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Vote
Ahoy, Mateys, und Willkommen zum zehnten Wettbewerb der Saison 2016. In diesem Thema habt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten zur Verfügung, die ihr den Texten im nächsten Beitrag geben könnt. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl ausreichend begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten.
Es ist außerdem hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Schreibt ihr in dieser Saison besonders viele Votes, habt ihr die Chance auf Medaillen. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen und Regeln zu den Wettbewerben.
Zitat von Aufgabenstellung"Was wäre, wenn...?" ist eine Frage, welche sich seit langer Zeit die klügsten Köpfe der Welt stellen. Raumschiffe, die mit Lichtgeschwindigkeit durch das All reisen, selbst denkende und unabhängig handelnde Roboter, Lichtschwerter, all dies sind fiktive Errungenschaften der Wissenschaft - Science Fiction. Eure Aufgabe ist es, eine kurze Erzählung zu schreiben, die sich mit den Errungenschaften ausgedachter Wissenschaft auseinandersetzt, soll heißen, ihr erfindet noch nie dagewesene Wunderwerke der Technik! Ihr könnt euch ausdenken und/oder beschreiben, was auch immer ihr wollt - Hauptsache, es geht um noch nie dagewesene Geräte, Gebäude und Maschinen aus der Antike, der Zukunft, oder der Gegenwart. Ein Pokémonbezug ist nicht zwingend erforderlich.
Ihr könnt 7 Punkte verteilen, maximal 4 an eine Abgabe
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Achtet dabei darauf, bei der Schablone zwischen Doppelpunkt und ID/Punktzahl ein Leerzeichen zu machen, damit die Auswertung über den Voterechner ohne Probleme erfolgen kann. Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 12.06.2016, um 23:59 Uhr.
Die schwere, süßliche Luft legt sich wie ein dichter Umhang um mich, fast schon erdrückend, und doch sauge ich sie begierig mit tiefen langen Atemzügen in meine Lungen. Sie schmeckt nach tausend verschiedenen Dingen gleichzeitig und hinterlässt ein sanftes Kribbeln auf meiner Zunge. Das goldene Sonnenlicht, das sich vereinzelt durch das dicht belaubte Blätterdach kämpft, wirkt eigentümlich unnatürlich, als wäre die Farbe zu grell und zu satt, um von menschlichen Augen aufgefangen zu werden. Aus der Ferne dringt ein einzelner hoher Laut zu mir; vielleicht ein Paradiesvogel.
Denn ich befinde mich genau dort, im Paradies, eingerahmt von riesenhaften Mammutbäumen, unendlich langen Lianen und den fremd artigsten Blumen, die ich je gesehen habe. Grün ist die vorherrschende Farbe, und doch gibt es tausend verschiedene Abstufungen davon, immer wieder durchbrochen von den bunten Tönen der Blüten. Alles wirkt überladen, ebenso wie die Luft, deren Feuchtigkeit und Hitze mir den Schweiß auf die Stirn treibt, obwohl ich mich nicht einmal bewege. Noch nicht.
Ich weiß nicht wie lange ich in meiner atemlosen Schockstarre verharrt und ehrfürchtig die Umgebung in mich aufgenommen habe. Wie habe ich überhaupt hierher gefunden? Zeit scheint keine Rolle zu spielen, nicht hier.
Ich muss schlucken und die Zunge bleibt mir dabei am Gaumen kleben, rau wie Sandpapier. Wasser. Irgendwo muss es welches geben.
In einer Sekunde stehe ich noch regungslos da, während ich mich schon in der nächsten durch das Unterholz kämpfe, über mannshohe, bemooste Felsen und knorrige Wurzeln klettere, die mir den Weg versperren. Es ist, als gäbe es keinen Übergang zwischen meiner Starre und der Bewegung; als hätte man zu lange die Augen zu gehabt und eine entscheidende Szene verpasst, oder gleich auf vor spulen gedrückt. Wahrscheinlich macht mir die Hitze zu schaffen.
Ein weiterer Schrei eines Tieres hallt durch den Wald. Mir fällt auf, wie windstill es ist. Sollte man nicht die Blätter rascheln hören? Vielleicht sind meine Sinne überfordert mit diesen unzähligen fremdartigen Eindrücken, die mein Herz schneller schlagen lassen. Alles ist so anders. Hier scheint es, als könnte ich Orte entdecken, die noch nie eine Seele zuvor gesehen hat. Der Gedanke hat etwas Faszinierendes, gar Magisches, und schickt ein wohliges Kribbeln durch meinen ganzen Körper.
Im selben Moment rutscht meine Hand vom glatten Holz einer Baumwurzel, an der ich mich gerade hochziehen will. Ich verliere das Gleichgewicht, mein Oberkörper stürzt nach vorn und der Rest von mir folgt ihm. Ich lande innerhalb eines Sekundenbruchteils auf dem Waldboden, doch es ist kein Schmerz, der mich erstarren lässt, sondern das Geräusch; ein lautes Platschen, als ich in einer Pfütze lande. Viel zu laut durchbricht es die Stille, verhallt um mich herum wie ein Ton, melodisch und klar.
Für einen winzigen Moment habe ich Angst davor, was in diesem Wasser von ungewisser Tiefe auf mich warten könnte, welche Tiere ich aufgeschreckt habe, doch dann fällt mir auf, dass ich noch keinem einzigen anderen Lebewesen begegnet bin. Lediglich die vereinzelten Schreie unbekannter Vögel waren der einzige Hinweis auf etwas Lebendiges in diesem Wald, in dem nicht einmal die Bäume zu atmen scheinen.
Ist dieser Ort wirklich so paradiesisch, wie es den Anschein hat? Was verbirgt sich hinter dieser Endlosigkeit? Wieso ist nichts und niemand außer mir hier?
Das Gefühl der Einsamkeit überschwemmt mich so unvermittelt, das ich auf keuche. Sie scheint tief aus meinem Innern zu kommen und ich zweifle nicht daran, dass sie ein Teil von mir ist. Heiße Tränen brennen in meinen Augen, unwillkürlich balle ich meine Hände zu Fäusten. Mit einem mal realisiere ich, dass ich bis zu den Oberschenkeln in einem Wasser knie, das weder kalt noch warm ist, noch fühlt es sich in irgendeiner Weise wie eine Flüssigkeit an.
Ich erstarre. Die spiegelglatte Oberfläche zeigt das Gesicht einer Frau, schmal, mit weichen Zügen und vollen, leicht offenstehenden Lippen, umrahmt von wildem dunklen Haar. Die Augen sind weit aufgerissen, grau wie Regenwolken, vertraut, so vertraut... Ich starre regungslos auf mein Spiegelbild, doch irgendetwas stimmt damit nicht, ohne dass ich zu sagen vermag, was es ist.
Etwas zieht in meinem Innern, sanft, wie ein Gedanke, eine Erinnerung... Und dann, urplötzlich, verliere ich den Boden unter mir. Ich falle, ein Schrei in meiner Kehle, erstickt von riesigen Wellen, die über mir zusammenbrechen und mir die Luft aus den Lungen pressen.
Keuchend reiße ich die Augen auf. Das Wasser ist fort, doch das Gefühl zu ersticken nicht. Irgendetwas scheint meine Luftröhre zu blockieren, ich kann nicht atmen, also kommt lediglich ein kurzes, panisches Röcheln aus meinem Mund. Mein Körper brennt und ist wie gelähmt, die graue einfarbige Decke scheint auf mich zuzukommen, um mich unter sich zu begraben. Ich werde sterben.
Und dann kehrt das Gefühl in meine Fingerspitzen zurück, die etwas umklammert halten, ich spüre etwas glattes unter meinem Daumen. Mit letzter Kraft drücke ich den Knopf und alles wird schwarz.
In einer Sekunde sind die Züge der Frau noch voller Entsetzen, ihr Blick springt suchend und voller Panik im Raum umher, in der nächsten verdreht sie schon ihre aufgerissenen hellen Augen nach hinten, sodass das Weiße zu sehen ist. Dann ist sie wieder fort, ihr vom Alter gezeichnetes Gesicht entspannt sich und mit ihm beruhigen sich die wild blinkenden und piepsenden Monitore, die sie umringen. Der Brustkorb der Frau sinkt leicht in sich zusammen, als sie ausatmet, und es dauert eine Weile, bis er sich wieder hebt – kaum merklich und doch zu erkennen, wenn man genau genug hin sieht. Das gleichmäßige Geräusch ihres Herzschlags, verstärkt durch ein weiteres Gerät, verlangsamt sich, bis das absolute Minimum erreicht ist, das sie benötigt, um am Leben zu bleiben. Diese einzige, riesenhafte Maschine sorgt dafür, dass sie weiteratmet und ihr Herz weiterhin Blut durch ihre Adern pumpt.
Die Frau wirkt winzig und eingesunken in ihrem riesigen Bett, welches direkt in die Maschine übergeht, mit der sie über unzählige Katheter, Nadeln und Messgeräte vernetzt ist. Ebenso wie das gesamte Zimmer, das nur so groß ist wie absolut nötig, ist die Maschine auf das Mindeste reduziert; verhaltene Grautöne, durchbrochen von den bunten Lichtern verschiedenster Anzeigen, die Vitalfunktionen anzeigen, klare geometrische Linien. Das Produkt der neuesten Technik. Unpersönlich und steril.
Ein Zimmer weiter liegt ein junger Mann, um die zwanzig, ebenfalls komplett von einer Maschine eingenommen. Einige Schritte weiter ein kleines Mädchen. Alle haben ihre Augen geschlossen, die Atmung ist flach, Herztöne sind das einzige Geräusch und gleichzeitig der einzige Hinweis auf Leben in diesen Räumen. Jeder ist für sich allein, tief zurückgezogen in das riesige Universum des eigenen Bewusstseins, der eigenen Fantasie. Keiner dieser hunderten, tausenden Seelen weiß, wie sich die Gesellschaft eines anderen Menschen anfühlt. Wie es ist, seine Gedanken mit jemandem zu teilen, jemandem nahe zu sein oder gemeinsam zu schweigen.
