Am Freitag in der letzten Philo-Stunde vor den Herbstferien stellte uns mein Lehrer, der meiner Meinung nach ein klasse Denker ist, eine Frage:
"Der Mensch hat eine Moral - was ist eure Moral?"
Und dazu malte er uns an der Tafel eine Aufgabe, die ich persönlich genial finde und sie euch ebenfalls stellen möchte.
Es handelt von einer Geschichte. Die fünf Protagonisten: Klaus, Denise, Bodo, Peter und Petra. Klaus und Denise sind zusammen und Peter und Petra sind zusammen. Beide Paare sind auch untereinander befreundet. Allerdings trennt ein strömender Fluss die beiden Paare, der nicht zu überqueren ist. NUR EINER, und das ist der entstellte und unsympatische Bodo, kann eine Person mittels seines Bootes auf die andere Seite transportieren. Hierbei ist aber zu beachten, dass Bodo nur eine Richtung fährt, sprich er transportiert nur von A nach B, nicht von B nach A. Und in diesem Falle segelt er nur von der Seite, wo Klaus und Denise leben. Auf dieser Seite sind die Menschen eher arm, es gibt wenig Arbeitsplätze. Auf der anderen Seite hingegen, dort wo Peter und Petra leben, sind die Bedingungen anders und es herrschen eher reiche Verhältnisse. Nichtsdestotrotz lieben sich die beiden Paare sehr.
Zur Veranschaulichung:
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Nun zum Problem:
Klaus beschließt, auf die andere Seite zu segeln und dort Arbeit zu finden, um seiner Frau und sich selbst ein besseres Leben zu errichten. Er verabschiedet sich von ihr und verspricht ihr, dass sie ihm recht bald folgen könne. Er geht also zu Bodo, nimmt Kurs auf die andere Seite und kommt an. Schon bald findet er eine Arbeit, verdient gut, lässt ein Haus bauen und übermittelt Denise die freudige Nachricht am Telefon, dass sie kommen könne. Denise macht sich am nächsten Tag auf den Weg zu Bodo, der allerdings eine Gegenleistung von ihr verlangt, nämlich Geschlechtsverkehr. Da Bodo sie sonst nicht mitnehmen würde und es überhaupt gar keinen Weg gibt, um auf die andere Seite zu kommen, nimmt sie die Höllenqual auf sich und schläft mit Bodo, nur, um später in die Arme ihres geliebten Mannes laufen zu können. Nachdem Bodo mit ihr fertig war, segelt er wie versprochen auf die andere Seite, wo Klaus schon auf Denise wartet. Beide lieben sich, freuen sich und ziehen in ihre neue Wohnung. Alles schön und gut, doch Denise muss ihm die Wahrheit sagen und erzählt, was sie tun musste, um zu ihm zu kommen. Klaus ist außer sich vor Wut, beschimpft sie, schreit sie an und schmeißt sie raus. Denise ist zutiefst verletzt, heult und rennt zu ihrer Freundin Petra. Petra kann Klaus überhaupt nicht verstehen, stempelt sein Verhalten als unakzeptabel ab und besucht ihn. Nachdem sie sich mit ihm gestritten hatte, beleidigt sie ihn und verpasst ihm eine Ohrfeige.
Noch am selben Abend erwähnt Petra vor ihrem Mann Peter das Geschehen und streitet sich mit ihm, ärgert sich über Klaus Ignoranz und verteidigt ihre Freundin. Daraufhin erwidert Peter nur:
"Hey, halt dich da fern. Das sind nicht unsere Angelegenheiten."
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So, jetzt kommt ihr ins Spiel: Jeder der fünf Protagonisten bekommt jetzt eine Schulnote für sein Verhalten und begründet, warum er ihm oder ihr ausgerechnet diese Note verpasst hat. Vergesst nicht, es geht um Moral.
