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In diesem Thema habt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten zur Verfügung, die ihr den Texten im nächsten Beitrag geben könnt. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl ausreichend begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten. Zudem ist zu beachten, dass Texte möglicherweise in der mobilen Version des Forums nicht richtig dargestellt werden, weshalb es sich empfiehlt, diese mindestens einmal am PC anzusehen.
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Zitat von AufgabenstellungDas Thema dieses Wettbewerbs lautet:
Spiegel
Spiegel. Schon seit jeher üben sie eine Faszination auf den Menschen aus, ob als Zeichen des Selbst-Bewusstseins, wenn sich ein Kind zum ersten Mal im Spiegel selbst erkennt, ob als Vorbote von sieben Jahren Pech, sollte man ihn zerbrechen, oder auch als Übergang in fantastische (Parallel-)Welten. Nun ist es eure Aufgabe, eine kurze Erzählung zu schreiben, in der ein Spiegel im Mittelpunkt steht. Auf welche Art und Weise ihr dabei vorgeht, bleibt euch überlassen; auch ist es nicht zwingend notwendig, dass es sich tatsächlich um einen Spiegel handelt, sodass ihr auch andere spiegelnde Oberflächen behandeln könnt, solange der Themenbezug noch klar erkennbar ist. Ein Pokémonbezug ist hierbei nicht verpflichtend.
Insgesamt sind an mindestens 3 Abgaben 5 Punkte zu verteilen, maximal 3 an eine Abgabe.
ZitatID:
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Schreibt in die Schablone bitte ausschließlich die Zahlen eurer ID und der Punkte ohne zusätzliche Begriffe. Achtet dabei darauf, bei der Schablone zwischen Doppelpunkt und ID/Punktzahl ein Leerzeichen zu machen, damit die Auswertung über den Voterechner ohne Probleme erfolgen kann. Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 28.05.2917, um 23:59 Uhr.
Zerrbild | Wahrheitsbild ?
Ich hasse Spiegel. Heißt es nicht, Spiegel seien die Tore zur Seele? Oder waren das doch die Augen? Aber eigentlich ist doch beides das gleiche. Wir spiegeln uns ja auch in den Augen anderer, oder nicht? Und egal ob nun in Augen oder an Wänden - ich hasse es.
Denn das, was ich im Spiegel sehe, das bin nicht ich. Die Person da drinnen hat nichts mit mir zu tun, sie ist eine Lüge. Mein Spiegelbild lügt.
Es ist grau. Mein Spiegelbild ist immer grau, grau und rot.
"Wer. Bist. Du?"
Ich starre es an, als könnte ich es damit zwingen, sich aufzulösen. Es soll verschwinden. Aus diesem Spiegel und vor allem aus meinem Leben. Stattdessen starrt es einfach zurück.
"Wer. Bist. Du?"
Es spricht langsam, betont jedes Wort, um mich zu provozieren und setzt lange Pausen, die mich in den Wahnsinn treiben. Warum kommt es immer wieder?
"Verschwinde!" Grau und Rot. Jedes verdammte Mal.
"Wer. Bist. Du?"
Ich balle die Hände zu Fäusten. Zorn pocht dumpf hinter meinen Schläfen.
"Jedenfalls nicht du!", presse ich hervor. Die Worte prallen gegen das Glas.
Mein Spiegelbild zuckt nicht einmal. Es grinst.
"Aber ich bin du."
Wie ich es hasse, dieses Bild! Ich hasse es von seiner grauen Mütze bis zu den Spitzen der schwarzen Stiefel. Jede einzelne Faser dieser verfluchten Uniform. Alles Lüge.
"Es ist die Wahrheit. Du leugnest sie nur."
"Halt die Klappe!"
Die Ruhe in diesen Augen macht mich rasend. Es sind tote Augen. Nichts davon lebt noch. Gar nichts.
"Lüge."
"Ich hab gesagt, du sollst still sein!"
"Ich bin nicht tot."
Natürlich hört es nicht auf mich, es lächelt bloß kalt und wissend und spricht einfach weiter. Immer weiter. Sagt Dinge, die ich nicht hören will. Dinge, die niemand hören soll. Dinge, die nicht mehr wahr sind.
"Hör auf."
Meine Stimme zittert. Ich presse mir die Hände auf die Ohren, aber es ist in meinem Kopf. Natürlich. Seine Stimme ist meine Stimme. Seine Lippen, die sich bewegen - es sind meine.
Nein. Nein, es sind nicht meine. Ich bin das nicht! Nicht mehr.
"Das denkst du vielleicht, aber du weißt, dass es nicht stimmt. Du weißt, dass du mir nicht entkommen kannst."
"Hör auf!"
Der Spiegel zerspringt mit einem lauten Knall. Keuchend starre ich auf das Mosaik aus Wut, aus dem kleine Scherben zu Boden rieseln. Meine Knöchel bluten.
Mein Spiegelbild ist immer noch da. Es starrt mich aus dem kaputten Spiegel heraus an wie durch das Netz einer Spinne, blass und mit aufgerissenen Augen. Dann grinst es. Weil es weiß, dass ich verloren habe.
"Du hast dich nicht verändert. Nie."
Alles beginnt sich zu drehen. Meine Hand schmerzt.
"Du kannst mir nicht entkommen. Du kannst uns nicht entkommen."
Ich kann nichts tun außer auf die Scherben an der Wand zu starren, Zeugen meiner Wut. An ein paar von ihnen kleben Blutstropfen.
"Ich...bin nicht..." Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll. Was ich überhaupt sagen kann. Mein Kopf ist mit einem Mal völlig leer, als wären alle Gedanken einfach zersprungen. Mit einem Knall, der mir immer noch in den Ohren dröhnt. Wo ist all der Zorn hin, der mich aufrecht gehalten hat?
"Gib auf."
Jede Scherbe ist wie ein eigener Spiegel. Hundert Mal dieses Bild. Hundert Mal sein Grinsen.
"Du weißt es. Ich bin die Wahrheit."
Hundert Mal diese Stimme in meinem Kopf. Nichts hat sich verändert. Nichts. Meine Beine beginnen zu zittern. Meine Augen brennen.
"Ich bin die Wahrheit."
Ich kann nicht mehr stehen. Der Boden unter mir scheint zu schwanken. Mit einem zweiten Knall schlagen meine Knie dicht vor dem Spiegel auf. Der Schmerz schießt hoch bis in meinen Kopf.
Es ist die Wahrheit. Mein Spiegelbild ist wahr. Ich bin die Lüge. Habe ich es nicht eigentlich gewusst? All die Jahre, die seitdem vergangen sind, alles, was ich aufgebaut habe, mein Glück - nichts als Betrug. Mein Leben nach dem Team Rocket ist eine einzige Lüge.
"Sag es."
Warum habe ich versucht, mir etwas vorzumachen? Ich bin ich, hier und im Spiegel. Ich kann mir selbst nicht entkommen.
"Ich... bin du."
