Kreativ Geschriebenes [Update 11.06.]

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

Zu der Infoseite von „Die Mo-Mo-Manie“

  • "You have to dream intentionally.
    Most people dream a dream when they are asleep.
    But to be a writer, you have to dream while you are awake, intentionally."

    - Haruki Murakami




    Herzlich Willkommen an meinem höchst eigenen Ort für meine persönlichen Träumereien, zumindest für alles was ich persönlich auch für gut befunden habe.

    Ich begrüße an dieser Stelle alle Erstleser, alle Zurückgekehrten, alle Neugierigen und vor allem alle Mitträumenden.
    Hier erwarte Dich meine gesammelte Prosa (hauptsächlich), meine ersten Kinderschritte, was Lyrik angeht (weniger) und bestimmt auch das ein oder andere Experiment, dass ich nicht zwingend in eine der beiden Kategorien einordnen möchte.


    Ich würde hier gerne wie früher ein wunderschönes Tabmenü platzieren um diesen ganzen Startpost auch noch wunderschön und übersichtlich zu machen, aber ich musste feststellen, dass diese in meiner Abwesenheit für neue Beiträge abgeschafft wurden, deswegen muss es auch ohne gehen.
    Wichtig: Die hinter den Titeln stehende Zeitangabe bezieht sich auf das Datum des Hochladens, nicht das Datum des Verfassens.





    Pro̱·sa
    Substantiv [die]
    Literatur, die keine durch Versmaß oder Rhythmus gebundene Sprache verwendet.










    Ly̱·rik

    Substantiv [die]
    Dichtung in Versen, die einen Reim oder Rhythmus haben können.













    Ex·pe·ri·mẹnt
    Substantiv [das]
    Ein Versuch, etwas anders zu machen, der ein gewisses Risiko hat.







    Auch wenn Du hier nur kurz auf der Durchreise bist, bedanke ich mich, dass Du vorbeigeschaut und mir Deine Zeit gewidmet hast. Ich freue mich natürlich über Feedback in jeder Form, ob per Kommentar in einem Beitrag, einer kurzen Notiz auf meinem Profil, oder natürlich gerne auch in einer privaten Konversation.
    Ich hoffe, Du schaust auch in Zukunft wieder einmal vorbei.


  • Liebe Nexy,
    Da mich die Neugierde gepackt hat, habe ich mir mal die Sektion "Lyrik" von dir angesehen und möchte dir natürlich auch einen Kommentar hinterlassen.


    Begegnung auf dem Markt
    Ich finde den ersten Absatz eigentlich sehr schön gelungen, da du die Umstände schön beschreibst.
    Vielleicht ein bisschen problematisch finde ich den dritten Satz, da er mich etwas aufstocken liess. Ich finde ihn persönlich von der Reihenfolge der Wörter etwas unstimmig. Insbesondere der vierte Satz gefiel mir sehr gut, weil er doch ein Spannungsträger zur richtigen Stelle ist.
    Der zweite Absatz gefällt mir sehr gut. Da baust du auch stetig die Spannung auf, gerade die Selbstreflexion im Mittelpunkt ist unüblich, was ich aber gerade in deinem Kontext interessant und ungewöhnlich finde.
    "Bunter Bioapfeltisch" - das schrie irgendwie "Schwiegertochter gesucht" - aber fand das irgendwie sympathisch und nicht gezwungen. Und ich LIEBE den Schluss. Der ist wirklich wahnsinnig toll gelungen! Von den anderen beiden Abkürzungen Wollt' und Musst' bin ich nicht so der Fan, aber die eig'ne fand ich sehr passend.
    Dass du das Thema von einer solchen Perspektive mit so ungewöhnlich "2" Teilnehmern geschrieben hast, scheint mir doch gut gelungen und das Thema ist auf jeden Fall erfüllt.


    Morgen danach.
    Ich finde den Titel ganz interessant - weil man sich natürlich sofort fragt, was denn war vorher. Er nimmt die Spannung nicht weg, sondern schafft erste.
    Mir gefallen hier die zwei Absätze sehr gut. Du trennst die Sätze meines Erachtens stilistisch sehr angenehm und interessant. Gerade auch die Unterteilung 2-2-1 (2 Teilsätze - 2 TS - 1 S) hat mir im ersten Absatz sehr gut gefallen. Auch die Verwendung des Wortes "Nacht" wirkt nicht gesucht, sondern wahnsinnig toll umgesetzt. Auch im zweiten Absatz die Trennung Kurz-Lang-Kurz (weiss zwar nicht, ob das gewollt ist) find ich sehr interessant.
    Ich bin ehrlich; ich bin nicht so der Fan vom dritten Absatz. Die grossen Wörtern schrecken mich etwas ab und verstehe da vielleicht auch nicht den Sinn dahinter - hast du das wegen der Aufgabe gemacht?
    Ich hätte hier vielleicht noch etwas mehr den Fokus auf das Aufräumen gesetzt, anstatt auf das Chaos, oder die Gedanken der Aufräumenden. Trotzdem gefällt mir der Anfang und der Schluss "Nacht der Nächte" - das gibt dem Ganzen irgendwie einen runden Rahmen.
    Und eine mögliche Korrektur meinerseits, zumal denke ich, dass das da nicht hingehört: Chipskäsewürfelnminifrikadellen / Rastloser Blick.
    Das ist natürlich vorallem eine persönliche Einschätzung, aber ich hoffe sie hilft dir etwas. Und falls du noch eine Frage oder Anmerkung hast, dann kannst du mir auch gern eine PN schreiben. Ich würd mich sehr darüber freuen.


    Liebe Grüsse!

  • So....hallo erstmal :D


    Ich werde versuchen mit meinem begrenzten Fachwissen in Germanistik mal einen Kommentar zu verfassen.
    Das Gedicht ''Begegnung auf dem Markt'' finde ich klasse. Also technisch ist das schon mal top. Bei dem ''Hatte'' am Anfang der 2. Zeile in der zweiten Strophe, bin ich mir nicht sicher, ob das ein Jambus ist...wahrscheinlich ist es einer und ich erkenne ihn nicht :D Tatsächlich ist dies überhaupt die einzige Zeile an dem ganzen Gedicht, mit der ich etwas gehadert habe. Sie klingt in meinem (unprofessionellen) lyrischen Ohr etwas unrund. Ich hätte es wohl so geschrieben:
    ''Hatt ich mich selber einst verbannt.'' Aber das ist nur mein individuelles Empfinden und muss nichts zu sagen haben.
    Thematisch fand ich das Gedicht echt lustig und sehr einfallsreich. Man läuft über einen Markt und begegnet sich selbst. Die Interpretationsmöglichkeiten sind endlos. Man denke z.B. an einen großen Spiegel, den man passiert. Das wäre zumindest eine Erklärung für das, was in der 2. Strophe passiert. Das erzählende Ich wird mit sich selbst(also der eigenen Erscheinung) konfrontiert, obwohl es lange versuchte dies zu vermeiden. Aus Scham, oder anderen Gründen?...man weiß es nicht.
    Die 3. Strophe liefert dann einen Hinweis, lässt aber immer noch etliche Möglichkeiten offen. Das Ego empfindet sich als selbstzerstörerisch.
    Mir gefällt ganz besonders, wie das Thema des Marktbesuches im Prinzip nur die Verpackung für eine Art Ego-Komplex ist. Spielerisch wird ein tieferer Sinn in ein recht triviales Alltagsszenario verpackt. Möglicherweise denke ich aber auch völlig daneben und der Autor wollte auf was ganz anderes hinaus ;)
    Fakt ist: Du bist auf einem sehr hohen Schreibniveau. Lyrik mag ich ohnehin sehr gerne.
    Ich freue mich auf weiteres von dir.


    Liebe Grüße


    Epi(wie die meisten mich einfach nennen ;) )

  • Hurra, Hurra, ein Update, ein Update!
    Aber erst einmal Rekommis für @Zeb und @epimonandes




    Jetzt zum eigentlichen Update, eine spontan entstandene Kurzgeschichte mit dem Titel "Kalt" (in welchem Kontext wird sich relativ schnell erschließen).
    Diese Geschichte war eine Art Herausforderung an mich selbst, weil ich einmal versuchen wollte, ob ich es hinbekomme meine Charaktere nicht über ihre Emotionen zu definieren. Das habe ich zwar nicht geschafft, aber an sich ist eine ganz nette Idee daraus geworden, die ich hoffentlich zufriedenstellend umsetzen konnte.
    Freue mich über Feedback jeglicher Art, ob nun ein Satz im Gästebuch, eine PN oder einen Kommentar :)


    .

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    Kalt.


    Vielleicht sollte ich mich für Nervosität entscheiden. Wenn in den zugelassenen Büchern jemand im Begriff ist, eine Straftat zu begehen, dann wird oft das Wort „Nervosität“ benutzt. Er war nervös. Sie war nervös. Gemeinsam waren sie nervös. Wenn man den Büchern glauben kann, dann äußert sich Nervosität in schwitzenden Händen und einem erhöhten Herzschlag. Aber wenn man den Büchern glauben kann, dann ist jede Emotion negativ behaftet. Angst kann mich um den Verstand bringen, Hass lässt mich irrational aggressiv werden, Trauer wird beschrieben als ein dumpfer Schmerz im Brustraum. Vielleicht sollte ich mich doch nicht für Nervosität entscheiden. Obwohl es angebracht wäre. Vielleicht darf ich mich gar nicht entscheiden. Heute Abend ist ein Treffen angesetzt und wenn alles gut läuft, dann werde ich auf diesem Treffen meine erste eigene Emotion erwerben. Und Emotionen sind schon seit lange vor meiner Geburt verboten.
    Ich erinnere mich zurück an den Tag, an dem sie Carla geholt haben. Es war ein standardisierter Montagmorgen gewesen, eigentlich wie immer. Ich war aufgewacht, hatte die mir zugeteilte Ehefrau wortlos geweckt und jedem von uns eine Scheibe Brot für das angewiesene Frühstück auf einen farblosen Teller gelegt. Ich hatte in der Tageszeitung gelesen, dass alles in bester Ordnung sei und war um Punkt acht Uhr aus der Tür getreten, so wie jeder andere auch. Alles war abgelaufen wie an jedem Morgen. Und dann hatten sie Carla aus dem Büro abgeholt. Ich erinnere mich genau daran, wie die zwei adrett gekleideten Herren in ihr Abteil traten und sie an den Armen nahmen. Ich sah stumm zu, ebenso wie die restlichen 98 Fachangestellten des Politbüros, in dem Carla und ich angestellt waren. Dann geschah etwas, was ich nicht verstand, gegen das sich etwas in meinem Kopf zu wehren schien. Aus einem mir unerklärlichen Grund liefen Tränen über Carlas Wangen. Ich wusste aus einem Lehrfilm, dass Tränen nur Ausdruck von Trauer oder Schmerz sein konnten und da Carla nicht verletzt schien musste sie traurig sein. Aber Carla konnte nicht traurig sein, niemand konnte das. Beim Hinausgehen hob einer der Herren den Hut zum Gruß. Also gingen ich und die restlichen 98 Fachangestellten des Politbüros zurück an die Arbeit. In der Mittagspause nutzte ich die zugeteilten fünf Minuten Gesprächszeit, um mich mit meinem Sitznachbarn Tom über Carla zu unterhalten.
    Ich räusperte mich, denn nach einem Wochenende lagen 72 Stunden zwischen den Gesprächszeiten und die Stimme konnte im ersten Moment immer etwas schwach wirken. „Carla war traurig“, bemerkte ich dann sachlich.
    Tom blickte mich ausdruckslos an. „Das ist die einzige Erklärung“, antwortete er dann, ebenfalls sachlich monoton.
    „Das ist unmöglich“, gab ich schlicht zurück und glaubte für einen kurzen Moment, Toms Augen zucken zu sehen.
    „Ja, das ist unmöglich“, stimmte er mir dann nüchtern zu, bevor er fortfuhr, „Clemens, als einer deiner dir zugeteilten Freunde steht es mir zu, dir eine Empfehlung zu geben.“
    Das stimmte, zugeteilte Freunde durften Empfehlungen aussprechen sowie Komplimente machen. Ich nickte also nur sachlich, denn Tom wusste schließlich selbst, dass es so war.
    „Clemens ich werde dir etwas überreichen und ich würde dir als ein zugeteilter Freund die Empfehlung aussprechen, es später in deiner Wohnung zu nutzen.“
    Ich stellte fest, dass Tom vier Wörter über die erlaubte Wortgrenze von 20 getreten war. Hätte ein Vorgesetzter Tom gehört, hätten die beiden adrett gekleideten Herren zurückkehren müssen, um ihn mitzunehmen. Tom hätte nicht geweint. Als Tom mir einen kleinen runden Gegenstand übergab, der in ein Stück Papier gewickelt war, stellte ich eine Art Dinglichkeit in seinem Blick fest, die ich mir ebenso wenig erklären konnte, die Carlas Trauer. Als die Mittagspause geendet hatte, war Carlas Abteil bereits wieder belegt.
    Der restliche Arbeitstag war wie immer verlaufen und so trat ich um Punkt 19 Uhr in meine Wohnung, in der meine mir zugeteilte Frau bereits den Fisch für das montägliche Abendessen zubereitet hatte. Er schmeckte wie immer. Nach dem Essen gab ich meiner mir zugeteilten Frau den montäglichen Kuss auf die Wange und zog mich dann wie immer in mein Arbeitszimmer zurück, während sie mit dem Abwasch beschäftigt war. Das einzige, was heute nicht wie immer war, war der kleine Runde Gegenstand in meiner Tasche, den ich an meinem Schreibtisch aus dem zusammengenknüllten Papier entfernte. Es war eine kleine, gelbe Tablette, wie ich sachlich feststellte. Auf dem nun vor mir liegenden Zettel konnte ich Toms Handschrift ausmachen.


