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Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

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    Ich freue mich über jeden, der hierher gefunden hat und wünsche einen angenehmen und hoffentlich auch unterhaltsamen Aufenthalt!


    Nachdem ich in meinem alten One-Shot Topic schon länger nichts mehr gepostet hatte und zudem in letzter Zeit relativ viele One-Shots schreibe, habe ich mich – in Absprache mit der Lieben @Kräme – entschlossen, ein neues Topic zu eröffnen, damit ich meine neueren Geschichten teilen kann.


    Was gibt es hier zu sehen?
    Nun, vorrangig schreibe ich One-Shots, die in Fandoms spielen, wobei ich hier vereinzelt auch kürzere Geschichten (sprich: Geschichten mit zwei bis vier Kapiteln, bei denen es sich kaum lohnen würde, ein neues Topic für sie zu eröffnen) posten werden, sowie ein paar tatsächliche Kurzgeschichten, also Geschichten des literarischen Genre „Kurzgeschichte“, die bei mir allerdings eher die Ausnahme sind. Ich habe an dem Genre eher wenig Spaß.


    Viele der One-Shots derweil werden sich um Paare drehen, zumeist Girls Love Paare, also romantische Beziehungen zwischen zwei Mädchen. Wer an so etwas Spaß hat, wird hier sicher einiges nach seinem Geschmack finden. Wer an so etwas keinen Spaß hat: Nun, es gibt auch ein paar andere Geschichten, es macht halt nur den Großteil aus.


    Darüber hinaus kann ich direkt sagen, dass das Fandom, das den größten Teil der Geschichten ausmachen wird, natürlich Digimon ist – allerdings über die verschiedenen Staffeln des Fandoms verteilt. Abgesehen von Digimon sind aber auch andere Fandoms wie beispielsweise Harry Potter, The Legend of Korra und natürlich auch Pokémon vertreten. :) Bei Digimon sind auch die meisten Paare angesiedelt, die nicht Girls Love sind, da ich hier durchaus auch Geschichten zu Hetero und Boys Love Paaren schreibe.


    Im eigenen Bereich, also bei den Geschichten ohne Fandom-Einfluss, werden die meisten Geschichten von Ivory, einer jungen durch genetische Modifikation erschaffenen Söldnerin, und den „Eisbären“, einer geschlossenen Polytriade in Kanada, handeln. Die Geschichten zu Ivory sind One-Shots im Cyberpunk-Genre, die Geschichten der Eisbären Slice of Life.


    Viel mehr gibt es auch nicht zu sagen!


    Ich wünsche viel Spaß mit meinen Geschichten. :)



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    [Digimon Adventure/02]


    My Sweet Valentine
    Mimi/Miyako, Alltag, Fluff


    Ungesagt
    Taichi/Koushiro, Alltag, Drama, Romantik



    [Digimon Tamers]


    Kinder
    Janyuu-centric, Janyuu/Mayumi, Alltag, Fluff



    [Chihiros Reise ins Zauberland]


    Zeit
    Kein (angedeutet Chihiro/Haku), Drabble(s), Fluff



    [Pokémon]

    Sommer ohne Dich
    Shirona/Hikari, Drama



    [The Legend of Korra]


    Unser Frieden
    Korra/Asami, Fluff



    [Shadowrun]


    Unerwünschte Gespräche
    Kein Pairing, Alltag


    [Castlevania]


    Ein Neues Leben

    Trevor/Sypha/Alucard, Slice of Life


    Nine Month [ENG]

    Trevor/Sypha/Alucard, Slice of Life


    A Strange Woman [ENG]

    Dracula/Lisa, Romance


    A Strange Man [ENG]

    Dracula/Lisa, Romance


    A Strange Outcome [ENG]

    Dracula/Lisa, Romance


    And Who Might You Be? [ENG]

    Original Female Character/Original Female Character, Action/Adventure


    Flirting Lessons [ENG]

    OFC/OFC, Humor


    Five Games Of Chess [ENG]

    Hector/Isaac, 5+1, Queerplatonic Romance


    A New Friend [ENG]

    Kein Pairing, Family Fluff


    Returning Nightmares [ENG]

    Kein Pairing, Hurt/Comfort


    A Game Of Nard [ENG]

    Kein Pairing, Boardgame Story


    Understanding [ENG]

    Hector/Isaac, Hurt/Comfort


    [Originale]


    [Eisbären am Strand]


    Eisbären & Kakao
    ♀/♀/♂, Alltag, Fluff



    [[EN]counters]


    [DIE STADT - 2082]
    ♀/♂, Cyberpunk, Drama


    [DIE STADT - 2084]
    ♀/♀ , Cyberpunk, Drama, Erotik



    [A Hare Among Wolves]


    Der unsichtbare Freund
    Kein Pairing, Krimi, Mystery
    | Part I & II | Part III & IV |



    [Manmade Myths]


    Engelsschatten
    Kein Pairing, Contemporary Fantasy, Action


    Der See unter dem See
    Kein Pairing, Atmosphärisch, Short


    Heimat
    Familie, Alltag, Short


    Fragen
    Kein Pairing, Mystery, Short


    Fisch! | Tier. Lieb? | Weiße Tiger
    Kein Pairing, Drabble, Humor


    Monsterjagd
    Kein Pairing, Action



    [Sonstige]


    Besenritt
    ♀/♀, Fantasy, Humor, Fluff


    Rusalkasommer
    Kein Pairing, Gruselgeschichte


    PAN

    Verschiedene Queere Paare, Gruselgeschichte


    Vanille Macchiato & Honigkuchen

    /♂/☿, Solarpunk Romanze


    Ungesehen

    ♂/♂/♀/♀/☿, Horror


  • Vorwort:
    Ich dachte, es wäre nur angemessen, wenn ich als erstes eine Digimon Girls Love Geschichte hochlade.
    Diese Geschichte ist im Frühjahr dieses Jahres zum Valentinstag entstanden. Es ist nichts großes, sondern nur eine kleine, fluffige Alltagsgeschichte mit Mimi und Miyako, die ein Date in New York zum Valentinstag haben.
    Noch eine kurze Erklärung zum Setting: Die Geschichte spielt zum Valentinstag 2009, Mimi und Miyako leben beide in New York und studieren, tri. ist nie passiert und immer mehr Leute haben Digimonpartner.
    Viel Spaß! :3


    My Sweet Valentine


    Wie immer war es voll am Time Square – vielleicht noch voller als normal, da sie nicht das einzige Paar waren, das zum Valentinstag hierher gekommen war.
    Manchmal fühlte Miyako sich hier noch immer beobachtet, wenn sie mit Mimi Händchen haltend durch die Straßen ging. Immerhin wusste sie, dass es Leute gab, die der Meinung waren, dass es Homosexualität und dergleichen nicht gab. Doch wahrscheinlich starrten bei weitem mehr Leute wegen der Digimon, die sie begleiteten.
    Poromon schaute aus ihrem Messangerbag heraus, während Palmon zielstrebig hinter Mimi herspatzierte.
    „Bist du dir sicher?“, fragte Miyako noch einmal, weil sie doch nicht umher kam ein schlechtes Gewissen zu haben. „Ich meine, ich bin dir nicht böse, wenn nicht und so.“
    Mimi lächelte nur breit und winkte ab. „Ach, jetzt hab dich nicht so. Wozu habe ich einen Nebenjob?“
    Miyako seufzte und zuckte mit den Schultern. „Manchmal frage ich mich das auch...“ Sie lachte leise, verhalten. Manchmal machte es ihr noch immer ein schlechtes Gewissen, dass Mimi, deren Vater gut verdiente, während sie auch noch einen Nebenjob in einem Restaurant hatte, gute zwei Drittel ihrer gemeinsamen Miete zahlte.
    Solche Ausflüge, wie an diesem Tag, machten es nicht besser. Immerhin war es doch alles nicht so billig, in der Nähe des Timesquare.
    „Jetzt schau nicht so“, meinte Mimi fröhlich. „Ich habe gesagt, es ist okay.“
    Was blieb Miyako schon übrig?
    „Wenn Mimi sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, dann kriegst du sie nicht mehr davon abgelenkt“, sprach Palmon aus, was Miyako dachte. Es grinste, was bei ihm manchmal ein wenig gruselig aussehen konnte.
    „Ich weiß, ich weiß“, murmelte sie. Sie sah zu ihrer Freundin hinüber. „Was soll ich nur dann am White Day machen?“
    „Was auch immer du willst“, erwiderte Mimi und zog sie kurz näher, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.
    Dankbarer Weise war das Wetter angenehm, wenngleich noch etwas kühl. Der Himmel war klar und sonnig. Ein perfektes Wetter für Valentinstag.
    Was Miyako nur so verunsicherte, war, dass Mimi darauf bestanden hatte, sie zum Essen in eins der besten Restaurants der Stadt einzuladen. Was in ihrem Fall natürlich bedeutete Essen für Vier, da sie die Digimon nicht einfach zurücklassen konnten. Und zumindest Poromon konnte gut zulangen, wenn man es ließ, während Palmon meistens die Central Park Erde bevorzugte, aber auch gegenüber normalen Essen nicht nein sagte.
    Miyako hatte es schon lange aufgegeben, die Biologie der Digimon zu hinterfragen. Digimon waren halt Digimon und mussten nach menschlichen Maßstäben keinen Sinn ergeben. Zwischen ihnen gab es eigene Regeln.
    Sie fragte sich allerdings auch, ob man sie mit den Digimon in ein Restaurant lassen würde. Immerhin waren viele Leute noch immer etwas misstrauisch, auch wenn Digimon nun seit drei Jahren auch von den USA anerkannt waren. Nach dem Chaos, das die Digimon damals über Weihnachten angerichtet hatten, als Arachnemon und Mummymon die verschiedensten Digimon in die Menschenwelt gelassen haben, war es auch nur eine Frage der Zeit gewesen.
    Doch an dem Misstrauen vieler Menschen änderte es nichts. Ganz verdenken konnte sie es ihnen nicht. Wer wollte schon jemanden in einem Haus sitzen haben, der rein theoretisch plötzlich und ohne Vorwarnung zu einem vier Meter Dino wachsen konnte? Oder im Fall von Pallmon zu einem fünf Meter Kaktus...
    „Jetzt schau nicht so nachdenklich“, meinte Mimi und drückte ihre Hand. „Ich habe doch gesagt: Alles ist in Ordnung. Entspann dich. Genieß den Tag! Das ist ein Befehl.“ Sie zwinkerte.
    „Ist ja schon gut“, erwiderte Miyako mit einem gespielten Seufzen. „Ich habe mich nur gefragt, ob das Restaurant uns überhaupt mit den Digimon reinlassen wird.“
    „Im Notfall bleiben wir halt draußen“, meinte Poromon aus ihrer Tasche heraus. „Dann könnt ihr euren Tag genießen.“
    „Wir könnten zum Central Park gehen“, stimmte Palmon zu. „Macht euch keine Sorgen!“
    „Ach glaubt mir, ich bekomme euch schon rein.“ Mimi sah die beiden Digimon entschlossen an.
    „Na, wenn du das sagst...“ Miyako sah sie nicht ganz überzeugt an. Hoffentlich machte Mimi nicht zu große Probleme – manchmal konnte sie ein wenig unheimlich werden, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte...


    Zu Miyakos Überraschung hatten sie keinerlei Probleme. Die Kellnerin, die sie zu einem Tisch brachte, warf den Poromon und vor allem Palmon zwar misstrauische Blicke zu, aber sagte nichts. Offenbar war sie angewiesen worden, Digimon hinein zu lassen, wenn diese in Begleitung menschlicher Partner waren.
    Obwohl es erst früher Nachmittag war, war das Restaurant relativ voll. Bereits am Aushang hatte Miyako sehen können, dass sie in einer Valentinsaktion die Preise für Paarmenüs herunter gesetzt hatten – was nicht hieß, dass es nicht dennoch teuer war.
    „Und?“, fragte Mimi über dem gegrillten Huhn, das ihnen auf einer Platte serviert worden war.
    „Es ist gut“, erwiderte Miyako. „Danke.“ Sie lächelte ihre Freundin an.
    Poromon hielt sich derweil vorsichtig vom Hühnchen zurück und murmelte etwas davon, dass es nicht ganz moralisch korrekt für es wäre, sich an Geflügel zu vergreifen. Stattdessen begnügte es sich mit Pommes, die dazu serviert worden waren.
    Das Restaurant war ohne Zweifel ein besseres, aber amerikanisches Restaurant. Das bedeutete, dass es vor allem gegrillte und frittierte Gerichte gab, allerdings mit hausgemachten Marinaden und Soßen. So war das Hähnchen in eine süßlich schmeckende Soße getaucht, die offenbar aus Zuckerrüben gewonnen worden war.
    „Was meinst du sollen wir mit dem Rest des Tages machen?“, fragte Mimi nach einer Weile, als sie den großen Servierteller beinahe geleert hatten.
    Miyako zögerte für einen Moment. „Was hälst du davon, wenn ich dich auch zu etwas einlade?“ Sie wollte sich nicht den ganzen Tag ausgeben lassen. „Vielleicht Nachtisch?“
    „Das musst du nicht“, erwiderte Mimi.
    „Aber ich möchte es.“ Miyako sah sie an. Für ein wenig Kuchen – und sei es nur vom Starbucks – hätte sie schon noch das Geld übrig. „Lass uns nachher etwas Kuchen holen.“
    Für einen Moment beobachtete Mimi sie. „Gegenvorschlag: Wir holen uns gleich einen Kaffee und wenn wir daheim sind beim Supermarkt einen Kuchen.“
    Miyako seufzte und sah zu Poromon, das nur die Augen verdrehte.
    „Wir könnten einfach gleich in den Central Park“, meinte Palmon vorsichtig.
    Daraufhin nickte Mimi. „Lass uns das machen. Wir holen uns einen Kaffee bei Star Bucks und setzen uns dann in den Central Park. Was meinst du?“
    „In Ordnung“, stimmte Miyako zu, auch wenn sie sich dennoch etwas schlecht fühlte.
    Auf der anderen Seite hatte Mimi Recht. Ihr eigenes Geld reichte kaum für ein besseres Café oder auch nur ein einfaches Café in der Nähe des Big Apple. Zwar hatte sie auch einen Nebenjob an der Universität, doch war dieser mit dem Mindestlohn und den wenigen Stunden, die in ihrem Vertrag standen, nicht besonders wirtschaftlich für sie. Es reichte für ihren Teil der Miete und normales Essen, aber wenig mehr. Zwar hatte sie auch noch ein Stipendium, doch war sie froh, dass dieses einen guten Teil der Universitätskosten abdeckte, für mehr reichte es jedoch nicht.


    „Kopf hoch“, meinte Mimi, als sie etwas später das Restaurant verließen. Sie lächelte sie an und nahm wieder ihre Hand. „Jetzt komm schon, schau nicht so drein.“
    Miyako seufzte. „Ich wünschte mir nur, du würdest nicht alles für mich zahlen...“
    Nun war es Mimi, die ebenfalls seufzte. Sie machte ein paar schnelle Schritte und stellte sich vor Miyako. „Mach dir deswegen nicht solche Gedanken. Miya-chan.“ Sie standen gerade an der Ecke, wo die Straße, in der das Restaurant gelegen gewesen war, auf den Broadway führte. „Ich möchte, dass du einen schönen Tag hast.“
    „Ich weiß“, murmelte Miyako, konnte aber ihre Bedrückung nicht ganz verbergen.
    „Dann lächele für mich“, meinte Mimi und beugte sich vor, um sie sanft auf die Lippen zu küssen. „Miya-chan.“
    Miyako sah sie verhalten an, holte dann aber tief Luft und brachte sich schließlich zu einem Lächeln. „Danke, Mimi.“ Sie merkte, dass ihre Wangen etwas brannten. „Du bist so...“
    Mimi unterbrach sie: „Lieb? Toll? Hübsch? Reizend?“, schlug sie grinsend vor. „Das weiß ich.“
    „Mimi-san...“, murmelte Poromon entgeistert.
    „Was?“, erwiderte sie frech. „Ist doch die Wahrheit.“
    Miyako spürte, wie ihr eigenes Lächeln breiter wurde. Sie wusste, dass Mimi sich so gab, um sie aufzuhalten – nun, und vielleicht auch ein wenig, weil sie wirklich so dachte. „Alles drei, äh, vier“, erwiderte sie.
    Mimi strahlte. „Ich weiß!“, sagte sie noch einmal. Ehe sie auf Englisch hinzufügte: „That's because I love you.
    Nun war es an Miyako, sich vorzubeugen, um sie zu küssen. „I love you, too.“ Sie lächelte. „Na dann“, murmelte sie. „Was meinst du? Starbucks?“
    „Starbucks“, bestätigte Mimi und nahm wieder ihre Hand. „Machen wir uns einen schönen Tag, my lovely Valentine.

  • Hab nicht wirklich viel zu sagen. Die Story ist angenehm zu lesen, die Länge gefällt mir auch ganz gut.
    Durch die Thematik mit den Finanzen zog sich die ganze Geschichte lang und hat recht gut bei der Charakterisierung geholfen. Man hat sehr gut verstanden das es Miyako unangenehm ist, weil sie Mimi nicht auszunutzen möchte und sie nicht genug Geld hat um sich alles zu leisten was sie gerne möchte und auch Mimis Charakter konnte man sehr leicht einordnen.
    Außerdem handelt es sich bei den Finanzen, um ein sehr normales Alltagsproblem vieler Leute, weshalb die Charaktere etwas echter rüber kommen. Alltagsszenen versuchst du immer so zu schreiben, das man denkt, dass sich die Charaktere auch im RL so verhalten/unterhalten könnten und zumindest in den Geschichten, die ich zuvor schon gelesen habe scheinst du diesen Job auch sehr, sehr gut zu machen.


    Ist es nicht auch knifflig Charaktere zu beschreiben, die nicht von dir stammen? Viele Autoren würden niemals über reale Personen, oder Charaktere von anderen Schreiben, weil sie es einfach nicht können. Ist das kein Problem?


    Wirkliche Kritikpunkte sind das nicht. Sie stören mich nicht weiter, aber es viel mir nur auf das:

    Poromon hielt sich derweil vorsichtig vom Hühnchen zurück und murmelte etwas davon, dass es nicht ganz moralisch korrekt für es wäre, sich an Geflügel zu vergreifen.

    In der Babyform ist es vielleicht etwas anderes, aber eigentlich ist es doch ein Raubvogel und die ernähren sich auch von anderen Vögeln. Von daher unnötig. Mimi, oder Miyako könnten stattdessen fragen, ob es Poromon etwas ausmacht.

    Doch wahrscheinlich starrten bei weitem mehr Leute wegen der Digimon, die sie begleiteten.

    Ist es üblich, andere Leute zu seinem Dates mitzunehmen? Von Doppeldates abgesehen. Ich erinnere mich, dass sich dein Pärchen in AG nicht so sehr auf den Besuch gefreut hat, also stört es sie nicht?
    Ich meine es sind zwar Tierwesen, aber sprechende mit menschlicher Intelligenz.

  • Die Story ist angenehm zu lesen, die Länge gefällt mir auch ganz gut.

    Vielen Dank. Es freut mich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Ich werde in Zukunft sicher noch ein paar Geschichten dieser Art hier teilen. Halt Geschichten, die sich vorrangig um ein wenig Alltag drehen. Ich finde diese immer eine nette Abwechselung zu schreiben zwischen den verschiedenen meist eher Actionlastigen Werken, die ich ansonsten zu schreibe :P


    Kommen wir zu deinen Antmerkungen. :3



    Ist es nicht auch knifflig Charaktere zu beschreiben, die nicht von dir stammen? Viele Autoren würden niemals über reale Personen, oder Charaktere von anderen Schreiben, weil sie es einfach nicht können. Ist das kein Problem?

    Nun, über reale Personen würde ich auch niemals schreiben. Das finde ich ehrlich gesagt immer unverschämt. Eine reale Person hat persönlichkeitsrechte und sie in eine Geschichte zu schreiben verletzt diese.
    Die Figuren anderer Autoren finde ich per se allerdings nicht problematisch und ich finde es an sich auch nicht schwer, diese zu schreiben, wobei es natürlich immer auf die Figur ankommt. Immerhin gibt es ein paar Serien, die ich sehr mag, zu denen ich aber nie eine Fanfiction schreiben würde, weil ich die Welt und/oder die Figuren zu komplex finde und nicht glaube, diesen Gerecht werden zu können. Tolkins Werke sind zum Beispiel für mich dahingehend ein No Go.
    Digimon allerdings hat selbst an seinen besten Stellen (aka Tamers) noch immer relativ simple Charaktere, in die man sich leicht hinenversetzen kann, wie ich finde. Entsprechend ist es nicht das Problem.
    Und gerade bei Charakteren aus dem Adventure-verse finde ich es sehr leicht, weil man hier ohnehin einen recht komplexen Headcanon aufbauen kann, ohne der Seriencharakterisierung zu widersprechen.



    In der Babyform ist es vielleicht etwas anderes, aber eigentlich ist es doch ein Raubvogel und die ernähren sich auch von anderen Vögeln. Von daher unnötig. Mimi, oder Miyako könnten stattdessen fragen, ob es Poromon etwas ausmacht.

    Es ist an einen Raubvogel angelehnt, aber an sich ist es ja kein Raubvogel. Es ist ein Digimon, das den Namen und das Aussehen eines Raubvogels hat, dabei aber durchaus intelligenz und persönlichkeit besitzt. Meine Interpretation - gerade da Hawkmon ja etwas steif ist und Dinge oft sehr ernst nimmt - ist, dass es moralisch es nicht mit sich vereinen kann, etwas zu essen, dass zumindest theoretisch ihm so ähnlich ist.



    t es üblich, andere Leute zu seinem Dates mitzunehmen? Von Doppeldates abgesehen. Ich erinnere mich, dass sich dein Pärchen in AG nicht so sehr auf den Besuch gefreut hat, also stört es sie nicht?
    Ich meine es sind zwar Tierwesen, aber sprechende mit menschlicher Intelligenz.

    Nun, hier zur Erklärung zwei Dinge.
    Zum einen musst du sehen, dass der halbe Sinn dahinter, Slice of Life Stories im Adventure-verse zu schreiben, für mich ist, dass es eben möglich ist, Slice of Life mit Digimon zu schreiben.
    Zum anderen sehe ich die Digimon - speziell im Adventure-verse - als einen Teil der jeweiligen Kinder an, ähnlich wie die Daemonen in His Dark Materials (das ja auch Inspiration dahingehend war für das Partner Konzept), die eben effektiv einen Teil der Seele ihrer menschlichen Gegenstücke repräsentieren. Deswegen ist es für die Digimon (wie in 02 erarbeitet) auch so wichtig, in der Nähe ihrer Partner zu sein - jedenfalls in meiner Interpretation.

  • Viel kann ich echt nicht an der Geschichte bemängeln, von daher spare ich mir irgendwelche künstlichen Verlängerungen meines Postes, wie nett dich deine Kurzgeschichte doch finde. ^^ Ich lese manchmal echt total gerne Slice of Life oder schaue es mir an, weil es einfach total alltäglich ist und einen doch an das eigene Leben erinnert. Zugegeben war ich damals nie wirklich so angetan von Mimi, aber in deiner Eigeninterpretation finde ich sie mit Miyako doch ganz niedlich und es lässt sich schön lesen. Dass die Digimon jetzt dabei waren fand ich jetzt nicht störend, für mich wäre das in Digimon ganz normal.


  • Vorwort:
    Erst einmal: @Ravyn, vielen Dank für den superlieben Kommentar <3 Der hat mich so wirklich gefreut. (Ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die immer superlange Kommentare brauchen xD Ich bin auch mit einer kurzen Rückmeldung zufrieden :)) Für mich ist Mimi ja nachwievor einer meiner Lieblinge. Sie und Miyako sind mittlerweile beide in meinen Top 3 für das Universum. :P


    Ich habe ein wenig über meine zweite Geschichte, die ich hier poste und mich schließlich für Sommer ohne Dich entschieden. Eine Geschichte, die ich letzten Sommer im Rahmen einer Challenge geschrieben habe. Die Person, die mir die Aufgabe gestellt hat, wünschte sich Hikari X Shirona zu dem Lied Eterno Augusto. Ein Spanischer Song, der von einer Person handelt, die gerade von ihrer Freundin verlassen wurde. :) Entsprechend: Diese Geschichte spielt zu einem Zeitpunkt, wo Shirona Ende und Hikari Anfang 20 ist und die beiden ein paar Jahre zusammen waren. Bis...



