslos.

Géraldine flog ihre Maschine durch das Chaos aus Attacken, die zum Teil auf die Hülle ihres Flugzeugs niederprasselten und es erzittern ließen. Aber die Maschine würde das aushalten, zumindest eine Weile. Die meisten ihrer Pokémon waren in den Luftkampf gezogen und nur wenige waren im Innenraum geblieben, um aus eigens dafür vorgesehenen Öffnungen Fernangriffe abzuschießen. Alles, was sie selbst tun konnte, war den Attacken des Feindes so gut wie möglich auszuweichen, doch war das mit dieser viel zu großen und schwerfälligen alten Kiste einfach ungeheuer schwierig. Für einen Moment wünschte sie sich sehnlichst in ihr kleines Kunstflugzeug zurück.
Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war, als würde eine Wasserfontäne in die Luft schießen. Doch schien diese nicht aus der Luft oder vom Schiff zu kommen, sondern vom Boden. Géraldine war für einen Moment verwirrt über diesen seltsamen Anblick, doch dann konzentrierte sie sich wieder voll aufs Fliegen und die Meldungen, die die anderen Mitglieder der Fliegerstaffel über Funk mitteilten.

White sah, wie sich vor Kyurems Maul eine Kugel manifestierte, die züngelnde Blitze von sich gab. Es war die Attacke, die sie auch in der Luft getroffen hatte und White wusste, dass es besser war, sich davon nicht treffen zu lassen. Da die Attacke lange zum Aufladen zu brauchen schien, wollte sie die Gelegenheit zum Angriff nutzen.
„Reshiram, setze Drachenpuls ein!“, rief sie.
Reshiram schoss eine gewaltige Schockwelle aus seinem Mund ab, doch obwohl Kyurem zu wankte, als es von ihr getroffen wurde, sammelte es unaufhörlich Energie und feuerte das ganze Gebilde, das einem eisigen Kugelblitz glich, auf Reshiram ab.
„Kreuzflamme!“, rief White panisch, doch als die Feuer-Attacke auf die Eis-Attacke traf, richtete sie rein gar nichts aus. Sie war einfach zu schwach. Kyurems Attacke hingegen traf Reshiram mit voller Wucht. Es schrie gepeinigt auf, während Teile seines Körpers zu froren und Blitze zischend durch seinen Körper fuhren. Dann brach es zusammen und blieb reglos liegen. Im nächsten Moment hörte die fassungslose White einen verzweifelten Ruf und sah, wie Ns Zoroark von einem mächtigen Flammenwurf getroffen wurde und ebenfalls kampfunfähig liegen blieb. Sie konnte es nicht glauben, als sie zu N hinüber sah. Sie hatten verloren.

Géraldine brach der Schweiß aus, als sie feststellte, dass mehrere feindliche Pokémon um ihre Maschine schwirrten. Ein Glurak schien zu versuchen, ihren Treibstofftank mit einer Feuerattacke zu erwischen, was verdammt gefährlich war. Doch es gab kein Entkommen. Was sie auch versuchte, die Maschine war weder schnell noch wendig genug. Sie fluchte und wollte sich schon fast in ihr Schicksal ergeben, als es plötzlich im Funkgerät knackte.
„Brauchst du Hilfe, Géraldine?“
Géraldine konnte es für einen Moment nicht fassen.
„Kamilla, bist du das?“
„Ja, und ich bin nicht allein.“
Im nächsten Moment sah Géraldine Blitze an ihrem Flugzeug vorbei zucken, die die feindlichen Pokémon trafen und vom Himmel holten.
Eine andere Stimme ertönte aus dem Funkgerät. Auch diese kannte Géraldine, jedoch konnte sie sie schlecht zuordnen.
„Wissen sie, ich war es allmählich auch Leid, mich ständig hinter meinem Doppelschloss in der Arena zu verstecken und darauf zu warten, dass mich irgendwelche Kiddies besiegen. Also habe ich kurzerhand mein Kampfflugzeug wieder flott gemacht und ein paar alte Militärfreunde aus den Pokémon-Feldzügen zusammengetrommelt. Nett, nicht wahr?“
Dieser zuversichtliche, fast arrogante Ton...
„Major, sind sie das?“
„War eine lange Zeit seit der Flugshow damals, nicht wahr? Bin aber überrascht, dass sie mit dieser Maschine in den Krieg ziehen, Lady. Bei allem Respekt, die ist für Kriegshandlungen vollkommen ungeeignet.“
„Wir mussten halt nehmen, was wir hatten“, sagte Géraldine lächelnd.
„Das sie so lange damit durchgehalten haben – meine aufrichtige Hochachtung. Aber ich nehme an, sie haben trotzdem nichts gegen Unterstützung?“
„Gewiss nicht.“
„Dann wollen wir dieses Schiff mal aufs Korn nehmen.“

