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Zitat von AufgabenstellungFreies Drama
Wer schon einmal im Theater war, weiß, dass ein Bühnenstück von den abwechslungsreichen Dialogen der Schauspieler lebt. Natürlich müssen diese Gespräche vorher aus einem Drehbuch einstudiert werden und darum dreht sich die heutige Aufgabe. Schreibt ein Drama mit Charakteren und Figuren eurer Wahl; Pokémon sind keine Pflicht. Wichtig ist dabei, dass ihr euch auf die Dialoge und Regieanweisungen beschränkt und keine Mimiken, Gesten oder andere Umgebungsbeschreibungen einbringt, wie sie in Fließtexten normalerweise verwendet werden.
Als Hilfestellung könnt ihr gerne unserem Dramatik-Thema in der Schreibschule einen Besuch abstatten und euch über die Gattung schlaumachen.
Ihr könnt 8 Punkte verteilen, maximal 4 an eine Abgabe.
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Achtet dabei darauf, bei der Schablone zwischen Doppelpunkt und ID/Punktzahl ein Leerzeichen zu machen, damit die Auswertung über den Voterechner ohne Probleme erfolgen kann. Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 19.02.2017, um 23:59 Uhr.
(Ein kleiner, beinahe klaustrophobisch anmutender Dachboden. Böden, Wände und Decken sind mit Holz ausgelegt, das stellenweise verblichen ist. Ein kleines, dreckiges Fenster lässt ein wenig Licht in den Raum, der vollgestellt ist mit Kisten, ausgebeulten Tüten, einem Näh-Mannequin und Umzugskartons, alles mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Das einzig saubere Objekt im Raum ist ein antiker Spiegel aus dunklem Holz, kunstvoll verziert und aufpoliert, der das Dämmerlicht reflektiert.)
Alex: (gedämpft und weit weg, aber deutlich aufgebracht) Lass mich verdammt nochmal einfach in Ruhe! (Stille) Ach, leck‘ mich doch!
(Ein Quietschen, als die Klappe zum Dachboden geöffnet wird. Undeutliche Rufe einer erwachsenen, weiblichen Stimme. Alex betritt den Dachboden. Sie ist ein Mädchen von 17 Jahren, blasse Haut und haselnussbraune Augen. Ihre schulterlangen, schwarzen Haare sind offensichtlich gefärbt, sie trägt mehrere Piercings in der Lippe, den Ohren und der rechten Augenbraue. Ihre Kleidung besteht aus einem ausgewaschenen, zu großen Shirt, das einige Löcher am Saum hat und einer weiten, blassgrauen Jogginghose. An ihren Armen trägt sie zahllose Armbänder. Sie läuft barfuß.)
Alex: (immer noch aufgebracht, läuft auf dem Dachboden hin und her, tritt gegen einen Karton und verzieht vor Schmerzen das Gesicht) Shit! Shit, shit, shit!
(Nach einigen Sekunden unstetem Hin- und Herlaufens, in denen sie wahllos Dinge berührt, verschiebt und schlägt, ohne den Eindruck zu machen als wüsste sie, was sie tut, fällt Alex auf einen Haufen Kissen direkt neben dem Spiegel und drückt sich die Hände ins Gesicht.)
Alex: (gedämpft, beinahe müde) Shit.
(Stille. Staub wirbelt durch die Luft, wo Alex ihn aufgeworfen hat. Der Spiegel reflektiert das Licht aus dem Fenster, dann wird er mit einem Male scheinbar durchsichtig. Der Dachboden im Spiegelbild reiht sich perfekt mit dem des Bühnenbildes aneinander, aber er wirkt gepflegter und einige Poster hängen daran. Im Rahmen sitzt Alexandra, ebenfalls 17 Jahre. Alexandra und Alex weisen eine verblüffende Ähnlichkeit auf, obwohl Alexandra braunes, langes Haar hat. Sie trägt ein feminines Kleid mit Peter-Pan-Kragen und helle Leggins, aber keinen Schmuck. Alexandra hat ihre Beine angezogen und umschlingt sie mit ihren Armen. Sie lächelt Alex an, als sie sie sieht, aber das Lächeln vergeht ihr schnell.)
Alexandra: (merkwürdig schwach und zögerlich) Hey Alex.
Alex: (schaut auf, wendet sich dann mit einem Seufzen Alexandras Bild im Spiegel zu. Noch immer schwach und müde) Hey.
Alexandra: Alles… okay?
Alex: Das Übliche.
(Stille. Alexandra sieht aus, als wolle sie etwas sagen, schließt ihren Mund dann aber wieder.)
Alex: Ach… Scheiß drauf. Wie läuft‘s bei dir?
Alexandra: (schwach) Gut… Gut soweit. Langsam aber sicher bekommen wir unsere Prüfungsergebnisse.
Alex: (mit einem halb schelmischen, halb resignierenden Lächeln) Lass mich raten. Miss Oberschlau ist mal wieder Klassenbeste.
(Alexandra antwortet nicht, aber das schiefe Lächeln spricht Bände.)
Alex: (rollt mit den Augen, aber ihre Stimmlage macht klar, dass sie nur scherzt) Meine Fresse, sei mal weniger perfekt, bitte. Ich bekomme noch Minderwertigkeitskomplexe.
Alexandra: Bei dir läuft es wohl nicht so gut.
Alex: Vergiss es (sie macht eine wegwerfende Handbewegung). Mathe fünf, Englisch vier, Biologie fünf. Mama läuft Amok.
Alexandra: Dann lass und das nächste Mal zusammen lernen. Ich bin mir sicher-
Alex: Mach dir keine Mühe. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.
Alexandra: (drängend) Das ist nicht wahr, Alex, und das weißt du. Wenn du nur-
Alex: (ungehalten) Wenn ich nur ein perfektes Leben hätte, dann wäre ich genauso schlau und höflich und nett wie du, ja, ja! Tut mir Leid, dass meine Eltern sich entschieden haben, sich zu trennen! (Alexandra zuckt zusammen, Alex beißt sich auf die Lippe und fährt sich durchs Gesicht. Deutlich schuldbewusst.) Sorry.
Alexandra: (versöhnlich) Nein, du hast ja Recht.
(Stille.)
Alexandra: Wie geht es deiner Mutter?
Alex: Macht sich Sorgen und Vorwürfe, so wie immer. Es ist nicht ihre Schuld. Papa ist derjenige, der uns sitzen gelassen hat und mit dieser blöden Botox-Ziege abgehauen ist. Aber bevor der einsieht, dass sein „verkorkstes Kind“ (sie imitiert einen genervten, männlichen Tonfall) auf seinem Mist gewachsen ist, friert die Hölle zu.
Alexandra: Ich verstehe das immer noch nicht. Was ist in deiner Welt denn so schief gelaufen, dass… (Sie lässt den Satz unvollendet)
Alex: Darüber haben wir doch schon dutzende Male gesprochen und wir finden nie eine Antwort.
Alexandra: Aber seltsam ist es doch.
Alex: Klar.
(Stille. Beide hängen ihren Gedanken hinterher, ohne sich anzusehen.)
Alexandra: In Philosophie sprechen wir im Moment über Determinismus. (Nach einem fragenden Blick von Alex) Die These, dass Alles vorherbestimmt ist.
Alex: Also Schicksal. (Alexandra nickt langsam) Bullshit.Wir sind der lebende Beweis dafür, dass es nicht stimmt.
Alexandra: Schon, aber… Ich weiß nicht. Die Theorie macht eigentlich doch Sinn. Dinge geschehen nicht einfach so. Alles hat irgendwo einen Grund.
Alex: Und wie erklärst du dir das hier? (Sie deutet von sich auf Alexandra)
Alexandra: Unterschiedliche Anfangsbedingungen. Ich meine, in deiner Welt wohnt Herr Tali nicht mehr im Haus nebenan. Und Maren geht nicht in deine Klasse. Unsere Stadt hat nicht einmal den gleichen Bürgermeister. Alles komplett andere Bedingungen.
Alex: Du willst mir gerade also klar machen, dass mein verkorkstes Leben Schicksal ist?
(Alexandra weicht Alex‘ Blick aus.)
Alexandra: (leise und zögerlich) Vielleicht.
Alex: Na wunderbar. Ganz toll. Vielen Dank auch, Schicksal.
Alexandra: Ich meine, es steht ja nicht fest, ob Determinismus wirklich wahr ist. Vielleicht ist auch einfach alles Zufall und-
Alex: Aber das würde es doch auch nicht besser machen. Ob Schicksal jetzt daran schuld ist oder Zufall, niemand kann etwas daran ändern, oder? Egal was ich getan hätte, es wäre alles genau so geendet wie jetzt, oder? (mehr und mehr aufgebracht. Sie wartet auf eine Antwort, aber Alexandra sagt nichts) Das ist doch Bullshit.
Alexandra: Ich mag den Gedanken auch nicht.
Alex: Wieso? Für dich ist das doch ideal. Du hättest noch so viel Mist in deiner Kindheit verzapfen können, am Ende wärst du trotzdem Klassenbeste. Deine Eltern hätten sich nie getrennt, egal, was passiert wäre.
Alexandra: (jetzt selbst etwas ungehalten) Genau deswegen! Wenn doch sowieso alles gut ausgeht, warum habe ich mir dann so viel Mühe gegeben? Warum habe ich so viel gelernt? Alles was ich tue und wofür ich arbeite wäre vollkommen… sinnlos. Ich schreibe keine guten Noten weil ich viel gelernt habe oder mir Mühe gebe, sondern weil das Schicksal es so will. Wofür gebe ich mir dann überhaupt Mühe?
Alex: (wütend) Und ich kann tun, was ich will, so viel lernen und arbeiten wie ich will, meine Noten werden immer beschissen sein. Ich weiß wirklich nicht, wer von uns beiden es schlechter hat!
Alexandra: (beinahe heiser, deutlich ausgebracht) Mein Leben ist auch nicht so einfach, wie du glaubst!
Alex: (brüllt) Dein Leben war immer einfach, Alexandra! Du bekommst alles von Mommy und Daddy in den Hintern geschoben und nur weil du so eine verdammte Streberin bist und deinen Lehrern in den Arsch kriechst, hast du-…! Bist du-…!
Alexandra: (schreit) Wenn du aufhören würdest dich selbst zu bemitleiden und dir das Hirn wegzusaufen, dann würdest du vielleicht auch etwas auf die Reihe bekommen! Gib‘s doch zu! Du hast auch vorher immer schon dem Schicksal die Schuld an allem gegeben! Wird erwachsen, verdammt nochmal!
Alex: Halt die Klappe! (springt auf, beinahe angriffslustig)
Alexandra: Warum? Weil ich genau ins Schwarze treffe?
Alex: (lauter) Sei still!
Alexandra: Vielleicht bist du ja auch der Grund, warum dein Vater abgehauen ist und-
Alex: (brüllt) Halt die Fresse!