    Sommer ohne Dich





    — ✴ —


    2 Tage


    — ✴ —

    Der Sommer an der Küste von Isshu war warm und schwül. Obwohl die Nacht schon herein gebrochen war, hatte sich die Luft kaum abgekühlt und auch die Wellen, die ihre Füße umspülten, vermochten Shirona keine Abkühlung verschaffen.
    Sie konnte nicht schlafen, wie sie auch in den letzten Nächten nicht hatte schlafen können. Die Luft war zu drückend, die Nächte zu heiß, doch dass war es nicht, das sie bedrückte. Viel mehr war es die Tatsache, dass sie allein war – zumindest fühlte sie sich so.
    Sicher, da war Glacia, das um ihre Füße herum tollte und Eiskristalle im Wasser erscheinen ließ, und auch Goburias, das im Sand lag und ihr nachdenklich zusah. Doch war es anders mit den Pokémon. Sie waren ihre Freunde. Sie waren ein Teil von ihr. Goburias begleitete sie nun schon so lange – mehr als die Hälfte ihres Lebens war es an ihrer Seite gewesen.
    Aber es war anders. Denn sie vermisste einen Menschen, ein Mädchen, nein, eine junge Frau, die sie die letzten Male hierher nach Sazanami begleitet hatte.
    Als Hikari sie das erste Mal begleitet hatte, war das Mädchen gerade einmal elf Jahre alt gewesen, noch ein Kind – selbst wenn rechtlich bereits volljährig, zumindest in ihrer Heimat: Sinnoh. Doch das war nun schon lange her und seither war Hikari in jeder Hinsicht zu einer jungen Frau heran gewachsen.
    Und Shirona selbst? Nun, sie war beinahe dreißig, eine Erkenntnis, der sie beide nicht ewig hatten entgehen können. Vielleicht war es die ganze Zeit nur ein Traum gewesen, eine Lüge, die sie sich selbst erzählt hatte.
    Ja, vielleicht war sie es gewesen, die ein kleines Mädchen gewesen war. Vielleicht hatte sie sich einfach nur trösten wollen? Ja, vielleicht, vielleicht... Vielleicht dachte sie auch einfach nur zu viel darüber nach.
    Was Hikari nun wohl tat? War sie bei jemand anderen? Hatte sie jemanden gefunden, der besser zu ihr passte? In der Welt gab es so viele Trainer, so viele Koordinatoren, so viele Abenteuer zu erleben.
    Doch Shirona war hier: Am Strand von Sazanami, wo die Wellen in einem regelmäßigen Rhythmus über den Sand spülten und ein viel zu heißer Wind vom Meer her wehte. Wo eine Gruppe Camome kreischend über den Himmel flog, an dem eine dünne Mondsichel stand. Ein Strand, der nun in der Nacht vollkommen verlassen da lag, doch tagsüber von Touristen aus der ganzen Welt besucht wurde.
    Sie dachte nicht darüber nach, warum Hikari gegangen war, wollte nicht entscheiden, ob sie sich selbst oder Hikari Vorwürfe machte – ja, wollte ihr keine Vorwürfe machen. Sie hatte gesagt, sie müsse denken, hatte gesagt auch sie – Shirona – solle vielleicht nachdenken. Sie hatte gesagt, sie würden sich wiedersehen und Shirona der Frage überlassen, ob sie das wollte.
    Denn sie war sich sicher, würde sie Hikari an der Seite eines anderen sehen, würde es ihr das Herz brechen.
    War sie wirklich so melodramatisch?
    Beinahe hätte sie bei diesem Gedanken gelacht, wäre ihr nur nach Lachen zu Mute gewesen. Stattdessen ließ sie sich in den Sand fallen und starte auf das Meer hinaus. Sie wusste, sie sollte schlafen, doch fand sie keine Ruhe.
    Schwere Schritte erklangen hinter ihr. Dann beugte Goburias seinen Kopf zu ihr herunter und ließ ihn einen knappen Zentimeter über ihrer Schulter schweben. „Gobu“, dröhnte es mit schwerer Stimme und sie wusste, dass es sich Sorgen machte.
    „Ist ja schon gut“, meinte sie. „Es wird schon wieder gut...“


    — ✴ —


    24 Tage


    — ✴ —

    Die Tage krochen dahin. Es kam ihr vor, als würde die Zeit gar nicht vergehen. Jeder Tag, jede Stunde schien endlos zu sein. Was war nur mit ihr los?
    Sie kannte den Namen für dieses Gefühl: Melancholie. Zu gut nur erinnerte sie sich daran, als es ihr das letzte Mal so gegangen war, doch damals hatte sie ein Mittel gekannt: Training. Reisen. Sie war damals nach Hoenn gereist, hatte die dortige Liga herausgefordert, hatte am Ende den zweiten Platz belegt, war weiter gereist. Sie hatte die Geheimnisse der Pokémon erforscht, hatte neue Menschen und neue Pokémon kennen gelernt. Am Ende war sie zur Meisterin Sinnohs geworden, dann zur Champion.
    Sie hatte die Legenden der Pokémon studiert und sich in ihre Pflichten als Champion vertieft. Sie war so viel gereist, hatte so viel gekämpft. Sie hatte sich abgelenkt, von den Dingen, die sie wirklich bedrückten.
    Damals hatte sie sich verantwortlich gefühlt, auch wenn sie gewusst hatte – immer noch wusste – das was geschehen war nicht in ihrer Hand gelegen hatte. Dennoch hatte sie sich so oft gefragt, ob sie ihn – Akagi – hätte stoppen können. Am Ende jedoch war es nicht sie gewesen, die Akagi gestoppt hatte, sondern der Junge, Satoshi, und Hikari, zusammen mit Handsome und dem Idioten-Trio.
    Für lange Zeit hatte sie nicht gewusst, wie sie sich fühlen sollte, aber am Ende war sie ihnen dankbar gewesen, dankbar, dass alles ein Ende hatte. Sie war dankbar gewesen, als der Junge, Satoshi, sie besiegt hatte, und sie endlich weiterreisen konnte.
    Und so war sie gereist, bis sie Hikari wieder getroffen hatte.
    Shirona vermochte nicht zu sagen, warum sie nun hier war, in Sazanami, allein, warum sie nicht wieder reiste. Doch dieses Mal fehlte ihr der Antrieb. Dieses Mal wusste sie nicht wohin. Vielleicht war es, weil sie, Hikari, anders gewesen war vielleicht war es aber auch, weil sie, Shirona, sich ihrer selbst nicht mehr sicher war.
    Wollte sie weiter trainieren? Wollte sie neue Gegner herausfordern? Wollte sie weiterreisen? Oder wollte sie vielleicht einfach zur Ruhe kommen? Ein seltsamer Gedanke, nachdem sie so lang gereist war.
    Wo sollte sie hin? Zurück nach Kannagi, jenem kleinen verschlafenen Stadt im Norden Sinnohs? Konnte sie wirklich wieder zu dem ruhigen Leben dort zurückkehren? Nein, wenn sie ehrlich mit sich war, konnte sie sich so ein Leben nicht vorstellen, noch nicht. Doch brachte sie das nicht weiter in der Frage, was es war, dass sie wollte?
    Gedankenverloren starrte sie von dem Balkon der kleinen Villa auf das Meer hinaus, während das Buch, dass sie eigentlich hatte lesen wollten, schon seit beinahe einer Stunde auf ihrem Schoß ruhte. Sie konnte sich nicht darauf konzentrieren.
    Ja, was war es, dass sie wollte?
    Ihr wurde langsam klar, dass es diese Frage war, die Hikari gemeint hatte, als sie ihr zum Abschied sagte, dass auch sie nachdenken sollte. Ja, Hikari hatte Recht gehabt. Sie hatte eine wichtige Sache aus den Augen verloren. Sie wusste nicht mehr, was sie selbst machen wollte, was sie machen sollte, wo ihr Platz in der Welt war.
    Seit wann?
    Nein, vielleicht hatte sie es nie gewusst.


    — ✴ —


    42 Tage


    — ✴ —

    Wolken zogen über dem Meer auf, brauten sich zu einem Sturm zusammen. Ein Naturschauspiel.
    Es war ein Nachmittag, doch die dunklen Wolken ließen den Strand vor dem Haus im Schatten zurück. Der aufkommende Sturm rüttelte an den großen Balkonfenstern des Hauses, während Shirona auf dem Sofa saß und sich fragte, ob sie früher nicht einmal in den Sturm hinausgelaufen wäre.
    Doch nun hatte sie nur das Licht angeschaltet, so dass sich das Raum innere im Glas der Fenster reflektierte.
    Regen begann zu fallen. Erst war es nur ein milder Schauer, dann – plötzlich – prasselten schwere Tropfen gegen die Scheiben, während draußen der erste Donner über das Land rollte.
    Shirona seufzte und stand auf, um zum Fenster zu gehen und hinaus zu schauen. Die Wolken schienen beinahe Pechschwarz zu sein und erinnerten sie an Unwetter, wie sie manchmal von mächtigen Pokémon beschworen wurden.
    Sie konnte sich noch gut an viele Male erinnern, die sie bei einem Unwetter draußen verbracht hatte und unter Brücken oder in Höhlen Zuflucht gesucht hatte. An Unwetter, bei denen sie zum nächsten Pokémon Center gerannt war, um in warme, trockene Innere zu kommen.
    Sie erinnerte sich jedoch auch noch an die dunklen Wolken, die erschienen waren, als Akagi mithilfe von Dialga und Palkia das Dimensionstor geöffnet und am Ende, als er keine Wahl hatte, als sich zu ergeben, durch das Tor hindurch geschritten war und damit – wahrscheinlich – den Tod über die Gefangenschaft gewählt hatte.
    Vielleicht war das wirklich erschreckende, dass es nun schon mehr als zehn Jahre her war.
    Natürlich waren seither andere gekommen, die Pokémon nutzen wollten, um Macht zu gewinnen oder einfach nur fehlgeleitet waren.
    Ein Blitz zuckte über den Himmel und mit einem Flackern ging das Licht aus. Wahrscheinlich war eine Leitung getroffen worden. Es würde sich wieder beheben.
    Für einen Augenblick huschte so etwas wie ein ironisches Lächeln über ihr Gesicht, als ein Teil ihrer selbst feststellte, wie treffend dies für ihre aktuelle Situation war, oder viel eher, dass es eine passende Analogie für ihre Gefühle war.
    Als sie vor vier Jahren in Johto auf Hikari getroffen war, war sie selbst an einem dunklen Ort gewesen. Sie hatte nie gelernt, hatte nie lernen wollen, mit diesen Dingen anders umzugehen, als davor zu fliehen. Nein, es war keine Flucht gewesen, zumindest hatte sie es selbst nie so empfunden. Viel mehr war sie einfach nie lang genug stehen geblieben, um sich mit jener Dunkelheit zu befassen.
    Egal wie oft sie sich gesagt hatte, dass sie nie etwas hätte tun können, so hatte sie doch nie daran geglaubt. Sie war mit Akagi zusammen gereist, hatte ihn bewundert, geliebt und doch nichts tun können, als er nach und nach dem Wahnsinn verfallen war. Sie hatte es sich nie verziehen.
    Aber dann hatte sie Hikari getroffen und ohne sagen zu können, was passiert war, was es genau gewesen war, das sie dazu gebracht hatte, hatte sie mit ihr gesprochen, hatte sich ihr geöffnet und neue Hoffnung geschöpft.
    Hikari war ihr Licht gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes. Ohne je darüber nachgedacht zu haben, hatte sie sich in das Mädchen verliebt und tatsächlich hatte Hikari die Gefühle erwidert – zumindest glaubte Shirona das.
    Doch jetzt war auch Hikari gegangen und sie stand hier allein, in der Dunkelheit.


    — ✴ —


    69 Tage


    — ✴ —


    Tag um Tag kroch dahin. Langsam, aber sicher begann Shirona in Erwägung zu ziehen, Sazanami zu verlassen, doch noch immer wusste sie nicht wohin. Sie wollte einen Ort finden, an den sie gehörte, hatte aber keine Ahnung, wo sie zu suchen beginnen sollte.
    Wie beinahe jeden Tag, seit sie hergekommen war, war sie in Gedanken vertieft, während sie an der Promenade des nun gut gefüllten Strandes entlang lief. Sie hatte ihre Pokémon, zumindest die Pokémon, die sie aktuell mit sich führte, aus ihren Pokébällen gelassen, so dass sie nun hinter oder vor ihr herliefen und im Falle Gracias immer wieder um sie herumliefen.
    Ihr Blick glitt über den Strand, den Kinder entlang tollten. Manche von ihnen wurden von Pokémon begleitet, andere waren noch zu jung. Da waren Leute, die sich einfach nur sonnten, Schwimmer im Wasser, Jugendliche, die sich einen Wasserball zuspielten.
    Da waren zwei Jungen, die sich am Rand des Strandes einen Pokémon-Kampf lieferten.
    Shirona blieb stehen und sah zu.
    Die beiden Jungen – der eine war dunkelhäutig und trug die Haare eng an den Kopf geflochten, der andere hatte wirres, braunes Haar, das ihm vom Wind immer wieder in die Augen geweht wurde – schienen noch jung zu sein, vielleicht zwölf oder dreizehn Jahre alt. Sie schienen noch nicht lange Trainer zu sein, wenn sie sah, dass beide doch unsicher waren und viele voreilige Kommandos gaben.
    Der eine Junge, der sich wieder sein Haar aus den Augen wischte, hatte ein Emonga eingesetzt, der andere ein Hiyappu, das nun immer wieder versuchte das flinke Flughörnchen mit einer Aquaknarre zu treffen, nur um dann aus dem Weg zu springen, wenn kleine Funken den Boden vor seinen Füßen trafen. Vielleicht wusste er nicht von den Effektivitäten der Attacken, vielleicht glaubte er auch einfach, er selbst oder sein Pokémon sei so gut um diesen Regeln des Kampfes unterworfen zu sein.
    Vielleicht würde er lernen, vielleicht würde er aber nach einem Jahr einen anderen Weg einschlagen.
    Shirona konnte sich noch daran erinnern, wie es gewesen war, auf ihrer ersten Pokémon-Reise auf andere Trainer zu treffen. Als sie auf ihrer ersten Reise gewesen war, hatte sie selbst noch viele Fehler gemacht und doch war es jeden Tag ein wenig aufregend gewesen, als sie nicht wusste, was sie am nächsten Tag erleben würde. Jeder Tag schien voller neuer Möglichkeiten. Es gab neue Trainer zu treffen, neue Pokémon zu fangen. Es war das genaue Gegenteil von dem, was sie nun fühlte.
    Vielleicht sollte sie tatsächlich noch einmal auf eine Reise gehen. In eine Region, die sie noch nicht bereist hatte, in der sie tatsächlich noch neues erleben konnte.
    War sie verrückt? War sie dafür nicht zu alt? Und doch... Vielleicht war es, was sie brauchte.
    Shirona wandte sich von dem entschiedenen Kampf ab – Emonga hatte Hiyappu am Ende getroffen und den Kampf so für sich entschieden. Hikari hatte wieder reisen wollen, allein, hatte neue Menschen treffen wollen und vielleicht war es an der Zeit, dass sie dasselbe tat.
    Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, passte es nicht zu ihr, melancholisch in den Tag zu leben. Zumindest passte es nicht zu ihrem Image. Sie sollte sich selbst eine weitere Chance geben, noch einmal von vorn beginnen. Ein Neuanfang.

    — ✴ —


    81 Tage


    — ✴ —


    Der Sommer neigte sich dem Ende zu, als Shirona sich auf den Weg zum Flughafen machte. Sie hatte nur leichtes Gepäck bei sich, so wie es sich für eine Pokémon Reise gehörte. Einen Rucksack mit etwas Wechselkleidung und einem Schlafsack, sowie ein paar Notrationen. Sie hatte sich entschieden mit dem nächsten Flieger nach Kalos zu fliegen, da sie Kalos nie als Trainer bereist hatte.
    Noch immer dachte sie an Hikari und fragte sich, was sie nun gerade machte. Wohin war sie gereist?
    Sie hatte Hikari nicht gefragt, hatte nicht aufdringlich sein wollen. Als Hikari ihr gesagt hatte, dass sie wieder einmal allein reisen wollte, über Dinge nachdenken musste und es vielleicht besser war, sich zu treffen – zumindest vorerst – hatte sie nur genickt, hatte gesagt, dass sie es verstehen würde, hatte es dabei aber nicht gemeint.
    Doch das war vergangen. Was hätte sie anderes tun sollen? Sie wollte Hikari nicht gegen ihren Willen festhalten. Auch wenn sie gerne gewusst hätte, was es war, hatten sie doch selten gestritten. Vielleicht aber war es etwas einfaches gewesen, vielleicht war sie einfach zu alt für Hikari gewesen.
    Es war vorbei. Und sie würde neu beginnen, in Kalos.
    So saß sie hier, am Flughafen, und wartete darauf, dass ihr Flug ausgerufen wurde. Sie hatte sich einen Trainerguide für Kalos gekauft, in dem die Routen, die Arenen und die Orte, an denen Pokémon Center zu finden waren, aufgezählt waren. Es gab Bilder aus den Städten, Profile der Arenaleiter und auch einige Informationen über die dort verbreiteten Pokémon.
    Ein neues Abenteuer – nur mit ihren Pokémon.
    Während sie in den Führer vertieft war, merkte sie erst nach einer Weile, dass jemand vor ihr stand. Erst als eine sanfte Stimme zu ihr sprach, sah sie auf.
    „Hey“, sagte das Mädchen mit einem verlegenen Lächeln ohne ihr dabei in die Augen zu sehen. „Ich hatte schon gedacht, ich habe dich verpasst.“
    „Hikari...“, hauchte Shirona überrascht. Halluzinierte sie etwa?
    Ein sanftes Lächeln erschien auf den Zügen der jungen Frau. „Ich habe gehört, dass du die ganze Zeit hier warst.“
    Shirona schwieg und sah sie nur an. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass Hikari hier war, hatte sie doch damit gerechnet, sie nie wieder zu sehen. „Ich...“
    „Ich hatte schon gedacht, dass ich dir würde hinterherreisen müssen“, erwiderte Hikari und wurde etwas verlegen. „Ich dachte schon, ich finde dich nicht wieder.“
    „Wieso?“, fragte Shirona vorsichtig.
    Hikari seufzte und setzte sich neben sie, woraufhin Pochama, das sie wie immer außerhalb des Monsterballs begleitete, auf ihren Schoß sprang und Shirona einen misstrauischen Seitenblick zuwarf. Das Pokémon hatte sie nie leiden können.
    Auch Hikari sah sie an und sprach schließlich: „Ich habe doch gesagt, dass ich nachdenken wollte. Und ich habe nachgedacht.“ Sie musterte Shirona. „Und du auch, wie ich sehe.“ Ein mattes Lächeln umspielte ihre Lippen.
    „Ja“, erwiderte Shirona, unschlüssig wie sie sich nun fühlen sollte.
    „Du gehst auf eine weitere Reise?“, fragte Hikari.
    Zur Antwort nickte Shirona. „Ja. Nach Kalos.“
    Für einen Moment zögerte Hikari, doch dann fragte sie: „Darf ich dich begleiten?“
    Auch Shirona antwortete nicht sofort. Ihre Gedanken rasten. Hieß es das, was sie glaubte, dass es hieß? Konnte sie es wagen etwas zu sagen? Eine peinliche Pause. „Ja, sicher.“
    Das Lächeln auf Hikaris Gesicht wurde breiter. „Danke“, flüsterte sie, beugte sich hinüber und drückte Shirona einen sanften Kuss auf die Wange.
    Noch immer verstand Shirona nicht und sie wusste, sie würde fragen müssen, um es zu verstehen. Doch als der Flug ausgerufen wurde und Hikari ihre Hand in die Shironas legte, war diese nur froh, dass der Sommer endlich geendet war.

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    Vorwort:

    Dieses Mal einmal ein Original und keine Fanfiction. :) Eine der Geschichten zu den Eisbären. Natürlich handelt es sich bei ihnen nicht um richtige Eisbären, sondern um Rachel, Ann und Jonathan, drei Studenten, die in Ottawa, Kanada, leben und zusammen eine geschlossene Triade bilden. Sprich: Die drei sind zu dritt zusammen. Eisbären ist effektiv eine Sammlung von vorrangig kurzen Slice of Life Geschichten mit den drein und ich werde sicher auch noch ein paar andere der Geschichten hochladen. Das hier ist allerdings die erste Geschichte. Ich habe sie für den Fanfiction-Adventskalender auf Animexx geschrieben - Weihnachtlich ist sie aber nicht ;) Stattdessen eher Neujahrlich und bitter, bitter kalt. Viel Spaß!


    Eisbären & Kakao


    „Fuck!“, bibberte Ann und schlang die Arme um ihren Körper. „Fuck! Fuck! Fuck!“
    Jonathan lachte. „Jetzt hab dich nicht so. So kalt ist es nun auch wieder nicht!“
    „Lass uns wieder raus“, quietschte Rachel, die ganz offenbar auf den Zehenspitzen stand, und watete schon zu der Leiter, die am Rand des Eislochs stand.
    „Gute Idee“, japste Ann und folgte ihr, während Jonathan noch immer lachte.
    Einer der Helfer hielt Rachel die Hand entgegen, für den Fall, dass sie auf der Leiter ausrutschte, als sie recht steif aus dem hüfthohen Wasserloch kletterte.
    Auf der Eisdecke stehend, schlang auch sie die Hände um den Körper, auch wenn dies recht wenig gegen die Kälte half, da sich das Wasser in ihr Shirt gezogen hatte. Es war eine dumme Idee gewesen, sich das Shirt überzuziehen. Geholfen gegen die das Eiswasser hatte es jedenfalls kein bisschen.
    Sie drehte sich um und streckte Ann die Hand entgegen, um ihr ebenfalls aus dem kleinen ins Eis geschnittene Becken zu helfen.
    Einige Zuschauer johlten und klatschten, während Jonathan sich noch einmal ins Wasser fallen ließ und untertauchte.
    „Du bist doch verrückt“, rief Ann lachend, als er wieder auftauchte.
    „Ach, du übertreibst“, meinte er, ebenfalls lachend, watete dann aber zu der Leiter hinüber und kletterte hinaus, während die nächsten Teilnehmer ins Wasser liefen – ebenso fluchend und kreischend, wie Ann und Rachel zuvor.
    „Jetzt kommt schon“, meinte Rachel und legte die Arme und die beiden, während sie mit mehr oder weniger schnellem Schritt zu dem Tisch, auf dem die Handtücher lagen, hinüberliefen. „Das Wasser hat doch noch immer drei Grad.“ Noch immer lachte er, nahm sich aber doch recht hastig eins der Handtücher.
    „Ja, so warm!“, meinte Rachel zynisch, während sie sich in ihr Handtuch einwickelte und sich abrieb, um wärmer zu werden.
    Noch immer hörten sie Johlen, Lachen und Klatschen, während die nächsten Teilnehmer ins kalte Wasser sprangen.
    „Ich will ein trockenes Shirt“, meinte Ann bibbernd, während sie noch immer das Handtuch eng um sich geschlungen hatte.
    „Komm.“ Rachel nahm ihre Hand. „Lass uns was Warmes anziehen. Jonathan kann ja weiter frieren.“ Sie streckte ihm die Zunge raus.
    Keine zehn Minuten später hatten sie alle drei wieder Kleidung an, die den Temperaturen entsprechend waren. In ihrem weißen Wintermantel fühlte sich Rachel zumindest etwas besser, auch wenn sie das Gefühl hatte, dass sie frieren würde, bis sie ein warmes Bad bekommen würde. Aber zugegebener Maßen tat auch die heiße Schokolade, die nun in dem Plastikbecher in ihren Händen dampfte, ihr übriges.
    Ann hatte sich an sie angelehnt, selbst wenn es dank der dicken Kleidung wenig Wärme zu holen gab. Zumindest hatte sie Glück, das ihr blondes Haar so kurz war, dachte sich Rachel, deren langes, rotes Haar nicht so schnell trocknen würde.
    „Ich fühle mich ausgeschlossen“, meinte Jonathan und warf ihnen einen Seitenblick zu. Trotz aller großer Worte hatte auch er wieder eine dicke Winterjacke angezogen und sich einen Schal um den Hals geschlungen. Er hatte sich eine Portion Pommes geholt, die er nun so gierig aß, als hätte man ihn zuvor verhungern lassen.
    „Wir frieren nur wegen dir“, erwiderte Ann und zog einen Schmollmund. Auch sie trank einen heißen Kakao.
    Noch immer kam von den Zuschauern am Strang immer wieder Gejohle, da noch immer Freiwillige ins eiskalte Wasser sprangen und da sie zu den ersten gehört hatten, würde es wohl noch eine Weile so weiter gehen.
    „Ach, habt euch nicht so“, erwiderte er und wuschelte ihr mit einer Hand über die weiße Mütze, bis diese ihr ins Gesicht rutschte.
    „Hey!“ Rachel musste ihren Kakao hochhalten, damit er nicht überschwappte. Da sie die Arme noch immer auf Anns Schultern liegen hatte, während diese sich gegen sie lehnte, war dies alles andere als einfach.
    Jonathan warf ihr nur einen frechen Blick zu.
    „Sei besser vorsichtig“, grummelte sie und leerte den Kakao, bevor noch ein Unglück passierte.
    „Genau, Jonny“, stimmte Ann zu und zog einen Schmollmund.
    „Ist ja schon gut.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ihr seid heute so empfindlich...“
    Rachel seufzte. „Ich wäre dafür langsam nach Hause zu gehen.“
    „Jetzt schon?“, fragte er.
    „Soweit ich mich erinnere, hattest du uns versprochen zu kochen“, meinte sie.
    Er zog eine Augenbraue hoch und musterte die beiden. „Ich frage mich, um ihr das mit den fünf Sekunden wirklich verdient habt.“
    „Es war mindestens eine Minute“, murmelte Ann.
    Wieder lachte er. „Na gut...“
    Er wandte sich um, offenbar um sich umzuschauen, während Ann sich wieder gegen Rachel lehnte, während diese ihre Arme nun ganz um sie legte. Vielleicht tat es nicht viel um sie zu wärmen, aber sie es fühlte sich dennoch gut an.
    Es war gerade, als sie sich selbst nach einem Mülleimer umsah, in den sie die beiden Plastikbecher schmeißen konnte, dass sie eine Stimme hörte. „Hey, Jonathan!“
    Ganz automatisch sah sie sich um und erkannte Eric und Steve, die gerade von der Zuschauerschar am Strand zu ihnen kamen. Beide waren – so viel wusste Rachel – wie Jonathan Physikstudenten an der örtlichen Universität. Sie kannte sie von Feiern, ging ihnen aber lieber aus dem Weg, weshalb sie seufzte, als sie zu ihnen kamen.
    „Na, vorhin Eistauchen gewesen?“, meinte Eric, ganz offenbar mit Blick auf Jonathans noch immer nassen Haare, und begrüßte Jonathan mit einem Handschlag.
    „Klar.“ Jonathan grinste. „Ich hatte noch eine Wette am laufen.“
    „Hab dich gar nicht gesehen“, meinte Steve. „Hast du echt die 25 bezahlt, um dich in die kalten Fluten zu werfen?“
    „Für einen guten Zweck“, erwiderte Jonathan Schultern zuckend.
    „Und was machste mit den beiden hübschen da?“ Eric nickte Rachel und Ann zu. „Wirst du zum Stalker?“
    Schnell warf Jonathan Rachel einen Blick zu, versuchte es dann aber zu überspielen. „Mit den beiden habe ich die Wette.“
    „Du weißt schon, dass du keine Chance hast?“, meinte Eric und beugte sich zu Jonathan hinüber, nur um laut genug zu flüstern, als dass auch Ann und Rachel es nur zu gut hören konnten. „Lesben.“
    Rachel verdrehte die Augen, während sie die Arme um so enger um Ann legte, da sie merkte, wie diese sich anspannte.
    Sie hatten mit Eric schon einmal eine ähnliche Erfahrung gemacht, bei einer Studentenfeier. Ann hatte ihm am Ende einen Becher Bier ins Gesicht geschmissen, nachdem er einige Bemerkungen gemacht hatte – nur damit er sich über sie lustig machte, nicht zuletzt da sie mit ihren 156 Zentimetern klei“n und zierlich nicht wirklich einschüchternd wirkte.
    „Heißt ja nicht, dass ich nicht mit ihnen abhängen kann, oder?“, meinte Jonathan und grinste sie an.
    „Hmm, mach Bilder, ja?“, erwiderte Steve vielsagend.
    Jonathan zuckte mit den Schultern. „Sicher nicht.“
    „Zu schade“, meinte Eric lachend.
    Ann seufzte und hob den Kopf . „Lass uns gehen, ja, Rach?“
    „Klingt gut“, erwiderte sie und ließ Ann los. Sie wandte sich zu Jonathan um. „Lass uns gehen.“
    Er zuckte mit den Schultern. „Klingt gut.“ Er wandte sich zu seinen Kommilitonen um. „Sorry, Jungs. Ich habe den Ladys noch ein Essen versprochen.“