Ein grausames Lächeln umspielte G-Cis Lippen.
„Sehr gut. Genau das wollte ich sehen“, sagte er. „Diese pure Verzweiflung auf euren Gesichtern, der bittere Geschmack der Niederlage...“
N ballte die Fäuste.
„Und ich habe mir auch etwas ganz Besonderes für euch überlegt“, fuhr G-Cis fort, während White neben Reshiram niederkniete und es verzweifelt anflehte, wieder aufzustehen.
„Habt ihr euch nie gefragt, wie das wäre, meine Gedanken zu teilen?“
„Wovon redest du?“, fragte N zornig.
„Nur die Ruhe, mein Sohn. Ich werde es dir zeigen.“
G-Cis pochte mit seinem Stock auf den Boden.
Sein Trikephalo flog hoch empor und sammelte eine dunkle Form von Energie vor seinen Mündern. Dann feuerte es sie schlagartig ab und zwar, wie N mit Entsetzen sah, direkt auf White, die sowohl überrascht als auch entsetzt der Attacke entgegen sah.
N rannte, wie er noch nie gerannt war, auf White zu. Wie in Zeitlupe raste die Finsteraura-Attacke heran und als sie nur noch wenig von White entfernt war, sprang N in sie hinein und fing sie ab.
Sofort wurde sein Kopf mit Gedanken überflutet, die nicht ihm gehörten. Es waren scheußliche Gedanken von Missbrauch und Unterdrückung der Pokémon, von gefolterten und gequälten Menschen. N schrie vor körperlichem und seelischem Schmerz auf, er wälzte sich auf dem Boden herum, die Hände aufs Gesicht gepresst und dann, ganz plötzlich, hörte es auf.
„N!“, hörte er Whites Stimme wie aus weiter Ferne. Er fühlte, wie sie seinen Kopf in ihre Hände nehmen wollte, doch er hob die Hand, langsam wieder zu sich kommend. Sein Schädel schmerzte immens, als hätte jemand versucht, sein Gehirn aus seinem Schädel zu ziehen.
„Wie wir alle wissen, werden Pokémon mit den Gedanken derer gefüllt, denen sie gehorchen müssen“, sagte G-Cis völlig ruhig. „Und Finsteraura ist ein Angriff, bei dem der Anwender die Aura seiner schlechten Gedanken benutzt. Was du gesehen hast, N, waren also meine Gedanken. Meine Visionen von der zukünftigen Welt. Und du wirst das nicht verhindern können. Es ist vorbei. Und um es dir und deiner kleinen Freundin auch deutlich zu machen, werde ich dieses winzige Dorf nicht einnehmen. Ich werde es vernichten. Nichts wird von diesem Dorf noch stehen, wenn ich damit fertig bin. Und ihr werdet dabei zusehen.“
N rappelte sich mühsam auf.
„Du vergisst nur eins“, sagte er.
„Oh, und das wäre?“
„Atome“, sagte N nüchtern.
„Wie bitte?“, fragte G-Cis irritiert und mit einem angedeutetem Lachen.
„Es hat mich immer fasziniert“, erwiderte N. „Das Prinzip von zwei Atomen, die sich verbinden. Zwischen ihnen entsteht eine Bindung und sie werden zu etwas völlig Neuem, etwas mit völlig neuen Eigenschaften und Fähigkeiten.“
„Ja“, sagte G-Cis. „Aber das Problem dabei ist, dass es durchaus nicht unmöglich ist, diese Bindungen auch wieder zu spalten.“
„Aber dazu braucht es ein Mindestmaß an Energie.“
„Die ich sicherlich aufgebracht habe.“
„Du unterschätzt die Stärke der Bindung. Weißt du denn nicht, was heute für ein Tag ist?“
„Natürlich weiß ich das. Worauf willst du eigentlich hinaus?“
„Ich will darauf hinaus, dass an diesem Tag mehr als an allen anderen Tagen die Menschen und die Pokémon näher zusammen rücken und ihre Bindungen vertiefen. Glaubst du wirklich, an so einem Tag könntest du das Band, welches sie verbindet, einfach so für immer trennen?“
„Mein Sohn, du verstehst es nach wie vor, klug daher zu reden. Und ich muss es wissen, da ich selbst ein Meister in dieser Disziplin war. Aber all diese schönen Worte werden euch auch nicht retten.“
N nahm Whites Hand. Sie lächelte mit neuer Zuversicht.
„In genau dieser Sekunde setzen alle Menschen ihre Hoffnungen in uns“, sagte N. „Und wir werden sie nicht enttäuschen.“
G-Cis seufzte. „Wenn ihr jetzt fertig seid, ich habe eine Schlacht und einen Krieg zu gewinnen.“
Er hob seinen Stock, doch bevor er irgendetwas anderes tun konnte, passierten viele Dinge gleichzeitig. Mehrere Blitze schlugen vom Himmel aus in das schwarze Kyurem ein, während das laute Dröhnen mehrerer Flugzeuge erklang. Zur gleichen Zeit regten sich sowohl Reshiram als auch Zoroark wieder, während zusätzlich eine Wasserfontäne neben der Schiffsreling emporschoss, an deren Spitze ein einzelnes, vierbeiniges Pokémon stand. Es hatte Ähnlichkeit mit einem Ponita, doch hatte es stellenweise blaues Fell, eine wallende rote Mähne und ein gefährlich aussehendes blaues Horn. Es sprang sofort von der sich kurz danach auflösenden Wasserfontäne herunter und traf das Trikephalo mit einer Energieklinge, die es aus seinem Kopf wachsen ließ. Das große Drachenpokémon wurde hart von der Attacke getroffen und brüllte aus allen drei Mäulern laut auf, bevor es aus der Luft zu Boden stürzte.
N nutzte die Chance, als er sah, dass sein Zoroark wieder stand: „Zoroark, Fokusstoß!“
Das Unlichtpokémon erschuf eine große leuchtende Sphäre mit seinen Händen, die es mit voller Wucht auf den Oberkörper des Drachenpokémon prallen ließ. Dieses jaulte noch einmal auf, dann verstummte es jäh und blieb ohnmächtig liegen.
G-Cis brüllte und tobte vor Wut. Inzwischen hatte Kyurem die Wirkung der Elektro-Attacken, von denen keiner wusste, woher genau sie gekommen waren, abgeschüttelt.
Doch auch Reshiram hatte es geschafft, sich wieder aufzurichten. Und während G-Cis noch Befehle um sich brüllte, schossen auch Zoroark und das vierbeinige Pokémon auf das schwarze Kyurem zu.
„Kyurem!“, schrie G-Cis. „Kreuzdonner!“
Der große Eisdrache hüllte sich schlagartig in knisternde Blitze ein. Zoroark und das andere Pokémon sprangen zur Seite, um von ihnen nicht getroffen zu werden. Sie konnten nicht mehr riskieren, sich dem Pokémon zu nähern. Doch das war auch gar nicht notwendig.
„Reshiram!“, hörte N White rufen. „Blauflammen!“
Schlagartige spürte N eine gewaltige Hitze, die die winterliche Kälte vertrieb, trotz der Anwesenheit Kyurems. Gigantisches bläuliches Feuer baute sich vor Reshiram auf. Das war Reshirams stärkste Attacke.
„Zoroark!“, rief N. „Setzte noch einmal Fokusstoß ein!“
Erneut formte Zoroark die strahlende Kugel aus Energie, und verblüffenderweise tat das vierbeinige Pokémon genau das gleiche. Als die Attacken abgefeuert wurden, trafen die Fokusstoß-Angriffe auf die Blauflammen und vermischten sich mit ihnen zu einem gewaltigen Inferno, welches auf das schwarze Kyurem zuraste.
„Kyurem“, rief G-Cis, und seiner Stimme war die Panik deutlich anzuhören. „Schutz...“