Alexandra: (beinahe hysterisch) Ich hab’s satt mir immer wieder anhören zu müssen, wie gut ich es doch habe und wie bemitleidenswert du bist!
Alex: Ich hab’s satt deine blöde Visage zu sehen!
Alexandra: (mit einem fast schon bösartigen Lächeln) Wir teilen uns eine Visage, du Vollidiot!
(Sie starren sich gegenseitig in die Augen und verharren. Für einige Sekunden herrscht Stille. Dann geht Alex herüber zu einer Gardinenstange, die in einer Ecke des Raumes lehnt und hebt sie auf.)
Alexandra: (spöttisch) Was hast du denn bitte damit vor?
(Alex antwortet nicht. Sie geht zurück um Spiegel, hält die Gardinenstange beinahe wie einen Baseballschläger. Alexandras Grinsen verschwindet, als sie langsam begreift.)
Alexandra: Alex, was hast du vor?
Alex: (murmelnd) Scheiß auf Zufall.
Alexandra: (zunehmend panisch) Alex, das kannst du nicht tun. Du brauchst mich! Wir sind ein und dieselbe Person!
Alex: (etwas lauter) Scheiß auf Schicksal.
Alexandra: (möglichst drohend, aber deutlich panisch) Alex!
Alex: (brüllt) Leck mich! Ich bestimme, was mit meinem Leben passiert!
(Alexandra schreit, als Alex die Gardinenstange schwingt. Der Spiegel zerbricht in tausend kleine Teile und mit ihm zerbricht auch das Bild von Alexandra und ihr Schrei verstummt. Alex schlägt einige dutzend Male auf den Spiegel, bis das Holz bricht und die Stange verbogen ist. Mit wildem Blick und heftig atmend starrt sie die Überreste an.
Stille. Dann das Quietschen der Klappe)
Alex‘ Mutter: (atemlos und erschrocken) Alex, Schatz, was ist passiert?! (Als sie den zerstörten Spiegel sieht, weiten sie ihre Augen)
Alex: (seltsam tonlos und weit weg) Nichts. Alles okay.
Alex‘ Mutter: (vorsichtig, zögernd) Schatz… Ich glaube, wir sollten wirklich… Dr. Langenberg kann vielleicht…
(Stille. Alex nickt langsam. Sie lässt die Stange fallen. Ihre Mutter legt zögerlich ihren Arm um sie, gemeinsam verlassen sie den Dachboden. Zurück bleibt nur Staub und Scherben.)
Figuren: Mann, Hanna, Kellner, Kapitän (Stimme)
Ort: Hafen, Schiff über dem Atlantischen Ozean
Zeit: Gegenwart
Am Hafen.
MANN. Wo wollen Sie denn hin?
HANNA. Ich weiß es nicht.
MANN. Sie wissen es nicht?
HANNA. Nein.
MANN. Warum reist man denn mit einem Schiff, wenn man nicht weiß, wo man hin will?
HANNA. Nun… ich reise gerne… und wo mich das Schiff hinbringen will, ist mir egal.
MANN. Egal?
HANNA. Ja. Dort werde ich bleiben.
MANN. Ist so etwas nicht gefährlich für solch eine hübsche Frau wie Sie?
HANNA. Mag sein.
MANN. Und warum entscheiden Sie sich dann zu diesen Reisen?
HANNA. Ich liebe die Gefahr. Ich liebe die Ungewissheit.
MANN. Das respektiere ich.
HANNA. Danke.
Glocken läuten.
MANN. Ich glaube, wir müssen aufs Schiff.
HANNA. Scheint so.
MANN. Dann beeilen wir uns besser.
Auf dem Schiff.
MANN. Sie wissen, dass wir nach Mexico fahren?
HANNA. Bis jetzt nicht.
MANN. Waren Sie denn bisher in Mexico?
HANNA. Nein.
MANN. Ich könnte Sie doch irgendwo zum Essen einladen, wenn wir ankommen.
HANNA. Das wäre schön.
MANN. Haben Sie denn Hunger?
HANNA. Im Moment schon.
MANN. Nun gut… wir können uns im schiffseigenen Restaurant etwas zu Essen holen.
HANNA. Ich habe leider –
MANN. Ich bezahle.
Im Restaurant.
MANN. Schmeckt Ihnen das Essen?
HANNA. Ja. Es ist ziemlich lecker.
MANN. Das freut mich.
HANNA. Ich würde gerne noch ein paar Kartoffeln haben.
MANN. Soll ich jemanden herrufen?
HANNA. Das wäre nett.
MANN (zum Kellner). Diese junge Frau hätte gerne noch ein paar Kartoffeln.
KELLNER. Kein Problem, Ma’am.
Kellner ab.
MANN. Es ist schön mit Ihnen.
HANNA. Danke, es ist auch schön mit Ihnen.
MANN. Wie heißen Sie denn?
HANNA. Ich heiße Hanna.
MANN. Ein wunderschöner Name. Wussten Sie denn, dass er aus dem Hebräischen kommt und Anmut symbolisieren soll?
HANNA. Nein. Das ist in der Tat wunderschön.
KELLNER. Hier die Kartoffeln, Ma’am.
HANNA. Danke sehr. Könnten Sie mich einen Augenblick entschuldigen, ich muss auf die Toilette.
Hanna ab. Plötzlich. Der Boden bebt.
MANN. Was war das?
KELLNER. Ich weiß es nicht.
MANN. Ich hoffe nur, es ist kein Seebeben.
Eine Stimme ertönt durch einen Lautsprecher.
STIMME. Sehr geehrte Passagiere, wir sind soeben gegen einen Felsen gefahren. Wir bitten Sie darum, Ihre Rettungswesten anzuziehen und schnellstmöglich die unteren Etagen des Schiffes zu verlassen.
KELLNER. Wir sollten wohl auch nach oben gehen. Wir sind in der untersten Etage.
MANN. Wir sollten auf Hanna warten.
Ein Fenster zerspringt. Der Raum füllt sich mit Wasser.
KELLNER. Sir, wir sollten wirklich gehen.
MANN. Sie können ja gehen. Ich warte.
KELLNER. Sind Sie sich sicher?
MANN. Ja.
KELLNER. Na gut.
Kellner ab. Minuten vergehen.
MANN. Wo bleibt Hanna bloß? Das Wasser steht mir jetzt schon bis zu den Knien.
Minuten vergehen. Das Wasser füllt den halben Raum.
MANN. Ich kann nicht mehr hier bleiben. Ich sollte nach oben. Vielleicht ist sie ja schon dort.
Oben auf dem Schiff.
MANN (zu Kapitän). Haben Sie vielleicht eine blonde, junge Frau gesehen – Mitte 20?
KAPITÄN. Ich muss Sie leider enttäuschen, Sir.
MANN. Verdammt. Ich muss wieder runter.
KAPITÄN. Ich muss Sie leider nochmals enttäuschen, Sir. Die Türen sind bereits abgesperrt.
MANN. Nein. Das kann nicht sein. Sie ist aber noch dort unten.
KAPITÄN. Das bezweifle ich abermals, Sir. Alle Passagiere wurden gerettet. Wir sind alle in Sicherheit.
MANN (wütend). Nein! Das sind wir nicht! Sie ist noch da unten!
KAPITÄN. Es tut mir Leid. Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss eine Ansage machen.
MANN. Das können Sie nicht machen!
KAPITÄN (an alle Passagiere). Keine Sorge, bitten steigen Sie langsam in die Rettungsboote, das Personal wird Sie weiterhin in Sicherheit wahren.
MANN (wütend). Ich gehe nun nach unten. Und ich sage Ihnen, ich werde diese verdammte Tür einschlagen, wenn es sein muss.
Vor der versperrten Tür.
MANN. Ich muss da reinkommen.
KELLNER. Ich habe einen Schlüssel.
MANN. Wo kommen Sie denn auf einmal her? Nun, ich danke Ihnen.
KELLNER. Kein Problem. Entschuldigen Sie mich, ich muss wieder weg. Den Schlüssel können Sie behalten. Ich will einfach nur weg von diesem Schiff.
Kellner ab.
In der mit Wasser gefüllten Etage.
MANN. Hanna! Hanna! Bist du hier irgendwo?
HANNA (ängstlich). Sind Sie es?
MANN. Hanna! Ja, ich bin es.
HANNA. Sie duzen mich?
MANN. Ist das denn schlimm?
HANNA. Nein.
Die Tür verschließt sich.
MANN (panisch). Oh nein! Die Tür! Sie ist zu!
HANNA. Egal.
MANN. Egal?!
HANNA. Beruhigen Sie sich.
MANN. Du hast doch völlig den Verstand verloren!
HANNA. Beruhigen Sie sich einfach.
MANN. Okay. Und nun?
HANNA. Das Schiff wollte es so. Es wollte mich hier hinbringen.
MANN. Bitte…
HANNA. Wissen Sie… Ich liebe die Gefahr.
MANN. Das respektiere ich.
HANNA. Danke.
Das Schiff sinkt in die Tiefen des Ozeans.
A: Beachte mich!
B: Ich sehe dich.
A: Vermisse mich!
B: Ich meide dich.
A: Liebe mich!
B: Ich hasse dich.
A: So sterbe ich.
C: Siehst du mich nicht?
(eine leere Bühne, Auftritt Träumer)
TRÄUMER: Wie? Was? Wo bin ich?
Wo sind die Farben, wo das Licht?
Oh es ist so dunkel hier,
so trostlos und leer.
Doch halt! Ich fühls in mir,
es naht doch wer.
(Auftritt Gedanke)
TRÄUMER: Wer da?
GEDANKE: Ich darf mich vorstellen?
Meine Wenigkeit dir wohl bekannt,
doch nie genannt.
Ich bin die Idee, die du nie kommen magst,
die zu denken, du nicht wagst.
Doch jetzt stehen wir hier,
ich bin bei dir.
Träumer, sag was sollst du jetzt noch denken?
In meine schrecklich Welt, will ich dich lenken.
TRÄUMER: Nein!
Bleib fern von mir, ich weiche dir!
Ich kenne dich, du warst schon da,
ich erinner mich, als ich dich zuletzt sah.
GEDANKE: Ganz recht, doch warum so schlecht?
War ich es nicht, der damals deinen Geist erfüllte?
Als die Trauer so stark –
TRÄUMER (unterbricht Gedanke): Du warst es, der mich in sie hüllte!
GEDANKE: Du irrst.
Sie war längst um dich herum,
ihr Eindring’n längst gelungen.
Sie ist mir Nährboden, ist mir Heim.
Nur wo sie ist, kann ich sein.
TRÄUMER: Aber sie ist nicht hier, hier ist doch nichts!
GEDANKE: Du sprichst Wahres, hier ist wohl nichts.
TRÄUMER: Ich verstehe nicht, weshalb dein Gesicht?
GEDANKE: Hier ist nichts, mein lieber Träumer.
Wie kann das aber sein, wenn du hier stehst und ich wohl bin?
Die Antwort, mein lieber Träumer,
Wenn du hier stehst, wenn ich wohl bin,
dann du das Nichts, auf Rettung sinnst.