    Typisch für einen Neujahrstag war, war es schon am Nachmittag dunkel. In eine warme Decke eingewickelt, saßen Rachel und Ann auf dem Sofa ihrer kleinen Wohnung.
    Das Wohnzimmer war kaum mehr als dreizehn Quadratmeter groß, gerade genug um Fernseher, Regal, ein kleines Sofa und einen ebenso kleinen Wohnzimmertisch zu stellen. Wie für eine Studentenwohnung zu erwarten, passte alles nicht so ganz zusammen – da die meisten billig gebraucht gekauft waren.
    Einzig das Sofa kam noch aus Rachels alten Jugendzimmer bei ihren Eltern.
    Sie hatten den Fernseher laufen und Ann hatte sich an sie angekuschelt. Mittlerweile hatten sie warm geduscht und trugen beide nur noch T-Shirts und Unterwäsche, während die Heizung das Zimmer gut aufgewärmt hatte. Der Vorteil eines kleinen Wohnzimmers: Es wurde recht schnell warm.
    Der Geruch von gebratenem Fleisch zog aus der Küche hinüber.
    Ann seufzte.
    „Na, bist du langsam wieder warm?“, meinte Rachel und strich über ihre Schulter.
    „Ja“, murmelte Ann. „Ich hoffe wir haben uns nicht erkältet.“
    „Ach, wenn du dich erkältet hast, pflege ich dich wieder gesund.“ Rachel küsste sie auf die Stirn.
    Erneut zog Ann einen Schmollmund, wie sie es so oft machte. Rachel fand es immer wieder niedlich, gerade dank Anns recht kindlichem Gesicht.
    Noch einmal seufzte Ann.
    Rachel sah sie an. „Du ärgerst dich noch immer, über die Idioten.“
    „Ja“, gab Ann leise zu und kuschelte sich noch weiter in die Decke.
    „Ach komm schon“, meinte sie. „Ignoriert die doch einfach.“
    „Ich versuch's“, murmelte Ann, noch immer schmollend. „Ich bin darin halt einfach nicht so gut, wie du.“
    Rachel wandte sich ihr ganz zu, um sie zärtlich zu küssen. „Jetzt sei nicht so. Du solltest das neue Jahr nicht in so einer Stimmung anfangen.“ Sie begann Ann am Bauch zu kitzeln, was sie zumindest zum kichern brachte. „Siehst du?“
    „Lass das“, kicherte Ann und versuchte Rachel halbherzig wegzudrücken, während sie unter ihr wand.
    „Na, was sagst du?“, meinte Rachel und lachte ebenfalls, während sie sie weiter kitzelte.
    Ann hatte einige Schwierigkeiten zwischen ihren Kicherkrämpfen zu antworten, presste schließlich jedoch eine Antwort hervor: „Ich werde nicht weiter an die Idioten denken.“
    „Versprochen?“, fragte Rachel und hörte kurz auf, sie zu kitzeln.
    „Ja“, japste Ann und rang nach Luft.
    Rachel lachte und küsste sie noch einmal, legte sich vorsichtig auf sie rauf, als die Tür zum Wohnzimmer geöffnet wurde.
    „Da lasst ihr mich alleine kochen und dann...“ Jonathan sah sie prüfend an. „Was macht ihr beiden da genau?“
    „Nichts“, kicherte Rachel und sah zu ihm.
    „Ja, danach sieht es aus“, kommentierte Jonathan trocken. Auch er war mittlerweile geduscht, trug im Gegensatz zu ihnen aber einen Jogginganzug. „Also wenn ihr etwas zu essen wollt, fangt nichts unanständiges an. Jedenfalls nicht ohne mich.“
    „Nicht vor“, erwiderte Ann mit noch immer geröteten Wangen.
    „Nun, meine Damen. Das Essen ist zubereitet... Wenn ihr euch also bequemen würdet, euch einen Teller zu nehmen und in die Küche zu kommen.“ Er machte eine übertriebene Verbeugung, die wohl an einen Butler erinnern sollte.
    Rachel zog eine Augenbraue hoch. „Keine Bedienung?“
    „Muss ich denn alles machen?“
    „Wir haben gefroren“, meinte Ann kleinlaut.
    „Ist ja gut“, murmelte Jonathan. „Wie die Damen wünschen.“ Er drehte sich auf den Absatz um, während die beiden jungen Frauen noch immer kicherten.
    Sie richteten sich wieder auf und zogen den Tisch ein wenig näher an das Sofa, um besser essen zu können.
    Ann warf Rachel einen Seitenblick zu. „Er kann schon süß sein“, meinte sie.
    „Dafür haben wir ihn ja“, erwiderte Rachel, als Jonathan mit den ersten zwei Tellern hinüberkam.
    Das Essen war wie immer ein wenig ungeschickt angerichtet. Die mit Käse überbackenen Fleischstücke lagen zwischen Kartoffeln und gebratenen Kürbisstücken, mit Soße, die ein wenig zu chaotisch verteilt war. „Bitte sehr, die geehrten Damen. Damit sind wir quitt.“
    „Besten Dank, Herr Koch“, meinte Rachel. „Wir werden allerdings noch sehen, ob wir quitt sind.“
    „Aha“, murmelte er, während er in die Küche zurück ging, um sich wohl selbst eine Portion zu holen.
    Ein Cartoon flackerte über den alten Fernseher, während sie aßen.
    „Und?“, fragte Jonathan, der nun links von Rachel saß. „Sind meine Schulden beglichen.“
    Rachel und Ann warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Sie grinsten einander zu, ehe sie sich zu ihm umdrehten. „Sie sind beglichen“, erwiderten sie dann wie aus einem Munde, ehe Rachel noch „Vorerst“ hinzufügte.
    „Na, dann bin ich ja beruhigt“, lachte er und breitete einen Arm aus, damit sich Rachel an ihn anlehnen konnte.
    Sie verdrehte die Augen, tat es dann aber, während Ann sich an sie anlehnte.
    „Danke, dass du ihnen nichts gesagt hast“, meinte Rachel schließlich.
    Er lachte leise. „Nun, die Strafe will ich nicht riskieren“, erwiderte er und küsste sie auf die Stirn. „Ich weiß, dass du es nicht willst.“
    Darauf sagte sie nichts. Das ganze war noch immer neu für sie. Für sie alle. Aber soweit schien es zu funktionieren. Nur wollte sie noch mehr blöde Sprüche nicht riskieren – einmal ganz davon abgesehen, dass es schwer genug war, Anns Eltern beizubringen, dass sie in einer lesbischen Beziehung war. Was sie hierzu sagen würden...?
    „Auf ein gutes neues Jahr“, murmelte Jonathan, während er sich weiter zurücklehnte.
    „Ja“, seufzte Rachel und strich über Anns Arm. „Auf ein gutes neues Jahr.“
    Ann holte tief Luft. „Hoffentlich ohne Erkältung.“
    Dann lachten sie gemeinsam.

  • Huhu! Ich dachte, ich lass kurz einen Kommentar zu Sommer ohne Dich da.


    Vorweg:


    Ansonsten ... Also, Shippings sind beim Schreiben ja irgendwie nicht so meins, schon allein weil ich meist Probleme habe, über Charaktere zu schreiben, die nicht meine eigenen sind. Geht aber zum Glück nicht jedem so und ich finde das hier auch ziemlich gut gemacht, auch weil es sich hier um Charaktere handelt, die ich eigentlich immer ganz gut leiden konnte.
    Man kriegt einen deutlichen Eindruck von den Gefühlen und Fragen, die Shirona während des ganzen Sommers umtreiben und dauerhaft beschäftigen. Ich fand da auch besonders die Stelle gut, wo sie die beiden noch sehr jungen Trainer beobachtet, weil es sehr plausibel ist, dass sie dann auch kurz an ihre Anfänge zurückdenkt - über die Trainer ist quasi ihr eigenes früheres Ich präsent, wenn man so will. Überhaupt passt ja die Situation, welche Shirona umgibt, auch an anderen Stellen zu ihren Gedanken, so auch schon davor, als der Blitz in die Leitung einschlägt und sie selbst erkennt, dass das gerade eine treffende Analogie ist. Das Ende war dann wieder so schön optimistisch und irgendwie auch wirklich befreiend, nachdem ja die Stimmung vorher überwiegend traurig bzw. melancholisch war.
    Kritisieren kann ich, wenn ich es mir recht überlege, eigentlich nichts. Uneigentlich auch nichts. Ich gebe zu, dass ich sonst eher selten jemanden sehe, der mit den japanischen Originalnamen sowohl der Charaktere als auch der Pokémon arbeitet, aber das sollte nicht stören und tut es eigentlich auch nicht; man kann sich ja leicht alles in der Hinsicht herleiten, selbst wenn man die Namen so nicht kennt, zumal das Bild ja auch die Personen zeigt, um die es vorrangig geht.
    Jedenfalls: Schöne Geschichte, habe sie gerne gelesen und ich fände es echt toll, wenn man noch mehr von dir lesen wird.

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    Vorwort:
    Erst einmal natürlich die Antwort an @Thrawn, nachdem es mich gestern sehr, sehr gefreut hat, von ihm Feedback zu bekommen. :) Umso mehr - das gebe ich ja ehrlich zu - nachdem es doch ein sehr positives Feedback war. :3
    @Thrawn, ich hatte eine Weile auch mal richtige Zurückhaltungen Fanfictions zu schreiben, gerade weil viele Geschichten OoC waren, die ich so gelesen habe und - wenn ich ehrlich bin - meine Geschichten, die ich bis dahin geschrieben habe an sich keinen deut besser ware (selbst wenn sie nicht davon handelten, zwei Charaktere möglichst schnell miteinander ins Bett zu verfrachten). Mittlerweile geht es aber. Nicht zuletzt, da mir gerade bei Fernsehserien klar geworden ist, dass diese selbst auch immer etwas inkonsistent sind, da so viele Leute dran schreiben. Das hat es einfacher gemacht. Deswegen schreibe ich auch vorrangig zu solchen Serien und Büchern wie Harry Potter, die sich ebenfalls nicht mit Konsistenz rühmen. Oder halt mit eigenen Charakteren im Universum... Originalnamen nutze ich halt, weil es für mich die Namen sind, an die ich gewöhnt bin, da ich ab DP Pokémon immer nur auf japanisch geschaut habe. lol Ursprünglich habe ich mich ja auf Pochama beschränkt, aber dann wirkte das Pokémon-Namenswirrwarr doch etwas seltsam. Seither: Komplett japanisch. :P
    Aber wie gesagt. Ich habe mich sehr, sehr über dein Feedback gefreut. Und ja, ein paar Fehler schleichen sich irgendwie immer ein @.@ Aber das ist ja normal. Hast übrigens mit sämtlichen Fehlern Recht xD"


    Lange Antwort, kommen wir jetzt zur heutigen Geschichte. Eine Geschichte, die an sich schon ein bisschen älter ist. Um genau zu sein habe ich sie zu einem Zeitpunkt geschrieben, als das Pairing noch nicht canon war! Gerade so nicht.
    Ich habe mich dennoch dazu entschlossen die Geschichte mal zu posten, da sie von meiner Seite aus damals ein kleines Experiment (bzgl. Erzählperspektive) war und mir bis heute noch immer gefällt. Es handelt sich, wie das Bild oben schon verrät, um eine Korrasami-Geschichte, die irgendwann nach dem Ende von Legend of Korra spielt.
    Ich habe übrigens leider die Quelle der Bilder nicht mehr gefunden, da diese schon Ewigkeiten in meinem Korrasami-Ordner rumgammeln ^^" Sind jedenfalls beide nicht von mir.



    Unser Frieden


    Seelenfrieden


    „Und du bereust es nicht, während des Jahreswechsels hier zu bleiben?“, fragst du, während ein kalter Wind durch das offene Fenster ins Zimmer weht.
    Ich bin die Kälte gewohnt und doch nutze ich die Gelegenheit mich näher an dich zu kuscheln. „Nein“, erwidere ich dann. „Ich kann dich doch nicht allein zurücklassen.“
    „Das letzte Mal hattest du damit keine Probleme“, ziehst du mich auf.
    Nun drücke ich mich noch näher an dich und ziehe einen Schmollmund, auch wenn du ihn nicht siehst. „Es waren doch nur drei Jahre.“
    Deine Hand fährt durch mein Haar. Dann drücken sich deine Lippen warm gegen meine Stirn und lassen mich etwas erröten. „Du hast eine Menge wieder gut zu machen“, meinst du, wobei dein Tonfall mir verrät, dass du mich nur aufziehst.
    Ich fühle mich so wohl in deinen Armen – fühle mich sicher, obwohl ich doch eigentlich dich beschützen müsste. „Wenn ich bei dir etwas gutmachen muss, was sollen dann Mako und Bolin sagen?“
    Du kicherst. „Die haben nichts zu sagen.“
    Eine erneute Windbrise weht ins Zimmer hinein und bringt einen vertrauten Geruch mit sich: Den Geruch von Schnee. Der Geruch, der in meiner Heimat allgegenwärtig war. Ich komme nicht umher mir zu denken, dass mein Zimmer im Haus meiner Eltern vielleicht etwas gemütlicher wäre, als das eher karge Zimmer im Lufttempel.
    Doch ich weiß, dass du nicht für zu lange reisen kannst, selbst wenn du es für mich tun würdest. Aber du hast hier so viel und noch dazu eine Firma die dich braucht. Außerdem freue ich mich auch etwas, das Fest bei Tenzin und seiner Familie zu verbringen. Zumindest ist es hier nicht so still, wie es am Nordpol manchmal werden konnte.
    Stille senkt sich über uns, während deine Hand durch mein Haar streicht. Es fühlt sich gut an. Kein Wunder, dass Naga dich mag.
    Bei diesem Gedanken muss ich grinsen, behalte ihn aber für mich.
    Eine weitere Windböe und wieder der vertraute Geruch. Ich frage mich, wann es anfangen wird zu schneien.
    Ein Teil von mir wünscht sich, ich könnte für immer hier liegen bleiben, mit dir. Braucht die Welt mich wirklich? Die ganze Zeit hat mich der Gedanke, dass diese Welt den Avatar – mich – nicht mehr brauchen könnte, mit Angst und Sorge erfüllt und nun... Reicht es nicht, wenn du mich brauchst?
    Ich merke, dass deine Hand aufgehört hat, mein Haar zu streicheln.
    „Asami?“, flüstere ich leise. „Schläfst du, Asami?“
    Du lachst. Leise. Sanft. „Nein, nein.“
    Ich rücke ein kleines bisschen von dir weg, um dich ansehen zu können und sehe, dass du zum Fenster schaust.
    „Es schneit“, flüsterst du.
    Natürlich drehe ich mich zum Fenster um und sehe, dass draußen, von den Fackeln vor dem Tempel beleuchtet, tatsächlich weiße Flocken vom Himmel hinab rieseln.
    „Das wird ein chaotisches Neujahr“, murmelst du.
    „Deswegen ist ein Eisbärhund besser als ein Satomobil“, erwidere ich lachend.
    Auch du lachst, ehe wir beide von draußen einen Jubelschrei hören.
    „Schnee!“ Das ist Meelo, der allem Anschein nach bereits nach draußen rennt – oder vielleicht auch auf einer Windkugel rast.
    „Komm zurück, Meelo, und zieh dir erst etwas warmes an“, schallt Pemas Stimme über die Insel.
    Ich muss lächeln. Neben dir gibt es noch einen Grund, warum ich lieber hier bleibe: Trotz aller spirituellen Form, die Tenzin so gerne wart, fühlt es sich hier lebendiger an, als am Nordpol. Und diese Lebendigkeit war vielleicht eine der Sachen, die ich am meisten vermisst habe, als ich fort war.
    „Ich vermisse es ein Kind zu sein“, murmelst du und ich sehe dich überrascht an.
    Auf einmal wirkst du verlegen und schaust in eine andere Richtung. „Ich meine nur, es war schön, als Schnee noch etwas besonderes war. Außerdem...“ Du schweigst für einen Augenblick und seufzt. „Damals war manches einfacher, weißt du?“
    Natürlich weiß ich wovon du redest. Damals hattest du noch ein gutes Verhältnis zu deinem Vater, hattest noch eine Mutter. Aber dein Blick sagt mir auch, dass du nicht jetzt darüber reden willst. So nehme ich nur deine Hand und küsse dich, ehe ich lächele. „Als ich ein Kind war, war Schnee nie etwas besonderes. Da war es eher etwas besonderes, wenn es mal nicht geschneit hat.“
    Deine Miene hält sich etwas auf und für einen Moment sehe ich in deine so unglaublich grünen Augen.
    Es gibt viele Dinge, über die wir beide noch nicht wirklich sprechen können. Doch ich weiß, dass du meine Sorgen genau so verstehst, wie ich deine, auch wenn wir nicht darüber reden. Und immer, wenn ich bei dir bin, fühle ich mich besser. Dann verschwindet, diese Angst, die manchmal noch immer mein Herz zu umfassen droht.
    Ich weiß, dass ich für dich nie mehr sein muss, als ich sein kann. Dass du mich so liebst, wie ich bin. Ich muss mich bei dir nicht verstellen.
    „Ich glaub, wir sollten uns fertig machen, bevor die Jungs kommen“, meinst du.
    Ich seufze und nicke. „Dabei würde ich lieber so bleiben“, flüstere ich und drücke mich noch einmal an dich heran.
    „Später, Liebe, später“, lachst du.
    Während du dich anziehst, komme ich nicht umher, dich anzustarren. Du bist so hübsch und elegant, ganz anders als ich.
    „Was machst du, Avatar?“ So nennst du mich immer, wenn du mich ärgern willst.
    Ich besinne mich darauf, mich selbst umzuziehen. Denn ich möchte nicht, dass Mako oder Bolin uns so sehen. Ich weiß nicht, wie sie reagieren, auch wenn wir es ihnen sicher irgendwann beibringen müssen. Doch im Moment reicht es mir, dass ich weiß, wie du fühlst, und du weißt, wie ich fühle – selbst wenn es die Welt irgendwann erfahren wird.
    Wäre ich nicht der Avatar, würde es die Welt vielleicht nicht interessieren. Doch wäre ich nicht der Avatar, hätte ich dich wahrscheinlich nie kennen gelernt.
    Nun stehst du am Fenster und ich frage mich, wie du es hinbekommst, dass dein Haar nur mit ein paar Handgriffen, so perfekt liegt.
    Ich stelle mich neben dich und lege, vorsichtig, eine Hand um deine Hüfte. Du wendest mir dein Gesicht zu und küsst mich.
    „Ich liebe dich“, flüstere ich, während du mit deinen Fingern über meine Wange streichst.
    „Ich weiß“, erwiderst du dann und lächelst mich an. „Und ich liebe dich, Avatar.“
    „Korra“, verbessere ich dich und ziehe einen Schmollmund, doch mit einem süffisanten Lächeln küsst du mich einfach nur wieder.
    Ich bin glücklich, wenn ich bei dir bin. Seit ich klein war, habe ich gedacht, dass ich ein perfekter Avatar sein muss, dass es meine alleinige Bestimmung sei, Avatar zu sein. Und von dem Moment an, dass ich nach Republic City kam, wurde mir mehr und mehr klar, dass ich in einer anderen Welt lebe, als Aang oder Roku. Ich lebe in einer Welt, in der Bending an Bedeutung verloren hat und damit auch der Avatar. Alles, was ich je gewollt hatte, war ein guter Avatar zu sein. Wer sollte ich sonst sein, wenn nicht der Avatar?
    Doch für dich muss ich nicht der Avatar sein, selbst wenn du mich damit aufziehst. Für dich reicht es, Korra an deiner Seite zu haben. Für dich muss ich nicht perfekt sein und deswegen brauche ich dich. Deswegen liebe ich dich und möchte an deiner Seite bleiben.
    „Korra? Asami?“, hören wir Pemas Stimme den Flur draußen hinunterrufen. „Seid ihr fertig?“
    Du siehst mich an und lächelst. Deine Hände halten die meinen und du legst deine Stirn gegen die meine.
    Ich lächele zurück und gebe dir einen weiteren, kurzen Kuss. Dann löse ich mich von dir. „Komm“, meine ich. „Wir sollten die anderen nicht warten lassen.“
    Daraufhin nickst du nur. „Ja“, antwortest du und wir gehen, Seite an Seite aus meinem Zimmer hinaus.


    Herzensfrieden


    Ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder mir Vorwürfe machen soll. „Und du bereust es nicht, während des Jahreswechsels hier zu bleiben?“, frage ich leise und streiche durch dein Haar, während du dich an mich gekuschelt hast. Ich genieße deine Nähe und freue mich bei dir zu sein, doch es bereitet mir ein schlechtes Gewissen, dass du nicht bei deiner Familie bist.
    Eine kalte Brise weht durch das offene Fenster und lässt mich etwas bibbern. Ich weiß, dass du die Kälte gewohnt bist, doch ich genieße es, dich so nahe zu spüren und von dir gewärmt zu werden.
    „Nein“, antwortest du dann. „Ich kann dich doch nicht allein zurücklassen.“
    Noch vor ein paar Wochen hätte ich mich vielleicht über diese Aussage geärgert. Immerhin hast du mich zuletzt drei Jahre zurückgelassen. Doch nun, da du mir so nahe bist, kann ich darüber scherzen. „Das letzte Mal hat dich das nicht gestört“, necke ich dich.
    „Es waren doch nur drei Jahre“, meinst du, ebenfalls scherzhaft.
    Ich habe dir nie gesagt, wie lang diese drei Jahre waren, in denen ich nicht wusste, ob ich dich je wiedersehe. Manchmal merkt man erst, wie sehr man etwas braucht, sobald man es nicht mehr hat. Ich spüre die Angst, dass du wieder verschwinden könntest. Aber jetzt bist du bei mir, sage ich mir, und streiche durch dein Haar, ehe ich dich auf die Stirn küsse. „Du hast eine Menge wieder gut zu machen“, flüstere ich und meine es nur halb so scherzhaft, wie es klingt.
    „Wenn ich bei dir etwas gutmachen muss, was sollen dann Mako und Bolin sagen?“
    Ich kichere bei dem Gedanken, dass sie dieselbe Art von Wiedergutmachung fordern würden, die ich bekomme. „Die haben nichts zu sagen.“
    Ich streiche weiter durch dein Haar und genieße deine Wärme, während eine erneute Brise ins Zimmer weht. Sie trägt den Geruch von Schnee mit sich und lässt mich erneut frösteln. Ich wünschte mir, wir könnten in meinen Zimmer liegen – in meinem Haus, dass doch irgendwie immer das Haus meines Vaters für mich bleiben wird.
    Doch letzten Endes wirken die langen Korridore und die großen Zimmer so leer, auch wenn du dort bist. Hier ist zumindest immer etwas los mit den Airbender-Kindern und allen anderen hier. Es fühlt sich lebendig an.
    Mein Blick wandert zum offenen Fenster, durch dass ich nur den dunklen Nachthimmel sehe und den Schein naher Laternen und der fernen Stadt. Und da bemerke ich, wie kleine, weiße Flocken langsam hinab rieseln und im Schein der Laternen glitzen.
    Für einen Moment fühle ich jene kindliche Faszination, die Schnee so oft mit sich bringt.
    „Asami?“, höre ich deine Stimme. „Schläfst du, Asami?“
    Ich muss lachen, weil du dabei selbst wie ein Kind klingst. „Nein, nein.“
    Du beginnst, ein wenig von mir weg zu rücken, richtest dich dann aber leicht auf – offenbar um mich ansehen zu können. Deine Haare sind ganz durcheinander und ich fürchte, dass dies wohl meine Schuld ist. In deinem Gesicht lese ich einen fragenden Ausdruck.
    Ich nicke in Richtung des Fensters. „Es schneit.“
    Du richtest dich nun ganz auf und siehst dich zum Fenster um. Dein Top ist ebenfalls etwas verrutscht und zeigt viel deiner dunklen Haut.
    Doch während ich zum Fenster sehe, fällt mir etwas anderes ein. „Das wird ein chaotisches Neujahr.“ Ich denke an die Straßenlage, wenn es die Nacht hindurch schneit.
    Du fängst an zu lachen. „Deswegen ist ein Polarbärhund besser als ein Satomobil.“
    Darauf lache ich auch leise. Ich weiß, dass du mich necken willst und überlege etwas zu erwidern, als ich ein lautes Jubeln aus dem Innenhof des Gebäudes höre, das eindeutig zu Meelo gehört.
    „Schnee!“
    Auch wenn ich ihn nicht sehen kann, kann ich mir lebhaft vorstellen, wie er durch die Flocken wirbelt.
    Dann hören wir das Rufen Pemas. „Komm zurück, Meelo, und zieh dir etwas warmes an.“
    Ich komme nicht umher, ein leichtes Stechen in meiner Brust zu spüren, wie ich es immer mal wieder fühle, wenn ich sehe, wie Pema sich um ihre Kinder kümmert. Meine Mutter ist so lange schon tot und ich erinnere mich kaum noch an sie. War sie auch so mütterlich und fürsorglich? Ich weiß es nicht einmal mehr. Bin ich deswegen eine schlechte Tochter?
    „Ich vermisse es, ein Kind zu sein“, murmelte ich, woraufhin du dich überrascht zu mir umsiehst. Ich sehe Verwirrung und Überraschung in deinem Gesicht. Für einen Moment überlege ich, mit dir über meine Mutter zu reden, doch irgendwie spüre ich, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. „Ich meine nur“, beginne ich stattdessen, „es war schön, als Schnee noch etwas besonderes war. Außerdem... Damals war manches einfacher, weißt du?“
    Du musterst mich und ich sehe Besorgnis in deinem Blick. Dann nimmst du meine Hand und drückst sie sanft, ehe du dich vorbeugst und mich sanft küsst, so dass ich für einen Moment meine Augen schließe und deinen Kuss genieße.
    „Als ich ein Kind war“, beginnst du, als du deine Lippen von den meinen löst, „war Schnee nie etwas besonderes. Es war eher etwas besonderes, wenn es einmal nicht geschneit hat.“
    Du siehst mir in die Augen und ich in die deinen. Ich sehe, dass du verstehst, dass du Rücksicht darauf nimmst, dass ich über manche Dinge noch nicht sprechen kann. Doch am Ende: Wer könnte dies besser verstehen als du?
    Bevor die Stille seltsam werden kann, richte ich mich auf. „Wir sollten uns fertig machen, bevor die Jungs kommen.“
    Du seufzt, ganz offenbar enttäuscht, nickst aber dann und drückst dich noch einmal an mich. „Dabei würde ich lieber so bleiben“, flüsterst du dabei.
    Ich muss lächeln und streiche noch einmal durch dein Haar. Ja, ich würde auch lieber so mit dir liegen bleiben – oder andere Dinge nur mit dir machen, bei denen ich sicher keine Jungs dabei haben will. Doch wir wissen beide, dass Mako, Bolin und auch der Prinz in Ausbildung bald kommen werden und wir bis dahin besser angezogen sein sollten. Immerhin wissen sie noch nichts von uns. So bleibt mir nichts anderes übrig, als dich zu vertrösten. „Später, Liebe, später.“
    Dann stehe ich auf und beginne mich anzuziehen. Dabei weiß ich genau, dass du mich unablässig anstarrst, anstatt dich selbst anzukleiden.
    Ich grinse leicht, als ich dich ansehe, um dich zu necken. „Was machst du, Avatar?“
    Du errötest etwas und antwortest nicht. Stattdessen beginnst du verlegen, in deine eigene Kleidung vom Boden aufzusammeln und hineinzuschlüpfen, wobei du dich für jemand, der so athletisch ist, verdammt ungeschickt anstellst und mich so beinahe erneut zum Lachen bringst.
    Ich mache mir das Haar und stecke es hoch, während ich gleichzeitig im Spiegel mein Make-Up überprüfe. Immerhin ist es das Neujahrsfest und man weiß nie, wer sonst noch vorbei kommen könnte. Davon abgesehen mag ich es nicht, mit verwischtem Make-Up herumzulaufen, selbst wenn wir allein sind.
    Doch nichts ist zusehr verwischt und da du noch immer mit deinem Kleid kämpfst, aber zu stolz bist, mich um Hilfe zu bitten, stelle ich mich an das Fenster und sehe hinaus, beobachte Meelo, der noch immer begeistert im Schnee spielt.
    Schließlich spüre ich, wie du neben mich trittst. Du zögerst für einen Moment, ehe du deinen Arm um mich legst, wobei deine Hand auf meiner Hüfte liegt.
    Ich komme nicht umher zu lächeln und drehe mich zu dir um, woraufhin du mich kurz auf die Lippen küsst. Deine Wangen sind gerötet, so dass ich nicht umher komme, meine Hand zu heben, um über sie zu steichen.
    „Ich liebe dich“, flüsterst du auf einmal und siehst mich an.
    Ob du weißt, dass mein Herz schneller schlägt, wenn du diese Worte sagst? „Ich weiß“, erwiderte ich leise. „Und ich liebe dich, Avatar.“
    „Korra“, korrigierst du mich schmollend, doch ich streiche nur weiter über deine Wange, ehe ich mich vorbeuge und dich sehnsüchtig küsse.
    Für diesen einen Moment scheint alles perfekt zu sein. Denn wenn ich bei dir bin, weiß ich, dass ich sicher bin. Ich fühle mich nicht länger einsam, da ich weiß, dass du mich liebst. Ich weiß, dass du mich verstehst und mich beschützen wirst, egal was passiert. Ich weiß, dass ich mit dir über meine Sorgen reden kann, du mich aber nie drängen wirst, dies zu tun.
    Dafür liebe ich dich.
    Nur eine Sache macht mir weiterhin Sorgen: Du bist der Avatar. Und ich weiß, dass jederzeit der nächste größenwahnsinnige für Chaos Sorgen kann und es dann deine Aufgabe ist, ihn zu besiegen. Mit dieser Angst, dich so verlieren zu können, muss ich wohl leben. Und ich frage mich, ob es Katara ähnlich gegangen ist.
    „Korra? Asami?“, hören wir beide Pemas Stimme. „Seid ihr fertig?“
    Wir sehen einander an, während ich dich noch immer bei den Händen halte. Ich lege meine Stirn gegen deine, um noch einen Augenblick länger, deine Nähe zu spüren.
    Da lächelst du und gibst mir einen weiteren kurzen Kuss. „Komm“, sagst du dann. „Wir sollten die anderen nicht warten lassen.“
    Ich nicke. „Ja.“ Dann lasse ich deine Hände los und wir gehen zusammen aus dem Zimmer hinaus.