Mein Spiegelbild lächelt zufrieden. Es streckt die Hand aus, eine jüngere als meine, und ich gehorche. Unsere Fingerspitzen berühren sich. Sie fühlen sich kalt an. So kalt, wie ich war. Wie ich bin.
"Du hast gestohlen." Seine Stimme klingt fast sanft.
"Ja." Ich kann kaum flüstern. Meine Hand zittert. Die meines Spiegelbilds ist ruhig.
"Du hast gemordet."
Meine Stimme bricht. Ich nicke, schluchzend.
"Du weißt, was das bedeutet."
Ich nickte noch einmal, gehorsam, fast automatisch. Letztendlich habe ich es gewusst. Nichts hat sich verändert.
Mein Spiegelbild verschwimmt vor meinen Augen, aber ich weiß, was es sagt, denn es sind meine Worte. Meine Ruhe. Mein wissendes Lächeln, das sich spiegelt. Das Bild im Spiegel ist die Wahrheit. Die Wahrheit, die darauf gewartet hat, dass ich sie begreife. Ich kann niemand anders mehr werden. Ich kann mich nicht vor mir selbst verstecken. Der Versuch, mich zu verändern, war nur eine Illusion.
Ich war ein Teil des Team Rockets, ich bin es immer noch und werde niemals etwas anderes sein. Ich habe gestohlen und ich habe gemordet.
Und nun wird es Zeit, dass ich mich dafür richte.
Es begann, als ich mein Spiegelbild blinzeln sah.
Das Neonlicht über meinem Kopf flackerte hektisch, elektrisches Summen hallte an den gelblich angelaufenen Kacheln des Raums wieder und dröhnte in meinen Ohren. Ich stand am linken Waschbecken, der Hahn des rechten war schon seit Ewigkeiten verkalkt und spie Wasser in alle Richtungen aus, wenn man ihn aufdrehte. Ein nasses Hemd würde mir gerade noch fehlen.
Ich bemühte mich, ruhig ein- und auszuatmen.
Mir war schwindelig. Die Welt hatte sich für einen Moment gedreht, als säße ich auf einem dieser antiken Pferde in einem Karussell, nur war mein Schwindel sehr viel weniger angenehm und spaßig. Was auch daran liegen mochte, dass ich statt Zuckerwatte und Popcorn nur den Geruch von abgestandenem Kaffee in der Nase hatte.
Mit einem Blick auf meine alte Armbanduhr mit den abgewetzten Lederbändern- die wollte ich auch schon seit Langem mal in die Reparatur bringen- bemerkte ich, dass es schon kurz vor zehn war. Abends, wohlgemerkt. Gott, ich wollte nach Hause.
Aber ich konnte nicht. Noch nicht. Der Chef hatte Geburtstag und deswegen die ganze Belegschaft für den Abend zu einem „Umtrunk“ eingeladen. Umtrunk, dass ich nicht lache. Der einzige, der sich besaufen durfte, war er. Wir anderen mussten ja morgen fit sein, die Arbeit rief schließlich. Dass ich schon seit fünf wach war machte die Sache alles andere als besser.
Ich drehte den Hahn auf und sah zu, wie Wasser in den Abguss floss, die Hände am Waschbecken abgestützt, damit ich zumindest einen halbwegs festen Stand hatte. Die Lampen über meinem Kopf röhrten. Wir hatten dem Elektriker schon so oft gesagt, dass er seinen Arsch hierher bewegen und sich drum kümmern solle, aber der bevorzugte es, in seinem kleinen Kabuff zu sitzen und Däumchen zu drehen.
Ach, wem mache ich was vor. Ist ja nicht so, als würde ich nicht das gleiche tun, wenn ich könnte.
Langsam schüttelte ich den Kopf, so behutsam wie möglich. Keine Zeit zum Jammern. Ich musste zurück, bevor mein plötzliches Verschwinden auffiel. Einfach lächeln und nicken und so tun, als wäre ich nicht vollkommen übermüdet und am Rande eines Zusammenbruchs. Ignorier‘ deine zitternden Hände. Vergess‘ deine schlotternden Knie. Die schwarzen Ränder an den Seiten deines Blickfelds waren halb so wild. Deine Beine würden noch eine Zeit lang aushalten, bestimmt. Würde schon alles gut gehen. Ganz sicher.
Ich hielt meine Hände unter den Wasserstrahl und spürte die Kälte auf meiner Haut. Für einen Moment wartete ich einfach nur, darauf, dass die Kühle sich langsam meine Arme hocharbeitete und alles betäubte. Dann holte ich tief Luft, schloss die Augen und beugte mich über das Becken, klatschte mir eine Ladung Eiswasser ins Gesicht.
Ich fuhr hoch. Kälte brannte auf meiner Haut, stach wie tausende kleine Nadelstiche. Tropfen rannten von meiner Stirn über meine Augen, die auf und zuklappten, als hätten sie einen Wackelkontakt, die Wangen herunter, über die Lippen bis zum Kinn. Ich spuckte alles aus, was seinen Weg in meinen Mund fand. Wer wusste schon, wann die Rohre in diesem Gebäude das letzte Mal gereinigt worden waren.
Shit. Das Wasser brannte vor Kälte. Aber zumindest war ich wieder wach. Sieh es positiv. Genau. Einatmen, ausatmen. Jetzt nur noch ein Lächeln aufsetzen, und dann war ich-
Ich hielt inne. Mein Blick lag auf dem angelaufenen Spiegel über meinem Waschbecken. Ich sah einen Mann von achtundzwanzig Jahren, ein schmales, ausgezehrtes Gesicht, Haut, die im Neonlicht grünlich wirkte, eingesunkene, graue Augen mit tiefen, violetten Schatten darunter. Zerbissene, schmale Lippen, kurzes, mit den Fingern über den Tag durcheinander gebrachtes Haar, ein unsteter Blick, Schultern, die sich vom angestrengten Atmen sichtbar hoben und senkten. Er trug ein weißes Hemd, der Knoten in der dunkelroten Krawatte war gelockert, die Ärmel hochgekrempelt, ein paar nasse Flecken auf der Brust.
Ich sah mich. Nein, mein Spiegelbild.
Und ich sah es blinzeln.
…
Unsinn. Spiegelbilder blinzelten nicht. Zumindest sahen wir sie nicht dabei. Sie blinzelten nur, wenn wir es taten, und dann waren unsere Augen zu und-
Ganz ruhig. Ich hatte mich sicher nur verschaut. Gott. Die Müdigkeit machte mich kirre. Oder der Stress? Beides. Vielleicht wurde ich auch krank. Oder vielleicht lag es an dieser gottverdammten Lampe, die permanent flackerte und-
Da. Schon wieder.
Ganz sicher dieses Mal.
Mein Spiegelbild hatte geblinzelt. Ich hatte es genau gesehen. Seine Augen waren zu gewesen, Lider gesenkt.
Aber das war nicht möglich. Ich konnte es nicht gesehen haben.