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Dies ist meine Bewertung:
Ich fange mal mit Bodo an, weil es wohl offensichtlich ist, was er bekommt. Bodo ist dieses typische Stück Scheiße, ein Abschaum, eine widerwärtige Kreatur, sowohl äußerlich als auch innerlich. Mehr kann man und muss man nicht sagen. Zu Klaus, nun denn, Klaus begehrt nach Wohlstand für sich und seine Frau. Er segelt auf die andere Seite, bemüht sich, arbeitet, ackert, schuftet und mit Erfolg erfüllt er seine Ziele. Er ruft seine Frau an, sie solle kommen, aber soll sie als Bedingung dafür mit einem fremden Mann geschlafen haben? Egal, wie hässlich Bodo ist, das ist keine Entschuldigung. Tatsache ist, Klaus ist ein Mensch, und wann immer er Denise küsst oder mit ihr schläft, Bodo kann er nie vergessen und genauso wenig wird er ihr jemals dafür verzeihen können. Klaus ist verletzt und deprimiert, er ist am Ende und seine Gefühle sind tot. Was soll er sonst machen, außer wütend auf den Menschen zu sein, den er am meisten liebt und die ihn am meisten verletzt hat? Eine Eins bis Zwei.
Petra ist die 'gute Freundin'. Sie steht hinter Denise, selbst wenn sie ein Mord begangen hätte. Sie fokussiert sich mehr auf Denises Gefühle als auf die Neutralität oder wenigstens beide miteinbezogen. Dies ist nicht der Fall, deswegen bekommt Denise eine Vier.
Peter ist kein Freund, er besitzt das typische 0815-Mich-juckt-nichts-auf-dieser-Welt-geht-mir-alles-am-Arsch-vorbei-Syndrom und ihn kümmert es nicht, ob sein bester Freund zur schwersten Stunde seines Lebens Beistand braucht oder das seine eigene Frau ihn in seiner Lage noch mehr deprimiert hat. Ich würde Peter dafür eine Fünf oder Sechs geben, doch damit stelle ich ihn gleich mit Denise, auf die ich jetzt kommen werde, und gebe ihm noch eine Vier.
Denn Denise ist das Hauptproblem der ganzen Sache: Zunächst einmal, hatte sie eine andere Wahl? Ja, sie hatte eine andere Wahl und für diese hätte sie sich entscheiden sollen. Denn letztlich ging die Situation folgendermaßen aus: Klaus ist verletzt, das Verhältnis zwischen Peter und Petra eskaliert und Bodo kriegt natürlich das, was er möchte. Ist sich der Mensch nicht selbst wichtig genug, um sich zu verbrauchen? Meiner Meinung nach verlangt Denise, aber sie liebt nicht. Und ihr Verlangen führt zum Gegenteil aller beabsichtigten Dinge: Aus Fleiß und Schweiß, die Klaus für seine Frau erbracht hat, wird Demut. Sie wollte ihn glücklichen machen? Sie hat ihn gerade seelisch getötet. Denn würde sie Klaus wirklich lieben, würde sie zu Bodo sagen:
"Bodo, bring mich nur einmal dorthin und lass mich zu Klaus sagen, dass ich ihn liebe und immer lieben werde, und dass ich jeden Tag auf ihn warten werde. Dass er vielleicht sich eines Tages neubinden wird, weil er sich neubinden muss. Dass die Dinge hätten schön werden können, es aber nicht mehr werden können. Und wenn du mich nicht dorthin segeln lässt, dann ist es auch okay. Ich werde hier auf ihn warten."
Denn eher verletzt sie sich selbst als ihn zu verletzen. Eher bleibt sie dort wo sie ist als sich physisch und psyschisch missbrauchen zu lassen. Eher liebt sie, als zu verlangen. Das wäre meiner Meinung nach eine richtige Handlung gewesen, aber ihr Verhalten war für mich eine Fünf bis Sechs. Fünf, weil sie es doch vielleicht irgendwie irgendwo getan hat, um ihrem Mann zu beweisen, wie sehr sie ihn liebt. Sechs aber, weil es spätestens dann nicht mehr viel mit Liebe zutun hat.