    „Clemens, als einer deiner dir zugeteilten Freunde spreche ich dir nun die Empfehlung aus, die Tablette zu nehmen. Es scheint mir ein guter Augenblick dafür zu sein. Ich spreche dir außerdem die Empfehlung aus, nach dem Einnehmen weiterzulesen.“
    Ich betrachtete die Pille in meiner Hand noch einmal und schluckte sie dann ohne weiteres. Clemens war einer der mir zugeteilten Freunde und ich sollte laut Anweisungen auf seine Empfehlungen hören. Langsam glitt die kleine gelbe Kapsel meinen Hals entlang und beendete ihre Reise schließlich neben dem Fisch in meinem Magen. Dann las ich neugierig weiter.
    „Du solltest nun-„, weiter kam ich nicht, denn ich stellte rational fest, dass soeben etwas außerhalb der Norm geschehen war. Ich hatte den Brief lesen wollen und zwar mit einer Art – es kam mir kein anderes Wort in den Sinn, das angebracht gewesen wäre – Emotion. Realistisch denkend lag die einzig logische Konsequenz nun darin, Toms Anweisungen Folge zu leisten und den Brief nun doch zu lesen.
    „Du solltest nun in der Lage sein, die Emotion Neugierde spüren zu können. Clemens, es gibt gute Emotionen, ich kenne Dinge wie Freude, Mitgefühl undLiebe. Du weißt nicht, wovon ich rede. Am Freitag haben wir beide unsere wöchentliche Verabredung auf ein erlaubtes Bier in meiner Wohnung. Weiteres dort, mach dich bereit zu reden. Du wirst endlich fühlen. Und lass dir nichts anmerken.“ Die letzten Wörter waren schon deutlich kleiner und gepresster geschrieben worden, weil Tom anscheinend der Platz auf dem Papier ausgegangen war.
    Im Nachhinein stellte ich nüchtern fest, dass Neugierde die logischste Emotion war, die Tom mir hätte zustecken können. Genug, um mich darauf zu bringen, mir weitere Emotionen zuzuführen, aber nicht so viel, als dass es einen merklichen Unterschied in meinen Alltag gebracht hätte. Sich an eine neue Emotion, an eineerste Emotion, zu gewöhnen war nicht leicht. Vieles stellte ich nicht mehr sachlich nüchtern, sondern neugierig fest. Ich stellte neugierig fest, dass ich nie eine Erklärung zum Verbot der Emotionen erhalten hatte und ich fragte mich neugierig, wie viele Emotionen – positive Emotionen – es wohl gab.



    Tom öffnet mir die Tür und lächelt mich an. Lächeln ist etwas, was ich selbst noch nie getan habe. Zugegeben, ich habe diese Woche einige Male neugierig vor dem Spiegel gestanden und versucht, typische Anzeichen von Emotionen zu zeigen. Aber ich wusste nicht, wie man weint und mein Versuch eines Lächelns wirkte ohne einen offiziell zugelassenen Anlass verzerrt. Tom jedoch lächelt mich auf eine natürliche Art und Weise an, wie ich sie noch nie gesehen habe. Wie ich sie noch nie hätte sehen können und doch trifft das Lächeln etwas in mir, was sich ebenso vehement wehrt wie mein Kopf gegen Carlas Tränen. Ich frage mich neugierig, ob es vielleicht mein Herz sein könnte denn dort fühle ich, wie etwas blockiert. Nachdem ich die Tür geschlossen und meine Schuhe an den vorgesehenen Platz gestellt habe, folge ich Tom in sein Wohnzimmer, das exakt so aufgebaut ist wie das in meiner eigenen Wohnung. Ein Esstisch mit vier Stühlen links von der Tür und ein niedriger Tisch zwischen einem Sofa und zwei Sesseln rechts von der Tür. Die Wände sind weiß gestrichen und kahl, Fenster gibt es keine, weil es draußen nichts zu sehen gibt und weil die Lampe genug Licht spende kann, um das ganze Zimmer zu erhellen. Neugierig frage ich mich selbst, warum alle Wohnungen denselben Grundriss haben. Tom sitzt bereits neben seiner ihm zugeteilten Frau auf dem Sofa, auch sie lächelt mich an und wieder will sich etwas in mir regen. Neugierig stelle ich fest, dass Tom seinen Arm um die ihm zugeteilte Frau gelegt hat, obwohl so etwas gar nicht vorgesehen ist.
    „Ich will ganz ehrlich zu dir sein Clemens“, sagt Tom schließlich, gar nicht sachlich, und spricht damit das erste Mal außerhalb der Arbeit mit mir. Natürlich hatte er in seinem Brief erwähnt und ich war die gesamte Woche schon neugierig darauf gewesen, wie es wohl sein würde, außerhalb der Arbeit zu sprechen. Aber meines Wissens nach werden Wohnungen nicht überwacht.
    „Tom, ich bin neugierig“, bringe ich schließlich heraus und Tom und seine ihm zugeteilte Frau blicken sich erst gegenseitig und dann gemeinsam mich an, mit einem nun noch breiteren Lächeln.
    „Du musst wissen Clemens, es ist noch längst nicht alles herausgekommen, aber ein paar Dinge sind uns schon bekannt, andere sind vorerst nur Gerüchte“, seine Stimme klingt ganz und gar nicht sachlich, als würde sie aus ihrer geradlinigen Bahn ausbrechen und wie ein Fluss bei Regen über die Ufer treten. Ich bin neugierig, warum dem so ist.
    „So wie es uns zu Ohren gekommen ist“, nimmt nun Toms zugeteilte Frau das Gespräch wieder auf, „ist vor einigen Jahren jemand geboren worden, der alle seine Emotionen hat. Niemand weiß, wo er sich aufhält, denn es wird verzweifelt nach ihm gesucht, aber es wird gemunkelt, dass er als Kind in einer Regierungseinrichtung als Experiment gehalten wurde. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass irgendjemand alleine aus so einer Einrichtung hätte entkommen können, aber man sagt sich, es sei so geschehen. Aber der Hintergrund ist gar nicht das Wichtige. Es sind diese Pillen, die wunderbaren, wunderbaren Pillen“, sie öffnet den Mund und stößt eine Reihe von kurzen Atemzügen aus, die mir später als Lachen ganz natürlich erscheinen sollen. „Clemens, diese Pillen verändern etwas in deinem Körper, sie machen neue Dinge möglich. Kurzum, sie lassen Emotionen zu. Tom und ich sind in der Lage uns zu lieben und uns aneinander zu erfreuen, es ist befreiend, du wirst dir im Nachhinein gar nicht mehr vorstellen können, je wieder so zu leben wie jetzt.“ 141 Wörter. 121 über dem zugelassenen Limit. Aber Limits scheinen nicht mehr zu gelten, stelle ich sachlich fest.
    „Ich verstehe nicht. Was ist Liebe, was ist Freude?“
    „Natürlich verstehst du nicht“, sagt Tom, nicht sachlich. „Die zugelassenen Bücher und Filme beinhalten ausschließlich Emotionen, die als negativ vorbelastet sind. Angst und Wut und Hass. Aber was dir niemand beschrieben hat ist das Gefühl, in deiner Frau die Person zu sehen, für die du bereitwillig dein ganzes Leben geben würdest, oder das Gefühl, aus ganzem Herzen zu lächeln weil du es meinst und nicht, weil es einen offiziellen Anlass gibt. Das Gefühl von Zufriedenheit, wenn du nach einem Arbeitstag nach Hause kommst und dich ohne an das Limit zu denken mit dem Menschen unterhalten kannst, der alles für dich bedeutet.“ 97 Wörter. 77 über dem zugelassenen Limit. Ich beschließe sachlich – und auch ein bisschen neugierig – für mich, aufzuhören die Wörter zu zählen.
    „Es ist unmöglich zu beschreiben“, seufzt Tom und öffnet eine Schatulle, die er von dem Beistelltisch neben dem Sofa nimmt. Gebettet auf roten Samt präsentiert mir Tom fünf Kapseln. So hatte ich mir dieses geheime Treffen nicht vorgestellt. Auf Basis der Bücher und Filme, die ich in Vorbereitung auf das Treffen abends während der Beschäftigungsstunde gesehen hatte, hätte ich die Übergabe in einer Gasse zwischen den Häuserblocks vermutet.
    Tom räuspert sich, obwohl er doch schon den ganzen Abend über redet. „Clemens, das sind Liebe, Freude, Mitgefühl, Stolz undErstaunen.“ Beim Aufzählen deutet er nacheinander auf eine rote, eine grüne, eine rosane, eine violette und auf eine orange Pille. Einige der Worte, die er dabei verwendet habe ich heute Abend bereits gelernt, der Rest ist mir fremd. „Es ist eine Art Startpaket mit den wichtigsten positiven Emotionen, für das du nicht einmal etwas bezahlen musst. Wir beide haben heute schon unser viertes Paket erhalten, da sind zum ersten Mal auch negative Emotionen dabei.“ Er platziert eine zweite, identische Schatulle neben der mit den Standartemotionen. Die darin enthaltenen Tabletten sind allesamt dunkler gefärbt. Carla muss bereits über dieses Set verfügt haben, stelle ich sachlich fest.
    Ich nehme eine meiner Tabletten in die Hand und betrachte sie neugierig von allen Seiten. „Ich würde dir raten, nicht alle auf einmal zu nehmen“, gibt Tom zu bedenken, „sonst wirst du vollkommen von Emotionen überwältigt. Nimm sie am besten über heute Abend und Samstag verteilt. Gewöhne dich dann an die neuen Emotionen und trainiere dir an, sie in der Öffentlichkeit zu verbergen, sonst holen sie dich genauso wie Carla.
    Die ganze Situation erscheint mir unwirklich, aber Tom ist einer der mir zugeteilten Freunde und ich kann ihm vertrauen. Neugierig frage ich mich, ob ich in einigen Wochen immer noch so denken werde. Vielleicht werde ich eine ganz neue Person, vielleicht sollte ich die Tablette wieder in die Schatulle legen, nach Hause zu der mir zugeteilten Frau gehen und Tom der Polizei melden? Das wäre auf jeden Fall die vorgeschriebene Verhaltensweise. Das Gesetz steht über einer freundschaftlichen Vertrauensbeziehung. Wahrscheinlich hätte ich genauso gehandelt, hätte ich nicht bereits die Emotion der Neugierde verspüren können. So schlucke ich unter den aufmerksamen Blicken von Tom und seiner ihm zugeteilten Frau die Tablette, die ich gerade in der Hand halte.
    Sekunden später überkommt mich ein neues Gefühl und meine Mundwinkel verziehen sich zum ersten Mal in meinem Leben ohne mein zutun. Tief in mir erwächst der Wunsch, Tom zu umarmen und ihn dafür zu belohnen, dass er mir so einen großartigen und selbstlosen Dienst erwiesen hat. Einem Impuls heraus folge ich meinem Instinkt und falle meinem Freund über den Kaffeetisch hinweg in die Arme. „Danke“ flüstere ich und lerne, dass Tränen wohl nicht ausschließlich als Ausdruck der Trauer gelten.

    .

  • Hallo Nexy!


    Da hab' ich mich doch tatsächlich in deiner Sammlung einmal verirrt und musste sofort deine Kurzgeschichten >> Kalt << lesen.
    Zum Anfang möchte ich sagen, dass du die Einleitung sehr interessant geschrieben hast und diese auch gut in den Hauptteil reinfließt.
    Ebenso finde ich die erschaffene Welt gut überlegt und umgesetzt. Vielleicht versuchst du in dieser Hinsicht auch etwas satirisch zu sein; die Frage kannst nur du mir beantworten. Folgend finde ich die Art der Hauptperson passend zu dieser Welt; eine monotone Person, die stark an den Regeln festhält. Ebenso faziniert es mich, wie man in deiner Geschichte an Emotionen rankommt und wie die Person lernt, mit ihnen umzugehen. Den letzten Satz in der Kurzgeschichte ist wirklich ein schönes Ende.
    Was ich allerdings bemängeln muss, ist, dass die Zahlen nicht in Wortschrift geschrieben sind. Das lässt sich in meinen Augen schwieriger lesen und die Zahlen wirken >> stumpf <<, aber das ist ja bekanntlich Geschmackssache und eventuell ist es ebenso von dir beabsichtigt, da die Welt ebenso grob ist wie es die Zahlen zu lesen sind.


    Ich freue mich schon sehr darauf, mehr von dir zu lesen!

  • Hurra, Hurra, ein weiteres Update! Heute wieder mit einer (hoffentlich auch für euch) interessanten Prämisse! Aber erst einmal Rekommi für @Galileo (:


    Und jetzt noch zu meinem neuen Update, dem ersten Teil einer kurzen Erzählung mit dem Titel "Dämmerung". Dazu kommt auf jeden Fall noch ein zweiter Teil, ob das im nächsten Update schon der Fall sein wird, kann ich aber noch nicht garantieren! Viel Spaß beim Lesen, Feedback jeglicher Art ist natürlich wie immer erwünscht (:


    .