Hatte ich aber.
Regungslos verharrte ich vor dem Waschbecken, die Augen aufgerissen, damit ich selbst bloß nicht blinzelte. Ich hatte mir das nicht bloß eingebildet. Ich wusste, was ich gesehen hatte. Wenn ich noch etwas wartete, dann würde er sicher wieder blinzeln und dann hätte ich den Beweis. Dann könnte ich mir ganz sicher sein.
Ich starrte mir ins Gesicht. Nein, ihm. Das war nicht ich. Ich hatte nicht geblinzelt. Ich starrte. Und starrte. Das Summen der Lampe dröhnte, summte, rauschte. Der schwarze Rand um alles, was ich sah, wurde dunkler. Kurze Lichtblitze tanzten vor meinen Augen. Das Dröhnen schwoll an. Ein grelles Klingeln gesellte sich dazu. Ich starrte. Ich musste nur warten. Er würde einen Fehler machen. Seine Schultern hoben und senkten sich, so wie meine. Hoch, runter, hoch, runter. Tick-Tock, Tick-Tock, Tick- nein. Das war meine Uhr.
Nichts. Er blinzelte nicht mehr. War auf der Hut. Aber wenn ich nur-
Nein. Stopp. Was tat ich hier eigentlich?
So ein Unsinn.
Ich musste es mir eingebildet haben. Mir ging es ganz einfach nicht gut. Mein Kopf dröhnte und pochte und hatte mir ganz einfach einen Streich gespielt. Ich benahm mich wie ein Kind, das Angst vor seinem Schatten hatte.
Ich musste zurück. Reiß‘ dich zusammen. Dem Chef noch etwas Honig ums Maul schmieren. Ich war so nah an einer Beförderung. Wenn ich jetzt Mist baute, waren die ganzen Überstunden in den letzten Monaten vollkommen umsonst gewesen. Dieses Mal war ich dran. Ich hatte mir den Arsch aufgerissen! Ich verdiente diese Beförderung! Und ich würde mir nicht von einer dummen Wahnvorstellung-
Shit.
Dieses Mal war es der Arm. Er hatte gezuckt.
Scheiße. Es war keine Einbildung.
Da. Der rechter Zeigefinger. Meiner lag ganz anders auf dem Waschbecken, sehr viel weniger verkrampft und-
Der Blick vom Spiegelmann huschte umher. Aber meiner lag auf seinem Gesicht! Wie konnte das-
Sein Atem geriet aus dem Takt. Ein, aus, ein, aus, ein aus ein aus einauseinaus-
Meine Sicht verschwamm. Alles wurde immer dunkler. Blitze tauchten vor meinen Augen auf, bunte, grelle Blitze. Ein so bitterer, saurer Geruch in meiner Nase, dass ich spürte, wie mir Säure den Hals hochstieg. Ich hörte nichts mehr. Doch, ich hörte Dröhnen, so unendlich laut, ein schrilles Kreischen. Meine Haut prickelte. Mir war so kalt, so unendlich kalt und-
Der Mann im Spiegel zuckte. Sein Blick war manisch, das Gesicht verzerrt, die Hände wurden Klauen und die Zähne, oh Gott, die Zähne, wie bei einem Tier! Er beugte sich vor, kam immer näher, oh Gott, ich musste hier weg! Er griff nach mir, er kam näher und näher und näher und näher und bald hatte er mich und dann würde er mich töten ganz sicher der Blick in seinen Augen war wütend mörderisch und die Klauen gruben sich in den Spiegel und scheiße scheiße warum konnte ich mich nicht bewegen und warum kann ich nicht atmen oh Gott ich kann nicht atmen!
Hilfe irgendjemand Hilfe es kommt!
Ich will nicht sterben!
Alles war schwarz, ich sah nur noch fade Silhouetten. Mein Schädel dröhnte. Ich spürte die Kälte der Fliesen unter mir. Blitze tanzten vor meinen Augen.
Ich zwang mich dazu, langsamer zu atmen.
Ein, aus, ein, aus. Tick, Tock. Tick, Tock.
Ich spürte meinen ganzen Körper zittern. Das Fiepen in meinem Gehör ließ nach.
Ich wusste nicht, wie lange ich auf dem Boden des Bads hockte, einen Meter vom Waschbecken entfernt, gegen die gekachelte Wand gelehnt.
Langsam sickerte das Gefühl zurück in meinen Körper. Etwas Warmes lief über meine rechte Hand. Rot und dickflüssig. Mir wurde wieder schlecht.
„Hey!“
Ich zwang mich dazu, hochzusehen, zu der Stimme. Sie klang so weit weg. Ein Mann lehnte über mir. Ich konnte sein Gesicht kaum erkennen.
„Alles okay? Was ist hier passiert?“
Ich wollte antworten. Aber ich konnte nicht. Es kam nichts aus meinem Mund.
„Komm, steh auf, ich helf‘ dir.“
Er legte seinen Arm unter meinen und zog mich hoch. Meine Beine zitterten. Meine Sicht verschwamm. Meine Hand pochte. Blut tropfte von ihr herunter.
„Scheiße, was ist passiert?“
Ich sah zurück.
Die Wand über dem Waschbecken war leer.
Auf dem Boden lagen Scherben.
Spiegelscherben.
Eine große lag genau so, dass ich hineinsehen konnte.
Da war er.
Der Mann im Spiegel.
Und er lächelte.
„Siehst du schon, wo die Ausstellung ist?“, fragte Alicia ihre Freundin.
„Was?“, fragte Mads. „Ich verstehe dich nicht, du musst lauter…“
Sie wurde von einem Mann angerempelt und schüttete dabei den Inhalt ihres Bechers über ihr T-Shirt.
„Passen Sie doch auf, Sie Vollidiot!“, rief sie wütend, doch der Schuldige war bereits wieder in dem lauten Gedrängel verschwunden, das sie umgab.
Alicia musste grinsen. Mads ließ sich selten etwas gefallen. Tatsächlich nicht einmal ihren wirklichen Namen: Sie wurde geradezu zur Furie, wenn man sie „Madeleine“ nannte. Und jetzt hatte sie natürlich erst recht einen Grund, sich über etwas aufzuregen.
„So eine Scheiße!“, fluchte sie. „Konnte dieser Trampel nicht aufpassen, wo er hinstolpert?“
„Ganz ruhig“, sagte Alicia. „Komm, wir gucken, wo die nächste Toilette ist, dann findest du sicher zumindest etwas zum Abtrocknen.“
„Trotzdem klebt dann alles von der Cola“, murrte ihre Freundin missmutig. Dennoch folgte sie Alicia, als diese sich einen Weg aus dem Menschenstrom heraus bahnte und sich durch die engen Stellen zwischen den einzelnen Buden quetschte.
Die Minnesota State Fair war – wie konnte man es auch anders erwarten – sehr gut besucht. Ausstellungen, Fahrgeschäfte und Shows lockten zahlreiche Menschen an, die sich dann vergnügten und zwischendurch mit Corn Dogs, Zuckerwatte oder etwas anderem aus der breiten Fülle des Nahrungsangebots stärkten.
