[Fire Emblem] Wo Wege sich kreuzen

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  • Königskindern bietet sich nicht oft die Möglichkeit, ihr schützendes Schloss zu verlassen. Doch wenn sie sich unter das Volk mischen, warten die unvorhersehbarsten Begegnungen auf sie. Nicht alle Verbündeten lernt man auf dem Schlachtfeld kennen.


    Vorwort

    Hallo und guten Tag allerseits.
    Nachdem ich lange nichts mehr im Fanfiction-Bereich hochgeladen habe, dachte ich mir, dass ich euch mal diese Kurzgeschichte präsentiere—Wobei "kurz" bei etwas über zehntausend Wörtern vielleicht nicht das zutreffendste Wort ist. Ich schätze, ich hätte sie auch als eigenständige FF hochladen können, aber da es nur 4 Kapitel sind, die nur wegen ihrer Länge getrennt wurden, fand ich das dann doch irgendwie unpassend. Ganz ungeduldige Menschen können die Geschichte als Ganzes natürlich auch hier lesen. Fandomkenntnisse zu Fire Emblem sind nicht zwingend notwendig, aber es hilft doch, die Charaktere zu kennen, weil auch viele Verweise auf die Spiele fallen und diese maßgeblich zum Humor beitragen. Spoiler sollten sich in dieser Geschichte nicht finden lassen. Behandelt werden übrigens nur die Charaktere, die auch in Warriors vorkommen.
    Über Feedback würde ich mich sehr freuen, dann dürft ihr euch auch ein paar von Gaius' Süßigkeiten nehmen.


    Entstehung

    Sie wurde im Rahmen des Wettbewerbes auf fanfiktion.de verfasst, bei dem es darum ging, eine Geschichte über die Protagonisten aus Fire Emblem Warriors zu schreiben, nämlich Prinze Shion und Prinzessin Lian (beziehungsweise Rowan und Lianna, aber da im entsprechenden Beitrag die japanischen Namen verwendet wurden, habe ich auch diese benutzt). Leider fand dieser in einer Novemberwoche statt und konkurrierte mit dem NaNoWriMo, doch ich habe es trotzdem geschafft, sie an einem Wochenende zu vollenden. Ich finde nicht, dass man ihr das unbedingt anmerkt—ganz im Gegenteil, wenn ich das behaupten darf—aber ihr dürft mir da gerne widersprechen.
    Ich hatte mich nicht näher mit dem Spiel befasst, weil ich nicht gespoilert werden wollte, und wusste deshalb nur, dass es wohl ähnlich wie Hyrule Warriors werden würde, die "Zeldaversion" der Reihe. Da bei diesem Spiel viele verschiedene Charaktere aus den unterschiedlichen Spielen zusammenkommen, war für mich klar, dass ich gerne diesen Aspekt aufgreifen würde—nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in einer entspannteren Umgebung. Ein Marktplatz, wo jede Gruppe ihren eigenen, speziellen Stand hat, kam mir relativ schnell in den Sinn und war bis zum Wochenende, wo ich mir Zeit für das Schreiben nehmen wollte, ausreichend ausgedacht—allerdings habe ich meine Schreiblust überschätzt. Die angedachten 2-3.000 Wörter hatte ich schon im ersten Abschnitt überschritten, wo es noch nicht einmal zum Markt ging, und so nahm die Geschichte nicht wie angedacht nur einen halben Tag, sondern beinahe meinen kompletten Samstag und Sonntag ein. Fragt mich nicht, wie ich es trotzdem geschafft habe, sie relativ zufriedenstellend zu vollenden. Ich weiß es selber nicht (vor allem, weil ich beim letzten Kapitel vor der Truppe um Marth sowie Lyn und Celica stand und nur noch dachte: "Ähm...Und was mache ich jetzt mit euch?"^^°).
    Weiteres werde ich nach dem jeweiligen Kapitel als Trivia schreiben.


    Copyright
    Fire Emblem gehört natürlich Nintendo, ich leihe mir die Charaktere nur aus.
    Das Bild wurde von RhysGriffiths erstellt und findet sich hier.



    1. Kapitel


    Wenn Lian an die Dinge zurückdachte, die sie am meisten vermisste, seit sie damals aus dem Schloss vertrieben worden waren, waren es nicht die ausgefallenen, hochwertigen Kleider oder das exquisite Essen. Am Überraschendsten für sie war wohl die Tatsache, dass es nicht einmal etwas mit dem Leben im Schloss zu tun hatte. Nein, es war eine viel weltlichere Tradition, die sich in jedem Dorf des Königreiches Woche für Woche ereignete.


    Manchmal, in den ruhigen Momenten, wenn sie Zeit zum Nachdenken hatte, erinnerte sie sich daran, wie sie von Lärm geweckt worden war, der von draußen auf der Straße bis zu ihrem Fenster gereicht hatte. Die ersten Male hatte sie sich umgedreht und quengelnd ihren Kopf in den Kissen vergraben, um weiterschlafen zu können. Es hatte sie daran gehindert, sich ganz den Pinselstrichen auf dem Papier hinzugeben oder war in die Geschichten eingedrungen, die das Kindermädchen ihr vorgelesen hatte. Anders als ihr Bruder hatte sie sich schon früh den stillen Künsten zugehörig gefühlt und das bedeutete leider, dass sie mit dem Lärm der Straße nicht vereinbar waren.


    Dieser hatte früh damit begonnen, das Ausgehverbot in Frage zu stellen. Der Einwand, dass es nicht sicher sei, durch die überfüllten Gänge mit zwei Kindern zu gehen – vor allem, wenn es sich um den Prinzen und die Prinzessin handelte – war bei ihm nur auf Unverständnis gestoßen. An diesen Wochentagen hatte er dutzende Ausreißversuche unternommen, die sich jedes Mal an Kreativität überboten hatten. Schließlich hatten ihre Eltern eingelenkt – wohl auch weil der Kapitän der Leibgarde mit einem schuldbewussten Gesicht gebeichtet hatte, dass die Wachen am Tor es gerade noch geschafft hatten, einen vorbeiflitzenden Elfjährigen zu packen. Shion und Lian hatten sich sehr bemüht, nicht zu laut zu kichern, als sie an der spaltbreit offenen Tür gelauscht hatten.


    Als Lian am besagten Morgen aufwachte, ein paar Wochen vor ihrem 12. Geburtstag, und den vertrauten Lärm aus Stimmengewirr, Warenklirren und Pferdeschnauben vernahm, war ihr gar nicht nach Aufstehen zumute. Wieder einmal verkroch sie sich unter der Decke, doch nicht mit der Absicht wieder einzuschlafen, sondern weil sie wusste, was ihr bevorstand, wenn sie das Bett verließe. Ihre Eltern hatten bereits entschieden, dass es zu gefährlich wäre, die ganze königliche Familie zu eskortieren, also würden Lian und Shion mit ein paar ausgewählten Wachen an den Ständen vorbeischlendern. Das Land war ihnen wohlgesonnen und niemand rechnete ernsthaft damit, dass sie tatsächlich in Gefahr sein würden, aber man wollte kein Risiko eingehen. Lian kannte die Wachen gut, doch der jungen Prinzessin wäre es lieber gewesen, dieses Erlebnis mit ihren Eltern zu teilen.


    Die Tür sprang auf und mit einem Aufschrei zog Lian sich die Decke über den Kopf. Kurz darauf hörte sie das laute Auflachen ihres Bruders und spürte, als es näherkam, wie er mit seinem Gewicht die Matratze nach unten drückte, während er über das große Bett zu ihr krabbelte. „Na los, jetzt sei nicht so ein Angsthase und steh schon auf. Ich will endlich auf den Markt.“ Lian fragte sich, ob das nur auf ihre Reaktion auf sein Erscheinen zurückzuführen war, oder ob er tatsächlich wusste, wie sie sich in Anbetracht des bevorstehenden Tages fühlte. Die ganze Zeit über, die sie zusammen aufgewachsen waren, war er der furchtlose Ritter gewesen, der er später einmal sein wollte. Sie hatte den Teil übernommen, der besorgt die Konsequenzen ihrer Handlungen abwog und lieber zwei Mal etwas überdachte, als sich blind auf die erste Möglichkeit zu stürzen.


    „Ich bin kein Angsthase!“ rief sie ihm zu, schlug die Decke zurück und begrub ihn halb darunter. Ehe er sich freistrampeln und das Gleiche bei ihr tun konnte, war sie schon aus dem Bett gesprungen und zum anderen Ende des Zimmers gelaufen. Bevor Shion seinen Gegenangriff starten konnte, öffnete sich die Tür ein zweites Mal und ihr Kindermädchen Lottie trat herein. „Wie ich sehe, sind Sie schon aufgestanden, Prinzessin Lian. Dann können wir ja gleich beginnen.“


    Es handelte sich um die altbekannte Morgenroutine, doch Lian merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Anstatt ihre Haare elegant und kunstvoll zu frisieren, wurden sie lediglich zu einem einfachen, schnellen Zopf zusammengeflochten. Und das Kleid, das für sie herausgelegt worden war, entsprach auch nicht dem, was sie im Palast trug. Es war braun – und Lian hatte gar nicht gewusst, dass sie überhaupt eines in einer so gedeckten, unauffälligen Farbe besaß – mit cremefarbenen Ärmeln. „Ich sehe aus wie ein Baum“, hatte sie ihrem Kindermädchen verstimmt mitgeteilt.


    Diese lächelte nur, wenn auch ganz eindeutig mitfühlend. „Ich weiß, aber das ist zu deinem eigenen Schutz. Wir möchten dich so unauffällig wie möglich kleiden. Wenn die Menschen auf den Straßen erkennen, dass die Prinzessin unter ihnen ist, dann gibt es nur einen großen Menschenauflauf und zu viel Aufregung. Es könnte gefährlich sein, wenn Euch jemand erkennt.“


    „Aber ich bin die Prinzessin!“, rief Lian.


    „Das wird auch niemand von uns je in Frage stellen“, antwortete Lottie und strich ihr ein paar Strähnen ihres blonden Haares hinter die Ohren. „Aber manchmal ist es besser, das, was man ist, vor anderen geheim zu halten. Nicht überall auf der Welt ist es sicher für Königskinder. Eines Tages wirst du das verstehen.“


    Lian wäre es lieber gewesen, wenn sie es sofort verstanden hätte, aber dies schien in die gleiche Kategorie zu fallen wie die Frage, warum man auch sein Gemüse essen sollte, wenn alles andere viel besser schmeckte, oder jeden Abend baden musste, auch wenn man nicht schmutzig war. Doch statt nachzufragen, nickte sie nur. Sie war nicht in der Stimmung, darüber zu streiten. Lottie in eine schlechte Stimmung zu versetzen, wäre etwas, das ihr den ganzen Tag über leidtun würde, und das konnte sie heute am allerwenigsten gebrauchen.


    Sie stand vom Stuhl auf und lief herüber zu ihrem Spiegel. Ein vertraut wirkendes Mädchen schaute zurück, aber Lian hatte Probleme, sich selbst in ihrem Spiegelbild zu finden. Alles an diesem Mädchen sprach davon, dass sie ein einfaches Leben führte, das komplette Gegenteil von ihr. Das Einzige, was noch fehlte, um das Gesamtbild abzurunden, war der Dreck, der ständig an den Bauernmädchen haftete – und Lian hoffte inständig, dass man nicht auch noch von ihr erwarten würde, sich im Matsch zu suhlen, wie ihr Bruder das früher gern getan hatte. Sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er würde bestimmt um ein Vielfaches authentischer wirken.


    „Wenn Eure Hoheit mir nach unten folgen würde“, sprach Lottie und Lian wurde rot.


    „Entschuldigt“, sagte sie, und lief an ihre Seite. Sie hatte nicht vorgehabt, sich so lange zu betrachten, aber der merkwürdige Anblick hatte sie gefangen genommen. Wie glücklich sie sich schätzen konnte, einen Palast als ihr Zuhause zu haben.




    Kaum waren sie an einem Nebeneingang zum Schloss angekommen, von wo aus es unauffälliger war, den Marktplatz zu betreten, war ihr Bruder auf sie zugelaufen und hatte sie ungeduldig an der Hand gezogen. „Na endlich bist du auch fertig. Jetzt trödle nicht so, wir sind schon seit Stunden bereit zur Abreise.“


    Lian schaute ihn beleidigt an. „Ich habe gar nicht getrödelt, ich hab eben Zeit gebraucht, um mich fertig zu machen.“


    Eine der Wachen, Kalie, bemerkte nüchtern: „Man hat wirklich gemerkt, wie ungeduldig Ihr seid, junger Prinz. Ihr habt beinahe euren Mantel vergessen.“ Sie zwinkerte Lian zu, die verhalten kicherte. „Wir Frauen müssen schließlich zusammenhalten“, hatte Kalia ihr einmal vor langer Zeit gesagt. Deswegen war die Prinzessin auch so froh, dass die Speerkämpferin sie heute auf ihrem Ausflug begleiten würde.


    Anstatt sauer zu sein, zuckte Shion nur mit den Schultern. „Ich hatte es eben eilig. Und wofür brauche ich überhaupt einen Mantel? Es ist warm genug hier draußen.“ Lian wusste, dass er nur von einem Streit absah, weil er gerne Zeit mit Kalie verbrachte. Wann immer die Wachen auf dem großen Platz hinter dem Schloss trainierten, stand er am Rand und schaute ihnen mit leuchtenden Augen dabei zu. Dass eine Ritterin dabei ganz besonders sein Interesse bekam, war Lian nicht entgangen.


    „Es ist zu Eurem eigenen Besten“, versicherte Lottie ihm, die auch auf dem kleinen Vorhof stand, um sie zu verabschieden. Es würde nur ein kurzer Weg dorthin sein, nah genug, dass Lian die Menschenmengen von ihrem Fenster aus sehen konnte. Trotzdem trat sie nervös von einem Fuß auf den anderen und war ihrem Kindermädchen bislang nicht von der Seite gerückt.


    „Er wird uns schon nicht erfrieren“, rief Darios von weiter vorne, wo er wartend mit seinem Schwert hantierte. Lottie schaute ihn an, als würde sie ihn gleich davon in Kenntnis setzen, dass die nächste Eiszeit kurz bevorstand, als er fortfuhr: „Alle Mann startklar?“ Ein nicht sehr verhaltenes, hohes Räuspern war zu hören, und Darios fügte mit einem leichten Augenrollen hinzu: „Die Damen auch? Gut, dann können wir ja jetzt losgehen.“


    „Moment, sollte Luno nicht auch mitkommen?“, fragte Kalie verwirrt, doch winkte die Kinder trotzdem hinter sich her, als sie zu den anderen Soldaten am Tor aufschloss.


    „Ihr habt gerufen?“, fragte eine gedehnte Stimme aus dem Schatten eines Baumes heraus, die Kalie wie jedes Mal überrascht herumfahren ließ.


    Seit ihrer Kindheit wussten die Zwillinge, dass es eine Person in diesem Dorf gab, mit der man niemals verstecken spielen sollte. Beim ersten – und letzten – Mal waren sie durch das ganze Schloss gelaufen, bis sie gefürchtet hatten, dass ihre Beine unter ihnen nachgeben würden, bis plötzlich Blätter auf sie heruntergeregnet waren. Als sie empor gesehen hatten, hatten sie gerade so Luno auf einem der Holzbalken erspähen können, der spitzbübisch zu ihnen heruntergrinste. Lian hatte oft darüber gerätselt, wie er da hoch gekommen war, und Shion war oft daran gescheitert, es ihm nachzumachen, doch sie hatten es bis heute nicht geschafft.


    Luno schloss zu der Gruppe auf. „Angeber“, murmelte Rike, kaum dass er in Hörweite war. Abgesehen von Lunos dunklen Tönen trug sie die normalste Kleidung ihrer Eskorte. Selbst das Buch, in dem sie gelegentlich blätterte und mit dessen Hilfe sie ihre Magie beschwor, trug zu ihrem alltäglichen Erscheinungsbild bei.


    „Dann können wir ja jetzt los“, rief Shion glücklich, ohne sich mit den Feinheiten der Beziehungen der Kämpfer herumzuschlagen, und lief voran zum Tor.


    Kaum war er an den Soldaten vorbeigekommen, hielt Darios ihn am Arm fest. „Nicht so schnell“, ermahnte er ihn und zog ihn zurück. „Kalie und ich werden vorangehen. Was glaubst du, warum wir das tun?“, fragte er und sah den Prinzen abwartend an.


    „Damit ihr uns vor Gefahren von vorne beschützen könnt!“, rief Shion sofort. Schon seit seiner Kindheit hatten es ihm militärische Taktiken angetan, ob nun auf den großen Schlachtfeldern der Geschichte oder die der königseigenen Stadtwache.


    Darios nickte. „Allerdings ist das nur einer der Gründe. Soldaten sind dort ein seltener Anblick, aber oft genug, dass eine Patrouille auf dem Markt nicht weiter auffällt. Außerdem werden wir die Blicke auf uns ziehen, sodass ihr uns unauffällig folgen könnt.“


    „Na toll, und ich dachte, wir dürften selbst entscheiden, wo wir langgehen wollen“, maulte Shion und verschränkte protestierend die Arme vor der Brust.


    „Luno“, fuhr Darios fort, als hätte er den Einwand nicht gehört, „wird die Nachhut bilden und uns unauffällig folgen, um ein Auge auf Gefahren zu unseren Seiten und von hinten zu haben. Rike ist damit beauftragt, uns mit ihrer Magie vor Pfeilen und ähnlichen Geschossen zu schützen.“ Bei der Nennung ihres Namens legte die Magierin sich kurz die Finger an die Schläfe – vielleicht auch nur, um ihre Brille zurechtzurücken – wandte sich aber schnell wieder dem Papier in ihren Händen zu.


    „Das halte ich für einen guten Plan“, sagte Lian und lächelte dem Anführer der Stadtwache zu. Sie konnte keine Fehler an ihm erkennen. Auch sie war in Strategie und Kampf unterrichtet worden, weshalb beide Königskinder sich mit den Grundlagen des Schwertkampfes zur Wehr setzen konnten. Ihre Waffen hatten sie unter ihren Mänteln versteckt, damit sie nicht weiter auffielen. Lian war es allerdings bei Weitem lieber, wenn sie ihr Leben in Darios‘ Hand legen konnte. Bei dem Gedanken, mit ihrem noch ausbaufähigen Können gegen einen Angreifer bestehen zu müssen, wurde ihr mulmig.


    „Ja ja, alles ganz toll ausgearbeitet. Können wir jetzt endlich los?“, fragte Shion ungeduldig und sprang sogar ein paar Mal auf der Stelle.


    Darios schüttelte lachend den Kopf und gab das Signal zum Aufbruch.


    It's not the critic who counts, not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could've done them better. The credit belongs to the one who's actually in the arena - Theodore Roosevelt


    "Most people don't try to become adults, they just reach a point where they can't stay children any longer." - Miss Kobayashi


    "What more do I need than my worthless pride?" - Haikyuu!!

    2 Mal editiert, zuletzt von Raichu-chan ()

  • 2. Kapitel


    Als sie durch die Menschenmenge wateten, vergaß Lian ganz, wovor sie eigentlich Angst haben wollte. Sie hatte noch nie so viele Geräusche gehört oder so viele Gerüche vernommen—kurzum, sie war noch nie mit so vielen Menschen an einem Ort gewesen. Selbst wenn sie an besonderen Feiertagen zu Festen im Schloss einluden, waren nie so viele Menschen gekommen, dass man aufpassen musste, wo man hintrat, weil es jemandes Fuß sein konnte.


    Ihre selbsternannte Reiseleiterin kicherte. „Macht den Mund zu, sonst kommen Fliegen rein“, riet sie den Zwillingen und diese taten, wie ihnen geheißen. „Wenn euch das schon beeindruckt, dann wartet mal, bis wir zu der Hauptstraße kommen.“ Die junge Frau hatte sich ihnen kurz vor dem Marktplatz angeschlossen. Laut Darios gab es niemand besseren als sie, die alles über die Händler und ihre Waren wusste. Lian hatte sie erst gar nicht sympathisch gefunden mit ihrem verschmitzten Blick und der Art, wie sie geradezu fragend den Finger an ihr Kinn gelegt hatte – ganz zu schweigen davon, dass sie während des Gespräches eher auf den Sack voll Gold als in Darios‘ Augen geschaut hatte. Lian hatte ernsthafte Zweifel, wie weit man ihr vertrauen konnte.


    „Wie, das war noch nicht alles?“, fragte Shion verwirrt. „Also ich finde das hier schon ziemlich groß.“


    Die Frau warf ihren Kopf in den Nacken und lachte. „Ich war schon auf zahlreichen Märkten und lass mich dir sagen, mein Junge, das hier ist gar nichts im Vergleich zu einigen in den Hauptstädten.“


    Lian machte große Augen, als ihr klar wurde, was das bedeutete. „Dann hast du also schon die ganze Welt bereist?“


    Sie grinste. „Ganz so weit würde ich nicht gehen. Aber ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich an vielen Orten zugegen war, die Geschichte geschrieben haben. Wer weiß, vielleicht ist dies hier ja auch so einer.“


    Jetzt war es an Shion, sie wie eine Heldin zu betrachten. „Ist das wahr? Du musst mir unbedingt alles erzählen. Von was für Schlachten sprichst du? Hast du auch die Helden gesehen? Oder mit ihnen geredet?“


    Rike, die neben ihnen lief, schnaubte nur geringschätzig. „Ihr solltet nicht zu viel auf ihre Geschichten geben. Ich glaube kaum, dass eine so junge Frau überall auf der Welt gewesen und immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Wenn Ihr meinen Rat hören wollte, solltet Ihr dieser Frau mit einem gewissen Maß an Misstrauen gegenüber treten.“


    Anna kicherte nur. „Manchmal bilden Zeit und Raum nicht das Hindernis, für das wir sie halten“, erklärte sie und lachte nur noch lauter, als sie die verwirrten Gesichter der Umstehenden sah. Dann blieb sie plötzlich stehen und wandte sich den Zwillingen zu mit ihrem verschmitzten Grinsen, während sie Gedanken nachging, die nur sie kannte. „Aber wenn ich mir euch beide so ansehe … Ich glaube, ihr seid gar nicht so weit davon entfernt, eines Tages herauszufinden, was ich damit meine.“


    Shion und Lian schauten sich verwirrt an. Sie hatten keine Ahnung, was sie ansprach. Außer Shions Verkündungen, dass er eines Tages als großer Held in die Geschichte eingehen würde, hatte es nicht viele Erfolge in dieser Richtung gegeben. „Ähm, ich glaube nicht, dass …“, begann Lian, doch ihre Stimme verlor sich im Gewirr der anderen. Sie hatten die T-förmige Kreuzung erreicht, den Teil, wo eine Reihe der Händlerstände auf eine Querstraße traf. Sofort wussten sie, was Anna vorhin gemeint hatte.