TRÄUMER: Schweig!
Wie kannst du es wagen?
Oh, schon spüre ich die Zweifel nagen…
GEDANKE: Träumen.
Das ist alles, was du kannst.
Seit SIE dich verließ.
Träumen.
Das ist alle, was nimmt die Angst.
Deshalb, ich dich dann verließ.
Doch ist sie fort, deine Gabe,
und an ihrem Erbe ich mich labe.
Sag Träumer, was dir bleibt,
wenn nichts mehr weilt?
Deine Liebe nicht.
Deine Träume nicht.
Mein lieber Träumer, es ist vorbei,
die Zeit dich nun ereilt.
Ich bin alles, was dir bleibt,
eine hübsche Idee, die zur Vollstreckung neigt.
TRÄUMER: Ich spüre meine Kräfte schwinden,
lasse meine Wehr blad sinken.
Willig gebe ich mich hin,
das Lied der Liebe mit dir sing.
Bald dein Sinnen mich erreicht,
bald mein Körper ganz erbleicht.
Oh könnt ich SIE noch einmal sehn,
noch einmal ihr zur Seite stehn.
GEDANKE: Nicht stehn.
Gehen!
Du wirst an ihrer Seite gehen,
Folge mir, ich will dich zu ihr führen.
(Gedanke und Träumer ab. Auftritt Tod. Er bleibt in der Mitte der Bühne stehen, dann Black)
Wald bei Nacht. Ein Mädchen läuft alleine durch den Wald und nutzt ihr Handy als Taschenlampe, um den Weg nach Hause zu finden.
Sarah: (zu sich selbst murmelnd) Ganz schön kalt. Zum Glück habe ich heute meine dicke Winterjacke angezogen.
(Dreht sich um und sieht ihre Fußspuren im Schnee)
Sarah: Hoffentlich bin ich bald daheim. So ein Waldweg ist wirklich gruselig bei Nacht.
(Hört ein Knacken hinter sich und dreht sich ruckartig um)
Sarah: (erschrocken) Wer ist da?
(Keine Antwort. Zuckt mit den Schultern und setzt ihren Weg mit schnelleren Schritten fort)
Sarah: (seufzt) Jetzt werde ich schon ganz paranoid. Das nächste Mal rufe ich doch Mama an und frage, ob sie mich abholen kann. Diese Dunkelheit macht mir wirklich Angst.
Stimme: Ja, in der Dunkelheit können viele Gefahren lauern.
(Sarah bleibt ruckartig stehen. Ihr Atem wird schneller und ihr Herzschlag ist deutlich zu hören)
Sarah: (lauter) Was wollen Sie?
Stimme: Die Frage ist wohl eher: Was willst du hier im Wald um diese Uhrzeit?
Sarah: Ich will nur nach Hause. (dreht sich im Kreis und versucht mit dem Licht ihres Handys die unbekannte Person zu finden)
Stimme: Und warum bist du allein? Warst du nicht auf einer Party mit deinen Freunden?
Sarah: Woher wissen Sie das?
Stimme: Ich weiß alles, Sarah.
Sarah: (ängstlich) Woher kennen Sie meinen Namen?
Stimme: Weil ich dich kenne, Sarah. Wieso hast du diesem Jungen verboten, dich nach Hause zu begleiten?
Sarah: (schulterzuckend) Weil ich kein Baby mehr bin. Ich brauche keinen Bodyguard, der mich begleitet. Ich kann auch gut auf mich selbst aufpassen.
Stimme: (feststellend) Und jetzt hast du Angst...
Sarah: (flüsternd) Jeder Mensch hat im Dunkeln Angst. Kleine Kinder haben Angst vor Monstern, die sich unter ihrem Bett verstecken könnten... (etwas lauter) Und bei Erwachsenen ist es nicht anders. Auch Erwachsene haben Angst vor gewissen Dingen.
Stimme: Ja, das stimmt. Und du hast vor Monstern Angst seit du ein kleines Kind bist.
Sarah: (im Brustton der Überzeugung) Monster gibt es nicht!
Stimme: Und was bin dann ich?
Sarah: Ein Hirngespinst meiner Fantasie. Dich gibt es nicht wirklich. (fängt langsam an, weiter zu gehen)
Stimme: (leise lachend) Ach Sarah, wenn du wüsstest.
Sarah: (genervt) Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich einfach in Ruhe! (Schritte werden schneller)
Stimme: (feststellend) Du willst weglaufen. Wie immer, wenn du Angst hast. Stelle dich doch einmal deiner Angst, Sarah.
Sarah: (leicht außer Atem) Ich habe keine Angst.
Stimme: Und warum läufst du dann vor mir weg?
Sarah: (lauter) Ich laufe nicht weg. Ich will einfach nur schnell nach Hause.
Stimme: (feststellend) Weil du Angst vor mir hast. Du hättest diesem Jungen doch erlauben sollen, dass er dich nach Hause bringt.
Sarah: (zögerlich) Ja, vielleicht hast du Recht...
Stimme: (fragend) Und warum sollte er dich dann nicht begleiten?
Sarah: (in Erklärungsnot) Weil...
Stimme: Weil du Angst hast, Sarah. Angst davor, dass sie dich auslachen würden. Du hast Angst davor, ausgeschlossen und veräppelt zu werden.
Sarah: (zögernd) Naja, das wäre doch auch ihr gutes Recht. Welcher Erwachsene hat denn bitte Angst im Dunkeln. Es gibt keine Monster, die sich im Schutz der Dunkelheit verstecken und sich auf dich stürzen wollen. (etwas lauter, nachdem sie kurz Luft geholt hat) Das ist doch lächerlich und jetzt lass mich endlich in Ruhe!
Stimme: (lacht leise) Ach Sarah, du hast noch so viel zu lernen in deinem jungen Leben. Du denkst alle Menschen sind gleich. Du bist noch sehr weit davon entfernt, eine Erwachsene zu sein.
Sarah: (verzweifelt) Sie haben es doch damals auch getan. Es ist lächerlich, sich vor Monstern zu fürchten. Monster gibt es nicht...
Stimme: (erstaunt) Und wieso hast du dann Angst vor mir, wenn es mich offensichtlich nicht gibt?
Sarah: (wieder flüsternd) Weil du furchteinflößend bist und ich nicht weiß, wer und wo du bist.
Stimme: Du kennst mich, Sarah. Erinnerst du dich denn nicht an mich?
Sarah: Ich kenne dich nicht! Was redest du da für einen Unsinn?
Stimme: (erklärend) Ich war immer bei dir, Sarah.
Sarah: (erschrocken) Wie meinst du das?
Stimme: Weißt du noch, als du als kleines Kind diesen Schatten vor deinem Fenster gesehen hast? Danach wolltest du nur noch bei deinen Eltern im Bett schlafen, weil vor deinem Fenster ein Monster war.
Sarah: (nachdenklich) Ich erinnere mich daran. Der Schatten war ziemlich groß und schnell.
Stimme: Erinnerst du dich an den großen Stromausfall früher? Als du dich unter dem Tisch versteckt hattest und deine Eltern Probleme hatten, dich wieder hervorzuholen?
Sarah: (ruhig) Es war auf einmal so dunkel und ich hab diesen Lufthauch gespürt.
Stimme: Und erinnerst du dich an den Moment, als sie dich in den Keller gesperrt haben und du panisch geworden bist?
Sarah: (mit zitternder Stimme) Es war alles so kalt, feucht und dunkel dort. Aus jedem Winkel kam ein Knistern und ich bekam die Tür nicht auf. Ich wollte einfach nur da raus. (ein leichtes Schluchzen ist zu vernehmen)
Stimme: Bei all diesen Momenten war ich an deiner Seite, Sarah.
Sarah: (zieht die Nase hoch) Wie meinst du das?
Stimme: Ich war immer bei dir, Sarah. So wie ich jetzt auch bei dir bin.
Sarah: (schaut sich um) Aber wo bist du?
Stimme: Denk nach, Sarah. Wann war ich bei dir? Denk scharf nach und du wirst verstehen, wo ich jetzt bin.
Sarah: (langsam verstehend) Soll das heißen...?
Stimme: (erklärend) Genau das. Ich kann ohne dich nicht existieren, Sarah. (macht eine kurze Pause) Aber du kannst es ohne mich.
Sarah: (leise) Du. All die Zeit warst du es, der mich begleitet hat. Ich erinnere mich.
Stimme: Verstehst du jetzt, was ich dir sagen möchte?
Sarah: (schließt die Augen) Ja, ich glaube ich habe es nun verstanden. Das Monster...
Stimme: Das Monster, vor dem du dich immer gefürchtet hast...
Sarah: (entschlossen) Dieses Monster bin ich.
(Das Licht geht aus und man sieht nur noch die Schemen Sarahs, wie sie auf den Boden sinkt.)
(KERRYs Eingangshalle. Ein kahler Raum aus Stein. JASMINA, eine zwanzigjährige Frau, steht an der Tür, doch zögert, zu gehen. Der sechzehnjährige KERRY steht direkt hinter ihr.)
JASMINA Es gibt da etwas, es ist schwer,
___doch muss ich es dir endlich sagen.
___Ich schob es ewig vor mir her,
___doch länger will ich's nicht vertagen.
KERRY Nun sag's schon, so schlimm wird's nicht sein.
JASMINA Ach Kerry, wenn's nur einfach wär.
___Ab heute lass ich dich allein.
KERRY Und wann kommst du dann wieder her?
JASMINA Das ist es ja, der Tag kommt nie.
KERRY Wie, nie? Heißt das, dass du mich jetzt –
___Nie mehr … Es kann nicht sein, dass sie –
JASMINA Ich will nicht, dass es dich verletzt.
___Doch weißt du, es gibt nicht nur dich.
___Ich meine, sieh dich nur mal an –
KERRY Jasmina, sag, verlässt du mich
___für einen … einen and'ren Mann?
JASMINA Es tut mir leid, doch hör mir zu,
___du bist so jung, es geht nicht gut.
KERRY Ich glaub es nicht, Jasmina, du …
___Du nimmst mir jeden letzten Mut.
JASMINA Ach, Kerry, lass es mich erklär'n.
KERRY Es liegt mir kaum etwas so fern!
(KERRY schwingt seinen Arm. Hinter JASMINA lodern schwarze Flammen auf.)
JASMINA Was ist das, was geschieht hier, wie?
KERRY Ja, deine kleine Spielerei
___sei nun in Ewigkeit vorbei.
___Ich bin ein Meister der Magie!
___Du legtest mit dem falschen Mann
___für diese Untreue dich an!
(Schwarzes Feuer umringt JASMINA, sodass sie komplett davon umgeben ist, es jedoch nicht berührt.)
KERRY Ich nehme dir das, was es war,
___was mich so sehr verführte.
JASMINA Verzeihe mir, dass ich nicht sah,
___wie sehr es dich berührte!
KERRY Die Schönheit ist Vergangenheit,
___wird niemals wieder strahlen,
___auf dass kein and'rer Mann so leicht
___dir wieder kann verfallen!
JASMINA Verzeihe mir, verzeihe mir!