Eigentlich hatten sich Mads und Alicia eine Landwirtschaftsausstellung ansehen wollen, nun aber befanden sie sich also auf der Suche nach der Toilette, die sich hartnäckig vor ihnen zu verstecken schien. Sie irrten eine kurze Zeit mehr ziellos umher, bis sie schließlich den Entschluss fassten, jemanden zu fragen.
Sie befanden sich hinter einigen Buden, abseits der vielen Menschen. Hier saß vor einem kleinen, hölzernen Bau ein alter Mann in einem abgenutzten alten Frack, der zudem einen großen Zylinder auf dem Kopf trug und in einer zerfleddert wirkenden Zeitung blätterte.
„Entschuldigen Sie bitte“, fragte Alicia hastig – sie machte lieber den Mund auf, bevor Mads jemanden durch ihre schlechte Laune verschrecken konnte, „könnten Sie uns vielleicht sagen, wo die nächste Toilette ist?“
Der Mann sah auf und faltete seine Zeitung mit einem Rascheln zusammen.
„Nein“, sagte er schlicht und zuckte mit den Achseln.
„Na toll“, sagte Mads, bevor ihre Freundin etwas erwidern konnte, „Danke für nichts. Komm, Alicia, wir…“
„Verzeihung“, sagte der alte Mann betont höflich, „kann es ein, dass Sie vielleicht nur etwas zum Abtrocknen brauchen?“
„Was geht Sie das…“
„Denn in dem Fall“, wurde Mads von dem Mann unterbrochen, „hätte ich auch einfach etwas für Sie.“
Er nahm seinen großen Zylinder ab und zog aus diesem ein sauberes Handtuch hervor. Alicia und Mads sahen, dass er unter seinem Hut über nur noch spärliches, weißes Haar verfügte.
„Bitte“, sagte der Mann und reichte Mads das Handtuch, die es ein wenig verdutzt entgegennahm.
„Äh, danke“, erwiderte sie.
„Sind Sie etwa Magier?“, fragte Alicia neugierig, denn es war doch auffällig, wenn jemand scheinbar etwas aus seinem Hut hervorzaubern konnte.
„Ich war es“, antwortete der Mann mit traurigem Lächeln. „Jetzt habe ich nur noch das hier.“
Er wies mit der Hand auf die kleine Hütte hinter ihm.
„Was ist das?“, fragte Mads.
„Ein Spiegellabyrinth. Unter anderem auch mit Zerrspiegeln.“
„Wirklich?“, fragte Alicia skeptisch und Mads fügte hinzu: „In die kleine Bude soll ein Labyrinth reinpassen?“
„Die Dinge erscheinen von innen manchmal größer als von außen“, sagte der Mann ruhig. „Wenn die jungen Damen es vielleicht einfach selbst ausprobieren möchten…“
„Alles klar“, sagte Mads und gab dem Mann sein Handtuch zurück. „Erst neugierig machen und dann Geld für irgendwas Winziges abkassieren. Ganz alter Trick.“
„Das wäre es, wenn ich Geld verlangen würde“, erwiderte der Ex-Magier. Es schien, als ließe er sich nicht beleidigen, was Mads sichtlich zu irritieren schien.
„Es ist also gratis?“, fragte Alicia, um sicher zu gehen.
„Ja.“
„Na dann“, sagte Mads kleinlaut. „Das ist was anderes.“
Alicia nickte: „Dann sehen wir uns das gerne einmal an.“
„Das freut mich“, lächelte der Alte. „Bitte. Die Tür ist offen.“
Mads und Alicia traten auf die Tür zu.
„Wenn Sie drin sind, gehen Sie einfach immer weiter“, sagte der Ex-Magier noch, bevor die beiden die Tür öffneten und hindurchschlüpften.
Sogleich fanden Sie sich in einem durch Deckenlampen hell erleuchteten Gang wieder, dessen Boden bunt bemalt war. Die Wände waren vollkommen verspiegelt, sodass man sich selbst in unendlicher Ausführung sehen konnte.
Als die beiden Mädchen ein paar Schritte gegangen waren, warf Alicia einen Blick zurück und erstarrte.
„Mads“, hauchte sie. „Die Tür ist weg.“
An ihrer Stelle befand sich nun ein Spiegel, aus dem zwei verblüffte Gesichter zurückstierten.
„Ich nehme mal an, deshalb sollen wir einfach immer weiter gehen“, vermutete Mads. „Also los.“
Nach ein paar Schritten bemerkten die beiden, dass die verspiegelten Wände nun ihr Abbild zerrten, stauchten oder verbogen.
„Uff, habe ich zugelegt“, sagte Mads, trat einen Schritt weiter und fügte hinzu: „Jetzt hab ich wohl Anorexie.“
Beide lachten kurz, bevor sie weitergingen. Dabei sahen sie sich selbst auf sich zukommen, was darauf hindeutete, dass sie nun an eine Abzweigung gelangten. Tatsächlich ging es jetzt wahlweise nach links oder nach rechts.
„Sollen wir uns aufteilen?“, fragte Mads.
„Ich weiß nicht…“, meinte Alicia. „Besser nicht.“
„Angsthase“, spottete Mads.
„Das nimmst du zurück!“, erwiderte Alicia mit gespielter Empörung.
„Okay, mach ich. Jedenfalls, gehen wir doch einfach nach links.“
„Warum nach links?“, fragte Alicia.
„Weil es sowieso egal ist“, sagte Mads achselzuckend.
„Stimmt. Gut, dann nach links.“
Es vergingen einige Sekunden, bis Alicia plötzlich aufschrie.
„Mads! Die Flecken auf deinem T-Shirt sind weg!“
Mads sah an sich herunter.
„Was erzählst du? Die sind doch noch da…“
„Nein! Ich meine da, im Spiegel! Sieh doch!“
Mads betrachtete ihr Spiegelbild.
„Tatsache“, murmelte sie. „Hm, komisch.“
„Wohl eher unmöglich“, sagte Alicia trocken. „Spiegel können das Gespiegelte doch nicht so verändern!“
„Weiß nicht“, sagte Mads. „Der Typ war immerhin Magier. Ist sicher irgendein Trick.“
„Mag sein“, gab Alicia zurück, doch es klang unruhig. „Aber… Müssten wir nicht langsam auch ans Ende kommen oder so? Das Ding hier muss doch total klein sein.“
Darauf wusste Mads auch keine Antwort, aber beide betrachteten ab jetzt ihre Spiegelbilder mit größter Aufmerksamkeit.
Nach ein paar weiteren Metern kam eine neue Abzweigung. Diesmal fragte Mads nicht, ob sie sich aufteilen wollten und so gingen sie einfach noch einmal nach links, doch kaum, dass sie einen Schritt getan hatten, fragte Mads auch schon: „Moment. Warum trage ich jetzt eine Brille?“
„Sieht echt bescheuert aus“, lachte Alicia trotz Verblüffung.