    Dieser Teil war doppelt so breit, die Stände doppelt so hoch. Imposant erstreckte sich der größte Bereich des Marktes vor ihnen. Die Händler standen nicht nur an selbstgezimmerten, schiefen Tischen, sondern hatten so etwas wie Hausgerüste mit einem Schild, das den Namen ihres Ladens oder die Warengruppen anpries. Lian brauchte nur den Kopf drehen und schon erkannte sie Waren, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Alles an diesem Teil wirkte hochwertiger, strahlender, lebendiger. Der Markt, der vorher wie ein stattliches Haus erschienen war, glich nun einer imposanten Villa.


    Anna stand neben ihnen, die Hände auf die Hüften gestemmt. „Hach, es fühlt sich so gut an, nach Hause zu kommen. Zuhause ist, wo das Geld fließt. Also dann, lasst uns ein paar Schnäppchen machen. Kommt, ich zeige euch, wie das geht.“ Und schon hatte sie die beiden Zwillinge an je einem Arm gefasst und zog sie weiter nach vorn. Aus den Augenwinkeln konnte Lian gerade noch Darios erkennen, der geschockt dabei zusah, wie die ihm anvertrauten Königskinder vor seinen Augen entführt wurden. Dann hatte sie auch schon die Menschenmasse verschluckt.


    Angst erfüllte sie. Anna mochte noch so harmlos wirken, aber schutzlos wollte Lian auch nicht bei ihr sein. Selbst ihr Bruder neben ihr war still geworden, so vorsichtig, dass sie ihn nur durch sein Äußeres wiedererkannte. Als Lian plötzlich einen dunkel gekleideten Mann neben sich sah, stolperte sie zur Seite, doch als dieser das Tuch um seinen Mund leicht herunterzog, erkannte sie Luno. Erleichtert atmete sie auf. Wenn er in ihrer Nähe war, würde sie sicher sein.


    Beruhigt, dass es jemanden gab, der über sie und ihren Bruder wachte, wandte sie sich der Auslage vor ihr zu. Fasziniert betrachtete sie die kunstvoll gewebten Blumenkränze und nahm einen in die Hand, um ihn sich genauer anzusehen. Es waren viele Wildblumen darunter wie zarte Gänseblümchen oder kraftvoller, strahlend roter Mohn, doch ihre Aufmerksamkeit hatte ein kleines Armband aus Butterblumen gefesselt. Sie hatte es über ihr Handgelenk gestreift, bevor sie sich daran hatte hindern können.


    „Es sieht wirklich entzückend an dir aus“, rief ein Mädchen, das ein paar Jahre älter war als sie. Sie hatte wirr abstehende, blonde Haare, die sie gerade so zu zwei Zöpfen gebändigt hatte, und ein breites Lächeln auf dem Gesicht. „Weißt du was? Weil es dir so gut steht, schenke ich es dir.“


    „Aber … aber das kann ich nicht annehmen“, sagte Lian und merkte, wie sie rot wurde. Als Prinzessin war sie es gewohnt, dass Menschen ihr Geschenke machten, doch diese junge Frau hier bestritt damit ihren Lebensunterhalt. Gerade weil sie die Prinzessin war, konnte sie es doch nicht verantworten, dass jemand keine Gegenleistung bekam, während sie Geld genug hatten. „Ich bestehe darauf!“, rief sie und kramte bereits nach den Münzen, die sie sich vorsichtshalber in die Tasche gesteckt hatte.


    Anna rümpfte die Nase. „Du hast doch nicht wirklich vor, für etwas so Vergängliches zu zahlen, oder?“


    Nach einem kleinen Hin und Her hielt die junge Frau schlussendlich doch die Bronzemünze in der Hand. „Hey, Chrom, sieh dir das mal an, jemand hat tatsächlich meinen Blumenschmuck gekauft. Das hättest du nicht gedacht, was?“, rief sie und rammte dem jungen Mann neben sich den Ellbogen in die Seite.


    Dieser keuchte auf und rieb sich mit einem genervten Blick die verletzte Stelle. „Lissa, das tat weh! Aber gut gemacht, das hilft uns sehr.“


    „Wobei denn?“, schaltete sich Shion ein, der einen der Pfeile vor sich inspizierte.


    „Wir sammeln Geld für unsere Mission. Wir sind nämlich eine Gruppe von Kämpfern, die sich zum Ziel gesetzt hat, unser Land zu retten. Das ist alles ziemlich kompliziert – manchmal blicke ich da selbst nicht durch – aber so eine Streitmacht kostet natürlich Geld, selbst wenn sie nur so klein wie unsere ist. Deshalb haben wir uns entschieden, hier einen Stand zu eröffnen, und jeder hat etwas dazu beigetragen. Aber ich glaube, ich kenne jemanden, der uns das besser erklären kann. Hey, Chrom, weißt du, wo Frederick steckt?“


    „Gleich da drüben“, sprach der Blauhaarige und deutete in eine Ecke des Ladens, wo ein massiger Mann auf einem viel zu klein wirkenden Stuhl saß und Erbsen zählte. Lian fragte sich, ob sie vielleicht in einer Geschichte gelandet waren, während Shion geschockt wegen dieser Verschwendung von Potential war. Vielleicht sollte er das mit dem Ritterdasein in der Armee noch einmal überdenken, wenn dies die harte Wahrheit war.


    „Einen Moment“, entschuldigte Lissa sich und eilte zu ihm herüber. „Frederick, hättest du einen Moment, diesen Kindern etwas über den Krieg in unserem Land zu erzählen?“


    Der Mann schüttelte den Kopf. „Dafür habe ich keine Zeit, Lissa, du siehst doch, dass ich beschäftigt bin. Ich muss wissen, wie viele Erbsen wir haben, damit ich ausrechnen kann, wie lange unsere Vorräte halten werden. Wenn ich mich damit nicht beeile, weiß ich nicht, wie viel wir einkaufen müssen, und dann macht der Markt zu. Ich kann nicht verantworten, dass wir hungern müssen, weil ich mich nicht ausreichend um unsere Verpflegung gekümmert habe.“


    Lissa drehte sich zurück zu den Zwillingen und zuckte hilflos mit den Schultern.


    Shion war anzusehen, dass er unbedingt mehr über die Situation herausfinden wollte und ihm schon die ersten Kampfratschläge auf der Zunge lagen, aber er wurde von dem sich bewegenden Vorhang zum hinteren Bereich abgelenkt, der einen Neuankömmling ankündigte.


    „Chrom?“, fragte die große Frau mit beeindruckend roten Haaren hinter ihm. Lian konnte einen leicht roten Schimmer auf ihren Wangen erkennen, als sie ihm einen Pfeil präsentierte. Keiner der Zwillinge war im Bogenschießen unterrichtet worden, doch Shion wusste sofort, dass er kunstvoller und mit viel mehr Bedacht gefertigt war, als es sonst der Fall war. So einen Pfeil hatte er noch nie im Köcher der Stadtwache gesehen. „Wie findest du ihn?“


    Chrom nahm den Pfeil entgegen und betrachtete ihn.


    „Ich hab mir extra viel Mühe damit gegeben. Das Holz ist aus einem Nussbaum. Es mag vielleicht nicht am besten für den Kampf geeignet sein, aber von allen, die ich bekommen konnte, hat es die schönste Farbe. Wenn Ihr mögt, könnt Ihr ihn behalten.“


    Er hatte die ganze Zeit abwesend genickt und schaute erst jetzt wieder sie statt den Gegenstand in seinen Händen an. „Gut gemacht, Cordelia. Ich wusste, dass ich auf euch alle zählen kann. Leg ihn mal zu den anderen, neben Sumias Kuchen.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging in den hinteren Bereich des Standes. Cordelia schaute ihm einen Moment mit offenem Mund nach, unfähig, sich zu bewegen.


    „Was sind das für Federn?“, fragte Shion die Frau, die zu einer Statue geworden war. Er musste sie mehrmals an ihre Anwesenheit erinnern, bevor sie sich umdrehte und erklärte: „Das sind Federn meines Pegasus‘. Sie verlieren sie von Natur aus ab und zu. Ich kämpfe zwar mit einem Speer, aber als unser Bogenschütze sie für Pfeile verwenden wollte, war schnell klar, dass sie sich hervorragend dafür eignen würden. Pegasusfedern sind äußerst robust und windschnittig.“


    „Wow“, sagte Shion und strich über die Feder. „Ich wünschte, ich hätte auch einen Pegasus. Dann könnte ich überall hinfliegen und die Menschen gegen Banditen oder feindliche Heere verteidigen.“


    Cordelia betrachtete ihn lächelnd. „Wir Pegasusreiter sind normalerweise die ersten, die feindliche Truppen oder Untote erspähen. Allerdings müssen wir uns vor solchen Pfeilen in Acht nehmen. Wir sind unerreichbar für die meisten Attacken und kommen gegen Magie gut klar, aber ein gut geschossener Pfeil wie dieser hier kann uns sofort zum Absturz bringen. Irgendwie ironisch, dass ich diese hergestellt habe. Als würde ich mir selbst im Weg stehen.“ Was als eine lebhafte Erzählung begonnen hatte, war zum Ende immer verhaltener geworden, bis Cordelia sich schließlich ganz in ihren Gedanken verloren hatte. „Bitte entschuldigt mich“, sagte sie mit einer kleinen Verbeugung und zog sich zurück.


    Lian, die genug Liebesgeschichten gelesen und erzählt bekommen hatte, wusste genau, worum es sich handelte. Es war faszinierend und betrübend zugleich, vor einer leibhaftigen Protagonistin ihrer Bücher zu stehen und mit anzusehen, wie sich einseitige Liebe anfühlte.


    „Hey, ich habe euch doch schon gesagt, dass ihr das Essen nicht neben den Blumen platzieren sollt. Das überdeckt ihren Geruch.“ Die Zwillinge schauten hoch und sahen einen jungen Mann wild gestikulierend neben ein paar Soldaten stehen. Diese hörten seinen Worten und Erklärungen zu, als hätten sie diese schon zum dritten Mal am Tag gehört.