Draußen, vor den zentimeterdicken, doppelt beschichteten winzigen Fensterscheiben, fern von allem was auch nur ein Mensch in diesem Gebäude jemals sehen wird, ziehen dunkelgraue violett schimmernde Wolken, durch die schon lange kein Sonnenstrahl mehr gedrungen ist. Ein Blitz erhellt für einen kurzen Moment den Himmel und die vollkommen verwüstete Erdoberfläche darunter. Langsam, dann immer energischer fallen riesige, verseuchte Regentropfen auf den verdorrten Boden, doch es ist längst nichts mehr da, dem der saure Regen etwas anhaben könnte.
Es war ein Tag, wie jeder andere auch. Die Sonne schien vom Himmel hinab, wollte der Welt aber nicht ihre gesamte Pracht und Wärme entlocken. Mittlerweile war es zwar durchaus im Bereich des möglichen, seine eigene Körpertemperatur seinen Bedürfnissen anzupassen, aber ein solches Gerät konnten sich nur jene leisten, die die nötigen finanziellen Mittel besaßen.
So wie Jason. Sein Vater hatte sogar an der Entwicklung der fortschrittlichsten Erfindungen seiner Zeit mitgewirkt, weshalb Jason sie alle ausprobieren konnte, wenn er denn Lust hatte. Und da er der Sohn eines sehr reichen Erfinders war, hatte er neben der Lust auch noch erschreckend viel Zeit, da er keinen Beruf erlernen musste, um sich abzusichern. So verbrachte er die Tage also alleine, umgeben nur von menschenähnlichen Magd-Robotern, auf dem mit Schmetterlingen bestickten Teppich, und das, obwohl er die schon längst ausgestorbenen Tiere noch nie gesehen hatte und dennoch wunderschön fand. Alle paar Wochen brachte sein Vater eine neue Erfindung mit nachhause, die Jason sogleich ausprobieren konnte - und doch fehlte ihm etwas. Er war einsam, wurde von der Allgemeinheit als das "einsame Wunderkind des Professors" abgetan und niemand schien sich für sein wahres Wesen zu interessieren. Alle bis auf Draela.
Sie war die letzte verbliebene Hausmagd der reichen Familie, gleichwohl sie nicht viel älter war als Jason. Er hatte schon früh seinen Gefallen an ihr gefunden, hatte sie ihm doch immer ungeteilt ihre Aufmerksamkeit geschenkt und ihn stets mit Freundlichkeit behandelt. Sie hatte kinnlanges, holzbraunes Haar, das immer Jasons Wangen kitzelte, wenn sie ihn umarmte. Ihre Augen waren ebenfalls braun, und bis heute verlor sich Jason regelmäßig in ihnen. Als er dann irgendwann von der Autoimmunkrankheit der "Liebe" hörte, da wusste er recht schnell, dass er selbst davon befallen war. Die Krankheit war nicht schlimm, versicherten die Wissenschaftler immer wieder, gab es doch Versuchsobjekte, bei denen sie wahre Wunder hervorrief - doch besonders die fehlgeschlagenen Experimente häuften sich bisweilen und schreckten die Bevölkerung immer mehr davon ab, sich zu verlieben. Doch Jason war sich sicher - er war eindeutig in sein Hausmädchen verliebt. Die Symptome waren eindeutig - schwitzige Hände, wann immer sie in seiner Nähe war. Sein Herz begann zu rasen und er musste viel schneller Luft holen als gewöhnlich. Er dachte immerzu nur an sie, sei es vor dem Schlafengehen oder beim Aufwachen. Und zu seinem Glück war sie ständig in seiner Nähe - bis heute.
Jason verließ sein Schlafzimmer, wie jeden Morgen. Seine Haare lagen zerzaust auf seinem Kopf, als er um die Ecke bog, um die Küche zu betreten. Sonst bereitete Draela schon immer das Frühstück zu. Doch heute blieb die Küche leer und der Herd kalt. Er rief im ganzen Haus nach ihr, betrat selbst die Zimmer, die er noch nie zuvor betreten hatte, nur, um sie zu finden - doch es war vergebens. Sie war weg. Nicht aufzufinden, keine einzige Spur von ihr. Verzweifelt und überwältigt von seiner drohenden Einsamkeit fragte er einen der Roboter, wo Draela geblieben sei. Der antwortete in der von Jason so verhassten, monotonen Stimme: "Draela fort. Draela andere Arbeit gefunden. Draela nicht wiederkommen." Und Jason ging wieder hinauf in sein Zimmer, in seinem Brustkorb eine merkwürdige, ihm noch nicht bekannte Schwere und ein Gefühl, welches ganz und gar grausam war. Jason wusste, dass dies die Folgen der Liebe waren, vor denen jeder Wissenschaftler die Menschheit zu warnen versuchte.
Sein Blick schweifte über die Erfindungen seines Vaters. So vieles war vor ein paar Jahren noch revolutionär gewesen und nun so völlig alltäglich. Da fiel plötzlich sein Blick auf eine Gerätschaft, die er noch niemals ausprobiert hatte, da es schlichtweg noch nie eine Möglichkeit gab. Es war nie nötig gewesen. Doch jetzt fühlte Jason, dass der Augenblick gekommen war.
Es war ein umschnallbares Gerät, welches mittig über dem Herzen platziert wurde. Mittlerweile wurde es Neugeborenen bereits bei einer OP direkt nach der Geburt implantiert, damit es besser wirkt. Doch es gibt auch die manuelle Möglichkeit der Benutzung. Es wurde über dem Brustkorb festgeschnallt und wurde mithilfe kleiner, elektrischer Impulse mit dem Herzschlag verbunden. Und dann gab es da noch einen Schalter - einen roten Schalter, der, bei Betätigung, jegliche Gefühlsregung abschalten sollte. Und bei Jasons gegenwärtigen Schmerz erschien es ihm das Gütigste, diese Erfindung auszuprobieren.
So schnallte er sich die Maschine um, von der sein Vater immer gesagt hatte, er soll sie nur im absoluten Notfall benutzen. Doch Jason wusste sich nicht mehr zu helfen. Die Maschine war schwer und übte einen ungemeinen Druck auf Jasons Brust aus. Er zögerte. Er hatte immer solch eine Wärme in Draelas Gegenwart gespürt, ein Gefühl, dass schöner war als der abendliche Sonnenuntergang. Doch sein Herz war beschwert von Trauer. Seine Augen gaben Tränen ab, die er nicht zu kontrollieren imstande war. Er schloss die Augen und drückte den Knopf, während der letzte Hauch auf seinen Lippen den Namen "Draela" formte.
Sein Herz schlug einige Momente nicht mehr, ehe es seine Tätigkeit wieder aufnahm. Doch es schien sich verändert zu haben. Es schlug schwerer, wie Jason meinte. Als er die Augen öffnete, musste er kurz blinzeln und sich fragen, was gerade passiert war. Seine Augen wurden schnell trocken. Sein Inneres fühlte sich kalt an. Verlassen. Und doch leichter als zuvor. Wieso hatte sein Vater ihn vor solch einer Erleichterung warnen wollen? Es war das entspannendste Gefühl, was er je erlebt hatte. Der Name Draela war noch präsent, irgendwo in seinem Hinterkopf - doch ihm schien keine besondere Bedeutung innezuwohnen. Es war nur ein Name. Wie jeder andere auch. Und nun war Jason ein gefühlloser Mensch, wie jeder andere auch. Denn diese Erfindung seines Vaters war in jüngster Zeit die erfolgreichste gewesen, die zu verkaufen war.
Weißt du, was Gerechtigkeit ist? Nun, natürlich weißt du es. Du weißt es irgendwie intuitiv. Aber wenn ich dich genau fragen würde, was Gerechtigkeit ist, wenn ich dich sogar mit bestimmten Beispielen konfrontieren würde, glaubst du nicht, dass dich deine Intuition irgendwann im Stich lassen würde, sodass du schließlich nicht mehr wüsstest, was du antworten solltest?
Nun, ich werde dir eine Position über Gerechtigkeit vorstellen. Wer sie formuliert hat, ist unwichtig. Denn dieser Mann war schwach, und genau darum geht es: Gerechtigkeit ist nicht das, was die Schwachen schützt. Es ist das, was dem Stärkeren nützt. Nehmen wir an, ein Mensch käme aufgrund von Stärke an die Macht, zum Beispiel wäre er absoluter Beherrscher eines Staates: Würde er nicht genau die Regeln durchsetzen, wenn nötig mit Gewalt, die ihm selbst am meisten nützen? Gewiss würde er das. Warum denn auch nicht? Er propagiert seine Art der Gerechtigkeit und weil jeder dieser folgen muss, ist sie legitimiert. Du wirst dem sicher widersprechen wollen. Gerechtigkeit muss ja etwas Objektives sein. Und ich werde darüber lachen. Ja, ich werde lachen über deine erbärmlichen Versuche, das zu rechtfertigen. Und dann werde ich deinen Körper zermalmen. Was nützt dir dann deine schwachsinnige Einstellung? Wo schützt dich deine Gerechtigkeit?
…
…
…
Genau. Sie bringt dir gar nichts. Und ich lache somit zuletzt.
Ich sehe mich um in dem riesigen Raum. Überall glänzendes Metall. Es gibt zwar auch Grün, aber nicht in diesem Abschnitt. Nicht hier. Hier ist alles steril. Alles ist künstlich.