___Ich wusst' nicht, was ich tat!
KERRY Niemals, Jasmina, niemals mehr
___verzeih' ich den Verrat!
___Ich gab dir alles, gab so viel,
___so viel ich konnte geben.
___Ich hoffte, ja, ich hoffte sehr
___auf ein geteiltes Leben.
___Ein Leben, eine Existenz,
___die Zukunft, du und ich.
JASMINA Es tut mir leid, doch es war nicht
___bedeutungsvoll für mich.
___Ich dachte doch, es wär dir klar,
___ich will mich nicht verrennen –
KERRY Verrennen? Nein, in Flammen schwarz
___soll deine Haut verbrennen!
___Dein Äuß'res deinem Inner'n gleich,
___und hier so wie auch dort
___ist jeder Funken, jeder Schein
___von Schönheit ewig fort!
___Das finst're Feuer fresse fort
___dein Anseh'n, dein Gesicht.
___Der Schmerz, meine Vergangenheit –
JASMINA Nein, bitte, tu es nicht!
KERRY Der Schmerz, meine Vergangenheit,
___wird deine Zukunft sein.
___Und dir hilft niemand, niemals mehr,
___und magst du noch so schrei'n.
___Gezeichnet nun von deiner Schuld,
___die jeder Spiegel sieht,
___wirst spüren, wie es schmerzhaft ist,
___wenn deine Liebe flieht.
JASMINA Vergib mir, oh, ich bitte dich,
___ich habe Angst, zu sterben!
KERRY Du schneidest dich gerade selbst
___an deiner Taten Scherben.
(Schwarzes Feuer mit violettem Kern umgibt JASMINA, die vor Schmerzen schreit. KERRY versucht, das Feuer klein zu halten, doch es nimmt Überhand.)
JASMINA Hör auf, hör auf, es tut mir leid!
___Lass mich doch bitte leben!
KERRY Das Feuer, es wird mir zu stark,
___es will nicht mehr nachgeben!
___Jasmina, nein, es tut mir leid,
___ich sah das so nicht kommen,
___bin doch kein Meister der Magie,
___sie hat mich übernommen!
___Jasmina, nein, verlass mich nicht
___und lass mich nicht alleine!
___Ich seh es ein, die große Schuld,
___die Schuld ist nur noch meine!
___Jasmina, nein, es ist zu spät,
___ich weiß mir keinen Rat.
___Sag mir warum, warum seh ich
___erst jetzt, was ich hier tat?
(Das Feuer verschlingt JASMINA komplett, bis nur noch Asche von ihr übrig bleibt. Dann klingt es langsam ab.)
KERRY Jasmina, was …
___Was habe ich getan?
___Es … es tut mir leid.
___Ich …
___Ich wollte dich nicht …
___Ich wollte dich nicht töten.
___Ich wollte dir nur dein Gesicht nehmen.
___Ich wollte dich nur deiner Schönheit berauben.
___Dessen, was mich einst verführte.
___Doch die Flammen …
___Die Flammen waren zu stark.
___Und nun …
___Nun steh ich vor der Asche.
___Jasmina …
___Jasmina, vergib mir.
___Ich wollte dich nicht töten.
___Doch von allem, was ich hatte
___bleibt nur noch Asche.
___Asche und Schuld.
(Szene verdunkelt sich.)
Personen:
AMANDA, eine Reisende aus einem anderen Land, unterwegs mit
SASCHA ihrem fuchsfarbenen Noriker
Ein BAUER, den beide auf dem Weg treffen
HERR SENNER und FRAU SENNER, die einen abgelegenen Gasthof betreiben
wo sie mit ihrem Sohn SAMUEL leben
ERSTE SZENE — Treffen auf der Straße
In Zeiten politischer Machtkämpfe zwischen den Königshäusern der Länder ist Amanda auf ihrem Hengst Sascha unterwegs. Sie stammt aus dem Land Arcadaya und hat auf ihrer Reise die Landesgrenze zu Ziln überschritten. Es nieselt leicht und ist später Nachmittag. Sie hat gerade ein Dorf durchquert, wo sie sich nach einer Unterkunft umgeschaut hatte, doch dort war bereits alles belegt. Nun folgt sie weiter der Dorfstraße zum nächsten Ort. Dort kommt ihr ein Bauer auf dem Heimweg entgegen.
Amanda (höflich)
Grüß Gott, der Herr.
Bauer
Ja, bist deppert! Eine aus Akad’ja. Du traust dich was!
Amanda (verwundert)
Woher wissen Sie das?
Bauer (selbstverständlich)
Anschaun muss man dich bloß. Das erkennt hier jeder, dass du ned von hier bist.
Amanda
Sagen Sie, wissen Sie noch einen Gasthof? Hier im Dorf waren schon alle voll.
Bauer
Unterschlupf suchst, was? Ja, da kann ich dir leider ned viel helfen. Das nächste Dorf ist drei Stunden entfernt. Und ob da noch was frei ist, glaub ich eher ned.
Amanda
Sonst gibt es keine Höfe dazwischen?
Bauer
Ja, doch scho. Die Senners wohnen da droben aufm Hügel. Aber die sind bestimmt auch schon voll heut. Bei dem großen Fest morgen kommen alle Familien aus der Umgebung. Nein, Platz werden die keinen mehr habn.
Amanda
Schönen Dank, werter Herr, ich werde dort nachfragen.
Bauer (laut)
Bist du wahnsinnig! Mädl, jetzt hör mir mal zu. Selbst wenn jemand noch Platz frei hat, dich lassen sie eh ned rein. Du hast bestimmt Dreck am Stecken. Was würdest du sonst hier machen? Du bist nicht von hier, dir gibt keiner ein Bett für die Nacht.
Amanda (schnell und höflich)
Haben Sie einen guten Abend, werter Herr.
(Amanda schnalzt mit der Zunge und reitet mit Sascha an dem Bauer vorbei die Straße entlang.)
Bauer
Eingebildetes Ding! Hätt nur bissl was erzählen müssen und nicht so vornehm daherreden, dann hätt ich vielleicht noch Platz gehabt. Aber ist ned schad um sie. Braucht hier eh keiner.
ZWEITE SZENE — Auf dem Weg zu dem Gasthof
(Amanda folgt der Straße, entdeckt auf dem Hügel den Hof. Sie biegt bei einer Abzweigung ein und reitet mit Sascha die Anhöhe hinauf.)
Amanda
Ich hatte gehofft, es ist nicht so deutlich, dass ich nicht von hier bin. Meinst du, ich habe so komisch gesprochen?
(Sascha schnaubt)
Amanda (besorgt)
Was soll ich denn machen, wenn die Herrschaften uns wegschicken, weil ich aus Arcadaya bin? Wo sollen wir denn dann hin?
(Sascha senkt den Kopf, achtet auf den Weg)
Amanda (fordernd)
Jetzt sag doch auch mal was!
Sascha (ruhig)
Prinzessin, was soll ich dazu sagen? Es verwundert mich nicht, dass man dich als Ausländerin erkennt, wenigstens nur als das! Wüsste man, dass du Thronerbin bist, hätten wir schon die Gendarmerie an den Hufen kleben.
Amanda
Ja, das ist wahr. Aber wir können doch nicht immerzu weitergehen. Natürlich ist das eine Flucht, aber doch keine, bis wir beide umfallen!
Sascha
Beruhig dich, Prinzessin. Es wird schon werden. Schau! Dort ist der Hof. Ein stattlicher Vierkanter mit hübschen Kirschbäumen auf der Wiese. Noch gibt es Hoffnung! Sie können mich ruhig zu den Kühen stellen; selbst ein einfacher Unterstand tut’s auch. Und genug Silber haben wir jedenfalls, um die Wirte zu bezahlen.
Amanda
Du hast Recht. Die Wälder gibt es auch noch. Wir dürfen jetzt nicht anspruchsvoll sein. Wenn mich bloß keiner erkennt, bin ich schon froh!
(Sascha schnaubt)
(Amanda steigt ab, führt Sascha zur Tür des Hofes und klopft. Der Regen ist stärker geworden. Die Tür öffnet sich und ein junger Mann steht im Rahmen. Viele Stimmen klingen aus dem Haus nach draußen, vermischt mit dem Klappern von Gläsern und Porzellan.)
Junger Mann
Ja, bitte?
Amanda (freundlich)
Grüß Gott.
(Angesichts der jungen Frau vor ihm streicht sich der junge Mann schnell das Hemd glatt.)
Junger Mann (höflich)
Grüß Gott, werte Dame. Was führt Sie zu uns?
Amanda
Die Hoffnung auf eine Bleibe über Nacht, verehrter Herr. Im Dorf war schon voll und man sagte mir, dass hier vielleicht noch frei wäre?
Junger Mann (verunsichert)
Ja … ähm … nun, ich frage mal gschwind. Bitte warten’s kurz.
(Der junge Mann verschwindet im Haus.)
DRITTE SZENE — Im Gasthof
(Der junge Mann läuft durch den vollen Gastraum zur Schänke, wo seine Eltern den Gästen Maßkrüge voll schäumendem Bier und Teller gefüllt mit Fleisch und Knödl reichen. Der Raum ist voller Gelächter und Stimmen.)
Junger Mann
Papa, Mama, da steht eine Dame vor der Tür und bittet um Unterkunft.
Herr Senner
A Dame sagt’s, Samuel?
Samuel
Ja, Papa, sie redet ganz vornehm. Weiß ned, woher sie kommt, hab sie noch nie g’sehn.
Frau Senner
A Madl hast g’sagt? Ja, wo san denn deine Manieren, Bub! Kannst sie doch ned im Regen stehen lassn, wo samma denn da! Raus mit dir, lass sie g’fälligst rein und schau, dass sie aus den nassen Kleidern rauskommt.
Samuel
Natürlich, Mama. Ich wusst bloß nicht, was tun, weil wir doch nur Stammgäste habn. Und was soll ich mit ihrem Pferd machn?
Frau Senner (bestimmt)
Stammgäste hin oder her, im letzten Krieg hamma auch keinen weggeschickt und damit werdn mia jetzt auch ned anfangn.
Herr Senner (ruhig)
Stell das Pferd in den Stall. Wir haben ja jetzt bissl Platz seit vor zwei Tag die Martha gstorben is. Wenn’s n Hengst is’ braucht er aber Abstand zum Seppl, ned, dass uns der noch narrisch werd.
Samuel
Sehr wohl, Papa.
(Samuel rennt zurück zur Tür.)
Samuel
Entschuldigen’s das Warten ham müssn. Kommen Sie ruhig rein und ziehen Ihren Mantel aus. Darf ich Ihr Pferd in den Stall führen?
Amanda
Vielen Dank und sicher, sehr gerne. Sie können mich ruhig Amanda nennen, wenn Sie möchten.