„Ja, eben. Wie die von meiner Mutter. Ich war immer froh, dass ich ihre Sehschwäche nicht geerbt hab. Ich frag mich jedenfalls doch so langsam, wie der Kerl das hinbekommt.“
Es folgte erneut eine Stelle, an der sie sich für links oder rechts entscheiden mussten.
„Okay“, sagte Mads. „Wir sind zweimal nach links gegangen und auf keine Sackgasse gestoßen. Jetzt muss da also einfach eine sein. Gehen wir nach rechts.“
„Meinetwegen“, sagte Alicia. Es spielte ja doch keine Rolle, wie Mads schon gesagt hatte.
Und wie zuvor fiel den beiden eine Veränderung auf, nachdem sie dem Weg in die entsprechende Richtung gefolgt waren.
„Hey, cool“, grinste Mads. „Die blaue Strähne steht dir.“
„Ach was“, sagte Alicia errötend. „Ich würde mir nie die Haare irgendwie färben.“
„Warum?“, fragte Mads.
„Ach, keine Ahnung. Will ich einfach nicht.“
Bei der nächsten Abzweigung warfen sie schlicht eine Münze und gingen anschließend nach links, wo sie in der Ferne keinen Spiegel sahen, sondern eine Tür: Der Ausgang. Sie beschleunigten ihre Schritte, denn sie waren doch irgendwie froh, diesen Ort zu verlassen. Doch schnell liefen ihre Gesichter knallrot an.
„Ähm, Alicia…“, fragte Mads, „Was machen wir da?“
Alicias Gesicht fühlte sich heiß an.
„Wir… Wir…“, stammelte sie verlegen.
„Wir knutschen“, sagte Mads fassungslos. „Okay, mir reicht es jetzt. Das ist nicht mehr witzig.“
Sie sprachen nicht mehr, bis sie die Tür erreicht hatten und hastig durch sie hindurch in die frische, nach Essen duftende Luft des Jahrmarkts stürzten.
„Ah“, sagte eine vertraute Stimme. „Hat es Ihnen gefallen?“
Sie standen wieder vor dem alten Mann, der verschmitzt in seinem Stuhl saß.
„Moment“, sagte Alicia. „Durch die Tür sind wir doch in die Hütte reingegangen.“
„Und hier kommen Sie wieder raus. Ein Problem?“
„Sie war weg, nachdem wir drinnen waren“, sagte Mads misstrauisch. „Und wir sind auch nicht im Kreis gelaufen.“
„Wir drehen uns alle nur allzu oft nur im Kreis“, sagte der Mann kichernd.
„Jetzt mal ohne Scheiß: Was waren das für Tricks?“, fragte Mads energisch.
„Keine Tricks. Ich fürchte nur, meine Spiegel haben ein paar kleine Fehler. Sie zeigen nicht das, was ist, sondern vielmehr, was sein könnte.“
„Was sein könnte…“, murmelte Alicia und ein Schauer, bei dem sie nicht sagen konnte, ob er angenehm oder unangenehm war, lief ihr über den Rücken, während ihr Gesicht wieder heiß wurde.
„Ist doch nichts Besonderes“, sagte der Ex-Magier, „jedenfalls nicht im Vergleich zu dem, was sich gerade dort hinten abspielt.“
Er deutete an den beiden Mädchen vorbei, die sich sogleich umdrehten, aber nichts Auffälliges bemerken konnten.
„Und was soll da bitte…“, sagte Mads, doch jäh verstummte sie, als sie sich wieder dem Mann zuwenden wollte.
Denn der Magier und sein Spiegellabyrinth waren verschwunden.
Du fragst dich sicherlich, warum ich dir nach all den unzähligen Jahren noch zuhöre.
Immer, wenn du dich direkt vor mich stellst und dich in meinem breiten Bauch betrachtest, sehe ich neben deinem Erfolg und deinem Glück auch gleichzeitig deine Trauer und deine Narben, die du mit dir schleppst und tief in dir versteckst. Du musst sie mir nicht einmal beichten, denn ich weiß, wie du dich fühlst. Du hast bemerkt, dass ich nicht wie die anderen bin, oder?
Ich bin von Natur aus nicht dazu geschaffen, dir jemals zu antworten; egal, wie gerne ich dies auch tun möchte. Ich bin unbestechlich, wenn du es so sehen willst. Du kannst mir vertrauen, selbst dann, wenn du denkst, dass alles eine Lüge ist. Hast du gesehen, dass ich die einzige Person bin, die deine Geheimnisse für sich behält?
Wenn du willst, gehe ich mit dir und begleite dich. Ich helfe dir und du hilfst mir. Sicherlich weißt du es, denn sonst würdest du für mich nicht in die weite Welt gehen und für mich das Leben leben, das ich nicht leben kann. Du weißt, dass ich sonst nie von diesen Ort verschwinden kann, oder?
Wir haben uns zwar bereits mehrmals gestritten, doch egal, wie sehr wie uns einander hassten, wir konnten nicht voneinander loslassen, denn wir sind vom Schicksal her für immer verbunden, denn ohne mich, deinem Spiegelbild, hättest du schon längst vergessen, wieso es sich zu leben lohnt. Und ich hätte ohne dich vergessen, wer ich in Wirklichkeit bin.
Ich bin du und du bist ich.
Du lebst für mich und ich lebe für dich.
Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst.
Ich bin dein Spiegelbild, die Wahrheit, wenn du sie hören willst.
Drei (mathematische) Probleme mit Spiegelungen
Achtung! Schwer zu verstehender, mathematischer Unsinn, ohne jegliche Bedeutung für die Realität! Nehmen Sie bestenfalls einen Bleistift und einen Schreibblock zur Hand, informieren Sie sich – falls sie es nicht (mehr) wissen – wie man ein Koordinatensystem zeichnet und versuchen sie das beschrieben zu skizzieren. Es wird beim Verständnis helfen!
Bis dahin: Alles anschnallen; Hals und Beinbruch!
1. Vektorielle Spiegelungen einer Gerade an einer Ebene
Zum trockenen Einstieg ein bisschen Geometrie. Keine Sorge, der Witz bleibt aufgespart bis wir zur Analysis kommen.
Sei g eine beliebige Gerade in einem dreidimensionalen, kartesischen Koordinatensystem und E eine echt parallele Ebene zu g. [Exkurs: Ebenen verlaufen unendlich in alle Richtungen] Die Gerade g ist in Parameterform [Exkurs: Die Parameterform einer Gerade besteht aus einem Stützvektor und einem Richtungsvektor, der mit einem Parameter multipliziert wird und somit jeden beliebigen Punkt auf der Gerade angeben kann] gegeben, während die Ebene in Normalenform [Exkurs: Die Normalenform besteht aus einer Gleichung; hierbei gilt, dass die Differenz eines beliebigen Punktes auf der Ebene und des Stützvektors der Ebene multipliziert mit dem Normalenvektor [Exkurs: Ein Normalenvektor ergibt sich aus dem Kreuzprodukt zweier Richtungsvektoren und steht orthogonal zu beiden; d.h. er steht senkrecht auf der Ebene], 0 ergibt] gegeben ist.