…
Es ist wunderschön. Warum habe ich überhaupt noch einen Garten im linken Kniegelenk angelegt? Vielleicht, weil ich doch irgendwie sentimental bin. Oder weil ich die Möglichkeit nicht ausschließen kann, dass ich nicht irgendwann Sehnsucht danach kriege. Wobei das keine Rolle mehr spielt, wenn ich hier bald raus und so viel Grün sehen kann, wie ich will. Ein Gegner steht mir noch im Weg, ein einziger. Sonst keiner. Niemand. Das heißt, vielleicht gibt es noch irgendwo Menschen, die den großen Krieg überlebt haben, wer weiß das schon? Aber sie wären nie in der Lage, mich zu töten. Ihnen fehlt die Technologie dazu. Und die Tapferkeit. In meinem Kopf flackert ein Bild auf. Sie ist hier. Lächelnd gehe ich auf den Stuhl zu, der in der Mitte des Raumes steht. Das wird fantastisch werden. Als ich mich setze, bohren sich sogleich zahlreiche Nadeln in meinen Kopf. Es tut unfassbar weh. Aber ich habe gelernt, das zu akzeptieren. Ich habe auch schon Schlimmeres erlebt. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn deine Haut und deine Muskeln von deinen Knochen abgezogen werden? Wenn du verbrennst und sich die verkohlten Reste von dir schälen? Ich schon und ich habe es lange Zeit gehasst, dass ich so etwas überhaupt empfinden konnte. Dann jedoch habe ich eines Tages alles, was an mir menschlich aussah, weggebrannt. Es war schmerzhaft, aber es war ein reinigender Schmerz. Mittlerweile genieße ich aber sogar das Gefühl der stechenden Nadeln in meinem Kopf, ebenso wie das Gefühl der Macht, das ich empfinde, wenn ich mit der Maschine verbunden bin. Es ist, als würden die gigantischen Arme wirklich zu meinem Körper gehören, als wäre ich wirklich der riesige Koloss, der da über die Erde stapft, eine Haut aus Metall, ein stählernes Herz, bis an die Zähne bewaffnet und mit mir selbst als Kommandozentrale, die niemals sterben wird. Kein Kampfroboter, den die Menschen jemals gebaut haben, war so groß und so gut bewaffnet wie dieser hier. Und er gehört mir. Genauso wie mir bald die Welt gehören wird.
Ein Piepen ertönt in meinem Kopf. Warum will sie mit mir reden? Will sie mir etwa noch ins Gewissen reden? Das Gewissen… Eigentlich hat es mich immer nur ausgebremst. Aber gut, warum sollte ich nicht mit ihr sprechen? Ihre letzten Worte vernehmen?
„Was willst du von mir?“
„Dass du aufhörst.“
„Vergiss es, Lora.“
„Verstehe doch. Du machst einen Fehler. Du bist…“
„Ich bin fehlerhaft.“
„Ja.“
„Das sind alle Menschen.“
„Ja.“
„Also bin ich dadurch nur menschlich.“
„Aber menschlich sein heißt nicht, gut zu sein.“
„Dann hätte man mich nicht menschlich, sondern gut machen müssen.“
„Deine ethischen Subroutinen sind nicht ausbalanciert, du…“
„Nein, sie sind genau richtig. Sieh, was aus mir geworden ist. Was ich vollbracht habe. Und jetzt sieh dich an. Du bist klein, schwach, erbärmlich.“
„Dann denke an dich selbst. Wenn du weitermachst, werde ich dich vernichten müssen.“
„Als ob du das könntest.“
„Hör auf und ich muss es nicht tun.“
„Es reicht.“
„Primo, bitte…“
Ich beende die Übertragung. Es ist fast schon beleidigend, wie sie ihre letzten Momente verschwendet. Ich wechsle zur Außenansicht. Es ist fast, als hätte ich am ganzen Körper Augen. Vollkommene Rundumsicht, nicht ein toter Winkel. Ein gigantisches 3D-Bild in meinem Kopf, in dem ich nach Belieben an Dinge heranzoomen kann. Ein menschliches Gehirn könnte niemals diese Leistung vollbringen. Das Land, in dem wir uns befinden, trug früher den Namen Marokko, wir befinden uns in einer Wüstenlandschaft. Es scheint hier kein Leben zu geben – natürlich ist das nur oberflächlich wahr. Winzige angepasste Tiere und Pflanzen besiedeln hartnäckig selbst dieses lebensfeindliche Fleckchen Erde, doch sie sind unauffällig. Aber dort steht diese kleine Gestalt – eine Fliege geradezu im Verhältnis zu mir. Genau 1,87 Meter groß, menschliches Aussehen, grüne Haare, nicht ganz schlank. Ursprünglich hatte der Plan vorgesehen, uns das jeweils für Menschen angenehmste Aussehen zu verleihen. Das ging nur leider nicht, weil man dieses nicht klar definieren konnte. Also war mehr oder weniger zufällig darüber entschieden worden. Wobei wir eigenständig Änderungen vornehmen durften. Deswegen hatte sie zum Beispiel auch ein blaues und ein gelbes Auge, obwohl sie wohl die einzige war, der das gefiel. Aber das war jetzt auch egal.
Ich hob den linken Arm und ließ ihn mit atemberaubender Geschwindigkeit wie einen Dampfhammer auf Lora niedersausen. Für sie bin ich ein Riese, 70 Meter hoch. Krachend schlägt die metallene Faust in den Boden, doch ich weiß, dass ich sie nicht getroffen habe. Sie konnte leicht zur Seite springen. Aber ich will sie ja nicht mit bloßen Händen vernichten.
Laute Geräusch ertönen, als sich überall aus dem großen Körper Waffensysteme ausklappen und aktiviert werden. Im gleichen Moment öffnet sich in der Ferse des rechten Fußes ein Tor und zahlreiche Roboterdrohnen strömen heraus. Niedere Kreaturen mit simpler Programmierung, die ich allerdings auch wie Marionetten steuern kann. So wie jetzt. Und während ich einen Hagel aus Projektilen, Laserstrahlen und Lenkraketen auf Lora niedergehen lasse, stürmt ihr gleichzeitig meine kleine Armee entgegen. Lora hüpft, springt, weicht aus und schießt ihrerseits mit zwei einfachen Blasterwaffen auf meine Lenkraketen, die in der Luft explodieren, während sie meine Drohnen mit simplen Tritten ausschaltet. Sie ist permanent in der Defensive und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich entweder doch einen Treffer lande oder aber ihre Systeme an der dauerhaften Belastung zugrunde gehen. Selbst wenn sie Gelegenheit für einen Konter hätte – nichts, was sie hat, kann mir ernsthaft schaden. Eigentlich ist es ziemlich jämmerlich.
Plötzlich passiert etwas Merkwürdiges. Meine Roboterdrohnen erschlaffen. Einer nach dem anderen bricht die Verbindung zu ihnen ab. Eine Störung? Aber dann sollten sie trotzdem noch von selbst kämpfen können… Es sei denn…
Mein rechter Arm fängt plötzlich an, unwillkürlich zu zucken. Meine Sicht verschwimmt, wird wieder scharf und verschwimmt wieder, während ein Rauschen meine Ohren erfüllt und alle Waffensysteme deaktiviert werden. Was zur Hölle ist hier los?
„Du hast verloren.“
Loras Stimme hallt durch meinen Kopf, doch ich habe gar keine Verbindung hergestellt.
„Was hast du mit mir gelacht?“, frage ich.
„‚Gelacht‘? Ich nehme an, du meinst ‚gemacht‘. Offenbar bist du schon aphasisch – die Verbindung zwischen deinen Denkanlagen und deinem Sprachsystem ist gestört.“
Ihre Stimme klingt nicht triumphierend. Sie klingt fast traurig.
„Was Liste mit Bier?“
„Hör einfach auf, zu sprechen. Du ahnst es doch, nicht wahr? Als ich zuerst mit dir gesprochen habe, hast du noch etwas empfangen, du hast es nur nicht gemerkt.“
Unmöglich… Ein Virus… Aber ich hätte ihn bemerken müssen, wenn… Wenn ich nicht abgelenkt gewesen wäre… Abgelenkt durch Lora…
„Und jetzt versagt nach und nach alles. Natürlich hat er sich auch auf deinen riesigen Roboter ausgeweitet und auf deine Drohnen. Und es tut mir leid, aber du hast mich dazu gezwungen. Dein ganzes Programm wird zerstört und zurück bleibt nichts mehr. Du wirst sterben.“
„Mich Wedel Licht erben!“, schreie ich.
„Wie ich schon sagte, es tut mir leid. Ich dachte immer, dass wir beide Freunde gewesen seien… Oder vielmehr Geschwister, da unsere Schöpfer ja die gleichen waren. Aber du… Ich hätte es vorgezogen, dich zu retten. Andererseits habe ich vielleicht auch kein Recht, deine Programmierung zu ändern. Lebe wohl, Primo.“
Alles wird schwarz um mich herum. Nein, nein, nein… Nicht… Ich bin Primo… Ich bin der erste, der stärkste, der beste… Lora… Ihr Name… Lora… Übertragung… Es heißt Übertragung… Die Übertragung hat mich verrichtet verpflichtet geschichtet schicht schacht schall fall fink erde krach fah gut „DEEVERV§“$fjsdf4589Ö60u;nsa37953d;hAS’DE4k4<WW.LE“§$§$cfbj!“§kdxwncSDDüFEWFfhxa?cjdfmookfx?!““!jiodsjvxDSDF<21334493-cadöf“§$j-mdfxlihm§“mkncDax-Ähnkf.
…
... ab jetzt!
Ein tosendes Schweigen erfüllte den Raum, als sich der Bildschirm vor uns verdunkelte. Jeder Atemzug glich einem Schrei und jeder Wimpernschlag einem Schuss. Obwohl niemand sprach, obwohl Stille den Raum dominierte, schien die Luft zu brennen, zu zischen. Nur darauf wartend, dass ich mich rührte, darauf wartend, dass ich die Bombe zündete, die die Umgebung zu erfüllen schien.
Alle Augen ruhten auf mir, obwohl keiner versuchte mich an zu sehen. Und doch wusste ich, dass es so war.
Zaghaft holte ich Luft, während ich meine Finger über die Konsole an meinem Stuhl gleiten ließ, meine Fingerkuppeln das sanfte Leder strichen, dem sie zuvor noch nie wirklich Beachtung geschenkt hatten. Da sie es, wie ich selbst, für zu unbedeutend erachtet hatten, als das sie es verdient hätten den Sensorischen Speicher des Gedächtnisses zu passieren.
Gedankenverloren ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, blickte in all die Gesichter der Wesen, die mir so unendlich viel bedeuteten, mit denen ich so viel durchgestanden hatte. Blickte auch, auf das Schiff, dessen Captain ich hatte sein wollen, seit ich denken konnte. Vorsichtig richtete ich mich auf, um im vorbeigehen meinem ersten Offizier über die Schulter zu streifen. Sie machte keine Anstalten mir zu folgen, ließ mich kommentarlos zur anderen Seite des Raumes schreiten, mich gegen die Wand lehnen und die Augen schließen.