Samuel (lässt sich von Amanda die Zügel reichen)
Freut mich, ich bin Samuel, Sohn der Gastwirte.
Amanda (lächelnd)
Sehr erfreut, da hab ich ja gleich den Richtigen an der Tür gehabt.
(Samuel führt Sascha in den Stall. Amanda tritt in den Vorraum und zieht ihren durchnässten Mantel aus. Frau Senner erscheint in der Tür zum Gastraum, wischt sich die Hände an ihrer Schürze ab und begrüßt das Mädchen.)
Frau Senner
Grüß Gott und willkommen im Gasthof „Zum schwarzen Rössl“. Ich weiß, wir habn kein Schildl mehr draußen, des hat’s vor Jahren mal runtergehaun und seitdem san mia noch ned dazu gekommen es wieda aufzumhängen. Ich bin die Frau Senner. Wart, ich nehm dir den nassen Mantel ab.
Amanda (übergibt den nassen Mantel)
Sehr erfreut, Frau Senner. Ich bin Amanda und möchte mich sehr bedanken, dass Sie mich hier aufnehmen. Unten im Dorf war schon alles voll und Sie sind wirklich meine letzte Hoffnung gewesen.
Frau Senner
Ja, es is morgen unser großes Fest, da sind alle Familien zusammen. Da wird’s ganz schön eng für Fremde, aber wir hier oben habn immer noch was frei.
(Frau Senner hängt den durchnässten Mantel an einen Garderobenhaken, nimmt einen Metallkübel und stellt ihn drunter. Dabei fällt ihr ein gesticktes Emblem auf dem schwarzen Stoff auf. Das Wappen der Königsfamilie des Landes Arcadaya. Amanda folgt ihrem Blick und erschrickt. Die ganze Zeit hatte sie aufgepasst und nun war ihre Identität mit einem Mal aufgedeckt.)
Frau Senner (überrascht)
Des is doch des Wappen der Königsfamilie, ned wahr?
Amanda (wahrheitsgemäß)
Ja, verehrte Frau Senner, das ist es.
Frau Senner (langsam)
Dann bist du die Tochter des Königs, Prinzessin Amalia vom Hause Schönhofen.
Amanda
Das ist richtig, Frau Senner. Ich möchte Ihnen auch keine Schwierigkeiten machen und wenn Sie sich besser fühlen, dann geh ich auch wieder.
Frau Senner (bestürzt)
Aber Euer Majestät, was tun Sie denn hier in Ziln? So weit weg vom Schloss und in solch politischen Zeiten?
Amanda
Ich bin auf der Flucht vor der Politik meines Vaters, Frau Senner. Zur Stärkung der Bündnisse zwischen Arcadaya und Yebarn möchte er mich mit dem dortigen Prinzen vermählen. Ich versuchte es ihm auszureden, weil in Yebarn doch gerade alles im Umschwung ist und das Königshaus vielleicht nicht mehr lang besteht. Aber er war taub für meine Bedenken. Die Hochzeit war bereits in fünf Tagen, da bin ich heut in aller Früh einfach fortgeritten. Ich bereite Ihnen Probleme, wenn ich hierbleibe, da Sie nun wissen wer ich bin. Und das möchte ich nicht, also werde ich wieder gehen.
(Amanda will ihren Mantel nehmen, aber die Gastwirtin stellt sich ihr in den Weg.)
Frau Senner
Wissen’s Euer Hoheit, der Gasthof hier besteht schon seit dreiGenerationen. Im Krieg vor drei Jahrn haben wir keinen fortgeschickt, egal ob Soldat aus den eigenen Reihen oder Deserteur unseres Feindes. Wenn ich Sie jetzt gehn lass, verzeih ich mia des nie mehr.
Amanda (besorgt)
Aber mein Vater wird überall nach mir suchen!
Frau Senner
Das soll er auch. Aber soweit ich weiß, ist in diesem Haus keine Prinzessin Amalia, sondern nur eine Reisende namens Amanda. Und die kriegt jetzt erstmal einen Teller Knödl. Was sagt’s?
Deutsch: Wir verkaufen Großartigkeit
Spielend zur Macht
Charaktere
DR. SPIN (Vorsitzender der Honoris GmbH)
HERR SIG (Wohlhabender Unternehmer, durch Skandale in Verruf gekommen)
Szene 1
Büro der Honoris GmbH.
Vorhang auf. Hohe Bücherregale reihen sich an den dunkelgetäfelten Wänden. Ein Mann mittleren Alters sitzt mit einer Tasse an einem massiven Schreibtisch. Es klopft an der Tür.
DR. SPIN: Willkommen, Herr Sig, ich habe Sie bereits erwartet!
Dr. Spin bedeutet Herr Sig mit ausladender Armbewegung auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz zu zu nehmen. Dieser handelt wie ihm geheißen.
HERR SIG: (zynisch) Dann haben Sie etwas mit den Paparazzi vor meiner Haustür gemeinsam.
DR. SPIN: Ich wurde über Ihren Fall unterrichtet. Tut mir sehr leid, dass Sie das erleben müssen. Ganz tragische Verstrickung!
HERR SIG: Die Öffentlichkeit sieht das offenbar anders.
Dr. Spin nickt verständnisvoll und faltet die Hände.
DR. SPIN: Die Öffentlichkeit erträgt den Blick in den Spiegel nicht. Es führt zu mehr Befriedigung, seine Laster auf andere zu projezieren. Da hatten Sie nun mal ein wenig Spaß, nun gut, die Kleine war nicht volljährig ... Vielleicht war's auch nicht ganz nach ihrem Willen ... Wie auch immer, erlaubt ist, was gefällt! Kosten Sie vom Nektar des Lebens wo Ihre Zunge lose sein darf, ohne dass Sie sie riskieren. In diesem Staat sind Sie ein freier Mann. (trinkt langsam aus der Tasse auf seinem Schreibtisch)
HERR SIG: (zögerlich) Ich bin mir nicht mehr im Klaren, ob mein Verhalten so einfach abzutun ist ... Aber mein Stolz lässt Reue kaum zu. (Pausiert)
Mir wurde empfohlen, mich an Sie zu wenden. Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich hörte Sie besitzen einen gewissen ... Einfluss ... der mir helfen könnte.
Herr Sig sieht erwartungsvoll zu Dr. Spin, dieser hält den Blickkontakt starr aufrecht; eine Pause entsteht, dann huscht ein Lächeln über dessen Gesicht.
DR. SPIN: In derTat kommen Sie wie gerufen - unter gewissen Umständen zugegebenermaßen. Sagen Sie mir nur, wären Sie bereit Teil eines kleinen Projekts zu werden - ein Experiment im weiteren Sinne - sofern es sich für Sie auszahlen könnte?
HERR SIG: (aufgebracht) Ich als Versuchskaninchen!
DR. SPIN: (beschwichtigend) Nicht doch! Selbstverständlich wird der Versuch Ihrem Status gerecht. Aller Voraussicht nach wird sich dieser dadurch sogar deutlich verbessern. Den Spaß kann ich Ihnen dabei noch garantieren.
HERR SIG: (Runzelt die Stirn und lehnt sich mitverschränkten Armen zurück) Ihr Werben macht mich nicht minder interessiert als misstrauisch.
DR. SPIN: Ich erkenne Ihre Vorsicht, aber seien Sie unbesorgt. Derzeit haben Sie ja ganz am Rande bemerkt auch nichts zu verlieren.
Bedeutungsvolles Schweigen entsteht; Herr Sig wendet den Kopf ab; Dr. Spin fixiert ihn.
DR. SPIN: Die Frage mag Ihnen plötzlich erscheinen ... Herr Sig, glauben Sie an Gott?
HERR SIG: (verächtlich) Längst nicht mehr.
DR. SPIN: Nun, das sollten Sie aber. Gott muss Sie lieben, dass Sie in dieser Erdregion das Licht der Welt erblickt haben.Es belegt, dass Sie zu Höherem bestimmt sind. Und es ist in meinem Sinne, Ihnen bei der Umsetzung zu helfen.
HERR SIG: Halten Sie sich etwa für gottgleich?
Dr. Spin senkt den Kopf und lächelt; steht auf und beginnt einnehmend im Raum auf und ab zu schreiten.
DR. SPIN: Die Leute sind die Fähnchen im Wind und ich bin Aiolos, der mit diesen spielt. Die erfolgreichsten Hochkulturen basierten auf den simpelsten Prinzipien: Ganz gleich ob Brot und Spiele oder unfehlbare Gottesherrschaft. Obwohl ich zugeben muss, derBegriff "Halbgott in Weiß" wäre nicht ganz unpassend.
HERR SIG: (irritiert) Also Sind Sie Art?
DR. SPIN: Doktor!
HERR SIG: Worin haben Sie promoviert?
DR. SPIN: Ich muss glücklicherweise kein Mediziner sein, um zu erkennen, dass Sie mein sogenanntes "Vitamin B" derzeit dringend benötigen.
HERR SIG: (ungeduldig) Was wollen Sie denn nun konkret unternehmenen?
DR. SPIN: Ich - oder besser - Meine Leute und ich sorgen dafür, dass Sie in der Öffentlichkeit baldschon in einem neuen Glanz erstrahlen - Sofern Sie das möchten. Vorbei die üble Nachrede. Der Beginn einer neuen Berichterstattung!
HERR SIG: Sie manipulieren die Medien?
DR. SPIN: Aber nicht doch, Manipulation ist ein unschöner Begriff. Manipulieren können sich die Medien selbst am besten. Wir nutzen Ihre Bekanntheit und wandeln Ihr derzeitiges Image in etwas Anziehendes, das ist alles.
HERR SIG: ... Ich kann schon jetzt den tobenden Mob hören. Man wird es für verwerflich halten.
DR. SPIN: Ist es denn verwerflich, sein Hemd zu wechseln?
HERR SIG: Das lässt sich doch nicht vergleichen.
DR. SPIN: Vergleichen Sie es mit der heißen Dusche nach der morgendlichen Runde durch den schlammigen Park - Sie treten aus der Kabine und fühlen sich wieder wie jemand.
Herr Sig schweigt. Es entsteht eine Pause.
DR. SPIN: Sehen Sie, der Wert des einzelnen in der Gesellschaft wird zu großen Teilen von seinem Ruf bestimmt, der wiederum darauf basiert, wie wertvoll er für die Gesellschaft ist. Hat der Fall erst einmal begonnen, ist er kaum mehr abzuwenden. Genau da setze ich an. Ich bin jedoch nicht nur Ihr Fallschirm, nein, bei mir bekommen Sie gleich einen Raketenstart in den Neuanfang!
Rhethorik und Wohlwollen des Berichterstatters entscheiden heute mehr denn je ob aus Ihnen ein frivoles Flittchen oder eine revolutionäre Rebellin, ein flüchtiger Verbrecher oder ein unschuldiges Unfallopfer wird. Manch ein Mitglied unserer modernen Zivilisation wandert durch alle Extreme und erhebt sich von der Hure zur Herzogin. Um Ihre Frage zu meinem Vorhaben zu beantworten: In Ihrem Falle erheben Sie sich schon allzubald vom Perversen zum Politiker.