Doch bevor er den Befehl zu Ende aussprechen konnte, wurde Kyurem auch schon von der Attacke getroffen. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, gefolgt von einem beinahe das Trommelfell zerfetzenden Brüllen, welches anhielt und sich schließlich in zwei parallele, doch einzelne Schreie aufzulösen schien...
Rauch hatte die riesenhafte Gestalt des Eis-Pokémon eingehüllt, doch als er sich verzog, waren allmählich ganz klar zwei verschiedene Pokémon zu erkennen.
„Es hat sich wieder getrennt“, staunte White.
„Zekrom!“, rief N. Sein Herz hüpfte fast vor Freude und Erleichterung. Die hoch aufragende Gestalt seines schwarzen Freundes trat auf ihn zu.
Doch G-Cis schien immer noch nicht aufzugeben. Er hob seinen Stab. „Kyurem!“, schrie er der zweiten, nunmehr gekrümmt und schwächlich wirkenden Gestalt zu. „Ich befehle dir...“
Im nächsten Moment traf ihn ein harter Wasserstrahl, der ihn von den Füßen riss. Sein Stab flog aus seiner Hand und segelte in hohem Bogen über die Reling des Schiffes.
Er selber prustete und starrte fassungslos das vierbeinige Pokémon an, welches die Attacke abgefeuert hatte.
„Was zur Hölle ist das?“, schrie er.
„Keldeo“, sagte N. „Du hast seine Freunde eingesperrt, die Ritter der Redlichkeit. Vor langer Zeit hat Keldeo seine Eltern verloren und wurde von Viridium, Terrakium und Kobalium aufgenommen. Nachdem du diese gefangen hattest, kam Keldeo zu mir. Es hat versprochen, uns zu helfen und ich habe ihm versprochen, dass wir seine Freunde befreien würden.“
„Du Teufel!“, fluchte G-Cis. „Du Scheusal in der falschen Gestalt eines Menschen!“
„Vater“, sagte N ruhig. „Du hast verloren. Verstehe doch endlich, dass du die Pokémon nicht zu deinen willenlosen Werkzeugen machen kannst. Der Plan deiner Herrschaft über Einall ist gescheitert. Du kannst die Menschen nicht mehr gewaltsam von ihren Pokémon trennen, um dann als Einziger mit Pokémon an seiner Seite über beide zu herrschen.“
G-Cis öffnete den Mund, um eine hasserfüllte Antwort zu geben, doch ehe er irgendetwas in der Richtung tun konnte, ertönte ein lauter Krach. Im nächsten Moment kamen aus dem tiefen Inneren des Schiffes über eine Treppe drei vierbeinige Pokémon heraufgestürmt. Keldeo lief freudig auf sie zu.
„Das sind die Ritter der Redlichkeit“, sagte N zu White. „Ihr Quartett ist wieder vollständig.“
„Das ist ja geradezu niedlich, wie die sich freuen, wieder beisammen zu sein“, meinte White kichernd, denn gerade hatte Keldeo angefangen, sich nacheinander an die anderen drei zu kuscheln, während alle in ein schnaubendes Gelächter ausbrachen.
N wollte sich wieder zu G-Cis umdrehen, doch dieser war verschwunden. Er musste die andere Treppe ins Schiffsinnere genommen haben.
„Schnell!“, rief White und sie beide rannten los, doch ehe sie die Treppe erreicht hatten, kam jemand anderes sie emporgestiegen.
„Das könnt ihr euch sparen“, sagte der dünne Mann im Laborkittel.
„Achromas“, erwiderte N.
„Falls sie uns aufhalten wollen...“, begann White, doch Achromas unterbrach sie.
„Nichts dergleichen“, versicherte er gut gelaunt. Er ließ seinen Blick über das Chaos an Deck und die zahlreichen legendären Pokémon schweifen, dann breitete er die Arme aus und rief: „Fantastisch! Einfach fantastisch!“
„Wo ist mein Vater?“, fragte N.
„Nicht mehr an Bord, würde ich meinen. Er dürfte inzwischen geflohen sein, wahrscheinlich begleitet vom Finstrio, du erinnerst dich...“
„Wie konnte er denn von diesem Schiff fliehen?“, fragte White irritiert.
Achromas zuckte die Achseln.
„Was wäre ein Schiff ohne Rettungsboote?“, fragte er unbekümmert.
„Und was willst du jetzt tun?“, fragte N.
„Nun“, begann Achromas gedehnt, „fassen wir doch mal die Situation zusammen. Nachdem eure Flugeinheiten Verstärkung bekommen hatten, wurden ziemlich schnell die Angriffsmöglichkeiten unseres Schiffes dezimiert. Wir haben fast keine kampffähigen Pokémon mehr. Dazu kommt, dass wir das schwarze Kyurem verloren haben und in Anbetracht der Berichte unserer Bodentruppen ist die Schlacht zwar noch in vollem Gange, doch mit einem leichten Übergewicht von eurer Seite. Kurzum: Wir scheinen bereits verloren zu haben, zumal unser Anführer das offenbar auch erkannt hat.“
Er machte eine Pause. Das alles schien ihn nicht im Mindesten zu kümmern.
„Jedenfalls, jetzt wo G-Cis fort ist, habe ich die vollkommene Befehlsgewalt. Darunter auch die Möglichkeit, unseren Truppen den Rückzug zu befehlen. Oder ihnen zu sagen, dass sie sich ergeben sollen. Was immer ihr wollt.“
„Und was wollen sie im Austausch dafür?“, fragte White misstrauisch.
„So gut wie nichts. Lediglich die Zusicherung, dass mir und meinen Leuten nichts passiert. Nach wie vor trage ich eine Verantwortung, auch wenn sie mir im Grunde egal sein könnten. Des Weiteren würde ich nach dem nunmehr absehbaren Ende des Krieges jegliche Strafe gerne vermeiden und die Erlaubnis bekommen, mich wieder in Frieden meiner Forschung zu widmen. Oh, keine Sorge“, fügte er hinzu, als er Ns Blick sah, „ich habe nicht die Absicht, weiteren Pokémon Leid zuzufügen. Je länger ich auf G-Cis' Seite stand, desto stärker konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich der Antwort auf meine Frage, wie man das Maximum aus seinen Pokémon herauskitzelt, kein bisschen näher kam. Für mich als Wissenschaftler, denn das bin ich vorrangig, hatte alles, was er anstrebte, einfach keinen Wert. Hingegen glaube ich inzwischen, dass ich meiner Antwort deutlich näher kommen würde, wenn ich euch beobachten könnte.“
White schnaubte. Achromas überging dies.
„Also: Wenn ihr mir das gestattet, wird der Kampf jetzt und der Krieg vermutlich spätestens nächste Woche zu euren Gunsten enden. Zwar gehe ich davon aus, dass ihr auch ohne meine Hilfe früher oder später gewinnen würdet, aber so wäre es doch möglich, viel unnötiges Leid unter den Menschen und Pokémon zu verhindern, oder?“
„Was meinst du?“, fragte White an N gewandt.
„Achromas ist sicher Vieles“, meinte N, „aber er ist kein Lügner oder Manipulator, nicht so wie mein Vater. Wenn er also verspricht, dass er uns helfen wird, dann wird er das auch tun. Außerdem glaube ich tatsächlich nicht, dass er sich aus den Plänen meines Vaters je etwas gemacht hat.“
Achromas lächelte breit.
„Also, in Ordnung“, meinte N. „Aber glaube nicht, dass ich dir so schnell das verzeihen werde, was du getan hast. Ich habe die Stimmen der Pokémon gehört, die wegen dir gelitten haben.“
Achromas sagte nichts, doch huschte ein Schatten über sein Gesicht.
„Als Erstes sollten wir die Flugeinheiten informieren“, meinte White, um den Moment zu überspielen.