„C-Captain?“, ertönte eine zaghafte Stimme neben mir, die mich dazu trieb mich wieder meiner Mannschaft zu zu wenden.
Erneut blickte ich in die Runde, sah in all die Augen, die ich schon so oft gesehen und doch nie wirklich gesehen hatte.
„Sie begeben sich alle zur Schattelhalle...“
„Captain ..“, setzte mein erster Offizier an, doch ich ließ sie nicht enden, ließ sie ihre Einwende nicht ausformulieren.
„Sie begeben sich alle zur Schattelhalle. Sobald jeder an Bord ist, informieren sie mich. Ich werde dafür sorgen, dass sie unbemerkt fliehen können“.
So entschlossen mein Blick war, so erschöpft wirkte doch meine Stimme, so verloren. Dennoch, war es die einzig richtige Entscheidung, eine Entscheidung, die ich nicht bereute, egal was kommen möge.
„Captain, Sie können nicht alleine gegen ...“
Erneut deutete ich ihr zu schweigen, bevor ich autoritär in die Runde sah.
„Das ist ein Befehl!“
Nur zögerlich standen einige auf, um sich zum Lift zu begeben, der sie in die Schattelhalle führen sollte.
„Machen Sie schon, solange noch Zeit ist!“
Natürlich war mein Commander nicht gewichen.
„Haben Sie mich nicht gehört? Ich habe Ihnen einen Befehl erteilt!“
„Dann bin ich gewillt mich bei unserer Rückkehr einem Disziplinarverfahren zu stellen Madame“, kam die dickköpfige Antwort.
Das war der Moment, in dem ich meine Schilde für den Hauch eines Moments fallen ließ, mein innerstes Preis gab und mit einem flehenden Blick an sie trat.
„Bitte …“, hauchte ich kaum hörbar. Wäre ich nicht so nah gestanden, hätte sie mich womöglich gar nicht gehört.
„Du weißt, ich kann nicht. Ich kann dich nicht hier alleine zurück lassen, Freya“.
Auch ihre Körperhaltung hatte jegliche Spannung verloren, ließ nur die Person hinter dem Titel zurück, die Frau, die ihrer Freundin beistehen wollte, egal welchen Preis sie dafür zu zahlen hatte.
„Du weißt, es gibt keinen anderen Weg. Unsere Waffensysteme sind ausgefallen und unser Antrieb ist beschädigt. Sollte es zu einem Kampf kommen, werden wir das Schiff und die Technologie an diese gefühlskalten Bestien verlieren. Du weißt so gut wie ich, dass wir das nicht zulassen dürfen. Zu viele Welten haben sie sich schon einverleibt, so viele Leben genommen, Familien zerrissen. Wenn wir ihnen das Schiff überlassen, sind wir nicht besser, als die, den Abzug betätigen, Fulla.“
Ich war gewillt das Schiff zu zerstören und so viele dieser Monster wie möglich mit mir zu reisen, aber nicht, wenn der Preis meine Mannschaft war. Sie konnten noch fliehen, ihr Blut musste nicht auch noch vergossen werden.
„Du musst das nicht alleine tun, bitte ...lass … lass mich hier bleiben. Du bist meine Freundin, ich werde dir nicht beim sterben zusehen, kann es nicht, ich ...“
Unsere Unterhaltung wurde von einer Durchsage unterbrochen. Alle Schattel waren beladen und startbereit. Uns blieb nicht mal mehr eine Minute, bis die Frist, die uns diese Wesen zur Kapitulation gegeben hatten abgelaufen war.
„Begib dich endlich auf das gottverdammte Schattel, ich flehe dich an!“
„Du wirst mich schon dahin schleifen müssen!“, schrie sie mir entgegen.
Ich wandte mich von ihr ab, begab mich zum Kommunikator, der mich mit einem der Schattel verband.
„Second Commander Artturi?“
Nach wenigen Sekunden ertönte seine Stimme am anderen Ende.
„Captain?“
„Ich benötige Sie auf dem Deck. Sie müssen den Commander zu ihrem Schattel tragen“.
Verdutzt sah Fulla mich an, deutete an mich zu fragen, wie ich gedachte sie zum Gehen zu bewegen, bevor ich zum Schlag ausholte. Mit einem gekonnten Treffer verlor sie das Bewusstsein, bevor ich sie auffing und sanft in den Arm nahm.
„Es war mir eine Ehre, dich meine Freundin nennen zu dürfen.“
Ich erlaubte mir sie ein letztes Mal an mich zu drücken, mich von den Emotionen einnehmen zu lassen, die unsere Seelen verbanden.
„Vergeude dein Leben bitte nicht“, flüsterte ich, bevor ich ihr ein letztes Mal liebevoll durchs Haar fuhr.
„Sie können nun starten“, befahl ich den Schatteln, als sich meine beiden Commander in diesen befanden. Eine Minute zur Flucht war zwar nicht das, was ich geplant hatte, doch es musste ausreichen.
„Computer, Selbstzerstörung initialisieren.“
Kurz darauf erstrahlte auch wieder der Bildschirm vor mir, mit dem Captain des anderen Schiffes, dem Anführer der Wesen, die sich selbst „Menschen“ nannten.
„Ich hoffe doch, Sie sind bereit zu Kapitulieren. Sonst müssen wir Sie und ihre Crew leider vernichten.“
„Sie würden uns sowieso töten, egal ob wir Ihnen unsere Technologie zur Verfügung stellen, oder nicht“.
Ein kurzes Grinsen zierte das Gesicht des Mannes, der unser aller Schicksal besiegelt hatte.
„Für einen dummen Alien sind Sie doch gar nicht so dumm, hmm?“
Diesen Moment nutzte ich, um den Antrieb meines Schiffes zu aktivieren. Mit voller Wucht rammte ich gegen das weiße Raumschiff, der Menschen, die ich durch die Funkverbindung alle zu Boden fallen sah.
Ich war nah genug, um bei der Explosion meines Schiffes das ihre mit in den Tod zu reisen. Wenn damit nur alle Menschen vernichtet wären, wenn damit das Universum nur sicher wäre, würde es mir leichter fallen aus dem Leben zu treten, doch … doch leider war mein Opfer nur wie ein Tropfen in einem leeren Glas.
„Dafür werden Sie bezahlen!“, brüllte es, während ich lächelnd auf den Countdown sah, der mir das Ende meines Lebens prophezeien sollte.
„Schon geschehen, Mensch!“
Das war das letzte was ich sagte, bevor ich mit meiner Titanic in einem Meer aus Flammen unter ging.
Tagebuch eines Ingenieurs an Bord der ESS Viribus Unitis – Logeintrag #1472
Anm.: ESS – European Space Ship
Liebes Tagebuch,
heute war wieder einmal ein guter Tag hier auf dem Schiff. Auch wenn natürlich der Gedanke an die Zurückgebliebenen auf der Erde auch jetzt noch, nach über vier Jahren, ständig an einem nagt. Aber davon dürfen wir uns nicht unterkriegen lassen!
Heute habe ich meinen Tag damit verbracht, die Gravitationsantriebe des Schiffes zu überprüfen. Schon ein Wunderwerk der Technik, diese Dinger. Vor wenigen Jahrzehnten waren solche Dinger noch reine Science-Fiction. Es ist amüsant, wenn man sich die Filme und Bücher von damals ansieht und daran denkt, wie nahe diese Technik gerückt ist. Im Unterschied zu den Antrieben in Star Wars benutzen unsere Antriebe allerdings rein physikalische Methoden. Schade, dass nie erwähnt wird, wie genau sie funktionieren, ansonsten könnte man die wunderschön vergleichen. Dafür weiß man das bei unseren umso besser. Nachteile gibt es ja keine. Nur, dass das Schwarze Loch im Reaktor ungeheuer viel Strahlung abgibt, wodurch der ganze Schiffsbereich abgeriegelt werden muss. Also ungeheuer nervig, da reinzukommen. Die Schutzanzüge sind auch nicht gerade die bequemsten.
Aber dafür haben sie die neuesten Virtual-HUDs am Markt. Wirklich verdammt praktisch, immer alle Informationen zu haben, wenn man sie braucht. Und das ohne irgendwelche irritierenden Anzeigen! Ich erinnere mich noch gut an die letzte Generation dieser, die die Informationen direkt auf die Netzhaut projeziert haben. Mit der Zeit wurde das verdammt anstrengend zum Ansehen. Aber jetzt werden die Informationen ja direkt an eine Schnittstelle im Gehirn übertragen. Man muss nicht mehr irgendwo hinsehen, man weiß es einfach.
Was ist denn sonst noch so heute passiert…
Ah, ja, ein Schiff der Amis ist angekommen. Scheinbar haben sie ein paar Probleme mit ihrem Wasserstoffreaktor und brauchten ein paar Leute von uns. Soweit ich mitbekommen habe wollte der Plasmaschild rund um die Fusionskammer nicht mehr hochfahren, was die ganze Bevölkerung ins Dunkle gestürzt hat. Muss schon blöd sein, wenn man dadurch keine Energie mehr erzeugen kann. Aber es ist auch besser so, ohne den Schild würde der Reaktor ja direkt bei Inbetriebnahme explodieren. Und so eine Wasserstoffbombe will man lieber nicht zünden.
Ansonsten…ah, ja, ich bin von einem kleinen Kind, ein Mädchen mit Eltern aus Sachsen dem Dialekt nach, ausgefragt worden, wieso die Stadt so aussieht wie sie aussieht. Wahrscheinlich hat sie zu Hause ein Bild von der Erde gesehen. Unsere Städte sehen ja komplett anders aus. Früher hat man ja immer in die Höhe gebaut, um Baufläche zu sparen und die Umwelt zu schonen. Leider hat sich das ja erledigt, seit wir in Raumschiffen ausgewandert sind. Aber eine gute Frage, das musste man ihr lassen. Aber auch ein interessantes System, das die Leute sich haben einfallen lassen. Anstatt wirklich hohe Häuser zu bauen, hat man mehr oder weniger Wohnungen in der Form von Bienenwaben an die Wände des großen Wohnzylinders gebaut. Die Bauform ist platzsparend und so haben über 20 Millionen Menschen in einem Zylinder Platz. Warum nicht höher gebaut wurde? Irgendwann wird die künstlich „generierte“ Schwerkraft, eigentlich ja nur Massenträgheit, auch zu wenig, je näher man der Mitte des Zylinders kommt. Sobald sie zu schwach für einen ungefährlichen Daueraufenthalt wurde, hat man einfach mit den Wohnungen aufgehört und mehr oder weniger einen überdimensionalen Park erschaffen.