    „Das da ist Robin“, erklärte Lissa mit einem leicht entschuldigenden Blick, als wäre sie es gewohnt, wie befremdlich das Verhalten auf Außenstehende wirken konnte. „Er ist unser Taktiker. Er kennt sich unglaublich gut auf dem Schlachtfeld aus und hat uns schon durch so manche ausweglose Schlacht geführt. Er ist ein netter Kerl und wir haben ihm echt viel zu verdanken. Es ist nur bei manchen Themen etwas …“ Sie stockte und die Drei beobachteten ihn dabei, wie er präzise Schalen voller Obst herumrückte und sie nicht mehr nach Größe, sondern Farbe arrangierte. „Manchmal kann er übertreiben, wenn er etwas zu wichtig nimmt.“


    „Es gibt kein Übertreiben, wenn es um das Verkaufen geht. Schau dich doch mal um: Wer sich hier gegen die Konkurrenz durchsetzen will, muss an alles denken. Das ist ja fast noch härter als ein Schlachtfeld!“


    „In wie fern?“, fragte Shion und blickte sich prüfend um. Bis auf die Waren war so ein Markt für ihn ein eher langweiliges Unterfangen. Händler boten ihre Waren an und die Kunden kauften das, was sie brauchten. So einfach war das. Mit den Facetten des Schlachtfeldes war das kaum zu vergleichen.


    „Zuerst einmal muss man das Interesse des Kunden erreichen. Siehst du die dort drüben?“ Er gestikulierte zu zwei gegenüberliegenden Ständen, an denen sich die Besitzer regelrecht anschrien, um die Aufmerksamkeit der Menschen vor ihnen zu bekommen. „Das wäre eine Taktik, wenn auch nicht die effektivste. Ich zeige euch mal, wie das gemacht wird.“ Er wandte sich zur Seite, wo ein junger Mann neben den Geschwistern stand. „Wie wäre es mit einem Schleifstein für Euer stattliches Schwert?“


    Der Mann schaute erschrocken auf, offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, angesprochen zu werden. Immerhin trug er auch eine Maske über den Augen, also war es wohl nicht in seinem Interesse, zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Ich ähm, nun ja, ich schaue mich nur um und … beobachte. Die Waren dort.“ Trotz seines nervösen Auftretens wirkte er wie ein stattlicher Krieger, wenn man nach seiner dunkelblauen, teuer aussehenden Kleidung ging. Shion schaute sich das Schwert an, das Robin angesprochen hatte. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares in der Armee hierzulande gesehen, und doch kam es ihm bekannt vor, als wäre es ihm vor kurzem untergekommen. Vielleicht hatte er es bei einem der Händler entdeckt.


    Robin verzog das Gesicht. „Das ist aber sehr schade. Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht für unsere Sachen begeistern kann?“


    Er schüttelte den Kopf. „Ich habe kein Interesse an Ihrer Sache. Ich meine, Ihren Sachen. Verzeihen Sie, ich muss gehen.“ Verwirrt schauten die Zwillinge ihm nach.


    „Bestimmt eine Ritter“, murmelte Shion.


    Lian schüttelte den Kopf. „Eher ein Lord.“


    Beim Weggehen fuhr der Fremde sich über das Gesicht und hängte etwas Schwarzes, das vermutlich seine Maske war, an seinen Gürtel. Dann ließ er seine Hände durch die Haare gleiten und einen Moment später flossen die dunkelblauen Haare seinen Rücken herunter. Das war bei Weitem der merkwürdigste Mensch, den die beiden je gesehen hatten. Sie verspürten den Wunsch, ihm – oder ihr? – nachzulaufen, aber wurden von Robin aus ihren Gedanken gerissen.


    Dieser seufzte, bevor er sich räusperte und fortfuhr: „Dann muss man dafür sorgen, dass sie bleiben, was unsere Chance ist, sie von unseren Waren zu überzeugen. Und wenn man in alldem erfolgreich war, kommt der heikle Teil: Die Abwicklung des Kaufes und die Verhandlung über den Preis.“


    Den Zwillingen rauchte der Kopf. Sie hatten nicht erwartet, eine Lektion in Sachen Wirtschaft zu erhalten.


    „Der für eure Süßigkeiten ist viel zu hoch. Mal im Ernst, keine Eltern würden einem Kind so etwas kaufen“, bemerkte Anna abschätzig.


    Robin lächelte nur wissend. „Meine Dame, dies sind keine normalen Süßigkeiten. Sie wurden von einem Mann hergestellt, der in Festungen eindringen würde, nur um diese erlesenen Köstlichkeiten naschen zu können. Seine Zunge ist wohlmöglich die erlesenste der Welt. Lissa, warum zeigst du ihnen nicht, was ich damit meine?“


    „Bin schon dabei“, rief das Mädchen fröhlich und ließ ein Bonbon in jede ausgestreckte Hand fallen. Anna beäugte es misstrauisch, als könnte sie nur mit ihrem Blick seine Zusammensetzung erahnen. Shion und Lian waren weniger zurückhaltend und kaum dass die Süßigkeit ihre Haut berührt hatte, hatten sie es schon in den Mund gesteckt.


    Das ganze Leben im Palast hatte die Zwillinge nicht auf dieses Erlebnis vorbereitet. Kaum hatte die Süßigkeit ihre Zunge berührt, kribbelte es in ihrem gesamten Mund, als hätten sich alle Geschmacksknospen auf einmal aktiviert. Lians Stück war süß wie Honig und sie konnte gar nicht aufhören, darauf herum zu kauen, um noch mehr davon zu schmecken. Shion hingegen hatte eine saure Variante, die ihn dazu brachte, das Gesicht zu verzerren, worüber er sich köstlich amüsierte.


    Anna, die die beiden wie Versuchstiere betrachtete, lächelte, als sich ein Plan in ihrem Kopf formte. Sie ließ das Bonbon unauffällig in ihre Tasche gleiten. Wäre doch gelacht, wenn sich nicht irgendein Alchemist finden würde, der dieses Produkt verstehen, zerlegen und rekonstruieren konnte, damit sie es vervielfachen und weiterverkaufen konnte.


    „Mehr davon!“, riefen die Zwillinge und hielten Robin ihr gesamtes Taschengeld hin.


    Dieser warf Lissa einen wissenden Blick zu. „Siehst, du, so macht man Geschäfte.“ Er griff nach den Münzen, gerade als die Kinderhände sich von ihm wegbewegten.


    „Na na, ihr werdet Ärger von euren Eltern bekommen, wenn ihr alles für Süßigkeiten aufgebt – ganz zu schweigen von dem, was Lottie zu euch sagen wird, wenn ihr beim Abendessen keinen Hunger mehr haben werdet“, belehrte Darios sie, als er je ein Kind mit seinen muskulösen Armen hochhob. Egal wie sehr sie mit ihrem Strampeln protestierten, sie konnten nichts dagegen tun, als der Stand in weite Ferne rückte.


    It's not the critic who counts, not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could've done them better. The credit belongs to the one who's actually in the arena - Theodore Roosevelt


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    "What more do I need than my worthless pride?" - Haikyuu!!

    2 Mal editiert, zuletzt von Raichu-chan ()

  • 3. Kapitel


    Das Einzige, was die Kinder schließlich von ihrer Trauer über die nicht erhaltenen Süßigkeiten ablenkte, war das Geschrei weiter vorne. Es kam von den zwei gegenüberliegenden Ständen, die sie schon aus der Ferne gesehen hatten.


    Der zu ihrer linken war aus glattem Holz gefertigt worden, vielleicht Eiche oder Buche. Er war relativ schlicht gehalten und verkaufte klassische Waffen wie Schwerter, Äxte und Lanzen, aber auch Nahrungsmittel wie Weizen, Milch oder verschiedene Beeren. Vielleicht würden die Köche ihnen daraus eine leckere Nachspeise bereiten, wenn Lian welche mitbrachte.


    Auf der anderen Seite herrschten Bambuselemente vor, dazu war das Dach mit Zypressenrinde versehen. Shion fesselten sofort die außergewöhnlichen Waffen wie Keulen, Katana und Naginatas. Er hatte sie bisher nur in Büchern gesehen und seine Finger juckten bei dem Gedanken daran, eines von ihnen zu schwingen. Reis, Pfirsiche oder Bohnen interessierten ihn weniger.


    Darios setzte sie wieder ab, allerdings nur, um in seiner Position als Kommandant der Stadtwache voranzuschreiten und zu rufen: „Meine Damen und Herren! Ich kann ja verstehen, dass Sie Ihre Waren verkaufen wollen, aber wenn Sie so schreien, versteht man ja sein eigenes Wort nicht.“


    Als müssten sie ihm beweisen, wie recht er damit hatte, machten die Parteien einfach weiter, als hätte er nie seine Stimme erhoben.


    Erst ein kräftiges „Ruhe!“ brachte sie zur Vernunft, und die beiden Kinder drehten sich erstaunt um, als es nicht aus Darios‘ Mund gekommen war. Die Käufer hatten es scheinbar sehr eilig gehabt, diesen lauten Bereich zum Wohle ihrer Ohren zu meiden, und so konnte man klar die junge Frau sehen, die genau in der Mitte zwischen den zwei Ständen stand. Sie hatte die Hände zu Fäusten geballt und schaute abwechselnd nach links und rechts.


    „Was fällt euch eigentlich ein?“, fragte sie entrüstet. „Ihr könnt doch hier nicht einfach so ein Theater veranstalten!“


    „Große Schwester!“, riefen gleichzeitig zwei Mädchen von unterschiedlichen Seiten mit einem breiten Lächeln. Im nächsten Moment gingen sie dazu über, sich böse anzufunkeln, als hätten sie kein Problem damit, gleich hier ein Duell auszutragen. Shion hätte es interessant gefunden, würden die beiden nicht zu Heilerstäben greifen, mit denen sich der langweilige Kampf ewig hinziehen würde.


    Ein Mann mit einer wallenden, roten Löwenmähne erklärte: „Wir haben uns hier zusammengefunden, um durch die altehrwürdige Kunst des Handelns herauszufinden, zu welcher Familie du gehörst, Corrin.“


    „Wenn wir erst einmal die besseren Ergebnisse erzielt haben, wirst du sehen, dass unsere Familie die beste für dich ist“, sprach ein groß gewachsener Mann mit einer imposanten Rüstung. Lian fand es vor allem erstaunlich, wie er es schaffte, in lila Farben so majestätisch auszusehen.


    Corrin starrte die beiden Seiten mit offenem Mund an. „Wem von euch ist in den Sinn gekommen, dass das eine gute Idee sei?“


    Die Frau mit dem voluminösesten Haar, das Shion je gesehen hatte, und mit einem Körperbau, den die Männer der Stadtwache als „von den Göttern gesegnet“ bezeichnen würden, lächelte warmherzig. „Das haben wir gemeinsam entschieden. Wir wissen, wie weh es dir tut, zuzusehen, wie wir gegeneinander kämpfen, Liebling. Also haben wir eine Lösung dafür gefunden. Und jetzt sieh zu, wie wir denen unsere nohrische Überlegenheit zeigen werden.“ Sie erhob eine massive Axt und die Zwillinge hofften, dass dies nur dazu diente, sie den Käufern als Ware anzupreisen.