Turner musste feststellen, dass sie den Feind zwar zurückgedrängt hatten, es um seine eigenen Pokémon aber nicht zum Besten stand. Er hatte auch sein Branwarz austauschen müssen und kämpfte nun mit Mamutel, Libelldra und seinem allmählich ebenfalls erschöpft aussehenden Rabigator. Mamutel hatte die Aufgabe übernommen, die Gegner mit Steinkante und Eissplitter auf Distanz zu halten, während Libelldra über die Reihen der Gegner hinweg flog und sie mit Feuersturm angriff. Rabigator sprang von Gegner zu Gegner, seine Angriffskraft war inzwischen aufgrund seiner Fähigkeit schon lange auf ihrem höchsten Niveau. Scharenweise knickten die feindlichen Pokémon unter seinen mächtigen Angriffen ein. Plötzlich schoss jedoch eine verirrte Aquahaubitze auf es zu. Zum Ausweichen war es zu spät. Es geriet unter der Wucht der Attacke ins Wanken, woraufhin Turner sich gezwungen fühlte, es schnellstens in seinen Pokéball zurückzurufen, bevor sich mehrere mittelstarke Pokémon auf seinen geschwächten Partner stürzen konnten. Jetzt hatte er nur noch zwei Pokémon zu seiner Unterstützung und war umgeben vom Feind. Die nächsten Verbündeten waren selbst vollauf beschäftigt mit ihren Kämpfen. Hilfe war nicht zu erwarten. Doch er würde es ihnen wohl kaum zu leicht machen, so viel war sicher.
Bevor er jedoch einen Angriff starten konnte, schlug ein gigantischer Blitz in den Reihen des Feindes ein. Turner sah hoch und erkannte eine große, dunkle und von Blitzen eingehüllte Gestalt, die sich langsam zu Boden senkte und dabei Blitze in alle Richtungen schleuderte, die die Kämpfenden trennten. Das war … Zekrom.
Turner konnte es nicht fassen. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Im nächsten Moment schob sich ein Schatten über das Schlachtfeld. Die Plasma-Fregatte. Begleitet wurde sie von mehreren Flugzeugen und Pokémon.
Sämtliche Kämpfe stoppten. Verblüfft blickte jeder Trainer auf das unglaublich wirkende Schauspiel. Und dann hörte und sah jeder die Signale, die der Gegenseite neue Befehle gaben. Vereinzelter Unglaube und Widerwille regte sich, doch dann sahen alle wieder zu dem großen schwarzen Pokémon und schließlich begann der erste Trainer, sein Pokémon zurückzurufen. Die anderen folgten ihm. Der Feind gab einfach auf. Turner seufzte erleichtert. Der Kampf war vorbei.