Engeisterung zeigt sich im Ausdruck von Herr Sig, er wedelt abwehrend mit den Händen.
HERR SIG: (Sichtlich außer Fassung) ICH? Politik? Sie müssen wahnsinnig sein!
DR. SPIN: (ruhig ... Dass Genie und Wahnsinn Hand in Hand gehen wird Ihnen doch sicher nicht neu sein.
Herr Sig stutzt und schüttelt noch immr fassungslos den Kopf
DR. SPIN: Seien Sie unbekümnert, wir haben schon kuriosere Gestalten als Sie in die Parlamente gebracht ... (wirft einen nachdenklichen Blick auf Herr Sig und reibt sich am Kinn)
Sie haben zumindest eine anständige Frisur.
HERR SIG: Ich bin Unternehmer, kein Demagoge.
DR. SPIN: Hervorragende Anlagen bringen Sie damit. Sie besitzen Ehrgeiz, Durchhaltevermögen, Verhandlungspotenzial und wissen, wie man gute Deals abwickelt. Das ist mehr als genug. Und wo bleibt denn auch sonst die Herausforderung? Wenn wir es richtig anstellen, können Sie es weit bringen! Die heutige Welt ist im Umbruch. Nutzen Sie dir Sensationsgier, den Blutdurst der Leute, Ihren Narzissmus, Ihre Naivität und Primitivität. Nutzen Sie Ihr Öl um damit aus der vorhandenen Glut ein Feuer zu schlagen. Was sollte da schief gehen?
(Geht hinüber zu einem massiven Schrank und holt ein Dokument hervor; überreicht dieses an Herr Sig und bedeutet ihm es durchzulesen)
Selbstverständlich ist es Ihre freie Entscheidung. Doch bedenken Sie Ihre missliche Lage. Die Presse mag Ihren Ausrutscher in einigen Wochen fast vergessen haben, aber die Namen werden Sie behalten. Womöglich wird man Sie eine ganze Weile auch mit besonderer Sorgfalt beobachten und auf den nächsten Fehltritt hoffen. Wollen Sie sich davon knechten lassen oder gehen Sie in die Offensive? ... Sie sind kein Mann, der sich bückt. Sorgen Sie dafür, dass man Ihnen zu Füßen liegt.
HERR SIG: (konzentriert lesend) Ich verstehe noch immer nicht, was Sie davon haben.
DR. SPIN: Nebst einer kleinen Aufwandsentschädigung ... Ich bin Stratege. Für mich ist die Gesellschaft mein Schachfeld - Schwarz und Weiß, beiderlei stets eng beisammen, aber am Ende geht eine Seite als Sieger hervor.
HERR SIG: ... Sie spielten sicherlich lieber schwarz, nehme ich an?
DR. SPIN: Das ist Ihre Interpretation. Und in diesem Fall mag sie gar zutreffend sein.
HERR SIG: Also gut, Herr Dr. Spin. Ich will als Ihr Bauer herhalten, Sie haben mein Interesse geweckt. Sollte ich mich blamieren, so haben Sie im Nu die besten Anwälte dieses Staates am Hals. Womöglich möchten sich diese dann mit Ihrem Titel oder den Geschäftsberichten Ihres ominösen Unternehmens befassen.
DR. SPIN: (beschwichtigend) Ich habe nichts zu verbergen! Aber keine Bange, soweit wird es nicht kommen. Millionär sind Sie bereits, aber der Aufstieg vom "Bauer" zum "Kanzler" - Der entspricht ganz meinem Sinne von modernem Schach. Den Rest wird der Ihnen ausgehändigte Vertrag regeln ... Ich benötige nur Ihre Signatur.
Herr Sig zögert, unterzeichnet dann jedoch schwungvoll.
DR. SPIN: Sehr schön. Ich danke Ihnen für Ihre Kooperation. Trinken Sie heute ein Glas Champagner auf Ihren spektakulären Wandel. Ich werde mich in Kürze mit Ihnen in Verbindung setzen um die restlichen Einzelheiten zu klären.
HERR SIG: Sie sind ein außergewöhnlicher Mann. Auch ich habe Ihnen zu danken! (Erhebt sich und reicht Dr. Spin die Hand)
Einen wunderschönen Tag wünsche ich Ihnen.
Herr Sig geht ab.
DR. SPIN: (kopfschüttelnd, doch freudig) Ich liebe die Menschen.
Reibt sich die Hände und greift nach dem Vertrag. Die Tasse, die er dabei streift, fällt um. Dunkelrote Flüssigkeit saugt sich in das Papier.
Freeze. Das Licht erlischt langsam.
(Es ist Nacht. AMELIE steht auf einem Hügel, schaut zu den Sternen hinauf und stellt sich auf ihre Zehenspitzen um noch näher an sie heranzukommen. Die Stimme des ERZÄHLERS setzt ein.)
ERZÄHLER:
Zu einer nicht bekannten Zeit
an einem nicht benannten Ort
steht Amelie des Nachts bereit,
schickt ihre Hilferufe fort.
AMELIE (mit schwacher, brechender Stimme):
Das Leben aller Menschen hier
ist grau und trist und hoffnungslos!
Des fremden Herrschers mächt‘ge Gier
macht Herzen schwer und Leiden groß.
In heftigster Verzweiflung nun
flehe ich dich, den Himmel, an!
Und würde alles, alles tun,
nähmst du dich diesem Volke an.
ERZÄHLER:
In dieser einen, stillen Nacht
erhört der Himmel ihren Ruf
und spricht durch Herzenswunsches Macht
mit ihr die sie den Wunsch erschuf.
HIMMEL (mit dröhnender Stimme):
Ich höre dich, mein liebes Kind
und möchte deinen Wunsch erhören!
Den bösen Herrschern, die sie sind,
wird meine Macht ihr Werk zerstören!
AMELIE (schaut mit glänzenden Augen weiter Richtung Himmel, eine Träne läuft über ihr Gesicht. Sie schlägt die Hände vor der Brust zusammen):
So hältst du auf die finst’ren Triebe!
Stoppst Not und Hunger, bist das Glück!
Und in die Welt, durch deine Liebe
kehrt Lebensfreude bald zurück!
Wie danken wir dir, großes Zelt,
das uns’re Leben überspannt
als starkes, edles Dach der Welt
uns schützt mit deiner sanften Hand?
HIMMEL (Bedauern schwingt in seiner Stimme mit):
Doch gutes Kind, so höre mich:
Getrennt sind unser beider Welten.
Und um zu wirken brauch‘ ich dich
sonst wird mein Wort bei euch nicht gelten.
Um meine Kraft zu euch zu tragen,
verlangt’s nach eines Menschen Geist.
Doch solltest du das Opfer wagen,
sei sicher, dass es Hilfe heißt.
(Ein Stern sinkt langsam von oben herab und landet sanft in AMELIES ausgestreckten Händen.)
HIMMEL:
Schließt du mit mir nun diesen Bund,
hauchst deine Seele in den Stern,
Vergehst du zwar, doch bist der Grund
Für freie Menschen, nah und fern!
(AMELIE schweigt und schaut auf den leuchtenden Stern in ihren Händen.)
ERZÄHLER:
Ihre Entscheidung schon getroffen,
nimmt Amelie im Stillen Abschied.
Als letzter Wunsch bleibt nur zu hoffen,
dass es im Sinn der Welt geschieht.
(AMELIE drückt den Stern an ihr Herz. Das Leuchten wird immer intensiver, bis der Stern sich von AMELIE löst und wieder in Richtung HIMMEL aufsteigt. AMELIES Körper bricht zusammen.)
ERZÄHLER:
Mit ihrer Menschenseele Macht
wird nun die Grenze überwunden.
Und Himmelslicht beleuchtet sacht
die Menschheit, kraftlos und geschunden.
(Der dunkle Nachthimmel wird taghell.)
ERZÄHLER:
Das reine Licht fährt in die Seelen
der Tyrannen und es macht sie
rein von Bösem, ihre Kehlen
künden nun von Sympathie.
Weit entfernt indes erwacht
Amelie im Himmelreich.
Ihr Geist nun Teil, in ganzer Pracht,
vom großen Ganzen, alle gleich.
AMELIE/HIMMEL (gleichzeitig, wie eine Stimme):
Nun sei willkommen, liebes Kind
denn deine Seele ist wie wir:
Denn jeder hier, wir alle sind
selbst wegen eines Wunsches hier.
Die erste Seele warst du nicht
und wirst auch nicht die letzte sein
die betete zum Himmelslicht
um and’re Menschen zu befrei’n.
Ich sehe nun auf diese Welt
und Frieden macht sich wieder breit.
Auf das die Menschheit ihn erhält
von jetzt an bis in ferne Zeit.
Doch weiß ich, denn das wissen wir,
hält Frieden so nicht ewig an.
Im Menschen tief verzahnte Gier
zeigt sich bald wieder dann und wann.
Bis dass das letzte, dunkle Herz
von meinem Licht erleuchtet wird
kehrt immer wieder auch der Schmerz
zurück bis man die Stimme hört.
Die Stimme einer reinen Seele
die mich um Hilfe bittet dann:
Dass ich doch bitte sie erwähle,
weil niemand sonst ihr helfen kann.
(Der Himmel verdunkelt sich wieder und alles ist wieder so, wie zu Beginn der Szene. Der Körper von AMELIE ist verschwunden.)
ERZÄHLER:
Ein weit’rer Kreislauf endet so,
doch diese Welt ist nicht befreit.
Es wiederholt sich anderswo,
zu einer nicht bekannten Zeit.
KLINIKUM MITTE - KRANKENZIMMER 205
KRANKENSCHWESTER tritt ein.
KRANKENSCHWESTER
Folgen Sie mir, bitte!
ALBERT folgt.
KRANKENSCHWESTER
Ich lasse Sie nun mit ihm alleine, wenn das Recht ist.
ALBERT
Ja, dankeschön.
KRANKENSCHWESTER geht ab.
GABRIEL (überrascht)
A-albert? Bist du es?
ALBERT
Ja, Großvater. Ich bin es.
GABRIEL (beschämt)
Es tut mir Leid, dass du das mit ansehen musst.
ALBERT
Schon gut, keine Sorge. Ich bin dafür bereit.
GABRIEL
Ich freue mich, dass du mich besuchst.
ALBERT
Ich freue mich ebenso, dass ich endlich die Zeit dazu gefunden habe.
GABRIEL (neugierig)
Wieso?
ALBERT
Du weißt doch am besten, wie das in der Firma abläuft.
GABRIEL
Oh-ja… Aber so ist das Berufsleben.
ALBERT (lachend)
Das stimmt.
Schweigen.
GABRIEL
Nun, wieso besuchst du mich?
ALBERT
Muss ein Besuch immer einen Grund haben?
