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In diesem Thema habt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten zur Verfügung, die ihr den Texten im nächsten Beitrag geben könnt. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl ausreichend begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten.
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Zitat von Aufgabenstellung
Diesmal sollt ihr eine kurze Erzählung zum Thema Nacht schreiben. Dabei spielt es keine Rolle, worum sich die Geschichte dreht oder wer in ihr mitspielt, solange es in der Nacht passiert. Was kann geschehen, wenn die meisten Menschen schlafen? Trauen sich zwielichtige Gestalten aus ihren Löchern, oder verfolgt ihr den Weg eines geheimnisvollen Helden? Geht es um Schlafwandler, Vampire oder einfach nur ganz normale Menschen, die das Nachtleben genießen? Es liegt ganz bei euch. Ihr seid außerdem nicht dazu verpflichtet, Pokémon mit einzubeziehen.
Ihr könnt 8 Punkte verteilen, maximal 4 an eine Abgabe
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Achtet dabei darauf, bei der Schablone zwischen Doppelpunkt und ID/Punktzahl ein Leerzeichen zu machen, damit die Auswertung über den Voterechner ohne Probleme erfolgen kann. Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 20.3.2016, um 23:59 Uhr.
Deutsch: Sie wissen nicht, was ich im Dunkeln tue
“01:17” zeigt mir meine angeschlagene Digitaluhr. Noch immer sitze ich vor meinem etwas älteren, schwarzen Laptop. Weil ich zu faul bin, sieht er auch dementsprechend schmutzig aus. So wie jede Nacht um diese für normale Menschen unmenschliche Zeit sitze ich hier und verbringe meine Zeit weiterhin im Internet. Mein Körper ist schon halb verfallen, ich besitze nicht die geringste Menge an Kraft, und mein Körper ähnelt eher dem Modell eines Skeletts, welches man immer im Biologieklassenraum vorfindet. Eigentlich hasse ich, wie ich aussehe. Mein Aussehen sorgt für Vorurteile, die man mir ins Gesicht schleudert. Sie tun so weh... Meine Rippen sind deutlich zu sehen, es hat sogar schon jemand versucht, auf ihnen Xylophon zu spielen. Danach war ich im Krankenhaus...
Leute mögen mich nicht besonders, und ich mag sie nicht. Das geht sogar so weit, dass ich mich selber als Tier bezeichne und mich wie eines verhalte. Natürlich kann ich das in der Welt nicht zeigen, es würde andere nur darin bestätigen, wie abnormal und krank ich bin. Wie oft habe ich mir schon Wimpern ausgerissen, Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen ausgepustet, Marienkäfer gejagt, vierblättrige Kleeblätter gepflückt und Sternschnuppen gesehen, um mir wenigstens diesen einen Wunsch erfüllen zu können? Nicht mal in Worte fassen kann ich den Wunsch, so groß ist die Angst, dass man mich abweist.
Da ich Menschen nicht mag, und meine Eltern Menschen sind, vertrage ich mich auch mit ihnen nicht. Lob... habe ich schon lange nicht mehr von ihnen erhalten. Sie sehen in mir ein Genie, dass alles perfekt können muss. Doch das will ich nicht. Ihnen ist es egal. Egal welchen Weg ich einschlage auf dem langen Weg des Lebens, so würden meine Eltern jederzeit einen besseren Weg finden. Für sie könnte ich die Sterne vom Himmel holen, nur damit ich dann den Pluto vom Himmel holen darf.Selbst meine Mitmenschen unterdrücken meine Talente und Wünsche, damit sie selber wachsen können. Egal, dann bin ich sie schneller los...
Freunde? Ja, die habe ich. Aber wenn ich sie ansehe, kann ich sie nicht länger als Menschen ansehen. Das, was viele als Herz bezeichnen, könnte es nicht ertragen, wenn sie sich als Menschen entpuppen. Wenn wir schon darüber reden... Emotionen sind ein Problem. Negative Emotionen fühle ich, wie sie mich wie die Maden langsam zerfressen. Positive Emotionen wie Freude, die mir einen Hoffnungsschimmer geben würden, kann ich nicht spüren. Ich weiß, wie man sich verhält, aber mein Inneres fühlt sich ausgehöhlt an.
Liebe war mir schon immer egal. Die Wissenschaftler würden mich als asexuell bezeichnen. Stimmt, antisexuell würde als Begriff besser passen, selbst die größten Idioten der Menschheit würden das verstehen. Hehe, inzwischen hasse ich Menschen schon sehr...
Oft habe ich schon darüber nachgedacht, alles aufzugeben. Es wäre unendlich erleichternd, keine Last mehr spüren zu müssen. So oft habe ich in Alltagsgegenständen eine Möglichkeit gesehen, meinem elendigen Leben zu beenden. Scheren, Messer oder auch das Treppenhaus. Vielleicht den Zug mit dem ich immer zur Schule fahre. Niemand könnte mich aufhalten... Aber ich mache es nicht. Ob ich feige bin? Nein, ich habe einfach etwas, das mir das Gefühl gibt, weiter gehen zu können.
Das Internet ist toll... Man ist einfach nur ein Wesen, welches mit ein paar Buchstaben und Zahlen versehen wird und nicht als Mensch bezeichnet wird, das ist alles. Hier sind alle wie ich, wollen dem typischen Bild des Menschen nicht entsprechen. Aussehen, Sprachfehler, Verkrüppelungen... Sowas zählt einfach nicht mehr. Du wirst für das beurteilt, das du bist. Durch diese alternative Welt habe ich Halt gefunden. Werde respektiert... Es ist wie ein Traum... Bis spät in die Nacht bin ich hier unterwegs und schlafe tagsüber, entschlüpfe der echten Welt immer mehr. Realität? Virtualität? Inzwischen sehe ich dazwischen keinen Unterschied mehr, erkenne es einfach nicht. Das ich so viel Zeit im Internet verbringe, merkt man mir an. Denn meine Freunde, die habe ich nur im Internet, die zwei die ich wirklich hatte... Sind weg. Waren wohl nie Freunde. Mir wurde gesagt, Freunde halten zueinander. Das haben sie nicht getan, also sind sie keine Freunde.
Im Internet bin ich inzwischen sehr berühmt, habe Freunde, werde respektiert und habe alles, was ich jemals wollte. Trotz alledem... Weine ich... Deswegen liebe ich die Nacht. Niemand weiß, was ich in der pechschwarzen Dunkelheit der Nacht mache. Mein Herz hülle ich auch in eben dieser Dunkelheit ein, um niemanden meine Probleme anvertrauen zu müssen. Zu groß wäre das Risiko, das Internet durch eine Therapiemethode oder ähnliches verlieren zu müssen... In der Nacht ist man alleine, niemand wird mich jemals wieder unterdrücken oder verletzen können.
Trotzdem weine ich.
Batman, Pokémon, Sailor Moon, Marvels Avengers, Deadpool
„Stille liegt über dem Wald, den ich meine Heimat nenne, den ich schütze. Kein Laub berührt den Wind, kein Stern fliegt aus der Bahn, solange ich hier bin, solange ich wache. Und ich wache ewig! Nichts, aber auch nichts kann mich aus dem …“
„Hey Karpador, was machst du auf dem Baum?“
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst treuer Waldbewohner, ich bin nicht Karpador! Ich bin … ähm ...“
„Du siehst aber aus wie mein Kumpel Karpador. Du hörst dich auch so an wie er. Willst du nicht lieber von dem Baum herunter kommen, bevor du dir noch weh tust?“
„Ich sagte dir bereits Pikachu, ich bin nicht Karpador!“
„Du kennst sogar meinen Namen!“
„Jedes Pikachu in diesem Wald hier heißt Pikachu! Jedes verdammte Pikachu auf der Erde heißt Pikachu!“
Seufzend legte ich die Arme an die Hüften, bevor ich mich selbst zum Baum begab, an dem Karpador – wie auch immer es da hoch gekommen war – saß.
Obwohl es ziemlich dunkel war, konnte ich seine Umrisse deutlich erspähen, kannte seine Stimme. Und diese komische Maske, die nur seine Augen verdeckte, ließ ihn nicht weniger wie ein Karpador aussehen, abgesehen von dem …
„Trägst du da ein Sailor Moon Outfit?!“, fragte ich verdutzt.
„Das ist ein Cosplay!“
„Ah ja … ist klar. Zwing mich nicht auf den Baum zu klettern Karpador!“, drohte ich.
„Ich bin der Kämpfer für Liebe und Gerechtigkeit! Ich bin Batman! Ich kenne diesen Karpador nicht, von dem du sprichst.“
„Oh, du spielst Superheld, ist klar. Komm jetzt von dem Baum herunter, bevor dich noch jemand so sieht. Dann spiele ich später auch mit dir Batman & Robin … oder Sailor Moon und … welche von denen schießt noch mal Blitze? Ähm … warte ich hab's gleich … Thor? Es war Thor, oder?“
„Das ist nicht einmal das richtige Fandom! Es ist Sailor Jupiter! Und abgesehen davon, du bist weder ein guter Robin noch bist du eine gute Sailor Jupiter! Du bist nicht einmal ein Weibchen!“
Ich seufzte erneut, bevor ich ansetzte, auf den Baum zu klettern.
„NEIN, weiche böser Geist!“, schrie Karpador, bevor es Platscher einsetzte.
„Du machst dich lächerlich!“, seufzte ich. Kurz darauf, befand auch ich mich auf dem Baum, während Karpador immer noch hilflos vor sich her platscherte.
„Oh ja, das hat es mir echt gegeben“, kommentierte ich sarkastisch, „ich erzitterte bereits vor Angst! So, aber genug davon, können wir jetzt bitte nach Hause!“
Inzwischen hatte Karpador seinen Kampfruf in „Batman-Jump“ geändert, was absolut keinen Sinn ergab, aber gut, er war hier der verrückte im Sailor Moon Kostüm, oh … tschuldigung, Cosplay, der sich Batman taufte.
Glücklicherweise schienen alle anderen zu schlafen, also würde wohl niemand von … dem hier … was auch immer das hier war, erfahren.
Mit einem schnellen Griff packte ich Karpador, und kletterte mit ihm wieder hinab, auf den Boden, während es weitere Kampfesschreie von sich gab, sich in meinen Händen windend und Platscher ausführend.
„Ich habe ihn fertig gemacht. Ihr habt es doch alle gesehen!“, sagte Karpador schließlich, als wir den Boden erreicht hatten.
„Ihn? Von wem sprichst du?“
„Ich rede doch nicht mit dir, ich rede mit den Lesern!“
„Mit wem? OK, ich glaube du bist etwas zu viel herum geplatschert. Genug Batman für heute Nacht“, murmelte ich kopfschüttelnd.
„Ich hab total die vierte Wand durchbrochen. Ich bin jetzt Deadpool…. Nein … ich bin Batpool. Yeah“, erklärte er, doch ich war nicht sicher, ob er mit mir oder mit sich selbst sprach. Es war wohl eine Kombination aus beidem, doch da ich nicht weiter darauf einging, schien er es auch wieder dabei zu belassen.
„Und wieder wurde eine Nacht vom magischen Batman gerettet. Was wird er wohl als nächstes tun?“, schrie Karpador. Da es nicht freiwillig mit ging, trug ich es in meinen Armen.
„Schlafen Junge! Du wirst jetzt schlafen, so wie normale Pokemon das eben machen!“
„Ich bin kein Pokemon, ich bin Batman!“
Nachtes
Tanzes
Manches
???
Mir fiel nichts mehr ein. Traurig aber wahr.
Ich studierte Germanistik an der Hochschule in Freiburg. Unser Lehrer hatte uns eine ganz einfache gestellt, nämlich, um ihn mal zu zitieren in seiner üblichen Krächzstimme;
>> Schreibt mir ein Gedicht über das Thema Nacht! 72 Worte und keines mehr!<<
Idiot. Er weiß ganz genau, dass ich von Gedichten keine Ahnung habe. Aber gut. Den Anfang hatte ich ja schon mal! Nun musste mir nur noch der Rest einfallen, was sich als gar nicht mal so simpel darstellte, da ich mich in der unruhigen Stimmung der Bahn nicht konzentrieren konnte.
Ich saß im letzten Abteil, während sich zwei alte Herren über alte Fernsehsendungen unterhielten, Jugendliche Lärm machten und schlechte Rapmusik hörten und der Fahrkartenkontrolleur herumschrie.
Kann die Bahn zur Abwechslung nicht mal wieder streiken?
Was soll’s. Ich steckte meinen Notizblock in meine Tasche und stand auf, als der Zug anhielt. Haltestelle Ulm. Ich stieg aus, es war bereits finsterste Nacht. Der Bahnhof wurde einzig durch schwache Lichter beleuchtet. Außer ein paar Obdachlosen war sonst niemand da. Na gut, dass stimmt so nun auch wieder nicht – da war diese junge Frau. Ihre rabenschwarzen Haare waren durcheinander, so als sei sie gerade eben erst aufgewacht. Ihr blasser Haut ton unterstrich selbiges. Sie untersuchte den Fahrplan.
>>Es ist gefährlich für eine Frau, nachts alleine hier zu sein<< sagte ich.
>>Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, Danke<< antwortete sie.
Gespräch beendet. Wie unfreundlich, dachte ich mir und ging die Treppen empor. Als ich nach einer weiteren Heimreise endlich in meiner Wohnung angekommen war, ließ ich mich einfach nur noch ins Bett fallen, vergaß alle Sorgen und Hausaufgaben dieser Welt und schlief die nächsten 8 Stunden.
Ich hatte einen schönen Traum. Von Erdbeerkuchen, der niemals weniger wurde, egal, wie viel man davon aß. Leider weckte mich das Klingeln des Weckers in aller Herrgottsfrühe um 7 Uhr. Ich fluchte und warf das Ding gegen die Wand, um mich umzudrehen, als mir einfiel, dass ich den 7:18 Zug erwischen musste, um nicht schon wieder zu spät zu meinem Job zu kommen. Denn dieses Mal würde man mich kündigen, dass hatte Herr Müller mir Schwarz auf Weiß gegeben. Mieses Arschloch.
Ich erwischte die Bahn noch. Ich kramte in meiner Tasche und bemerkte, dass ich meine Monatskarte daheim vergessen hatte. Ich schlug meinen Kopf gegen die Wand und weinte, als mich plötzlich jemand von hinten antippte.
>>WAS?!<< fragte ich genervt. Es war die Frau vom Vorabend.
>>Es ist gefährlich, seinen Kopf gegen die Wand des Bahnhofs zu hauen<< sagte sie und lächelte dabei.
>>Ich weiß. Aber ich habe meine Karte vergessen und wenn ich jetzt den Zug nicht nehme, dann kündigt mir mein Chef und wenn das kommt, dann wird man mich wieder bei der Universität belehren von wegen…<<. Sie hielt mir ihre Karte hin.
>>Nehmen sie doch einfach meine?<< fragte sie. Sie fragte weniger, als dass sie sie mir aufschwatzte. Sie wäre bestimmt eine gute Versicherungsmarklerin.
>>Das kann ich nicht annehmen. Die brauchen sie doch selber?<<
>>Eigentlich nicht. Das hier war mein Zug.<<
>>Nachtschicht, was?<<
>>So was in der Art.<<.
Das Signal ertönte, sie drückte mir die Karte in die Hand. Ich bedankte mich und stieg schnell ein.
Ich freute mich. Was. Für. Ein. Glück.
Nein, ich wurde nicht gekündigt. Ja, die Universität danach war anstrengend. Das einzige worauf ich mich an diesem Tag freute, war der Abend. Denn als der Zug am Abend wieder in Ulm einfuhr, konnte ich die Frau bereits an der Bahnsteigkante sitzen.
>>Hier ist ihre Karte. Haben sie extra nur dafür hier gesessen?<< fragte ich.
>>Ich wollte sie wiedersehen<< antwortete sie. Ich errötete förmlich. Dann lachte sie und verbesserte sich:
>>Ich muss gleich arbeiten. Aber wer weiß, ob man sich nicht mal wieder sieht?<<
Sie stieg ein in den Zug und als dieser abgefahren war, bemerkte ich, dass sie ihre Brieftasche vergessen hatte. Absicht? Alles war da – Personalausweis, Geld, EC-Karten. Alice Minch hieß sie also. Da fiel mir auf, dass sie mir ihren Namen ja gar nicht verraten hatte. Für einen kurzen Moment reizte mich der Gedanke, dass Geld einfach zu nehmen, aber ich konnte den Teufelchen auf meiner Schulter beruhigen und entschied, ihr am Morgen einen Besuch abzustatten.
Die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen. Was ist, wenn sie einen Freund hatte? Oder wenn sie mich gar nicht leiden kann? Wüste Beschimpfungen ihrerseits schwirrten in meinem Raum umher, angefangen von „Arschloch“ hinüber zu „Stalker“.
Auch am Morgen waren diese Sorgen noch präsent. Auf dem Weg zu ihrer Wohnung wurde es auch nicht besser. Es war ein schöner Morgen, langsam ging die Sonne auf. Ungewöhnlich erweise früher als sonst. Langsam wurde es Sommer, herrlich.
Ich klingelte. Niemand öffnete. Komisches Haus.
>>Hallo?<< fragte ich, da eines der Fenster auf Kipp geöffnet war. Keine Antwort. Deprimiert wollte ich wieder dahingehen, als sie plötzlich da war. Ich erschrak.
>>Sie?<< fragte sie leicht nervös.
>>Ja.<< sagte ich erst einige Sekunden lang, entzückt von ihr. Dann fiel mir wieder die Brieftasche ein, die ich ihr gab.
>>Die haben sie vergessen. Jetzt sind wir wohl quitt?<< fragte ich grinsend.
>>Oh, viele Dank.<< sagte sie und verschwand in ihrem Haus.
Das war eine Abfuhr. Ich ärgerte mich über mich selbst, als ich bemerkte, dass die Haustür nur angelehnt war. Ich verstand nicht.
Ich machte die Tür auf.
>>Hallo? Frau Alice?<< fragte ich.
Die Wohnung war düster. Stockfinster. Wo war denn nur der Lichtschalter? Ich tastete mich langsam heran, da ich bekannte Geräusche hörte. Immer wieder fragte ich nach ihr, aber ich bekam keine Antwort. Ich hörte Wasser sprudeln.
Ich betrat das Bad und drückte an der Wand herum. Als ich den Schalter fand, betätigte ich ihn. Das Licht war aus und ging nicht an.
>>Hören sie auf damit<< sagte Alice in einem harschen Ton.
>>Sind sie das? Was machen sie da?<< fragte ich.
Ich näherte mich und sah, dass sie ihre Arme wusch. Sie waren mit einem Ausschlag versehen.
>>Was haben sie? Brauchen sie einen Arzt? << fragte ich.
>>Nein, bloß nicht. Verschwinden sie!<< antwortete sie und atmete schwer. Ich verließ die Wohnung mit einem mulmigen Gefühl.
Ich drehte mich um. Die Rollläden waren unten.
Die Tage strichen vorbei. Ich kam mit meinem Gedicht einfach nicht voran.
Tief in der Nachtes
Erblickt bei ihrem lieblichen Tanzes
Versteht man so Manches . . . ?
Ich heulte, denn von dieser Hausarbeit hing meine Semesterbewertung ab. Diese Frau . . irgendwie inspirierte sie mich. Aber was war nur mit ihr? Wieso verhielt sie sich so komisch?
Als sie eines Morgens nach Hause kam, wartete ich in ihrer Wohnung auf sie. Ja, das war verrückt. Aber ich hoffte, dass ein Essen bei Kerzenschein dies entschuldigen würde. Sie betrat das Wohnzimmer und fragte:
>>Was zur Hölle?<<
>>Ich hatte keine Möglichkeit, mich bei dir zu bedanken<<
>>Ich habe doch gesagt, dass sie verschwinden sollen? Und jetzt so etwas?<< Sie schrie mich an.
>>Ich kenne dein Geheimnis<< sagte ich. Sie wurde still.
>>W-Wie?<< fragte sie.
>>Na, den Grund, warum du dich in dieser Wohnung hier verkriechen. Und warum du nur Nachts draußen bist. Und warum du letztens so eilig geflüchtet sind. Alice, du bist ein Sonnenallergiker, richtig?<<.
Sie antwortete nicht. Ich umarmte sie, woraufhin sie zu weinen begann.
>>Möchten sie jetzt etwas essen? Ich habe gekocht<<
>>Bolognese zum Frühstück?<< fragte sie lachend.
Wir unterhielten uns lange. Und je mehr, desto symphytischer wurden wir uns. Sie war schon seit ihrer Geburt alleine, da die Allergie jeglichen Sozialkontakt unmöglich machte. Deshalb lebte sie nun seit 24 Jahren in ihrer Wohnung, arbeitete nachts und schlief Tagsüber.
>>Nur sehr schwaches Licht macht mir nichts aus. Wenn ich einkaufen muss, dann muss ich zu diesem 24 Stunden Laden um die Ecke. Der hat leider keinen Fisch. << Sie lachte.
Ich fand es interessant, einen Menschen kennenzulernen, der immer noch lachen konnte.
>>Ich…<< sagte sie, >>Habe nie den Sonnenaufgang miterlebt.<<
>>Nicht?<<
Die Zeit raste. Ich schaute auf die Uhr, es war bereits nach 7. Ich nahm ihre Hand und sagte:
>>Schnell, folge mir<<. Ich führte sie in den Stadtpark, zum Glück war es noch dunkel.
>>Was wollen wir hier?<< fragte sie. Wir waren am kristallklaren See. Der Tau war noch auf den Pflanzen, als die Sonne langsam aufging. Ich nahm Alice mit mir hinter einen Baum und sagte zu ihr:
>>Das hier ist mein Lieblingsplatz. Schau mal<<.
Sie sah den Sonnenaufgang. Dieses für jedermann zur Gewohnheit gewordene, wunderbare Ereignis erfüllte ihre Augen und ihre Seele mit einer wohligen Wärme.
Sie lächelte. Und ich auch, als wir uns im Schatten des Eichenbaumes küssten.
Dazu verdammt, ein Leben in der Nacht zu führen. Aber eines mit Liebe.
Tief in der Stille des Nachtens
Vereinigen sie sich für ihres Tanzes
Merkwürdig im Leben, wie so Manches
Jeder Schritt ist ein Teil des großen Ganzes
Das Leben ist mist, denn es scheint
Als sei die Sonne ihr größter Feind
Lebensspender? Nein, sie weint
Wir waren allein, doch jetzt ist endlich mein
Schwarze Haare, blasse Haut, funkelndes Lachen
Lassen das Feuer in meinem Herzen entfachen
Nachtaktiv, Unreal
Wann ist Liebe schon normal?
Es war das erste Mal. Der Wind pfiff durch die Äste der Bäume und brachte das Laub zum Rascheln. Dann wurde es still. Ja, es war das erste Mal, dass er ganz allein unterwegs war. Er hatte sich weggeschlichen, als er davon überzeugt war, dass die anderen schliefen oder ihn nicht bemerken würden. Seitdem seine kleinen Geschwister auf der Welt waren, drehte sich alles um sie und das gab ihm die Möglichkeit sich unter den Augen der Erwachsenen wegzuschleichen. Genau das hatte er diese Nacht vor.
Nein, er würde nicht weglaufen. Seine Heimat war schön, seine Familie zwar manchmal streng, aber auch das Einzige, was er besaß. Er war zufrieden, auch wenn in ihm der Wunsch pulsierte mehr von der Welt zu sehen. Der alte Graupfote amüsierte sich gerne über ihn, hatte gemeint, dass er langsam in eine rebellische Phase kam. Dabei musste dazu gesagt werden, dass er recht pflegeleicht war. Eine extrovertierte Seite besaß er nicht. Lieber beobachtete er die anderen aus dem Hintergrund und überließ ihnen den Mittelpunkt. So war er schon immer gewesen, was vermutlich an seiner dramatischen Geburt lag. Denn beinahe wäre nicht nur seine Mutter an dieser gestorben, sondern auch er selbst. Viele aus seiner Familie dachten deshalb, dass er so … anders war. Weniger euphorisch. Er blieb meistens zurückhaltend, was jedoch nicht bedeutete, dass er nicht seine Position verteidigte. Schüchtern war er nicht, nur … zurückhaltend. Er wollte seinen eigenen Weg einschlagen und das tat er diese Nacht. Denn den Wald hatte er in dieser Dunkelheit noch nicht erlebt.
Nebelschatten konnte das Rufen der Eulen im Wald hören, ebenso das leise Zirpen der Insekten. Er hörte es hier und dort knacken und ging weiter. Mit nackten Füßen nahm er den Waldboden wahr und war es gewohnt. Er liebte es sogar! Deswegen freute er sich, so dass ein selten gesehenes Lächeln auf seinen Lippen entstand.
Ruckartig blieb er stehen, als er zwischen den Büschen hindurch huschte und dann das Heulen im Hintergrund hörte. Andächtig lauschte er und wusste, dass Butterblume und Adlerauge unterwegs waren, um Patrouillen im Revier zu machen. Sie achteten darauf, dass auch nachts sich niemand zu ihnen verirrte, damit kein anderes Rudel ihnen zu nahe kam. Nebelschatten fühlte sich sicher. Butterblume und Adlerauge waren zu weit weg, um ihn hier zu entdecken, daher lief er weiter. Wüssten sie es, dass er durch den Wald wetzte, wären sie böse auf ihn geworden und hätten ihn zurück zu den Alphas gebracht – seinen Eltern. Das wollte er nicht, denn sein Ziel lag an der Grenze des Reviers, direkt am Ende der Baumreihen, wo ein sehr breiter Fluss durch das Gebiet floss. Er bildete dadurch zwei Teile des großen Waldes, was wiederum dazu führte, dass sich zwei Rudel niedergelassen hatten. Einmal die Seite, auf der Nebelschattens Familie lebte und dann eben die andere Seite des Flusses, wo er noch niemals gewesen war. Diese andere Seite interessierte ihn sehr und er würde zu gerne mal rüber schauen, wie es dort aussah. Gab es andere Tiere, die man jagen konnte? Wie war das Rudel dort, welches seine Familie als Feinde ansah? Man war sich nie begegnet, zumindest war Nebelschatten bei solch einem Aufeinandertreffen nie dabei gewesen. Meistens ging man sich aus dem Weg, aber das war Nebelschatten nicht genug. Er wollte mehr sehen!
Mehr zu sehen bekam er auch, als er tatsächlich den Waldrand erreichte und auf den Fluss hinab blickte. Dadurch, dass er sich seinen Weg durch dieses Gebiet suchte, grub das Wasser sich immer weiter tiefer in die Erde hinein. Um auf die andere Seite zu kommen, konnte man über die Felsen im Wasser springen oder direkt schwimmen. Ob er es wagen sollte? Gerade als Nebelschatten sich zum Flussufer aufmachen wollte, erkannte er eine Bewegung auf der anderen Seite des Flusses. Sofort war er alarmiert und duckte sich hinter ein paar Büschen. Seine silberblauen Augen fixierten das Geschöpf auf der anderen Seite. Er musste warten, um es richtig zu erkennen, denn das Wesen sprang über die Felsen. Bevor es seine Seite erreichte, rutschte es aus und fiel ins Wasser. Erschrocken darüber sprang Nebelschatten aus seinem Versteck und lief zum Fluss. War es weg? Untergegangen? Er suchte die Wasseroberfläche ab, die ruhig dalag. Der Fluss war an dieser Stelle nicht so wild wie weiter südlich. Als er schon glaubte nichts mehr zu sehen, brach jemand durch die Wasseroberfläche, weswegen er ein paar Schritte zurücktaumelte und mit großen Augen dabei zusah, wie das kleinere Geschöpf ans Flussufer watete.
„Oh Mist“, fluchte sie, denn es war ein Mädchen, mindestens ein Kopf kleiner als er. Ihre Haare waren sehr hell und hingen nass an ihrem zierlichen Körper hinab. Ihre Augen leuchteten bernsteinfarben und sonst sah sie nicht viel anders aus, als die Wölfe aus seinem Rudel. Sie trug das Wolfsfell um Hüfte und Oberkörper und das Ende der Wirbelsäule bildete die Rute eines Wolfes. Sie waren Wolfsmenschen, in der Lage die Formen zu ändern wie sie wollten und doch waren sie niemals rein menschlich. Die Rute war Teil ihres Aussehens und half ihrem Gleichgewichtssinn. Das Mädchen ihm gegenüber wies weißes Fell auf. Dort, wo nicht nur die menschliche Haut zu sehen war, war sie mit weißen Fell bedeckt. Das war … ungewöhnlich. In Nebelschattens Rudel gab es keine weißen Wölfe. Sie waren braun oder grau, meistens mehrfarbig mit ein bisschen weiß, aber rein weiß? Nein, das nicht.
„Oh?“ Sie bemerkte ihn und ihm selbst fiel auf, dass er sie die ganze Zeit nur angestarrt hatte, ohne etwas zu sagen. Auch jetzt fiel ihm nichts ein, was er sagen sollte. War sie nicht vom feindlichen Rudel? Musste er sie nicht daher vertreiben und deswegen eine abwehrende und knurrende Haltung einnehmen? Selbst wenn, er tat es nicht und beobachtete sie, wie sie den Kopf leicht zur Seite legte und ihn neugierig musterte. Er selbst hatte dunkles Haar und eine schwarze Rute, sowie sein Fell am Leib ebenfalls von dunkler Farbe war. Er kam mehr nach seinem Vater und wies kaum Ähnlichkeiten mit seiner Mutter auf.
„Wer bist du?“, wollte sie wissen. Ihre Stimme war hell und klar. Da er aber nicht antwortete, ergriff sie erneut das Wort.
„Kannst du nicht sprechen?“, fragte sie und kam näher auf ihn zu, umrundete ihn, musterte ihn, beäugte ihn von allen Seiten. Es war ihm unangenehm und gleichzeitig war er über dieses Verhalten verwirrt. So viel Neugierde für ihn war er nicht gewohnt! Da seine Familie ihn von seiner Geburt an kannte, kamen sie ihm nie so nahe. Denn obwohl Nähe unter Wölfen etwas Selbstverständliches war, hatte er sich frühzeitig dieser Nähe entzogen. Er wusste nicht einmal warum, nur dass es ihm so lieber war.
„Was … machst du hier?“, fragte er, als er sich an seine eigene Stimme erinnerte, ohne auf ihre Fragen einzugehen.
„Ich? Oh, ich wollte mal gucken wie es hier so ist! Und schauen, ob hier wirklich so böse Wölfe leben wie mein Großvater immer sagt!“, plapperte sie drauf los und überraschte ihn noch mehr.
„Aber du siehst nicht gerade böse aus, sondern ganz normal“, meinte sie und legte den Kopf auf die andere Seite.
„Äh … “ Was sollte er auf so viel Neugier und Sprachgewalt noch antworten? Selbst wenn er gewollt hätte, er kam nicht mehr dazu. Im Hintergrund hörte er wieder das Heulen von Butterblume und Adlerauge und wusste, sie waren ganz nahe.
„Schnell, du musst hier weg!“, drängte er die weiße Wölfin wieder zu gehen. „Wenn sie dich sehen, dann … !“ Die kleine Wölfin verstand ihn, auch wenn sie so wirkte, als wollte sie sich nur ungern verabschieden. Nebelschatten musste sie sogar zum Fluss schieben. Er dachte nicht einmal darüber nach, sondern tat es einfach. Warum? War sie nicht ein Feind? Warum schützte er sie?
„Seh' ich dich wieder?“, wollte sie wissen bevor sie den Fluss überqueren würde. Nebelschatten sah sie verdutzt an. Was es auch war, was er in ihren Bernsteinaugen erkennen konnte, es führte dazu, dass er zustimmend nickte. Das löste ein freudiges Lächeln auf ihren Lippen aus, was sein Herz zum Stolpern brachte.
Was war das?
Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, musste sie gehen, weswegen sie auf den ersten Felsen sprang.
„Dann sehen wir uns bald wieder, ja? Äh … “, stutzte sie nun selbst. Er verstand sofort.
„Nebelschatten“, antwortete er, denn seinen Namen hatte er noch nicht genannt.
„Gut, Nebelschatten! Dann sehen wir uns bald wieder! Ich bin Mondblüte“, rief sie ihm zu und sprang von einem Fels auf den anderen, um auf die andere Seite zu kommen. Nebelschatten konnte nichts anderes tun, als ihr hinterher zu starren. Was war das für eine Begegnung eben gewesen?
„Nebelschatten!“ Als er seinen Namen mit einem wilden Knurren hörte, zuckte er zusammen, duckte sich ein wenig und drehte sich um. Er wusste, dass er gleich mächtig Ärger bekommen würde, denn Adlerauge hatte den Waldrand erreicht und neben ihm stand Butterblume in ihrem hellen Fell, was ihr den Namen als Welpe eingebracht hatte.
Trotz allem wusste er, dass er bald schon wieder in einer Nacht zum Fluss kommen würde.
Wegen Mondblüte.
Eine angenehme, warme Brise wiegt in einer Juninacht einzelne Blätter im Wind. Die Flora steht in voller Blüte und das Dickicht des Waldes leuchtet am Tag in den sattesten Grüntönen.
Im Schutze der Dunkelheit erkennen jedoch nur scharfe, aufmerksame Blicke das Steinkäuzchen, das sich in den Farben des Holzes kleidet. Es ist der Maserung seines Baumes, seines Heims, angepasst, immer in der Hoffnung, dass seine Gattin, seine Kinder und er keinem Raubtier zum Opfer fallen. Ihr Brustgefieder und Teile ihrer Schwingen sind weiß gescheckt, für manche ein beliebtes Fotomotiv.
Seit drei Jahren sitzt das Pärchen dort, Tag ein, Tag aus, Nacht ein, Nacht aus, und pflegt ihr Gelege.
Heute, in der schönen Juninacht, ist es soweit. Rufe sind zu hören, hungrige Schreie. Kaum verging das leise Knacken der Eierschalen, strecken die Kleinen ihre Köpfchen hoch, reißen ihren Schnabel weit auf – er erscheint fast so groß wie das Küklein selbst - und schreien. Sie sitzen in ihrer behüteten Höhle und fordern nach Nahrung, in den nächsten Tagen, Wochen, immer mehr und mehr.
Mama und Papa Käuzchen sind brav und fleißig. Die Rufe können sie nicht ignorieren. Feldmäuse, Regenwürmer, gar kleinere Vögel. Die Käuzchen sind selbst nicht groß, gerade einmal mit einer Taube oder Amsel zu vergleichen, doch sie geben ihr Bestes.
Sie sind fleißig, aber das Leben macht es ihnen schwer. Es sind die Menschen, das wissen sie. Ihre Lieblingsbäume wichen Feldern. Ihr altes Heim war gerodet worden. Diesen Frühling fanden sie diesen alten Baum. Er gibt ihnen ein gutes Gefühl, sieht so kräftig und standhaft aus. Das erscheint ihnen beständig. Hier kann man beruhigt die weit aufgerissenen Schnäbel füttern.
Jene betteln und betteln. Die Schreie sind unerträglich. Die Käuzchen geben ihren Instinkten nach, wissen, sie können die Kleinen nicht hungern lassen.
Durch die Blätter fallen einzelne Schlieren Mondlicht ein. Ein Mensch könnte kaum etwas erkennen, doch die Wesen der Nacht, Eulen, Ratten, Katzen, finden sich zurecht.
Die riesigen, gelben Augen bereiteten den Menschen in früheren Zeiten Angst, denn die Nacht, das Ungewisse, jagt ihnen einen Schrecken ein, sodass sie früh begangen viele dieser Tiere als Monster zu bezeichnen. Hexen soll sie folgen und Dämonen begleiten, die Eule; die Seelen in den Tod geleiten, das Käuzchen. „Kiwitt“ soll es schreien. Aus einem Irrglauben heraus sahen und hörten die Menschen das, was sie sehen und hören wollten. „Komm mit, komm mit“, soll das Käuzchen Nacht um Nacht die Seelen rufen, die sie ins Jenseits geleitet. Jedoch sind dem Tier freundlichere Mythen zu Ohren gekommen. Weise soll es sein, sogar die treue Begleiterin der Göttin Athene.
Was ist das Käuzchen denn nun? Nur eine gute Mutter, ein guter Vater, lauscht aufmerksam in die Nacht, die nicht so still ist, wie sie den Menschen scheint.
Im Gestrüpp hofft sie auf ein Geräusch, das ihre Beute verrät. Ein Nagen, das sachte Trappeln der Pfötchen auf dem weichen Waldboden. Irgendetwas ist es immer, das die Mäuse verrät.
Das Käuzchen wird aufmerksam. Dort! Ein Rascheln. Nicht weit entfernt. Endlich könnte das aufdringliche Schreien und Gieren der Küken nach Nahrung gestillt werden.
Des Käuzchen Flügelschläge sind lautlos, die Federn ein kleines Wunder der Natur, wie ihr gesamter Körper. So überlegen, wie der Jäger ist, so hilflos ist das arme Beutetier.
Auch die Maus möchte sechs Jungtiere versorgen. Sie lebt höchstens zwei Jahre, sollte sie nicht zur Beute werden. Ihr ganzes Leben bringt sie damit zu ihre Babys zu versorgen – doch auch das Steinkäuzchen möchte seine Küken und sein Weibchen satt wissen. Immerzu beschützt seine Frau die Küklein und wärmt sie mit ihrem Gefieder.
Er packt die Maus mit seinen Krallen, ignoriert das Quieken, und freut sich, dass er auch diese Nacht wieder ein guter Vater sein darf. Nacht um Nacht um Nacht…
Die Kleinen sind wenige Stunden alt, aber ihre Schnäbel sind riesig und gierig. Irgendwann werden sie hoffentlich dasselbe tun: Ums Überleben kämpfen, sich und ihre Jungen mit Nahrung versorgen. Doch sie werden es schwer haben. Brutplatz um Brutplatz verschwindet. Die Übriggebliebenen sind heiß begehrt.
Im nächsten Sommer ist der alte Baum verschwunden, obwohl er ihnen standhaft zu sein schien.
Was mit den Käuzchen geschah, weiß niemand so recht.
Deutsch: Gefundenes Bildmaterial
''Hey, nimmst du auch alles auf?''
''Natürlich. Ich bin doch Profi.''
''Ach echt? Zeig mal die Aufnahmen, die du bisher hast.''
''Hier.''
''Da ist nichts zu sehen.''
''Was?''
''Du hast die Funktion auf eine reine Tonaufnahme umgeschaltet.''
''Uuh, warte kurz. Jetzt sollte es gehen.''
Klick. Das perfekt gestylte Gesicht eines jungen Mannes kommt ins Bild.
''Jetzt läuft die Kamera und nimmt dein Bild auf, Shin. Du siehst wie immer super aus.''
Der Mann lächelt und zupft noch ein wenig an seiner Krawatte.
''Danke, Toru.''
''Dann erklär' den Zuschauern doch mal genau, was wir hier vorhaben.''
Die Kamera folgt Shin, während dieser durch den Raum spaziert. Das ganze Zimmer ist mit einer dicken Staubschicht bedeckt, die sich auf den Holzdielen festgesetzt hat. Es gibt ein kleines Fenster, welches teilweise mit Brettern zugenagelt ist. Durch die freien Stellen scheint die Abendsonne herein. Shin zeigt mit einer Hand auf das Fenster.
''Sehr geehrte Zuschauer, wir befinden uns hier in einem abgelegenen Teil des Mondbergs in der Kanto-Region. Vor wenigen Tagen habe ich bei meiner Recherche eine sehr vertrauenswürdige Quelle gefunden, die mir beweisen konnte, dass in genau dem kleinen Tal, welches sich hinter diesem verlassenen Blockhaus befindet, die außerirdischen Piepi an Vollmondnächten ihre mysteriösen Rituale abhalten.''
Shin starrt kurz auf das Fenster.
''Wir sollten die Bretter abnehmen, bevor die Sonne untergeht. Sonst kannst du nicht so gut filmen, oder?''
''Ja, können wir machen.''
Das Bild sinkt mit einem leisen Klack zu Boden, als die Kamera abgelegt wird. Von der Seite kommt Toru ins Bild. Seine lockeren Jeans und sein weißes Shirt stellen einen rauen Kontrast zum adretten Shin dar. Gemeinsam zerren die beiden Männer an einem der Holzbretter, bis sie es vom Fenster lösen können. Dann folgt kurz darauf ein zweites, welches sie zum ersten auf den Boden neben das Fenster legen. Toru eilt aus dem Bild und kurz darauf steigt es wieder auf.
''Okay, erzähl weiter, Shin.''
Shin tritt erneut ans Fenster heran und zeigt mit dem Finger hinaus. Die Kamera folgt seiner Hand und filmt die Umgebung.
''Wie Sie sehen können, befinden wir uns in einem kleinen abgeschlossenen Tal im östlichen Teil der Gebirgskette, welche den Mondberg umfasst. Sie ist nur über einen verborgenen Tunnel zugänglich.''
Die Kamera schwenkt über die hohen Felswände, die das Tal umschließen. Die Sonne ragt nur noch schwach über den Spitzen der Berge auf. Nun fixiert sich die Kamera auf die Fläche in der Mitte des Tals.
''Außerdem befindet sich unten im Zentrum des Tals ein kleiner See. Unserer Quelle nach ist es genau diese Quelle, in der sich die Piepi versammeln, sobald der Vollmond in ihrem Wasser reflektiert wird.''
Ein Glucksen ertönt. ''Shin, den Satz solltest du nochmal umschreiben, glaube ich. Unserer Quelle nach ist es diese Quelle? Da sind zu viele Quellen in dem Satz.''
Shin legt die Stirn in Falten. ''Ja, du hast Recht. Aber das können wir hinterher noch alles überarbeiten. Wir müssen nur heute Nacht die Aufnahmen von den Piepi hinbekommen, dann habe ich den Pulitzer sicher in der Tasche!''
''Falls deine Quelle überhaupt Recht hat. Der alte Mann sah reichlich verwirrt aus.''
Shin grinst. ''Aber nicht verwirrter, als die Frau, die uns die Story von den Pygraulon, die Miltanks entführen, andrehen wollte.''
''Stimmt. Und der Spur sind wir auch gefolgt. Was ist diesmal anders?''
''Na, Pygraulon sind bloß Fabelwesen! Hast du schon mal eins gesehen? Ich nicht. Aber Piepi gibt es wirklich! Es gibt da diese Koryphäe, Professor Eich, der mal eine Abhandlung über sie geschrieben hat.'' Shin bewegt sich durch den Raum zu einem Rucksack und öffnet ihn.
''Zeit zum Abendessen, findest du nicht? Jetzt ist die Sonne schon untergegangen, bald ist es soweit. Leg die Kamera hin und setz' dich zu mir, Toru.''
Die Kamera wird wieder abgelegt. Toru marschiert zu Shin, der ein paar belegte Brote und zwei Dosen mit Softdrinks herauszieht. Die beiden Männer setzen sich nebeneinander auf den Boden und essen. Dabei lehnt sich Shin mit dem Kopf an Torus Schulter.
Toru grinst. ''Pass auf, sonst ruinierst du dir noch vor der großen Show die Frisur.''
Shin lächelt ebenfalls. ''Das wäre es fast wert.'' Er beugt sich näher zu Torus Gesicht. ''Danke, dass du das mit mir durchziehst.''
Toru grinst noch breiter. ''Kein Ding. Ich hatte dieses Wochenende sowieso nichts besseres vor als Außerirdische zu jagen.'' Er zögert. ''Und selbst wenn wir nichts finden, haben wir diese Hütte ganz für uns allein.''
Shin lacht. ''Das ist ein schöner Trost. Aber ich bin mir sicher, dass wir diesmal etwas finden werden.'' Er steht auf und klopft sich die Kleidung ab. ''Komm, der Mond sollte gleich aufgehen.'' Shin hilft Toru aufzustehen, dann geht letzterer zurück zur Kamera.
Das Bild folgt Shin wieder zum Fenster. Der adrette junge Mann deutet auf den Himmel, die Kamera folgt ihm. Der Vollmond steht am Nachthimmel und taucht die Szenerie in ein blasses gelbliches Licht. ''Der Mond ist bereits aufgegangen.'' Als nächstes zeigt er zum Teich. ''Der Vollmond wird mittlerweile zum Teil vom Wasser reflektiert. Es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis es losgeht. Was ist das?''
Beim Teich bewegt sich etwas.
''Warte, ich zoome näher heran.''
Das Bild verwackelt kurz und bewegt sich näher auf die Quelle zu. Dort steht eine pummelige kleine Gestalt. Sie springt um den Teich herum und wackelt dabei mit ihren winzigen Flügeln. Die Kamera zittert leicht.
''Verdammt, das ist tatsächlich ein Piepi! Du hattest Recht, Shin!''
''Sag ich doch! Halt bloß drauf, ja? Wir müssen das alles aufnehmen. Noch nie wurde das Verhalten von Piepi in Vollmondnächten dokumentiert!''
Das Bild folgt dem Piepi mehrmals beim Tanz um die Quelle herum, während der Vollmond immer weiter ins Zentrum der Wasseroberfläche rückt. Ein zweites Piepi gesellt sich hinzu.
''Da ist noch eines aufgetaucht! Ich will nicht vom Geschehen wegzoomen, aber siehst du, wo die herkommen?''
''Hm. Ich weiß nicht genau. Ich kann das auch nicht erkennen.''
Weitere Piepi tauchen auf. Sie springen in einem immer komplizierter werdenden Muster um den See herum.
''Gott, Toru! Wir haben es geschafft! Wir werden berühmt! Siehst du die seltsamen Muster, die die Piepi bilden? So was hat noch nie jemand aufgenommen! Du bist der erste!''
Der Vollmond wird jetzt komplett vom Wasser reflektiert.
''Sei bitte kurz leise, Shin. Da passiert was.''
Die Piepi hüpfen immer langsamer, bis sie schließlich in perfektem Abstand zueinander und zur Quelle stehen bleiben. Sie starren für wenige Minuten auf die Wasseroberfläche.
''Verdammt, ich kann nicht genau erkennen, was sie da tun. Ich zoome noch näher heran.''
Die Kamera hat nun ein Piepi voll im Bild. Es hält den Kopf, wie zu einem Gebet in Richtung der Reflexion gesenkt. So verharrt es etwa eine halbe Minute lang. Dann dreht es sich ruckartig um und blickt direkt in die Kamera.
Das Bild verwackelt stark und kippt nach hinten als Toru keuchend zurückzuckt.
''Was ist, Toru?''
Eine blasse Fläche kommt ins Bild, dann aktiviert sich der automatische Zoom und korrigiert das zitternde Bild, bis Shins Gesicht erkennbar wird.
''Was ist los?''
''Das Piepi. Ich glaube, es hat uns gesehen.''
''Was?''
''Es sah nicht glücklich aus.''
Das Bild sinkt rasch nach unten und kommt ein wenig zu schnell auf dem Boden auf.
Toru eilt ins Bild während Shin bereits am Fenster steht.
''Verdammt, die sind alle weg! Vor einer Sekunde waren sie doch noch am Teich.''
Toru starrt angestrengt hinaus.
''Glaubst du, wir haben sie verschreckt?''
Ein hohes Quietschen ertönt. Toru und Shin drehen sich schlagartig um. Toru schreit kurz auf.
''Wir wollten euch nichts böses!''
Kleine Schritte ertönen auf den Dielen, während Shin und Toru an die Wand zurückweichen. Sie sind fast aus dem Bild, als von der anderen Seite mehrere Piepi hereinmarschiert kommen. Sie schweigen, aber wackeln alle im Takt mit den Ärmchen. Ihre Blicke sind auf Shin und Toru fixiert.
''Verdammt, Toru, was tun sie da? Was machen die?''
Die Hände der Piepi beginnen immer heller aufzuleuchten, bis das Licht das ganze Bild ausfüllt.
''Aaaah!''
''Aaaaaahrgh!''
Das Bild wird strahlend weiß, dann zerspringt die Linse. Das Bild wird nicht mehr sichtbar.
Das sich entfernende Trippeln kleiner Füße auf dem Holzboden ist zu hören, dann nur noch Stille.
Langsam öffnete ich meine Augen. Es war fast komplett dunkel. Aber nur fast. Gut, ich hatte den Beginn der Nacht also nicht verschlafen. Immerhin hatte ich eine Pflicht zu erfüllen. Hinter mir ertönte ein leises Schnarchen, aber sonst war der Raum komplett ruhig. Dieses eine Geräusch stammte von einem kleinen Jungen in seinem Bett, der sich an mich kuschelte. Sein Name war Alex, ein wirklich toller und lieber Junge, immer freundlich und gut drauf. Bevor jetzt noch jemand die Frage stellt, was ich im Bett eines Fünfjährigen mache, beantworte ich sie selbst. Ich bin ein Teddybär. Ja, eines dieser kleinen, flauschigen Dinger mit braunem Fell und Knopfaugen, die man Kinder zum kuscheln kauft. Und ja, ich kann sowohl denken als auch reden. Überrascht? In deinem Alter kann ich dich verstehen. Aber erinnere dich zurück an die Zeit, als du vier oder fünf Jahre alt warst. Glaubtest du nicht auch, dass Stofftiere ein Eigenleben besitzen? Nun, jetzt hast du die Bestätigung. Ja, wir haben ein Eigenleben. Aber wie auch ihr Menschen haben wir Aufgaben zu erfüllen. Die Aufgabe, die uns Teddys seit über 150 Jahren auferlegt worden war, war wohl ohne Zweifel eine der wichtigsten. Erinnerst du dich noch an das Monster im Schrank, vor dem du Angst hattest? Oder das Monster unter dem Bett? Was wenn ich dir sage, dass diese Dinge existieren? Man möchte meinen, diese Monster entsprängen nur der Fantasie der Kinder. Aber nein, dem ist nicht so. Allerdings sind Kinder die einzigen, die diese Kreaturen sehen können. Mit dem Altern verblasst diese Fähigkeit immer mehr. Als Jugendlicher kann man sie zwar nicht mehr sehen, aber ein ungutes Gefühl verleitet einen doch manchmal noch dazu, mitten in der Nacht das Licht anzumachen und durch den Raum zu sehen. Das Glück dieser Personen ist es, dass diese Monster dir wirklich nur dann etwas tun können, wenn du sie auch siehst. Genau das ist der Grund, wieso wir Teddybären oder Verwandte von uns in jedem Kinderzimmer rund um die Welt zu finden sind. Nicht nur sind wir Spielgefährten am Tag und in der Nacht etwas zum Festhalten. Wir sind die Wächter über die Kinderzimmer. Jede Nacht, sobald die Kinder schlafen, kommen diese Monster in Gestalt ihrer Alpträume aus ihren Verstecken gekrochen. Unsere Aufgabe ist es, den kostbaren Schlaf der Kinder zu schützen, bis das Licht am Morgen diese Kreaturen wieder zurück in ihre Verstecke verbannt.
Vorsichtig, um Alex nicht zu wecken, zwängte ich mich aus seiner Umarmung. Er schien es nicht wirklich zu bemerken, drehte er sich doch einfach auf die andere Seite und schlief weiter. Oft tat es mir Leid, dass ich ihn mehr oder weniger alleine lassen musste. Aber das war nun einmal ein notwendiges Übel, ohne Bewegungsfreiheit kämpfte es sich schlecht. Langsam tapste ich den Körper des schlafenden Jungen entlang, um in etwa an seiner Hüfte auf die Decke hinaufzuklettern. ‚Drollig‘ wäre wohl das passende Wort für die Aktion, als ich versuchte, mich mit strampelnden Beinen hochzuziehen. Für so etwas waren wir leider nicht geschaffen. Das hinderte uns aber nicht daran, unsere Pflicht zu erfüllen. Ich ließ mich auf dem Körper des Jungen nieder und ließ meinen Blick durch den dunklen Raum schweifen. Noch drangen letzte, schwache Sonnenstrahlen herein und es war ruhig. Doch bald würde sich das ändern. Das vermutete ich nicht. Ich wusste es.