    „Passt auf, das könnte eine Falle sein. Diesem nohrischen Abschaum kann man nicht vertrauen!“, rief ein junger Mann, der einen beeindruckenden Rock mit Fellrand trug, und zog einen Pfeil aus seinem Köcher. Er griff zu dem faszinierendsten Bogen, der den Zwillingen je untergekommen war. Anders als die meisten leuchtete seine Sehne hellblau auf, als er ihn in die Hand nahm.


    „Wage es ja nicht, meiner Schwester etwas anzutun!“, kam es von der Gegenseite. Lians Augen weiteten sich, als sie das unheilverkündende Buch in seinen Händen sah. Sie kannte sich nicht gut mit Magie aus, weil sie selbst kein Talent für diese Künste besaß, aber allein wenn sie es ansah, wusste sie, dass es mächtig und zerstörerisch war. Sie hoffte, dass Rike in der Nähe war. Sie würde sie von den Flüchen abschirmen. „Oder unseren Tomaten.“ Shion meinte zuerst, er hätte sich verhört, doch auf dem Tisch lagen tatsächlich stattliche, rote Früchte, denen der Blonde einen kurzen, besorgten Blick zuwarf.


    „Sie ist nicht eure Schwester. Ihr habt keine Ahnung, wie es sich angefühlt hat, als eure Familie sie uns weggenommen hat. Ihr werdet nie verstehen, wie es ist, seine Schwester zu verlieren—und ich werde es auch nicht zulassen, dass wir noch einmal das Gleiche durchmachen müssen!“ Für einen Moment schien es Lian, als könnte sie Tränen in den Augen des Mädchens sehen, das nur ein paar Jahre älter als sie selbst war. Sie blickte zu Shion und fragte sich, ob es sich für ihn auch so anfühlen würde, sollten sie eines Tages getrennt werden. Wenn Lian ehrlich war, wusste sie nicht, wie sie darüber hinwegkommen sollte, ein Familienmitglied zu verlieren, vor allem eines, das sie schon vor ihrer Geburt jeden Tag begleitet hatte.


    „Und du denkst, dass es deswegen in Ordnung wäre, sie uns wegzunehmen?“, rief ein Mädchen mit dicken, blonden Zöpfen, die kaum älter als die Zwillinge wirkte. Auch sie schien den Tränen nahe zu sein und schluchzte fast, als sie sich Corrin zuwandte: „Du bist doch meine große, geliebte Schwester. Ich brauche dich.“


    „Glaub ihr kein Wort, sie versucht nur, uns gegeneinander aufzuspielen. Erinnere dich daran, dass wir deine wahre Familie sind! Ich habe seit deiner Entführung auf den Tag gehofft, an dem du zu uns zurückkehrst“, flehte ein Mädchen mit pfirsichfarbenen Haaren.


    Corrin hatte sich noch keinen Schritt bewegt und stand immer noch hilflos zwischen den beiden Ständen, nicht wissend, für welche Seite sie sich entscheiden sollte. Gab es überhaupt ein richtig oder falsch, wenn man gezwungen war, sich zwischen den Menschen zu entscheiden, die man liebte?


    Die Zwillinge fassten einen Entschluss und rannten ihr zur Seite. „Junge Frau“, begann Lian, „wir haben Ihr Problem mitangehört.“


    „Und jetzt wollen wir helfen. Erzählen Sie uns alles, was passiert ist.“ Shion nickte ihr entschlossen zu.


    Corrin war erst etwas überrumpelt, begann aber dann zu erzählen, was sich zugetragen hatte und wie es dazu gekommen war, dass sie beide Seiten ihre Familie nannte, wenn auch aus verschiedenen Gründen.


    Die Zwillinge nickten nachdenklich, während sie ihren Worten lauschten. Das war wirklich keine einfache Entscheidung. Welche Seite Corrin auch wählen sollte, es würde bedeuten, dass sie gegen die andere in den Krieg ziehen, ja vielleicht sogar selbst niederstrecken musste.


    Shion war der erste, der ihr seine Lösung unterbreitete: „Also, wenn Sie mich fragen, sollten Sie zu Ihrer nohrischen Familie gehen. Sie sind mit ihnen aufgewachsen, also verbindet Sie ein stärkeres Band, ganz gleich, ob Sie blutsverwand sind.“


    Lian schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, das sehe ich anders. Was Ihnen zugestoßen ist, ist schrecklich. Der eigenen Familie entrissen, wo man kaum eine Chance hatte, sie kennenzulernen. Allerdings verbindet Sie Ihre Kindheit, die Sie zusammen verbracht haben. Ich bin mir sicher, dass Ihr mit genug Zeit wieder eine Familie werden könnt—die Familie, die Ihr von Anfang an hättet sein sollen.“


    Shion erwiderte fassungslos: „Aber warum sollte sie sich Menschen anschließen, die sie kaum kennt?“


    Lian sah ihn entgeistert an. Wie konnte er nur so blind sein? Wenn sie beide bei der Geburt getrennt worden wären, würde sie ihn dann auf der anderen Seite des Schlachtfeldes vorfinden, ohne eine Möglichkeit, den Bruder kennenzulernen, der ihr verwehrt worden war? „Weil Familie nun einmal das Wichtigste ist! Wenn man vor die Wahl gestellt wird, muss man das beschützen, was einem etwas bedeutet. Nohr droht damit, Hoshido zu zerstören –“


    „– Und Hoshido will Nohr bekämpfen“, fiel Shion ihr ins Wort.


    „Ich habe meine Entscheidung gefällt!“, verkündete Corrin. Es wurde still um sie herum und alle Beteiligten schauten erstaunt, gespannt und angstvoll in ihre Richtung. Corrin holte tief Luft, bevor sie die folgenschweren Worte sprach: „Ihr stellt mich vor eine schwierige Wahl, die vermutlich die größte, gewichtigste Entscheidung ist, die ich in meinem Leben treffen werde – und doch werde ich nicht darum herumkommen. Eine Antwort muss gefunden werden.“ Sie bedachte Lian und Shion mit einem Lächeln. „Habt vielen Dank für eure Hilfe. Durch das, was ihr gesagt habt, ist mir einiges klargeworden. Aber das hier ist etwas, das ich für mich allein entscheiden muss, so dankbar ich auch für die Hilfe bin.“


    Corrin wandte sich abwechselnd zu ihren Geschwistern und nahm sich bei jedem von ihnen einen Moment, ihnen in die Augen zu sehen. „Es ist an der Zeit, dass ich meinen eigenen Weg gehe.“


    „Was?“, echote es von beiden Seiten, als alle mit vor Schock aufgerissenen Mündern und Augen zu ihr starrten.


    Corrin lächelte. „Ich liebe euch alle und ich kann es nicht verantworten, auf einer Seite gegen die andere zu kämpfen. Irgendwann werdet ihr verstehen, wie ich mich fühle und was mich zu diesem Schritt getrieben hat. Bis dahin werde ich allein kämpfen, um diesen sinnlosen Krieg zu verhindern. Zum Schutz dieses Landes und unserer Familien. Lebt wohl, bis wir uns eines Tages wiedersehen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.


    „Corrin?“, fragte ein Mädchen mit langen, meerblauen Haaren, die Arme voller Waren, während sie versuchte, aus dem Anblick vor sich schlau zu werden. „Ich war doch nur kurz einkaufen“, murmelte sie, die Stirn mit stummen Fragen in Falten gelegt.


    „Ich erkläre dir alles auf dem Weg, Azura. Im Grunde genommen sind wir jetzt eine Zwei-Frauen-Streitkraft gegen das ganze Land.“


    „Was?“, rief die andere perplex, als sie rückwärts am Arm durch die Menge gezogen wurde. Lian und Shion schauten ihnen nach und wünschten ihnen alles Glück der Welt bei ihrer Mission, dem Land den Frieden zu bringen.


    „Die haben keine Chance“, murmelte Shion.


    Lian nickte betrübt. „Es war schön, sie gekannt zu haben.“


    Der Mann mit der Löwenmähne war der Erste, der sich genug gesammelt hatte, um zu verkünden: „Ich schätze, unser Handelsbündnis ist damit hinfällig.“


    Der gegnerische, stattliche Krieger nickte bedächtig. „Das sehe ich auch so. Es hat keinen Sinn mehr, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Mögen unsere Waffen die Entscheidung bringen.“


    „Was für eine Verschwendung“, murmelte das Mädchen mit den Pfirsichhaaren. „Jetzt haben wir all die Waren beschafft. Was machen wir denn nur damit? Das ganze Essen wird verfaulen und unsere Waffenkammern sind schon bis zum Bersten gefüllt.“


    Dem kleinen, blonden Mädchen kam eine Idee und aufgeregt zog sie am Ärmel ihrer großen Schwester. „Camilla, können wir nicht trotzdem weiter Kaufladen spielen? Das hat so viel Spaß gemacht. Bitte, bitte.“


    Camilla besah sie mit einem sanften Lächeln. „Den Wunsch kann ich dir doch nicht abschlagen. Hey, Leo, mach dich mal nützlich und hör auf, die ganze Zeit deine Nase in dieses Buch zu stecken.“


    Leo murmelte etwas, das die Kinder zum Glück nicht verstehen konnten, und machte sich daran, weitere Waren auf der Auslage zu platzieren.


    Auf der anderen Seite schlug die Rothaarige mit ihrer Faust in die flache Hand. „Oh, das wird ein Wettkampf ganz nach meinem Geschmack.“


    Selbst der Bogenschütze, der bis vorhin noch so voller Abscheu gewesen war, lächelte leicht. „Ihr habt nicht den Hauch einer Chance.“


    „Aber in angemessener Lautstärke“, ermahnte Darios sie noch einmal und tatsächlich erntete er von allen Geschwistern ein schuldbewusstes, verlegenes Gesicht.


    Erleichtert darüber, dass sich die Sache so gut in Wohlgefallen aufgelöst hatte, schritt die kleine Truppe um die Königskinder weiter voran.


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  • 4. Kapitel



    Auf den nächsten Stand wurde Lian erst aufmerksam, als Shion sie am Arm dorthin zog. Sie waren schon am Ende der Gasse angekommen, wo die Stände nicht so gedrängt wie zuvor waren und eine angenehmere, ruhigere Atmosphäre herrschte. Es war geschäftiger als in einem Laden, aber nicht mit so viel Andrang, als dass man um die Aufmerksamkeit des Händlers kämpfen musste.


    Shion steuerte zielgerichtet auf einen Verkäufer am Ende zu, um den sich eine kleine Menschentraube gebildet hatte. Er befand sich neben einem weiteren Stand, der Ketten aus Federn und wundersamen grünen Schuppen, oder einer Kombination aus beiden, verkaufte. Geleitet wurde er von einer großgewachsenen Frau mit langen, blauen Haaren, die einen Mann in einem Gespräch so geschickt um den Finger wickelte, dass seine ausgesuchten Ketten ihm beinahe aus den Händen fielen.


    Lian stellte überrascht fest, dass bei dem ersten Stand überhaupt nichts verkauft wurde. Stattdessen saßen davor Kinder auf dem Boden und sahen gebannt zu einem Mann auf, der groß gestikulierend eine Rede oder etwas Ähnliches hielt. Sie schaute zurück zu ihrem Bruder und fragte sich, ob ein Gestaltwandler von ihm Besitz ergriffen hatte. Normalerweise war er der erste, der behauptete, für etwas viel zu alt zu sein. Trotzdem hatte er kein Problem damit, sie hinter sich herzuziehen und am Rand der Kinder Platz zu nehmen.


    „Warum machen wir das?“, fragte Lian ihn, doch Shion legte nur einen Finger auf die Lippen und lauschte gebannt dem Redner. Erst jetzt, wo sie besser hören konnten, merkte Lian, dass es sich dabei gar nicht um eine Rede handelte, sondern um eine Geschichte.


    „Wir hatten uns also auf den Weg gemacht, Medeus, den Schattendrachen, zu besiegen, der das Land in Schrecken und Armut gestürzt hatte. Zusammen mit meinen mutigen Kriegern haben wir uns durch viele Schlachten geschlagen, eine gefährlicher als die andere, um unserem Ziel näher zu kommen. Der Weg bis dahin war hart und nicht ohne Verletzungen, aber nach monatelangem Reisen hatten wir es bis zu der entscheidenden Schlacht geschafft. Wir standen also vor dem größten, gefährlichsten Drachen, den die Welt je gesehen hatte – so einem wie dem da.“


    Erschrocken drehten sich die Kinder um und tatsächlich, vor ihren Augen stand ein leibhaftiger Drache, so groß wie ein Stand, und mit durchscheinenden Flügen an seinem leuchtend grünen Körper. „Besieg ihn, legendärer Heldenkönig Marth!“, rief eines der Kinder erschrocken, während sie sich angsterfüllt zusammenkauerten. Aus ihren Augenwinkeln bemerkte Lian, wie Darios und Kalie ihre Waffen zückten. Auch der Rest der Eskorte machte sich kampfbereit. Sogar Anna hatte die Hand auf das Schwert an ihrer Seite gelegt, bereit zum Einschreiten – aber vielleicht auch nur, um als Dank eine fette Belohnung zu kassieren.


    „Ich werde Euch helfen!“, rief Shion und als Lian zu ihm zurückblickte, stand er schon breitbeinig in Kampfposition, sein Schwert gezückt.


    „Shion!“, rief sie aufgebracht und erinnerte sich erst zu spät an die Worte ihres Kindermädchens. Das dürfte den Kindern um sie herum, die Geschichten über die Königsfamilien vor dem Zubettgehen lauschten, den letzten Hinweis gegeben haben, wer sich vor ihnen befand.


    Plötzlich war von der anderen Seite der Aufschrei eines Mädchens zu hören. Mit Schrecken erwartend, was sie vorfinden würde, drehte Lian sich um, die Hand auf ihr eigenes Schwert gelegt – doch statt eines blutrünstigen Drachens fand sie nur ein kauerndes Mädchen vor, das die Hände schützend über ihren Kopf hielt. „Bitte tut mir nichts, ich hatte nie vor, jemanden zu verletzen.“


    „Tiki!“, rief Marth und eilte zu ihrer Seite, um ihr aufzuhelfen.


    „Ich hab dir doch gesagt, das mit dem Theaterspiel war eine blöde Idee!“, rief sie und klopfte sich den Schmutz aus der rosa Kleidung, die Lian eifersüchtig machte. In dem Aufzug sah das Mädchen fast mehr wie eine Prinzessin aus als sie selbst in diesem, nun authentisch schmuddeligen, Kleid. Tiki verschränkte die Arme vor der Brust und machte einen Schmollmund. „Spiel den Drachen, hat er gesagt. Es wird lustig, hat er gesagt.“


    Marth betrachtete sie mit einem versöhnlichen Lächeln. „Tut mir ja leid, aber es hat doch keiner ahnen können, dass sich plötzlich Wachen um uns versammeln würden. Und den Kindern hast du gut gefallen.“


    Tiki schaute ihn skeptisch an. „Die haben so ausgesehen, als hätten sie geglaubt, dass ich sie im nächsten Moment fressen würde!“


    „Eben. Du bist eine tolle Schauspielerin“, sagte er und klopfte seiner Kampfgefährtin auf die Schulter.


    „Wir sollten von hier verschwinden, bevor der Aufruhr zu groß wird“, raunte Luno den Zwillingen ins Ohr. Lian beeilte sich, aus der Menge zu entfliehen, bevor es einen Aufruhr geben würde, doch Shion steckte nur missmutig sein Schwert weg.


    „Aber ich möchte mit dem Mann dort drüben reden. Er ist ein echter Held, und er ist sogar mit einem Drachen befreundet! So jemand möchte ich auch eines Tages sein. Ich will von ihm lernen, wie man das wird!“


    „Ihr werdet euch sicher ein zweites Mal begegnen, und dann werdet Ihr eine Gelegenheit dazu bekommen“, redete Darios beschwichtigend auf ihn ein, doch die Zwillinge wussten, dass das eher der Dringlichkeit geschuldet war, sie von diesem Ort wegzubekommen,bevor sie entdeckt wurden, als dass es wirklich darum ging, dem Prinzen Hoffnung zu machen.


    Shion hatte die Arme vor seiner Brust verschränkt und trottete schlecht gelaunt neben ihnen her. Egal wie sehr Lian versuchte, ihn aufzuheitern, es wollte ihr einfach nicht so recht gelingen. Sie probierte es mit allem, was sie in den Jahren ihrer Jugend gelernt hatte. Sie hatte ihn mit einem Witz aufzuheitern wollen oder mit einer alten Anekdote, oder etwas Simplem wie die Aussicht auf den Nachtisch, der heute Abend auf sie warten würde. Doch nichts hatte bewirkt, dass auf seinem Gesicht ein Lächeln erschienen war.


    Da fiel ihr Blick auf einen besonders gut ausgearbeiteten Handschuh und sie erinnerte sich daran, wie er sich beim Training mit Darios darüber beklagt hatte, dass seiner schon Risse bekam. Ihr Lehrmeister hatte angemerkt, dass ein wahrer Soldat sich darüber keine Gedanken machen und auf das Wesentliche konzentrieren sollte, aber Shion war da anderer Ansicht gewesen. „Hast du den da gesehen?“ Sie drehte sich erwartungsvoll zu ihrem Bruder um, nur um zu bemerken, dass er nicht mehr neben ihr stand.


    „Shion?“, fragte sie besorgt und drehte sich im Kreis, doch noch immer keineSpur von ihrem Bruder. „Shion, wo bist du?“


    Mittlerweile waren auch ihre Wachen darauf aufmerksam geworden und sahen sich verwirrt nach dem Jungen um. „Bis eben war er doch noch da“, rief Rike und verzog da Gesicht. Es war ihr anzusehen, dass sie nicht daran glaubte, dass der Junge wegen irgendetwas anderem verschwunden war als seinem eigenen Erkundungsdrang.


    Darios seufzte und fuhr sich durch seine kurzen, schwarzen Haare. „Er kann nicht weit gekommen sein. Vermutlich ist er zurück zu diesem Marth gelaufen, den er unbedingt kennenlernen wollte.“


    Kalie stemmte die Hände auf die Hüften. „Nur um zu so einem Hochstapler zu gehen, bringt er sich in solche Gefahr? Ich hatte ihn für reifer gehalten.“ Lian nahm sich vor, ihrem Bruder diese Einschätzung lieber nicht weiterzuerzählen, wenn sie sich wiedertrafen. „Nur keine Angst, wir werden Euren Bruder finden“, versicherte Kalie Lian mit einem aufmunternden Nicken.


    Shions Schwester machte sich da keine Sorgen. Ihr Bruder war schon immer abenteuerlustig gewesen und ging am liebsten mit dem Kopf durch die Wand. Dass er sich in solch einer Situation wiederfand, war nichts Ungewöhnliches. Lian hatte nur gehofft, dass er sich dafür einen sichereren Ort als einen Marktplatz aussuchen würde.


    Also machten sie sich wieder auf den Weg, zurück durch die sich langsam leerenden Gassen. Die Sonne stand schon tiefer und manchmal musste Lian ihre Augen mit der Hand gegen das Licht abschirmen, um nicht geblendet zu werden. Plötzlich spürte sie einen Widerstand und machte abrupt halt. Sie hob den Kopf und sah, dass sie eine junge Frau angerempelt hatte. „Verzeihung“, sagte die Prinzessin höflich und verbeugte sich vor der Fremden. Sie war überrascht, als diese es ihr gleich tat.


    „Oh nein, das war meine Schuld“, erwiderten sie synchron und beide fingen an, lauthals zu kichern. Lian schaute sich ihr Gegenüber genauer an. Diese trug ein cremefarbenes Kleid, das am Rand etwas schmutzig war und abgetragen wirkte. Besonders an den Ärmeln war der Stoff so dünn geworden, dass einzelne Fäden erkennbar waren.


    „Verkaufst du hier etwas?“, fragte Lian fröhlich, weil sie sich in den Sinn gesetzt hatte, dass sie heute in Spendierlaune war. Vielleicht hatte die andere ja so etwa Tolles und Wertvolles im Angebot, dass das Mädchen sich von dem Erlös ein neues Kleid kaufen konnte. Allein die Vorstellung davon, ihr zu helfen, machte Lian glücklich.


    Die Fremde schüttelte den Kopf. „Nein, deswegen bin ich nicht hier. Eigentlich lebe ich in einem Kloster, aber ich wurde hierher geschickt, um Medizin für meine Freunde zu kaufen. Leider konnten sie mich deshalb nicht begleiten und ich musste mich allein auf die Reise begeben. Mir wurden ein paar Münzen für eine Leibgarde gegeben, aber …“ Die junge Frau verstummte mit einem traurigen Lächeln.


    „Schrecklich, diese Leute, die nicht anständig für ihr Geld arbeiten“, bemerkte Anna, die gerade dabei gewesen war, ihre Nägel mit einem Dolch zu reinigen.


    Rike schüttelte verächtlich den Kopf. „Heutzutage muss man vorsichtig sein, dass man nicht an die falschen Leute gerät.“


    Kalia trat vor und sagte: „Wenn Ihr wollt, bieten wir unsere Dienste an. Wir kennenuns hier gut aus und finden bestimmt jemanden, der sich dazu bereiterklärt, Euch sicher in Euer Kloster zurückzubegleiten.“


    „Nein, hier liegt ein Missverständnis vor“, erklärte sie und hob abwehrend ihre Hände. „Das Ganze war nicht ihre Schuld. Ich bin nicht oft unter Menschen und an einer ganz engen Stelle bin ich ausgerutscht und habe Panik bekommen, dass ich zertrampelt werden würde. Ich bin blind durch die Gassen geflüchtet und ehe ich mich versehen habe, war ich allein hier … Ich bin für eure Hilfsbereitschaft sehr dankbar, aber ich bin mir sicher, dass ich es auch allein wieder zurückschaffe. Ich bin durchaus in der Lage, mich zu verteidigen.“


    Darios schüttelte den Kopf. „Das mag ja sein, aber wer für die Dienste einer Leibgarde bezahlt hat, dem steht es auch zu, diese in Anspruch zu nehmen. Wenn Ihr schon nicht unsere Hilfe in Anspruch nehmen möchtet, dann erlaubt uns wenigstens, Eure Söldnerin zu finden.“


    „Vielen Dank“, sagte das fremde Mädchen noch einmal und zusammen gingen sie durch die Straßen.


    Die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, stapfte Shion durch die Gassen. Er hatte ein klares Ziel vor Augen, doch wie mit seinem Wunsch, ein Ritter und somit zum Helden zu werden, wusste er nicht genau, wie er es erreichen konnte. Einem Außenstehenden mochte vielleicht das Wort ‚verloren‘ in den Sinn kommen, doch Shion würde darauf beharren, dass er wusste, wo er war. Nur nicht so genau.


    Die meiste Zeit hatte er sich darauf konzentriert, jedem auszuweichen, der ihm folgte, wobei es sich vor allem um die Eskorte gehandelt hatte. Hätte Darios ihn zu fassen bekommen, hätte er den Prinzen wohl den ganzen Weg zurück zum Palast unter seinem Arm getragen, und Shion wollte sich damit wirklich nicht zum Gespött machen. Also hatte er sich darauf konzentriert, so viel Abstand zwischen sich und die anderen zu bringen und gleichzeitig durch die engen Gassen zu laufen, um seinen Weg zu verschleiern.


    Dumm nur, dass er sich dabei nicht darauf konzentriert hatte, wo er hingelaufen war, bis er sich schließlich am falschen Ende des Marktes wiedergefunden hatte. Er wusste, dass der Stand mit Marth an dem Ende gelegen hatte, wo es zum Wald herausging, in dem er ein paar Mal mit Lian gespielt hatte. Das war nur selten der Fall gewesen, wenn ein paar der Ritter sich erbarmt hatten, sie zu begleiten. Deshalb hatte er noch nie allein den Weg finden müssen. Schlimmer noch, mit all den Ständen um sich herum, die die Sicht versperrten, war es schwierig, sich zu orientieren. Wenn er doch nur ein bisschen größer wäre…


    Wenn man vom Teufel sprach, dacht er sich, als er vor dem massigen Mann stand. „Nettes Schwert, das du da hast“, sagte dieser und deutete auf Shions Seite. Verstimmt, wie er war, hatte der Junge gar nicht bemerkt, dass sich sein Mantel geöffnet hatte und das Stück Metall zum Vorschein gekommen war. Es würde nicht viel bringen, das zu verkaufen, so alt und benutzt, wie es war – aber so, wie der Mann aussah, wäre ihm das wenige Geld es wert, dafür ein Kind zu verletzen.


    „Soll ich es dir mal zeigen?“, fragte Shion mit dem selbstbewusstesten Grinsen, das er aufbringen konnte, und ließ seine Hand blitzschnell zum Griff gleiten. Seine Hände schlossen sich um das mit Leder umwickelte Metallende—gerade als sich die Hand des Mannes darauf legte und die Kinderhand so verdrehte, dass Shion ein stechender Schmerz durchzuckte. Der Prinz schrie auf, taumelte rückwärst und fiel zu Boden. Er wimmerte, als er das Handgelenk zu bewegen versuchte, doch das kleinste Zucken brachte ihn dazu, sich zusammenzukauern.


    „Und jetzt sei ein braver Junge und rück das Schwert raus. Ich lasse auch deine andere Hand in Ruhe—wenn du schnell genug bist.“


    Shion riss die Augen auf, was dem Mann vor ihm ein Lächeln entlockte—allerdings hatte dieser nicht gesehen, was Shion erblickt hatte. Hinter dem Mann war eine Kriegerin aufgetaucht, die ihr Schwert ein kleines Stück herauszog. Shion schob es dem Schmerz zu, der seine Sinne benebelt hatte, doch für einen Moment war es, als würden Abbilder von ihr neben ihr stehen. Einen Moment später hatte sie die Distanz zwischen ihnen überbrückt, so schnell, dass er nur hätte blinzeln müssen, um es zu verpassen.


    Sie steckte das Schwert zurück. Shion lag das „Achtung!“ bereits auf der Zunge, als der Mann nach vorn stolperte–und bäuchlings zu Boden fiel. Blut floss aus seiner Wunde auf den Steinboden, doch er schien nicht ernsthaft genug verletzt zu sein für bedrohliche Schäden.


    „Es ist eine gängige Bestrafung, Dieben die Hand abzuschneiden“, sagte sie verächtlich zu ihm, doch anstatt dieses Urteil selbst zu fällen, streckte sie eine Hand zu Shion aus. „Lass uns gehen. Hier ist es nicht sicher.“


    Shion nickte und ließ sich von ihr hochziehen, behutsam darauf bedacht, seine verletzte Hand nicht mehr zu bewegen als unbedingt notwendig. „Vielen Dank für deine Rettung.“


    Die Frau lächelte, obwohl sie sagte: „Ich wünschte, das wäre gar nicht erst nötig gewesen. Mein Name ist übrigens Lyn.“


    „Ich bin Shion.“ Zu spät erinnerte er sich daran, dass er seinen wahren Namen lieber hätte geheim halten sollen.


    Lyn nickte ohne ein Zeichen von Wiedererkennung. „Hast du Familie hier, zu der ich dich bringen kann? Eigentlich habe ich gerade etwas zu tun, aber ich kann dich hier schlecht allein lassen.“


    „Nun, die Sache ist die…“, sprach Shion und erklärte ihr, wie er der Sohn einer Händlerin war und gerade eine Besorgung machte.


    „Und dazu noch geschult im Schwertkampf, wie ich sehe“, bemerkte Lyn und schaute auf seine Waffe. Shion konnte spüren, wie seine Ohren rot anliefen und war froh, dass er seinen letzten Haarschnitt so lange aufgeschoben hatte.


    „Mein Vater ist Schmied“, log er, gestand dann aber ehrlich: „Aber ich habe noch viel zu lernen.“


    Lyn nickte zufrieden. Sie trat auf den Jungen zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Die Einsicht, dass man noch einen langen Weg zu gehen hat, ist der erste Schritt. Wer seine eigenen Schwächen nicht kennt, wird es niemals weiter bringen. Komm jetzt, wir sollten das erledigt haben, bevor es richtig dunkel wird, ich habe auch noch etwas zu tun. Außerdem sollte sich jemand so schnell wie möglich dein Handgelenk ansehen, damit du keine bleibenden Schäden davonträgst.“


    Shion nickte. Das schlimmste an dieser Verletzung war nicht der Schmerz, sondern dass er wusste, dass so eine einfache Verletzung das Aus bedeuten konnte, bevor sein Dasein als Ritter überhaupt richtig begonnen hatte. Am Morgen hatte er sich noch so auf dieses Abenteuer gefreut und jetzt war alles, woran er denken konnte, wie er zurück im Palast war mit einem Heiler an der Seite. Er dachte zurück an die beiden Heilerinnen in den verfeindeten Verkaufsständen von zuvor, doch er wusste nicht, ob sie immer noch da waren—oder ob er den Weg zurück zu ihnen finden würde.


    Shion hörte ein lautes Räuspern von oben und schaute neugierig hoch. Auf einem der Dächer stand Luno, die Arme verstimmt vor der Brust verschränkt. „Zu schade, dass ich nicht in der Position bin, um zu sagen, dass dies mit unartigen Kindern passiert, die auf eigene Faust losziehen“, rief er, während er geschickt heruntersteig.


    Shion schaute währenddessen peinlich berührt zu Boden.


    „Ich schlage vor, dass es in unser aller Interesse wäre, den Mantel des Schweigens über diesen Vorfall zu legen und uns zurück zur Gruppe zu begeben.“


    Der Prinz nickte geschlagen. Flankiert von den beiden Kämpfern ließ er sich zurück durch den Markt führen.


    „Ich weiß gar nicht, wie ich euch genug danken kann“, sagte die junge Frau, die sich als Celica vorgestellt hatte, und verbeugte sich zum nunmehr dritten Mal. „Ohne euch wäre ich wohl immer noch verloren zwischen den Gängen herumgeirrt.“


    „Ach, da wärst du nicht die Einzige gewesen“, bemerkte Rike und die Gruppe lachte auf, bis auf Shion, der sich verlegen den Hinterkopf rieb.


    Jetzt, wo die Aufregung abgeklungen war, konnten die Anwesenden langsam darüber lachen, was passiert war. Zum Glück waren sie mit Celica einem Mädchen begegnet, das sich seit Kurzem in der Heilmagie übte, und sie war bereits so geschickt, dass Shions Arm wieder so gut wie neu war. „Zum Glück war er nur verstaucht. Es wird noch einige Zeit dauern, bis ich so weit bin, diese Kräfte bei größeren Wunden auf dem Schlachtfeld einzusetzen.“


    „Unsinn, Ihr werdet schon bald den Dreh raushaben“, sagte Rike, die zu aller Ironie die einzige Elementarmagierin weit und breit war, die sich ausschließlich auf die Offensive konzentrierte. Dass ihr das natürliche Potential fehlte, das allen Elementar- und Lichtmagiern ermöglichte, irgendwann ihre Heilerfähigkeiten zu erwecken, hielt sich als hartnäckiges Gerücht—obwohl die meisten Redner sofort verstummten, wenn der erste Feuerball in ihre Richtung flog.


    „Ihr wärt sicher ein Gewinn für jede Arme. Alle beide“, fügte Darios hinzu. Celica lächelte mit roten Wangen, während Lyn nur ehrfürchtig wegen des Komplimentes den Kopf neigte. „Und ihr seid euch beide sicher, dass die Königliche Armee nichts für euch ist?“, fragte Darios noch einmal, doch beide Damen schüttelten den Kopf.


    „Ich fürchte, wir haben unsere eigenen Kriege zu kämpfen. Frieden ist ein viel zu vergänglicher Zustand“, sagte Lyn und Shion brauchte nur in ihr Gesicht zu sehen, um zu erkennen, dass sie wusste, wovon sie sprach.


    „Zu schade, die Armee könnte wirklich etwas mehr Weiblichkeit vertragen“, merkte Kalie an, woraufhin Rike durch zusammengepresste Zähne fragte: „Und was genau soll das heißen?“


    „Aber solltet ihr jemals Unterstützung brauchen, dann zögert nicht, nach mir zu fragen. Ich helfe euch gern. Und wo wir gerade dabei sind.“ Celica durchsuchte ihre Taschen und förderte zwei rechteckige Säckchen zu Tage. Kaum hielten die Zwillinge sie in ihren Händen, konnten sie den wohltuenden Duft nach Kiefernwald und Meer riechen. „Das sind Schutzzauber. Ich hoffe, sie werden euch Glück bringen.“


    „Danke“, sagten sie beide.