  • Aus der Perspektive von Beiden, eine schöne Idee.
    Man hat die Chance eine etwas bessere Beschreibung der Umgebung und der äußeren Geschehnisse mitzubekommen und erfährt genau so, über was sie sich alles Gedanken machen und wie sie sich dabei beim selben Thema aufgrund ihrer unterschiedlichen Charaktereigenschaften unterscheiden. Beide schweifen dabei auch einmal ab und entfernen sich kurz vom Hier und Jetzt; Asami denkt an ihre Mutter und Korra um ihr Outing.
    Die Liebesgeschichte ist sehr gefühlvoll gemacht, sehr auf Zärtlichkeit ausgelegt.
    Fast schon zu sehr, da man mit diesen beiden sehr starken Frauen doch etwas mehr Power erwarten würde. Dafür war die Thematik vielleicht zu träumerisch.
    Allerdings muss sich ein Charakter ja auch nicht zu jedem Zeitpunkt nach seiner hervorstechenden Eigenschaft benehmen und da es eine Lovestory ist, denke ich liegts eher daran, dass es nicht ganz mein Genre ist. Der Schreibstil war wieder angenehm zu lesen.


    Mir gefiel noch das kleine Zitat. "Damals war Schnee noch etwas besonderes". Das fängt den Geist der Kindheit recht gut ein.

  • @Sunaki:
    Danke für den Kommentar. :)
    Wie gesagt, das ganze war wirklich ein Experiment mit dem "Ich-Du", aber ich mag die Geschichte, weil es mal schön ist, so auf die verschiedenen Perspektiven einzugehen. Zumal ich sagen muss, auch wenn ich die "Ich-Perspektive" nicht so sehr mag ist sie ganz nett, um dieselbe Szene in verschiedenen Perspektiven zu erzählen. Das könnte man in dritter Person nicht so deutlich machen.


    Äh, ja, ich schwafel, sorry.


    Eine Sache aber noch. ;)

    Die Liebesgeschichte ist sehr gefühlvoll gemacht, sehr auf Zärtlichkeit ausgelegt.
    Fast schon zu sehr, da man mit diesen beiden sehr starken Frauen doch etwas mehr Power erwarten würde.

    Auch starke, selbstbewusste Charaktere können zärtlich sein. ;) Egal ob männlich oder weiblich.
    Wir sehen die beiden eigentlich auch sehr verletzlich und zärtlich miteinander umgehen. Meiner Erfahrung nach, brauchen gerade Leute, die die ganze Zeit sich nach außen hart und stark zeigen müssen, wenn sie mit jemanden zusammen sind, dem sie vertrauen, auch ein wenig Zärtlichkeit.


    Wie heoißt es so schön am Ende vom Tabaluga und Lilli Musical?


    Geliebt wirst du nur dort
    wo du schwach sein darfst
    ohne Spott dafür zu ernten


    Das ist etwas, das ich generell in meinen Geschichten gerne als Motto reinbringe

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    Vorwort:
    Ja, aktuell habe ich definitiv noch genug Geschichten in der Hinterhand, um diese wöchentlich zu posten :P Nächste Woche werde ich auch wieder etwas zu Digimon posten, bis dahin aber, möchte ich noch einen kleinen One-Shot, der zu einem meiner Herzblutprojekte geschrieben wurde, vorstellen. Der One Shot spielt im Shadowrun Universum, genauergesagt innerhalb der Story unserer alten Kamapgne. Vorkenntnis über die Welt ist nicht groß Erforderlich - ich biete zur Hilfe aber ein paar Fußnoten an.
    Ich habe diese Geschichte zu einer Challenge geschrieben, über Dinge, in denen ein Charakter schon immer schlecht war. Dies erschien uns (mir und meinem Freund) als ein ganz lustiges Challenge Thema, da der Running Gag in unserer Rollenspielgruppe immer war, dass Joanne oder auch Pakhet, mein Charakter, einfach nichts hat, worin sie schlecht ist - außer vielleicht Kochen, was allerdings dank der Fähigkeit der futuristischen Küchen selbst zu kochen auch egal ist. Eine Sache ist allerdings doch auch aufgekommen: Joanne ist furchtbar mit sozialem Fingerspitzengefühl. Klar, sie kann verhandeln, sie kann Leute einschüchtern, doch wenn sie einfach nur mit jemanden reden will, dann weiß sie nicht wie sie es anfangen soll. Vor allem, wenn die Person selbst nicht so wirklich reden will...


    Erlaubt es mir also den Kontext der Geschichte kurz zu erklären: Joanne und ihre Truppe haben vor drei Wochen einen Gefängnisausbruch gestoppt und schon beinahe im Superheldenstil einen extrem starken, korrumpierten Geist gebannt. Dummer Weise ist Doctor Heidenstein, aka "der Doc", aka Dr. Joachim Anderson, Joannes bester Freund und Mitbewohner, für den sie vielleicht, vielleicht auch nicht romantische Gefühle hat, verletzt worden und liegt nun für gute fünf Wochen im künstlichen Koma. Von diesen fünf Wochen sind gerade einmal drei um und vor wenigen Tagen hat Joannes anderer bester Freund sie mit diesem eventuell existierenden romantischen Gefühlen konfrontiert... Normal wäre es ihre Art nun loszugehen, irgendwelche Bösewichte zu vermöbeln, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Dummer Weise hat sie dem Doc versprochen, dass sie, wenn ihm so etwas passiert, bei seiner Seite bleibt, damit niemand seinen Komatösen Körper klaut... Und so hockt sie nun im Krankenhaus (in dem sie auch lebt) fest. Allerdings ist sie damit nicht allein, da auch Hazel, eine junge, japanische Hackerin, die ihr Zuhause verloren hat und so ein wenig der Schützling des Docs ist, dort lebt...




    Unerwünschte Gespräche


    Die Tatsache, dass gerade einmal eine der drei Wochen umgegangen war, machte nichts besser. Wie sollte sie die verbleibenden zwei Wochen überleben?
    Vielleicht wäre es vor einem halben Jahr noch leichter gefallen, doch nun kam Joanne nicht umher, sich nach draußen zu wünschen. Immerhin gab es einige Dinge, die sie noch tun musste, und sie hätte sich lieber allein mit Lowfyr¹ angelegt, als zwei weitere Wochen lang Däumchen zu drehen.
    Am Ende jedoch hatte sie es versprochen – und sie würde sicher nicht riskieren, dass am Ende der Doc in seinem Tank verrecken würde, nur weil sie es nicht geschafft hatte, für eine Weile ruhig sitzen zu bleiben. Und doch: Es war ihre Verantwortung, sich um das Problem der Willys² zu kümmern.
    Fraglos hatte auch das Gespräch mit Robert dazu geführt, dass sie sich umso mehr nach etwas Ablenkung sehnte. Ein kleines Gerangel mit ein paar Gangern, wenn Runs schon außen vor waren. Etwas, dass ihr eine Möglichkeit gab, über etwas anderes nachzudenken, als den Inhalt des Gesprächs und die möglichen Implikationen. Um genau zu sein, hätte es erfordert, über ihre Gefühle nachzudenken und nach sieben Jahren, in denen sie sich selbst davon überzeugt hätte, eben solche nicht zu haben, war dies eine ausgesprochen schlechte Idee. Was für einen Unterschied sollte es überhaupt machen? Nein, sie sollte, wollte und konnte nicht darüber nachdenken, sie brauchte etwas, um sich davon abzulenken...
    Leider gab es keine Möglichkeit sich solche Ablenkung zu verschaffen. All das, was für sie in Frage gekommen wäre, war zu gefährlich. Und all das, was sie tun konnte – sprich: Sich um die Security kümmern oder sich ins Labor setzen und dem komatösen Doc dabei zuzusehen, wie er im Trank trieb, vermochte es nicht, ihre Gedanken davon abzuhalten, weiter zu kreisen.
    Und so war ein weiterer Tag vergangen, den sie größtenteils im Labor verbracht hatte – nicht ohne mindestens alle paar Minuten genervt aufzuseufzen. Doch nun war es Abend und nach einer guten Stunde Training im Keller, hatte sie sich mit einer mageren Mahlzeit ins Wohnzimmer gesetzt, in der Hoffnung zumindest bei der hirnlosen Action von Karl Combatmage³ abschalten zu können.
    Sie hatte ihren Salat gerade aufgegessen, als etwas ungewöhnliches geschah: Die Tür zu Hazels Zimmer öffnete sich und die kleine japanische Frau schlicht (anders konnte man es wirklich nicht sagen) zum Badezimmer hinüber. Sie sagte kein Wort, als sie Joanne sah, warf ihr jedoch einen beinahe verschreckten Blick zu, ehe sie durch die Badezimmertür verschwand.
    Mittlerweile hatte sich Joanne daran gewöhnt, dass man nicht darauf hoffen durfte, ein Gespräch mit dem Mädchen anzufangen – doch seltsam fand sie die Kleine schon. Immerhin kannte sie schüchterne Menschen, fraglos, aber schüchtern war für Hazel kein Ausdruck. Das Mädchen saß die meiste Zeit entweder im Serverraum oder ihrem Zimmer und selbst wenn der Doc sie einmal dazu brachte, mit ihnen zu essen, war es eher so, als hätte man dem Sessel, auf dem Hazel saß, einen Teller hingestellt. Sicher, der Teller leerte sich, aber ein Mehrwert für die laufende Konversation ergab sich nicht.
    Eigentlich war es Joannes Meinung, dass man Hazel einfach lassen sollte. Jeder wie er mochte, sofern es niemand anderen schadete, oder? Doch der Doc hatte sich in den Kopf gesetzt dem Mädchen zu helfen und wer war sie ihm dabei einzureden.
    Während sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Trideo⁴ zuwandte, hörte sie, wie die Dusche im Badezimmer anging, und die Folge war gerade am Ende angelangt, als sich die Tür wieder öffnete.
    Es war schon faszinierend, wie es Hazel schaffte nicht das geringste bisschen Präsens auszustrahlen. Wenn man sie nicht ansah, hätte man nicht gewusst, dass sie da war.
    Beinahe hatte die junge Japanerin schon wieder ihre Zimmertür – direkt neben dem Durchgang zur Küche – erreicht, als Joanne sich überwand, doch die Stimme zu heben.
    „Hast du schon etwas gegessen?“, fragte sie.
    Hazel zuckte beinahe zusammen und sah sich zu ihr um. „Nein“, kam ein kleinlautes Flüstern.
    „Es sind noch Nudeln und Salat in der Küche“, erwiderte Joanne.
    Das Mädchen, das nun nur einen dunklen Jogginganzug trug, reagierte nicht, sah sie nur unsicher an. Es war offensichtlich, dass sie einen inneren Kampf ausfocht, der wahrscheinlich zwischen ihrem Bedürfnis allein zu sein und de ihr wahrscheinlich einst anerzogenen japanischen Freundlichkeit ausgetragen wurde. Offenbar war es letztere, die gewann. „Okay.“ Eine Pause in der sie sich halb in die Küche bewegte. Dann: „Danke.“
    Joanne seufzte und warf ihr über die Schulter hinweg einen Blick zu, während sich Hazel mit unsicheren Bewegungen Essen auf einen Teller füllte. Mit diesem in der Hand wollte sie ganz offenbar auf ihr Zimmer gehen.
    Zugegebener Maßen wusste Joanne nicht ganz, was sie mit ihr tun sollte. Sicher, der Doc hätte Hazel beredet hier zu bleiben, mit ihnen zu sprechen – was sie dennoch nicht getan hätte – doch Joanne hatte beinahe Mitleid, mit dem Mädchen, dass sie jedes Mal mit einem Blick ansah, der mehr an ein Reh überraschte, das auf der Straße von den Scheinwerfern eines Autos überrascht wurde. Doch gleichzeitig wusste sie auch, dass es genau dies war, das der Doc, Joachim, ändern wollte.
    Wahrscheinlich verstand er besser, als Joanne es je gekonnt hätte, die angenehmen Seiten dessen sich komplett in ein Projekt zu vertiefen und Zuflucht in irgendeinem Arbeitszimmer zu suchen, doch wusste er auch, was Joanne viel eher nachvollziehen konnte, dass zu große Zurückgezogenheit, gerade zusammen mit dem ganz offenbar effektiv nicht vorhandenen Selbstwertgefühl Hazels sicher nichts Gutes bedeutete.
    „Willst du dich nicht ein wenig zu mir setzen?“, bot sie daher an.
    Ein verschreckter Blick. „Wieso?“, flüsterte Hazel kaum hörbar.
    Joanne verkniff es sich nur mühselig die Augen zu verdrehen. „Einfach so. Der Doc ist noch im Tank und ich könnte etwas Gesellschaft vertragen.“ Sie versuchte ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, nicht sicher, ob es ihr gelang.
    Daraufhin zögerte Hazel. „Okay“, sagte sie schließlich, schlich zum Sessel neben dem Tisch und hockte sich drauf. Denn meistens hockte Hazel sich, anstatt sich zu setzen. Beinahe immer hatte sie mindestens ein Bein angezogen, wie eine Wand zwischen sich und dem Rest der Welt.
    So saß sie da, nun mit beiden Beinen zwischen sich und dem Tisch, während sie mit einer Gabel immer wieder einzelne Nudeln oder Salat aufpikste. Natürlich schwieg sie dabei.
    Joanne seufzte leise. Wie sollte sie überhaupt mit dem Mädchen reden? „Was machst du im Moment so?“
    Hazel sah nicht vom Essen auf, erbarmte sich jedoch nach zwei weiteren Bissen zu antworten: „Du weißt schon. Dinge. In der Matrix⁵.“ Diese Antwort kam, wie immer, mit leiser, kaum hörbarer Stimme.
    „Was für Dinge denn?“, fragte Joanne ein wenig hilflos. Immerhin war sie froh, Matrixsuchen durchführen zu können – doch so wirklich hatte sie sich mit der Matrix einfach nie befasst.
    „Matrix-Dinge halt“, war die kleinlaute Antwort.
    Joanne war sich sicher, dass bei jedem anderen diese Antwort in einem abwehrenden Ton vorgetragen worden wäre, der deutlich gemacht hätte, dass man nicht darüber reden wollte, doch Hazel flüsterte die Antwort eher. Allerdings war es ohnehin klar, dass sie nicht reden wollte. Mit niemanden und über gar nichts. Was würde der Doc jetzt machen? Die Antwort war, auch das wusste sie nicht. Am Ende war Joachim bei weitem sozialer als sie es überhaupt sein wollte. „Nun, dann ist dir zumindest nicht langweilig.“
    „Nein.“
    Joanne beobachtete das Mädchen beim Essen, während sich der Teller immer weiter leerte. „Das ist... Doch schon einmal etwas.“
    Ein Nicken.
    Tja, was sollte sie sonst noch sagen? „Magst du nicht einmal mit anderen ein wenig rausgehen? Es ist bald Weihnachten. Gibt es niemanden, für den du Geschenke kaufst?“
    Wieder eine Pause. „Nicht wirklich“, flüsterte Hazel dann. „Ich feiere Weihnachten nicht.“
    „Das solltest du dem Doc sagen“, meinte Joanne halb scherzend. „Ich wette, er hat dich eingeplant.“
    Schweigen, ehe Hazel schließlich murmelte: „Doktor Anderson ist im Koma. Da kann ich es ihm nicht sagen.“
    „Natürlich“, seufzte Joanne. „Später.“
    Darauf war ihre einzige Antwort ein Nicken.
    Langsam leerte sich Hazels Teller, ohne dass sie von sich aus ein Wort sagte.
    Als das Mädchen schließlich aufgegessen hatte und aufstand, um den Teller wieder in die Küche zu bringen, räusperte sich Joanne noch einmal. Immerhin war es so gar nicht ihre Art einfach so aufzugeben. „Wollen wir vielleicht zusammen einen Film schauen?“, schlug sie daher vor.
    Wieder sah Hazel sie nur kurz und unsicher an. „Nein“, hauchte sie dann. „Ich würde lieber auf mein Zimmer gehen.“
    Daraufhin zuckte Joanne nur mit dem Schultern. Man konnte niemanden zwingen. „Dann tu das“, meinte sie.
    Erneut nickte Hazel nur und verschwand, kaum dass sie den Teller weggebracht hatte, wieder in der Dunkelheit ihres Zimmers.
    Noch einmal zuckte Joanne mit den Schultern und seufzte. Nun, es hätte schlimmer laufen können, beschloss sie, als sie durch das Trid-Programm zappte. Sie war halt nicht gut mit so etwas – und immerhin: Selbst Murphy⁶ brachte das Mädchen immer wieder zum Zusammenzucken, wenn er mit ihr redete. Und wenn sogar Murphy – das personifizierte Charisma mit Elfenohren – es nicht schaffte, mit ihr zu reden, wie sollte sie es dann schaffen?
    Nur ein Problem blieb: Sie hatte wieder nichts zu tun und im Trideo lief nichts, was ausreichend Ablenkung geboten hätte. Drek⁷.


    _____________________________________________


    Fußnoten


    ¹ Lowfyr - Einer der großen Drachen und CEO von Saeder-Krupp. Angeblich einer der mächtigsten Drachen. Es war ein Running Gag in unserer Gruppe, dass sich Joanne angeblich auch mit ihm anlegen könnte und ungeschoren rauskommen würde. Was natürlich Blödsinn ist.


    ² Willys oder Big Willys - Ex-Inhaftierte des Hochsicherheitsgefängnisses Big Willy. Haben eine äußerst brutale Straßengang gebildet und betreiben Menschenhandel. Dies ist der Grund, warum Joanne sich vorgenommen hat sie auszulöschen.


    ³ Karl Combatmage - Ein Trid-Klassiker in der sechsten Welt. Eine Hirnlose Actionserie über einen Kampfmagier.


    ⁴ Trideo oder Trid - Holographische 3D Fernseher. Haben klassische Fernseher de facto komplett ersetzt.


    ⁵ Matrix - Das, wonach es klingt. De facto das Internet, nur halt mehr wie die Matrix. VR, AR und alles.


    ⁶ Murphy - Ein elfischer Straßenjunge mit sehr viel Charisma. Joanne hat sich seiner angenommen und hat vor ihn zu adoptieren.


    ⁷ Drek - Übliches Fluchwort in der sechsten Welt. Ja, die Schreibweise ist richtig. Drek. Hat mit Dreck nichts zu tun.