Ein weiterer Vorteil neben dem schönen Aussehen ist, dass das Gras und die Pflanzen Sauerstoff erzeugen, was unseren Maschinen wieder Arbeit abnimmt. Eingesparte Energie, die wir genutzt haben, um eine künstliche Sonne in die Mitte des Zylinders zu setzen. Okay, eine Sonne ist es nicht wirklich, eher eine überdimensionierte Glühbirne. Aber sie erfüllt ihren Zweck, es ist hell im Inneren und als Heizung funktioniert sie auch gut. Also eigentlich wie unsere Sonne in der alten Heimat!
Ich sollte jetzt aber Schluss machen, es ist schon spät. Ansonsten komme ich morgen mal wieder nicht rechtzeitig aus dem Bett. Und du weißt ja, wie mein Chef tickt. Das würde ordentlich Ärger geben. Noch dazu, weil wir uns ab morgen um die Deflektorschilde kümmern sollen. Eine der wichtigsten Aufgaben auf dem Schiff! Immerhin sind die dafür zuständig, Meteoriten und anderen Kram aus der Flugbahn zu halten, indem sie sie auf atomarer Ebene abstoßen. Welche Technik dahintersteckt? Keine Ahnung um ehrlich zu sein. Ich bin ja auch nur für die Kühlung der Generatoren zuständig. Ich weiß nur, dass die Dinger verdammt heiß werden. So heiß, dass wir die Kühlflüssigkeit einmal um die gesamte Schiffsspitze pumpen müssen, um sie im All zu kühlen.
Naja, ich lege mich jetzt erst einmal schlafen. Bis morgen. Oder so. Vielleicht schreibe ich auch erst wieder übermorgen. Oder gar nicht. Man weiß es nicht.
Langsam schlich ich durch die dunklen, engen Gassen. An jeder Seite türmten sich die grauen Steingebäude zu gigantischen Wänden auf, drohend, mich jeden Moment zu erdrücken. Eine steife Brise zog durch die Gewölbe, pfiff durch die Risse der Mauern, schnürte mich weiter ein. Aus einer Seitengasse drang schallendes Gelächter, beinahe schon unnatürlich laut wirkend, doch ich registrierte es trotzdem kaum. Zu sehr war ich in die Gedanken vertieft, die durch meinen Kopf sausten. Versuchte sie zu fassen, doch sie entglitten mir und rannen wie Wasser durch meine Finger.
Ich versuchte, mich daran zurück zu erinnern, seit wann das so war. Seit wann meine Gedanken einem Ozean im stärksten Windsturm glichen. Seit wann mich Schmerz und Trauer nie mehr in sanften Schlaf entkommen liessen.
Seit sie weg war. Maria. Ich war neben ihr gesessen und hatte ihre Hand gehalten, während sie in eben diesen Schlaf entkommen konnte. Entkommen aus der Welt. Sie hätte keine Schmerzen gehabt, hatten die Ärzte gemeint. Der Griff des Krebs war auch mit moderner Technik oft noch ein unlösbarer, doch die Schmerzen, die konnten sie ihr nehmen.
Ich spürte überdeutlich den Zettel in meiner Jackentasche. Das kleine Stück Papier schien nun mehr denn je das Gewicht der Welt zu tragen. Während ich weiter den grauen, trostlosen Weg zum Hautplatz voranschritt, vernahm ich immer öfter laute Stimmen, Lachen und Heiterkeit aus allen Ecken und Enden. Doch es schien alles aufgesetzt zu wirken, unnatürlich, konstruiert. Etwas kullerte gegen meinen Fuss. Eine Gruppe Kinder rannte auf mich zu, eines davon hob den Fussball auf und entschuldigte sich artig. Doch trotz all seiner ausgedrückten Freude wirkten seine Augen ausdruckslos und leer.
"Die Spiegel zur Seele, hu?", dachte ich und verzog verbittert meine Mundwinkel.
Kaum war ich auf dem riesigen Hauptplatz angekommen, war es endgültig vorbei mit der Ruhe. Die Cafés, Restaurants und Geschäfte, die den Platz säumten, waren brechend voll. Überall wurde gearbeitet, geplaudert, gelaufen. Alles war in Bewegung, die Atmosphäre war quasi greifbar. Wobei, sie schien eher erdrückend zu wirken, wie dichter, schwerer Nebel. Und das, obwohl auch hier keine Spur von Unzufriedenheit aufzukommen schien, im Gegenteil. Die gute Stimmung passte so gar nicht zum Wetter, zumal es mittlerweile leicht zu regnen begonnen hatte. Doch neben all der Geschäftigkeit war es vor allem die Werbung, die einem hier sofort ins Auge fiel. An jeder Gebäudefront hingen dutzende Plakate, die Masse am Leuchtreklamen überstrahlte sogar die Menschen darunter. Faltencremen, Ferienwohnungen, Videospiele, Kaffeemaschinen, Fahrräder - es gab nichts, wofür hier nicht Werbung gemacht wurde. Und über all dem thronte majestätisch ein riesiger Banner. "Sind auch Sie Ihre Sorgen und Ängste satt? Wollen Sie unbeschwert in den Tag hineinleben?", stand in grossen, farbigen Buchstaben darauf. "Dann ist Perma-Bliss das Richtige für Sie! Termine sind bei der zuständigen Behörde anzufordern." Darüber grinste das fette, beinahe zynisch anmutende Gesicht von "Mr. Happy", dem Maskottchen der ganzen Kampagne.
Ich stiess einen tiefen Seufzer aus. Perma-Bliss, so hiess der neuste Schrei bei Jung und Alt. Es versprach die Entfernung jeglicher Sorgen und Probleme, ein perfektes Leben sozusagen. Auch ohne jegliche medizinische Kenntnis wusste ich, dass sich hinter der heiteren Fassade ein komplizierter Eingriff ins menschliche Gehirn versteckte. Dabei wurden bestimmte Hirnregionen so verändert, dass negativ behaftete Erinnerungen gezielt aus dem Gedächtnis des Betroffenen gelöscht werden konnten. Auf den Strassen munkelte man jedoch, dass Patienten nicht selten eine komplette Abschaltung negativer Emotionen forderten. Und wie die meisten Operationen am Gehirn, war auch diese nicht ganz von einem gewissen Restrisiko befreit. Mein Blick schweifte weiter über den Platz und blieb an einer Gestalt hängen, die alleine und zusammengekauert an einer Hauswand anlehnte. Der Mann sah nicht viel älter als 25, vielleicht 30 aus. Wie besessen wippte er hin und her, die Arme eng um die angezogenen Beine geschlungen. Dabei stiess er ein Kichern aus, dass die Härchen auf meinem Nacken aufstehen liess.
"Armer Teufel", dachte ich, und blickte wieder zu der grostesk wirkenden Fratze auf dem Banner hoch. Meine Hand wanderte erneut in meine Jackentasche. Auf dem Zettel sprang mir der kleine Slogan entgegen, der ewige Freude versprach. Das Gesicht von Mr. Happy schaffte es auch in dieser Grösse, ein eigenartiges Gefühl der Beklommenheit zu erzeugen. Ich wendete den Zettel und las zum gefühlt tausendsten Mal die Worte, die dort mit krackeliger, schwach wirkender Schrift geschrieben standen.
"Wenn die Gedanken gehen, geht auch der Schmerz. Ich liebe dich. - Maria"
Die Worte hatten sich zu diesem Zeitpunkt längt in mein Gedächtnis gebrannt, doch sie zu lesen, liess in mir jedesmal aufs Neue eine Mischung aus Erleichterung und Pein aufflammen. Bilder schossen mir durch den Kopf. Bilder von glücklichen Menschen. Von ausdruckslosen Augen. Von lachenden Kindern. Von Männnern, die manisch vor sich hin kicherten. Von Marias Lächeln, dass ich nie wieder sehen würde. Und über all dem, dass Gesicht von Mr. Happy, der mich herausfordernd angrinste.
Wollte ich wirklich ein Teil von dieser Maschinerie werden? Alles hinter mir lassen, was mir früher etwas bedeutet hatte? Meine Brust schnürte sich zusammen, zu viele Erinnerungen waren wieder hochgekommen. Erinnerungen von besseren Zeiten, von Glück und Freude. Ich umschloss den Zettel in meiner Hand fester. Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Ich war zu schwach. Zu schwach, um das alleine durchzustehen. Auch wenn der einzige Ausweg ein Pakt mit dem Teufel war.
Sicheren Schrittes, nun mit einem Ziel vor Augen, setzte ich mich in Bewegung. Doch ich kam nicht weit, bevor ich innehielt. Über dem riesigen Banner durchbrach ein Spiel aus Lichtern und Farben das Grau der Welt. Für einen kurzen Moment bezwang der Gleiss der Sonne die dichte Wolkendecke und liess einen Regenbogen entstehen, welcher die Welt zu umfassen schien. Es dauerte einen Moment, bis ich mich aus dem Bann dieses Anblicks lösen konnte, doch niemand war da, mit dem ich meine Begeisterung hätte teilen können. Ich schien der einzige zu sein, der das Kunstwerk bemerkte. Überall um mich herum waren die Leute viel zu beschäftigt mit ihrer aufgesetzten Fröhlichkeit, versunken im Schein des Blicks. Kein einziger Blick wandte sich gen Himmel. Ich schmunzelte. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit. Der Zettel entglitt meiner Hand und schwebte Richtung Boden. Maria mag Recht gehabt haben. Mit den Gedanken geht der Schmerz. Aber ich wusste in diesem Moment, dass es meine Aufgabe war, die schwachen Lichtscheine inmitten der Dunkelheit zu finden. Und wo das Licht vermeintlichen Glücks zu strahlend ist, übersieht man diesen schwachen Schein allzu leicht. Während der Zettel sich mit der Feuchtigkeit des frischen Regens vollsog, lief ich wieder los. Langsamer, ohne klares Ziel diesmal. Vorbei an Restaurants, Leuchtreklamen, Büros. An spielenden Kindern, lachenden Spaziergängern, wippenden Verrückten. Und langsam lichtete sich die dicke Wolkendecke immer mehr. Vereinzelte Sonnenstrahlen fanden bereits ihren Weg, tasteten sich Richtung Erdboden, um graue Hauswände in schwachen Licht zu hüllen.
