Watch me die

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

Zu der Infoseite von „Die Mo-Mo-Manie“
  • Kapitel 6: One wish to grant



    || The drug, the drug is what understands me

    Silence stole the voices in my head ||


    ~ Egypt Central - The drug




    Die Uhr wollte nicht aufhören zu schlagen. Stündlich verkündete sie ihr klingendes, singendes Signal, informierte die im näheren Umfeld befindlichen Personen, wie viel Zeit, nein, dass seit ihrer letzten Stimmerhebung eine ganze Stunde vergangen war; dass der Weg von Minuten und Sekunden unaufhörlich voranschritt, ja, einem quasi davon lief, in grazilen Sprüngen in die Endlosigkeit entfloh. Ihr Vergehen berücksichtigte weder Naturkatastrophen, noch gerade zersplitternde Beziehungen, verpasste Termine oder den Wunsch, mehr von ihrer Kostbarkeit zu besitzen.
    Außer ihm selbst, so schätzte Benjamin, begehrte das wohl so ziemlich jeder Mensch auf Erden, mehr Zeit, eine höhere Anzahl vergönnter Jahre, in denen man entsprechend immensere Projekte auf die Beine stellte oder sie schlichtweg in etwaiger Art und Weise genoss, tat, was einem spontan einfiel, sich keine Gedanken über das berühmt berüchtigte Morgen machte, die Ernüchterung eines jeden Vergnügens, bei der für manche Personen, vorwiegend Teenager, ein Kater als erster Punkt an der Tagesordnung stand und die folgenden Stunden mit seiner Anwesenheit beglückte. Für Benjamin hatte es etliche ‚Morgen‘ gegeben, zwar nicht dieser entzugslastigen, nachhaltigen Sorte, dennoch zu viele, an denen er nach einer zermürbend unruhigen Nacht aufgewacht war, und im gleichen Zuge ebenfalls der beständige Hass auf seine Wenigkeit. Sobald der Flammenstern sich über dem Horizont erhob, loderte synchron dazu eine Stichflamme der Abscheu in seinem Bewusstsein auf, deren Zungen begierig ihre Freunde Depressivität und Verzweiflung herbeirief, um den inzwischen fast Erwachsenen ihre volle Macht spüren zu lassen, Tag für Tag. Prinzipiell schlaftrunken begab er sich im Alltagstrott dann zum familiären Frühstückstisch, bloß, um erfolgreich in falsches Lächeln aufzusetzen und die Leute, die er liebte, in nahezu trügerische Sicherheit zu wiegen. Sie durften sich keinesfalls sorgen, er wollte unter allen Umständen ein Gefühlschaos der negativen Gattung aufgrund seiner Probleme verhindern, wollte niemandem zur Last fallen, geschweige denn in Gefahr bringen, weil ihm die Kontrolle seiner Falschheit nicht oblag. Wenn er seinen Eltern eine heile Welt präsentierte, wenn er ihnen zeigte, dass ihm nicht das Geringste an Liebe oder Zufriedenheit, an Glückseligkeit, an Lebensfreude fehlte, ließen sie ihn mit großer Wahrscheinlichkeit in Ruhe und er müsste sich nicht ständig vor ihnen rechtfertigen.
    Nach wie vor tickte die Wohnzimmeruhr in ihrer Monotonie, gedachte keineswegs, das im Folgenden zu unterbinden. Doch selbst, wenn sie es getan hätte, Benjamin fände in dieser Nacht ohnehin keinen Schlaf.
    Nachdenklich und gleichermaßen deprimiert betrachtete er die von den einfallenden Stadtlichtern angestrahlte Decke, studierte ihr chaotisches, weiß schimmerndes Muster und wünschte sich, er wäre imstande, einen Tausch mit ihr zu vereinbaren, der ihm nur fair erschien. Die den Raum oberhalb begrenzende Mauer sollte einmal in ihrem Dasein eine wahrhaft schwere Last ertragen. Unabhängig vom auf ihr gebetteten Fußboden des nächsten Apartments, der sie in ihrer Funktion ja von zusätzlichen Gewichten befreite. Ein einziges verdammtes Mal sollte sie drohen in ihrer ach so stabilen Konstruktion zu reißen, zu brechen, unter der Bürde, die man ihr auflud, entkräftet einstürzen. Vielleicht hörte sie, falls sie in den Genuss jener Erfahrung gelangte, dann auf, den Braunhaarigen zu verspotten, indem sie ihm mit ihren zahllosen Furchen eben das Durcheinander aufzeigte, das in seinem momentanen Leben griff; die Unordnung, sämtliche Neuheiten, die er urplötzlich gezwungen war zu verarbeiten und natürlich dürfte er damit nicht hadern. Andernfalls, sollte ein Anflug fiesen Pessimismus‘ sich in seinem Denken einnisten, verursachte er wohl bloß noch mehr Unheil im Umfeld der Personen, denen er grenzenlosen Dank und Respekt zollte. Dafür, dass sie ihn nicht zur Strafe für das Verhängnis, welches er brachte, krankenhausreif geprügelt oder ihm auf sonstige Weise Schmerz zugefügt hatten. Keine Frage, unaufhörliche Agonien bedeuteten für ihn nichts Ungewöhnliches oder in der Hinsicht Verwerfliches, weilte er seit Anbeginn seiner Erinnerung von psychischen Qualen gepeinigt auf diesem Planeten, dennoch lag es fernab seines Interesses, weitere Massen davon zu erleiden. Es sei denn, es handelte sich dabei um eine Variante der Bestrafung für Missetaten, die er an sich selbst vollziehen konnte.