N war niemand, dem große Menschenmassen Angst machten oder der die Menschen gar hasste, denn wenn er an dem Tag etwas gezeigt hatten, dann war es, dass er sie genauso liebte wie die Pokémon. Dennoch war ihm der ganze Rummel, den eine Siegesfeier mit sich brachte, fremd. Er war beglückwünscht worden, doch vermutlich hatte seine zurückhaltende Art dazu geführt, dass er nun eher abseits der Feierlichkeiten stand, die natürlich nicht nur den Sieg, sondern den heutigen Tag generell feierten.
Er seufzte. Er hatte White gesehen, wie sie mit ihren Freunden gescherzt, gelacht und gefeiert hatte und für diesen Moment hatte er sich gewünscht, dass auch er an dieser Welt teilhaben könnte. Aber auch nach Allem, was er erlebt hatte, fühlte er sich immer noch nicht wirklich den Menschen zugehörig. Und Freunde hatte er nicht. Bis auf White. Es war merkwürdig, wie der Gedanke an sie ihn gleichzeitig erfreuen und traurig machen konnte. Er seufzte erneut und fügte sich in seine Einsamkeit.

White hatte Spaß mit ihren Freunden, sie lachten und scherzten voller Erleichterung über das baldige Ende des Krieges, doch wunderte sie sich auch ein wenig und fragte sich, wo N war. Er war an diesem Tag nicht weniger ein Held gewesen als sie, er hatte sogar eine Attacke für sie abgefangen und G-Cis' schrecklichste Gedanken sehen müssen.
Und dann sah sie ihn. Er stand abseits und beobachtete die glücklichen Menschen mit einem Gesichtsausdruck, der irgendwie ein trauriges Lächeln war. Und da merkte sie plötzlich, dass sie, obwohl sie ihre Freunde natürlich mochte, jetzt viel lieber bei ihm sein wollte.
„Entschuldigt mich mal kurz“, sagte sie und trat aus der feiernden und Lieder singenden Menge heraus.
„Keine Lust aufs Feiern?“, fragte sie N halb im Scherz, als sie ihn erreichte.
„Ich bin nicht wirklich jemand, der daran Gefallen findet“, meinte N. „Natürlich ist es nicht schlimm, aber ich mag es einfach nicht besonders.“
White nickte verständnisvoll. Dann nahm sie ihn bei der Hand.
„Komm mal mit“, sagte sie lächelnd.
„Wohin gehen wir denn?“, fragte N, während er ihr aber schon folgte.
„Nach Hause“, sagte sie.
Kurze Zeit später kamen sie bei einem kleinen, zweistöckigen Haus an.
„Hier wohne ich“, sagte White. „Wenn auch nicht oft.“
„Aha“, machte N.
„Oh“, sagte White überrascht.
„Was ist?“, fragte N.
„Sieh doch“, meinte White und wies mit der Hand um sei herum.
Große, weiße Flocken fielen sacht vom Himmel hinab und landeten sanft auf der Erde.
„Wunderschön“, meinte White verzückt. „Ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass es noch schneien würde. Und jede Schneeflocke ist einzigartig.“
„Aber immer sechsfach symmetrisch“, ergänzte N.
White kicherte. In ihrem braunen Haar waren inzwischen schon mehrere Schneeflocken gelandet.
„Du weißt ja, was heute für ein Tag ist“, sagte sie zu N.
N nickte.
„Heiligabend“, sagte er nur.
„Genau. Und es ist Tradition, dass man sich etwas schenkt.“
N fühlte sich etwas unwohl angesichts dieser Aussage. Sie hatte doch nicht etwa ein Geschenk für ihn?
„Tut mir leid“, sagte er mit trockener Kehle. „Ich habe leider nichts für dich.“
„Wir werden sehen“, antwortete White nur. N merkte, wie sie ihm näher kam. Ihre Augen fielen ihm nun deutlich auf. Hatte er vergessen, wie blau sie waren? So tiefblau...
„Fröhliche Weihnachten, N“, flüsterte White und küsste ihn. Ns Herz setzte für einen Schlag aus, als er plötzlich ihre Lippen auf den seinen spürte, doch erwiderte er den Kuss voll aufrichtiger Leidenschaft, während um sie herum der Schnee weiterhin fiel und die kleine Stadt langsam in ein glitzerndes weißes Gewand der Weihnachtlichkeit hüllte.