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    Dämmerung - I


    Als ich erwache ist es dunkel. Müde gähnend strecke ich meine Glieder, ehe ich langsam die Beine aus dem warmen Bett schwinge und zum Bad tapse. Irgendwann während ich geschlafen habe müssen wir die Grenze überquert haben. Als das Licht im Badezimmer flackernd zum Leben erwacht blickt mir im Spiegel ein Zombie entgegen. Tiefblaue Ringe untermalen meine dunkelgrünen Augen und meine schwarzen Haare stehen in alle Richtungen ab. Ich gähne erneut. Mit meinen fünfzehn Jahren habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, auch im Hellen zu schlafen. Vielleicht liegt das daran, dass ich im Dunklen geboren wurde. Auf das schneeweiße Porzellan gestützt schließe ich noch einmal die Augen und spüre das sanfte Vibrieren des Zugs unter mir. Fünfzehn Jahre an Bord. Seufzend schalte ich das Licht wieder aus und gehe zurück in mein Zimmer. Der Bildschirm über meinem Bett zeigt mir an, dass ich die Überfahrt um ungefähr drei Stunden verschlafen habe. Schade eigentlich. Die Dämmerung zu durchfahren ist immer wieder ein wunderschönes Schauspiel. Wenn das gleißende Sonnenlicht abnimmt und die ganze Welt in einen gräulichen Schein getaucht wird. Wenn ich, die Nase an das Panoramafenster gedrückt, hinter uns das Licht und vor uns die Dunkelheit sehen kann. Immer dann muss ich an die Menschen denken, die nicht mit uns im Zug leben. Auch wenn mir die Helligkeit den Schlaf verdirbt, könnte ich mir nicht vorstellen, mein ganzes Leben in der Dunkelheit zu verbringen. In der Finsternis vor meinem Fenster meine ich, in der Ferne Umrisse von Gebäuden ausmachen zu können. Schwarz auf schwarz.


    Der Zug aber ist den wohlhabenden Menschen vorbehalten. Meine eigene Familie hat eine Berechtigung an Bord zu sein, weil mein Ur-ur-Großvater maßgeblich an der Planung der Gleisverlegung mitgewirkt hat. Er hat damit eine Fahrterlaubnis für alle künftigen Generationen seiner Familie erwirkt – die Jungfernfahrt des Zuges selbst hat er nie mitbekommen, er starb vier Jahre, bevor die Maschine zum ersten Mal den Bahnhof verließ. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass es inzwischen zehn Züge gibt, die im selben Abstand zu einander die Welt umrunden. Unsere Welt, die in der Rotation an die Sonne gebunden ist. Wissenschaftler haben die Theorie aufgestellt, dass sich unser Planet für vielen Millionen Jahren wohl noch schneller um sich selbst gedreht haben soll, sodass sich Helligkeit und Dunkelheit auf natürlichem Weg abgewechselt haben. Gravitation soll wohl das Schlüsselwort sein. Die Gravitation, die von unserer Sonne ausgeht habe die Rotation unseres Planeten um sich selbst über die Jahre so stark abgebremst, dass er ihr gegenüber heute scheinbar still steht. Eine Hälfte dem ewigen Sonnenschein ausgesetzt, die andere Hälfte zu nicht enden wollender Finsternis verdammt. Und dann gibt es da die Züge, in denen die Superreichen vor mehreren Generationen eine Möglichkeit gefunden haben, sich nicht für eines der beiden Übel entscheiden zu müssen. In riesigen Schlangenlinien fahren die monströsen Maschinen um die Welt. Einhundert Stunden Licht und einhundert Stunden Dunkelheit in einem nicht enden wollenden Kreislauf. Und immer wieder dazwischen die Dämmerung, in der ich an die Menschen dort draußen denken muss. Wie ist es wohl, sein ganzes Leben in der Finsternis zu verbringen? Was denken die Menschen über die Sonne, die permanent auf sie herabbrennt? Ich wünschte, ich könnte die Lebensweisen der Menschen miteinander vergleichen. Wie unterscheiden sich die Häuser? Die Kleidung? Die Ernährung?
    Wieder seufze ich und reiße mich vom Fenster los. Ich weiß, dass ich niemals dazu kommen werde, meinen Fragen nachzugehen. Ich selbst bin zu einem Leben auf dem Zug verdammt. In gewisser Weise fühle ich mich den Menschen dort draußen verbunden. Aber ich weiß auch, dass mein Platz auf dem Zug verwirkt ist, sobald ich diesen verlasse, egal der meine Vorfahren waren. Die Warteliste für einen Platz auf dem Zug ist lang und die Plätze teuer. Wer freiwillig den Zug verlässt, kann ebenso gut als verbannt gelten. Die einzigen Kontakte zu dort draußen sind die kurzen Aufenthalte an den großen Stationen. Nach jedem fünften Wechsel über die Tageslichtgrenze hält der Zug, um Vorräte und im seltenen Fällen neue Passagiere aufzunehmen. Wenn ich an diesen Stationen aus dem Fenster schaue, sehe ich die Menschen. Bronzefarbene Haut auf der Sonnenseite, bleiche, fast durchsichtige Haut auf der Schattenseite. Die gleichen Blicke haben sie alle, die Menschen, die sich an den Barrieren und hinter den Zäunen versammeln, um auf den massiven Zug zu starren. Ein Blick voller Hass und voller Sehnsucht. Voller Neid und Missgunst. Ein Blick voller Trauer. Meist kann ich den vorwurfsvollen Augen nicht lange standhalten, trotz meiner Faszination mit den Menschen selbst. So ziemlich jeder einzelne Mensch, dort draußen wird niemals die andere Seite sehen können.
    Noch im Schlafanzug schlendere ich durch den Flur zum Speisezimmer unserer Familie. Meine Eltern und mein kleiner Bruder sitzen bereits beim Frühstück zusammen.
    „Guten Morgen“, murmele ich müde und ziehe meinen Stuhl zurück, um mich zu setzen.
    „Hallo Schlafmütze, du hast die Dämmerung verpasst“, meine Mutter lächelt mich an und setzt ihre Teetasse ab.
    Ich zucke nur mit den Schultern und wähle auf einem Touchpad mechanisch ein Rührei und einen Becher Orangensaft an. Ein Countdown startet, als die Bestellung an die Bordküche geschickt wird. Fünf Minuten bis mein Frühstück serviert wird.
    Auf einem Bildschirm an der Wand laufen die Nachrichten.
    „… Angriff auf den siebten Zug endete also ohne Schaden. Die Rebellen von der Sonnenseite wurden festgenommen und werden zur Stunde befragt. Im Folgenden: Das Wetter.“ Die blonde Nachrichtensprecherin lächelt professionell, als sie mit einer Handbewegung zu ihrem Kollegen an der Wetterkarte überleitet.
    Mein Vater schüttelt langsam den Kopf, die Stirn in tiefe Falten gelegt. Er hat einen ganz besonderen Hass auf die Rebellen, wegen dem wir ständig in Streit geraten.
    „Da sieht man es Mal wieder. Dieser Abschaum von der Sonnenseite ist einfach nur ein Haufen Terroristen. Wir sollten endlich eine Mauer um die Gleise herum errichten“, schimpft er in seinen Kaffee hinein.
    „Das ist doch total unrealistisch“, erwidere ich, „die Gleise umspannen den ganzen Planeten, du würdest mit einer Mauer die ganze Welt in Zwei spalten.“
    „Genau das wäre auch die beste Option. Dann kann jeder Terrorist in dem Teil der Welt bleiben, in dem er geboren wurde.“ Langsam bringt mein Vater mich in Rage. Diese sinnlose Diskussion hatten wir schon unzählige Male.
    „Du kannst doch nicht einfach so alle Menschen in einen Sack stecken! Ohne diesen Zug wären wir genau so wie alle anderen auch!“
    „Pass ein bisschen auf deinen Ton auf, junge Dame“, erhebt mein Vater seine Stimme. „Deine Vorfahren haben sich nicht dafür aufgeopfert, dass du jetzt ihre Errungenschaften in den Dreck ziehst, weil du mit Terroristen sympathisieren willst!“
    Ruckartig stehe ich auf. „Unsere Vorfahren waren ebenso Menschen von der Sonnenseite wie die ‚Terroristen‘ von denen du so gerne redest! Vielleicht solltest du nicht vergessen wo du herkommst!“
    Mit hochrotem Kopf mache ich auf dem Absatz kehrt und stürme hinaus.
    „Schatz, doch nicht beim Frühstück“, höre ich meine Mutter sagen.
    Kurz bevor die Tür zum Speisezimmer hinter mir ins Schloss fällt, läuft der Countdown für mein Frühstück ab und eine Benachrichtigung ertönt.
    Ding.
    Ding.
    Ding.
    Die Welt steht still, als der Zug von einer ersten, dann einer weiteren Explosion erschüttert wird. Dann werde ich brutal an die Wand geworfen, als das Monstrum aus Stahl auf seiner Bahn geworfen wird. Ich verliere die Orientierung. Oben und unten sind nur noch Begriffe, die nichts mehr bedeuten, während ich im engen Flur hin und her geworfen werde, unfähig mich gegen die übermächtige Gewalt zu Wehr zu setzen. Ich spüre, wie bei einem Aufprall an der Wand – oder am Boden? – mein Arm bricht und ich schmecke Blut. Dann stoße ich mit meinem Kopf gegen die Deckenlampe und verliere mein Bewusstsein.


    Als ich erwache ist es dunkel. Ich huste und spucke Blut. Als ich meine Arme an meinen schmerzenden Kopf heben will, erinnere ich mich schmerzhaft daran, wie mein linker Oberarmknochen brach. Dann fluten alle anderen Erinnerungen auf mich ein. Die Explosionen, der entgleiste Zug. Irgendwo am Ende des Flurs flackert ein Licht. An – aus. Licht – Dunkelheit. So wie die letzten fünfzehn Jahre meines Lebens. Das beruhigende Vibrieren des Zugs ist verschwunden. Es ist fast unheimlich still, abgesehen von meinem schweren Atem. Im flackernden Licht erkenne ich, dass die gesamte Maschine auf der Seite liegen muss. Mein Blick fällt auf die Tür, nur wenige Meter neben mir. Meine Familie. Auf den gesunden Arm gestützt versuche ich langsam, mich aufzurichten. Ich beiße die Zähne zusammen, als ich meinen geschundenen Beinen mein Gewicht zumute, aber sie tragen mich. Unendlich langsam wanke ich auf die Tür zu. Ich will nicht wissen, was mich im Speisezimmer erwartet, aber ich muss trotzdem nachsehen.
    Die Tür öffnet sich nicht, als ich sanft dagegen drücke und ich stoße einen heiseren Schrei der Frustration aus. An die Wand gestützt gehe ich in die Knie und stemme mich mit aller Macht gegen das Holz. Da der Zug auf der Seite liegt, muss ich die Tür nach oben aufdrücken. Ein, zwei Mal werfe ich mich gegen den Durchgang, ehe sich die Tür ein bisschen bewegt. Der Schweiß steht mir auf der Stirn, als ich ein drittes Mal gegen das dunkle Holz ramme und die Tür aufspringt. Rasch halte ich die mit meiner rechten Hand offen und verfluche meinen nutzlosen linken Arm. Vorsichtig krieche ich durch die Türöffnung in den Speisesaal und wünsche mir augenblicklich, dass ich es nicht getan hätte. Ein Bild der Verwüstung bietet sich mir. Der schwere Eichentisch liegt am anderen Ende des Raumes, von den edlen Stühlen sind nur vereinzelte Holzstücke geblieben. Sämtliche Schränke und Kommoden scheinen wie von einem wütenden Bullen durch den Raum geschleudert und zerstört worden zu sein. Und in dem Chaos Blut. Unfassbar viel Blut. Ich meine zwischen Esstisch und Wand einen Arm herausragen zu sehen, aber meine Augen haben sich nicht genug an die Finsternis gewöhnt und das flackernde Licht aus dem Flur dringt nur noch schwach bis hier her vor. Ein Windzug streift mein Gesicht und löst mich aus meiner apathischen Schockstarre. Ich fange an zu zittern, als alle Eindrücke auf einmal auf mich einströmen. Ich will gleichzeitig schreien und weinen -stattdessen beuge ich mich vorn über und übergebe ich mich auf den Boden. Unzählige Gedanken rasen durch meinen Kopf. Terroristen. Finsternis. Dämmerung. Vater. Mutter. Mein Bruder. Ehre. Verrat. Wind.
    Wind? Immer noch gekrümmt drehe ich langsam meinen Kopf nach rechts, zur eigentlichen Decke des Zimmers. Von dort kam der Windstoß, der mich wieder in die Realität zurückgeholt hat. Das große Deckenfenster hat das Entgleisen des Zuges nicht überstanden. Ein perfekter Ausgang. Ich muss hier raus, hier weg.
    Mit schmerzenden Beinen, eigentlich schmerzt mein ganzer Körper, bringe ich genug Kraft auf, um mich durch das zerstörte Fenster nach draußen zu tragen.
    Und dann stehe ich an der frischen Luft. In der Finsternis. Zum ersten Mal in meinem Leben außerhalb des Zuges.[/Spoiler]

    .