    In dem Fall hieß er die Verletzungen herzlichst willkommen, freute sich gar, dass sie ihn erneut besuchten, in der Gewissheit, sie lösten den Druck in ihm, ermöglichten im wieder Luft zum Atmen. Die alleinige Perspektive in seinem Sinne, ein innerliches Ersticken zu vermeiden. Ersticken am toxischen Smog seiner Sorgen und Ängste, seiner Depressionen, dem Fluch seiner Vergangenheit, der Benjamin wahrscheinlich bis in den ersehnten Tod verfolgte. Sofern man ihm den irgendwann gestattete, irgendwann in ferner Zukunft, vielleicht…
    Und im Krankenhaus, Gott, sein Schicksal wäre endgültig besiegelt, müsste er je in eine solche Institution und sich dort längere Zeit aufhalten. Garantiert würden sie seine Kräfte entdecken, anschließend Fragen stellen, viele Fragen, bekämen seine Identität heraus, würden erst an ihm herum experimentieren und danach seine Eltern informieren. Oder sie ließen diese komplett aus dem Spiel und lieferten ihn unmittelbar an die Regierung aus, welche ihn als eine Gefahr höchsten Ranges einstufte und ihn auf ewig in einem geheimen Verlies einsperrte, damit er ihr perfekt gestricktes System aus Wohlstand und Observation nicht gefährdete. Andererseits konnte er statt einer Bedrohung ebenso mit Hilfe seiner Kräfte eine nützliche Waffe verkörpern, weshalb sie ihn seines Verstandes beraubten und mit ihm eine neue Kampfmaschine kreierten, bereit, Unschuldige zum Wohle des Landes zu meucheln. Zum Schutze der allgemeinen Sicherheit, so würden sie es vermutlich für die Presse formulieren, zur Abwehr potenzieller Gefahren, vermeintlicher Feinde, um den Frieden zu wahren. Seite an Seite mit Armeeflugzeugen und Panzern schwärmte er aus, beseitigte alle seinen Weg behindernden Faktoren, ob Mensch, Pokemon, Gebäude…
    Schrecklich. Schlimmer als sein Leben an sich, dachte Benjamin während seiner fantasiegeschwängerten Vorstellungen. In seiner jetzigen Existenz vermochte er immerhin, Gefühle zu empfinden, seine Umwelt bewusst wahrzunehmen, Entscheidungen zu treffen, für sich selbst zu sprechen. Ohne das… würde er nicht in der Lage sein, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Und diese Erkenntnis stach erbarmungslos einen Dolch in seine sensible Seele. Er wüsste nicht einmal, wenn seine Eltern da vor ihm stünden, ehe er sie im nächsten Moment brutal abschlachtete, seine geliebten Eltern, die er zu ihrem eigenen Wohl verlassen hatte, damit sie durch seine Unberechenbarkeit keinen Schaden erlitten. Oder er vergäße, was Shohei für ihn zu opfern bereit gewesen war…
    Ihm hatte er schon so Unmengen an Pech bereitet, Benjamin schämte sich so sehr dafür, ihm überhaupt begegnet zu sein. Automatisch, als wollte er seinen zitternden Leib von der Umgebung, die vor ihm bangte, abschirmen, zog er die rote Fleecedecke näher an seinen Kopf heran, und drehte sich möglichst leise auf seine linke Seite. Vor seinen leeren Seelenspiegeln nun das schwach scheinende Grau der Sofarückenlehne, das linke Ohr in der Weichheit und Nachgiebigkeit eines Kissens begraben, welches seine Liegeposition um einige Zentimeter aufstockte. Benjamin fragte sich, wieso er Hitze so anders als der Rest der Bevölkerung empfand, schwitzte er doch kein Bisschen unter dem dichten Stoff, fast gänzlich darunter verborgen, und das im Sommer. Trug seine außergewöhnliche Macht die Verantwortung für die Mutation seiner Sinne? Noch eine Sache, welche eine Differenz zu normalen Menschen schuf. Er hasste es, nicht die Fähigkeit zu besitzen, Vergangenes, nein, besser seine Geburt ungeschehen zu machen, um all die Schlechtigkeiten der Leute um ihn von vorn herein auszuschließen. Schließlich stellte sein bisheriges Leben ja ein einziges heilloses Debakel dar.
    Er musste mit Shohei reden, sprangen seine Überlegungen ungeachtet anderem zu dem Thema, das ihn aktuell am meisten beschäftigte. Irgendwie musste er mit ihm kommunizieren, glaubte Benjamin zumindest, um sein schlechtes Gewissen wenigstens in gemildertem Maße zu besänftigen. Doch dieser hasste ihn, hasste die Tatsache, dass er für den Urheber seiner Probleme den Gnädigen spielte, ihm Obdach gewährte, Nahrung, ihm Kleidung lieh, hasste Benjamins Präsenz allgemein, da erwog der dieser keinerlei Zweifel, zumal Shoheis Verhalten Bände sprach.
    Lediglich kurz angebundene Antworten, falls er dies bei ihm für notwendig befand, ansonsten fast kontinuierliches Schweigen, es ähnelte sturer Ignoranz, sowie Abscheu. Zu offensichtlich, als dass es etwaige Rückschlüsse bezüglich seiner Eindrücke vom Jüngeren gestattete.
    Shohei erlaubte Benjamin, bei ihm zu wohnen – Mitleid begünstigte diese Geste seinerseits - , ja, allerdings verstieß das insgeheim wohl vollkommen gegen die Prinzipien eines jeden Individuums, ein solches Privileg einzuräumen, demjenigen gewidmet, der mit dem Scheitern seiner Beziehung verschuldet war..
    Rasch schlug er seine Bettdecke zur Seite, und kurz darauf spürten seine bloßen Füße die wohltuende Kühle des Parketts.