Tatsächlich, kaum waren die letzten Sonnenstrahlen verschwunden und die komplette Finsternis hielt Einzug, kam Leben in das Zimmer. Aber nicht die gute Art von Leben. Ich hob eine meiner Pfoten aus Stoff, murmelte einige wenige unverständliche Worte, und wie durch Magie materialisierten sich in einem schwachen Glühen in meiner gestreckten Pfote ein Schwert, in der anderen ein Schild und auf dem flauschigen Kopf ein Helm, wie der eines römischen Legionärs. Das alles wirkte wie aus solidem Metall gemacht, aber der Schein trügte. Normaler Stahl wäre nicht hart genug um den Fängen der Monster zu widerstehen. Die Ausrüstung bestand aus Xeblyx, einem den Menschen unbekannten Metall. Dieses war millionenfach härter als Diamanten und wurde aus den positiven Träumen von Kindern gewonnen. Deswegen war es für die Menschen auch unmöglich, dieses Material jemals herzustellen. Kaum hatte sich das Glühen gelegt, kroch auch schon der größte Alptraum von Alex unter dem Bett hervor. Eine bei weitem überdimensionierte Katze, sowohl in Länge als auch in der Breite, mit dunklem Fell, durchsetzt mit Türkis leuchtenden Streifen. Das auffälligste Merkmal allerdings war das Gesicht dieser Monsterkatze. Die Augen glühten in einem giftigen Grün und statt einem normalen Katzenmund besaß sie ein fettes Grinsen, das zwei Reihen messerscharfer Zähne zeigte. Dass das Monster diese Gestalt angenommen hatte war verständlich, diese Grinsekatze war auch Stoff für Alpträume.
Sofort sprang ich auf meine Pfoten und begab mich in Kampfposition. Bis jetzt hatte noch nie einer meiner Rasse in seiner Mission versagt und ich würde es auch nicht tun. Den Schild vorgestreckt, so dass er den Großteil des Körpers bedeckte, das Schwert hielt ich zwar hinter dem Schild, aber dennoch kampfbereit. Die Katze schlich an einer Seite des Bettes entlang, die glühenden Augen auf den schlafenden Jungen gerichtet. Man musste kein Psychologe sein, um die Absichten zu erkennen. Das Monster hatte es eindeutig auf das Kind abgesehen. Das konnte ich nicht zulassen. Vorsichtig, um Alex nicht aufzuwecken, schritt ich immer parallel zu der Katze auf und ab, stetig bereit, einen Angriff zu blocken. Die Katze war sich des Risikos bewusst, wenn sie jetzt angreifen würde. So versuchte sie, in eine bessere Position zu kommen. Dieses Taktieren ging mehrere Minuten lang so weiter, bis das Monster anscheinend die Geduld verlor und den Angriff begann. Mit einem gewaltigen Satz sprang die Katze in Richtung des Bettes und riss im Sprung den gewaltigen Kiefer auf. Gerade noch rechtzeitig riss ich meinen Schild hoch und blockte den Angriff.
Daraufhin entbrannte ein heftiger Kampf, geprägt von einem ständigen Hin und Her. Bisse wurden vom Schild geblockt und Schwerthiebe trafen die Pranken des Monsters, die klaffende Wunden hinterließen. Allerdings floss kein Blut und auch kein schmerzhaftes Aufheulen war zu hören, die Biester fühlten keinen Schmerz und kein Blut floss in ihren Adern. Einmal hatte die Katze die Überhand und drohte, den Jungen anzugreifen, ein anderes Mal war ich kurz davor, das Biest endgültig zu erschlagen. Leider war das nicht möglich. Weder durch Xeblyx noch durch irgendein irdisches Material waren diese Biester zu töten. Nur indem das Kind den Alptraum verarbeitete konnte ein Monster endgültig verschwinden. Aber eine temporäre Lösung war immer zur Hand. Licht. Nach mehreren Stunden ging plötzlich auf dem Gang vor dem Zimmer das Licht an und schien durch die Glastüre in das Zimmer. Die Katze machte einen Buckel, fauchte mich noch einmal an und verschwand dann wieder unter dem Bett, so schnell wie sie gekommen war. Erleichtert seufzte ich und ließ die Ausrüstung wieder in einem Glühen verschwinden. Eine weitere erfolgreiche Nacht. Erschöpft trottete ich zurück zur Brust des Jungen und zwängte mich wieder unter die Arme in die Umarmung. Ich war zufrieden mit mir. Alex war nicht aufgewacht.
Manche sagten, es sei das Werk eines durchgeknallten und wahnsinnigen Wissenschaftlers gewesen. Andere meinten, dahinter habe eine aggressive Regierung gestanden, die eine neue Waffe entwickeln wollte. Wieder andere behaupteten, es sei ganz einfach die Strafe der Natur. Und dann gab es noch welche, die vermuteten, dass alle diese Möglichkeiten der Wahrheit entsprachen. Doch im Grunde war das auch egal. Was zählte, war die Gegenwart. Und in der lebten nun einmal die Pflanzwandler.
Ich drückte auf einen Knopf und ließ die Jalousien vor dem kugelsicheren Glas ein Stück hochgleiten. Dunkelheit. Völlige Dunkelheit. Natürlich, es war ja auch Nacht. Ich sah auf mein Chronometer. Fünf Stunden, bis das Sonnenlicht diesen Zombies ihre Kraft zurückgab. Die Nacht – ihre größte Schwäche. Eigentlich eine ziemliche Ironie. Die Menschen hatten früher am Tag gelebt und in der Nacht geschlafen, hatten die einst so gefährliche Dunkelheit sogar gemieden. Doch dann hatten sich von irgendwoher diese abscheulichen Kreaturen ausgebreitet. Sie sahen aus wie Menschen mit grüner Haut, denen überall am Körper Äste und kleine Blätter wuchsen. Das besondere an den Ästen war, dass sie nicht wirklich aus herkömmlichem Holz bestanden. Sie waren vielmehr wie eine Mischung aus sehr hartem Holz und Knochen und bemerkenswert widerstandsfähig. Jeder der Pflanzwandler, wie man sie bald genannt hatte, verfügte an den Enden seiner Zeigefinger über nadelartige Fortsätze, welche die Injektion einer Flüssigkeit ermöglichten, welche Menschen in ihresgleichen umwandelte. Es war abartig.
Ihre Energie bezogen diese Monster, auch wenn sie durchaus in der Lage zu sein schienen, Essen zu sich zu nehmen und zu verdauen, größtenteils aus Fotosynthese. Deshalb und weil sie im Dunkeln fast blind waren, nahm ihre Aktivität in der Nacht rapide ab. Tagsüber jedoch waren die Pflanzwandler sehr gefährlich. Sie waren nicht unbedingt schneller als Menschen, aber überraschend kräftig und ausdauernd. Zudem konnten ihnen leichtere Verletzungen nichts anhaben, genauso wie es einem Baum keinen schweren Schaden zufügt, wenn man einen kleinen Ast abbricht – das Gesamtsystem funktioniert trotzdem noch. Die Pflanzwandler verfügten weder über den Intellekt eines Menschen noch über den einer Pflanze, sondern über die kognitiven Fähigkeiten von etwas, das irgendwo dazwischen lag. Am ehesten waren sie in der Hinsicht wohl mit niederen Tieren zu vergleichen, angetrieben allein von dem Drang, sich zu vermehren, wofür sie eben Menschen brauchten – dass sie sich nicht weiter vermehren konnten, wenn es keine mehr gab, spielte dabei wohl keine Rolle. Die gefährlichsten Exemplare waren wohl die, die durch ihre spezielle Pflanzennatur noch zusätzliche Fähigkeiten entwickeln konnten. Auf giftige Pflanzwandler zu treffen war zum Beispiel keine Seltenheit. Doch drohte in der Hinsicht natürlich eine noch viel größere Gefahr, die mich des Öfteren mit Angst erfüllte.
Aber darüber wollte ich nicht nachdenken, als ich mir die Nachtsichtbrille aufsetzte und in die unteren Stockwerke der Basis ging. Ich war hier allein. Vor vier Wochen hatten hier noch mehr Menschen gelebt und Zuflucht gefunden. Doch dann hatte uns eine kleine Armee aus 75 Pflanzwandlern überfallen, die zwar nicht eindringen konnten, aber natürlich trotzdem ein erhöhtes Risiko bedeuteten. In der Nacht gelang es, alle Menschen aus der Station zu evakuieren. Mit ein wenig Glück würden sie jetzt schon seit einiger Zeit sicher in einer anderen Basis untergekommen sein. Ich jedoch musste zurückbleiben. Denn es war schließlich meine Pflicht, diese Unterkunft zu leiten und abzuwarten, bis wieder weniger dieser Monster in der Umgebung waren. Leider verlangte das von mir, den sicheren Unterschlupf zu verlassen und die Gegend auszukundschaften.
Ich hatte Angst. Jedes Mal. Es wäre so einfach, hier drin zu bleiben. Morgen würde ich dann den Bericht abschicken und irgendetwas erfinden. Für einen Moment dachte ich ernsthaft darüber nach, schüttelte aber dann den Kopf. Nein.
Ich griff nach meinen Waffen, wohl wissend, dass sie den Gegner vermutlich maximal verlangsamen würden. Wenn ich nur einen Flammenwerfer hätte... Die waren sehr wirksam gegen diese Monster. Im Krieg gegen sie hatte man sogar bewusst Waldbrände ausgelöst, aber es hatte dennoch nicht ausgereicht. Und Feuer war so schwer zu kontrollieren und im Zaum zu halten, dass nicht selten auch Menschen darin verbrannt waren.
Ich öffnete die stählerne Sicherheitstür mit einem Knopfdruck und trat hinaus in die Nacht. Mein Atem beschleunigte sich ein wenig, als ich die kalte Nachtluft einatmete. Mein Herz klopfte wild. Durch die Nachtsichtbrille konnte ich alles klar erkennen und auch an entfernte Objekte heranzoomen. Keine Pflanzwandler in Sichtweite. Ich ging um die Basis herum. Im Osten entdeckte ich etwa fünf leicht verstreut stehende Gestalten. Sie regten sich nicht. Gut.
Basen wie diese, die auch für Forschungszwecke errichtet worden waren, wurden in der Regel auf freien und gerodeten Ebenen errichtet, die planar und gut zu überblicken waren. Leider gab es einen Ort in der Nähe, auf den das nicht zutraf. Etwa 30 Minuten zu Fuß entfernt stand im Süden ein kleines Wäldchen. Es zu durchsuchen würde etwa eine Stunde dauern. Tröstlich nur, dass sich die Monster ungern in Wälder hineinbewegten, da sie dort im Schatten der hohen Bäume an Kraft einbüßten. Darauf sollte man sich aber nie verlassen, der Effekt war nicht allzu groß.
Als ich das Wäldchen erreicht hatte, ergriff die Angst wieder leicht Besitz von mir. Es half auch nicht, dass der Wind auffrischte und so die Blätter der Bäume zum Rascheln brachte. Doch ich ging zwischen die Bäume und sah mich um. Soweit nichts. Ich huschte durch die mächtigen Stämme, ununterbrochen in alle Richtungen schauend und traf auf niemanden.
Ein Käuzchen rief. Tiere wurden nicht „infiziert“. Es brauchte Menschen zur Fortpflanzung. Lustiges Wort eigentlich für den Vorgang. Für einen Augenblick vergaß ich die Gefahr und musste sogar lächeln - ein tödlicher Fehler. Etwas schlang sich unerwartet von hinten um meinen Hals. Ich keuchte, riss mich los von dem, was auch immer mich da gepackt hatte und während ich mich zu dem Etwas umdrehte, griff ich nach meiner Pistole, hob sie…
„Ganz ruhig, Andrew. Ich bin es“, ertönte eine Stimme, durchsetzt von einem Kichern, das ich nur zu gut kannte.
„Julien!“, stieß ich hervor.
„Habe ich dir gefehlt?“, fragte er und strich mir zärtlich über die Wange.
Ich stieß seine Hand zornig weg. „Ich hätte dich fast erschossen!“
„Hast du aber nicht“, zuckte er nur die Achseln.
„Was machst du hier?“, fragte ich, während ich mich allmählich wieder beruhigte.
„Dich besuchen. Es gibt Neuigkeiten.“ Seine Stimme klang plötzlich ernst.
Julien war groß, breitschultrig und trug auf seinem schmalen Gesicht stets ein angehauchtes Lächeln, dass ihm mit seinen stechenden grünen Augen einen sowohl arroganten als auch seltsam gefährlichen Ausdruck verlieh. Er war Mitglied in einer Truppe, die nicht einfach wie ich Basen bewachte, sondern das Verhalten der Pflanzwandler aus nächster Nähe beobachtete – und nebenbei versuchte, die Gegend zu untersuchen, in der sie zuerst aufgetaucht waren. Er hatte mit seiner kleinen Einheit mal länger meine Unterkunft belegt. Und dabei hatte zwischen uns irgendwie eins zum andern geführt.