GABRIEL
Nein, aber ich spüre doch, dass etwas los ist.
ALBERT (beschämt)
Es ist nicht so, dass wir dich aufgegeben haben.
GABRIEL
Aber?
ALBERT
Doch bevor es zu spät ist, möchte ich bei dir sein und diese Zeit genießen.
GABRIEL (berührt)
Das hast du schön gesagt.
Es klopft an der Tür.
KRANKENSCHWESTER kommt herein.
KRANKENSCHWESTER
Denken Sie bitte an ihre Tabletten, Herr Bach?
GABRIEL
Schieben Sie doch bitte nicht gleich so eine Panik.
Ich nehme sie in ein paar Minuten, versprochen.
KRANKENSCHWESTER geht zu ALBERT.
KRANKENSCHWESTER (flüstert zu ALBERT)
Können Sie ihn bitte gleich nochmal daran erinnern, die Tabletten zu nehmen?
Er vergisst solche Dinge leicht.
ALBERT (flüstert zu KRANKENSCHWESTER)
Keine Sorge, das mache ich.
KRANKESCHWESTER (flüstert zu ALBERT)
Dankeschön.
KRANKENSCHWESTER geht ab.
GABRIEL
Ein heißer Feger, nicht?
ALBERT (peinlich berührt)
Großvater!
GABRIEL
Ich meine ja nur.
Was hat sie dir denn zugeflüstert?
ALBERT (nachdenklich)
Hast du uns belauscht?
GABRIEL (lachend)
Obwohl ich was mit den Ohren habe, höre ich für mein Alter noch überraschend gut.
Außerdem hat sie nicht geflüstert, sondern hat dich eher angebrüllt.
ALBERT
Hast du eigentlich schon deine Tabletten genommen?
GABRIEL
Ja.
ALBERT
Und warum stehen sie dann noch auf deinem Nachtschrank?
GABRIEL
Das sind neue.
ALBERT (verwirrt)
Neue?
GABRIEL
Neue, ich darf sie erst drei Stunden nach den letzten nehmen.
ALBERT
Wann hast du denn die letzten eingenommen?
GABRIEL
Vor fünf Minuten.
ALBERT (nachdenklich)
Großvater, ich bin schon länger als fünf Minuten hier und habe nicht gesehen, dass du deine Tabletten genommen hast.
Wieso lügst du mich an?
GABRIEL
Weil es keinen Sinn mehr hat, diese Tabletten zu nehmen.
ALBERT (verwirrt)
Warum hat es keinen Sinn?
GABRIEL
Ich bin alt. Selbst wenn ich jetzt noch bis zum Lebensende Tabletten nehmen würde, würde ich auch nicht länger leben, als ohne.
ALBERT (geschockt)
A-aber sie helfen dir.
GABRIEL
Wobei?
ALBERT
Um dich gesund zu machen.
GABRIEL
Glaub mir, Albert, wenn ich sage, dass selbst Tabletten mir bei meinem Problem nicht helfen können.
ALBERT (neugierig)
Welches Problem?
ALBERTs Handy klingelt.
ALBERT
Entschuldige bitte.
Hallo?
STIMME (undeutlich)
A… h… d… e… s… v…?
ALBERT
Nein, natürlich nicht.
Ich mache mich gleich auf den Weg.
GABRIEL (neugierig)
Wer war das?
ALBERT
Ach, wie immer, die Arbeit. Ich muss jetzt los.
Wir reden darüber später weiter, einverstanden?
GARBIEL (zähneknirschend)
Einverstanden.
ALBERT (flüchtig)
Und vergiss nicht, deine Tabletten noch zu nehmen.
ALBERT geht ab.
Das Bühnenlicht geht aus.
Das Bühnenlicht geht an.
ALBERT tritt ein.
ALBERT
Großvater?
GABRIEL (überrascht)
A-albert? Bist du es?
ALBERT
Ja, Großvater. Ich bin es.
GABRIEL
Freut mich, dass du mich besuchst.
ALBERT (besorgt)
Was machst du denn nun schon wieder?
GABRIEL
Mein Herz mag mich nicht mehr.
ALBERT
Das wird schon wieder.
GABRIEL (leise vor sich hin)
Ja, das wird es wohl müssen.
ALBERT
Was sagtest du?
GABRIEL
Nichts wichtiges…
Ist es so kalt draußen, dass du eine dicke Jacke tragen musst?
ALBERT
Kalt trifft es gut.
Hast du mal aus dem Fenster geschaut?
GARBIEL
Nein.
ALBERT
Es schneit wie verrückt.
GABRIEL
Wie verrückt?
ALBERT
Stört es dich, wenn ich eine rauche?
Ich weiß, dass es normalerweise nicht -
GABRIEL
Schon gut, mach ruhig.
Bekomme ich auch eine Zigarre?
ALBERT (überrascht)
D-du rauchst?
GABRIEL
Normalerweise nicht.
ALBERT
Warum ausgerechnet jetzt?
GABRIEL (überlegt)
Ach, wenn du solange wie ich hier liegst, wirst du langsam verrückt und machst Dinge, die du normalerweise nicht machst.
Du rauchst doch auch nicht normalerweise, oder?
ALBERT
Eigentlich nicht.
GABRIEL (nachdenklich)
Wieso dann jetzt?
ALBERT
Darum.
GABRIEL
Was bedrückt dich?
ALBERT
Ich… ich habe Angst.
GABRIEL
Vor was?
ALBERT
Dass das hier alles Wirklichkeit wird.
GABRIEL
Das mit mir?
ALBERT
Ja.
GABRIEL
Es wird auch irgendwann passieren.
ALBERT (überrascht)
Was?
GABRIEL
Das ist der Lauf des Lebens.
ALBERT
Ich scheiße auf den Lauf des Lebens.
GABRIEL
Selbst du kannst dagegen nichts unternehmen.
ALBERT
Ich wünschte mir aber, ich könnte es.
GABRIEL
Ich bin froh, wenn das Ganze hier endlich vorbei ist.
ALBERT (überrascht)
Warum?
GABRIEL
Dann habe ich keine Scherzen mehr.
ALBERT (berührt)
G-großvater.
Das Bühnenlicht geht aus.
Das Bühnenlicht geht an.
ALBERT tritt ein.
ALBERT (besorgt)
G-großvater!?
Es klopft an der Tür.
KRANKENSCHWESTER tritt ein.
KRANKENSCHWESTER (überrascht)
Hallo? Ist alles bei Ihnen okay?
ALBERT (verzweifelt)
Wo ist mein Großvater?
KRANKENSCHWESTER (zögerlich)
E-es tut mir Leid, aber -
ALBERT (berührt)
Nein, er ist…?
KRANKENSCHWESTER
Sie haben mein tiefstes Mitgefühl.
ALBERT
Wann?
KRANKENSCHWESTER
Heute morgen gegen sechs Uhr.
ALBERT
Wie?
KRANKENSCHWESTER
Friedlich, im Schlaf.
Er hat keine Schmerzen gehabt.
ALBERT (denkt nach)
D-das ist gut, oder?
KRANKENSCHWESTER
Mehr als gut.
Nicht viele können einen solchen schmerzlosen Tod erleiden.
ALBERT
Danke.
KRANKENSCHWESTER
Soll ich Ihnen beim Einpacken helfen?
ALBERT
Nein, ich… ich mache das schon.
Vielen Dank.
KRANKENSCHWESTER geht ab.
ALBERT (in sich gekehrt)
Großvater, ich hoffe, du kannst mich hören.
Wenn es stimmt, was die Leute über das Leben nach dem Tod sagen, möchte ich dir mitteilen, dass ich hoffe, dass es dir nun besser geht und du an einem Ort bist, wo du keine Schmerzen mehr erfahren wirst. Ich hoffe, dass du von dort, wo du gerade bist, auf uns hinabschauen und uns beschützen wirst.
Es klopft an der Tür.
KRANKENSCHWESTER tritt ein.
KRANKENSCHWESTER
Entschudligung, störe ich?
ALBERT
Nein.
KRANKENSCHWESTER
Ich habe hier einen Brief, der von Ihrem Großvater von einer unserer Krankenschwestern in unserem Büro hinterlegt wurde und Ihnen nun ausgehändigt werden darf.
ALBERT (überrascht)
Ein Brief von Großvater?
KRANKENSCHWESTER geht ab.
GABRIELs STIMME
Lieber Albert, ich hoffe, du bist nicht allzu traurig, dass ich nun gehen musste. Es ist das Richtige gewesen, denn nun, so hoffe ich, werde ich an einem besseren Ort sein und nie wieder Schmerzen erfahren. Ich kann endlich zu Erna und mit ihr gemeinsam im Paradies leben. Endlich konnte ich es wagen, diesen Schritt zu gehen und meinem ehemaligen Leben lebewohl zu sagen - nun ist alles vorbei, was mir so viel Leid zugefügt hat. Ich habe dir in meinem Testament, das mein Anwalt bei sich in der Kanzlei aufbewahrt, die Firma überschrieben und hoffe, dass du ein verantwortungsvoller Firmenführer wirst und dich nicht verunsichern lässt. Mit deinem Vater an deiner Seite könnt ihr sie noch viel weiter ausbauen, als ich es tat und euer Leben glücklich gestalten. Doch trotz dieser großen Verantwortung, die viel Zeit benötigen wird, erwarte ich von dir, dass du das Leben in seinen Zügen genießt, denn es ist das wertvollste, was es gibt. Leider musste ich dies erst am Ende meines Lebens erfahren, doch dafür kann ich dir, meinem Enkel, diesen Tipp auf deinen noch weiten Weg mitgeben. Denke immer daran, dass es dort, wo es Täler auch Berge gibt und du noch jung bist und alles erreichen kannst, was du möchtest. Zuletzt möchte ich dir noch sagen, dass ich auf dich sowie deinem Vater stolz bin, dass ihr nicht aufgegeben habt, an mich zu glauben und nichts im Leben erlischt, wenn du diese Erinnerung in deinem Herzen trägst und aufbewahrst. In Liebe, dein Großvater.
ALBERT (gerührt)
Großvater… i-ich liebe dich. Du warst der beste Großvater, den ich hätte bekommen können. Ich danke dir dafür und ich hoffe, dass du mich dort oben mit offenen Armen empfangen wirst, wenn meine Zeit abgelaufen ist.
ALBERT geht ab.
Das Bühnenlicht geht aus.
Ein gemütlich eingerichtetes Büro mit Holzvertäfelung. Der PRÄSIDENT sitzt hinter seinem Schreibtisch. Der IMAGEBERATER tritt ein. Er hält eine Grafik in der Hand.
IMAGEBERATER Herr Präsident? Haben Sie vielleicht kurz eine Minute Zeit?
PRÄSIDENT Sicher, mein Bester. Immer doch. Sie sind ein guter Mann. Sie werden es weit bringen. Worum geht es denn?
IMAGEBERATER Sehen Sie, es geht um diese Grafik, die Ihre Beliebtheit repräsentiert. Die Kurve hier geht rapide nach unten.