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    Vorwort:

    Wie versprochen diese Woche einmal wieder eine Digimon Story. Um genau zu sein eine Digimon Tamers Geschichte, die im Rahmen eines kleinen Projektes entstanden ist. In diesem Projekt habe ich ein paar Geschichten, die vor dem eigentlichen Anfang der Serie, also vor 2001 spielen, geschrieben und sich größtenteils mit den erwachsenen Charakteren beschäftigen. Diese Geschichte handelt von Lee Janyuu, dem Vater von Jenrya, der gerade auf dem Weg zum Krankenhaus ist...
    Davon einmal abgesehen nutze ich hier außerdem noch einmal kurz die Möglichkeit ein wenig Eigenwerbung zu betreiben, da ich vorgestern das erste Kapitel von meinem kleinen Herzblutprojekt - A Hare Amoung Wolves - im allgemeinen Bereich hochgeladen habe. Ich würde mich auch da sehr über Leser freuen! :) Schaut doch einmal vorbei!
    Aber ja, jetzt... Digimon. :3


    Kinder



    Wie immer zur Rushhour war die tokyoter U-Bahn bis zum Zerplatzen gefüllt. Dicht an Dicht standen die Menschen, die meisten mit den Händen an den Halteschlaufen oder -stangen, manche aber gänzlich zwischen anderen Körpern eingequetscht. Viele in Anzügen und Uniformen, manche mit Jacken oder Mänteln bekleidet.
    Da es in den letzten Tagen kühler geworden war und sich so eine Erkältungswelle über Tokyo ausbreitete, trugen einige Mundschutz, teilweise um andere nicht anzustecken, teilweise um sich selbst vor fremden Keimen zu schützen.
    Janyuu trug eine offene Jacke über seinem Anzug, schützte sich jedoch sonst nicht vor Kälte oder Keimen. Er stand in der Nähe einer Tür und sah ungeduldig auf die Uhr, während der Zug im dunklen Tunnel um eine Biegung fuhr, was die Fahrgäste deutlich spürten. Seine Augenbrauen zogen sich beim Blick auf das Ziffernblatt zusammen, ganz so als wäre seine Armbanduhr daran Schuld, dass er noch nicht dort war, wo er hinwollte.
    Natürlich hatte er nicht frei bekommen – nicht einfach so. Ihr Projekt hatte sich schon verzögert (nicht, dass es etwas außergewöhnliches war) und das Jahr neigte sich dem Ende zu, so dass es ohnehin schwer gewesen wäre frei zu bekommen. Darüber hinaus jedoch betrachtete in seiner Firma man die Geburt eines Kindes nicht als Grund, warum ein Mann frei nehmen sollte – schon gar nicht, wenn es das dritte Kind war.
    Immerhin lebten sie in einem Land, wo viele Familien nur ein, maximal zwei Kinder hatten. Familien mit drei Kindern waren selten – gerade hier in Tokyo, wo Platz rar war und entsprechend kostete, wurde er von einigen mit etwas, das an Mitleid erinnerte, angesehen, wenn er ihnen von der Geburt seines dritten Kindes erzählte.
    Janyuu selbst konnte dies nicht verstehen. Er war froh, dass hier in Japan eine Familie mehrere Kinder bekommen durfte, wenn sie nur wollte. Es war nicht, wie in seiner Heimat, wo die Geburten kontrolliert wurden und Familien mit mehr als einem Kind strafen zahlen mussten.
    Doch nun war er bereits seit zwanzig Minuten auf dem Weg zum Krankenhaus. Nicht nur, dass er zu allem Überfluss noch hatte warten müssen, bis sein Vorgesetzter eine Zwischenbilanz der neuen Software abgesegnet hatte, er hatte auch mehrere U-Bahnen abwarten müssen, bis er eine erwischt hatte, die Platz für ihn hatte. Und da Mayuri in einem außerhalb von Zentraltokyo gelegenem Krankenhaus das Kind zur Welt brachte, zog sich seine Reise unangenehm in die Länge.
    So sah er schon wieder auf die Uhr und stieß ein leises, ungeduldiges Stöhnen aus, das den Zug jedoch natürlich nicht beschleunigte.
    Janyuu mochte Kinder. Schon als Jugendlicher hatte er Kinder gemocht und gehofft später selbst welche haben zu können.
    Vielleicht war dies unterbewusst – neben seinem Drang zum Abenteuer – einer der Gründe gewesen, warum er Hongkong verlassen und im Ausland zu studieren begonnen hatte, obwohl dies bedeutet hatte, Familie und Freunde zurücklassen zu müssen.
    Doch er hatte es bis heute nicht bereut. Nicht das Studium im Ausland, noch die Tatsache, dass er eine Japanerin geheiratet hatte, deren Familie (vor allem deren Vater) ihm gegenüber zuerst sehr misstrauisch eingestellt war.
    Endlich blieb die mittlerweile nicht mehr ganz so volle Bahn an einer nun oberirdischen Haltestelle in Edogawa stehen, wo Janyuu zügig zusammen mit einigen anderen ausstieg.
    Er beherrschte sich, nicht zu rennen, da dergleichen an Bahnsteigen ungern gesehen war, doch ging er zumindest zügigen Schrittes zum Ausgang der Station, die direkt zwischen Stadtpark und Krankenhaus gelegen war.
    Seine Schritte wurden immer hastiger, nachdem er die Straße überquert hatte und schließlich auf den Eingang des Krankenhauses zulief, wo sich die Glastür automatisch öffnete.
    Erst drinnen verlangsamte er seinen Gang wieder und ging auf eine der Rezeptionistinnen zu, die gerade frei war.
    „Guten Tag, entschuldigen Sie bitte“, begann er förmlich, da er mittlerweile sehr wohl wusste, wie viel Wert man hier auf Förmlichkeit legte.
    Die Dame sah auf. „Ja, bitte?“
    „Meine Frau, Lee Mayuri, sollte gerade im Kreissaal sein“, erklärte er der jungen Frau. „Könnten Sie bitte fragen, ob ich zu ihr kann?“
    „Natürlich, warten Sie doch bitte einen Moment“, erwiderte die Rezeptionistin förmlich, hob einen Telefonhörer und wählte eine kurze – fraglos Hausinterne – Nummer. Nachdem offenbar jemand abgehoben hatte, wechselte sie einige kurze Worte mit demjenigen am anderen Ende der Leitung, ehe sie auflegte. „Ihre Frau befindet sich bereits wieder auf der Station. Sie können zu ihr gehen.“
    „Vielen Dank.“ Janyuu seufzte. Er hatte also die Geburt seines dritten Kindes verpasst. Gut, zugegebener Maßen hatte er es beinahe erwartet.
    So stieg er nun also in den Aufzug, um zur Geburtstation zu gelangen. Dabei kam er nicht umher, da er allein in der Aufzuggondel war, etwas nervös sein Gewicht von ein Bein auf das andere zu verlagern.
    Als der Aufzug schließlich hielt, ging er schnellen Schrittes zur Station, wo eine der Schwestern, die auch dort gewesen war, als er Mayuri vor zwei Tagen hergebracht hatte, ihn erkannte.
    „Ihre Frau ist seit einer Viertelstunde wieder auf Station“, meinte sie und lächelte ihn an. „Es ist alles ganz problemlos gelaufen. Herzlichen Glückwunsch.“
    „Vielen Dank“, erwiderte er. „Kann ich Mayuri sehen?“
    Die Schwester nickte. „Natürlich.“ Durch eine Geste bot sie an, ihn auf das Zimmer zu führen, doch da er bereits dabei gewesen war, als Mayuri eingecheckt hatte, war das kaum nötig.
    Mit klopfendem Herzen ging er das letzte Stück zur Tür des Zimmers, in dem seine Frau war. Als er die Hand nach der Klinke ausstreckte, hörte er das Schreien eines Babys.
    Er öffnete die Tür.
    Dort saß seine Frau, ganz offensichtlich vollkommen ermüdet, auf dem Bett und wiegte das Baby in den Armen, das – obwohl es sicherlich ebenfalls von der Geburt geschafft war – offenbar weit davon entfernt war zu schlafen, wie normal beinahe alle Kinder taten.
    Mayuri bemerkte Janyuu und hob den Kopf, um ihn müde anzulächeln. „Es sieht so aus, als hätten wir einen kleinen Schreihals“, meinte sie scherzhaft, wobei ihre Stimme jedoch sehr matt klang.
    „Es tut mir so leid, dass ich nicht da sein konnte“, brach es aus Janyuu heraus.
    Seine Frau schüttelte nur den Kopf. „Mach dir keine Gedanken.“ Sie gähnte. „Es ist alles ganz Problemlos gegangen. Der Kleine konnte es offenbar kaum erwarten, auf die Welt zu kommen.“
    Janyuu lächelte. Er ging auf das Bett, das nahe am Fenster stand, zu und reckte den Kopf, um zwischen den Tüchern den Kopf des Neugeborenen zu sehen.
    Mayuri bemerkte das. Sie verlagerte ihr Gewicht ein wenig und hielt ihm dann vorsichtig das Baby entgegen, das er nicht minder vorsichtig entgegen nahm.
    Noch immer schrie das Kind, während Janyuu sich setzte und es an seine Brust zog, doch seine Schreie klangen kraftvoll und gesund.
    „Na, du“, flüsterte Janyuu mit verträumten Lächeln auf dem Gesicht. „Du hättest ruhig auf deinen Vater warten können.“
    Auf einmal, wie es bei Babys so war, hörte das Kind auf zu Schreien.
    Mayuri gab ein müdes Lachen von sich. „Na wunderbar, er mag dich jetzt schon mehr.“
    „Ich glaube, er hat nur zu müde zum Schreien“, antwortete Janyuu und wiegte das Kind seicht hin und her, wobei sich dessen Züge entspannten. Er sah in das Gesicht des Babys, das ganz offenbar nun langsam in den Schlaf hinüberglitt. „Jenrya“, flüsterte er dann den Namen des Kindes und sah seine Frau selig lächelnd an.

  • Diese Geschichte habe ich tatsächlich früher schon mal gelesen.
    Du bringst in dem Oneshot sehr viel Fachwissen über Japan und China mit ein. Die Hauptthematik scheint sich mehr davon wegzubewegen, wie sich Janyuu angesichts der Geburt seines 3. Kindes fühlt, sondern eher wie Japan und China mit dem Thema Nachwuchs umgehen und was er wahrnimmt als Chinese in einem anderen Land. Interessiert man sich von Vornherein für solche, oder ähnliche Themen bekommt man automatisch ein paar solcher Sachen mit, womit man schnell ein paar Zeilen füllen kann.
    Ist auch OK so, kann man manchen. Ist vielleicht auch informativ für Leute, die sich noch nie damit beschäftigt haben.

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    Vorwort
    Puh, es ist Samstag, nicht Freitag, und es tut mir leid. Ich war gestern de facto den ganzen Tag arbeiten und danach noch mit meinem Freund essen und bin daher nicht dazu gekommen, den Thread zu updaten. X.x Na ja, so ist das halt.
    @Sunaki: Danke einmal wieder für den Kommentar :3 Mir ging es in der Geschichte um ehrlich zu sein nicht um die Information, sondern um das bemüht distanzierte, das bemüht sachliche Denken, das im ostasiatischen Bereich speziell Männern antrainiert wird. ;)


    Ansonsonsten dieses Mal eine tatsächlich ziemlich neue Geschichte, die ich erst letzte Woche geschrieben habe - inspiriert durch einen Traum. Es geht um eine Hexe und ihre nicht-magische Freundin, die gemeinsam auf dem Weg zu einer magischen Quelle sind. Um genau zu sein geht es um die Freundin der Hexe, die ein kleines Problem mit den magischen Transportmethoden hat. ;) Die Geschichte ist Humor, Fluff und Girls Love. Viel Spaß!




    Besenritt


    Mit langsam taub werdenden Fingern krallte sich Mona am Gewand ihrer Freundin fest, die Augen zusammengekniffen. „Warum müssen wir mit einem Besen fliegen?“, jammerte sie – übrigens nicht zum ersten Mal, seit sie in Dublin gestartet waren.
    Anastasia seufzte. „Weil ich keine Lust habe zu laufen“, erwiderte sie.
    „Aber wieso der Besen?“
    „Weil es die schnellst mögliche Methode ist zu Connlas Quelle zu kommen.“
    Mona blinzelte und bereute es gleich einen Moment später wieder. Die Landschaft unter ihnen war so lächerlich klein, wie eins der Modelle, die ihr Onkel immer baute, und so weit entfernt, während alles, was sie daran hinderte, ihr entgegen zu fallen, ein alter Holzbesen war. Sie mochte es nicht. Sie mochte es gar nicht.
    Wieder kniff sie die Augen zu und drückte den Kopf an Anastasias Rücken.
    Diese lachte leise, aber nicht herablassend und griff nach ihrer Hand. „Jetzt hab dich nicht so. Ich pass' ja auf.“
    „Halt besser den Besen fest“, jammerte Mona.
    Ihr Hintern tat weh. Ihre Beine taten weh. Vor allem aber schmerzte ihr Schritt. Wer auch immer der Meinung gewesen war, dass verzauberte Besen eine Fortbewegungsmethode darstellen sollten, war entweder ein Masochist oder hatte da unten keine Nerven mehr. Na ja, oder vielleicht gab es ja auch so etwas wie einen Anti-Schmerz-Zaubertrank genau dafür.
    Dabei versuchte sie schon das Gewicht besser zu verteilen, indem sie die Füße angezogen und auf die Reisigzweige abgelegt hatte.
    Davon einmal abgesehen war es kalt und auf dem einfachen Besen gab es nichts, was sie vor der Kälte beschützen konnte.
    „Warum können wir kein Auto nehmen?“, fragte sie nach einer Weile.
    Anastasia drehte den Kopf kurz zu ihr um. „Habe ich dir doch gesagt. Es gibt Orte, zu denen man auf so einem Weg nicht kommt.“
    „Aber laufen geht doch“, protestierte Mona. Immerhin hatte Anastasia das ja gesagt.
    „Es dauert nur lang“, erwiderte diese und fügte dann hinzu: „Wenn man läuft ist man offener für die Umgebung. Um zur Quelle zu kommen, muss man das sein. Deswegen fliegen wir.“
    „Oh, ja, sehr offen“, kommentierte Mona trocken. Noch einmal wagte sie einen Blick nach unten. „Das ist doch verrückt!“
    „Nicht wenn du auf einem Besen fliegst, seit du sechs bist.“ Noch einmal sah Anastasia sich zu ihr um. „Du wolltest mitkommen, oder?“
    Mona verzog das Gesicht. Die Antwort war natürlich, dass sie gebettelt hatte mitzukommen. Sie hatte einen der magischen Orte sehen wollen. Immerhin war es etwas, wozu man – als einfacher, nicht magischer Mensch – so selten kam. Sicherlich, es gab einige magische Orte auf der grünen Insel, über die auch ein einfacher Mensch stolpern konnte, sogar ein paar, die man gezielt besuchen konnte. Die meisten jedoch erforderten zumindest eine grundlegende Kenntnis der Magie, um betreten zu werden, oder die Begleitung von jemanden, der eine solche Kenntnis besaß.
    Jemand wie Anastasia.
    Als sie auch nach mehreren Sekunden keine Antwort erhalten hatte, griff Anastasia erneut eine der tauben Hände, die sich an ihrem Gewand festhielten und löste sie vorsichtig.
    Mona zuckte zusammen.
    „Du vertraust mir doch, oder?“, fragte sie und führte Monas Hand langsam zum Stil des Besens, damit sie sich an diesem festhalten konnte.
    Mona wimmerte. „Ich vertraue dir, aber dem Besen nicht...“
    Ein Zittern lief durch das verzauberte Holz und entlockte Anastasia erneut jenes leise, melodische Lachen. „Das hört er gar nicht gerne.“
    „Warum hat dein Besen eine Meinung?“, fragte Mona leise.
    „Weil es der Geist des Holzes ist, der ihn in der Luft hält“, erklärte Anastasia. „Und glaub mir, du musst keine Angst haben. Ich habe Eachna seit ich zwölf war und sie hat mich noch nie fallen gelassen.“
    Mona sah sie fragend an. „Eachna?“
    „So habe ich sie genannt“, erwiderte Anastasia und tätschelte den Besenstil. Wieder durchlief ein Zittern den Besen, doch dieses Mal hatte Mona ganz eindeutig den Eindruck, dass es eher einen gewissen Stolz bedeutete.
    Die magische Welt war schon irgendwie verrückt.
    „Och, Schätzchen, jetzt komm schon“, meinte Anastasia schließlich und legte ihre Hand über Monas. „Öffne die Augen, entspann' dich und genieß' die Aussicht.“ Sie reckte ihr Gesicht dem Gegenwind entgegen und ein paar der blonden Haare, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, flogen Mona ins Gesicht und juckten an ihrer Nase.
    Jetzt bloß nicht Niesen!
    Sie schüttelte den Kopf und legte ihn seitlich auf den Rücken Anastasias, um so zu verhindern, weiter von ihren Haaren gekitzelt wurden, während auch ihre eigene braune Mähne hinter ihr her wehte. Sie bereute es so sehr keine Mütze zu tragen.
    Überhaupt bereute sie es, dass sie nur ein T-Shirt und eine kurze Hose trug. Fraglos, es war ein heißer Sommer, doch hier oben...
    Eine Bewegung unter Anastasias Gewand – mehr oder minder eine schwarze Tunika, eine traditionelle Bekleidung der Hexen – ließ Mona zusammenzucken. Beinahe hätte sie ihre Freundin losgelassen, doch dankbarer Weise wurde ihr gerade noch rechtzeitig klar, dass es Pea war, der offenbar seine langen Ohren ein wenig im Wind schlackern lassen wollte.
    Sollte nicht gerade ein Hase Angst in der Höhe haben?
    Eine weitere Bewegung und dann kletterte der weiße Hase – und Pea war ein Hase, kein Kaninchen, wie er jedem, der es nicht verstand, mit einem Biss deutlich machen würde – beinahe als wolle er sie damit aufziehen auf Anastasias Schulter und thronte dort wie... Wie... Nun, Mona fiel kein geeigneter Vergleich ein. Doch auf jeden Fall thronte der Hase.
    „Sei besser vorsichtig, Pea“, meinte Anastasia zu ihrem Familiar und lachte leise, als dessen Schnurrhaare sie an der Wange kitzelten.
    Der weiße Hase war fast so groß wie eine Katze und hatte ebenso ein Gemüt. Er streckte sich, rang aber im nächsten Moment um sein Gleichgewicht und kauerte sich so doch wieder an Anastasias Hals.
    „Wann sind wir da?“, fragte Mona kleinlaut, nachdem erneut ein paar Minuten vergangen waren.
    „Es ist nicht mehr weit.“ Ihre Freundin sah sich um. „Schaust du dahinten der Hügel mit dem Hain dahinter?“
    Vorsichtig öffnete Mona die Augen und sah in die Richtung, in die Anastasia zeigte.
    Tatsächlich sah sie einen grasüberwachsenen Hügel, auf dessen Spitze zwei Felsen aufeinander getürmt zu sein schienen, während ein recht kleiner Hain, noch nicht ganz ein Wäldchen, dahinter wuchs.
    Und sie waren noch immer mehr als hundert Meter in der Höhe.
    „Ja“, wimmerte sie.
    „Da hinten ist es“, sagte Anastasia nur. „Noch eine Minute und wir landen.“
    Und das taten sie auch, wobei Mona nicht sicher war, ob dieses Landemanöver nicht schlimmer war, als der gesamte Flug.
    Anastasia seufzte, als Mona neben ihr auf die Knie ging.
    Sie waren direkt neben den beiden Felsen auf der Spitze des Hügels gelandet.
    Ein sanfter Wind wehte über den Hügel und den anliegenden Hain und die frühsommerliche Sonne wärmte Monas durchgefrorenen Körper zumindest etwas auf. Sie hörte Vögel singen. Ja, die hatten es gut. Die hatten ja Flügel.
    Sie bibberte und holte tief Luft, als Anastasia sich nun neben sie kniete und einen Arm um sie legte. „Ich habe doch gesagt, dass ich dich nicht fallen lasse“, meinte sie und küsste sie liebevoll auf die Stirn. „Siehst du. Alles in Ordnung.“
    Mona nickte nur, unsicher ob sie es aktuell schaffen würde, auch nur ein Wort heraus zu bringen.
    Noch einmal ließ Anastasia ein Seufzen hören, strich dann aber durch Monas Haar. „Ist doch gut. Es ist alles gut.“
    Auch Mona seufzte. „Ist es nicht“, flüsterte sie dann. „Wir müssen ja noch zurück.“
    „Ach je“, murmelte Anastasia und ließ ihre Hand von Monas Haaren, über ihre Wange zum Kinn wandern, um es hochzudrücken, sodass die junge Nicht-Hexe sie ansehen musste.
    Monas Herzschlag beruhigte sich, als ihre Augen die ihrer Freundin trafen. Doch dann fiel ihr wieder der Besen ein – nicht zuletzt, da dieser neben Anastasia aufrecht in der Luft schwebte und sich zu ihnen hinüber zu beugen schien.
    Schließlich lächelte Anastasia. „Vielleicht können wir uns ja einen fliegenden Teppich leihen“, meinte sie dann und küsste Mona.
    Kurz gab sich Mona dem Kuss hin, doch dann begriff sie, was Anastasia da gesagt hatte. „Fliegender Teppich?“, flüsterte sie, ihre Lippen noch immer gegen die ihrer Freundin.
    Diese lachte. „Ja, sicher. Etwas exotisch, aber vielleicht ein wenig bequemer.“ Sie lächelte sie an. „Und auch wenn er es nicht zugibt: Onkel Myras hat eine Sammlung.“ Sie zwinkerte und stand auf. „Wollen wir dann?“, fragte sie.
    Mona nickte und kämpfte sich auf die Beine. „In Ordnung.“
    Wieder lachte Anastasia glücklich. „Wunderbar. Die Eicheln sammeln sich immerhin nicht von allein.“
    Und während Pea weiterhin auf ihrer rechten Schulter saß, bot sie Mona ihre Hand an, ehe sie gemeinsam zu dem seltsamen – und bei genauem Hinsehen vielleicht doch etwas unheimlichen – Hain hinabgingen, während Eachna, der Besen, ihn wie ein braves Pferd folgte.

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    Vorwort:
    So. Es ist technisch gesehen Freitag und da ich heute/morgen wieder arbeite, poste ich jetzt einmal... :P


    Okay, dieses Mal eine Geschichte aus einem etwas anderen Projekt. Diese Geschichte habe ich im vergangenen Dezember geschrieben. Ursprünglich war das ganze als eine einzelne Geschichte für den Animexx-Fanfiction-Adventskalender gedacht, aber... Irgendwie ist mir das ganze explodiert und am Ende wurde es eine Sammlung von fünf Geschichten, die am selben Ort spielen, von derselben Hauptperson handeln, aber im Verlauf von acht Jahren stattfinden.


    Bei [EN]counters handelt es sich um eine Cyberpunk-Story, genauer eine Geschichte des Genre Biopunk. Die Geschichte spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft in einer Welt, die unserer nicht unähnlich zu sein scheint. Ivory ist eine En, eine »Enhanced«, das heißt ein genetisch konstruierter Mensch. Von ihrer Regierung gezwungen in einem Krieg zu kämpfen, der sie eigentlich nichts angeht, findet sie sich in »Der Stadt« wieder und merkt schon bald, wie einsam es fernab der Heimat sein kann.




    [EN]counters

    Part One


    [DIE STADT - 2082]