„Sind deine Leute auch in der Nähe?“
„Nein, ich habe gewissermaßen Urlaub.“
„Und was gibt es nun an Neuigkeiten?“
Während wir leise miteinander sprachen, gingen wir weiter und führten gemeinsam die Erkundung des Waldes zu Ende.
„Welche willst du zuerst hören?“
„Die schlechten.“
„Es gibt aber eine schlechte und dann eine gute, gefolgt von einer schlechten.“
„Dann die gute und die daraus folgende schlechte zuerst.“
„Okay. Also, die gute Nachricht ist: Wir haben anscheinend das Labor gefunden, aus dem diese Monster stammen.“
„Gut, dann bringt uns das vielleicht eine Möglichkeit, wie wir sie…“
„Nein, tut es eben nicht, das ist die schlechte Nachricht dabei. Jedenfalls vorerst haben wir nichts entdecken können, was uns wirklich helfen könnte. Wobei einige Aufzeichnungen erhalten sind, aber die verstehe ich nicht, da müssen sich die Eierköpfe drum kümmern.“
„Und was ist nun die andere schlechte Nachricht?“
„Dass es mittlerweile einige Exemplare gibt, die auch in der Nacht herumwandern.“
Für einen Moment stockte mir der Atem.
„So haben viele reagiert“, brummte Julien.
„Aber dann…“
„… haben sich unsere schlimmsten Befürchtungen erfüllt, ja.“
Das war eigentlich schon untertrieben. Die Gefahr, an die ich möglichst nicht hatte denken wollen, war plötzlich real geworden. Die Menschheit würde damit vielleicht den einzigen Vorteil verlieren, den sie noch hatte - den Schutz der Nacht.
„Und jetzt?“, fragte ich und hoffte vergebens auf eine weitere gute Nachricht.
„Nichts jetzt. Alles läuft weiter wie sonst auch, nur halt noch gefährlicher.“
„Julien, ich…“ Meine Stimme zitterte. „Ich habe Angst.“
Julien sagte nichts, aber ich konnte erkennen, wie er mich mitfühlend ansah.
„Angst ist natürlich“, sagte er schließlich. „Sie hält dich am Leben.“
„Schwacher Trost.“
Julien lachte und gab mir einen Kuss.
„Ach, Andrew“, seufzte er, „du bist immer so unverbesserlich pessimistisch. Freu dich doch einfach mal, dass ich da bin.“
Und tatsächlich musste ich lächeln. Das war genau das, was mir an Julien so gefallen hatte – er konnte mich mit seiner lockeren Art immer aufmuntern. Und während er meine Hand nahm und wir schließlich nach einer glücklicherweise ergebnislosen Suche den Wald verließen, bemerkte ich, dass meine Angst verflogen war. Mein Blick wanderte nach oben zum Sternenhimmel. Jeder Stern strahlte, ein helles Licht in der tiefsten Dunkelheit. Doch keins dieser Lichter leuchtete so mächtig, wie es Julien für mich tat.
Vor vielen Jahrhunderten, als es auf der Welt noch Pokémon, Wunder und Magie gab, befanden sich zwei Gestalten auf ihr, die seinerzeit einzigen Gestalten auf dem Planeten. Die Eine erschien immer nur dann, wenn die Sonne untergegangen und der Mond erschienen war, wenn sich eine eisige Kühle über das Land legte und Dunkelheit sich allgegenwärtig ausbreitete. Diese Gestalt hieß Nacht. Sie hatte die Gestalt eines Jungen, in ein schwarzes Gewand gehüllt, mit pergamentweißer Haut und mindestens ebenso weißen Haaren. Der Junge hatte rubinrote Augen, die bei genauer Betrachtung funkelten wie die Sterne am Firmament. Die Gestalt der Nacht war ruhig, strahlte beinahe etwas Arroganz aus, mied den Kontakt zu den Tieren des Waldes und manche Pokémon hatten sogar Angst vor ihr. Wenngleich man es ihr also nicht ansah, war die Nacht oft einsam, wenn sie nach Sonnenuntergang über die weiten Felder der Erde strich und Dunkelheit brachte. Doch der Junge verbarg es gut.
Dann gab es da noch jene Gestalt, die erschien, wenn der Junge verschwand. Wenn sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg durch die Schatten der Nacht bahnten und die Blätter der Bäume in farbenprächtige Gewänder tauchten und die Tiere wärmten, die sich alsbald aus ihren Verstecken trauten. Waren die Baumkronen dann in warmes Licht getaucht, erschien bald die zweite Gestalt, die man Tag nannte. Sie hatte die liebliche Gestalt eines Mädchens, mit goldenen Haaren, die in dem hellen Sonnenlicht einem Wasserfall aus purem Gold glichen. Sie wurde von allen Tieren geliebt, niemand zog auch nur in Betracht, Furcht ihr gegenüber zu empfinden. Sie trug ein Gewand, geschmückt mit allen Blumen des Frühlings, welche, sobald der Tag erschienen war, erblühten und einen Duft freigaben, der die Vögel singen ließ. Und der Tag war glücklich, so viel Gutes tun zu können.
Dennoch war der Tag einsam. So viel Freude das Mädchen auch verbreitete, so wenig kehrte letztlich doch in ihr Herz zurück. So war sie irgendwie immer froh, wenn die Nacht sie ablöste, auch wenn sich die Gestalten bisweilen noch nie begegnet waren.
Einst jedoch wollte der Tag seiner Einsamkeit, die unerklärlich war, ein Ende setzen. Somit entschied sich das Mädchen, nach Einbruch der Dunkelheit, nicht wie sonst üblich, zu verschwinden und das weitere Geschehen dem anderen Wesen zu überlassen, sondern stattdessen auf die Suche nach diesem Wesen zu gehen und es kennenzulernen. Das Mädchen war schüchtern und zurückhaltend, wartete nach Sonnenuntergang hinter einer grün blühenden Trauerweide. Unsicher sah es sich um, wusste nichtmal, nach was oder wem genau es Ausschau hielt - und als dann plötzlich ein kühler Windhauch von ihr Besitz ergriff und sie eine Gestalt erblickte, die sich nur ein paar Meter weiter unter einem Apfelbaum niedergelassen hatte, da war sie sicher, sie hatte es schon immer gewusst.
Das Wesen war von ähnlichem Antlitz wie sie selbst, und doch so komplett unterschiedlich. Während sie allgegenwärtig Wärme ausstrahlte, war diese Gestalt umhüllt von einer kühlen, geheimnisvollen Aura. Der Tag war sogleich in den Bann der Nacht gezogen und nährte sich ihr ohne Furcht.
Der Junge, der die Nacht war, schreckte auf. Er hatte gerade die Sterne gezählt, wie jeden Abend, wenn er erschien. Es waren niemals die gleichen und immer unterschiedlich viele, und sie erzählten dennoch immer die gleiche Geschichte von Verbundenheit und Einheit. Eine Geschichte, die die Nacht selbst noch nie so ganz verstanden hatte.
Als jedoch das ungewöhnlich laute Rascheln des Grases die Anwesenheit einer weiteren Persönlichkeit ankündigte, schreckte die Nacht auf und sah sich um. Nur einige Meter entfernt hatte ein Wesen innegehalten, was so viel schöner war als alles, was der Junge bisher erblickt hatte. Er war so erschüttert und zugleich berührt von ihrer Schönheit, dass er nichts sagen oder tun konnte, sondern einfach nur, mit erschrockenem Blick, auf dem Baum saß und sich nicht zu helfen wusste.
Auch das Mädchen war sogleich stehengeblieben. Ihre warmen Augen blickten fasziniert zu ihrem Gegenüber, in Augen, so kühl und dunkel, wie sie sich die Nacht immer ausgemalt hatte. So verharrten sie da, beide ungewiss, was zu tun war. Beide einem absolut Fremden gegenüber. Und beide doch einander so ungewöhnlich vertraut.
"Wer bist du?", fragte der Tag zögerlich. Als die liebliche Stimme erklang, war das Gleichgewicht verwirrt, was suchte auch der Klang des Tages mitten in der Nacht? Noch einmal wachten Vögel auf, blinzelten irritiert, legten sich doch sogleich wieder schlafen und vergaßen den merkwürdigen Wetterumschwung.
"Ich bin die Nacht. Ich erscheine immer nach Sonnenuntergang und verdunkle die Welt.", antwortete die Nacht. Seine Stimme beruhigte die Tiere und Pokémon, die in den Wäldern ihren Schlaf fanden, und der Mond schien sein Licht ein wenig intensiver auf die Erde zu schicken. Der Tag war fasziniert. Das war er also. Die andere Person, neben ihr, auf dieser Welt.
"Ich bin der Tag. Ich komme immer dann, wenn du verschwindest." Das Mädchen trat einen Schritt näher und war am Baum angekommen. Der Junge rührte sich nicht. Noch immer war er fast betäubt von der grenzenlosen Schönheit, die er noch nie erblickt hatte.
"So leben wir ständig aneinander vorbei." flüsterte die Nacht. Die Stimme war nichts mehr als ein Hauchen, die mit dem nächsten Windhauch fortgetragen wurde. Der Tag erzitterte. Doch war ihm angenehm warm. Wärmer als sonst.
Der Junge dachte angestrengt nach - einst wurde er ermahnt, niemals in Kontakt mit einem anderen Wesen zu treten. Es sei das genaue Gegenteil von der Nacht, würde den Mond verdrängen und nur Trockenheit über das Land bringen. Würden sie sich begegnen, so wäre das natürliche Gleichgewicht gestört. Niemand wusste, was dann passieren würde. So etwas fatales dürfte niemals geschehen.
Die Nacht wusste es. Und doch war es der Nacht egal.
Sie betrachtete den Tag, diese alles übersteigende, reine Schönheit, und wusste, dass es egal war, was ihr zugetragen wurde. Der Junge stieg mit einem Satz vom Baum herab, verstand seine eigene Handlung nicht. Doch mit einem Schritt war er bei ihr, sie war wärmer als alles, was er sich je vorgestellt hatte. "Diese Wärme würde niemals Schaden anrichten", dachte die Nacht. "Diese Wärme würde jedem Freude und Leben schenken."
So vollkommen voneinader ergriffen, bemerkten die beiden Gestalten gar nicht, was um sie herum passierte. Der Wind blies heftiger, in abwechselnd erst bitterkalten und dann ohnmächtig heißen Böen. Die Bäume klagten, indem ihre Äste knarzten, die Blätter trockneten bei der Hitze und gefroren alsbald bei der Kälte. Die Tiere schrien. Die Pokémon flohen. Sie wussten, dass etwas nicht in Ordnung war. Die Nacht wusste es nicht. Und der Tag wusste es auch nicht. Beide wussten nur, dass sie ewig nur einander gesucht hatten. Und dass sie sich jetzt vollkommen fühlten.
Der Junge konnte seine Neugier nicht länger unterdrücken. Er streckte seinen Arm aus, um den Tag, dieses wunderschöne Mädchen, zu berühren. Es war ihm egal, ob er dabei bei lebendigem Leibe in Flammen aufgehen würde. Er wollte niemals wieder die kalte Einsamkeit der letzten Jahrhunderte spüren, jetzt, wo er den Tag kannte.
Er berührte sie. Sie berührte ihn. Beide hielten den Atem an. Um sie herum wurde es ganz still. Die Blätter raschelten nicht länger. Nicht einmal mehr der Wind schien gegenwärtig zu sein. Für einen Moment gab es nur sie - den Tag und die Nacht, vereint, obwohl sie niemals vereint hätten sein sollen. Und das, obwohl ganz offenkundig der eine niemals ohne den anderen existieren könnte. Und dann war der Moment vorbei.
Ohne erneut Luft holen zu können, wurden die beiden auseinander gerissen. Sie schrien, doch es kam nur heiße Luft aus ihren Kehlen. Keiner der beiden wusste mehr, wo er war. Sie sahen nichts. Sie hörten nichts. Sie spürten nur Kälte. Und Wärme. Beides abwechselnd. Was geschah nur mit ihnen? Sie veränderten sich, veränderten ihre Gestalt. Aus den güldenen Haaren des Tages bildete sich eine halbmondförmige Sichel. Das Kleid schmiegte sich so eng an die Haut, dass sie sich wie ein Panzer verhärtete. Auch die Nacht veränderte sich. Es nahm beinahe vollständig die Farbe Schwarz an, nur seine Haare wurden länger und bildeten einen lange Flaum. Die beiden konnte nicht länger reden. Sie hatten sich endgültig verändert. Und ab diesem Zeitpunkt war es ihnen verboten, sich zu sehen. Es war richtig gewesen - der Tag sollte niemals zur selben Zeit dort sein, wo die Nacht war. Soviel Energie konnte das Gleichgewicht nicht halten. So konnte weiterhin jedoch die Nacht nicht ohne den Tag und der Tag nicht ohne die Nacht leben. Beide waren mehr voneinander abhängig denn je. Immer dann, wenn die eine Gestalt, die fortan Cresselia hieß, schweren Herzens verschwand, als die Sonne unterging, um seinem Gegenstück Platz zu machen, erschien dieses, welches fortan Darkrai hieß, mit ebenso schwerem Herzen. Sie brauchten einander, konnten sich jedoch nie wieder sehen. Das ist wohl das tragischte Schicksal. Doch so wurden die beiden Pokémon geboren, die man niemals zur selben Zeit sieht. Die den Tag und die Nacht verkörpern. Und ohne es die Welt, wie sie heute ist, nicht geben würde.