    ***



    Sollte er es wirklich wagen, ihn mitten in der Nacht zu stören?
    Nach wie vor erklang leise das regelmäßige Ticken der Wohnzimmeruhr in Benjamins Ohren, jedes davon ein erbarmungsloser Peitschenhieb auf seine zum Zerreißen angespannten Nerven. Seinem Puls wohnte eine immense Intensität bei, sein Herzmuskel arbeitet auf Hochdruck, damit es Muskeln, sowie Nervenzellen mit ausreichend Blut versorgte. Er versuchte krampfhaft, seine Atmung ruhig zu halten, und auf irgendeine Art und Weise den Kloß aus seiner Kehle zu entfernen, der seine Stimme abwürgte. Was dachte er sich eigentlich dabei, einen hart schuftenden jungen Mann zu tiefster Nachtstunde mit einem solch nebensächlichen persönlichen Anliegen zu belästigen? Ihn aufgrund einer derartigen Lappalie aus seiner verdienten Ruhe zu reißen, in der er vielleicht gerade die schönste Zeit seines bisherigen Lebens an der Seite von Geneviève verbrachte? Könnte er das Shohei nicht auch genauso gut morgen sagen, wenn dieser wach wäre?
    Nein, protestierten seine Schuldgefühle unverzüglich, es gab kein Zurück. Da er schon direkt vor der Zimmertür, merkwürdigerweise nur angelehnt statt fest verschlossen, stand, und seine Hand erhoben hatte, auf dass sie das Holz begrüßte und Einlass forderte. Ein schmaler Lichtstreif stahl sich verhohlen in die düstere Weite des Flurs, beschien die Bilderrahmen auf der direkt neben der Pforte befindlichen Kommode, die Momentaufnahmen, die Tore zu längst gestorbenen Zeiten, ehe er sich in den Tiefen der Finsternis verlor, separate Strahlen vergeblich ihre Stärke innerhalb der übermächtigen Truppen suchten. Fortwährend lächelten die unbeweglichen Gesichter in die eisige Finsternis hinein, lachten sogar über höchst dramatische Ereignisse, deren schweigsames Publikum sie symbolisierten, kümmerten sich keinen Deut um Verzweiflung, Wut oder Trauer. Die darauf abgebildeten Personen lebten ganz in ihrer eigenen Welt, in einer, die des Krisenbewusstseins und der emotionalen Zugrunderichtung überdrüssig geworden war. Benjamin beschloss kurzerhand, ein Seitenblick hatte genügt, sie später genauer zu bestaunen, interessierte es ihn schon in gewissem Maße, wen man darauf erkannte und ob es sich dabei unter Umständen um nähere Verwandte von Shohei handelte. Sofern dies ebenfalls zutraf, erführe er liebend gern mehr über sie und ihre Verbindung zu Shohei, denn nebeneinander her leben, ohne wirklich etwas vom jeweils anderen zu wissen, ohne Details zu kennen, das lag außerhalb Benjamins Absichten.
    Der trügerische Schein aus Shoheis Zimmer missfiel hm deutlich, doch spähte er mittels des dünnen Spaltes zwischen Tür und deren Fassung in den Raum, so erkannte er bloß ein niedriges Nachttischchen samt einer von der Größe her angepassten Schirmlampe, die Quelle der angenehm dosierten Helligkeit, daneben die Ansätze eines Schlafplatzes. Holzgestell und darin eingebettet eine Matratze, bezogen mit einem himmelblauen Laken. Ansonsten sah er nichts außer weißer Tapete. