Aller Anfang ist schwer? Erzählanfänge - Guide und Diskussion

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  • Einleitung

    Jeder, der einen epischen Text zu schreiben beginnt, kann dem Wählen eines Erzählanfangs nicht aus dem Weg gehen. Dabei ist der Anfang eines Textes logischerweise gerade ein besonderer Teil desselben: Wenn der Anfang nicht überzeugt, droht die Gefahr, dass der Leser den Text nicht weiterlesen möchte. Selbst wenn man sich dieser Frage bisher nicht bewusst ist: Man wird es ihr spätestens, wenn man den Anfang beim Schreibprozess immer wieder streicht und neu schreibt, da man über den ersten Satz oder die ersten Sätze grübelt.


    Dieses Thema soll auf der einen Seite eine Übersicht von vier möglichen Erzählanfängen bieten, die ebenfalls in Einführungslektüren in die Literaturwissenschaft präsentiert werden, und auf der anderen Seite einen Ort schaffen, in welchem man Textanfänge vorstellen und um Feedback bitten oder über Textanfänge im Allgemeinen diskutieren kann. Mehrheitlich zeigen Einführungen in die Literaturwissenschaft oder Narratologie (=Theorien, welche sich mit epischen Texten, also Erzähltexten, auseinandersetzen wie z.B. der Fabel, Kurzgeschichte oder dem Roman) folgende vier Erzählanfänge auf:



    Invocatio

    Bei der Invocatio handelt es sich quasi um ein Vorwort. Nicht selten werden Invocatio und Vorwort gleichgesetzt. Das ist jedoch eine stark vereinfachte Vorstellung: Eine Invocatio kennzeichnet sich nämlich dadurch, dass der Anfang außerhalb der Handlung steht. Das fordert nicht, dass dieser Anfang als Vorwort gekennzeichnet ist. Er kann auch gewöhnlich unter der ersten Kapitelüberschrift erscheinen. Der Vorteil einer Invocatio kann sein, dass Zusatz- oder Hintergrundinformationen gegeben werden, die an keinen anderen Stellen des Textes passen würden oder für dessen Verstehen wichtig sind.


    Beispiel einer Invocatio:
    Mein Name ist Bisaflor. Ich bin ein Pflanzen-Pokémon, das einsam auf einer weiten Blumenwiese lebt. Du fragst dich, weshalb ich alleine hier lebe? Nun, das ist nicht immer so gewesen und jeden Tag weine ich darüber und meine Tränen benässen die Blumen und lassen sie weiterhin wachsen, während ich das Gefühl habe, dass meine Welt schrumpft. Ich erzähle sie nun. Ich erzähle sie nun, die Geschichte, wie meine Welt schrumpfte: ...



    Ab ovo

    Ab ovo (wörtlich übersetzt: von dem Ei) beschreibt einen Erzählanfang, der schlicht am Ursprung der Handlung beginnt, also zunächst chronologisch vorgeht. Das schließt Anachronien im späteren Verlauf des Textes nicht aus: Vor- und Rückblenden können immer noch auftreten. Der Vorteil dieses Erzählanfangs ist, dass der Leser behutsam und auf einfachem, verständlichen Weg in die Handlung eingeführt wird.


    Beispiel eines Erzählanfangs ab ovo:
    Es war einmal ein einsames Bisasam auf einer weiten Blumenwiese, auf der man nicht unterscheiden konnte, ob sie nun mehr von Blumen oder von Pflanzen-Pokémon bewohnt war. Das stolze Wesen spazierte durch die Farbenpracht, welche sich wie eine Decke über den feuchten Nährboden legte. Umringt wurde die Blumenwiese von Wäldern und Bergen, in der Mitte befand sich ein See, auf den ein Fluss zulief, dessen Rauschen in die Öhrchen unseres kleinen Helden gelangte und es veranlasste, dazu ein Lied zu singen, während es - wie jeden Tag - seinen besten Freund am anderen Ufer besuchen wollte: "..."



    In ultimas res

    Man könnte sagen, dass in ultimas res das Gegenteil zu ab ovo darstellt: Hier beginnt die Erzählung am Ende der Handlung. Anschließend präsentiert der Erzähler, wie es zu diesem Ende gekommen ist. Nachteil dieses Erzählanfangs ist, dass ein Teil der Spannung entfernt wird, da der Leser das Ende bereits kennt. Man kann jedoch damit spielen und dem Leser Rätsel aufgeben oder ihn bewusst täuschen: Man bildet als Leser eine eigene Theorie, wie es dazu gekommen ist, entwirft quasi Hypothesen, und diese werden entweder bestätigt oder verworfen. Man kann z.B. mit einem Ende beginnen (z.B. bei Krimis, wenn der vermeindliche Täter bei der Leiche gezeigt wird), das scheinbar offensichtlich ist (die Hypothese des Leser ist, dass die gezeigte Person der Täter sein muss), und kann den Leser mit dem wahren Hintergrund (die gezeigte Person ist gar nicht der Täter gewesen, sondern entdeckte nur die Leiche und hatte Angst, als solcher verdächtigt zu werden) in der nachfolgenden Handlung irritieren und überraschen.


    Beispiel eines Erzählanfangs in ultimas res:
    Nun spaziere ich allein über die Blumenwiese, welche einst von einer Gefahr bedroht wurde, die Leben kostete. Mein Leben hat sie nicht gekostet; vielleicht ist es auch gar nichts wert im Gegensatz zu den Leben meiner Freunde, die nun wie die einst tobenden Flammen erloschen sind. Warum ist es dazu gekommen? ...



    In medias res

    Der wohl aktuell populärste und vor allem für Kurzgeschichte kennzeichnende Erzählanfang ist in medias res, also mitten in die Dinge. Der Leser wird quasi mitten in die Handlung geworfen. man startet irgendwo in der Geschichte. Vorteil dieses Erzählanfangs ist, dass man direkt mit Spannung am Beginn des Textes glänzen und den Leser für sich gewinnen kann.


    Beispiel eines Erzählanfangs in medias res:
    Die Flammen tobten wie das Glurak, welches in für mich selbst unerreichbaren Höhen über meine Heimate gleitete und diese zu zerstören drohte. Sein Gebrüll ließ meine Gefährten erzittern. Ich rannte durch diese rote Hölle, sah nur noch rot statt der tausend Farben jener geliebten Blumen. Ich hörte Schreie. Qualvolle Schreie. ...




    Anmerkungen und Diskussionsanregungen

    Wie man beim Lesen des einen oder anderen Anfangs vermutlich bereits erkannt hat, kann man nicht immer eindeutig sagen, um welchen es sich handelt. Man könnte eine Invocatio, die am Ende der Handlung steht, auch für ein Erzählanfang in ultimas res halten. Es sind natürlich auch Kombinationen möglich: Man kann mit einer Invocation beginnen und anschließend vom Ende oder mitten in der Handlung starten. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Außerdem gibt es sicherlich Erzählanfänge, die nicht durch diese vier abgedeckt sind. Das ist lediglich eine Auswahl von populären und häufig genannten Erzählanfängen, die eine Orientierung für Autoren geben soll.


    Zum Abschluss ein paar passende Fragen zum Thema, die ebenfalls diskussionsanregend sein sollen:


    • Welcher Erzählanfang ist euer Favorit und warum ist er euer Favorit?
    • Kennt ihr weitere Tipps für Erzählanfänge? Habt ihr Erfahrungen als Leser und Autor, die ihr teilen möchtet?
    • Warum sind bestimmte Erzählanfänge in bestimmten Bereichen populärer als andere? Warum scheint z.B. in medias res ein Trend zu sein? Ist dieser Trend berechtigt?
    • Ihr habt einen Erzählanfang und wisst nicht, ob er euch gelungen ist? Postet ihn und bittet um Feedback!
  • Tolles Topic und gute Erklärungen. Kannte selber nicht die Namen von allen vieren, sondern nur vom letzten, da ich da selber oft nutze. Ich selber habe auch immer und immer wieder Probleme damit einen passenden Anfang zu finden, besonders bei Kurzgeschichten. Das ganze ging so weit, dass ich eine Geschichte gar nicht erst begonnen hatte, weil der Anfang nicht wollte, bis ich im Internet einen tollen Tipp gefunden hatte, wo weiß ich gar nicht mehr, nach dem ich jetzt schreibe, aber dazu gleich mehr.


    Welcher Erzählanfang ist euer Favorit und warum ist er euer Favorit?

    Das wäre der In medias res. Warum? Weil ich finde, dass er am besten zu den Gesichten passt, die ich bisher geschrieben habe. Meine Geschichten sind oft dunkel, mit Spannung ausgestattet-so hoffe ich es jedenfalls oder versuche es- und daher passt ein solcher Anfang für mich einfach. Diese Art von Anfang baut, wie ich finde, sofort zu Anfang ein gewisses Maß an Spannung auf.
    In ultimas res finde ich auch sehr interessant, habe ich bisher aber erst einmal, bei einer meiner Geschichte genutzt, weil es leider nur sehr selten passt. So ein Einstieg muss meiner Meinung nach auch irgendwie passen, sonst wirkt er schnell dahin geklatscht, als wollte man unbedingt etwas erzwingen, denn auch wenn er das Ende zeigt, sollte er nicht alles verraten. Wenn man das ganze Ende schon am Anfang verraten würde, dann müsste keiner mehr die Geschichte lesen. Daher sollte man da ein gutes Mittelmaß finden.
    Manchmal nutze ich allerdings auch eine Mischung aus In medias res und Invocatio. Allerdings muss es hier dann auch passen und der Teil Invocatio umfasst dann meist nur ein zwei Sätze. Bei Gelegenheit grabe ich vielleicht mal wieder so einen Anfang aus.



    Kennt ihr weitere Tipps für Erzählanfänge? Habt ihr Erfahrungen als Leser und Autor, die ihr teilen möchtet?