So, Shiralya, ich hoffe, es hat dir zumindest ein bisschen gefallen. Ich habe mich von der Idee vielleicht ein ganz klein wenig mitreißen lassen, sodass du jetzt leider ungeheuer viel zu lesen hattest. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich die Charaktere zumindest ansatzweise getroffen habe, habe mich eigentlich hauptsächlich an den Spielen orientiert, aber... Naja. Hoffe, dass es nicht so wirkt, als würden die Charaktere in der Geschichte bloß zufällig so heißen wie die Charaktere aus den Spielen und falls du eher an etwas in Richtung des Mangas oder Anime dachtest, so sind meine Kenntnisse davon leider recht begrenzt. Den Hintergrund der Geschichte dürftest du sicherlich schon verstanden haben, es geht eben um ein alternatives Szenario, in dem N die Protagonistin aus Schwarz/Weiß besiegt hat und dann natürlich von G-Cis hintergangen wird. Dabei sind Kyurem und die Plasma-Fregatte in der Geschichte Werkzeuge zum Machtausbau bzw. zur Machterhaltung und nicht zur Machtergreifung, wie es in Schwarz 2/Weiß 2 der Fall ist. Aber kein diktatorischer Herrscher ohne eine Rebellion.
Und wer ich wohl bin? Naja, falls du raten möchtest, kriegst du keine weiteren Hinweise von mir, weil ich glaube, dass du sie sowieso nicht brauchst. In diesem Sinne wünsche ich dir einfach ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!

Weihnachtliche Grüße,

dein Wichtel

Seit Jahren habe ich keinen Winter wie diesen erlebt. Es ist klirrend kalt, jeder Atemzug ist sichtbar und manifestiert sich in kleinen Wölkchen, die sich langsam in der eisigen Luft auflösen. Im Gegensatz zu anderen Pokémon kann ich aber weder den Schnee, noch die vorweihnachtliche Stimmung genießen, in der momentan alle schwelgen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens habe ich keinen Trainer, und zweitens ist es meine Aufgabe, die Menschen vor Katastrophen zu warnen, weswegen ich mir keine Pausen erlauben kann. Irgendjemand muss es tun.
Ich laufe in schnellem Tempo durch den verschneiten Wald. Hier in der Nähe haben die Menschen eine Stadt auf Baumstämmen gebaut, und mein siebter Sinn sagt mir, dass diese Stadt bald von einem schrecklichen Schneesturm heimgesucht werden wird. Ein umgestürzter Baum liegt vor mir, und ich muss darüber hinweg springen. Als ich wieder auf dem Boden lande, nehme ich aus dem Augenwinkel eine undeutliche Bewegung wahr, ein Licht, das kurz aufflackert und dann wieder erlischt.
Unschlüssig werde ich langsamer und versuche, den Schnee und das Unterholz mit meinen Blicken zu durchdringen. Habe ich mir das nur eingebildet?
„Ist da jemand?“, rufe ich laut, erhalte aber keine Antwort. Der Schnee liegt hier schon recht hoch, auch wenn das noch lange nicht alles ist, was uns bis zum Weihnachtsabend erwartet. Die Möglichkeit, dass da jemand begraben liegt, ist nicht eben gering. Ich gebe mir einen Ruck und biege ab. Meine Beine tragen mich schnell wie der Wind durch den Wald, aber ich finde nichts. Vermutlich habe ich mich doch geirrt.
„Hilfe.“
Oder auch nicht. Eine zittrige Stimme ruft um Hilfe, sie ist so leise, dass ich sie beinahe nicht gehört hätte. Ich glaube, sie kommt von rechts. Wachsam drehe ich mich um. Die Büsche und Sträucher sind eingeschneit, und außerdem ist es bereits später Abend, weswegen ich nicht viel erkennen kann.
Da! Ein paar Meter vor mir sehe ich das Licht und laufe los. Als ich dann sehe, wer da ruft, läuft es mir eiskalt den Rücken herunter.
„Verdammt.“ Es ist ein kleines Glumanda, welches völlig verfroren in einem der Büsche liegt. Seine Flamme ist so klein, dass sie die Zweige über ihr nicht einmal erreicht.
„H-hilfst du mir?“, haucht es. Ich denke nicht lange nach. Glumanda braucht Hilfe, und eine Tsitru-Beere wird da nicht reichen. Normalerweise vermeide ich den direkten Kontakt zu Menschen. Ich zeige mich ihnen ab und zu, damit ihnen klar wird, dass etwas auf sie zu kommt, aber dann haue ich wieder ab – diesmal jedoch geht es nicht um mich und meine Katastrophen, sondern um das Leben des Glumandas. Ich muss das Pokémoncenter der Baumhausstadt aufsuchen. Das ist jetzt seine einzige Hoffnung.
„Ja“, antworte ich. Glumanda versucht, sich aufzurichten, aber Kälte – und vermutlich auch Hunger – haben bereits ihren Tribut gefordert. Seine Kraft ist aufgebraucht. Ich helfe ihm dabei, sich auf meinen Rücken zu setzen.
„Halt dich gut fest. Der Sturm kommt, und ich muss schneller sein als er.“
„Okay.“
Seine Flamme flackert beunruhigend, doch wenn ich mich nicht beeile, wird sie bald erlöschen.
Ich renne los. Im Gegensatz zu vorher achte ich nun genauer darauf, wo ich hintrete, denn jeder Sprung und jeder falsche Schritt könnte Glumanda von meinem Rücken werfen. Schneeschwere Äste hängen tief über der Erde, und ich habe meine gute Mühe damit, ihnen auszuweichen.
„Wie heißt du, Kleiner?“, frage ich dann, um ihn in ein Gespräch zu verwickeln und ihn auf diese Weise daran zu hindern, in einen Schlaf zu fallen, aus dem er vermutlich nicht mehr aufwachen wird.
„Rudolph“, antwortet er schwach.
„Freut mich, Rudolph. Ich bin Anna. Was hast du hier draußen getrieben?“
„Ich war mit Daddy unterwegs.“ Ich kann ihn über das Klappern seiner Zähne kaum verstehen, aber wer will es ihm verübeln?
„Und wo ist dein Daddy?“
„Ich w-weiß nicht.“ Nun mischt sich der verweinte Unterton in seine Stimme, den man üblicherweise kurz vor einem Heulkrampf hat. Ich wende kurz den Kopf und sehe über die Schulter. Rudolph hat sich in das dichte Fell gekrallt, was meinen Hals warmhält. Seine Augen sind zugekniffen.
In den folgenden Minuten kriege ich immer mal wieder ein Informationshäppchen aus Rudolph heraus. Anscheinend wollte sein Vater etwas zu Fressen suchen, kam aber von seiner Erkundungstour nicht zurück. Ich kann mir nicht besonders viele Szenarien ausdenken, die für ihn gut ausgehen, aber das sage ich nicht. Das kleine Glumanda hat auch so schon genug Sorgen. Wir verlassen den dichten Wald und gelangen an die Flussebenen. Zuerst floss hier wohl mal ein normaler Bachlauf, der aber im Laufe der Jahrmillionen zuerst zu einem reißenden Fluss geworden ist, an dessen Ende ein Wasserfall entstand. Die Elemente haben aus der einst flachen Ebene ein abgestuftes Terrain mit mehreren Wasserfällen und Klippen gemacht, und die Menschen können den Fluss ohne Hilfe nicht überqueren.
„Okay, Kleiner. Ich bin sicher, dass dein Daddy schon nach dir sucht. Aber du musst zuerst wieder zu Kräften kommen.“
„Er wird mich nicht finden“, gibt Rudolph zu bedenken.
„Nein, aber er ist schlau, oder? Er wird denken, dass du dich irgendwo versteckt hältst, und erst dann wieder rauskommst, wenn der Sturm vorbei ist. Bis dahin haben die Menschen dich wieder aufgepäppelt.“
„Wirklich?“
„Ja, wirklich. Und jetzt pass gut auf, wir müssen die Klippe da runter. Das wird holprig.“ Ich spüre, wie Rudolphs Griff sich verstärkt, und suche einen geeigneten Weg. Mit großen Sätzen springe ich von Felsvorsprung zu Felsvorsprung, komme unten am Ufer an und suche den Übergang. Mitten im Fluss ragen große Steine aus dem Wasser hervor. Im Sommer ist diese Abkürzung schon beinahe ein Spaziergang, heute jedoch kann ein einziger Fehler den Tod bedeuten. Erstes Adrenalin wird in mir ausgeschüttet. Fühlt sich gut an.
Durch Kälte und Wasser sind die Felsen mit einer dünnen Eisschicht überzogen, aber dank meiner Krallen rutsche ich nicht ab. Die eisigen Fluten tosen um uns herum, und dort, wo mich die Tropfen treffen, brennt es wie von kleinen Nadelstichen.
Gleichzeitig muss ich auf Rudolphs Flamme achten, und auch darauf, dass kein Wasser an das kleine Wesen auf meinem Rücken kommt. Ich kann dir sagen, dass das gar nicht so leicht ist. Wenn ich nicht so gut im Dunkeln sehen könnte, hätte ich sogar ein Problem.
„Sind gleich oben“, gebe ich so knapp wie möglich durch, um meinen Atem zu sparen. Am anderen Ufer sind die Klippen zum Glück noch rauer, sodass ich keine Probleme habe, die richtigen Stufen zu finden. Nach ein paar Minuten sind wir wieder oben angekommen und haben den reißenden Fluss hinter uns gebracht.
Rudolph antwortet mit einem kurzen Brummen. Ich spüre, wie meine Besorgnis wächst.
„Hör zu, Kleiner. Du darfst auf keinen Fall einschlafen, bis wir die Stadt erreicht haben. Verstanden?“
„Ja.“ Die Antwort ist sogar noch kraftloser als zuvor. Ich beiße die Zähne zusammen und jage über den eingeschneiten Weg. Von den Menschen wird dieser Pfad Route 119 genannt, und hier kann ich besser laufen als im Unterholz.
In der Ferne sehe ich die Lichter der Stadt durch den einsetzenden Schneefall scheinen. Ab jetzt ist Endspurt angesagt. Ich lege einen Zahn zu und überwinde die letzten Meilen in kürzester Zeit.
„Wir sind gleich da“, versuche ich Rudolph zu beruhigen, doch er scheint mich nicht zu hören. Mein Atem geht viel zu schnell. Ich brauche vermutlich auch eine längere Ruhepause, wenn das hier vorbei ist.
„Rudolph, hast du mich gehört?“
Wieder keine Antwort. Mein Herz setzt für ein paar Schläge aus.
„Rudolph!“ Ich blicke schnell über die Schulter und sehe, dass seine Flamme noch schwächer flackert.
„Nein, nein, nein! Bleib wach.“ Schneller kann ich beim besten Willen nicht laufen. Die Bäume ziehen wie grünliche Schlieren an mir vorbei und meine Pfoten berühren den Boden kaum. Für den Betrachter muss es aussehen, als würde ich über die weiße Schneedecke fliegen.
„Bleib wach!“, brülle ich. Die Stadt kommt näher und näher. Dichte Baumreihen empfangen uns, und die Flussebenen bleiben hinter uns zurück. Kalter Wind peitscht mir ins Gesicht und sträubt mein Fell. Ich weiß, dass das Pokémoncenter sich auf ebener Erde befindet, um den Reisenden den Weg nicht zu schwer zu machen. Die Baumstämme um mich herum sind dick und uralt, aber für die hölzernen Plattformen und die Gebäude in ihren Kronen habe ich keinen Blick. Wir erreichen die Stadt und ich hetze zwischen den Stämmen hindurch.
„Bleib wach.“ Ich halte keuchend vor einem weißen Haus mit rotem Dach und Glasfassade an. Der Schneefall wird stärker. Entschlossen trete ich vor und betrete das Gebäude durch die sich wie von Geisterhand öffnenden Türen.