Gesucht ist nun jene an der Ebene E gespiegelte Gerade g‘.
Hierfür soll zunächst ein orthogonal [Exkurs: orthogonal = senkrecht = „rechtwinklig“] zu g stehender Vektor gefunden werden. Hierfür muss ein Vektor gesucht werden, dessen Skalarprodukt mit dem Richtungsvektor der Gerade g 0 ergibt. Dieser sei Vektor m.
Stellt man nun eine Geradengleichung (in Parameterform) durch den Stützvektor von g mit Richtungsvektor m auf, erhält man eine zweite Gerade h die orthogonal zu g und somit auch orthogonal zu E steht und die beiden verbindet.
Setzen wir die Gerade h in die Ebenengleichung ein ergibt sich durch ausmultiplizieren ein Wert für den Parameter der Geradengleichung, durch den wir den Schnittpunkt mit der Ebene ausrechnen können. Jeder Schnittpunkt ist also der Spiegelpunkt für den Schnittpunkt der beiden Geraden g und h (welcher wie sie natürlich alle bereits wissen der Punkt des Stützvektors beider Geraden ist); wir nennen ihn ab hier S.
Verdoppeln wir den erhaltenen Wert des Parameters kommen wir auf den gespiegelten Punkt des Stützvektors S‘. [Erläuterung: Durch das verdoppeln des Parameters „gehen wir den Weg zweimal“; d.h. einmal von Punkt S bis zur Ebene (und somit dem Spiegelpunkt) und von da aus bis zu Punkt S‘]. Der Ortsvektor [Exkurs: Als Ortsvektor bezeichnet man den Vektor, der einen Punkt mit dem Ursprung verbindet; d.h. seine Koordinaten entsprechen den Koordinaten des Punktes] unserer gesuchten Geraden g‘ ist somit eindeutig der Ortsvektor des Punktes S‘.
Als Richtungsvektor verwenden wir einfach den Richtungsvektor der Geraden g. Dies lässt sich aus dem Zusammenhang ableiten, dass g‘ parallel zu g sein muss, weil g zu E und somit auch g‘ zu E parallel ist. Zusammengefügt in eine Geradengleichung haben wir also nun g an E zu g‘ gespiegelt!
2. Spiegelung einer Funktion an der ersten Winkelhalbierenden
Während die vektorielle Spiegelung größtenteils im geometrischen und somit für uns Menschen einfach vorstellbaren Raum vorzufinden ist, betreten wir mit Funktionen das Feld der Analysis und somit das zu Hause der abstrakten „Funktionen“. [Exkurskleine Erinnerung: Bei einer Funktion wird jedem x ein, und nur ein, y zugeordnet. Diese Zuordnung geschieht durch einen Funktionsterm wie bspw. y=2+x oder y=3x2] Wir befinden uns ab hier nur noch im zweidimensionalen, kartesischen Koordinatensystem.
Zunächst überlegen wir uns, wie eine Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden [schon-wieder-so-ein-dämlicher Exkurs: Als erste Winkelhalbierende bezeichnet man die Gerade zwischen der x- und der y-Achse, welche ihren Winkel genau durch 2 teilt. In einem kartesischen Koordinatensystem beträgt der Winkel der Achsen 90°, d.h. er ist rechtwinklig, und somit bildet die erste Winkelhalbierende sowohl mit der x- als auch mit der y-Achse jeweils einen 45°-Winkel.] überhaupt aussieht. Anschaulich nehmen wir jeden Punkt auf einer Seite der Winkelhalbierenden, nehmen seinen Abstand [Exkurs: Als Abstand bezeichnet man in diesem Fall stets den minimalen Abstand, d.h. es wird immer die Strecke zwischen Punkt und Winkelhalbierender gesucht, die zur Winkelhalbierenden orthogonal (wissen sie noch? Das heißt rechtwinklig!) steht] und tragen diesen auf der anderen Seite ab.
Sind Sie überhaupt noch dabei? Wirklich!? Wie schön! Einen Muffin an jeden, der sich so weit überhaupt durchgequält hat. Viel Spaß; jetzt wird es erst richtig abstrakt.
Die Winkelhalbierende kann durch die Funktion y=x beschrieben werden. Holen sie Luft, das klingt vielleicht kompliziert, ist es aber nicht! Denn das bedeutet nichts anderes, als dass jede Zahl auf der x-Achse sich selbst auf der y-Achse zugeordnet wird. 1=1, 2=2, und so weiter …
Würden wir also die Funktion y=x, von nun an bezeichnet als f(x)=x bzw. f, an der Winkelhalbierenden spiegeln wollen, käme genau dasselbe heraus, wie zuvor, eine Gerade gespiegelt an sich selbst bleibt dieselbe Gerade. Merken!
Eine andere Funktion gespiegelt an f würde jedoch auch eine komplett andere Funktion ergeben. Bspw. können wird eine Funktion g als g(x)=x+1 definieren, d.h. sie liegt parallel zu f um eine Einheit nach oben verschoben.
Moment, haben Sie sich das mit f überhaupt gemerkt!? Wenn nicht, nochmal hochscrollen, Sie brauchen das gleich wirklich!!
Genauso könnten wir auch eine Funktion h als h(x)=x-1 definieren und sie würde ebenso parallel zu f liegen, allerdings um eine Einheit nach unten verschoben. An der Stelle möchte ich Sie einen Moment lang selbst denken lassen. Fällt ihnen etwas auf? Versuchen Sie mal sich das Ganze bildlich vorzustellen oder greifen sie auf den zuvor erwähnten Schreibblock zurück! … Genau! Die Funktion h ist g gespiegelt an f.
Jetzt haben wir hier ein Problem was die Notation angeht. Zuvor habe ich immer geschrieben, dass bspw. die Punkte P und P‘ ein gespiegeltes Paar sind. Tatsächlich ist die Kennzeichnung im Themengebiet Analysis sehr irreführend, da mit diesem kleinen Strich Ableitungen bezeichnet werden. [Exkurs: Mein Gott, verdammtnochmal, ich erkläre hier nicht auch noch was Ableitungen sind … Gucken Sie’s doch nach, wenn es sie interessiert!] Deshalb werden wir gespiegelte Funktionen ab jetzt mit einer -1 im Exponenten kennzeichnen und schreiben daher, dass h=g-1 gilt. Dieser Ausdruck ist nicht algebraisch zu verstehen! Er dient nur der Notation!