  • Heyho, Nexy ^^


    Eine Hand wäscht die andere, und wie du mir, so ich dir! (liest sich wie Martina Hill in den Börsennachrichten bei switch xDD)
    Hab dir versprochen, ich würde was kommentieren, also mach ich das auch. Da du deine Werke so nett in Kategorien eingeteilt hast, nehme ich mir von jeder eines und gebe Pika!nten Senf dazu. Also, los geht’s!



    Okeydonkey. So weit, so fertig. Wenn ich mal wieder dazu komme, kloppe ich auch deine anderen Werke zusammen ^^


    Gruez,
    Pika!

  • Fixes Update ohne "neuen" Content, sondern "nur" meinem Beitrag zum Pokémon GO Wettbwerb (weil @Nortia das so wollte :whistling: )
    Außerdem muss ich ja auch mal meinen Experiment-Bereich ein bisschen beleben und wenn man dem Feedback vom Wettbewerb nachgehen darf, dann war dieser Text wirklich sehr experimentell!


    Re-Kommi für Pika! gabs ja schon per PN (:

    .

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    Erste Male


    Zum ersten Mal an Weihnachten mit vor Freude glänzenden Augen ein Pokémon Spiel öffnen.



    Zum ersten Mal vor der schwersten Wahl eines jungen Lebens stehen – Bisasam, Glumanda oder Schiggy?



    Zum ersten Mal die größte kleine Welt bereisen.



    Zum ersten Mal mit dem letzten Kratzer kurz vor dem Ende eine Arena bezwingen.



    Zum ersten Mal trainieren für die Top 4.



    Zum ersten Mal ganz oben stehen und sich in der Ruhmeshalle groß fühlen.



    Zum ersten Mal Lästereien ertragen wegen der lächerlichen Kleinkindspielereien.



    Zum ersten Mal merken, dass nicht jeder so begeistert ist, wie man selbst.



    Zum ersten Mal ganz unten sein und sich am liebsten so klein wie möglich machen.



    Zum ersten Mal dazugehören wollen und



    Zum ersten Mal die eigenen Leidenschaften verstecken.



    Zum ersten Mal vergessen, was einen früher so begeistert hatte.



    Und dann



    Zum ersten Mal von der neuen Sensation hören.



    Zum ersten Mal zögerlich die Pokémon GO App herunterladen.



    Zum ersten Mal seit langem ein Pokémon vor sich sehen.



    Zum ersten Mal die triviale Entscheidung treffen – Bisasam, Glumanda oder Schiggy?



    Zum ersten Mal vorsichtig einen Pokéball werfen.



    Zum ersten Mal seit Ewigkeiten das erste Taubsi fangen.



    Zum ersten Mal die Welt mit anderen Augen sehen.



    Zum ersten Mal eine Arena mit einer letzten Berührung des Bildschirms übernehmen.



    Zum ersten Mal seit damals wieder ein Erfolgserlebnis.



    Zum ersten Mal wieder die Befürchtung.



    Die Versuchung, das Smartphone wieder wegzulegen ist groß, die Versuchung, Pokémon GO wieder zu deinstallieren ist größer. Ich bin keine charakterstarke Person, keine Person, die anderen die Meinung sagen und seine eigenen Interessen brennen kann. Keine Person, die tut was sie will, ohne auf die Meinung anderer zu hören. Ich bin beeinflussbar, es ist mir wichtig, nicht dumm dazustehen. Ich liebte es zu singen und zu tanzen, zu fantasieren und zu träumen. Aber so bin ich nicht mehr. Ich bin geformt von einem Umfeld, zu dem ich nur gehören möchte, weil es jeder will, habe mich schon länger damit angefreundet, nicht immer das machen zu können, worauf ich früher vielleicht Lust gehabt hätte.



    Nicht immer wird zu selten und selten wird zu so gut wie nie.



    Das ist eben der Preis, den ich zu zahlen bereit war. Und ich bin glücklicher so, denke ich, während ich die App langsam in Richtung Papierkorb am oberen Bildschirmrand ziehe. Reine Zeitverschwendung, diese Kleinkindspielereien. Denke ich.



    Und dann



    Zum ersten Mal zögern.



    Vielleicht noch ein letztes Mal. Ich habe da dieses zwei Kilometer Ei, das bald schlüpfen sollte. Also noch ein letztes Mal raus aus der stickigen Wohnung und in die warme Mittagssonne. Vorsichtig die App starten, ohne Ton und die Helligkeit ganz nach unten, damit es niemand sieht.



    Und dann



    „Hey, spielst du Pokémon GO?“



    Zum ersten Mal zusammenzucken.



    Und dann



    Zum ersten Mal denken „Scheiß drauf.“



    Zum ersten Mal seit langem wieder über Pokémon reden.



    Zum ersten Mal ein Karpador aus einem Ei schlüpfen sehen.



    Zum ersten Mal zu zweit auf die Jagd gehen.



    Zum ersten Mal mit leuchtenden Augen ein seltenes Pokémon fangen.



    Zum ersten Mal ein Lockmodul aktivieren.



    Zum ersten Mal an einem Platz mit Leuten sein, die denken wie ich.



    Zum ersten Mal Einsicht zeigen.



    Zum ersten Mal realisieren, dass das Leben gar nicht so sein muss.



    Zum ersten Mal richtige Freunde finden.



    Ich bin immer noch keine charakterstarke Person, so einfach kann ich mein Leben nicht von einem Tag auf den anderen drehen, aber ich lasse mich nicht mehr so leicht beeinflussen. Ich habe Freunde, bei denen ich sein kann, wie ich will. Ich kann singen und tanzen und fantasieren und träumen.



    Und ich bin glücklicher so, das weiß ich.

    .

  • Das heutige Update beinhaltet gewissermaßen ein kleines Stück Heimat für mich. Ich habe vier Gedichte über die Ostsee geschrieben, eines für jede Jahreszeit. Dabei habe ich versucht, die Form der Gedichte auch der jeweiligen Jahreszeit anzupassen, inwiefern mir das gelungen ist, könnt ihr ja für euch selbst entscheiden (:


    .


    [Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/YDx1gh4.gif].


    Die Ostsee in vier Jahreszeiten

    Frühling

    Winterende!
    Endlich wieder Sonnenschein, endlich
    die blühende Natur an allen Enden des Strandes.
    Die See wagt die Bewegung, weg vom Starren, hin zum Spiel.
    Aufreißender Himmel, blaue Decke über blauem Meer, blaue Lippen nach dem ersten blauäugigen Versuch zu baden.
    Endlich wieder Frühling am Strand.
    Endlich wieder.
    Lachende Kinder, kreischende Möwen,
    Kreischen, wenn das kalte Wasser nackte Füße trifft.
    Lachende Sonne.
    Tauende Glieder, blau liegendes Meer.


    Sommer
    Die Sonne heißt mich schon willkommen,
    Wenn morgens an den Strand ich geh'.
    Tiefblaues Meer, weit und vollkommen,
    Der Sommer kommt an meine See.


    Der Sand ist heiß, der Strand ist voll,
    Die Ostsee lockt, das Nass befreit,
    Und wie ich in den Fluten toll',
    Genieße ich die Sommerzeit.


    Noch spät am Abend spiegelt sich,
    Am Horizont die rote Sonne,
    Und läd mit ihrem Abschied mich,
    Auch morgen ein zu ihrer Wonne.


    Herbst

    Peitschende Stürme über einem rauen Meer.
    Graue Wolken färben Blaues dunkel.
    Der Strand liegt längst verwaist.
    Beobachtet niemand
    Das Schauspiel?
    Stille.


    Dann erhellt ein Blitz die Szenerie bis zum Horizont.
    In der Ferne türmen sich meterhohe Wellen.
    Vergessen sind die warmen Tage.
    Der Herbst hält Einzug.
    Und mit ihm
    Kälte.


    Und wenn nach einem lauten und brutalen Sturm
    Ein sanfter Regen auf die Ostsee fällt.
    Dann steh' ich manchmal da im Sand.
    Und lausche in der Stille
    dem Rauschen des
    Meeres.


    Winter

    Klare Luft und
    Dunkler Spiegel
    Wie gefroren
    Liegt die See.


    So vollkommen
    Wirkt das Meer wenn
    Ich im Winter
    Zu ihm geh'.


    Pure Stille
    Wenn auf ruhiges
    Wasser leise
    Fällt der Schnee.


    .

  • Weil die Kommentarekette so verwaist ist, will ich mich deinem Topic annehmen. Ich werde dein neuestes Werk kommentieren, die Ostsee in vier Jahreszeiten. Mache dich gefasst, ich werde kein Blatt vor den Mund nehmen und bin recht kritisch, hasse mich nachher nicht bitte (:


    Ich werde meinen Kommentar in zwei grosse Teile unterteilen: Da wäre erstens mal die Bewertung der einzelnen Gedichte, und zweitens die Bewertung des Gesamtwerkes. Legen wir los:


    Frühling
    Frühling ist klar das schwächste Gedicht. Es wirkt im Vergleich zu den anderen dreien recht konzeptlos (bis auf die Wiederholung von "endlich", aber auch die scheint mehr erzwungen als natürlich fliessend), ohne dass es gewollt konzeptlos wirkt. Während mir einzelne Verse sehr gefallen (zB "weg vom Starren, hin zum Spiel" oder "Kreischen, wenn das kalte Wasser nackte Füsse trifft), die das Bild, das du vermitteln willst, gut ausdrücken, wirkt die Gesamtheit sehr holprig. Der viel zu lange Vers vier stört den Fluss, der sowieso nie recht aufzukommen vermag, da die Verslängen arbiträr und der Rhythmus willkürlich ist. Man kann dieses Gedicht nicht singen, es wirkt mehr wie ein künstlerischer Prosatext als ein Gedicht. Gerade in einem Museum, in gesprochener Form zu Ton kann ich es mir gut vorstellen (es bräuchte auch hier da und dort eine kleine Verbesserung hin zu mehr Fluss).
    Inhaltlich will es die etwas zurückhaltende, vorsichtige, unerfahrene Aufbruchsstimmung des Frühlings symbolisieren, was dir nicht schlecht gelingt. Vielleicht mit etwas mehr Kreativität bezüglich der Bilder, so dass du nicht zwei Mal das schon beim ersten Mal eher unkreative Bild des Sonnenscheins bzw. der Sonne allgemein benutzt. Dasselbe gilt für das blaue Meer, ein eher langweiliges Bild gleich zwei Mal benutzt. Ich sehe ja, dass du es besser kannst, wie die bereits erwähnten guten Verse beweisen; auch die tauenden Glieder, die man sofort mit den sich trocknenden Badenden in Verbindung bringt, sind gut gelungene Stimmungsbeschreiber.


    Sommer
    Schon besser. Es herrscht ein klares Konzept bezüglich der Form, nämlich dem volkstümlichen Kreuzreim, der gerade in der Romantik oft benutzt wurde. Der Sommer kann, wie alle Jahreszeiten, sehr romantisch sein, deshalb ist es durchaus nicht verfehlt, hier diesen Ansatz zu wählen. Das Versmass wurde gut durchgehalten, die vierhebigen Jamben sind flüssig und gut lesbar (abgesehen vom dritten Vers in der ersten Strophe, den man ein wenig verbiegen muss, aber es geht). Die Reime klingen schön und wirken nicht forciert. Genau der Unterschied in der Natürlichkeit zum Frühling macht diesen Teil viel besser.
    Inhaltlich sehe ich noch Verbesserungspotential: Die erste Strophe geht so in Ordnung, aber wie schon beim Frühling kritisiert, könntest du ein wenig ausgefallener sein bei der Beschreibung des Meeres und der Sonne, es kann auch ins Abstrakte gehen, ins Paradoxe, wenn es die Stimmung trifft, dann kann sich das sehr gut machen. Die zweite Strophe klingt vom Wortlaut her wie ein Werbespot aus den 30er-Jahren (ich glaube es ist "Die Ostsee lockt"). Das ist nicht schlimm, sogar eher lustig, aber es passt nicht recht zu den anderen beiden Strophen, die einen viel persönlicheren Ton haben, mehr auf das lyrische Ich bezogen sind. Das etwas langweilige "Der Strand ist heiss, der Strand ist voll", das viel zu viel dem Prinzip "show, don't tell" widerspricht, macht schon den Einstieg in die Strophe recht plump, und die anderen drei Verse sind zwar okay, zeigen mit dem "befreienden Nass" sogar Potential für ein schönes Bild, können aber die Banalität nicht verhindern. Der Inhalt wird zu sehr beschnitten, damit er in die Form passt. Früher war ich gegen die Überarbeitung von Gedichten, da ich fand, dass man nie mehr in der Stimmung sein kann, in der man war, als man es geschrieben hat; heute denke ich nur noch bei bestimmten Gedichten so (einige meiner Gedichte würde ich nie mehr anfassen, ich habe sie in einer Art Trance geschrieben, es floss einfach so aus mir raus; das sind solche Momentaufnahmen). Dieses wirkt auf mich nicht wie ein Gedicht, das zur Verarbeitung von persönlichen Emotionen dient, sondern mehr wie ein wohlüberlegtes Kunstwerk, an dem man durchaus noch feilen kann. Ich empfehle dir, an dieser zweiten Strophe zu feilen, falls du je Zeit und Lust hast.
    Die dritte Strophe ist klar die beste der dreien. Sie bildet einen runden Abschluss zum Teilgedicht. Die "rote Sonne" ist anders als die bisherigen Sonnenbilder viel weniger problematisch, da es doch einen nicht selbstverständlichen Teilaspekt herausstreicht, der erheblich zur Stimmung beiträgt. Besonders aber das Bild mit dem Abschied, der einlädt zum nächsten Tag ist toll, das hast du nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich gut umgesetzt und zeigt, dass du es besser kannst als in Strophe zwei.
    Vielleicht lege ich zu viel Wert auf den Kreuzreim in Verbindung mit einem romantischen Gedicht, aber die dritte, ziemlich romantische Strophe lässt diesen Aspekt in den anderen beiden vermissen. Von der Form her also top, inhaltlich gibt es noch Verbesserungspotential.