PRÄSIDENT Und das heißt?
IMAGEBERATER Dass Sie immer unbeliebter werden.
PRÄSDIENT (schockiert) Aber wie ist denn das möglich?
IMAGEBERATER Tja, ich dachte auch nicht, dass Sie noch tiefer… Äh, ich meine, ich weiß nicht genau, woran es liegt.
PRÄSIDENT Ich hab mich doch immer korrekt verhalten, oder?
IMAGEBERATER (hastig) Oh, aber natürlich, Herr Präsident. Auf jeden Fall.
PRÄSIDENT Das dachte ich mir. Sie, mein Freund, Sie werden es noch weit bringen.
IMAGEBERATER Danke, Herr Präsident.
PRÄSIDENT Aber was machen wir nun? Wer hat diese Grafik überhaupt erstellt? Der soll gefeuert werden. Jemand anders soll das richtigstellen. Sofort. Augenblicklich. Ich will spätestens in zwei Stunden ein neues Ergebnis sehen. Die Medien sollen darüber berichten. Kümmern Sie sich darum.
IMAGEBERATER Selbstverständlich, Herr Präsident.
PRÄSIDENT Ich liebe es, Präsident genannt zu werden. Klingt einfach toll. Wichtig und furchteinflößend. Finden Sie nicht?
IMAGEBERATER Doch, natürlich. Herr Präsident.
PRÄSIDENT Was stehen Sie hier eigentlich noch? Sie sollten doch irgendwas machen. Ich hatte Ihnen gesagt, was es war. Kümmern Sie sich darum. Ich vertraue darauf, dass Sie es schaffen. Sie sind ein guter Kerl. Ich mag Sie. Sie werden es weit bringen.
IMAGEBERATER Danke, Herr Präsident. Ich meine nur, wir sollten vielleicht neben der Fälschu… Neben der Richtigstellung der Ergebnisse auch dafür sorgen, dass solche Fehler nicht wieder passieren. Und dafür müssten Sie vielleicht…
PRÄSIDENT Ich muss gar nichts. Ich bin der Präsident.
IMAGEBERATER Selbstverständlich, aber…
PRÄSIDENT Selbstverständlich, Herr Präsident.
IMAGEBERATER Selbstverständlich, Herr Präsident. Jedenfalls wäre es aber doch empfehlenswert, wenn Sie vielleicht ein bisschen etwas an Ihrem Auftreten abändern.
PRÄSIDENT Warum? Komme ich nicht gut rüber?
IMAGEBERATER Doch, Herr Präsident. Wirklich ausgezeichnet.
PRÄSIDENT Das will ich meinen. Also muss ich nichts ändern. Übrigens mag ich Sie. Sie leisten gute Arbeit.
IMAGEBRATER (optimistisch) Vielleicht sollten wir nicht davon sprechen, dass Sie etwas ändern müssten, Herr Präsident. Also sagen wir, dass es vielleicht profitabel wäre, wenn sie zusätzlich eine alternative Komponente zu Ihrem Auftreten hinzufügen würden.
PRÄSIDENT Hm. Das klingt schwierig. Ich mag es nicht, wenn Dinge schwierig sind. Ich mag es einfach. Einfach ist gut. Einfach ist toll. Einfach ist einfach. Wir brauchen mehr einfache Lösungen.
IMAGEBERATER (seufzend) Es wäre nicht so schwierig. Ich rede nur von einer Verlagerung des Gewichts weg von Provokationen und hin zu…
PRÄSIDENT Ich provoziere gerne. Das ist meine Art, damit bin ich weit gekommen. Sie werden es auch weit bringen, wenn Sie es genauso machen. Halten Sie sich einfach an mich. Arbeiten Sie fleißig. Vergeben Sie nicht. Entschuldigen Sie sich nie. Das ist ein Zeichen von Schwäche. Und Schwache kommen nicht weit. Ich war nicht schwach. Nur so habe ich das alles geschafft. Nur so läuft das. Nur so wird man ein Gewinner.
IMAGEBERATER (leicht verzweifelt) Ja, Herr Präsident. Aber, um vielleicht ein paar Leute anzusprechen, die nicht ganz so sehr von Ihnen überzeugt sind, wäre es gut, wenn Sie…
PRÄSIDENT Diese Leute brauche ich nicht. Die werden scheitern. Egal, was die sich vornehmen. Wer nicht auf mich setzt, ist ein Verlierer. Sie werden sehen. Meine Gegner werden alle verlieren. Aber wer mich unterstützt, ist ein Gewinner. Sie zum Beispiel. Sie sind ein Gewinner. Sie werden es weit bringen, wenn Sie auf meiner Seite stehen. Sie sind ein guter Mann. Ich mag Sie.
IMAGEBERATER Danke, Herr Präsident. Aber – verzeihen Sie mir bitte, dass ich so persönlich werde…
PRÄSIDENT Sagen Sie nie „Bitte“. Das wirkt schwach. Starke und mächtige Menschen bitten nicht, sie befehlen. Sie geben Anweisungen. Ich sage nie „Bitte“. Das sollten Sie auch nicht. Zu Niemandem. Niemand sollte um etwas bitten. So zeigt sich, wer stark genug ist, dass seine Anweisungen einfach befolgt werden. Das ist natürliche Auslese. So funktioniert das. So funktioniert Evolution. Deswegen habe ich es so weit gebracht. Weil ich diesen Prozess überlebt habe. Als der Stärkste. Das ist das Überleben der Fittesten.
IMAGEBERATER (leicht genervt) Ja, jedenfalls…
PRÄSIDENT Ja, Herr Präsident.
IMAGEBERATER Ja, Herr Präsident. Jedenfalls – wie gesagt, verzeihen Sie mir, dass ich so persönlich werde…
PRÄSIDENT Wie reden Sie denn mit mir? Sie befehlen mir gefälligst nicht, Ihnen irgendetwas zu verzeihen.
IMAGEBERATER Ich bitte um Verzeihung, Herr Präsident. Ich dachte nur, da ich „Bitte“ nicht sagen…
PRÄSIDENT Sie bitten um Verzeihung. Aber ich verzeihe nicht. Und Sie sollten nicht bitten. Das wirkt schwach. Niemals bitten Sie irgendjemanden um irgendetwas. Abgesehen von mir. Dann müssen Sie „Bitte“ sagen. Weil ich der Präsident bin. Ich bin ein wichtiger Mann. Haben Sie verstanden?
IMAGEBERATER (mit zusammengebissenen Zähnen) Ja, Herr Präsident.
PRÄSIDENT Gut. Ich mag Sie. Was wollen Sie denn nun die ganze Zeit sagen? Sprechen Sie frei heraus. Klartext reden, das ist wichtig. So habe ich es so weit gebracht. Wenn Sie es weit bringen wollen, müssen Sie es genauso machen.
IMAGEBERATER (nach kurzem Durchatmen) Also. Was ich sagen möchte: Wollen Sie denn nicht – wofür nur eine ein klein wenig höflichere Ausdrucksweise erforderlich wäre – die Zustimmung der Leute haben, die derzeit noch nicht … einhundertprozentig von Ihnen überzeugt sind? Also sehr wenig Aufwand mit einem verhältnismäßig dazu großen Gewinn. Wenn Sie…
PRÄSIDENT Nun machen Sie mal halblang. Das brauche ich nicht. Ich verliere mehr, wenn ich mich auch nur ein klein wenig ändere. So wie ich bin, ist es perfekt. Dadurch bin ich so weit gekommen.
IMAGEBERATER (nun etwas zorniger) Ja. Aber wenn Sie doch einfach nur aufhören, jeden, der etwas gegen Sie sagt, direkt auf heftige Art zu beleidigen, dann…
PRÄSIDENT Diese Leute verdienen es nicht anders. Sie müssen bestraft werden. Ich würde sie einsperren lassen. Vielleicht sollte ich das tun. Das ist eine gute Idee. Die ist mir gerade einfach so eingefallen. Brillant. Gucken Sie auch mal, ob sich da etwas machen lässt. Nachdem Sie das gemacht haben, was ich Ihnen schon gesagt hatte. Erst das eine, dann das andere. So machen Sie das.
IMAGEBERATER (fassungslos) Sie… Sie wollen politische Gegner einsperren lassen?
PRÄSIDENT Reden Sie mich gefälligst mit „Herr Präsident“ an. Das ist wichtig. Es klingt wichtig. Es klingt gut. Ich höre das gerne. Wenn Sie das machen, werden sie noch sehr weit aufsteigen. Halten Sie sich an meinen Rat. Ich weiß, wie man aufsteigt. Ich habe es schließlich geschafft. Daran sollten sich alle halten. Die Welt braucht mehr Menschen wie mich. Denken Sie dran.
IMAGEBERATER Ja… Herr Präsident…
PRÄSIDENT Sehr gut. Ich mag Sie. Sie sind ein guter Mann. Ich habe auch nur Gutes über Sie gehört.
IMAGEBERATER (bebend) Ja. Danke. Herr Präsident. Jedoch… Begreifen Sie eigentlich, dass Ihre Wiederwahl keinesfalls garantiert ist, wenn Sie nicht ein wenig…
PRÄSIDENT Meine Wiederwahl ist garantiert. Daran gibt es keinen Zweifel. Weil ich nichts an mir ändere. An meiner Gewinnerart ändert sich nichts. So läuft das.
IMAGEBERATER (sehr laut) Hören Sie, es kann doch nicht sein, dass Sie einfach nicht begreifen, dass Sie sich selbst scha…
PRÄSIDENT Nun schreien Sie mich nicht an. Und reden Sie mich gefälligst mit „Herr Präsident“ an. Das ist wichtig. Nur so werden Sie es weit…
IMAGEBERATER (explodiert) GAAAAAH!!!!
Der IMAGEBERATER greift über den Schreibtisch nach dem PRÄSIDENTEN und schüttelt ihn heftig.
IMAGEBERATER Nein, Herr Präsident! Nein, Herr Präsident! Nein, Herr Präsident!
PRÄSIDENT Was zur… Lassen Sie mich los! Hilfe! Hilfe! Sicherheitsdienst!
Zwei Sicherheitsleute in Anzügen stürmen hinein, packen den IMAGEBERATER und schleifen ihn hinaus.
IMAGEBERATER (strampelnd und vor Wut spuckend) Lasst mich los! Lasst mich zu ihm! Herr Präsident!! Herr Präsideeeeeeeeent!!!!
Nachdem der IMAGEBERATER abgeführt wurde, zupft der PRÄSIDENT seinen Anzug wieder zurecht.
PRÄSIDENT Nun, das passiert, wenn man sich gegen mich stellt. Ich lasse ihn einsperren. Ich wusste gleich, dass er ein Verlierer ist. Zu schwach. Das hat man gemerkt. Deutlich. Man muss es so machen wie ich. Nur so läuft das. Das ist wichtig. Ich bin wichtig. Ich bin der Präsident.
Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Der Vorhang fällt.