~

Schwester Joy erschrickt beinahe zu Tode, als sie das schneeweiße Pokémon erblickt. Normalerweise bedeutet das Erscheinen eines Absols eine herannahende Katastrophe, doch das kann nicht der Grund dafür sein, wieso es das Pokémoncenter aufgesucht hat.
„Was hast du denn da auf dem Rücken?“, fragt sie beunruhigt. Absol kommt näher und sie erkennt den kleinen, orangefarbenen Körper und die schwach flackernde Flamme.
„Folge mir“, sagt Schwester Joy, die sofort erkannt hat, dass sie einen neuen Patienten behandeln muss.
Das Absol weicht nicht von ihrer Seite, während sie Glumanda behandelt und es anschließend in eines der Betten legt, damit es sich erholen kann.
„Ist das dein Freund?“, fragt sie lächelnd, als Absol sich neben dem Bett ausstreckt und offenbar dort übernachten will. Absol knurrt leise, nickt aber mit dem Kopf.
„Mach dir keine Sorgen. Glumanda wird spätestens zu Weihnachten wieder gesund sein. Du hast es gerettet.“
Sie bleibt noch lange auf dem Stuhl sitzen und sieht dabei zu, wie Absol auf das kleine Glumanda aufpasst. Joy vermutet, dass dieses Absol Glumanda im Wald gefunden und gerettet hat.
Ein Pokémon, das Katastrophen ankündigt, rettet ein Leben. Wenn das mal kein Weihnachtswunder ist, was dann?

Hey Sojin,
Ich kenne mich in vielen der von dir angegebenen Fandoms leider nicht aus, darum habe ich eine eiskalte Geschichte basierend auf deinen Lieblingspokémon geschrieben. Ich hoffe, dass du ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins Jahr 2016 erlebst, und dass du Spaß beim Lesen der Story hast.
Mit freundlichen Grüßen
dein Wichtel

[Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/Q5nO6w7.jpg]
[Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/DudvJrb.jpg]