Es bleibt nun lediglich die Frage nach dem mathematischen Zusammenhang dieser Spiegelungen offen, d.h. wie kann diese Spiegelung rechnerisch ausgedrückt werden. Wir überlegen uns also, was bei Spiegelungen anschaulich passiert und bemerken, dass hier jeweils die x- und y-Werte ausgetauscht werden. Bitte, machen Sie spätestens jetzt eine Skizze … Zur Veranschaulichung kann hier auch noch i(x)=x2 und j(x)=√(x) betrachtet werden. Betrachtet man diese Funktionen sieht man, dass ihre x- und y-Werte vertauscht wurden.
Dieser mathematische Zusammenhang lässt sich durch ein Austauschen von x und y im Funktionsterm erklären. Stellt man den neuen Term nun nach x um, erhalten wir die Gleichung der gespiegelten Funktion. Wir rechnen dies beispielhaft für g(x)=x+1 durch.
y=x+1 |Vertauschen von x und y
x=y+1 |-1
y=x-1
Das Ergebnis y=x-1 entspricht der Funktion h, welche wir als Spiegelung von g bereits ausgemacht haben. Auch mit dem Beispiel der Funktionen i und j funktioniert dies fast reibungslos (wobei hier der Definitionsbereich eingeschränkt werden muss Ich unterbreche an der Stelle: Ich will Sie nicht überfordern!)).
Da dieser Zusammenhang häufig gebraucht wird, hat er einen eigenen Namen bekommen. Man bezeichnet die Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden einer Funktion f als Umkehrfunktion f^-1.
Der Autor konnte folgenden Satz, um seine Leser noch mal so richtig zu verwirren leider nicht weglassen; ich bitte um Verzeihung …
Umkehrfunktionen finden Anwendung bspw. zur Berechnung des Rotationsvolumen von Funktionen um die y-Achse, wobei die Umkehrfunktion integriert wird und somit ein Volumen ausgerechnet werden kann. *lacht*
3. Die Spiegelung eines Spiegels
Zuletzt beschäftigen wir uns mit einem Thema aus der echten Welt. Es geht um das Spiegel-Paradoxon. Stellen Sie sich vor einen Spiegel und zeigen sie mit dem Finger nach oben oder unten. Ihr Spiegelbild tut dasselbe. Zeigen sie jedoch nach rechts oder links, scheinen die Seiten vertauscht.
Warum vertauscht der Spiegel nun rechts und links, nicht aber oben und unten? Mind blown? Tatsächlich tut er keines von beiden, ein Spiegel vertauscht lediglich vorne und hinten. Das Gehirn nimmt allerdings an, der Spiegel vertausche rechts und links, da es sich in das Spiegelbild hineinversetzt und dabei eine Drehung um sich selbst auf der horizontalen Achse weitaus logischer erscheint, als eine Drehung um die vertikale Achse; denn wir kennen diese Drehung aus unserem Alltag bspw. wenn wir gerufen wurden und uns umdrehen. Machen sie das alles ruhig mal vor einem Spiegel nach; es ist schwer da direkt mitzukommen …
Zeigen sie mit dem Finger gerade auf den Spiegel, zeigt ihr Spiegelbild auf sie. Der Beweis ist somit erbracht; ein Spiegel vertauscht vorne und hinten!
Warum das Ganze nun? Wollten Sie das wirklich wissen? Vielleicht erschien das mit dem Spiegel interessant, aber die Mathematik hinter Spiegelungen? Jedenfalls erscheint es bei genauerem Hinsehen doch interessanter, als das ständige Widerspiegeln von der immer gleichen Geschichte von Prinzessinnen, depressiven Mädchen oder ewigem Unglück. Aberglaube ist mathematisch nämlich sowieso nicht beweisbar!
Ich ging durch die Räume des Schlosses, das ich bald meine Heimat nennen sollte. Nachdem ich dem Prinzen mein Jawort gegeben hatte, hatte sein Vater mir erlaubt, mich dort auch einmal alleine umzusehen. Es war riesig, regelrecht gigantisch.
Ich betrat einen Raum, der wohl eine Abstellkammer war. Dort standen einige kaputte Möbelstücke, verstaubt und vermutlich vergessen. In der Mitte des Raumes stand etwas, das von einem Tuch verdeckt wurde. Der Form nach zu urteilen schätzte ich, dass es ein Spiegel war. Neugierig zog ich das Tuch vorsichtig zur Seite, in der Hoffnung, dass das nun nicht verboten war. Es war tatsächlich ein großer, ovaler Spiegel mit einem goldenen Rahmen. Ich betrachtete mein Spiegelbild. Es zeigte ein siebzehnjähriges Mädchen, das sich fragte, ob diese Entscheidung wirklich die Richtige war. Diese Entscheidung, die ihr gesamtes Leben von Grund auf verändern würde. Ich liebte ihn doch gar nicht.
Als ich die Reflexion des Raumes in dem großen Spiegel so ansah, bemerkte ich, dass sich im Hintergrund etwas bewegte. Erschrocken drehte ich mich um, doch dort war nichts. Alles war unbewegt und düster. Irritiert sah ich wieder mein Spiegelbild an und erschrak erneut. Statt mir sah ich dort im Spiegel ihn, den Prinzen dieses Königreichs. Ich sah, wie er seine Hand ausstreckte und aus dem Spiegel herauszukommen schien, um nach mir zu greifen. Er zog mich hinein. Mein Körper war wie paralysiert, ich konnte mich nicht wehren.
Ich fand mich in einer Szene wieder, die mir nur allzu bekannt vorkam. Es war nun drei Jahre her. Im Auftrag meiner Eltern hatte ich den Marktstand übernommen, an dem sie normalerweise die Äpfel verkauften, die unsere Bäume abwarfen und die wir selbst nicht benötigten. An diesem Tag hatten sie selbst keine Zeit, also hatten sie mich geschickt. Immerhin hielten sie mich mit meinen vierzehn Jahren für alt genug, diese Aufgabe zu übernehmen.
Ich sah, wie der junge Prinz auf mich zukam. Ich flippte fast aus. Ich wusste nicht, dass wir derart hochrangige Kunden hatten und wenn wir die bisher nicht hatten, war es noch viel unglaublicher, dass er nun ausgerechnet auf mich zukam. „Hey, kann ich einen Apfel probieren?“, fragte er und gab mir einige Münzen. Es war deutlich mehr, als unsere Äpfel tatsächlich wert waren. So viel Trinkgeld! Meine Eltern würden sich freuen ohne Ende! Bestimmt durfte ich auch einen Teil davon als Taschengeld behalten. Er biss direkt in die rote Frucht. „Oha, der is' ja total lecker!“, rief er. Ich kicherte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit einem solchen Kompliment von jemandem wie dem Thronerben des Landes umzugehen hatte. „Der Apfel hier is' fast so süß wie du“, sagte er mit vollem Mund. In diesem Moment war ich sicher so rot wie unsere Äpfel. „Ich will jeden Tag so einen haben. Wie heißt du eigentlich?“
„B-Bianca“, stammelte ich.
„Du bist echt dufte, Bianca“, grinste er.