    Für gute Anfänge? Leider nein, da ich da selber manchmal noch Probleme habe. Allerdings habe ich eine gute Erfahrung damit gemacht, den Anfang einfach so zu schreiben, wie er einem im ersten Moment in den Sinn kommt und dann einfach nicht mehr drüber nachdenken. Selbst wenn er schlecht ist, einfach nicht dran denken, sondern weiterschreiben, bis man etwas in der Geschichte drinne ist und das Gefühl hat, dass sie voran geht. Dann, oder auch wenn die Gesichte zu Ende ist-allerdings das nur bei Kurzgeschichten- noch einmal zum Anfang sehen. Man hat sich dann in die Geschichte eingefühlt, weiß welchen Verlauf sie hat und dann kann man den Anfang-meiner Meinung nach- viel besser passend zur Geschichte überarbeiten. So mache ich das schon seit bestimmt zwei Jahren, aber wo ich den Tipp ursprünglich her hatte weiß ich leider auch nicht. Glaube sogar aus irgendeinem Schreibforum, da sollte ich demnächst mal wieder auf die Suchen gehen.



  • Der Leser wird quasi mitten in die Handlung geworfen. man startet irgendwo in der Geschichte. Vorteil dieses Erzählanfangs ist, dass man direkt mit Spannung am Beginn des Textes glänzen und den Leser für sich gewinnen kann.

    Das lässt sich effektiv mit jeder Geschichte ganz gut machen, die nicht zuerst mit einigen Hintergrundinformationen glänzen will. So ein Anfang hat zwar den Nachteil, dass man als Leser eher einmal verwirrt ist wegen der Geschehnisse, aber nach und nach lichten sich all diese Fragen sowieso (sofern vom Autor entsprechend darauf eingegangen wird) und man bekommt mit der Zeit auch ein Gefühl für die Geschichte, wie alles abläuft und wie sich alles erklärt. Und es muss nicht einmal zwingend mit Action begonnen werden. Auch eine angespannte Situation während einer Klassenarbeit kann theoretisch für so einen Anfang genutzt werden.


    Allerdings habe ich eine gute Erfahrung damit gemacht, den Anfang einfach so zu schreiben, wie er einem im ersten Moment in den Sinn kommt und dann einfach nicht mehr drüber nachdenken.

    Das Schwierigste beim Beginn ist meistens der erste Satz, weil die ersten Worte einmal etwas vorgeben sollen. Wenn der einmal steht, kann man auf diesem aufbauen und weiter schreiben, wie es einem am besten in den Sinn kommt. Gerade diese Denkweise finde ich beim Schreiben enorm wichtig, um weitermachen zu können und sich nicht zwischendurch mit einigen Szenen zu quälen, weil man sofort den Status der Perfektion erreichen will . Das schaffen nur die wenigsten auf Anhieb und meist fallen Ungereimtheiten erst bei der Überarbeitung oder bei erneutem Durchlesen auf. Daher kann ich diesen Tipp auch uneingeschränkt weiterempfehlen.



    Für mich selbst kann ich sagen, dass ich mich auf keinen bestimmten Beginn festgefahren habe. Meist wird es dann doch in Media res, aber grundsätzlich kommt das auch auf die Geschichte selbst an, was sich als Anfang am besten macht. Mal ist eine eher förmliche Einleitung ganz gut (etwa, wenn jemand eine Geschichte erzählen will) oder mal ist in Ultima res besser, wenn man völlige Verwirrung stiften will. Insofern würde ich auch sagen, dass jede ihre Vor- und Nachteile hat und individuell ausgewählt sein sollte.

  • Das Topic ist zwar verstaubt but wayne... werd ich es eben entstauben. ^^


    Ich muss sagen, dass mir die meisten Anfänge, die gleich in tatsächliche Action, Verfolgungsjagden und co einsteigen, viel weniger liegen. Ich brauch erstmal ein Gefühl für den Charakter und die Situation und beim Schreiben will ich dieses Gefühl dafür auch lieber vermitteln, als gleich mit einem direkten Einstieg in die Action zu starten.

    Sobald es dann zu einer spannenderen Szene kommt, hat die imo mehr Gewicht, wenn man den Charakter bereits kennt und mitfiebern kann.


    Dafür mag ich solche Anfänge, die mir eben genau diese Bindung vermitteln und mir vielleicht auch eher einen Einblick in den Alltag des Charakters geben, solange der mir einiges über die Persönlichkeit, Lebensumstände und derzeitige Situation des Charakters verrät.


    Zudem ist ein in medias res-Einstieg, je nachdem wie er geschrieben ist, unter Umständen bereits auch sehr Klischee. Ich meine, die meisten haben vielleicht nicht zum ersten Mal diesen High Fantasy-Einstieg gelesen, bei dem eine Frau panisch auf einem Pferd davonreitet oder davonläuft, von irgendwelchen Minions des Dark Overlords gejagt, und das Wetter dazu einen theatralischen Regenguss und pfeifenden Wind auf die Szene herabblässt. xD


    Ich denke, das geschieht auch einfach dadurch, dass wir sehr stark an visuelle Medien gewöhnt sind und Filme oft einen in medias-Anfang auswählen.

  • Flocon

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