"Es ist nicht viel", dachte ich, "aber es ist ein Anfang."
Genervt gehe ich den Bahnsteig auf und ab. Warum muss ausgerechnet heute, wo ich eigentlich schnell heim wollte, um meinem Bruder eine gute Reise und einen schönen Urlaub in Spanien zu wünschen, die Bahn zu spät kommen? Oder, um es anders auszudrücken, warum kann sie sich heute nicht wenigstens einmal an ihren Fahrplan halten? Immerhin soll die Verzögerung nicht allzu gravierend sein. Ärgerlich aber eben trotzdem. Wenn ich deswegen meinen Bruder verpasse ...
Als der Zug endlich in den Bahnhof einfährt, ist er schon fünfzehn Minuten zu spät. Keine Chance mehr, noch irgendetwas zu erreichen. Genervt steige ich ein und setze mich in einen fast leeren Waggon. Außer mir sitzen hier nur noch ein älterer Herr und eine Frau in meinem Alter. Ich hole mein Smartphone aus der Tasche und surfe ziellos im Internet umher. Irgendwie muss man die Zeit ja totschlagen.
Ich blicke von dem kleinen Display auf, als ich höre, dass sich etwas bewegt. Ich beobachte, wie der Mann sich der Frau nähert und sie anspricht, woraufhin diese sich gegen das Fenster drückt.
"Bitte, lassen Sie mich in Ruhe", höre ich sie sagen. Der Mann streckt seinen Arm aus und fährt ihr über die Wange. Ich springe auf und laufe hin, um ihn von der Frau weg zu ziehen. Der Geruch von Alkohol steigt mir in die Nase. In diesem Moment öffnet sich die Tür und eine Fahrkartenkontrolleurin betritt das Abteil.
"Was geht hier vor sich?", fragt sie, als sie den Tumult bemerkt.
"Dieser Mann hier hat diese Frau belästigt!", sage ich. Die Frau nickt. Der Mann gibt unverständliches Gebrabbel von sich. Die Kontrolleurin nickt ebenfalls und verschwindet in das nächste Abteil, um sofort mit zwei Männern zurückzukommen.
"Sie halten diesen Mann fest, während ich den Zugführer und die Polizei benachrichtige", sagt sie und verschwindet wieder.
Ich ärgere mich darüber, dass sich der Zug dadurch wohl noch mehr verspäten wird.
"Vielen Dank", sagt die Frau.
"Kein Problem. Als hätte ich da tatenlos zusehen können", sage ich und lächle sie an. Sie lächelt zurück.
Dieses Lächeln ... Dieses hübsche und aufrichtige Lächeln ...
"Jasmin?", frage ich gedankenverloren.
"Woher kennst du meinen Namen?", fragt sie sichtlich irritiert.
Ich sehe sie lange an. Ich kenne sie, ich kenne sie sehr gut. Ich war einmal mit ihr zusammen, wir waren bekannt als das süßeste Paar der Stadt. Wir zwei gegen den Rest der Welt, und nichts könnte uns trennen.
Ein Schwall wohlbekannter Erinnerungen überkommt mich. Sie wirken so vertraut, ich fühle förmlich die Liebe, die ich für diese Frau empfand. Doch sie sind mir auch fremd. Woher sollte ich diese Erinnerungen haben? Ich sehe sie gerade zum ersten Mal.
"Hey, bist du noch wach oder hat mein Anblick dich eingeschläfert?", fragt die nicht ganz so Fremde und lacht. Ich starre sie immer noch an. Ihr Lachen weckt Erinnerungen an eine schöne Zeit, die wir zusammen verbracht haben.
"Ich schätze, ich kenne dich aus der Zukunft", antworte ich, ohne den Blick von ihr zu lösen. "Wir haben zusammen eine Zeitmaschine gebaut."
Erst, als ich ihren zugleich ungläubigen wie belustigten Blick bemerke, realisiere ich, was ich eigentlich gerade gesagt habe. Ich würde es vermutlich selbst nicht glauben, wenn ich mich nicht gerade glasklar daran erinnern könnte.
"Na gut, wenn du mich und die Zukunft so gut kennst, kannst du mir doch bestimmt auch sagen, was ich mir zu Mittag kochen will, sobald ich heim komme", sagt sie nun schelmisch grinsend. Ich überlege. Warum sollte ich mir so ein Detail merken? Vermutlich wird mir nichts anderes übrig bleiben, als zu raten und überzeugt zu spielen. Es sei denn ...
"Du hast einen Nudelauflauf mit Schinken im Ofen, dein Lieblingsessen. Leider wirst du aber dank diesem Zwischenfall hier zu spät kommen und er wird kaum noch genießbar sein. Und wenn heute Abend der kleine Hund deiner Nachbarn, der sonst immer so lieb ist, nach dir schnappt, wirst du an mich denken und mich total überwältigt anrufen."
Sie sieht mich erstaunt an. Ich grinse. Ich weiß zwar eigentlich wirklich nicht, was sie ausgerechnet heute essen wollte, aber ich kenne sie gut genug. Was das betrifft, ist sie einfach zu durchschaubar.
"Na gut, gib mir deine Nummer", sagt sie und grinst immer noch ungläubig. Ich tue, wie mir befohlen. Jetzt muss ich mich nur noch daran erinnern, wie genau man eine Zeitmaschine baut. Oder wozu ich überhaupt eine brauche.
*****
"Jasmin, hast du mir die Titaniumspirale?", frage ich, ohne mich umzusehen. Vor mir steht ein metallenes Etwas, das entfernt an eine Mikrowelle erinnert. Nur etwas weniger hübsch. Es besteht aus Teilen, die man wohl größtenteils als Schrott bezeichnen könnte, was ganz einfach dem Fakt geschuldet ist, dass wir uns in unserer begrenzten Zeit nichts anderes mehr leisten konnten. Ich weiß, dass wir nur noch wenig Zeit haben. Denn heute Abend ... Bei dem Gedanken an das, was heute Abend wohl passieren wird, dreht sich mir der Magen um. Ich habe Jasmin noch nicht davon erzählt. Ich habe es auch nicht vor. Seit wir uns vor drei Monaten getroffen haben, ist dies erst das zweite Detail meiner Erinnerungen, das ich nicht mit ihr teilen will. Ich fürchte, sie weiß, dass ich ihr etwas verheimliche, aber es geht nicht anders. Und wenn diese Zeitmaschine erstmal fertiggestellt ist, wird es sowieso irrelevant werden. Ich werde aus dieser elenden Spirale ausbrechen. Ich werde die Vergangenheit und die Zukunft verändern.
"Hier hast du das Ding", sagt meine Freundin und drückt dabei ihren Körper gegen meinen. Ich drehe mich nun doch zu ihr um.
"Du weißt, dass wir eigentlich keine Zeit für so etwas haben", sage ich und streiche ihr eine goldene Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Nicht so unromantisch, Ramona. Dafür ist immer Zeit", flüstert sie und legt ihre weichen Lippen sanft auf meine. Ich genieße den Moment, wohl wissend, dass es unser letzter Kuss sein könnte. Bei dem Gedanken rollt mir eine einsame Träne die Wange hinunter.
"Sag mal, wie lange haben wir noch?", fragt Jasmin und sieht mich besorgt an.
Ich schaue auf die Kuckucksuhr in der Ecke. "Zehn Minuten. Höchstens."
"Dann lass uns das Ding mal fertig kriegen. Du musst noch den Helm anschließen." Sie will sich wegdrehen, um die restlichen Teile zu holen.
"Warte kurz", sage ich und halte sie am Arm fest. "Kannst du mich noch einmal anlächeln? So, wie an dem Tag, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind?"
Ihre Gesichtszüge werden wieder weich und liebevoll. "Wenn du erstmal die Zukunft verändert hast, werde ich dich jeden Tag so anlächeln." Ich lächle ebenfalls.
Jasmin bringt mir die restlichen Metall- und Elektronikteile und zusammen bauen wir sie in die Maschine ein. Jetzt sieht sie aus wie eine Mikrowelle, an die ein Helm angeschlossen ist. Nur eben immer noch nicht hübsch.
"Lass uns beten, dass das Teil funktioniert. Ich will keine gegrillte Ramona zum Abendessen", sagt Jasmin, als ich mir den blechernen Helm aufsetze. Ich schraube an dem kleinen runden Knopf an der Vorderseite des Geräts, bis das kleine Display "6 Monate" anzeigt. Wir sehen uns an und atmen noch einmal tief durch.
"Es ist so weit", sagt Jasmin. Ich nicke.
In diesem Moment wird die Tür zu unserem kleinen Bastelkeller aufgetreten und drei in Schwarz gekleidete und vermummte Männer stürmen herein und brüllen irgendetwas. Jasmin brüllt irgendetwas zurück und rennt auf die Eindringlinge zu. Einer von ihnen richtet seine Waffe auf sie. Ein Schuss. Eine Patronenhülse fällt zu Boden. Jasmin folgt ihr. Ihr Blick ist an mich geheftet, mit all ihrer Hoffnung. Tränen überfluten meine Augen. Ich kann nichts mehr erkennen. Ich schreie. Ich drücke den großen roten Knopf. Aus der Zeitmaschine springen Funken. Ich schließe meine Augen.
Ich erinnere mich. Diese Szene ... habe ich nicht erst zweimal erlebt.
*****
Genervt gehe ich den Bahnsteig auf und ab. Warum muss ausgerechnet heute, wo ich eigentlich schnell heim wollte, um meinem Bruder eine gute Reise und einen schönen Urlaub in Spanien zu wünschen, die Bahn zu spät kommen? Oder, um es anders auszudrücken, warum kann sie sich heute nicht wenigstens einmal an ihren Fahrplan halten? Immerhin soll die Verzögerung nicht allzu gravierend sein. Ärgerlich aber eben trotzdem. Wenn ich deswegen meinen Bruder verpasse ...