Ein langer Arbeitstag findet endlich sein Ende, als ich mich völlig erschöpft auf mein Bett fallen lasse. Draußen, hinter meinen vierundzwanzig Stunden am Tag verschlossenen Rollläden, ist es schon stockfinster. Es ist still, die Vögel sind alle zur Nachtruhe übergegangen und auch die Menschen sind in dieser eher ländlichen Gegend um diese Zeit nicht mehr auf den Straßen unterwegs.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Zehn Uhr abends, anscheinend. In sieben Stunden wird mich mein Wecker wieder aus dem Schlaf reißen, dann werde ich wieder in dieselbe Hölle geschickt wie jeden Tag, in die Fabrik, die mir jeden kostbaren Tag meines Lebens raubt, nur, damit ich ihn überleben kann und vielleicht irgendwann mal glücklich werde. Und wenn ich dann alt bin und auf mein Leben zurückblicke, werde ich mich fragen, was ich eigentlich erlebt habe und wofür ich meine kostbarste Zeit nur weggeworfen habe.
Warum mache ich das mit? Warum mache ich das alles mit? Warum breche ich nicht einfach aus?
Ich könnte es alles hinter mir lassen. Ich könnte es doch einfach alles hinter mir lassen. Alles, die Fabrik, die Menschen, das Leben, das ich so sehr hasse. Dann könnte ich mich frei fühlen. Dann müsste ich mich nicht mehr an die dummen Regeln der Gesellschaft halten. Dann könnte ich endlich ich sein. Ich müsste nur aufstehen und weglaufen. Irgendwohin, wo ich neu anfangen könnte. Wo ich ein Leben haben könnte, das man wahrlich Leben nennen kann. Ein Leben, das nicht komplett meiner Firma gehört.
Nein, ich darf nicht so denken. Nicht in Konjunktiven sprechen. Das habe ich schon so oft getan, und was hat sich geändert? Nichts. Das soll sich endlich ändern. Ich werde ausbrechen. Ich werde mich befreien. Ich werde weglaufen und frei sein und glücklich werden. Die Welt wird mir zu Füßen liegen und ich werde ihr König sein.
Morgen ... Morgen werde ich ausbrechen.
Ich schließe die Augen, als ich meinen festen Entschuss immer wieder vor mich hin murmle.
Morgen. Morgen wird der große Tag sein.
Als am nächsten Tag der Wecker klingelt, ist es draußen immer noch stockfinster. Fünf Uhr morgens. Höchste Zeit, mein Frühstücksbrot zu packen und mich auf den Weg zur Firma zu machen.
Fliehen ... Fliehen kann ich immer noch morgen.
Die Nacht hatte sich mitsamt ihrer Finsternis wie ein Schleier über die kleine Stadt gelegt. Nur von Zeit zu Zeit schimmerte ein einzelner Stern am Himmel, bevor auch dieses schwache Funkeln von den konkordant wabernden Wolken verdeckt wurde. Kaum ein Laut war zu hören. Die Stille kroch durch die Gassen und folgte dabei den langen Schatten, die sich unheilvoll in jenen ausgerollt hatten wie ein roter Teppich, der direkt ins Verderben führte. Es schien, als würde die Dunkelheit ihr Regiment in vollen Zügen auskosten, bevor sie geschlagen dem ersten Dämmerlicht bei Tagesanbruch weichen würde. Kein Mensch war zu einer solchen Zeit unterwegs. Vorhänge verbargen die Geschichten der Hausbewohner, welche sich insomnisch in ihren Betten wälzten oder aber tief und fest schliefen.
Doch abseits dieses Schauplatzes war es im Grunde die verborgene Seite der Kulisse, auf der sich zu dieser Zeit das Geschehen abspielte. Weit fernab von Publikum und Störenfrieden, doch nur unweit des Stadtrands befand sich ein altes Industriegebiet, das man seit vergessener Zeit sich selbst überlassen hatte. Diesen Umstand hatte zunächst vor allem eine üppige Vegetation genutzt, die in den Rückständen der Zivilisation einen außergewöhnlichen Nährboden gefunden hatte. Doch nicht lange ließen es sich die ersten Pokémon nehmen, den verfallenen Ort zu bevölkern. So hatten die Menschen unwissentlich eine Bühne für die früheren Komparsen ihres Stücks hinterlassen, denn zwischen verrosteten Eisengewinden und marodem Gemäuer hatte sich eine illustre Gruppe von Pokémon gefunden, die aus Enttäuschung über ihr Schicksal ihren einstigen Besitzern entflohen waren. Zunächst anarchisch ausgerichtet, hatte sich schnell gezeigt, dass die vielen Interessen nur durch einen gemeinsamen Anführer gebündelt werden konnten. Und so wie eins zum anderen kam, war es ein Magnayen namens Oscar, das die Geschicke der Truppe koordinierte. Denn in jeder Nacht, die so lichtleer war wie diese, trieben Hunger und Schadenfreude die Pokémon zurück in die Straßen ihres einstigen Zuhauses, wo sie zu Boden und über den Dächern ihre Missionen verfolgten, bis Oscar ihnen vor dem ersten Sonnenstrahl das Zeichen zur Heimkehr gab.
Teil einer solchen Gruppe war auch Leonardo - Ein Leufeo, das vor einigen Monaten in der Ruine das erste Mondlicht erblickt hatte. Trotz des jungen Alters war Leonardo bereits Inventar der nächtlichen Beutezüge, denn das tiefbraune Löwenjunge hatte bei der Suche nach verlorenen Pokeriegeln schnell einen ausgezeichneten Spürsinn bewiesen. Begleitet von seinen Gefährten und Freunden Matt, einem überdurchschnittlich mitteilsamen Milza, und Alicia, einem dahingegen äußerst schweigsamen Alpollo, pirschte Leonardo auch in dieser Nacht durch gepflasterte Straßenzüge, während seine beiden Begleiter bedächtig die Umgebung begutachteten.
"Jede Nacht ist es daselbe", murrte Matt ungefragt. "Wieso immer in der Stille und Dunkelheit? Wieso nicht wenigstens bei Tag?"
Alicia verbarg nur mühsam ihren Groll. Die junge Geisterdame hatte sich erst vor kurzem entwickelt und ging allen Aufgaben akribisch nach. Eine Weile herrschte Schweigen, denn niemand ging auf Matt weiter ein. Nahezu lautlos setzten sie ihren Weg fort, ein jeder konzentriert auf seinen Part der nächtlichen Mission, während vor ihnen die Schatten wie das wässerne Ebenbild der Wolkendecke über den Steinboden flossen.
Gerade als Matt erneute Kritik äußern wollte, hielt Leonardo inne. Seine Freunde taten es ihm gleich. Sichtbar bebten die Nasenflügel des Löwen, als er die bekannt-fruchtigen Aromen wahrnahm. Pokeriegel befanden sich in unmittelbarer Nähe des Trios. Eine Weile konzentrierte er sich nur auf den schwachen Geruch. Längst hatte er gelernt, zwischen einzelnen
Nuancen zu differenzieren. Und die süße Note, die er nun wahrnahm, sagte ihm eines mit Sicherheit: Mindestens ein pinker Riegel befand sich in der Nähe!
"Hier lang, über die Container! Folgt mir!", rief er eilig und sprang mit einem Satz in die angezeigte Richtung.
Seine Freunde ließen keine Zeit verstreichen, die Verfolgung aufzunehmen. Mürrisch mühte Matt sich ab, auf eine rostende Tonne zu klettern, die offenbar seit langem nicht mehr genutzt worden war. Doch tatsächlich fanden sich die drei nach kurzer Zeit bereits in einem leeren Hinterhof wieder.
Leonardo hob den Kopf. Der Ursprung dieses Geruchs war in nächster Nähe; aber wo genau?
In diesem Moment ertönte ein fürchterliches Scheppern aus Richtung der Container. Wie ein Blitz fuhr der Schrecken in die jungen Pokemon, was sie letztlich jedoch wie paralysiert erstarren ließ, war die Gestalt, die sie mit Entsetzen an der Seite ihres Fluchtwegs wahrnahmen. Der kleine Hinterhof stellte sich für sie als fatalen Falle heraus: Mit einer schonungslosen Ruhe lehnte an der kühlen Steinmauer die hagere Gestalt eines Trainers, wohl kaum älter als 16 Jahre. Doch es war nicht der Trainer selbst, der die Situation so gefährlich gestaltete; kontinuierlich wie ein Pendel ließ der Teenager einen Pokeball in seiner Hand auf und ab springen.
"Endlich habe ich euch! Ich wusste es, man braucht nur Pokeriegel um euch anzulocken ... Ein echtes Kinderspiel!"
Das überhebliche Lachen fuhr den drei Pokémon durch Mark und Bein.
"Los, Pantimos! Nebelfeld!"
Wie von Zauberhand kondensierte die vormals eisig klare Nachtluft. Winzige Tröpfchen bildeten eine milchige Wand, die sich über das kleine Areal legte wie eine Daunendecke. Bedrückend schwer erschien das flüchtige Gebilde, das dem Team die Sicht auf das Kampfgeschehen raubte.
"Ihr denkt, ihr seid unauffällig? Seit Wochen beobachte ich euch! Was für ein Glück, dass mir mein Bruder während seines Ausflugs dieses Pantimos überlassen hat ... Was ein Glück, dass er es nicht flüchten ließ wie alle anderen! Ach und es wäre doch gelacht, wenn ich euch nicht in die Finger kriege. Pantimos, Zauberblatt!"
Rasiermesserscharfe Blätter durchtrennten den Nebel kaum einen Meter vor ihrem Ziel wie einen Theatervorhang. Mit einem kalten Zischen fuhren die leuchtenden Blätter auf Leonardo herab, der in diesem Moment froh um sein schützendes Fell war. Leonardo fauchte auf. Die Rollen waren vertauscht worden: Jetzt war es der Lärm, der ihnen die Aufmerksamkeit der anderen und damit die Hoffnung auf Rettung schenken konnte. Doch selbst wenn man sie wahrgenommen hatte, so dauerte es viele kostbare Minuten, bis man ihnen letztlich zur Hilfe eilen konnte. Unheilvoll mäanderten derweil Nebelschwaden über das Kampffeld. Obwohl er wusste, dass seine Freunde in unmittelbarer Nähe waren, bestand die Gefahr sie mit einer Attacke zu treffen. In diesem Moment war es Matt, der den einen Ausweg aus ihrer prekären Lage vorschlug:
"Leo, versuche den Nebel mit Glut zu durchbrechen! Alicia, setz du Schlecker ein, um Pantimos zu schwächen. Ich habe einen Plan."
Leonardo war fühlte neue Überlegenheit aufkeimen, als er realisierte, dass der Trainer sie nicht verstehen konnte. Matt hatte sein Talent im Kampf stets mit Bravour unter Beweis gestellt. Nun würden sie auf seine Fähigkeiten zählen. Zwischen dem Weiß des Nebelschleiers und dem fern zu erahnenden Schwarz des Nachthimmels schwebte alsbald ein kleiner Feuerball, in dessen Licht die Schemen der Kontrahenten seltsam pittoresk erschienen.
Alicia ließ die Gelegenheit nicht verstreichen. Äußerst habil zog der körperlose Geist an dem Löwen vorbei und nutzte den Überraschungsmoment, um einen Volltreffer zu landen. Ihr clownesker Gegner fauchte wütend auf, aber es verstrichen nur wenige Sekunden, ehe Matt seinen Fokus auf ihren Angreifer richtete um dessen Darbietung zur Farce verkommen zu lassen; zur Überraschung seiner Freude versetzte der kleine grüne Drache Pantimos den finalen Schlag - Mit einem qualvollen Ächzen sank dieses in sich zusammen, während der magische Nebel sich langsam löste und wieder den Blick auf den dunklen Nachthimmel freigab, den mittlerweile einige Sterne zierten.
"Hervorragende Leistung, ich bin stolz auf euch!", knurrte eine wohlbekannte Stimme aus dem Dunkel der Gasse. Allmählich gab der Dunst den Blick auf die Silhouette ihres avenanten Anführers. Ein Schimmer floss über das glatte Fell des gewaltigen Hundes, als Oscar aus den Schatten trat.