Das Bild vor mir verwandelte sich wieder in das des alten Spiegels, nur der Prinz blieb, wo er war. Wieder griff er nach meinem Arm und zog mich zu sich. Wieder fand ich mich in einer mir bekannten Szene.
Das musste etwa ein Jahr später gewesen sein. Wir waren auf einer Wiese, wo viele Pokémon herumtollten. „Schau, das hier is' das Burggehöft“, sagte der Prinz, der neben mir stand und mich hierher geführt hatte. „Hier gibt's ganz zahme Pokémon. Auf den Mähikel kannste sogar reiten“, erzählte er begeistert. Ich war ein wenig ängstlich, aber er führte mich so nah an eines heran, bis ich merkte, dass ich wirklich keine Angst zu haben brauchte. Er half mir, aufzusteigen und stieg dann selbst auf ein anderes, das gleich daneben stand. Zusammen tollten wir auf diesen Pokémon über die Wiese. Es musste dieser Moment gewesen sein, der meine Liebe für Pflanzenpokémon erst richtig aufblühen ließ.
„Mist, pass auf!“, rief der Prinz plötzlich. „Da hinten ist ein Bibor! Schnell, weg von hier!“ Ich hatte selbst noch nie Probleme mit Bibor gehabt, aber als ich sah, wie es sich zu uns her drehte und auf uns zukam, verstand ich seine Furcht. Schnell ritt ich ihm hinterher. Wir ritten viel zu schnell für eine derart unübersichtliche Umgebung und waren viel zu unachtsam, so sahen wir die Voltilammherde, die mitten auf dem Weg stand, viel zu spät kommen. Unsere Mähikel rammten zwei Voltilamm, sodass wir unabsichtlich abstiegen und im Dreck landeten. Aufgescheucht rannten sowohl die Pflanzen- als auch die Elektropokémon in alle Richtungen davon. Der Prinz und ich saßen am Boden und lachten laut los.
Wieder sah ich, wie sich das Bild vor mir zu dem des Spiegels wandelte. Ich hoffte, keine weiteren solchen Rückblenden erfahren zu müssen. Ich konnte es nicht ertragen, diese schönen Momente, unsere Freundschaft zu sehen. Ich mochte ihn wirklich sehr. Er war witzig, er war ein guter Freund. Warum konnte es nicht dabei bleiben? Erneut wurde ich vom Prinzen in den Spiegel gezogen. Diesmal fand ich mich in einer Erinnerung, die etwa ein halbes Jahr zurücklag, wieder. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Ich hasste die Erinnerung an diesen Moment.
Wir waren wieder im Burggehöft. Er stand vor mir, sichtlich nervös. „Bianca, ich muss dir was sagen“, murmelte er. „Ich … ich hab mich in dich verliebt.“
Ich schluckte. Ich hatte nicht erwartet, dass er solche Gefühle für mich hätte, und ich … ich konnte sie einfach nicht erwidern. Ich kannte dieses Gefühl nicht, Verliebtsein. Das war mir fremd. Ich hatte es noch nie empfunden und vielleicht würde ich es auch nie empfinden. Aber er war mein bester Freund. Ich wollte ihn nicht wegen so etwas verlieren.
„Ich brauche noch etwas Zeit“, antwortete ich ihm. Ich sah, dass er etwas enttäuscht war, aber er sah es ein.
„Ich will dich zu nichts drängen“, sagte er und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Vater wollte, dass ich dich vorher frage, bevor ich irgendwas Offizielles draus mache. Weil wenn ich dich offiziell frage und du dann nein sagst, das … das kommt halt blöd. Und ich will dich damit nicht unter Druck setzen, darum hab ich dich hier gefragt und nicht irgendwo, wo Leute um uns rum sind, die was hören könnten. Weil ich will dich nicht verlieren und das wär ja sonst bestimmt auch voll blöd für dich und … Hach, ich würde halt so gern mit dir zusammenleben und heiraten und Kinder kriegen und so … Du weißt ja, unsere Kinder wären dann der nächste Prinz oder sogar eine Prinzessin und das wär doch voll knorke. Ich wünsch mir nichts mehr als das.“
„Beruhig dich“, sagte ich ruhig, wenn auch von dem Textschwall aus seinem Mund fast erschlagen. „Gib mir einfach ein bisschen Zeit.“ Ich umarmte ihn, wie ich es immer getan hatte, aber es fühlte sich seltsam an. Ich spürte eine Distanz zwischen uns, wie ich sie noch nie gefühlt hatte.
Ohne lange Zeit, in der ich darüber nachdenken können hätte, wurde ich durch den Spiegel direkt in die nächste Szene gezogen. Das war wohl zwei Monate später. Wieder war ich mit dem Prinzen im Burggehöft.
„Ich habe es mir überlegt“, sagte ich zu ihm.
„Du meinst, du willst …?“
„Ich werde dich heiraten.“
Ich sah die Freude in seinen Augen, als er mir um den Hals fiel und dabei anfing, zu schluchzen. „Ach Bianca, ich freu mich ja so!“, rief er. Doch ich wusste nicht, ob es die richtige Entscheidung war. Meine Eltern hatten mich letztendlich dazu überredet. Ich würde reich sein und im Schloss leben, hatten sie gesagt. Aber ob das wirklich das war, was ich mein Leben lang wollte? Ich war mir nicht sicher. Aber er liebte mich. Er würde mich sicher gut behandeln. War das nicht wenigstens etwas?
„Du kriegst von mir alles, was du willst“, versprach der Prinz. „Du kriegst einen Blumengarten, wo du ganz viele Pflanzenpokémon großziehen kannst. Und wir werden zusammen total glücklich. Eine glückliche Familie mit glücklichen Kindern und glücklichen Pokémon. Klingt das nicht toll?“ Er grinste mich an. „Und Vater wird sich total freuen, dass er meine Hochzeit noch vor meinem zwanzigsten Geburtstag ankündigen kann.“ Ich versuchte, zurückzulächeln. Ich weiß nicht, ob es mir gelang.
Erneut landete ich vor dem Spiegel. Ich hoffte, dass diese Erinnerungsreisen nun endlich ein Ende nahmen. Aber es stand immer noch sein Bild in dem Spiegel. Diesmal griff er ganz langsam nach mir. Er zog mich zu sich und ich stand ihm gegenüber. Er trug einen edlen Anzug und ich ein langes, weißes Kleid.
„Bianca, hier bist du!“, rief seine Stimme wie aus der Ferne. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Ich drehte mich um und fand mich in der Abstellkammer wieder. Der Prinz stand vor mir. „Ich hab dich schon überall gesucht“, sagte er. „Was machst'n du ausgerechnet hier?“
„Ich hab hier diesen Spiegel entdeckt und fand ihn sehr schön, da hab ich ihn mir länger angesehen.“
„Ach, vergiss den alten Spiegel“, sagte er. „Vater hat mich geschickt, es gibt gleich Essen. Da wollen wir doch nicht zu spät kommen, hm?“