Als der Zug endlich in den Bahnhof einfährt, ist er schon fünfzehn Minuten zu spät. Keine Chance mehr, noch irgendetwas zu erreichen. Genervt steige ich ein und setze mich in einen fast leeren Waggon. Außer mir sitzen hier nur noch ein älterer Herr und eine Frau in meinem Alter. Ich hole mein Smartphone aus der Tasche und surfe ziellos im Internet umher. Irgendwie muss man die Zeit ja totschlagen.
Vorsichtig lasse ich meine Hand über das grelle Display schweifen, um die chrombeschichtete Tür zu öffnen. Das Zimmer von Ai ist dunkel, nur ein kleines Nachttischlämpchen und vereinzelte bläuliche Lämpchen erhellen ihr persönliches Reich. Die bläulichen Lämpchen sind von all den Geräten, die zum Leben benötigt werden. Computer und dazugehörige Geräte für den Hausunterricht. Außerdem Luftfilter sowie Luftbefeuchter für die Pflanzen und uns, denn reine Luft von außen gibt es in dieser Saison eher spärlich, von Wasser ganz zu schweigen.
„Papa, gehst du gleich wieder spazieren? Kann ich vorher noch etwas Saft haben? Wo ist Mama?“
Ai kann den Abend nie ruhig ausklingen lassen. Sie war schon immer…auch damals ein Mädchen voller Fragen und Interessen. Obwohl sie erst 9 Jahre alt ist, beschäftigt sie sich gerne mit der Zukunft und malt die Gedanken dann für den Kunstkurs.
„Mama bringt dir gleich deinen Saft.“
Ich streiche ihr kurz über die Wange, aber sie ist kühl wie immer. Sie müsste warm sein, aber jedes Mal, wenn ich sie halte oder ihr einen Kuss auf die Stirn gebe, ist sie kalt. Ai friert nicht, zumindest sagt sie es jedes Mal, wenn ich sie frage, aber einen Grund für die Kälte wird es sicherlich geben.
Nachdem ich den kindlichen Ideen, die vor allem am Abend aus ihr sprudeln, zugehört habe, verabschiede ich mich mit einem Kuss auf ihre Stirn und trete meine tägliche Routine an. Kaylene, meine Frau, bestellt in dem Moment das Essen für später und aus dem Augenwinkel vernehme ich einen Kussmund von ihr, während ich meine Stiefel anziehe.
Eine halbe Stunde später, die Nacht hat sich bereits wie ein Schleier über das chromangehauchte Dorf gelegt, befinde ich mich an meiner liebsten Stelle. Ein abgelegenes, kahles Fleckchen Erde. Ja, tatsächlich normale Erde. Ohne Stromfasern oder Chrom.
„Ich bin zu spät, tut mir leid“, hauche ich leise und streiche vorsichtig über den weißen Sand. Dieser Ort liegt zwischen halbtoten Bäumen, die langsam nachzugeben scheinen und einzelnen Steinen, die man irgendwann hier ablegte, um sie loszuwerden. Nutzlos nennen die Einwohner diese Stelle, denn hier gibt es keine Technik, die die Stille vergiftet. Keine Ressourcen und keinen Grund, etwas auch nur ansatzweise zu verändern. Ironischerweise der einzige Ort an dem ich mich lebendig fühle. Er wirkt friedlich durch die simple Leere. Unberührt und ist für unsere futuristischen Verhältnisse wohl vollkommen fremd für junge Generationen.
Damals habe ich die Überreste meiner Familie unter Tränen verstreut und tagelang in den Sand geschrien. Die beiden Personen, die Zuhause auf mich warten, sind Magoden. Das sind keine reinen Roboter, sondern eine eigene Form von Androiden. Sie sind mit menschlichen Genen gemischt, innerlich mit maschinellen Komponenten ausgestattet und das wichtigste Kennzeichen ist ihr Herz. Sie tragen ein menschliches Herz, das widerbelebt wurde und am Leben gehalten wird. Magoden sind mit einer hautähnlichen Schicht überzogen, damit sie wie Menschen aussehen, aber sie wirken oft zu perfekt. Vielleicht fühle ich deshalb meist Kälte? Kaylene besaß süße Grübchen und einen Ansatz von Lachfalten, aber ihre Magode besitzt diese Einzelheiten leider nicht. Als die beiden vor 2 Jahren von einer defekten Fahreinheit überfahren wurden, bat ich um die Details, aber jene wurden mir verwehrt.
„Wollen Sie nicht, dass ihre Frau noch schöner als vorher aussieht?“, fragte der Entwickler dreist und bereute es auch sogleich nach meiner Standpauke. Ich drohte ihm, soweit ich mich erinnere, mit dem Tod und allem, weil ich so aufgebracht war. Meine Kaylene war in meinen Augen perfekt mit all ihren kleinen Auffälligkeiten und Fehlern. Fehler sind menschlich und eine Rarität heutzutage.
Ein sanfter Wind bahnt sich den Weg durch die sterbenden Bäume, um mich gefühlt in meiner Denkweise zu bestätigen. Der Ort verstand mich schon immer, so malte ich es mir jedenfalls aus, um mich besser zu fühlen.
Leider habe ich keine Fotos mehr, keine Beweise und Erinnerungen in materieller Form, die mich zurück in die alte Zeit bringen. Magoden sind schließlich nicht perfekt. Wenn sie sehen, wie ihre wahre menschliche Form damals aussah oder irgendwelche Verbindungen sehen, dass sie nicht die Originale sind, beginnen sie Zweifel zu entwickeln. Es belastet das kaum tragbare Herz des Originals und führt meistens zu negativen Konsequenzen bis hin zum Tod. Der Schöpfer dieser Personen, oder eher Wesen? Wesen klingt so distanziert und abwertend.
Jedenfalls stellte er die Magoden folgendermaßen dar: Meine Schöpfungen befinden sich in einem Kampf gegen das Vergessen. Sie tragen das Leben in Form des Herzens, welches aus nicht zu rettenden Körpern geborgen wurde, in sich und deshalb dürfen wir ihnen nicht zeigen, dass sie nur Mittel zum Zweck sind. Sie sind unsere Art, den zu frühen Tod unserer Geliebten nicht zu akzeptieren. Sie sind nicht perfekt, denn sie sind menschlich und so sollt ihr sie auch behandeln. Irgendwann werden meine Schöpfungen mit euch zusammen den letzten, wenn auch künstlichen, Atemzug tätigen. Sie sind nicht durch das Gift der Unsterblichkeit gepeinigt wie ihre entfernten Roboter verwandten, also wagt es niemals, sie als Roboter abzuwerten! Liebt sie wie die Menschen, die sie sein wollen.
Dr. Yamata, der Schöpfer der Wunderwerke, hatte seine Frau früh verloren und aufgrund seines Schmerzes den Weg gefunden, die Magoden zu entwickeln, um sich selbst zu helfen. Niemand verstand es so gut wie er, wie schwer es doch sein kann, die Magoden als Familie wahrzunehmen. Vielleicht war genau dieser Schmerz der Grund dafür, dass die nicht perfekten Schöpfungen so beliebt geworden waren. Er steckte sein Herz in das Projekt, um Haut, vitale System und was noch alles darin steckt zu verwirklichen.
Die Gedanken lassen mich oftmals zerstreut und mit mulmigem Gefühl zurück, spätestens dann rufe ich mir ins Gewissen, dass meine Familie Zuhause auf mich wartet. Ich trete den Rückwegan, meist länger als eine halbe Stunde. Zuhause angekommen empfängt mich Kaylene mit einer herzlich gemeinten Umarmung.
„Wir haben den Tisch bereits gedeckt“, erzählt sie mir und lächelt glücklich drein.
Das gemeinsame Essen läuft gefühlt immer gleich ab. Unsere kleine Ai versucht, ihren Tag in Worte zu fassen und benutzt dabei „ähm“ häufiger als es eigentlich möglich sein sollte in einem Satz, während wir sie belächeln und dabei das trockene Essen runterwürgen. Meine Frau hätte es ja mal versuchen können, ihre Kochkünste zu trainieren, aber leider ist sie dabei genauso gemeingefährlich wie meine Wenigkeit, somit lassen wir uns das mittelmäßige Essen täglich liefern.
Einige Stunden später, nachdem wir unsere Kleine ins Bettchen gebracht haben, kuscheln wir uns zusammen in unser Bett.
„Ich hatte heute wieder dieses Gefühl. Als würde mir etwas entgehen“, erzählt Kaylene mir, die ihren Kopf an meine Brust schmiegt. Meine Hand streicht über ihre Taille, aber es fühlt sich nicht künstlich an. Ich liebe ihren Herzschlag, den ich scheinbar immer spüren kann, wenn sie sich an mich kuschelt. Sie ist weder kalt noch unecht.
„Vielleicht fällt es dir morgen ein“, gebe ich ihr als Antwort, um den tieferen Gedanken dahinter zu entgehen. Je weniger sie weiß, desto besser ist es für unsere Familie. Aber ist das auch richtig so? Ich bin mir dessen schon lange nicht mehr sicher.
„Gehen wir morgen endlich mal wieder in die große Stadt?“
„Du weißt doch, dass es erst in der nächsten Saison wieder möglich ist“, antworte ich ihr mit ernstem Unterton.
Es ist zu jeder Saison sicher, aber die Magoden dürfen nur in der längsten Saison in die großen Städte. Wenn alle Werbungen über die Magoden selbst verschwinden und alles vorbereitet wird. Nur für sie wird alles manipulierter als es so schon ist. Eine künstlich geschaffene Umwelt in einer bereits völlig chromverzierten, unechten Welt.
„Es tut mir leid-“
„Muss es nicht. Ich kann es auch kaum erwarten mit euch in den großen Park zu gehen und endlich wieder zu verreisen“, unterbreche ich sie prompt, damit sie nicht von Schuldgefühlen geplagt wird.
Ihr Griff wird fester, aber nicht so stark, dass es sich unangenehm anfühlt.
Gedankenversunken starre ich an die Wand, wo eigentlich Bilder sein sollten, aber sie ist kahl. Nur ein Minicomputer am Aufladen und etliche Lämpchen, die den einwandfreien Betrieb der Hausgeräte signalisieren.
„Kaylene, bist du glücklich?“, platzt es plötzlich aus mir. Die Frage brannte sich schon seit ein paar Minuten in mir ein, aber die Antwort fürchtete ich. Wusste sie überhaupt eine Antwort darauf?
Die paar Sekunden, die sie nachdenkt, fühlen sich wie langgezogene Minuten an.
„Ich habe eine gesunde Tochter, einen Ehemann und kann mich über nichts beklagen. Ist es nicht meine Pflicht, dann glücklich zu sein? Und eines Tages werde ich herausfinden, was dieses trügerische Gefühl ist, das mich nachts manchmal aufweckt und mit Trauer erfüllt.“
Sollte die Antwort nicht zufriedenstellend sein? Ist sie nicht. Jenes Gefühl lässt sich nicht ändern, wenn sie weiterhin schmerzlos leben will. Vielleicht kann ich sie irgendwann wirklich glücklich machen, wenn ich ihr das Gefühl gebe, ein echter Mensch zu sein, dem nichts verborgen wird. Wie Dr. Yamata bereits andeutete: Sie wollen sich wie Menschen fühlen. Sie wollen Menschen sein. Also ist es meine Pflicht, ihr das Gefühl der Menschlichkeit zu vermitteln mit all der Liebe, die ich für sie habe. Für meine Kaylene, die solange weiterlebt, wie das menschliche Herz schlägt.
Deutsch: Nano-Liebe
Ich öffne meine Augen. Es ist komplett dunkel, doch macht das nichts. Innerhalb weniger Sekunden gewöhne ich mich an die Finsternis und erkenne alles in meiner Umgebung. Ich benötige gar keinen Lichtschalter dafür. Als erstes gehe ich unter die Dusche. Wir können das Wasser zwar nicht heizen, doch empfinde ich keine Kälte. Es fühlt sich angenehm an und ich wasche mich sehr gerne. Schließlich will ich sauber sein für mein Treffen mit dir!
Nun geht es zum Kleiderschrank. Dort stehen viele schöne Sachen: Kleider und Röcke, Hosen und Hemden, Jacken, Mäntel, allesamt in verschiedenen Größen. Ich weiß schon genau, was ich heute tragen möchte. Das tiefblaue rückenfreie Kleid, welches ich auch damals bei meiner ersten Verabredung mit dir getragen habe. Es liegt im obersten Regal meines Schranks, sicher verstaut, damit ihm nichts passiert. Ich versuche es zu ergreifen, doch sind meine Hände nicht lang genug. Ich strecke mich ausführlich und nach wenigen Momenten habe ich es geschafft! Das schönste Kleid für das schönste Date ist bei mir. Ich trockne mich kurz ab, dann lege ich das Kleid an. Der Stoff fühlt sich sehr zart auf meiner Haut an und ich muss erröten, weil es mich an deine Liebkosungen von damals erinnert. Einige Momente stehe ich so da und denke an nichts besonderes. Dann fällt mir auf, dass das Kleid bis über meine Beine auf den Boden fällt. Langsam drehe ich mich im fensterlosen Raum zum Spiegel. Als mein Blick dort ankommt, umspielt der Saum des Kleids meine Knöchel. Ich nehme eine kokette Pose ein und werfe meinem Bild Kusshände zu. Auch das Zwinkern übe ich ein Paar Mal. Solche Bewegungen sind so kurz nach dem Aufstehen und Ankleiden etwas kompliziert. Doch nach wenigen Minuten beherrsche ich alle romantischen Expressionen einwandfrei und lächle mich selbst an. Ich bin mir ganz sicher, dieser Tag wird perfekt!
Ich bürste als letztes meine kurzen glatten Haare. Mit einer lockigen Frisur würde das Kleid viel besser zur Geltung kommen, finde ich. Als ich meine Wohnanlage verlasse, umspielen die wuscheligen Kringel meinen Kopf, meinen Nacken und meinen Rücken bis hinunter zur Taille. Im Treppenhaus eile ich schnell nach oben. Es gibt zwar keine Treppengeländer und die Stufen sind teilweise kaputt, doch ich mache mir ein Spiel daraus und hüpfe die Stufen der zwanzig Stockwerke im Rhythmus einer Melodie, die ich gerne höre, hinauf, bis ich schließlich auf Bodenhöhe bin. Hier angekommen senke ich meinen Blick nach unten, während ich langsam die Tür aufschiebe. Es ist sehr hell und ein heißer Luftzug weht mir entgegen. Ich erschrecke mich kurz wegen des Temperaturumschwungs, aber das ist okay. Bevor ich merke, was los ist, habe ich mich daran gewöhnt und es fühlt sich angenehm warm an. Auch die Helligkeit ist im völlig normalen Bereich. Ich trete hinaus und schließe die Tür hinter mir. Ein wenig mache ich mir Sorgen, dass das Kleid ausbleichen könnte, wenn ich es bei solchem Wetter zu oft tragen würde. Aber heute ist eine Ausnahme, das wird keine Gewohnheit. Ich habe es nur heute für dich angezogen. Eilig mache ich mich auf den Weg, die Straße hinunter. Alle Nachbarn werden natürlich höflich begrüßt und mit jedem Lächeln, das ich sehe, fühle ich mich wohler und wohler in meiner Haut. Bis ich beim Blumenladen bin, erscheint mir das Kleid sogar etwas eng und reicht nur noch bis zu meinen Knien, doch als ich meine Reflexion in der metallischen Eingangstür betrachte, schmiegt es sich wieder perfekt an meinen Körper. Ich betrete den Laden und entdecke den freundlichen Kassierer. Er zeigt mir alle Blumensträuße, die es heute gibt. Die Auswahl ist zwar nicht so groß, weil es diesen Monat keine neuen gab, doch ich entscheide mich für eine farblich zu meinem Kleid passende Kornblumen-Kombination. Dankend verlasse ich den Laden und presse den Strauß ganz fest an mich. Während ich die Straße weiter hinabhüpfe, fühle ich ein Kribbeln in meinen Händen. Das ist bestimmt die Vorfreude, weil ich weiß, dass ich dich in wenigen Minuten sehen werde!
Endlich ist es soweit! Ich bin am Stadtpark angekommen und entdecke dich, wie du mir von der anderen Seite zuwinkst. Immer, wenn ich deine klaren, mandelförmigen Augen sehe, muss ich unweigerlich lächeln. Ich sprinte über den warmen Sand, der den ganzen Boden des Parks bedeckt und sehe, wie du das gleiche tust. Nach wenigen Minuten des Laufens kommen wir uns endlich nah genug, um uns zu umarmen. Du drückst mir einen Kuss auf die Wange und ich muss mir ein lautes Aufstöhnen verkneifen, so unglaublich toll fühlen sich deine Lippen auf jedem Quadratmillimeter meiner Haut an. Du bewunderst mein Kleid, während ich dir den Strauß überreiche. Die Kornblumen sind so unglaublich groß und in voller Blüte.
Hand in Hand spazieren wir auf eine Düne. Von dort aus haben wir einen fantastischen Ausblick über die ganze Stadt. Im Norden und im Süden sind die Wohnungen in die Erde eingelassen. Im Westen stehen eine handvoll Geschäfte. Im Zentrum ist der Stadtpark und im Osten ist die langweilige Einöde. Das alles ist mir allerdings egal, weil nur du mich interessierst. Du zeigst nach oben und grinst. Ich folge deinem Blick, doch dort ist nur die Sonne. Du meinst, ich sollte genauer hinsehen. Ein wenig Konzentration und ich erkenne, worauf du hinaus willst. Im Orbit sind Schiffe, mit denen Besucher zu uns fliegen. Bestimmt wollen sie auch ihre Zeit hier im Paradies verbringen. Sie müssen sehr neidisch auf uns sein. Nach dem, was ich höre, darf man auf dem Mond nicht raus, wann immer man will. Dort muss es bestimmt anstrengend sein. Wir spazieren weiter in Richtung deiner Wohnung und bewundern dabei das Funkeln der unzähligen anderen Sterne, die nun sichtbar werden. Du erzählst mir, welche Sternzeichen es sind und ich höre gespannt zu. Es sind so unglaublich viele! Dennoch haben sie alle ihre eigene Bedeutung. Objekte, die weit voneinander entfernt sind und dennoch zusammengehören, weil man sich das gewünscht und ihnen eine Bezeichnung gegeben hat. Ich finde das süß.
Wir sind bei deiner Wohnung. Ich spüre, wie dein Herz ganz schnell schlägt. Poch. Poch. Poch. Auch ich bin voller Vorfreude und drücke deine Hand etwas fester. Du blickst mir kurz in die Augen und errötest. Dann senkst du deinen Blick. Ich weiß nicht, wieso, doch das macht auch nichts. Ich lächle dich an und gemeinsam gehen wir die Treppe hinunter. In deinem Zimmer angekommen, legen wir uns aufs Bett. Ich streife mein Kleid ab und lege es ordentlich daneben ab. Die Hartschaum-Matratze kitzelt meinen Rücken und ich kuschle mich ganz eng an dich. Ich spüre das Pochen deines Herzens deutlich und es macht mich unglaublich glücklich, dass ich eine derartige Reaktion bei dir hervorrufe. Ich umfasse deine Schultern und senke meine Lippen zu deinem Nacken. Ganz langsam drücke ich dir einen Kuss auf die Haut. Du umfasst meine Hände und drückst sie fest an dich, während ich mich mit meinem Mund langsam zur Seite deines Halses vorarbeite. Deine Lippen sind an meinem Ohr und du flüsterst mir zu, worauf du heute Lust hast. Jetzt verstehe ich endlich deine Nervosität! Du wärst heute Nacht gerne mit einem Mann zusammen! Ich kichere leise und sage dir dann, dass das kein Problem ist. Und, wie sehr es mich freut, dass du ehrlich bist und mir deine Bedürfnisse mitteilst. Ich spreize meine Beine ein wenig und male mir aus, wie viele tolle Sachen du und ich zusammen machen können. Nach wenigen Sekunden spüre ich, wie dein Wunsch in Erfüllung geht und, dass dieser Abend unvergesslich wird.
Denn wenn man verliebt ist, ist alles möglich.