Blankes Entsetzen zeichnete sich auf dem Gesicht des hageren Halbstarken ab, als er sich dem majestätischen Anführer gegenüber sah. Für einen Moment hielt die Spannung an, so als wollte Oscar dem Jungen eine letzte Lektion erteilen. Tatsächlich schien der zuvor ambitionierte Trainer immer mehr in sich zusammen zu fallen, während er das unglückliche Pantimos begutachte. Dann wandte Oscar sich an das triumphale Team:
"Wir brechen auf, es ist an der Zeit."
"Nein ... Einen Moment!"
Matt war von einer roten Regentonne auf das Pflaster gesprungen.
"Ich bin dir für alles dankbar, was du für mich getan hast und ich bin ein fester Teil dieser Gemeinschaft. Aber jener Trainer hat das gleiche Ziel wie ich: Er möchte stärker werden und die Weiten dieses Landes erkunden, um in ferner Zukunft vielleicht den Titel des Champions zu tragen. Und ich bin mir sicher, wenn er uns verstehen würde, so wären seine Handlungen anders verlaufen. Oscar, lass mich mit ihm auf die Reise gehen, damit wir beide voneinander lernen."
Erschrocken starrten sowohl seine Freunde, als auch der Junge zu Matt, während Oscar lediglich ein einziges Mal mit seinem Schweif zuckte.
"Ich hatte schon lange das Gefühl, dass ich dir nicht das bieten kann, was du benötigst. Ja, Matt. Geh deinen Weg und triff deine eigenen Entscheidungen. Ein Platz in unserer Gruppe steht dir immer offen."
Leonardo setzte zum Widerspruch an, doch Alicia hielt ihn zurück.
"Dies ist eine denkwürdige Nacht. Und ich wünsche dir, dass euer gemeinsamer Wunsch in Erfüllung geht ... Ich wünsche es dir von Herzen."
In diesem Moment sah die kleine Gruppe gen Himmel, wo für den Bruchteil einer Sekunde ein goldener Streif aufblitzte.
Warum fürchtet sich der Mensch eigentlich im Dunkeln? Liegt es daran, dass unsere Augen in der Nacht hilflos sind? Oder ergänzen wir, was wir nicht sehen, mit unserer eigenen Vorstellungskraft, die uns des Nachts Streiche spielt? Wird so aus einem Schulgebäude die Brutstätte jedes nur denkbaren Terrors?
Diese Fragen stelle ich nicht umsonst. Noch aus Spaß, denn diese Geschichte dreht sich um das Grauen. Um die graue Kälte, die sich in die Eingeweide krallt und dich lähmt. Dies ist eine Geschichte der Dunkelheit.
"Eine Geschichte der Dunkelheit! Buhu! Du solltest besser nach Hause gehen, wenn du dir jetzt schon in die Hose machst, Archie."
Ich hob den Kopf. "Ich habe keine Angst. Wollte nur, dass meine Memos ein wenig effektvoller sind." Es war typisch für Kenzie Baker, sie machte keinen Hehl daraus, was sie dachte.
"Wegen dir haben wir mindestens zwei Minuten eingebüßt", schnaubte sie und blickte ungeduldig auf die Uhr. Wir waren auf dem Weg zur Schule. Was an sich nichts Ungewöhnliches ist, viele 17-Jährige besuchen die Schule. Aber um zwei Uhr in der Nacht? Das Ganze war natürlich Kenzies Idee gewesen. Sie hatte von einem Schüler aus unserem Jahrgang Geschichten über seltsame Vorgänge in unserer Schule gehört, und entschieden, selbst einige Nachforschungen anzustellen. Darum waren wir, also ich, Kenzie und mein Bruder Ian mitten in der Nacht vor unserer Schule im Südwesten Edinboroughs verabredet. Ich legte einen Schritt zu, Ian tat instinktiv dasselbe. Er strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn.
"Seid ihr sicher, dass wir hier richtig sind? Ich seh überall nur Büsche und die Sterne kamen vor zwanzig Minuten zum letzten Mal durch.", fragte er.
"Kein Grund zur Sorge, mit meinem Kompass können wir es gar nicht verfehlen.", munterte ich ihn auf.
"Du hast gar keinen Kompass."
"Doch, ne Kompass-App mit Routenplaner. Alles kein Problem", meinte ich und klopfte aus das dünne Notebook, das ich unter meinen rechten Arm geklemmt hatte.
"Und wie lange müssen wir noch laufen?"
"BIS WIR DA SIND!", heulte es. Ich machte einen Satz und landete fast in einem Brennnesselstrauch am Wegrand. Ian zuckte einmal mit der Augenbraue. Als ich mich umsah, hielt sich Kenzie noch den Bauch und lachte, dass die roten Haare flogen.
"Heb dir das für die Schule auf. Obwohl wir heute Chemie hatten, hast du eindeutig zu viel Energie übrig.", meinte Ian trocken.
Ians Zweifel waren unbegründet, 30 Schritte weiter bogen wir in die Straße ein, an der unsere Schule lag. Linker Hand erstreckte sich ein heckengesäumter Acker, und rechts das Schulgelände. Es war auf ganzer Länge mit einem grünen Drahtzaun abgegrenzt und vereinzelt versperrten alte Eichen den Blick auf den Backsteinbau. Die oberen Stockwerte sahen moderner aus, weiß angestrichen und großzügig mit Fenstern ausgestattet. Nachts jedoch hatte alles mehr oder weniger die Farbe von Asphalt.
Ich warf einen Blick die Straße entlang. "Die Luft scheint soweit rein zu sein. Zu dunkel, um was zu erkennen, aber wir wollen ja nicht gesehen werden." Die Eichen waren als schwarze Schemen zu erkennen. Kenzie hatte ihren Rucksack abgesetzt und ich verstaute mein Notebook darin. "Okay, Ian zuerst.", flüsterte sie. Ian war der Sportlichste von uns und trat vor. An dieser Stelle endete der Wald, durch den wir gekommen waren, und das Schulgelände begann. Der Zaun machte einen Knick und wurde dort, wo man es von der Straße aus nicht sah, von einem Backsteinschuppen unterbrochen. Über diesen Schuppen konnten wir recht problemlos in die Schule einsteigen.
Ich ging vor der Mauer in die Hocke und machte eine Räuberleiter. Ian nahm kurz Anlauf, stützte sich mit dem rechten Fuß an der Mauer hoch und war auf dem Dach. Als nächstes kam Kenzie, die kurz auf meinem Rücken strauchelte, bevor Ian sie im Griff hatte.
Plötzlich drangen Geräusche von dem Acker herüber. Ich kauerte mich in der Dunkelheit zwischen Schuppen und Gebüsch zusammen. Über mir lagen Kenzie und Ian flach auf dem Bauch. In der Ferne schrie eine Eule. Nach einer gefühlten Ewigkeit gab Ian Entwarnung. Er und Kenzie streckten je einen Arm die Mauer herab, damit ich mich daran festhielt. Kurze Zeit später standen wir auf dem Schulhof und atmeten durch.
"Okay, das war spannend.", gab Kenzie zu. Ihre Augen glitzerten etwa einen Fuß entfernt. Ich murmelte meine Zustimmung und warf einen Blick auf die schwach leuchtenden Zeiger meiner Uhr. 2:04. Ich streckte mich. "Gut, dann wollen wir mal. Liza wartet sicher schon."
Wir waren zwischen einigen Müllcontainern vorbeigekommen und hatten weiter den Wald zu unserer Rechten. Links lagen die Kunst- und Werkräume der Schule, und nach etwa fünfzig Schritten hatten wir unseren eigentlichen Treffpunkt erreicht. Zwischen einigen jungen Buchen wartete Eliza Carlyle auf uns, die Vierte im Bunde. Ihre platinblonden Locken standen in krassem Gegensatz zu den dicken Boots an ihren Füßen und den Aschestreifen in ihrem Gesicht. In der Schule galt sie als die Trendsetterin schlechthin, aber privat schaltete sie gern einfach ab. Und ihre Neugierde kannte keine Grenzen.
"Allerhand," spottete Ian. "Bist du unter die Indianer gegangen, Liza?"
Diese blieb unbeeindruckt. Augenscheinlich. Insgeheim stand sie auf Ian. Der wiederum auf Kenzie ein Auge geworfen hatte.
"Quatsch nicht, Watson. Ich dachte mir, keine halben Sachen. Stimmt´s, Kenzie?", flüsterte sie aufgeregt. "Aber sowas von! Das ist mein Mädel.", meinte diese und klatschte Liza die Hand auf den Rücken. Ich sah an der Fassade hoch. Einen halben Meter über unseren Köpfen befand sich der Balkon des ersten Stockwerkes. Inzwischen hatten sich die Wolken auch ein wenig aufgelockert, sodass hier und dort ein Strahl Mondlicht unseren Weg erhellte. Die Brüstung über uns schimmerte matt.
"Okay, Kenzie hat den Schlüssel und die Lampen," zählte ich auf, "Ian hat eine Videokamera und ich hab Essen und mein Notebook mitgebracht." Liza rückte ihre Mütze zurecht. Für April war es zu kalt. "Ich hab eine Karte von der Schule gemalt, und die Stellen eingezeichnet, die heimgesucht wurden." Ich grinste. Perfekt.
Kenzie, die unsere Schülervertreterin war, hatte sich am Nachmittag zuvor die Schlüssel zum Werkraum angeeignet und öffnete uns die Tür. Wir standen drinnen zwischen verstaubten Pulten und mondbeschienenen Tonfiguren. Ian kramte vier schmale Taschenlampen aus dem Rucksack. "Uhrenvergleich", meinte er. "2:10." "Ich muss mal wohin.", flüsterte Kenzie. "In ner halben Stunde wieder hier?" "Sehr witzig." Ian verdrehte die Augen. "Zeig mal die Karte her, Liza. Irgendwo müssen wir anfangen."
Sie breitete einen DinA3 Bogen auf dem Lehrerpult aus. Ihr Finger zuckte über das Papier. "Die Bioräume sind im ersten Stock. Von da aus hat man einen guten Blick in den Innenhof. Angeblich wurden abends von dort Schemen gesehen. Mal bewegten sie sich, mal standen sie still und guckten in die Gegend." "Ganz schön unheimlich.", meinte ich. "Wer hat das erzählt?"
"Der Bericht kam von zwei Achtklässlern die Nachsitzen mussten.", flüsterte Kenzie. "Dann gab es die Überschwemmung in der Cafeteria." fuhr Liza fort. "Nachts bei Vollmond stand der Raum unter Wasser und eine Art Plätschern war zu hören. Das ist im Erdgeschoss, dazu müssten wir nur über den Innenhof. Dieser Bericht kam von einer Putzfrau." "Und das hier?", fragte ich. Eine hellblaue Stelle im dritten Stock hatte meine Aufmerksamkeit erregt. "Das bedeutet Geräusche, darum das Dreieck. Die neue Kunstlehrerin behauptet, dort etwas oder jemanden weinen gehört zu haben." "Haben wir da auch eine Zeitangabe?", wollte Kenzie wissen. Liza verneinte.
"Auf geht´s."
Der Mond stand hoch am Nachthimmel, als wir den Innenhof überquerten. "Leute?", fragte Ian vorsichtig. "Macht jetzt keinen Aufstand, aber ich glaube, im Gang auf der rechten Seite hat sich was bewegt." Liza und Kenzie rückten unauffällig näher, und ich kniff die Augen zusammen. Doch der Korridor hinter den breiten Fenstern lag verlassen da. Dann wandte ich mich wieder der Cafeteria zu, und ließ den Blick schweifen. "Also ich habe da nichts sehen können", setzte ich an, als die Tür hinter uns ins Schloss fiel. In regelmäßigen Abständen standen Tischgruppen und Stühle. Hier aßen wir jeden Tag in der großen Pause. "Natürlich nicht, da war ja auch nichts. Als ob es sowas wie Geister gibt, die sich plötzlich aus heiterem Himmel sichtbar machen!", sagte Kenzie und stemmte die Hände in die Hüften. Ihr breites Grinsen wirkte etwas gestellt. Ian war nicht so sicher. "Ich hätte schwören können.."
"Mach dir nichts daraus. Dafür habe ich einen Teil des Falles gelöst. Ihr erinnert euch, wer die Geschichte über die überflutete Cafeteria erzählt hat?" fragte ich in die Runde. "Die Putzfrau", rief Liza. "Die mit der dicken Brille", fügte Ian hinzu. "Exakt. Nun, seht euch mal genau um. Es ist wieder Vollmond, und-", ich kniff erneut die Augen zusammen, "die Fliesen sind blitzblank. Wenn man nun eine etwas schlechtere Sicht hat, wie sieht das dann aus?" Die anderen blinzelten, Kenzie keuchte überrascht. Der Boden war eine silbrig schimmernde Fläche. Ian nickte anerkennend. "Nicht schlecht, damit wäre dieses Phänomen erklärt. Nur, wie erklärst du dir das Plätschern, von dem sie erzählt hat?" Ich überlegte noch, da unterbrach mich Liza. "Psst! Habt ihr das auch gehört?" "Nein", kam es von Kenzie und mir wie aus einem Mund. Dann hörte ich es. Ein fernes Scharren, nur ein Stockwerk über uns. Ian fand als Erster die Stimme wieder. "Wir sind nicht allein."