    Wie ein Labyrinth aus Lichtern und Schatten lag DIE STADT unter ihr. Von hier aus waren keine Menschen erkennbar und selbst die Wagen erkannte man nur dank der sich bewegenden Scheinwerfer, die in der Tiefe der Straßenkluft schimmerten. Die Atmosphärenanzeige im Fenster selbst sagte ihr, dass draußen gute zwölf Grad Celsius herrschten – nicht unbedingt winterliche Temperaturen. DIE STADT lag zu weit im Süden.
    Ivory hatte nie gedacht, dass sie einmal hierher kommen würde. DIE STADT war in ihrer Kindheit legendär gewesen. Das Herz der neuen Welt. Mit gesamt 80 Millionen Einwohnern der größte Metroplex der Welt. Ein Ort mit unendlich vielen Möglichkeiten, so hatte man es ihr damals gesagt.
    Sicher, als Kind hatte sie, wie so viele andere, davon geträumt einmal hier zu sein – nur waren jene Szenarien doch ganz anders als die jetzige Realität gewesen.
    Sie seufzte und rief die Fenstersteuerung im AR-Feld auf, um das Glas wieder milchig weiß werden zu lassen, so dass DIE STADT nur noch ein Schimmer war, der von außen hereindrang. Sie hatte sie nur einmal von hier oben sehen wollen, konnte sie doch noch immer nicht glauben, dass sie wirklich hier war.
    Mit einem tiefen Atemzug sog Ivory, die nach Kräutern riechende Luft tief ein, ehe sie zur hölzernen Bank zurück ging und sich auf sie legte. Mit einer Handbewegung rief sie ein weiteres AR-Feld auf, um das Atmosphärenlicht wieder anzuschalten, ehe sie die Augen schloss.
    Sie war froh, diesen Ort gefunden zu haben. Es erinnerte sie an Zuhause.
    „Dienstag ist Saunatag“, hatte ihr Vater immer gesagt. Immer und immer wieder. Egal wie es in seinem Leben gelaufen war. „Dienstag ist Saunatag.“ Manchmal hatte ihre Mutter dann geschimpft, hatte gemeint, dass es wichtiges zu tun gab, dass es keine Zeit zum Entspannen gab. Ihren Vater hatte das nie gestört. Er hatte dann nur gelacht und gemeint: „Du bist nicht aus Skandia, du kannst das nicht verstehen.“
    Und dann hatte ihre Mutter die Augen verdreht und gelächelt.
    Ivory hatte es gemocht. Ob zur Schulzeit oder später im Studium. Es war eine Konstante gewesen, etwas, worauf sie sich freuen konnte. Dienstagsabends blieb Zeit zum Entspannen. Dienstagsabends konnte sie allen Ärger vergessen.
    Als sie vor zwei Wochen jedoch hier angekommen war, war es alles andere als leicht gewesen, diese Tradition aufrecht zu erhalten. Immerhin war DIE STADT groß. Es war nicht schwer gewesen, eine Sauna zu finden – schwer war es gewesen, die richtige zu finden.
    Wie jedes Kind ihrer Generation hatte auch sie die anderen Geschichten gehört. Die Megaplexes waren berüchtigt dafür. Die Gewalt, die Kriminalität, jene Art von Menschen, vor denen Eltern Kinder warnten. Unten in den dunklen Gassen gab es jede Art von menschlichen Abschaum. Manche von ihnen handelten nur mit Drogen und Waffen, die meisten natürlich nicht sauber, doch in den dunklen Schatten der Häuserschluchten konnte alles zur Ware werden.
    Geradeihre Art lief besonders Gefahr, so hatte es ihre Mutter ihr immer wieder eingebläut, eines Tages ohne Kleidung in einem fremden Zimmer aufzuwachen.
    Doch solange sie hier stationiert war, hatte sie das Geld um sich zumindest einmal die Woche den Luxus zu leisten. Zu dem Schluss war sie angekommen, nachdem sie sich einige der kleinen Salons angeschaut hatte, die es unten in der Stadt gab. Doch am Ende konnte sie nicht sicher sein, ob auch nur einer dieser Schuppen nicht mit Drogen handelte oder gar mit anderen Dingen.
    Deshalb hatte sie sich für das Shahara Spa entschieden, eins der teuersten Spas DER STADT. Es war in einem der Multiplexe gelegen. Das Centix Multiplex war in der Nähe der Hauptstation gelegen und erstreckte sich 68 Stockwerke in den Himmel über der Stadt. Die obersten zehn Stockwerke wurden vom Shahara eingenommen. Hier gab es eine Therme, Massagesalons und eine der größten Saunen der Stadt.
    Auch wenn sie es sich nicht würde wöchentlich leisten können, hatte Ivory es sich erlaubt, eine eigene Saunenkabine für eine halbe Stunde zu mieten. Kleine, gerade einmal zweieinhalb Quadratmeter große Kabinen, die sich jedoch komplett auf die eigenen Bedürfnisse regulieren ließen.
    Ein Timer im AR Feld sage ihr, dass sie nur noch fünf Minuten hatte.
    Sie schloss wieder die Augen, um zumindest ihre letzten Minuten noch zu genießen, ehe sie in den Hauptbereich zurückkehren würde.
    Selbst durch die geschlossenen Augenlider konnte sie das grüne Licht sehen, ausgestrahlt von den milchigen Platten an der Decke. Sie beachtete es nicht und konzentrierte sich auf die Geräuschkulisse – Urwaldatmosphäre – während sie die heiße Luft weiter einsog.
    Eigentlich mochte sie die Gesellschaft anderer Menschen, doch war DIE STADT für sie, die sie nur aus einer Kleinstadt kam, für sie ein ungewohnt voller Ort mit zu vielen Menschen unterschiedlicher Ethnien.
    Bei sich zuhause war sie nur eine von sechs En gewesen, die in der gesamten Stadt gelebt haben. Sie war es gewohnt angestarrt zu werden, doch die Blicke hier waren anders. Vielleicht bildete sie es sich nur ein...
    Seit sie von den UF eingezogen worden war, hatte sie mehr En getroffen, als sie es je gedacht hätte. Ihr Leben war anders, als sie es erwartet hätte – doch wie hätte sie als Kind auch mit dem Krieg rechnen können?
    Langsam wurde das Licht heller und auch ohne in das AR Feld zu schauen, wusste sie, dass ihre Zeit um war. Mit einem tiefen Seufzen setzte sie sich auf und ging in die kleine Kabine, die an den Raum angeschlossen war, um sich kalt abzuduschen. Anschließend machte sie rasch ihren Zopf neu, ehe sie den Bademantel wieder überwarf.
    Sie trat zurück in den Hauptbereich: Ein großer Saal mit einem großen, runden Wasserbecken in der Mitte, um das Liegestühle aufgestellt waren. Das Wasserbecken war leicht erhoben, so dass man erst eine kleine Treppe hinaufsteigen musste, um hinein zu kommen. Die Wände des Beckens waren halb durchsichtig und in blauen Licht erleuchtet.
    Für einen Moment zögerte Ivory, doch als sich die ersten Blicke ihr zuwandten, wandte sie sich ab und ging an den Liegestühlen vorbei zur Treppe, die in das Stockwerk drunter führte, wo es weitere Saunen gab. Saunen für vielleicht jeweils dreißig Leute. Saunen, in denen nicht überall gesprochen wurde.
    Sie wusste, sie würde sich daran gewöhnen müssen – doch aktuell fühlte sie sich einfach nicht bereit dafür.
    Natürlich war ihr klar, dass sie selbst in DER STADT Blicke auf sich zog, mit ihrer viel zu blassen Haut und ihren hell blonden, fast weißen Haaren, wie sie nur bei En vorkamen, doch mochte die diese Blicke nicht. Sie waren nicht einfach nur neugierig. Einige Blicke waren abwertend und andere – die sie noch viel mehr verunsicherten – beinahe hungrig.
    Es war nicht so, als hätte sie die Pornos nicht gesehen und von jenen Orten nicht gehört, auch wenn es selten wirkliche En waren, sondern viel eher normale Menschen, die sich Haut und Haare bleichen ließen.
    Ivory bemühte sich, die Blicke zu ignorieren, die ihr folgten, als sie in der Etage drunter zwischen den auch hier stehenden Liegen hindurch lief. Sie wusste, dass sie warten musste, ehe sie in die nächste Sauna ging, wenngleich sie gerne in das nebelige Zwielicht des Dampfbades verschwunden wäre.
    Sie sah sich um. Sie war das erste Mal hier, weshalb sie nicht sicher war, ob es einen Ort gab, wohin sie vor den Blicken fliehen konnte. Schließlich entdeckte sie eine Tür, die laut Aufschrift zu weiteren Bädern führte.
    Von den Blicken abgesehen, musste sie zugeben, dass die gesamte Einrichtung sie etwas verunsicherte. Es war eins der luxuriösesten Spas DER STADT und war entsprechend eingerichtet: Schwarze Natursteine bedeckten den Boden, die Becken waren aus Marmor oder Kristallglas, die hölzernen Bänke aus Holzen von Bäumen, die in den sterbenden Dschungeln der Welt schon lang nicht mehr wuchsen.
    Es war anders als die kleine Sauna, in die sie mit ihrem Vater gegangen war. Eine kleine Sauna im Keller eines Schwimmbades. Drei kleine Saunen, in denen sich die „normalen“ Menschen fanden. Anders als hier, wo die wortwörtlichen Reichen und Schönen DER STADT sich zu treffen schienen. Es war offensichtlich, dass die Menschen hier sich selbst hatte optimieren lassen – auch wenn sie nicht En waren. Ebenso war deutlich zu sehen, dass auch andere UF Soldaten hier waren. Auf dem Weg zu den Bädern sah sie gleich zwei Männer und eine Frau mit Cybergliedmaßen, wie sie sie auch an der Kaserne gesehen hatte.
    Schließlich floh sie in eins der Eisbäder, da sie hier nur drei andere sah. Immerhin wusste sie noch von Zuhause, dass die meisten Leute hier im Süden die Abkühlung zwischen den Saunen nicht zu schätzen wussten.
    Sie zog ihren Bademantel aus und legte ihn in eins der hölzernen Regale am Rand des Beckens, ehe sie sich in das kalte Wasser gleiten ließ.
    Während eine andere, junge Frau das Becken gerade verließ, bemerkte einer der Männer Ivory und sah sie an. Es war ein junger Mann, auch wenn man es mit den Mitteln der modernen Medizin nur schwerlich sagen konnte. Zumindest schien sein Gesicht glatt und jung zu sein, was sein Alter auf irgendwo zwischen dreißig und sechzig legen konnte.
    Er musterte sie und während sie ihren Blick abwandte, meinte sie dennoch zu sehen, wie ein Lächeln seine Lippen umspielte.
    Ihm den Rücken zuwendend tauchte sie unter. Das Becken war gebogen – eigentlich dazu gedacht als ein tieferes Tretbecken zu dienen, so dass das Wasser ihr, wenn sie stand, bis zur Brust reichte.
    Als sie wieder auftauchte, konnte sie seinen Blick noch immer im Nacken spüren. Doch sie drehte sich nicht um. Sie wollte nicht mit diesem Mann sprechen, wusste sie doch nicht wie. DIE STADT war soweit von ihrer Heimat entfernt und die Sitten ihr so fremd.
    Kleine Wellen breitete sich auf der Wasseroberfläche aus. Kam er zu ihr hinüber? Oh, bitte nicht, dachte sie, schwieg aber, während sie unbewusst selbst einen Schritt zum Rand des Beckens hinüber machte.
    Da kamen weitere Schritte in den abgetrennten Bereich, in dem das Becken war. „Hey, Richard“, sagte eine männliche Stimme.
    Der Mann hinter ihr drehte sich offenbar um. „Was?“
    „Kommst du?“, fragte die Stimme.
    Kurzes Schweigen. „Sicher.“ Erneute Bewegung im Wasser und dann hörte sie, wie er das Wasser verließ.
    Sie atmete auf, kam jedoch nicht umher die nun folgenden geflüsterten Worte zu hören: „Ist das eine Echte?“
    „Sah ganz danach aus“, erwiderte der Mann mit vielsagender Stimme.
    Ivory schürzte die Lippen, schwieg aber und tat so, als hätte sie nichts gehört. Sie schloss die Augen und zählte bis zehn. Irgendwann würde sie sich daran gewöhnen, wenn sie überhaupt so lange hier bleiben würde.
    Wenn der Krieg vorbei war, wenn die Rebellen zurückgeschlagen waren, würde sie versetzt werden – vielleicht konnte sie auch einfach nach Hause zurückkehren.
    An diesem Tag jedoch würde sie sich nicht mehr daran gewöhnen. Als sie die nächste Sauna besuchte folgten ihr die Blicke immer noch und sie hielt den eigenen Blick zu Boden gesenkt. So sehr sie sich auch bemühte, dennoch Entspannung zu finden, so kam sie nicht umher beinahe Angst zu spüren, die ihr die Brust umschlang.
    Sie war hier sicher. Niemand würde sie hier attackieren. Niemand würde sie entführen. Das schlimmste, was ihr passieren konnte, war, dass jemand sie blöd anmachte. Ein „Nein“ würde reichen, um die Situation zu beenden.
    Zwei Stunden später war sie dennoch noch immer hier, im Shahara, wenngleich sie nicht mehr in einer Sauna oder einem der Becken war. Stattdessen saß sie, in ihren Bademantel gekleidet, an der Bar am Rand des Saunabereiches. Auch wenn diese Bar nun etwas anderes war, als die kleine Theke mit einem Kühlschrank zur Selbstbedienung, den sie von Daheim kannte, war eine Sache, wie Zuhause. Es wurde hier kein Alkohol ausgeschenkt. Sie wusste dies zu schätzen.
    So saß sie an der langen Bar und trank langsam an einer hausgemachten Limonade, während sie dankbar war, dass zumindest der Barkeeper, dessen unnatürlich violetten Augen für genetische Optimierung sprachen, ihr nicht mehr Beachtung schenkte als seinen anderen Kunden.
    Während man im eigentlichen Saunabereich auf Zierde verzichtet hatte, so bemerkte sie hier einen Lichterbaum am Ende der Bar. Sie wusste, dass die meisten Menschen hier weder Sonnenwende, noch Weihnachten feierten, was es leichter machte. In Mitten der Feierlichkeiten ohne ihre Familie zu sein... Das hätte alles noch schwerer gemacht.
    Sie war in Gedanken versunken und so darauf verdacht, ihre Umgebung nicht zu beachten, dass sie zusammenzuckte, als jemand sie ansprach. „Hallo, junge Dame“, meinte der Mann neben ihr. „Bist du allein hier?“
    Sie sah sich um und erkannte den Mann aus dem Eisbad auf dem Barhocker neben dem ihren. Sie zögerte. „Ob ich allein bin oder nicht, geht Sie nichts an“, antwortete sie, doch bei weitem nicht so selbstbewusst, wie sie es gern getan hätte. Ihre Stimme klang unsicher, beinahe schon zitterig.
    Der Mann, sein Freund oder Kollege zuvor hatte ihn Richard genannt, lächelte, doch etwas an seinem Lächeln, ließ sie frösteln. „Oh bitte, junge Lady, kein Grund zur Feindseligkeit. Ich will dir nichts Böses.“
    Es ärgerte Ivory, dass er mit ihr sprach, wie mit einem kleinen Mädchen. „Was auch immer Sie wollen, ich bin nicht interessiert.“
    „Ich habe nur eine Frage“, erwiderte er, noch immer lächelnd. „Ich habe dich vorhin und bin nicht umher gekommen, mich zu fragen... Du bist eine echte En, oder?“ Er hob eine Hand griff nach ihrem Haar.
    „Lassen Sie mich bitte in Ruhe“, sagte Sie steinern.
    „Jetzt komm schon, ich will nur eine Antwort“, meinte er und lachte.
    Jemand griff nach seiner Hand und zog sie fort von ihrem Kopf. Ein anderer Mann stand dort und sah „Richard“ an. Der Mann war großgewachsen, hatte dunkle Haut und krauses schwarzes Haar. Passend dazu war auch der Bademantel, den er trug, schwarz. Sein Blick war kühl. „Gibt es hier ein Problem?“
    Richard entriss ihm seine Hand und sah ihn für einen Moment an. „Kein Problem, Mister. Kein Problem. Ich wollte die junge Frau nur etwas fragen.“
    „Fühlen Sie sich belästigt?“, fragte der Mann nun Ivory und sah sie an.
    Für einen Moment zögerte sie, nickte dann aber.
    Der Mann sah Richard an, der nur eine Grimasse zog, dann jedoch Aufstand und ging.
    „Entschuldigen Sie bitte“, meinte der Mann. „Sie sind neu in der Stadt, nicht?“
    „Ja“, antwortete sie leise. „Woher wissen Sie das?“
    Der Mann lächelte wohlwollend. „Die Art, wie Sie sich halten. Sie sind den Umgang nicht gewohnt. Sie kommen weiter aus dem Norden, nicht? Und sind hierher gekommen, für einen Job, nehme ich an?“
    Ivory senkte den Blick. „Ich bin mit den United Forces hier stationiert“, erwiderte sie und wusste nicht einmal genau warum.
    Der Mann nickte nur. „Dann rate ich Ihnen vorsichtig zu sein.“ Er streifte den Ärmel seines Bademantels hoch und zeigte eine Kerbe in seinem linken Arm, knapp unter dem Ellenbogen.
    Ivory kannte diese Kerben. Sie waren das einzige, was eine synthetische Prothese verriet. „Sie waren auch im Krieg?“
    Mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht, schüttelte er den Kopf. „Nicht einmal das. Ich war nur ein Cop hier. Aber das war ihnen egal.“ Bitterkeit schwang in seiner Stimme mit, doch er wandte sich ab. „Seien Sie vorsichtig“, meinte er erneut. „Und haben Sie einen angenehmen Aufenthalt.“
    „Warten Sie!“, sagte Ivory schnell, bevor er gehen konnte.
    Er drehte sich um.
    Für einen Moment zögerte sie. „Danke für Ihre Hilfe.“ Ein erneutes Zögern. „Darf ich Sie auf etwas einladen?“
    Auch der Mann zögerte, doch dann lächelte er. „Wenn Sie wollen... Sicher.“
    Zugegebener Maßen war es nicht nur Dankbarkeit, die Ivory dazu bewegte. Es war angenehm sich mit jemanden zu unterhalten, der sich an ihrer Andersartigkeit nicht zu stören schien – und gleichzeitig hielt es andere davon ab, sie anzusprechen.
    Sie fand bald heraus, dass der Mann Thomas McCoy hieß und in DER STADT aufgewachsen war. Er war ein Polizist gewesen, bis er in eine der Attacken der Terroristen geraten war und seinen halben Arm verloren hatte. Er war nicht länger Einsatzfähig – in den Augen der Polizei gewesen – und arbeitete nun als Private Security. Seinen Einkünften hatte es nicht geschadet, im Gegenteil, doch Ivory wurde bald klar, dass er das Geld gern gegen seine alte Stellung getauscht hatte.
    „Ich komme nicht umher mich zu fragen“, meinte er und musterte sie, „was ein junges Mädchen wie du bei den UF macht. Verzeih mir, wenn ich das sage, aber du siehst nicht aus wie eine Soldatin.“
    Ivory senkte den Blick und beobachtete das Glas in ihrer Hand. Es war mit roter Schorle gefüllt in der Eiswürfel schwammen. „Es war nicht meine Entscheidung. Oben im Norden wurden wir eingezogen.“
    Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie er die Stirn runzelte. „Eingezogen? Zwangsrekrutiert?“ Er schüttelte den Kopf. „Davon wusste ich noch nichts.“
    „Sie haben davon auch nicht berichtet“, erwiderte sie. „Es sind nur wir...“ Sie schwieg für einen Moment. „Wir En.“
    Nun war es Thomas, der zögerte. „Können sie das einfach so tun?“
    „In manchen Fällen...“ Sie trank einen Schluck, um sich eine Pause zu verschaffen. Vielleicht sollte sie nicht weiter reden, doch die Wahrheit war, dass sie sich einsam fühlte und sein Lächeln angenehm fand. „Bei uns hat die Regierung ein En-Programm gefördert. Embryos mit defekten Genen wurden optimiert. Ohne das Programm wäre ich nicht lebensfähig gewesen. Es waren Tests für eine neue En-Technologie“, erklärte sie mit gesenkter Stimme. Es fühlte sich so irreal an, darüber zu sprechen. Ihre Mutter hatte ihr davon erzählt, als sie noch jung gewesen war. Wie sie die Nachricht erhalten hatte, dass sie sie verlieren würde und wie die Regierung sich mit ihr in Verbindung gesetzt hatte. Ihre Eltern hatten lange versucht ein Kind zu bekommen – ohne Erfolg.
    Das unterschied sie von den meisten der anderen En. Die meisten En waren Kinder reicher Eltern, die es sich leisten konnten, die Gene ihrer Kinder umschreiben zu lassen. Ihre Eltern jedoch waren Mittelständler gewesen. Ihr Vater war ein einfacher Elektroingeneur gewesen mit einem eigenen kleinen Unternehmen.
    Nie hätten ihre Eltern das Geld für den Prozess gehabt, doch die Regierung hatte sie gerettet, hatte sie nicht nur Lebensfähig sondern besser als die normalen Menschen gemacht. Sie war stärker, schneller, leistungsfähiger als normale Menschen – wie alle Ens. Vielleicht hätten ihre Eltern es wissen müssen.
    Als der Krieg kam und sich länger hinzog, als man es zuerst angenommen hatte, wurden sie eingezogen. Sie, die Experimente der Staaten. Immerhin schuldeten sie den Staaten ihr Leben.
    „Wie lang ist es her?“, fragte Thomas.
    „Zwei Jahre“, erwiderte sie. „Wir wurden erst trainiert. Wir sind... Zu Wertvoll, um einfach so auf das Schlachtfeld geworfen zu werden.“ Sie machte eine Pause. „Ich bin erst seit zehn Tagen hier.“
    Thomas schwieg für eine Weile, nun selbst den Blick auf sein Getränk gewandt. „Das erste Mal soweit fort von der Familie?“, fragte er mit einem bitteren Ton in der Stimme.
    „Ja“, antwortete sie nüchtern. Sie spürte etwas schweres in der Magengegend, als sie daran dachte, dass sie ihre Familie vielleicht nie wiedersehen würde. Irgendwann würde die nächste Attacke kommen und sie würde kämpfen müssen. Vielleicht würde sie dann sterben.
    Ein Zittern lief durch ihren Körper, bevor sie sich beherrschen konnte.
    Thomas legte eine Hand auf ihren Rücken. „Es gibt nicht viel, was ich sagen könnte, um dir zu helfen. Nur so viel: Man kann sich an vieles gewöhnen. Auch an Krieg.“
    Sie nickte, antwortete aber nicht.
    „Sag, Ivory“, fuhr er fort. „Wie alt bist du eigentlich?“
    „27“, antwortete sie. Sie sah ihn an. „Ich wollte eigentlich Chemikerin werden. Ich hatte mein Studium gerade abgeschlossen, als die Nachricht kam. Jetzt bin ich hier und vielleicht...“
    „Und vielleicht bist du in ein paar Monaten wieder zuhause“, beendete er ihren Satz. Nach einem Zögern hob er seine Hand und strich ihr über die Wange.
    Sie zuckte zusammen. Nicht ob der unerwarteten Geste, sondern weil sie sich erst in diesem Moment, als sie die kalten Finger spürte, daran erinnerte, dass es nicht seine richtige Hand war. Dennoch schaffte sie es, sich zu beherrschen und nicht zurück zu weichen.
    Ivory wusste nicht, wie sie diese Geste interpretieren sollte. Sie erinnerte sich daran, dass sie Thomas nicht einmal seit einer Stunde kannte. Doch eine Tatsache war, dass sie sich in dieser fremden STADT einsam fühlte. Von den anderen Soldaten kannte sie kaum jemand. Auch die anderen En, die wie sie unfreiwillig da waren, erschienen ihr oft fremd.
    Außerdem hasste sie, von allen nur als „eine En“ gesehen zu werden.
    Vielleicht, weil sie zumindest einen Sinn in diesem Krieg sahen, den sie nicht finden konnte. Vielleicht auch nur, weil sie Heimweh hatte.
    Die Sonnenwende war nur wenige Tage entfernt. Um diese Zeit im Jahr würde sie normal nach Hause kommen. Ihr Vater würde sie abholen. Dann würde sie bis zum Neujahr bei ihrer Familie bleiben. Jetzt schien das kommende Jahr so weit entfernt.
    Thomas zog seine Hand zurück. „Entschuldige. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
    Sie schüttelte nur den Kopf. „Schon gut.“
    Er sah sie für einen Moment nachdenklich an. „Vielleicht ist dies nicht der richtige Ort für solche Gespräche.“
    „Vielleicht“, erwiderte sie. „Es tut mir leid, dich damit belastet zu haben.“
    „Schon gut“, meinte Thomas und lächelte sie an. Er machte eine Pause. „Was würdest du davon halten, das Gespräch über einem guten Abendessen fortzuführen. Weiter unten im Centix gäbe es ein Restaurant, das ich empfehlen könnte.“
    Ivory verstand die Andeutung, die in seinem Vorschlag mitschwang. Wieder musste sie zögern, doch dann lächelte sie matt. „Ja, wieso nicht.“ Nach allem, was sie über DIE STADT wusste, war es vielleicht falsch einem praktisch Fremden zu vertrauen – doch sicher war es besser, als eine weitere Nacht einsam im Dunkeln zu liegen.
    Thomas schien ein aufrichtiger Mann zu sein. Jemand, dem sie zumindest für jetzt vertrauen wollte.


  • Wenn ich Bezeichnungen wie AR-Feld höre, nehme ich jetzt mal an, dass es ein Original gibt?
    Ist der Protagonist von dir, oder extra erstellt?

    Geradeihre Art

    Kleiner Fehler. Vermutlich durch den Formatwechsel.


    Die En sind alle albinotisch und überdurchschnittlich stark, schnell und so weiter.
    Gleichzeitig fallen sie auf und fühlen sich isoliert, bzw diskriminiert. Dahinter könnte eine gewisse beabsichtigte Symbolik liegen, was?
    Aber wenn En vor allem Kinder von Reichen sind, warum werden sie dann eingezogen? Irgendwie stellt man sich heutzutage vor, dass die Eltern Lobbyarbeit gegen diese Entscheidung betrieben würden, damit ihre Kinder nicht in Gefahr geraten.


    Was mich interessiert, wenn Ivory als einzige in ihrer Gegend nicht das Kind reicher Eltern ist unter den Ortsansässigen En. Wie war dann ihr Verhältnis zu diesen? Hat man sie auch von der Seite aus ausgeschlossen? Wobei Reich nicht immer gleich Bully ist.
    Ist immerhin auch ein Klischee.

  • Danke mal wieder für den Kommentar.


    Kurz als Erklärung:


    Wenn ich Bezeichnungen wie AR-Feld höre, nehme ich jetzt mal an, dass es ein Original gibt?

    Nein. Es ist einfach ein in Cyberpunk recht üblicher Begriff ;) Die Geschichte, die Welt, die Charaktere und die Hintergründe sind alle aus meiner alle meinem Hirn entsprungen :P


    AR-Feld bezieht sich halt einfach auf den Bereich der Wahrnehmung, die im AR-Bereich ist, also Augmented Reality. Die Idee ist hier halt - wie in diversen Cyberpunk Geschichten - dass die Leute eben integrierte Technologie haben, die ihnen ohne Umstände erlaubt, mit dem AR-Feld zu interagieren.



    Aber wenn En vor allem Kinder von Reichen sind, warum werden sie dann eingezogen?

    Nur die En, die aus Regierungsgeldern bezahlt/geschaffen wurden. ;) Also die, deren Eltern nicht reich waren, bei denen die etwaigen Regierungen die Kosten übernommen hat. Mit der Logik: "Diese Leute würden ohne Regierungsgelder nicht existieren, also kann die Regierung über sie verfügen."
    Sprich: En, wo die Eltern für die Manipulation bezahlt haben, können nicht einfach so eingezogen werden.

  • 111585-e3c14dfc.png



    Vorwort:
    So, wie ich schon im Thread von "Der Schleier der Welt" angekündigt habe, hier nun die "Pilotgeschichte" zu A Hare Among Wolves. Wie ich im Hauptthread zu AHAW angemerkt habe: Wenn ich die Geschichte überarbeite würde ich ein paar Sachen ändern (unter anderem würde die Geschichte wohl im August spielen, nicht im September, da wir die Timeline noch einmal ein wenig verrückt haben, als wie Der Schleier der Welt geschrieben haben) und wir würden Watson ein wenig mehr - nun, die Leser der Hauptgeschichte werden es verstehen - Watson machen. ;)


    Nichts desto trotz: Hier ist die erste Hälfte vom Pilot von A Hare Among Wolves. Die Geschichte spielt ein paar Wochen vor dem Anfang des ersten Bandes.


    Kyra Hare, ihres Zeichens Privatdetektivin, wird von einer verzweifelten Mutter beauftragt, der Polizei zu helfen ihren seit dem Vortag verschwundenen Sohn, wieder zu finden. Doch nicht alles ist so, wie es scheint, und der Fall ist seltsamer, als Kyra es ursprünglich vermutet.


    A Hare Among Wolves


    Pilot
    Der unsichtbare Freund



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    Der Tag begann vernebelt – keine große Überraschung in Edinburgh. Der einzige Trost war, dass auf einen nebeligen Morgen meist ein sonniger Tag folgte. Dies war jedoch nur bedingt ein guter Trost, als Kyra Watson durch die klamme Morgenkälte führte, um den großen Berner Sennenhund sein morgendliches Geschäft verrichten zu lassen.