    Herbst
    Auch dieses Teilgedicht ist wieder eine klare Steigerung zum vorhergehenden. Mit der rückläufigen Form vermagst du das Bild des Herbstes, der den Übergang vom üppigen Sommer hin zum kargen Winter markiert, schon zu vermitteln. Klasse. Auch sprachlich und inhaltlich hast du das sehr gut gemacht, die Melancholie, die der Herbst mit sich bringt, kann man als Leser richtig fühlen. Ich möchte an dieser Stelle den Bruch zwischen "Beobachtet niemand" und "Das Schauspiel" hervorheben, der mit nur vier Worten und einem gut gesetzten Umbruch so viel mehr Emotion vermitteln kann als die ganze zweite Strophe im Sommer, und als der Frühling insgesamt. Ich habe gerade etwas Mühe, in Worte zu fassen, was ich genau meine (nach vier Versuchen habe ich aufgegeben haha), aber lass dir gesagt sein, ich find's toll. Abgesehen vom "Dann" zu Beginn der zweiten Strophe, das, platziert an dieser unglücklichen Stelle, der tollen Atmosphärebeschreibung imo zu viel Erzählendes verleiht. Es zerstört die Ruhe der ersten Strophe, ohne dass sie eigentlich zerstört werden sollte, denn sowohl die zweite als auch die dritte Strophe gehen so ruhig weiter wie die erste. Auch in der zweiten sind die Umbrüche gut gesetzt, in der dritten ebenfalls, die sprachlichen Bilder viel schöner als noch im Sommer ("Dann steh ich manchmal da im Sand" - perfekt). Etwas holprig ist der erste Vers der dritten Strophe, doch ich sehe ob der grossartigen Qualität des Restes gerne darüber hinweg.


    Winter
    Auch wenn es nicht unbedingt eine Steigerung zum Herbst darstellt, fungiert es doch auf der selben Stufe. Wieder ist ein klares Konzept ersichtlich, mit den kurzen Versen wird die Kargheit des Winters gut repräsentiert. Auch hier wieder finde ich die Umbrüche stark gesetzt, auch tolle Bilder wie "Klare Luft und dunkler Spiegel" vermögen, mich für dieses Gedicht zu gewinnen. Die zweite Strophe ist ein kleiner Durchhänger insofern, als dass sie weniger Atmosphäre vermittelt, sondern halt ein wenig erzählt, aber irgendwie unnötigerweise. Es wirkt, als wäre dir nichts eingefallen für eine zweite Strophe. Die dritte Strophe ist aber wieder top, kann nicht wirklich etwas Negatives anbringen, klar, dass ein Schiller oder Goethe oder Eichendorff wohl mehr daraus gemacht hätten, aber wo sind wir denn da, wenn nur noch solche Namen Verbesserung bringen könnten.


    Zum Gesamtwerk
    Die Frage ist: Ist das Gesamtwerk besser als nur die Summe ihrer Teile? Jein, in diesem Fall. Während der Herbst und der Winter sich schön ergänzen, der Herbst auch gut vom Sommer in den Winter überleitet, sowie die beiden die den Jahreszeiten eigene Stimmung gut zu vermitteln wissen, ist vor allem der Frühling so anders als die anderen drei, dass er das Gesamtbild mehr stört als dazu beiträgt. Der Sommer ist gut als Einzelgedicht, kann aber nicht recht eingeleitet werden, und leitet auch nicht recht aus. Ich finde es übrigens sehr schwierig, positive Gedichte zu schreiben, ich kann mal in meinem Topic zählen, von allen Gedichten, die ich veröffentlicht haben, sind nur zwei irgendwodurch optimistische Gedichte (bei einer Gesamtzahl von fünfzehn), und auch diesen beiden sind Tod & Verderben nicht weit weg. Ich denke aber, dass eine Behandlung des Spätsommers eine gute Überleitung in den Herbst geben könnte, in einer vierten Strophe vielleicht, die zwar immer noch gute Dinge schildert, der Leser aber den kommenden Herbst schon spüren kann (denn im Herbst ist der kommende Winter klar spürbar). Den Frühling will ich an dieser Stelle gar nicht zu lange behandeln, der braucht schon von sich aus viel Verbesserung, um aufs Niveau der beiden letzten zu kommen. Vielleicht könntest du mehr auf die Sonne eingehen, die eben nicht nur positiv ist, sondern auch blendet (verblendet?), das gut mit deinem Ansatz zum blauäugigen Bad passen würde. Kurz, diese naive Freude über den Frühling ein wenig differenzierter darstellen, damit das Ganze nicht so plump wirkt.
    Ob du einen Versuch machen willst, ist natürlich dir überlassen, vielleicht habe ich auch einige versteckte Qualitäten übersehen, die dich dazu bewägen, alles beim Alten zu lassen.


    Zum Schluss möchte ich sagen, dass dieser Gedichtezyklus schon viel Potential zeigt, gerade gegen hinten, und du in Zukunft sicherlich tolle Werke hervorbringen wirst. Vielleicht solltest du weniger versuchen, dich einer konkreten Form zu unterwerfen, wie du es im Sommer tust mit den Reimen und dem strikten Versmass (meine ersten beiden komplett reimenden Gedichte, die nicht für einen Wettbewerb waren, habe ich gestern und heute geschrieben, und sie sind zugegebenermassen ziemliche Kopien von Eichendorffs Stil). Ich weiss nicht, wie lange du schon schreibst, aber angesichts dessen, dass du Literatur studierst, wirst du dich schon länger mit dem Thema auseinadersetzen (sorry für den Pinnwandstalk). Nichtsdestotrotz will ich dir den Tipp geben, dich erstmal auf ein wenig simplere Formen zu konzentrieren, wie du es im Herbst und Winter tust, denn diese scheinen dir besser zu liegen, da die Reichweite an möglichen Ausdrucksweisen angesichts der Freiheiten, die du dabei geniesst, viel grösser ist. Der Leser wird dadurch viel schneller auf einer viel tieferen Ebene gepackt, als es jedes Reimschema und Rhythmuseinhalten je könnten, die, zumindest für mich, mehr ein Bonus sind. Solange es schön klingt und sich flüssig liest, sind sowohl Reimschema als auch Rhythmus völlig überflüssig, was die Qualität des Gedichtes angeht (kann's nicht ausstehen, wenn Leute als einzigem Kritikpunkt fehlende Reime anbringen).


    Ich werde sicherlich noch das eine oder andere Mal hier vorbeischauen, es hat mir gut gefallen hier. Ich hoffe, ich war nicht zu harsch, und konstruktiv genug, dass du auch etwas aus dem Kommentar mitnehmen kannst für die Zukunft.


    Buxi

  • Guten Abend, gute Nacht,
    hab ein Update mitgebracht!


    Der erste Teil dieses Updates widmet sich dem Inhalt des letzten, den ich nach der wunderbar detaillierten Kritik von @Buxi mir noch einmal angeschaut habe. Die vier Gedichte über die Ostsee präsentieren sich zwar nach wie vor in ihren Mustern gleich, es wurde aber ein wenig gefeilt.
    Der Frühling steht nach wie vor in freien Versen, wirkt aber hoffentlich von den Bildern etwas weniger plump und nicht mehr all zu unorganisiert.
    Sommer und Winter haben jeweils eine komplett neue zweite Strophe erhalten, die sich besser in die jeweiligen Gedichte einführt.
    Im Herbst hat sich lediglich ein Wort verändert, aber man nimmt ja bekanntlich was man kriegen kann.


    .


    [Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/YDx1gh4.gif].


    Die Ostsee in vier Jahreszeiten 2.0


    Frühling

    Winterende!
    Endlich wieder an der Luft entspannen,
    endlich die blühende Natur an allen Enden des Strandes.
    Die See wagt die Bewegung, weg vom Starren, hin zum Spiel.
    Aufreißender Himmel, blaue Decke über blauem Meer,
    blaue Lippen nach dem ersten blauäugigen Versuch zu baden.
    Endlich wieder Frühling am Strand.
    Endlich wieder.
    Lachende Kinder, kreischende Möwen,
    Kreischen, wenn das kalte Wasser nackte Füße trifft.
    Lachende Sonne.
    Tauende Glieder, man traut sich wieder,
    Den Strand zu genießen.



    Sommer



    Vom Himmel dringt mit grellem Schein,
    Wenn morgens an den Strand ich geh'.
    Ein Feuer tief in mich hinein,
    Der Sommer kommt an meine See!


    In frisch entfachter Leidenschaft,
    Entzieht sich mir der Lauf der Zeit.
    Und schwindet schließlich auch die Kraft,
    Fühl' ich durch Wärme mich befreit.


    Noch spät am Abend spiegelt sich,
    Am Horizont die rote Sonne,
    Und läd mit ihrem Abschied mich,
    Auch morgen ein zu ihrer Wonne.



    Herbst

    Peitschende Stürme über einem rauen Meer.
    Graue Wolken färben Blaues dunkel.
    Der Strand liegt längst verwaist.
    Beobachtet niemand
    Das Schauspiel?
    Stille.



    Bald erhellt ein Blitz die Szenerie bis zum Horizont.
    In der Ferne türmen sich meterhohe Wellen.
    Vergessen sind die warmen Tage.
    Der Herbst hält Einzug.
    Und mit ihm
    Kälte.



    Und wenn nach einem lauten und brutalen Sturm
    Ein sanfter Regen auf die Ostsee fällt.
    Dann steh' ich manchmal da im Sand.
    Und lausche in der Stille
    dem Rauschen des
    Meeres.



    Winter

    Klare Luft und
    Dunkler Spiegel
    Wie gefroren
    Liegt die See.


    Zeit bleibt stehen
    Und Momente
    Sind und bleiben
    Nur Idee


    Pure Stille
    Wenn auf ruhiges
    Wasser leise
    Fällt der Schnee.

    .


    Mein zweiter Teil dieses Updates (und vielleicht für die Mehrheit auch der interessantere) ist ein spontanes Werk. Ich komme soeben von einer Lesung nach Hause, in deren Verlauf sich zwei Literaten einen Wettbewerb lieferten. Auf Zuruf auf dem Publikum entstanden innerhalb von zwanzig Minuten zwei Werke, die begannen mit "Was ich dir schon immer einmal sagen wollte..."
    Dieser Herausforderung habe ich mich jetzt ebenfalls gestellt, mit folgendem Ergebnis:


    .


    [Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/Vg6rhpG.gif].


    Was ich dir schon immer einmal sagen wollte.

    Was ich dir schon immer mal sagen wollte ist, dass ich alles ungeschehen machen würde, wenn es nur in meiner Macht stünde.
    Dass ich dich gerne kennengelernt hätte, so wie du mich damals für kurze Zeit kennen lernen konntest.
    Dass ich mein Leben geben würde, um dich zu retten. So wie du deines gabst, um mich zu schaffen.
    Dass ich jeden Tag meiner Existenz verfluche, weil sie auf Tod erbaut wurde.
    Dass ich mich in zwanzig Jahren noch nie so hilflos und allein gefühlt habe.
    Dass ich nicht mehr weiter weiß.
    Dass ich dich jetzt brauche.
    Dass ich dich vermisse.
    Dass ich dich liebe,
    Mama.


    Was ich dir schon immer einmal sagen wollte ist, dass ich nichts bereue.
    Dass ich die Erinnerung an dein erstes Lächeln ewig bewahren werde.
    Dass ich dich wieder und wieder wählen würde, wenn ich könnte.
    Dass ich nie auch nur einen Moment an dir zweifelte.
    Dass ich dir nie die Schuld gab.
    Dass ich stolz auf dich bin.
    Dass ich an dich glaube.
    Dass ich bei dir bin.
    Dass ich dich liebe,
    Mein Sohn.

    .

  • Update ohne Rekommis, habe letztes Mal ja aber auch nicht wirklich was Neues präsentiert.
    Dafür hier jetzt ein brandneues Gedicht! Dichten macht mir in letzter Zeit fast mehr Spaß, als richtig Prosa zu schreiben. Vielleicht, weil ich mit der Dichtung noch nicht so vertraut bin und mich das ein bisschen anspornt!
    Hier jedenfalls ein Gedicht, dass sich irgendwie nicht so entwickelt hat, wie ich mir das gedacht hatte. Habe fast den Eindruck, dass sehr Emo geworden ist, was eigentlich ein Versuch war, ein etwas "undeutlicheres" Gedicht zu schreiben. Bis jetzt hatten ja alle meine Werke eine sehr klare Handlung und so, hier wollte ich mich mal etwas an @Musicmelon s Astralherz orientieren und ein wenig surreal schreiben. Ist mir letztendlich leider nicht wirklich gelungen ^^"


    .


    [Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/PN8eQLe.gif].


    Seelenwanderung


    Lichterlohes Flammenmeer
    An der Grenze meines Seins
    Verlangen zieht mich zentnerschwer
    In die Feuersbrunst hinein.


    Von der Schwelle meiner Seele
    Trete ich in Dunkelheit
    Ein falscher Schritt und ich verfehle
    Meinen Pfad, verlier die Zeit.


    Wirre Pfade, Nebelwege
    Durchwandre ich äonenlang
    Sterbe ich schon, oder lebe
    Ich noch weiter, unter Zwang?


    Ein Wort durchbricht die Stille da
    Dringt zu mir durch bis tief hinein
    In die letzten Tiefen gar
    Mein Selbst wird neu erfüllt vom Schein.


    Und langsam finde ich die Straße
    Aus dem Dunkel in das Licht
    Und alles was ich so verhasse
    Ist es wichtig, oder nicht?


    Ausgekühlter Lebensraum
    Meine lange Wand’rung scheint
    Jetzt nur wie ein Fiebertraum
    Bin wieder voll mit mir geeint.


    .


    Macht daraus, was ihr wollt!

  • Nur ein halbes Update, weil es "nur" einen Wettbewerbstext beinhaltet, nämlich meine Abgabe vom Wettbewerb "Freies Gedicht", die mir immerhin den dritten Platz einbringen konnte.
    Nutze diese Gelegenheit dann auch direkt mal, um kurz auf ein, zwei Vote-Kommentare einzugehen.


    .


    [Blockierte Grafik: http://i.imgur.com/4wRFuFZ.gif].


    Lisia's Flucht


    In finstrer Nacht aus Delos flieht,
    Unter Selenes wachem Blick,
    Ein Schuft mit schnellem Schritt und sieht
    Ein letztes Mal gequält zurück.
    Als Mörder seiner Eltern rennt
    Lisias vor dem Fluch davon
    Der von des Vaters Lippen brennt.
    Die Erinnyen nahen schon.


    So wartet denn im stillen Wald
    Megaira auf’s verfluchte Kind.
    Erschaudernd macht der Flüchtling Halt
    Wie lange vor ihm schon der Wind.
    Das alte Weib umkreist ihn nun
    Und heißer Atem trifft den Knaben
    Und wie es Erinnyen tun,
    Wird sie an seiner Furcht sich laben.


    Schon hebt die Ungestalt das Wort
    Und zornig speit Megaira aus
    „Du Vatermörder, renn schon fort,
    Wir sind die Falken, du die Maus.
    Für deine jämmerliche Tat
    Sollst du von uns gejagt sein, dass,
    Geprägt sein wird dein langer Pfad
    Von Angst und Kälte, Schmerz und Hass.“


    Ihr Haupt mit ihrem Schlangenhaar
    Bringt sie an Lisias heran
    Und flüstert in sein Ohr, so nah,
    „Lauf, mein Junge, fang schon an.“
    Und Lisias gehorcht aufs Wort,
    So sehr ist ihm sein Leben lieb,
    Sein Ziel ist eben jener Ort,
    An den es schon Orestes trieb.


    Im ersten Schein des Morgenlichts
    Bezahlt der Flücht’ge für ein Boot.
    In seinen Taschen nunmehr nichts,
    Gezeichnet ist er für den Tod.
    Der Erinnyen Macht verschuldet
    Ward Lisias unter Deck geschickt,
    Denn unter Menschen nicht geduldet
    Ist er, in Göttliches verstrickt.


    Auf wochenlanger Überfahrt
    Kriegt er die Sonne nicht zu sehen
    Mit Wasser nur und Brot, schon hart,
    Muss er die Reise überstehen.
    Die Angst, die alles sonst verschlingt,
    Raubt ihm den Schlaf und den Verstand
    Und wenn kein Wunder ihm gelingt,
    Schuldet er Charon bald das Pfand.


    Ohne jeden Sinn für Zeit
    Lebt Lisias in Einsamkeit
    Und als Alekto ihm erscheint,
    Ist er zur Wehr kaum mehr bereit.
    Die Erinnye senkt das Haupt,
    Wo sich statt Haaren Nattern winden,
    Und kommt sie ihm zu nah‘ dann glaubt
    Lisias der Wahnsinn würde schwinden.


    Doch bald entfernt die Frau sich sacht
    Tritt stumm zurück und blickt ihn an
    Und Irrsinn dringt gar hundertfach
    Zurück in den gebroch’nen Mann.
    Sechs lange Tage muss er noch
    Im Dunkel mit Alekto harren
    Sie bleibt zwar stumm und treibt ihn doch
    Zum Wahnsinn mit dem stet’gen Starren.


    Sowie das Schiff den Anker senkt
    Verschwindet auch Alekto leise
    Ihr Opfer windet sich und denkt
    Zurück an die horrende Reise.
    Doch wieder findet er die Kraft
    Dem Schicksal weiter zu entflieh’n
    Und hat es bald auch fast geschafft
    Was wochenlang unmöglich schien.


    Noch eine letzte Wanderung
    Trennt Lisias von jener Stadt
    Die für den Fluches Auflösung
    Die größte Hoffnung innehat.
    Athens Gericht, der Areopag
    Soll ihn von seiner Schuld befrei’n
    So hofft Lisias auf den Tag
    Ist seine Seele wieder rein.


    Bald schon am Horizonte winkt
    Athen des Wandrers müdem Geist
    Schneller der irr geword’ne hinkt
    Zur Stadt, die Rettung ihm verheißt.
    Doch auf die Straße tritt bedächtig
    Das dritte Erinnyenweib
    Die Rachegöttin, übermächtig,
    Ein Hundekopf ziert ihren Leib.


    Lisias sinkt schon auf die Knie
    Vor Ehrfurcht vor Tisiphone
    Die Stadt erreichen kann er nie
    Der Mann erbleicht, wird weiß wie Schnee.
    Tisiphone tritt zu ihm her
    Berührt ihn sanft, fast mütterlich,
    Und nimmt von ihm die Last, so schwer,
    Lisias weint gar bitterlich.


    Mit einem letzten stillen Wort
    Löscht sie behänd sein Lebenslicht
    Und schickt Lisias Seele fort
    Getan ist ihre Rachepflicht.
    Schon erscheinen links und rechts
    Alekto und Megaira bald
    Und wenn der erste Rabe krächzt,
    Bleibt nur der Tote dort im Wald.


    .

  • Hallo Nexy,


    ich hab mir mal die Gelegenheit genommen, den ersten Teil der Dämmerung zu lesen und war recht schnell von der Idee überzeugt, die du da angesprochen hast. Dass nun lange andauernde Tage und Näche auf der Erde herrschen, ist ein interessantes Zukunftsszenario, über das man sich den Kopf zerbrechen kann. Gefallen hat mir daran, dass diese Grenzen durch die Züge überwunden werden, auch wenn natürlich fraglich ist, wie es die Leute an Bord so lange aushalten und einfach weiterhin ruhig der Landschaft beim Vorüberziehen zusehen.
    Womit ich auch gleich zu meinem Problem kommen möchte: So schön das alles angefangen hat, so gehst du auf diese ganze Thematik eher spärlich ein und tatsächlich ist in der zweiten Hälfte nur das Zugunglück im Vordergrund. Ich frage mich also: Wie soll das Ganze noch weiter gehen? Es gäbe sehr viele Dinge, die man hier noch beleuchten könnte; wie die Menschen auf einer Seite mit dieser Situation leben und vor allem auch, wie sie sich versorgen, da die Erde ja praktisch still steht. Das alles benötigt aber tatsächlich viel Zeit zur Ausarbeitung, besonders wenn noch Rebellenbewegungen dazu kommen und diese immer wieder für Ärger sorgen. Die Gesellschaft will also gezeigt werden.
    Davon abgesehen mag ich aber den Schreibstil. Er wirkt verträumt, wie auch die Erzählerin und angesichts der Thematik und dem Fokus auf die Atmosphäre passt das hier richtig gut.


    In diesem Sinn: Wir lesen uns!

  • Hi Nexy,


    so will ich nun denn auch mal wieder was schreiben(mein letzter Kommentar ist schon ne kleine Weile her...*hüstl*).
    Ich hab mir mal dein Gedicht ''Seelenwanderung'' ins Auge gefasst. Da ich kein Germanistik-Studium abgeschlossen habe, fällt die Sache hier etwas trivialer aus^^. Das Gedicht ist inhaltlich in der Tat recht abstrakt, aber das gefällt mir, ich schreib zuweilen auch recht gerne solche Sachen. Profis würden wahrscheinlich erstmal formal rummäkeln, dass die Zeilen nicht einheitlich lang sind....bla..bla...blubber. Mir ist das herzlich egal, denn Lyrik ist eine Kunst des Herzens und da läuft keiner mit nem Maßband und misst die Zeilen aus. Der Trochäus passt gut zum Inhalt, wie ich finde. Ich selbst bin ein leidenschaftlicher Mixer, ich rühre die Versmaße gerne durcheinander. In der zweiten Strophe hätte ich z.B. geschrieben: ''...tret ich die Dunkelheit...'' Das klingt für mich persönlich schöner.
    Ansonsten liest es sich ganz angenehm, könnte man sogar ein Liede draus machen. Habs aus Spaß mal gesungen, läuft^^. Bleib dran mit der Lyrik, das wird mal ne große Sache.


    best Regards


    Epi

  • Da hätte ich ja fast einen ganzen Monat ohne Update verstreichen lassen, dass kann ja so nicht angehen!
    Heute habe ich eine kleine Besonderheit für euch, dazu aber mehr nach den Rekommis



    So und jetzt zum Kern des eigentlichen Updates. Heute habe ich einen Text für euch, der eigentlich gar nicht gelesen werden soll, weil er für Poetry Slams, also quasi zum Vorlesen auf einer Bühne geschrieben ist. Daher - die zweite Besonderheit - habe ich dem Text eine vorgelesene Version beigefügt, damit er auch so rüberkommen kann wie er gedacht ist. Vielleicht lehnt ihr euch einfach zurück, schließt die Augen und lasst euch berieseln.


    .


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    Vom Schreiben und was es mir bedeutet.


    Sätze haben verschieden viele Wörter. Das habe ich früh gelernt. Manchen Sätzen reichen drei Wörter. Andere kommen mit vier aus. Diese aber haben alle fünf. Nur Sätze mit fünf Wörtern. Das wird schnell langweilig, oder? Man schaltet mental einfach ab. Wow, schon wieder so einer. Noch ein Satz mit fünf. Lass dir was Neues einfallen. Eigenständig klingen sie alle normal. Zusammen werden sie nur zähflüssig. Also weg von den fünf.


    Stattdessen die Satzlänge variieren. Mal mehr und mal weniger. Lass den Zuhörer entspannen. Runterkommen. Ganz ruhig. Plätschernd, wie ein Bach. Und wenn sie es kaum mehr erwarten kommt ein Satz von lächerlicher Länge, dass er inmitten der einfachen und kurzen Sätze wie ein Paukenschlag nachhallt, bis er schließlich auch vergeht. So formen die Wörter etwas Schönes, findet ihr nicht auch? Doch da macht man noch nicht halt, nein!


    Zu Schreiben kann mehr sein als Sätze und Worte
    Viel mehr öffnet der Schreibprozess die Pforte
    Zu ungeahnten Möglichkeiten
    Wenn man als Schreiber in den Weiten
    Der eignen Phantasie verschwindet
    Sich durch Ideenwälder windet


    Um an einem Punkt zu enden, von dem man nicht mal wusste dass er existiert.


    Der eine Funke der ungeahnten Inspiration
    Diese eine Idee die man tausendmal schon
    Zu fassen versuchte – scheiternd
    Und die jetzt, bewusstseinserweiternd
    Den Kopf auch bis ins Letzte Eckchen füllt.
    Ja.
    Zu Schreiben kann mehr sein als Sätze und Worte
    Zu Schreiben heißt frei sein, heißt sich zu probieren
    Zu Schreiben führt Schreiber an traumhafte Orte
    Zu Schreiben ist quasi Musik komponieren.
    Zu Schreiben ist stolz sein auf das was man tut
    „Genau die Formulierung, die passt jetzt hier gut!
    Dieser Satz klingt perfekt, dieses Wort ist genial!“
    Zu Schreiben ist fleißiges Eifern nach dem Ideal.


    Zu Schreiben begeistert dich selbst und die andern
    Zu Schreiben ist suchen, entdecken und wandern
    Zu Schreiben ist sich selbst zu finden
    Zu Schreiben heißt sich auf Papier zu binden.
    Zu Schreiben heißt Innerstes nach außen zu kehren
    Zu Schreiben heißt mal den Kopf ganz zu leeren.
    Zu Schreiben ist bluten auf helles Papier
    Und manchmal
    Ist selbst Schreiben mir zu viel


    Denn dann auf der anderen Seite
    Zu Schreiben heißt zweifeln am eigenen Können
    Zu Schreiben heißt manchmal frustriert zu sein
    Zu Schreiben heißt sich tagelang Pausen zu gönnen
    Um schließlich vom Schreibblock kuriert zu sein.
    Zu Schreiben ist dann Selbsthass pur
    Zu Schreiben ist „Ach, könnte ich nur…“
    Zu Schreiben ist alles und gleichzeitig nichts mehr
    Mal endlose Vorstellung – manchmal ist der Kopf leer
    Zu Schreiben ist Welten errichten, Figuren erschaffen
    Zu Schreiben heißt all das auch zunichte zu machen


    Wenn ich wieder mal an meinen eigenen Ansprüchen scheiter‘.
    Mir schwöre „Nie wieder schreiben, so geht es nicht weiter.“


    Zu Schreiben ist dann immer ein Neubeginn
    Zu Schreiben ist Sucht, der einzige Sinn
    Der sich manchmal noch bietet, wenn sonst nichts mehr geht
    Und wenn dann der Wind des Schreibens sich dreht
    Dann ist Schreiben auch wieder das Beste der Welt
    Dann ist es egal wie gut mein Text mir gefällt
    Dann schreibe ich wieder wie früher als Kind
    Nur aus dem Willen am Schreiben, für Selbstkritik blind.


    Zu Schreiben ist lieben und hassen für mich
    Dennoch, mittlerweile erkenne ich
    Ob Liebe, ob Hass, ohne geht es nicht.
    Denn Schreiben ist mehr als nur Worte und Sätze
    Das Schreiben ist Freiheit und ich schätze
    Dass ich ohne Schreiben nicht der wäre, der ich jetzt bin
    Ohne Schreiben verliert Leben für mich etwas an Sinn.
    Denn Schreiben ist mehr als nur Worte und Sätze
    Also füllt alle noch freien beschreibbaren Plätze
    Schreibt auf was ihr denkt und wollt und macht
    Bis das Schreiben ein Feuer in euch selbst entfacht
    Und lasst eurer Fantasie mal freie Bahn
    Zu sehr unterdrückt sehe ich sie im Wahn
    Der modernisierten und schnelleren Welt
    Denn manchmal ist das, was alleine noch zählt
    Ein gutes Buch und freie Gedanken
    Bevor sich irgendwann nur noch Legenden drum ranken
    Und reden von einer längst vergessenen Zeit
    Wenn alles versinkt in der Eintönigkeit.


    .

  • Frohes neues Jahr, angegammeltes E&S-Topic! Knapp zwei Monate ist es jetzt her seit meinem letzten Update, was für eine Schmach, was für eine Schande! Läuten wir 2017 daher mit mehr als einer Sache ein, auch wenn es eigentlich wieder nur ein faules Update ist mit einem jetzt spontan geschriebenem Gedicht und etwas, was schon eine Weile existiert. But who cares.


    .


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    Der Ärger mit den Updates


    Zwei Monate Stille,
    Zwei Monate Nichts.


    Im Hinterkopf die lästige Gewissheit
    Das Topic braucht das Update bald
    Jetzt nutz doch endlich einmal deine Freizeit
    Und gib dem ganzen mehr Gestalt.


    Zwei Monate Schweigen,
    Zwei Monate Nichts.


    Und während anderswo die Updates fließen
    Verbleibt mein Kreativreich leer
    Ob bald auch hier Gedanken wieder sprießen
    Kann sagen niemand nimmermehr.


    Zwei Monate Abkehr,
    Zwei Monate Nichts.


    Bis jetzt.


    .


    .


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    Szenen eines Lebens - I



    Ein Herbstabend
    Das gleichmäßige Rauschen eines elektrischen Heizgerätes. Die alte Hütte irgendwo im Norden von Schweden ist eingefroren in einer Zeit ohne festinstallierte Heizungen. Und das findet sie auch gut so. Eingekreist vom wilden Wind des Nordens, behütet von den sich windenden Lichtern im Himmel, so lebt sie am liebsten.


    Inventar eines Abenteuers
    Waschmittel, zwei Schwämme, eine ungeöffnete Packung Tee (Earl Grey), eine halbe Dose Instant-Kaffee und eine alte Dose Thunfisch, die noch aus der Zeit vor uns stammt. Mehr kann ich von meinem Bett nicht sehen und mehr brauche ich nicht, um mich frei zu fühlen. Um das aufgeregte Kribbeln in meinen Beinen zu besänftigen, steige ich über schlafende Körper in Richtung Tür. Kein Wind vor den Fenstern, als stünde die Zeit still.


    Realisationen bei Nacht
    In Dialogen in Filmen reden die Figuren oft nur mit der Kamera. Hunde sind Wölfe, aber uncool. Wenn man keinen Kuchen backen kann, ist man in meiner Familie nichts wert.


    Zukunftsvision
    Im Jahr 2050 sitzt ein missverstandener Teenager in seinem Auto auf dem Parkplatz vor einer Fast-Food-Kette und hört andächtig "Call me maybe". Eine einzige Träne kullert über seine Wange. "Ich wurde in der falschen Generation geboren", flüstert er, schließt die Augen und legt seinen Kopf auf das Lenkrad des Kleinwagens.



    Alltagsromantik (Vergleiche, die nicht funktionieren sollten)
    Ihr Blick traf seinen wie ein billig in Polen hergestellter Silvesterknaller: unvermittelt und überraschend stark. Mit der Leidenschaft eines Bauern, der das Kalb seiner Lieblingskuh auf die Welt bringt, liebten sich die beiden eine Nacht lang, bis sie getrennter Wege gingen, wie die Funktionen x*2 und x*-3 auf dem karierten Papier einer Sechsklässlerin.


    .


    Das war es von meinem ersten Update in 2017, ich wünsche Spaß beim Lesen gehabt zu haben und gelobe baldige Besserung, was dieses "regelmäßige Updaten" angeht.

  • Uff, wär hätte gedacht, dass ich mich noch zu einem zweiten Update im Januar hinreißen lassen würde. Ich habe, wie es der Zufall so will, etwas geschrieben, von dem ich selbst nicht so richtig wusste, in welche Richtung es mich treiben würde. Ich kann nicht sagen, dass ich komplett zufrieden damit bin, wie es letztendlich geworden ist, aber ich wollte es trotzdem nicht der Allgemeinheit vorenthalten. Vielleicht werde ich das Ende irgendwann noch einmal überarbeiten, bis ich es gut finde - aber ich rechne nicht damit.


    .

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    Judith wartet


    Judith saß in ihrem Wohnzimmer, schaute aus dem Fenster und wartete darauf, wann der Bambus wohl umfallen würde. Jedes Mal, wenn der Wind die Pflanze wieder einmal so weit herunterdrückte, dass Judith davon überzeugt war, sie müsse jeden Moment brechen, richtete sie sich kurz erwartungsvoll auf, um direkt darauf wieder enttäuscht zurückzusinken, wenn eine kurze Pause im Sturm eintrat und der Bambus sich wieder erhob. Natürlich hatte Judith nicht schon immer in ihrem Wohnzimmer gesessen, aus dem Fenster geschaut und darauf gewartet, wann der Bambus wohl umfallen würde, das tat sie erst, seit das Tiefdruckgebiet Ottokarl vor einer Woche diesen famosen Sturm mit sich gebracht hatte. Davor hatte Judith im Obergeschoss am Fenster ihres Schlafzimmers gesessen, dort aus dem Fenster geschaut und darauf gewartet, dass ein Auto durch das Schlagloch auf der Straße fahren würde, doch wochenlang hatten sie alle erfolgreich um das Loch im Teer herumgelenkt und schließlich war Judith eines morgens aufgewacht, hatte sich ans Fenster gesetzt und festgestellt, dass die Stadt das Schlagloch über Nacht hatte auffüllen lassen, obwohl ja überhaupt nie ein Auto dadurch zu Schaden gekommen war. Judith saß mittlerweile seit sechs Jahren und ein paar Monaten, die sie nicht zählte, weil ja sowieso nur ein Tag im Jahr etwas bedeutete, in ihrem Haus und wartete. Sie hatte bereits an jedem Fenster des Hauses gewartet, auf die verschiedensten Dinge und einige davon waren sogar wirklich passiert. So hatte Judith zum Beispiel einmal zwei Monate darauf gewartet, dass ein Vogelnest aus der Kastanie im Nachbargarten fallen würde und dann war es wirklich so gekommen, also hatte sie auf etwas Neues warten müssen.
    Eigentlich waren Judith all die Sachen, auf die sie wartete egal. Und sie wusste auch, dass sie eigentlich auf etwas ganz anderes wartete, was sie schon lange verdrängt hatte. Sie wusste, dass der 22. August eines jeden Jahres etwas Besonderes war, der Jahrestag ihres Wartens, doch sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, was es gewesen war, das sie zum Warten veranlasst hatte. Sie konnte sich auch nicht länger an ein Leben vor dem Warten erinnern, ein Leben, in dem sie sich nicht darauf verlassen hatte, dass ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft zweimal die Woche für sie einkaufen ging, ein Leben das nicht Tag für Tag gleich ablief: Aufstehen, Anziehen, Frühstück, Warten, Warten, Warten, Warten, Mittagessen, Warten, Warten, Warten, Warten, Abendessen, Warten, Warten, Ausziehen, Schlafen.
    Judith saß also in ihrem Wohnzimmer, schaute aus dem Fenster und wartete darauf, wann der Bambus wohl umfallen würde. Sie hatte schon eine ganze Weile gewartet, so lange, dass es bald Zeit für das Mittagessen sein würde, als sie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel und schwere Schritte den Flur entlangkamen. Doch Judith war damit beschäftigt zu warten und rechnete fest damit, dass der Bambus nun jeden Moment umfallen würde. Deswegen sah sie nicht auf, bis sich ein fremder Mann zwischen sie und das Fenster stellte. In einem früheren Leben hätte Judith vielleicht erschrocken aufgeschrien, oder versucht die Polizei zu rufen, doch sie wartete einfach ab, was passieren würde.
    „Ich bin wieder da“, war das erste, das der Fremde zu Judith sagte. Judith blinzelte und bemerkte, dass ihr Tränen über das Gesicht liefen. Zum ersten Mal seit sechs Jahren und ein paar Monaten war ihr Tagesablauf durcheinandergekommen und Judith wusste nicht recht damit umzugehen.
    „Wer sind Sie?“, fragte sie also mit schwacher Stimme und in ihrem Ton schwang eine Emotion mit, die sie selbst nicht deuten konnte. Nun war es der Fremde, dem die Tränen in die Augen traten. Eine Weile schauten sich die beiden einfach nur stumm weinend an und Judith beruhigte sich ein wenig, denn das war wie warten und warten konnte sie gut. Dann öffnete der Fremde erneut den Mund und sechs Jahre und ein paar Monate der Verdrängung fielen über Judith zusammen.


    2532 Tage zuvor.


    Judith und ihre Freundin Anne hatten es sich auf der Terrasse in Judiths Garten bequem gemacht und genossen Erdbeerkuchen und Kaffee. Beide Frauen genossen diese Stunden der Ruhe am Nachmittag und nutzten die Zeit, um sich über das Leben und alles was damit zusammenhing zu unterhalten.
    „Ich denke nicht, dass er sich trauen wird, irgendwem wirklich den Krieg zu erklären“, sagte Judith überzeugt zwischen zwei Bissen Kuchen. Die Gerüchte der letzten Wochen über eine mögliche Eskalation in einem Land nicht weit von ihnen hielten sich weiterhin. „Dazu ist er weder offiziell in der Lage, noch ist sein Militär nicht ausgeprägt genug.“
    „Ich weiß ja nicht“, antwortete Anne nachdenklich. „Wenn man den Medien glauben kann, haben sie in den letzten Jahren ziemlich aufgerüstet und wenn die umliegenden Länder ihm das jetzt gleich tun… vielleicht ist ja doch etwas dran.“
    „Und wenn schon“, lachte Judith. „Gegen das Sicherheitsbündnis kommt er alleine nicht an.“
    Anne überlegte noch kurz, nickte dann aber. „Wahrscheinlich hast du Recht.“


    2531 Tage zuvor.


    Judith saß in ihrem Wohnzimmer, schälte Kartoffeln für das Abendessen, hörte Radio und sang fröhlich zu den Liedern mit, von denen sie den Text kannte, als das Programm überraschend unterbrochen wurde. Langsam ließ Judith die Kartoffel in ihrer Hand sinken, als ihr klar wurde, welche Neuigkeiten gerade übermittelt worden waren. Der Krieg, der gestern noch so unwahrscheinlich wirkte, war vor wenigen Minuten offiziell erklärt worden. Es gab Krieg. Krieg in unmittelbarer Nähe ihres eigenen Landes. Die Gedanken rasten durch Judiths Kopf. Ihren Mann hatte sie schon vor Jahren an einen Arbeitsunfall verloren, aber was war mit ihrem Sohn? Edward war zwar erst zarte 15 Jahre alt und konnte somit offiziell noch nicht eingezogen werden, aber die Angst um den letzten Rest ihrer Familie ließ es ihr kalt den Rücken herunterlaufen. Sie schaltete das Radio ab, legte Gemüse und Messer zur Seite und ging ins Obergeschoss, um Edward in ihre Arme zu schließen.