    „Das wäre doch nicht nötig gewesen“, sprach Lian und nun fiel es ihr noch schwerer, sich von der Fremden zu verabschieden. „Ich muss mich doch irgendwie revangieren …“


    Celica hob abwehrend die Hände. „Das ist nicht nötig. Ihr habt so viel für mich getan, das ist das Mindeste, was ich tun kann.“


    Lian schüttelte entschieden den Kopf. „Dann nehmt wenigstens das hier“, sagte sie, streifte sich das Blumenarmband ab und machte es Celica um. „Ich hoffe sehr, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden. Wir uns auch, Lyn.“


    Die beiden Frauen nickten, bevor sie sich endgültig mit ihren Pferden, die sie hier am Rande der Stadt festgebunden hatten, auf den Rückweg machten.


    Shion und Lian rannten ihnen bis zum Stadttor nach und winkten, bis die beiden nicht mehr zu sehen waren.


    Das ganze Schloss schlief bereits, als Shion sich nachts in das Zimmer seiner Schwester schlich. Die beiden hatten es gleich nach dem Abendessen, wo sie ihren Eltern von den Erlebnissen des Tages erzählt hatten, beschlossen. Wie Lian vorausgesagt hatte, waren beide viel zu aufgewühlt, um zu schlafen, und so war das Treffen eine schnelle Entscheidung gewesen—nur noch mehr befeuert durch die Tatsache, dass Lian Lottie dazu überredet hatte, ihr ein paar Kekse aus der Küche vorbeizubringen. „Soll ich auch ein paar Brombeerkekse für Shion einpacken?“, hatte sie mit einem wissenden Lächeln gefragt. Lian war rot bis über beide Ohren geworden, dass sie so leicht zu durchschauen war, also hatte sie nur stumm genickt.


    Da saßen sie nun also auf Lians Bett, aßen die Kekse und schauten sich im Kerzenschein die alten Bücher über Heldensagen an, die ihr Bruder schon auswendig kannte. Seit dem heutigen Tag hatten sie aber auch in Lian eine begeisterte Leserin gefunden. Sie mochte sich zwar nicht als Anführerin an der Spitze sehen, dafür aber als tapfere Kämpferin Seite an Seite mit anderen. Wie sehr wünschte sie sich, eines Tages solche Kameraden zu haben, wie die beiden sie heute kennengelernt hatten. Was für ein berauschendes Gefühl es sein musste, mit ihnen in die Schlacht zu ziehen und die wichtigen Kämpfe zu bestreiten, die man allein nicht schaffte.


    „Eines Tages werden wir das sein“, sagte Shion mit einem Ton, der keinen Zweifel zuließ, und zeigte auf eine Abbildung. Sie beinhaltete nicht nur den Lord, der danach König geworden war, sondern auch alle, die bereitwillig ihr Leben für seine Sache gegeben hätten, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.


    It's not the critic who counts, not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could've done them better. The credit belongs to the one who's actually in the arena - Theodore Roosevelt


    "Most people don't try to become adults, they just reach a point where they can't stay children any longer." - Miss Kobayashi


    "What more do I need than my worthless pride?" - Haikyuu!!

    Einmal editiert, zuletzt von Raichu-chan ()

  • Hallo Raichu-chan! (:


    Eine Geschichte mit Fire Emblem Charakteren klingt sehr spannend, auch wenn mein Wissen um die Reihe etwas beschränkt ist. Nachdem du aber meintest, das keine besonderen Kenntnisse notwendig sind, dacht ich mir, ich les mich mal ein und hinterlass ein wenig Feedback.


    1. Kapitel
    Ich mag die Atmosphäre, die du schon zu Beginn hier erzeugt hast. Den ersten Abschnitt konnte ich erst nicht richtig einordnen, weil mir der Wechsel von „heute“ auf „früher“ bissl zu subtil war. Da musste ich dann kurz noch mal zurück und nachlesen, um festzustellen, dass du im Folgenden von der Vergangenheit sprichst und deshalb wohl deine Charaktere auch noch so jung sind. Was mir aber gefällt, weil da gerade bei Shion eine Menge kindlicher Energie drinsteckt, die das ganze Kapitel sehr belebt. Allgemein fand ich’s faszinierend, wie du gerade später all die Charaktere einleitest und man doch ein recht gutes Bild von ihnen bekommt. Hat mir sehr gefallen.
    Fand’s auch interessant, dass du dir die Charaktere abseits von den Zwillingen ausgedacht hast, ich hatte die für canon gehalten, bis ich das Trivia gelesen hab. ;)
    Was mir an diesem Kapitel auch gefällt, ist, dass es sehr auf die Handlung ausgelegt ist. Dadurch wirkt es auch nicht langatmig, obwohl ich ein Freund von Beschreibungen bin. Das was du beschrieben hast, war genau richtig, um den Plot in Gang zu bringen. Auch wenn ich natürlich sagen könnte, dass eine kleine Beschreibung des Schlosses vielleicht nicht verkehrt gewesen wäre. Aber nachdem das hier als Kurzgeschichte angedacht ist — und ja, Kurzgeschichten können auch 10k oder etwas mehr haben — find ich es nicht so schlimm, wenn die Handlung im Vordergrund steht. Ist ja doch ein Merkmal der Gattung. (:
    Und jetzt bin ich schon gespannt, was sie auf dem Markt so sehen werden!


    2. Kapitel
    Hey, hier kommen sogar Charakter vor, die ich kenne! :D
    Awakening war das bis dato letzte Spiel, das ich gespielt hab, wenn auch nicht so intensiv wie Sacred Stones oder den Teil mit Lyn, Eliwood und Hector — dessen englischer Titel wir ständig entfällt. Ich finde, du hast die Charaktere sehr gut dargestellt, gerade Frederick und Robin waren herrlich! Auch hier war die ganze Atmosphäre wieder sehr gelungen, Anna mischt die ganze Sache sehr auf. Dass sie es wirklich geschafft hat, die Zwillinge von der Eskorte zu trennen, hat mich dann doch überrascht, war dann aber ebenso erleichtert wie Lian, dass Luno in der Nähe war. Komisch irgendwie, hätte nicht gedacht, dass diese simple Szene mich kurz um die Zwillinge hat bangen lassen.
    Die Idee mit den Pegasusfedern für die Pfeile find ich super! Leider ist mir Cordelia so gar nicht in Erinnerung geblieben, dafür hab ich Lucina gleich erkannt, als du von der Maske gesprochen hast. Weiß auch nicht, warum ich sie sofort im Kopf hatte.
    Robins Einführung in Wirtschaft — sehr lose, aber trotzdem — war amüsant zu lesen und es passt auch irgendwie zu ihm, dass er da so „verrückt“ ist. Hat mir gefallen, jetzt bin ich wirklich gespannt, was im nächsten Kapitel passiert!


    3. Kapitel
    Mit diesem Kapitel konnte ich handlungstechnisch am wenigsten anfangen, weil ich die Spiele um Hoshido und Nohr immer noch nicht gespielt hab. Weiß noch nicht, wann ich dazu komm. Jedenfalls hab ich die Charaktere trotzdem durch deine prägnanten Beschreibungen erkannt, wenn auch nicht namentlich. Hab halt doch inzwischen genug Bilder gesehen, um zu wissen, wie die Charas aussehen sollen. ;)
    Dass du kurz das Debakel um Corrin und ihre Herkunft hier erläuterst, find ich echt spannend. Hatte nicht erwartet hier tatsächlich eine Art Schlüsselszene im Leben eines Charakters zu lesen, weil das Kapitel davor ja doch eher eine Nebensache war. Nichts, was sich scheinbar direkt auf den Plot der Games auswirkt. Hier war das anders — jedenfalls kommt es so rüber, dass sich damit der Plot des Spieles ändern könnte. Auch wenn, wie ich im Trivia gelesen hab, das im Game an sich nicht möglich scheint, so find ich den Gedankengang wirklich spannend. Auch nett war, dass die Zwillinge sich hier so für Corrin eingesetzt haben und ihr Problem lösen wollten. Das macht die zwei wirklich sehr sympathisch! Auch, dass sie über die Problematik so unterschiedlich denken, hätte ich nicht gedacht.
    Amüsant war, dass du zwar schreibst, dass sie Corrin und Azura Glück wünschen, aber die zwei dann etwas völlig anderes sagen. xD Auch überrascht hat mich aber, dass die beiden verfeindeten Familien dann nicht sofort ihre Stände aufgeben, sondern sich nun doch ein Händlerbattle liefern — aber zumindest in einer erträglicheren Lautstärke. Mal sehen, was mich in dem letzten Kapitel erwartet!


    4. Kapitel
    Oh, hier kommt Lyn vor! Ich hatte ja wirklich gehofft noch ein wirklich bekanntes Gesicht in dieser Geschichte zu finden und war wirklich froh Lyn zu erkennen. :D Aber der Reihe nach …
    Marths Theaterspiel mit Tiki war eigentlich eine gute Idee, aber eigentlich hätte er wissen müssen, dass ein Drache mitten in der Stadt nicht die beste Idee ist. Es wundert mich auch gar nicht, dass Shion da sofort dabei war die „Bestie“ zu bekämpfen. Du hast ihn als Charakter von Anfang an so dargestellt, dass das genau sein Ding wäre. Auch, dass er abhaut, weil er nicht mit Marth sprechen konnte hat zu ihm gepasst.
    Dann fand ich es aber etwas verwirrend. Zum einen war der Mann, der plötzlich auftauchte direkt nach der Beschreibung von Darios ein wenig komisch. Hatte fast gedacht, es wäre Darios, aber das hätte ja keinen Sinn gemacht. Und dann war Lyn seltsam abwesend, als Luno aufgetaucht ist. Hatte von ihr da noch eine Reaktion erwartet, irgendwie.
    Die Sache mit Celica konnte ich dagegen besser verfolgen, hätte sie aber nie erkannt. Hab aber von diesem Game am wenigsten bisher gesehen, vom eigenen Spielen ganz abgesehen. Deshalb war ich da wirklich überrascht, dass es am Ende Celica war. Lyn hast du ganz gut dargestellt, auch wenn sie nicht viel gesagt hat. Bei Celica kann ich das nicht einschätzen, aber ich fand sie sehr sympathisch.
    Die Zwillinge haben an diesem Tag wirklich viel erlebt, da wundert es nicht, dass sie nachts noch zusammensitzen. Und das Ende hat hier allgemein ganz gut gepasst, um diesen Ausflug und die Erlebnisse abzuschließen. (:


    Alles in allem hat mir diese Geschichte sehr gefallen. Ich mochte, wie du die Charaktere eingebunden hast und dass die Sache allgemein sehr handlungsfokussiert ist, fand ich auch gut. An der ein oder anderen Stelle wären ein paar mehr Beschreibungen ganz gut gewesen, um etwas mehr die Umgebung darzustellen, aber die Beschreibungen, die du verwendet hast, haben immer sehr prägnant die Dinge dargestellt.
    Ich hatte viel Spaß mit der Geschichte, danke für’s Teilen!

  • Thrawn

    Hat das Label Sammlung hinzugefügt.