    Sie gähnte, während der große Hund aufgeregt an einer Buche in der Allee schnüffelte. Zumindest einer von ihnen war wach. Sie vergrub ihre Hände tiefer in den Taschen ihres Ledermantels – falsches Leder, aber zumindest war der Mantel gefüttert. Erleichtert seufzte sie auf, als der Hund schließlich um sie herum tänzelte und ihr signalisierte, dass ihm nun viel eher nach Frühstück war.
    Das traf sich gut, denn auch sie war hungrig.
    Vorsichtig schlich sie die Treppe hoch, um ihrer Vermieterin Mrs. Moore aus dem Weg zu gehen. Die alte Frau war der Gattung „verrückte, alte Katzendame“ und mochte entsprechend Watson nicht besonders, da ihre geliebten sechs Katzen Angst vor ihm hatten.
    Im zweiten Stock angekommen öffnete sie die Tür zu ihrem Apartment und ging hinein. Sofort stürmte Watson an ihr vorbei und in die Küche, wo er sich schwanzwedelnd vor seine leere Futterschüssel stellte.
    Kyra sah ihn lächelnd an und ging in das Vorratszimmer neben der Küche, nur um festzustellen, dass selbst von dem trockenen Hundefutter nur noch Reste da waren.
    „Ich fürchte das ist alles“, meinte sie, als sie das Futter in seine Schüssel füllte.
    Watson bellte zustimmend, ehe er sich über das Futter hermachte.
    Für eine kurze Weile hockte sich die junge Frau neben ihn und strich durch sein zotteliges Fell, richtete sich dann aber auf, um zum Kühlschrank hinüber zu gehen. Immerhin hatte auch Sie Hunger und war kein Fan von Hundefutter.
    Ein Blick in den Kühlschrank sagte ihr jedoch, dass sie dies eventuell würde überdenken müssen. Gähnende Leere erstreckte sich in diesem. Einzig ein paar letzte Reste Butter und drei vertrocknete Scheiben Toastbrot ließen sich hier finden.
    „Wir brauchen dringend einen neuen Job, Watson“, stellte sie fest, da sie wusste, dass auf ihrem Konto dieselbe Ebbe herrschte, wie im Kühlschrank.
    Der Hund gab ein kaum definierbares Geräusch von sich. Sie interpretierte es, als auf aufmunternden Zuspruch.
    Mit einem Seufzen machte sie sich die letzten Scheiben Toastbrot. Zumindest hatten sie noch Marmelade.
    Eine halbe Stunde später saß sie – nun mit einem ordentlichen Pullover und Jeans bekleidet, in ihrem Arbeitszimmer und surfte gelangweilt im Internet. Watson lag neben ihr in seinem Körbchen und sah die geschlossene Tür missmutig an.
    Sie hatte seit über einer Woche keinen Job mehr gehabt. Man sollte meinen, dass es mehr untreue Ehemänner in der Stadt geben musste – nicht das diese Fälle besonders interessant waren.
    Die Zeit verging und Kyra harkte, als kurz vor halb Zwölf ihr Mitbewohner aufstand, den Tag als einen weiteren, erfolglosen Eintrag in ihren Kalender ab.
    „Sollen wir gleich schauen, ob wir irgendwas zum Mittagessen finden?“, fragte sie Watson, der mit einem Brummen aufsah.
    „Ja, das mein ich auch“, erwiderte sie, wandte sich dann aber seufzend ihren Computerbildschirm zu. Noch ein paar Minuten, sagte sie sich, dann würde sie Mittagspause machen.
    Eine Minute. Zwei Minuten. Drei Minuten. Jason ging in sein Zimmer zurück. Vier Minuten. Fünf Minuten. Sechs Minuten...
    Es klingelte an der Tür.
    Konnte es sein?
    „Jason!“, brüllte sie. „Mach mal auf!“
    Ein Grummeln war die Antwort, aber sie konnte ihn in die Gegensprechanlage reden hören. Dann Stille und dann hörte sie, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Ein kurzes Gespräch, dann näherten sich Schritte.
    Jason öffnete die Tür. „Ein Klient“, sagte er nur und warf Kyra einen strafenden Blick zu. Er mochte es nicht, wie ihr Laufbursche behandelt zu werden. Kyra reagierte darauf nicht, sondern warf der Frau um die 40, die nun das Arbeitszimmer betrat ein – wie sie hoffte – professionelles Lächeln zu.
    „Setzen Sie sich“, meinte Kyra und stand auf, um auf einen der beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch zu zeigen. „Möchten Sie vielleicht einen Tee?“
    „Äh, was?“, fragte die Frau, schüttelte dann aber den Kopf. „Äh, nein.“
    Kyra schätzte die Frau auf Ende 40. Ihr hellbraunes Haar zeigte bereits ein paar graue Ansätze und ihre Mimik warf einige Falten auf. Sie war jedoch sehr ordentlich gekleidet, nicht im Sinne vom großen Wohlstand, jedoch deutete ihre Kleidung zumindest auf ein durchaus vertretbares Familieneinkommen hin.
    Ihre Bewegungen wirkten jedoch fahrig, so als wäre sie gedanklich nicht ganz da. Etwas belastete sie – vielleicht nicht überraschend, da dies für die meisten Leute galt, die zu ihr kamen. Ihre Augen waren verweint.
    „Was kann ich für Sie tun?“, fragte Kyra betont freundlich.
    Die Frau reagierte nicht sofort. Dann sah sie sie an. „Sie sind Privatdetektivin, oder?“
    Nur mit Mühe konnte Kyra sich davon abhalten, eine spitze Bemerkung zurückzugeben. Bleib professionell, ermahnte sie sich selbst. Natürlich wusste sie, dass ein Arbeitszimmer in einer normalen Wohnung, nicht sehr professionell wirkte. Sie wusste auch, dass sie nicht unbedingt immer den Eindruck einer Detektivin erweckte. Aber was konnte sie dafür, dass ihre leicht welligen Haare einfach nicht im Zopf bleiben wollten? Und sie erwartete schon von ihren Kunden, dass sie über das eigentlich ohnehin recht unauffällige Nasenpiercing hinweg sehen konnten.
    Gut, sie hatte auch keine große Lust, es jeden Tag rauszunehmen – aber das hatte nichts mit ihrer Arbeit zu tun. Und sie konnte sich nun einmal keine richtige Kanzlei leisten. Sherlock Holmes hatte seine Klienten auch in seiner Wohnung empfangen! Ihm Wohnzimmer sogar! Er hatte nicht einmal ein Arbeitszimmer gehabt und in den Büchern hatte es nie jemanden gestört.
    „Ja, ich bin Privatdetektivin“, sagte sie mit Mühe gefasst und bemühte sich weiterhin um ein hoffentlich verständnisvolles Lächeln. „Was kann ich für Sie tun?“
    „Äh... Ja... Nun...“ Die Frau zögerte etwas. „Also mein Name ist MacConnery, Emily MacConnery und... Ähm... Suchen Sie auch vermisste Personen?“
    Das war zugegebener Maßen eine seltenere Anfrage. Meistens bezogen auf ehemalige Freunde oder Liebhaber, die aus irgendwelchen Gründen gesucht wurden. Kyra hatte eine sich mittlerweile eine Antwort darauf vorgefertigt. „Natürlich helfe ich auch beim Finden von Personen, die Sie aus den Augen verloren haben. Ich mache allerdings darauf aufmerksam, dass ein tatsächlicher Vermisstenfall bei der Polizei gemeldet werden müsste.“ Sie hasste es ehrlich zu sein.
    „Mein Mann ist bei der Polizei“, sagte die Frau schnell. „Es ist nur... Wir wissen nicht... Es... Nun. Wir haben gelesen, wie viel schwerer es nach ein paar Stunden wird und... Ich fühle mich so schlecht.“
    Kyra sah sie an. Sie konnte sich schon zusammenreimen, was los war – immerhin war es im Kontext nicht schwer zu verstehen. „Ihr Kind?“
    Die Frau nickte. „Mein Sohn. Cole. Er ist neun.“ Ihre Stimme zitterte. „Er... Ist gestern nicht nach Hause gekommen. Zumindest glauben wir das. Er... Oh, ich fühle mich so schlecht. Wir... Wir haben es nicht bemerkt und jetzt... Vielleicht...“
    Mit einem Seufzen sah Kyra sie an. „Sie wollen, dass ich der Polizei helfe, nach ihrem Sohn zu suchen?“
    „J-ja“, erwiderte die Frau. „Bitte.“
    Für einen Moment zögerte Kyra. Nach Kindern suchen war normal nichts, was sie tat – aber am Ende konnte sie es wahrscheinlich genau so gut, wie jeder andere Privatdetektiv und sie konnte das Geld gebrauchen. „Natürlich.“ Sie griff in die Schublade ihres Schreibtischs und zog einen Vertrag heraus. „Mrs. McConnery, ich weiß, das ganze muss furchtbar für Sie sein. Ich muss Sie trotzdem bitten erst meinen Vertrag zu unterschreiben, ehe Sie mir vertrauliche Informationen erzählen.“
    „Äh... Ja... Natürlich“, sagte die Frau und nahm das Papier, zusammen mit einem der Stifte, die Kyra bereit gelegt hatte.
    „Ich würde Sie bitten, die Bedingungen genau durchzulesen, bevor Sie ihnen zustimmen, ja?“, erklärte Kyra. „Ich nehme 30 Pfund die Stunde. Einen Nachtzuschlag von 5 Pfund pro Stunde. Ich weiß, Sie wollen nicht über Geld reden. Aber ich muss Sie über die Preise informieren und möchte dabei Ihre Situation nicht ausnutzen.“
    „Natürlich.“ Mit zittrigen Händen nahm Mrs. MacConnery die Unterlagen und begann zu lesen.“
    Es vergingen einige Minuten und einige Rückfragen später war der Vertrag unterschrieben. Kyra mochte diesen Teil nie – aber nachdem sie ein, zwei, nun, vielleicht auch häufiger nachgiebig gewesen war und am Ende nur einen Teil ihres Gehalts (wenn überhaupt etwas) bekommen hatte, war sie vorsichtig geworden. Immerhin musste Sie am Ende vom Monat auch Miete bezahlen.
    „Können Sie versuchen, mir noch einmal in Ruhe zu erklären, was genau passiert ist?“, bat Kyra schließlich.
    Mittlerweile hatte die Frau wieder Tränen in den Augen. Wohl kein Wunder. „Natürlich... Mein Mann und ich... Mein Mann hat gerade Dienstzeitausgleich und ist daheim und wir waren gestern in Glasgow. Und... Ja, wir sind gestern erst spät nach Hause gekommen und... Oh Gott, wir wollten Ihn nicht wecken und als ich heute morgen in sein Zimmer gekommen bin war er nicht da.“
    „Okay.“ Kyra nickte. „Hatte er einen Babysitter oder so etwas?“
    „Äh, ja... Normaler Weise schon... Aber Clara, also die Babysitterin, war krank... Und Cole meinte, es wäre schon okay. Er wollte nach der Schule direkt nach Hause kommen. Und... Ich meine, er ist schon vorher allein nach Hause gekommen und allein zuhause geblieben... Deswegen dachten wir es wäre schon in Ordnung...“ Sie schluchzte. Es war deutlich, dass sie sich Vorwürfe machte – natürlich – was angesichts der Umstände wohl keine große Überraschung war.
    Dummer Weise nur war Kyra nicht gut mit diesen Sachen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, um die Frau zu beruhigen. Immerhin war sie kein Psychologe! „Ähm...“ Sie räusperte sich. „Wann haben Sie genau gemerkt, dass Cole nicht da war?“
    „Heute morgen. Kurz nach Sieben. Wie gesagt, ich wollte ihn wecken... Und sein Zimmer war leer“, erzählte die Frau. „Ich habe bei Jamie angerufen, einem seiner Freunde, und habe gefragt, ober da geschlafen hat. Dann bei Billy. Aber er war nirgendwo...“ Sie schluchzte.
    Kyra öffnete kurz eine weitere ihrer Schubladen und fand was sie suchte: Eine Packung Taschentücher. „Hier“, meinte sie und wartete, dass die Frau sich die Nase geputzt hatte. „Sie haben wohl auch in der Schule angerufen?“
    „Natürlich“, erwiderte Mrs. MacConnery. „Niemand weiß, wo er ist. Er war gestern mit den anderen Kindern auf dem Spielplatz. Aber er ist danach nirgendwohin gegangen... Also zumindest sind seine Sachen nicht Zuhause. Seine Schulsachen. Gar nichts.“ Erneut schnäuzte sie sich die Nase.
    Kyra nickte, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte. „In Ordnung, Mrs. MacConnery. Ich werde mich darum kümmern, wenngleich ich natürlich für nichts garantieren kann.“
    Die Frau nickte. „Ich verstehe.“


    Etwa eine halbe Stunde später fuhr Kyra in ihrem hellblauen MGB vor einem Reihenhaus im Nordosten von Edinburgh vor. Während Watson auf dem Rücksitz saß und den Kopf auf ihre Rückenlehne gelegt hatte, saß Mrs. MacConnery auf dem Beifahrersitz.
    Im Moment weinte sie nicht mehr, wofür Kyra dankbar war. Worüber sie sich weniger Gedanken machen wollte, war, ob dies mit mangelnden Vertrauen in ihre Fahrkünste zu tun hatte.
    Sie parkte den Wagen vor der offenen Garage, in der bereits ein Combi stand.
    Als der Wagen endlich stand versuchte Mrs. MacConnery die Tür zu öffnen, die wie schon zuvor klemmte.
    „Moment“, sagte Kyra, stieg aus und lief um den Wagen herum, ehe sie sich daran machte mit sanfter Gewalt die Beifahrertür zu öffnen, die dringend geölt werden sollte.
    „Danke“, meinte die Frau, als sie ausstieg.
    „Kein Problem.“ Kyra bemühte sich um ein Lächeln und beugte sich in den Wagen herein, wo Watson sie hechelnd ansah. „Sei ein braver Hund und bleib hier. Ich bin kurz mit der netten Dame im Haus, ja?“
    Watson bellte. Sie nahm an, dass dies „Ja“ hieß.
    Also folgte sie Mrs. Connery in das Haus, das eins jener schmal geschnittenen Reihenhäuser, wie sie in den 70ern en masse gebaut worden waren. Die Fassade war in einem blassen Grün gestrichen – während es kaum so etwas wie einen Vorgarten gab.
    Aber was sollte Kyra sagen – sie hatten immerhin überhaupt keinen Garten, während ihr Haus auch halb zwischen zwei anderen ähnlich alten Häusern eingeklemmt war.
    Mit fahriger Hand öffnete Mrs. Connery die Haustür und ließ Kyra hinein.
    Schon im Hausflur sah man, dass es hier eine Familie mit Kindern oder zumindest einem Kind lebte: Stiefel, die auf dem Boden lagen, Kinderkleidung an der Garderobe. In der Küche hing ein mit Buntstiften gemaltes Bild am Kühlschrank.
    Kyra nahm es näher in Augenschein. Es zeigte ein Kind, das zusammen mit einem anderen Kind auf einer Wiese spielte – natürlich in der etwas krakeligen Form mit dreieckigen Nasen und gestricheltem Haar, wie es für jüngere Kinder üblich war. „Das hat Cole gezeichnet?“
    „Äh, ja“, meinte Frau MacConnery und stellte sich hinter sie.
    „Er ist das eine Kind, ja?“, fragte Kyra. „Das andere?“
    „Das ist Jimmy... Sein... Nun, sein imaginärer Freund.“ Die Frau seufzte schwer.
    „Imaginärer Freund?“ Kyra hob eine Augenbraue und sah die Frau an.
    „Sie wissen, wie Kinder in dem Alter sind. Cole hat eine sehr lebhafte Fantasie und Jimmy ist sein 'unsichtbarer Freund'. Der Kinderarzt sagt, es sei einfach eine Phase, durch die viele Kinder gehen.“
    Kyra nickte, sagte aber nicht viel dazu. Sie glaubte immerhin kaum, dass ein imaginärer Freund ein Kind entführen würde. „Können Sie mir sein Zimmer zeigen?“
    „Natürlich.“
    Mrs. MacConnery führte sie eine Treppe hoch in das erste Geschoss des Hauses. Das Kinderzimmer war anhand der an die Tür geklebten Buchstaben leicht zu erkennen – auch daran, dass die Tür offen stand.
    Kyra folgte der Frau in das Zimmer hinein, das relativ klein und sehr unordentlich war. Auch hier hingen einige Bilder an der Wand, von denen viele dieselben Figuren zeigten, wie unten. „Cole malt gerne?“, fragte sie.
    „Ja“, erwiderte Mrs. MacConnery und ihre Stimme zitterte wieder. „Er ist ein sehr ruhiger Junge, wissen Sie? Er malt und liest und ist meist lieber auf seinem Zimmer.“
    „Hat er noch andere Freunde, als Jimmy?“, fragte Kyra.
    „Nun... Es gibt ein paar Klassenkameraden, mit denen er nach der Schule spielt. Aber er bringt selten jemand mit nach Hause... Er ist halt eher ein Einzelgänger.“ Sie seufzte schwer. „Deswegen mache ich mir solche Sorgen. Er hat eigentlich niemanden, zu dem er gehen würde. Er...“
    „Gäbe es denn einen Grund für ihn wegzulaufen?“, fragte Kyra. Sie merkte, dass Mrs. MacConnery wieder kurz vorm Weinen stand, doch was blieb ihr für eine Wahl. Sie musste ein paar Fragen stellen.
    „Nein!“, sagte die Frau schnell. „Nein. Natürlich nicht. Er war eigentlich immer ein lieber, unkomplizierter Junge. Bis auf... Na ja...“ Sie verstummte.
    Kyra sah sie fragend an. „Ja?“
    „Nun. Er hatte in letzter Zeit... Ein paar Probleme mit meinem Mann... Also seinem Vater“, erklärte Mrs. MacConnery leise. „Sie müssen sehen, Alan ist bei der Marine und daher oft mehrere Wochen am Stück fort... Und in letzter Zeit... Es ist wohl eine Phase... Aber Cole hat in letzter Zeit öfter mit ihm gestritten. Hört nicht mehr auf ihn. Sie wissen schon. Aber ich glaube nicht, dass er deswegen weglaufen würde!“
    „Hatte er denn in den letzten Tagen mit ihm gestritten?“, fragte Kyra.
    Die Frau schüttelte den Kopf. Nun liefen wieder Tränen über ihre Wange. „Nein. Das ist es ja. Es gibt einfach keinen Grund! Irgendetwas muss passiert sein!“
    Kyra seufzte. „Ich werde schauen, was ich tun kann. Ich möchte Sie allerdings vorher um zwei Dinge bitten: Erstens brauche ich ein getragenes Kleidungsstück von Cole. Watson ist vielleicht kein Polizeihund, aber er hat eine gute Spürnase. Genug, als dass es einen Versuch wert wäre. Zweitens würde ich Sie bitten bei der Schule anzurufen. Ich würde gerne mit ein paar seiner Mitschüler sprechen.“


    Zwanzig Minuten später fuhr Kyra vor einer der örtlichen Grundschule vor. Sie wirkte wie jede andere Schule auch alles andere als einladend. Zumindest war es keine High School.
    Nun, zum Glück musste sie ja nicht zum Unterricht.
    „Na, was meinst du, Watson? Magst du mitkommen?“, fragte sie, als sie den Wagen anhielt. Ihr war klar, das ein Hund im Inneren der Schule nicht gern gesehen sein würde, doch zum einen wollte sie Watson nicht schon wieder im Wagen lassen, zum anderen war er vielleicht genau das richtige, um ein paar Kinder davon zu überzeugen, dass sie ihnen nichts wollte.
    Watson gab ein unterdrücktes Bellen von sich. Ein „Ja“, beschloss Kyra, und klappte nach dem Aussteigen den Fahrersitz nach vorn, um auch Watson aus der Tür zu lassen, da der Wagen keine Hintertüren hatte.
    Mit dem Schwanz wedelnd trottete der Hund neben ihr her, während Kyra sich nun auf den Weg in das dunkle Backsteingebäude hinein machte. Laut ihrer Uhr war es kurz nach Eins – womit sie genau in der Mittagspause ankommen sollte.
    Es brauchte einige Minuten, bis sie das Lehrerzimmer gefunden hatte, doch schließlich klopfte Sie an die Holztür, neben der ein Schild mit der entsprechenden Aufschrift hing.
    Ein älter Mann mit grauem Bart und Halbglatze öffnete die Tür und sah sie sehr misstrauisch an. „Ja?“
    „Guten Tag“, sagte Kyra rasch. „Mein Name ist Kyra Hare. Ich bin Privatdetektivin und Mrs. MacConnery hat mich arrangiert bei der Suche nach Cole MacConnery zu helfen. Ich bin auf der Suche nach seiner Klassenlehrerin Mrs. Coulter. Sie müsste informiert sein, dass ich komme.“
    „Oh“, meinte der alte Lehrer und sah sie weiterhin missmutig durch seine Brille hindurch an. „Moment. Ich frage Sie.“ Er machte die Tür wieder zu.
    Watson gab einen kurzen Kehllaut, fast wie ein Winseln, von sich und sah Kyra mit großen Augen an.
    Sie seufzte. „Ich finde ihn auch nicht sehr nett.“
    Mit der Fußspitze nervös auf den Boden klopfend, wartete sie auf Mrs. Coulter, die schließlich die Tür öffnete.
    Zumindest nahm Kyra an, dass die etwas breitere Dame mit den offensichtlich blond gefärbten Locken Mrs. Coulter war, da sie sie direkt ansah und fragte: „Ms. Hare?“
    „Ja“, sagte Kyra schnell. „Hat Mrs. MacConnery Sie erreichen können? Ich bin wegen Cole hier.“
    „Ja, natürlich. Lassen Sie uns in eins der Klassenzimmer gehen, ja? Da können wir in Ruhe sprechen.“ Sie warf Watson einen Blick zu. „Ist das ihr Hund?“
    Kyra nickte. „Ja. Mein tatkräftiger Helfer, wenn man so möchte.“
    Die Lehrerin sah Watson an, der ob der Aufmerksamkeit, die ihm so zu teil wurde, direkt wieder anfing mit dem Schwanz zu wedeln und die Mrs. Coulter freudig hechelnd ansah.
    „Nun gut“, murmelte Mrs. Coulter und tätschelte Watson den Kopf. „Eigentlich dürfen hier keine Tier mit reingebracht werden.“
    „Tut mir leid“, erwiderte Kyra mit einem entschuldigenden Lächeln. Sie kraulte Watsons Kopf. „Er ist nur nicht sehr gut damit allein zu bleiben, wissen Sie?“ Das war nicht einmal komplett gelogen. Immerhin wurde Watson normal nervös, wenn sie nur ein paar Stunden nicht in seiner Nähe war.
    Die Lehrerin schenkte ihr ein Lächeln. „Ich verstehe schon.“ Sie blieb stehen und öffnete eine Tür zu ihrer linken. „Hier. Kommen Sie mit rein.“ Damit zeigte sie in den Raum, der, wie sie vorher gesagt, ein Klassenraum zu sein schien.
    Kyra mochte es zugegebener Maßen nicht so wirklich. Sie war froh aus der Schule – und der Uni – raus zu sein. Alles was sie mit Klassenräumen verband, waren Stunden um Stunden von ermüdender Langeweile. Deswegen ließ sie es sich nicht nehmen, sich gegen das Lehrerpult zu lehnen, die Arme vor der Brust verschränkt, während Watson sich wie immer zu ihren Füßen setzte.
    Seufzend setzte sich Mrs. Coulter auf den Lehrerstuhl und sah sie an. „Nun“, begann sie und sah zu ihr auf, „was kann ich für Sie tun?“
    „Was können Sie mir über Cole erzählen?“, fragte Kyra und zog ihren Notizblock aus ihrer Jackentasche hervor. „Ist in den letzten Tagen irgendetwas passiert, was erklären könnte, warum er verschwunden ist?“
    Die Lehrerin schüttelte den Kopf. „Ich fürchte nicht.“ Ihrer Stimme nach zu urteilen schien sie es wirklich zu bedauern. „Cole ist immer ein eher ruhiger Junge gewesen. Er macht keine Probleme, hat aber auch nicht viele Freunde. Seine Noten sind eher gut, auch wenn er sich mündlich nicht sehr beteiligt.“ Sie seufzte schwer. „Er hat manchmal Ärger bekommen, weil er im Unterricht vor sich hinträumt und nicht aufpasst. Aber nichts in den vergangenen Tagen.“
    „Was ist mit Freunden?“, fragte Kyra während sie sich alles notierte. Es war nicht wirklich etwas neues, da ihr auch Mrs. MacConnery ähnliches gesagt hatte.
    „Nun, er spielt in den Pausen mit Billy und Max“, antwortete die Lehrerin. „Manchmal auch mit Katie. Das heißt William Riley, Maximillian Thomas und Katie Foley. Alles Klassenkameraden von ihm. Alle drei eher ruhig. Ein wenig Außenseiter, die in der Schule zusammenbleiben, denke ich.“ Sie überlegte. „Soweit ich mich erinnere, war Cole mit Billy und Max zusammen, als er gestern gegangen ist. Hilft Ihnen das weiter?“
    „Vielleicht“, erwiderte Kyra.
    Zugegebener Maßen hatte sie sich mehr erhofft. Sie hoffte, dass der Junge nur fortgelaufen war, denn das war definitiv die angenehmste Vorstellung. Normal bedeutete es, dass er im Verlauf des Tages oder vielleicht der nächsten zwei, drei Tage auftauchen sollte.
    Das Problem soweit war nur eindeutig, dass niemand soweit einen Hinweis darauf hatte, dass dies der Fall war. Natürlich machten sich Erwachsene immer gerne vor, dass es keinen Grund geben konnte, dass ein Kind unglücklich sei, doch hatte Kyra aktuell nichts, wonach sie sonst gehen konnte.
    Wenn der Junge jedoch nicht weggelaufen war, blieben noch zwei andere Möglichkeiten: Entweder jemand hatte ihn entführt oder etwas war auf seinem Heimweg passiert. Beides keine gute Aussicht.
    Zumindest half keine der Aussagen von Mrs. Coulter ihr weiter. Auch nach einigen Nachfragen wusste sie nur, dass der Junge jedenfalls ein ruhiger Außenseiter gewesen war, der gerne Bücher las, aus dem Fenster sah und offenbar eine blühende Fantasie hatte. Er war offenbar auch schon mehr als einmal zum Opfer von einem Chris und einem Timmy, die ihrer Aussage nach die beiden Problemkinder der Klasse waren.
    „Kann ich vielleicht mit Billy sprechen?“, fragte Kyra schließlich.
    Sie wusste selbst sehr genau, dass es eigentlich nicht so einfach war, mit Kindern im Rahmen eines Kriminalfalls zu sprechen. Die Eltern mussten zustimmen und meistens musste auch jemand mit einer speziellen Ausbildung dabei sein. Allerdings hatte sie dafür nun gerade wirklich keine Zeit – und sie würde ja auch nicht über einen Mordfall sprechen. Na ja, zumindest hoffte sie es nicht.
    Mrs. Coulter schien ähnliches durch den Kopf zu gehen. „Nun“, meinte sie sehr zögerlich. „Ich denke... Nun, wenn ein Lehrer dabei ist...“ Sie schien hin und hergerissen zu sein. „Ich fürchte, Sie müssen, warten, bis ich mit den Eltern gesprochen habe.“
    Nur schwer unterdrückte Kyra ein Seufzen. „Natürlich.“







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    Mehr als eineinhalb Stunden später, verließ sie die Schule. Sie hatte mit den Kindern gesprochen – allen fünf, die von der Lehrerin genannt wurde. Billy, ein dunkelhaariger, blasser Junge, mit einem verträumten Blick. Max, ein eher plumper Junge, der vollauf begeistert von Watson gewesen war. Katie, einem schüchternen braunhaarigen Mädchen. Chris, einem ebenfalls etwas plumpen, aber kräftigen blonden Jungen. Sowie Timothy, einem sehr mageren schwarzhaarigem Jungen.