    2498 Tage zuvor.


    „… somit verabschiedete die Regierung heute Morgen einen Sondererlass, nach dem jeder gesunde Junge über 14 Jahre offiziell in die Armee einberufen wird. ‚Der Krieg wurde bis an unsere eigene Haustür getragen und wir sind nicht bereit, ihn hineinzulassen‘, lautete es in der offiziellen Regierungsverkündigung. Wirksam ab sofort sind alle von der Regelung betroffenen Jungen dazu verpflichtet, sich in der nächstgelegenen Sammelstelle zu melden, um zu verm-„, Judith schaltete das Radio ab und brach schluchzend zusammen.
    Sechs Jahre und ein paar Monate zuvor.
    Die Männer kamen in den frühen Morgenstunden und läuteten an der Tür. Gesprächsfetzen drangen wie durch Beton zu Judith durch.
    „… Kommandie Ihres Sohnes…“
    „… Außeneinsatz… unvermittelt…“
    „…Kriegsgefangene… sicherer Tod…“
    Judith schlug den Männern die Tür vor der Nase zu. Dann ging sie langsam die Treppe hinauf, blieb kurz im Flur stehen und schaute zu der Tür, hinter der Edwards Zimmer darauf wartete, dass sein Bewohner aus dem Krieg zurückkehrte. Judith beschloss es, dem Zimmer gleich zu tun, setzte sich in ihrem Schlafzimmer ans Fenster, schaute auf die Straße hinunter und begann zu warten.


    Jetzt.


    „Mama, ich bin es.“


    .

  • But who cares.

    ... :)


    Also, erst einmal zu deinem netten Comeback-Gedicht, das mit ja voll gut gefällt :D Denn, um da schon einmal vorzugreifen: Ich finde die Idee, die lange Zeit ohne Updates in ein Gedicht zu packen, großartig. Noch konkreter kann man sich nicht mit seiner Inkompetenz seiner Realität auseinandersetzen!

    Und während anderswo die Updates fließen

    Dazu natürlich die passende .gif aufgepackt. Bin stolz auf dich.


    Die einfachen Wiederholungen in deinem Gedicht fallen natürlich ebenfalls direkt auf. Sie verpacken das Gedicht und machen eigentlich ziemlich deutlich, wie Still es doch ohne Update bei dir war, wenngleich zwei Monate trotzdem ein netter Zeitraum sind. Man muss ja nicht ständig Gedankenfabrik spielen hehe.
    Die Reime finde ich angenehm, das Metrum gewöhnungsbedürftig. Da es aber ein recht lockeres Gedicht zu sein scheint, bin ich wohl nachsichtig hehe.
    All in all: Nett zu lesen, well done, son!



    Nun die Szenen eines Lebens:

    eine halbe Dose Instant-Kaffee und eine alte Dose Thunfisch

    Klingt ziemlich eklig. Also, beides xD Ich bin ja ein riesiger Kaffee-Fan, aber Instant-Kaffee ist mindestens genauso widerlich wie Dosen-Thunfisch (Funfact: Ich habe noch nie Dosen-Thunfisch gegessen. Trotzdem!!!11 Ich hasse Fisch). Dennoch kann ich mich ganz gut in die Situation hineindenken und nachempfinden, somit also sprachlich nett umgesetzt.


    Realisationen bei Nacht
    In Dialogen in Filmen reden die Figuren oft nur mit der Kamera. Hunde sind Wölfe, aber uncool. Wenn man keinen Kuchen backen kann, ist man in meiner Familie nichts wert.

    Könnten meine Gedanken sein, haha. Einfach ein paar Gedankenfetzen, die sich so vor'm Schlafengehen respektive Mitten in der Nacht in den Kopf schleichen. Solche Gedanken schreibe ich mir btw. nicht in ein Notizbuch, sondern in mein Handy.


    Zukunftsvision
    Im Jahr 2050 sitzt ein missverstandener Teenager in seinem Auto auf dem Parkplatz vor einer Fast-Food-Kette und hört andächtig "Call me maybe". Eine einzige Träne kullert über seine Wange. "Ich wurde in der falschen Generation geboren", flüstert er, schließt die Augen und legt seinen Kopf auf das Lenkrad des Kleinwagens.

    Verstehe ich nicht tbh, wahrscheinlich, weil ich ein Dumm bin. Vielleicht, weil mir deine Vorstellung von 2050 fehlt. Oder weil ich das Lied in dem Kontext nicht einbauen kann. Oder weil mir Infos zum missverstandenen Teenager fehlen. Lässt natürlich hochgradig viel Spielraum für Interpretationen, aber sei's drum. Mir gefällt's :D


    P.S.: Warum machst du mich traurig, indem du ein neues Update postest während ich hieran schreibe? Dafür fordere ich... eine angemessene Enschädigung :sarcastic:

  • Er ist verrückt! Drei Updates in einem Monat! Dabei hieß es noch er sei froh, wenn er eins pro Monat schafft! Wer ist dieser Mensch?
    Ich weiß nicht, was mich geritten hat. Vielleicht ist es einfach produktive Prokrastination, weil ich nächste Woche drei Klausuren schreibe und ich lernen sollte ¯\_(ツ)_/¯
    Jedenfalls gibt es etwas Neues! Und neu ist auch der Kommentar von @Cosi, der vor einer Woche mit dem besten Timing der Welt kam!


    Jetzt zum Text dieses Updates, der dieses Mal umgekehrt entstanden ist. Normalerweise schreibe ich ja und suche dann ein nettes .gif raus; heute habe ich erst (eine Stunde lang) ein inspirierendes .gif gesucht und habe dann dazu geschrieben. Das Ergebnis ist... interessant, aber ich wollte es euch nicht vorenthalten. Hätte auch eine Abgabe zum Thema "Farben" beim letzten Saisonfinale werden können, aber dafür wäre es mir selbst zu schlecht gewesen :D


    .

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    Der Weg der Farben

    Wenn der Tag sich dem Ende neigt, verlässt Leon das Haus, stellt sich auf die Straße und wendet den Blick in Richtung Sonnenuntergang. Er beobachtet das Spiel der Farben auf dem Asphalt, die orangerot gefärbten Wolken und wartet darauf, dass das langsam schwindende Licht die Farben aus der Welt mit sich zieht, um alles in einer abgestumpften Version von sich selbst zurückzulassen. Seit Jahren beobachtet Leon diesen Vorgang und bereitet sich vor. Er studiert den Verlauf der Sonne am Horizont, er bestimmt den exakten Zeitpunkt, an dem die Welt nicht mehr bunt ist und er sammelt Mut. Leon sammelt den Mut, sein Leben hinter sich zu lassen, sein Haus, die Straßen seiner Stadt, sein Dasein wie er es kennt.
    Der Tag neigt sich dem Ende und Leon verlässt das Haus. Er ist nicht länger Leon, der Beobachtende, oder Leon, der Unentschlossene. Heute ist er Leon, der Entschiedene. Sein Blick wandert über rote Hauswände, einen blauen Zaun, grünes Gras in den Vorgärten – die Welt ist noch bunt und Leons Reise beginnt. Die Wanderung dorthin, wo die Sonne untergeht und wo jeden Abend die Farben der Welt verschwinden und gegen ihre traurigen Brüder und Schwestern der Nacht ausgetauscht werden. Leon beginnt zu wandern, zunächst bis ans Ende der Straße. Dann blickt er sich um. Sieht sein eigenes Haus in der Ferne, diese kleine, farbenfrohe Hütte. Holt sich die Bestätigung für seine Wanderung von ihr und setzt seinen Weg fort. Kommt an die Grenzen der Stadt, tritt hinaus in den Wald, der längst nicht mehr in sattem Grün, sondern in fahlem Grau seine Anwesenheit erwartet. Wandert die Nacht hindurch, ohne Pause, ohne Rast, ohne Zweifel an seinem Vorhaben. Schreitet immer noch unter den Blättern hindurch, als der Tag ihnen ihre Farben zurückgibt. Es ist dieser Moment, in dem Leon das erste Mal Inne hält. Andächtig tritt er an einen Baum heran, dessen Blätter schwer und tief hängen. Vorsichtig berührt er die Pflanze und bringt sein Gesicht ganz nah an das Tiefgrün heran.
    „Was hast du gesehen? Was hast du erlebt?“, flüstert Leon ihm zu und lauscht in der Geräuschkulisse der Natur auf eine Antwort, bevor er schnellen Schrittes seinen Weg fortsetzt. Die Farbenpracht des Tages beflügelt ihn und füllt ihn mit Energie, alle Müdigkeit fällt von seinem Körper ab und so erreicht Leon am späten Nachmittag desselben Tages das Ende des Waldstückes. Die Sonne hat bereits begonnen sich zu senken und Leon weiß ganz genau, wo sie die Welt berühren und leeren wird. Der schneeumwehte Gipfel eines Berges ragt am Horizont auf, dort wo der Tag zu Ende gehen und der Nacht weichen wird. Leons Ziel.
    Sieben Mal bekommt Leon mit, wie die Farben weichen, sieben Mal trifft die Sonne auf die Bergspitze und taucht die weite Ebene in eine graue Dunkelheit, sieben Mal schöpft Leon neue Kraft, wenn der Himmel wieder blau und das Gras wieder grün wird. Sieben Nächte, bis er endlich am Fuß des Bergmassivs angekommen ist, hinter dem die Sonne verschwindet. Sein Ziel in greifbarer Nähe, beginnt Leon den Aufstieg. Bald zerrt der Wind an seinem dünnen Hemd und der steinige Untergrund des Berges schneidet durch die dünnen Sohlen seiner Schuhe in seine Füße. Bei Nacht schmerzt Leons Nacken, der pausenlos auf den Gipfel gerichtet ist, hinter dem sein Ziel liegt, hinter dem auch hier noch Nacht für Nacht die Farben der Welt verschwenden. Sieben weitere Nächte und sieben weitere Tage verbringt Leon mit dem Aufstieg. Längst kaum noch Mensch, ist er vollkommen besessen von seinem Ziel. Sein Dasein geopfert in dieser pausenlosen Wanderung zum Gipfel des Berges hinter dem die Sonne verschwindet. Schließlich, am Ende des fünfzehnten Tages seit dem Verlassen seines kleinen Hauses, erreicht Leon den Gipfel. Die Erinnerungen an sein vergangenes Leben sind verblasst, gewichen dem inneren Befehl, der seinen geschundenen Körper die ganze Zeit über angetrieben hat, ohne Sinn für Belastung. Der letzte Punkt des Gipfels ragt über Leon auf, gerade als sich die Sonne dahinter zu senken beginnt. Panisch wendet er den Kopf und beobachtet, wie auf der weiten Ebene vor dem Berg die Farben zu schwinden beginnen. Er sieht den Wald am Horizont und erahnt die Häuser der Stadt dahinter. Denkt zurück an die zahllosen Abende, an denen er dort in seiner Straße stand, den Blick Richtung Sonnenuntergang. Leon sieht seinem vergangenen Selbst vom Gipfel des Berges aus in die Augen, ehe er herumwirbelt und zu laufen beginnt. Ein Wettlauf gegen den Sonnenuntergang, ein Wettlauf gegen die Tristesse der Nacht und ein Wettlauf mit den verschwindenden Farben. Nur noch wenige Schritte trennen ihn vom Berggipfel, in dessen Schatten Leons verzweifelter Lauf sein Ende findet. Drei Schritte. Zwei Schritte. Der letzte Schritt, dann wirft Leon sich über die letzte Anhöhe und ist am Ziel.


    Jahre später tritt eine junge Frau aus ihrem Haus und stellt sich auf die Straße. Fasziniert beobachtet sie, wie die untergehende Sonne ihre Umgebung in einen stumpfen Abklatscht ihrer Selbst verwandelt. Sie nimmt wahr, wie sich der Tag langsam und verstohlen davonmacht und der Nacht weicht. Atemlos starrt sie Richtung Horizont und verspürt einen nie zuvor dagewesenen Drang, den Farben der Welt in die Ungewissheit zu folgen.


    Vom Gipfel des Berges, an dem der Tag der Nacht weicht, steht Leon und beobachtet die junge Frau, die dieses Jahr seinem Beispiel folgen soll. Die wie so viele vor ihr und noch viele nach ihr die beschwerliche Reise auf sich nehmen soll, in dem Versuch, ihre Menschlichkeit gegen etwas Größeres einzutauschen. Die er persönlich dafür auserkoren hat, zu sehen wohin die Farben verschwinden, wenn die Nacht sie der Welt nimmt.
    Leon der Entschiedene ist er schon seit Jahren nicht mehr. Leon der Entschiedene war er nicht einmal mehr, als er vor so langer Zeit den Aufstieg am Berg begonnen hatte.
    Leon der Wissende empfängt die auserwählten Seelen am Gipfel des Berges, wenn die Sonne verschwindet. Und er teilt sein Wissen über das, was hinter dem Berggipfel liegt mit denen, die für stark genug befunden werden.
    Leon der Urteilende ist es, der die zu ihm gereisten Seelen prüft und darüber urteilt, wer das Wissen empfangen darf. Und er ist es, der die Seelen vom letzten Rest ihrer Menschlichkeit befreit, auf dass sie ihre letzte Reise antreten können.
    Leon der Begleitende ist es schließlich, der die reinen Seelen dorthin führt, wo die Sonne verschwindet. Und er ist es, der sie endlich den Weg der Farben gehen und verstehen lässt.


    Genau dann, wenn der Tag sich dem Ende neigt.


    .