    Sie waren alle am Nachmittag am Tag zuvor – einem relativ warmen Septembertag – auf einem Spielplatz ein paar Straßen entfernt gewesen. Cole hatte dort mit Billy, Max und Katie Piraten gespielt, ehe es zu einem kleinen Streit mit Chris und Tim gekommen war.
    Billy, Max und Katie waren danach auf einen Bolzplatz gegangen und hatte Cole nicht mehr gesehen. Selbiges behaupteten auch die anderen beiden Kinder.
    Sie waren sich alle in einer Sache einig gewesen: Sie hatten gedacht, er wäre nach Hause gegangen.
    Zumindest zwei interessante Dinge waren von den Kindern bemerkt worden, auch wenn diese bedeuteten, dass es nicht gut für Cole aussah.
    Billy hatte ihr erzählt, dass ein seltsamer, großer, blasser Mann am Spielplatz gewesen war und sie beobachtet hatte. „Er sah aus wie ein Skelett“, hatte der Junge mit träger Stimme erzählt und dabei Watson angestarrt. „Ganz gruselig.“
    Der Mann hätte einen schwarzen Mantel und eine Sonnenbrille getragen und zumindest Chris hatte den Mann wohl ebenfalls gesehen, auch wenn seine Beschreibung nicht so Detailreich ausgefallen war, wie die Billys. Jedoch ging Kyra davon aus, dass der „große, blasse Typ“, den Chris dort noch nie gesehen haben wollte, derselbe Mann gewesen war.
    Außerdem hatten Chris und Tim beide gesagt, dass Cole, als sie ihn gesehen hatten, verängstigt ausgesehen hatte. Wenn sie davon ausgehen wollte, dass sie nicht selbst daran schuldig waren, hatte es vielleicht mit einem Erwachsenen zu tun haben, der ihn bedroht hatte?
    Vielleicht nahm sie zu viel an. Manchmal neigte sie dazu, zu viele Gedankensprünge zu machen.
    Doch wenn es stimmte, dann konnte es sein, dass Cole in Gefahr war.
    Eine Sache gab es noch, die die Kinder gesagt hatten, die Kyra etwas seltsam vorkam. Denn Billy, Max und Katie hatten allesamt – unabhängig voneinander – von Jimmy erzählt, der angeblich mit ihnen auf diesem Spielplatz gewesen sei. Jimmy, der angeblich nur ein unsichtbarer, imaginärer Freund war.
    Mrs. Coulter, die bei ihren Gesprächen mit den Kindern dabei gewesen war, hatte es nicht besonders auffällig gefunden. Sie hätten Fantasie, hatte sie gemeint, für das Alter vollkommen normal.
    Nun, vielleicht dachte Kyra auch zu viel darüber nach. Was wusste sie schon von Kindern? Immerhin war es unwahrscheinlich, dass ein unsichtbarer Junge Cole entführt hatte.
    Was konnte sie also machen? Viel mehr gab es hier nicht herauszufinden. Also brauchte sie einen anderen Ansatz.
    Sie rief bei der Polizei an und gab ihnen ihre neuen Erkenntnisse weiter, ehe sie zu dem Spielplatz fuhr. Vielleicht gab es hier etwas, das bisher übersehen worden war. Eigentlich glaubte sie es nicht – aber hey, es war immerhin ein Ansatzpunkt.
    Zu ihrer Überraschung fand sie keine Polizei hier vor.
    Es war ein relativ großer Spielplatz mit mehreren hölzernen Klettergerüsten, die im Stil einer mittelalterlichen Burg gestaltet waren. Es gab außerdem einen großen Sandkasten und zwei Schaukeln, sowie einen anbei gelegenen Bolzplatz.
    Der Spielplatz war am Rand eines kleinen Parkgebiets, so dass der Spielplatz zwischen einer Straßenecke und dem Park selbst lag. Auf der Straßenseite gegenüber lag ein kleiner Pub, der offenbar bereits geöffnet hatte. Die anderen anliegenden Häuser schienen einfache Wohnhäuser zu sein.
    Kyra parkte den hellblauen Wagen, dessen Motor aktuell alles andere als glücklich klang, zwischen zwei anderen Autos hinter dem Pub, ehe sie ausstieg. Sie ließ Watson aussteigen, ehe sie begann sich umzusehen.
    Vielleicht war die Polizei schon hier gewesen?
    Sie seufzte und ging zu dem Spielplatz hinüber. Sie kam sich albern vor. Was sollte sie hier finden? Es war ein Spielplatz und sie hatte keine Möglichkeit zu wissen, ob irgendwelche Dinge, die sie hier im Sand fand, zu Cole oder einem der vielen anderen Kinder gehörten, die fraglos hierher kamen.
    Dennoch sah sie sich um. Vielleicht gab es ja irgendetwas, das sie weiterbringen würde.
    Ja, sicher...
    Zehn Minuten später war sie sich relativ sicher, dass es hier nichts gab, dass sie ohne ein Labor – das sie nicht hatte – irgendwie weiterbringen würde. Bei aller Überwachung in diesem Land sah sie keine Kamera in direkter Nähe, nicht das sie darauf Zugriff gehabt hätte.
    „Was sollen wir machen, Watson?“, murmelte sie und sah den Berner Sennenhund an, der neben einer Bank bei dem Spielplatz saß und sie aufmerksam beobachtete.
    Er bellte. Sie nahm an, dass er ebenso wenig Ahnung hatte, wie sie.
    „Was sollen wir dann versuchen?“, fragte sie und ging zu ihm hinüber.
    Watson stand auf und begann mit dem Schwanz zu wedeln, als sie zu ihm hinüberkam. Sie kraulte ihn hinter dem Ohr und sah sich noch einmal um, als sie eine ihr bekannte Gestalt an einer Hauswand lehnen sah.
    Ihr kam eine Idee.
    „Watson?“, fragte sie und sah zu der Frau hinüber. „Ist das Sophie?“
    Sophie war eine Obdachlose, die seit guten zwei Jahren auf der Straße lebte. Kyra kannte sie, nun, zumindest hatte sie ein paar Mal einen Kaffee mit ihr getrunken. Sie wusste zwar nicht, wie es genau dazu gekommen war, dass sie auf der Straße gelandet war.
    Auf halben Weg zu ihr hob Kyra die Hand zum Gruß und Sophie nickte ihr zu.
    Sie war nicht einmal besonders alt. Kyra schätzte sie auf vielleicht Mitte dreißig, auch wenn ihr blondes Haar fahl war und ihre Haut gegerbt. Sie hatte jedoch relativ gute Zähne im Vergleich zu anderen Obdachlosen die Kyra kannte.
    „Hey, Sophie“, grüßte Kyra sie, während Watson zu Sophie hinüberlief und sie schwanzwedelnd begrüßte.
    „Hey, Kyra“, erwiderte die Frau, während sie sich bückte um Watson zu kraulen. „Was kann ich für dich tun?“
    Für einen Moment zögerte Kyra und biss sich auf die Unterlippe. Sie kam sich schuldig vor, weil Sophie direkt davon ausging, dass sie ihre Hilfe brauchte. Auf der anderen Seite war es wohl wahr – sie hatte Sophie seit drei Wochen nicht mehr gesehen und natürlich auch nicht nach ihr gesucht.
    „Entschuldige, Sophie“, meinte sie ganz automatisch. „Ich habe tatsächlich einen Fall.“
    „Habe ich mir schon gedacht“, erwiderte Sophie. „So verloren wie du dar standest.“ Sie richtete sich auf und musterte Kyra mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Also sag mir, Mädchen, womit kann ich dir helfen?“ In ihren Worten klang, auch wenn sie freundlich war, ein deutliches „Und was gibst du mir dafür?“
    Kyra lächelte zurückhaltend. Nun, also direkt zum Haupttext. „Nun, ich suche einen Jungen, der hier gestern verschwunden ist. Name ist Cole.“ Sie zog das Bild, das die Mutter ihr gegeben hatte, aus ihrer Manteltasche hervor. „Du hast nicht zufällig irgendetwas gesehen oder gehört?“ Für einen Moment, ehe sie hinzufügte: „Warst du überhaupt gestern hier?“
    Sophie nahm ihr das Bild ab und sah es für eine Weile an. „Ich war tatsächlich hier in der Nähe“, erwiderte sie. Sie legte die Stirn in Falten, dachte offenbar nach. „Ich habe den Jungen nicht bewusst gesehen.“
    Natürlich nicht. Kyra seufzte und nahm das Bild zurück. „Hast du irgendetwas anderes gesehen? Etwas auffälliges? Jemand auffälliges?“
    Watson legte den Kopf schief, während die ältere Frau nachzudenken schien. Sie antwortete nicht sofort, doch schließlich nickte sie. „Eine Sache. Am Nachmittag lief hier ein Kerl 'rum. Groß, hager, sah ein bisschen aus, wie ein Drogenjunkie. Eingesunkenes Gesicht und so. Blass. Trug eine Sonnenbrille und einen Hut. Schien nicht erkannt werden zu wollen. War jedenfalls auffällig und ist für eine ganze Weile um den Spielplatz rumgestalkt.“
    „Hast du gesehen, wie der Kerl weggegangen ist?“, fragte Kyra vorsichtig, doch Sophie schüttelte den Kopf.
    „Nein. Tut mir leid, Kyra.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin vorher gegangen.“ Daraufhin sah sie sie an. „Sorry, dass ich dir nicht weiter helfen kann.“
    „Schon gut“, erwiderte Kyra vorsichtig. Sie notierte sich, was Sophie gesagt hatte. Dann nickte sie in Richtung des Pubs. „Willst du einen Kaffee?“
    „Gern.“ Sophie nickte.
    Es war eine unausgesprochene Abmachung. Bisher hatte Kyra die Erfahrung schon öfter gemacht, dass Bettler und Obdachlose manchmal mehr mitbekamen als irgendjemand anderes in der Stadt – vielleicht weil die Leute sich bemühten, sie nicht zu sehen. Es war jedoch jedes Mal etwas bedrückend, wenn sie danach dachte, dass Sophie nichts hatte wohin sie später gehen konnte. Natürlich gab es einige Bleiben, aber eben kein „Zuhause“. Für Kyra gab es nichts, was sie daran ändern konnte. Das einzige, was sie tun konnte, war hier und da einmal ein Essen auszugeben – meist in Austausch gegen Informationen.
    Am Ende kaufte sie Sophie statt eines Kaffee einen Teller mit Eintopf und eine Cola und ging ihre Notizen durch, während die andere aß.
    Auch wenn dieser Fall interessanter war, als der übliche „Ich glaube, mein Partner betrügt mich“ Fall, so kam sie nicht umher, langsam frustriert darüber zu werden, dass es keinen vernünftigen Anhaltspunkt gab. Nichts, was ihr eine Idee geben konnte, wo der Junge war – außer, dass er vielleicht von einem seltsamen, blassen, hageren Typen mit Sonnenbrille entführt worden war.
    Es frustrierte sie noch mehr zu wissen, dass mit jeder Stunde, in der Cole nicht gefunden wurde, die Wahrscheinlichkeit geringer wurde, ihn lebendig zu finden. Sie war alles andere als scharf darauf, der Mutter zu sagen, dass sie leider nichts hatte tun können, der Sohn wahrscheinlich tot war und man sie dennoch würde bezahlen müssen.
    „Ich schau mich draußen noch einmal um“, meinte sie zu Sophie und stand auf.
    „Tu das“, erwiderte sie. „Ich kann mich gerne einmal umhören. Vielleicht hat jemand anderes den Jungen gesehen.“
    „Danke.“ Kyra nickte ihr zu. „Wo kann ich dich finden?“
    „Heute Abend am Hauptbahnhof“, erwiderte Sophie. „Wie immer.“
    Erneut nickte Kyra und verließ nach einem kurzen Abschied den Pub, nur um draußen von Watson freudig begrüßt zu werden.
    „Dich scheint das ganze gar nicht zu betrüben, hmm?“, meinte sie und streichelte ihn seufzend. Sie sah auf ihr Handy: Keine neue Nachrichten. Ein Teil von ihr hatte gehofft, dass die Mutter ihr vielleicht mitgeteilt hatte, dass man den Jungen schon gefunden hatte.
    Sie sah Watson an. Nun, was sie Mrs. MacConnery gesagt hatte, war nicht gelogen. Auch wenn Watson kein ausgebildeter Spürhund war, hatte er eine gute Spürnase – wenngleich sie keine wirkliche Hoffnung hatte hier etwas zu finden.
    Aber es war ein Ansatz. Sie hatte ohnehin keine wirkliche Wahl.
    „Was meinst du, Watson?“, fragte sie und beugte sich zu ihm hinunter. „Magst du ein Spiel spielen?“ Sie griff in die kleine Gürteltasche, in der sie immer einige Leckerlis mit sich herumtrug.
    Gierig fraß er das kleine Futterstückchen und bellte mit wedelndem Schwanz.
    „Na, dann komm, Großer“, erwiderte sie und ging zu ihrem Auto hinter dem Wagen.
    In einer Plastiktüte hatte sie hier das getragene T-Shirt, das Mrs. MacConnery ihr gegeben hatte, in das Handschuhfach gesteckt. Da die Beifahrertür klemmte, kletterte sie auf der Fahrerseite in den Wagen und fischte die Tüte aus dem Fach heraus.
    „Komm mit, Junge“, sagte sie dann, nachdem sie den Wagen abgeschlossen hatte, und ging mit Watson zum Spielplatz zurück.
    Sie glaubte nicht wirklich daran, aber da sie keine bessere Idee hatte und das echte Leben halt nun einmal leider keine Krimiserie war, wo es direkt immer einen erkennbaren Hinweis gab, wenn man lang genug suchte, war es einen Versuch wert. Es war jedenfalls besser als die nächsten zwei Stunden damit zu verbringen in der vagen Hoffnung irgendeinen Hinweis, der ihr wahrscheinlich auch nicht sagen konnte, wohin der Junge war, den Sandkasten zu durchsuchen, oder jeden Menschen, der vorbei kam zu fragen.
    „Also, Watson“, meinte sie schließlich, als sie zwischen Klettergerüst und Sandkasten standen, und hockte sich vor den Hund, der brav vor ihr auf dem Boden saß und sie erwartungsfroh ansah. „Schnupper' mal hier dran.“ Sie nahm das T-Shirt aus der Plastiktüte und hielt es ihm vor die Nase.
    Der Berner Sennenhund richtete sich auf und schnüffelte – nicht ohne wieder mit dem Schwanz zu wedeln – an dem Shirt.
    „Kannst du damit eine Spur von Cole finden?“, fragte sie und bereute es, dass sie ihn nie dazu dressiert hatte, wirklich zu suchen.
    Der Hund sah sie fragend an.
    „Such“, sagte sie langsam. „Such Cole.“
    Noch immer schien Watson nicht zu verstehen, was sie von ihm wollte.
    Erneut hielt sie ihm das T-Shirt hin. „Such Cole!“, forderte sie ihn mit etwas festerer Stimme auf. „Such, Watson. Such.“ Sie zeigte auf den Boden.
    Schließlich bellte der Hund auf und senkte tatsächlich seine Nase zum Rasen, auf den sie standen, und begann zu schnüffelnd. Er lief los, die Schnauze weiterhin am Boden und Kyra seufzte nur erleichtert auf.
    Er hatte verstanden. Zumindest konnte sie das hoffen.
    Eine ganze Weile lief Watson über den Spielplatz hin und her. Dabei war sich Kyra nur zu sehr bewusst, dass ein Schild vor dem Spielplatz sagte, dass Hunde hier eigentlich nicht erlaubt waren. Aber hey, Watson würde sein Geschäft auf dem Platz verrichten, also würde es wohl in Ordnung sein.
    Der Hund lief von einem Klettergerüst zum anderen, dann zum Sandkasten, wo er die Schnauze halb in den feuchten Sand versenkte, ehe er zur Schaukel rannte und drei mal um diese herum.
    Nachdem er denselben Weg mehrfach wiederholt hatte – und Kyra schon die Hoffnung aufgeben wollte, dass es irgendetwas brachte, da es wohl zu schwer war zwischen all den Gerüchen, die hier fraglos in der Luft lagen, den richtigen zu finden – richtete er den Kopf auf. Wider wedelte er mit dem Schwanz und bellte laut. Auffordernd sah er sie an.
    „Hast du etwas?“, fragte Kyra und hoffte nur, dass es tatsächlich eine Spur von Cole und kein Eichhörnchen war.
    Erneut bellte Watson und schien darauf zu warten, dass sie zu ihm hinüberkam.
    „Dann hoffen wir mal“, murmelte sie zu sich selbst und lief zu Watson hinüber, der zu verstehen schien und – die Nase erneut gesenkt – wieder losrannte.
    Also folgte Kyra, während der Hund nun zum Durchgang, der am Rand des Spielplatzes durch den umgebenden Zaun führte, rannte und einmal hindurch dann über die Straße.
    Auf der anderen Seite wartete er auf Kyra, die erst sicher ging, ob kein Auto kam. Dann folgte sie ihm, während der Hund nun wieder loslief.
    Er rannte eine Gasse zwischen zwei alten Häusern hindurch, dann die schmale Straße dahinter entlang. Es folgte eine weitere Straße, dann zwei Gassen – eine so schmal, dass Kyra seitlich hindurch musste.
    Watson schien sich seiner Sache auf einmal ziemlich sicher zu sein, so sicher, wie er sich normaler Weise nur war, wenn es um Essen geht. Doch Kyra blieb nichts übrig, als ihm und seiner Spürnase zu vertrauen. Schlimmstenfalls hätte sie Zeit verschwendet, sagte sie sich. Dann konnte sie noch immer einen anderen Ansatz versuchen.
    Einige Minuten schnellen Tempos später, wartete Watson vor einem hohen, hölzernen Zaun und sah Kyra erwartungsvoll an. Er bellte, als sie endlich zu ihm aufschloss und stupste mit der Schnauze gegen eins der Bretter.
    Kyra sah sich den Zaun genauer an. „Was hast du da, Junge?“
    Wieder war ein Bellen die Antwort.
    Doch sie erkannte, was er gefunden hatte. Das Brett, das er anstupste, schien locker zu sein und ließ sich zur Seite klappen. Als Kyra das tat, bellte Watson, als wollte er sie dafür loben und quetschte sich durch den Spalt. Beinahe schon glaubte sie, dass er stecken geblieben war, doch irgendwie kam er auf der anderen Seite des Zauns an und sah sie durch die Lücke erneut voller Erwartung an.
    „Du bist lustig“, murmelte sie und besah sich die Lücke. Sie war nicht dick – im Gegenteil konnte man sie schon eher als zierlich bezeichnen – doch würde sie nie im Leben durch das Loch passen.
    Also gab es nur einen anderen Weg, da der Zaun an den Nachbarhäusern anschloss: Drüber.
    Der Zaun war knapp so groß, wie sie selbst, und Sport war definitiv nicht ihr liebstes Fach gewesen.
    „Oh man“, murmelte sie und nahm anlauf.
    Alles andere als elegant sprang sie in die Höhe und zog sich dabei am oberen Rand des Zauns hoch, der bedrohlich knarzte, sie aber dankbarer Weise hielt. Dann fiel sie sie mehr oder weniger auf der anderen Seiten hinab, schaffte es aber irgendwie auf der anderen Seite auf den Füßen zu landen.
    Watson sah sie an, als schien er ihr irgendetwas sagen zu wollen. Manchmal wünschte sie sich, dass er reden konnte.
    Sie sah sich um. Das Haus, in dessen Vorgarten sie standen, schien verlassen. Nun, zumindest ein Klischeeversteck für einen Kinderschänder, dachte sie sich. „Ist Cole hier?“, fragte sie Watson, der natürlich wieder nur bellte.
    Seufzend folgte sie ihm, als er wieder loslief. Sie war sich dessen bewusst, dass es auch bei verlassenen Häusern verboten war, in diese einzubrechen, und genau so war sie sich dessen bewusst, dass sie keine Waffe hatte und wahrscheinlich nicht stark genug war, um sich gegen einen großen, blassen Mann zu wehren. Doch hey, hier ging es um einen kleinen Jungen, oder? Zumindest sagte sie sich das, als Watson an der Tür des Hauses kratzte.
    Sie öffnete die Tür, die nicht abgeschlossen war und folgte Watson in das Haus.
    Zielstrebig lief Watson den alten, staubigen und absolut gruselig wirkenden Flur entlang und stieß die nächste Tür in einen leeren Raum, der offenbar einmal die Küche gewesen war auf. Hier jedoch blieb er stehen und bellte das Fenster an.
    Verwirrt sah Kyra ihn an. „Da durch?“, fragte sie ungläubig.
    Etwas machte keinen Sinn. Gut, wenn der Junge verfolgt worden war und nicht ganz auf den Kopf gefallen, konnte sie sich vorstellen, dass er vielleicht einmal durch das Haus geflohen war. Aber das Fenster war deutlich verriegelt – aber wer sollte es wieder zugemacht haben?
    Dennoch führte es auf einen Hinterhof, auf dem mehrere Mülltonnen standen und von dem aus gleich zwei Gassen weiter führten.
    Sie seufzte. „In Ordnung, Junge.“ Damit öffnete sie das Fenster, durch das Watson einfach hindurch sprang.
    Kyra folgte ihm, wenngleich sie erneut nicht besonders elegant landete.
    Doch von dem Hinterhof aus, ging es nicht mehr so einfach weiter. Bis hierhin war Watson sehr zielstrebig gelaufen, doch hier lief er wieder mehrfach im Kreis.
    Vielleicht lenkte ihn der Geruch vom Müll ab? Natürlich konnte Kyra nur raten, doch am Ende schlug Watson den Weg durch eine der beiden Gassen ein, ging dieses Mal jedoch langsamer und sah sie immer wieder fragend an.
    Als sie aus der Gasse hinaus kamen, endeten sie auf einer sehr schmalen Straße. Einer älteren Straße, wenn man nach dem Pflaster ging, das sie bedeckte. Sie war gerade breit genug, als dass ein Auto würde neben dem Bürgersteig würde herfahren können.
    Watson schlug den Weg nach Rechts ein, blieb jedoch stehen und drehte dann um.
    „Was ist los, Watson?“, fragte Kyra vorsichtig.
    Der Hund sah sie an und gab ein kurzes Jaulen von sich. Er wusste es also auch nicht.
    Vielleicht, überlegte sie, hatte der Verfolger hier den Jungen eingeholt und geschnappt? Die Straße schien ziemlich abgelegen und sie konnte keinen Laden in der Nähe sehen, was weniger Fußgänger bedeutete, als auch weniger Zeugen. Das würde Sinn machen, beschloss sie. Das hieß natürlich, wenn Watson überhaupt die Spur des Jungen verfolgt hatte.
    „Lass uns erst einmal so weiterschauen“, meinte Kyra. Vielleicht hatte sie ja Glück und fand einen Hinweis oder einen Zeugen. Vielleicht...
    Sie sah die Straße in beide Richtungen hinunter und entschloss sich schließlich nach links zu gehen. Es war nur ein Bauchgefühl, aber am Ende konnte sie ohnehin in beide Richtungen gehen.
    Watson neben sich folgte sie der Straße, von der immer wieder Gassen abgingen. Auch über zwei Kreuzungen mit anderen, ebenso schmalen Straßen, fand sie.
    Sie wusste, dass sie irgendwo im Nordwesten des Schlosses sein musste, noch immer relativ Nahe am Zentrum der Stadt, doch genau kannte sie die Gegend nicht.
    Keine Spur von Cole war zu sehen. Natürlich nicht.
    Dennoch lief sie weiter, während sie noch einmal alles, was sie wusste, in ihrem Kopf durchging. Vielleicht hatte sie irgendetwas übersehen. Vielleicht gab es noch einen Hinweis. Vielleicht...
    Sie blieb stehen. Mittlerweile war sie geschätzt einen halben Kilometer von der Gasse, durch die sie gekommen waren, gelaufen. Doch eine Auslassung in der Häuserfront zu ihrer Rechten hatte ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen: Keine weitere Seitenstraße, sondern ein Parkplatz, der offenbar zu einem kleinen Supermarkt gehörte.
    Der Parkplatz war nicht groß und würde wohl gerade für acht oder neun Autos Platz bieten und der Supermarkt schien wenig größer als so mancher Kiosk zu sein.
    Kyra wusste, dass man in manchen Wohngebieten noch solche Läden fand – das war nichts besonderes – doch eine Sache war hier, die neue Hoffnung in ihr aufkommen ließ: Eine Überwachungskamera zeigte recht auffällig von dem Gebäude auf den Parkplatz und damit auch auf die Straße davor.
    „Komm, Watson“, sagte sie und ging zu dem Laden hinüber.

  • Ah ja, davon hast du also erzählt. Das es eine Kurzgeschichte wird, ist ganz praktisch. So sehen wir im Schnelldurchlauf, wie ein Fall bei dir aufgeklärt wird. Das ist ganz nützlich denke ich, um sich ein Bild zu machen. War dein Freund daran auch schon beteiligt?


    Kyra folgt also vom Spielplatz aus einer Spur.
    Was macht der Junge in der Gegend? Vermutlich ließ er sich weglocken, bis zu dem Haus und wurde da, oder in der Nähe entführt.
    Wäre er schon am Spielplatz entführt worden, hätten die Kinder etwas bemerken können und außerdem wäre er dann sicher in ein Auto gezerrt worden und dann dürfte ein Spürhund wenig bringen.
    Und dann gäbe es noch den großen, dürren, blassen Mann. Wenn man den Mystischen Aspekt berücksichtigt kommen ein paar Fragen auf. Ist er vielleicht ein guter Kerl? Oder ist er in Wirklichkeit dieser Jimmy(?) und kann somit seine Gestalt verändern? Oder sind die beiden ein Team?
    Es endet schonmal mit einer guten Chance auf einen Hinweis.



    Aber was konnte sie dafür, dass ihre leicht welligen Haare einfach nicht im Zopf bleiben wollten? Und sie erwartete schon von ihren Kunden, dass sie über das eigentlich ohnehin recht unauffällige Nasenpiercing hinweg sehen konnten.

    Ah, endlich eine Charakterbeschreibung. Der Nasenring klingt süß, ich find sowas hübsch.
    Meine bisherige Vorstellung, kam denke ich auch ganz gut hin. Jugendliches Gesicht, hellbraune mittellange Haare, gebunden, mittelgroß. So etwa.

    wie sie hoffte – professionelles Lächeln zu.

    Kommt mir so vor als hätte sie dabei versagt.

    zwei, nun, vielleicht auch häufiger nachgiebig gewesen war und am Ende nur einen Teil ihres Gehalts (wenn überhaupt etwas) bekommen hatte, war sie vorsichtig geworden. Immerhin musste Sie am Ende vom Monat auch Miete bezahlen.

    Da wiederholst du dich aus Kapitel 1. Aber ich denke mal das hast du raus geschnitten, als du die Kurzgeschichte hier von der Hauptstory getrennt hast?

    Worüber sie sich weniger Gedanken machen wollte, war, ob dies mit mangelnden Vertrauen in ihre Fahrkünste zu tun hatte.

    Manchmal kommt sie dann doch etwas zu schusselig, oder Comic Relif - haft rüber.

    „Nun. Er hatte in letzter Zeit... Ein paar Probleme mit meinem Mann... Also seinem Vater“

    Ist einer von ihnen nicht sein leibliches Elternteil? Denn diese Formulierung kommt mir sehr komisch vor. Die meisten würden einfach sagen, er hätte Probleme mit seinem Vater gehabt.

    „Mein Mann ist bei der Polizei“


    Alan ist bei der Marine und daher oft mehrere Wochen am Stück fort...

    Also ist er noch auf der Polizeistation? Oder zählt für sie das Militär einfach dazu? Oder hast du einfach einen Fehler gemacht?
    Denn diese Formulierung kommt mir auch so komisch vor.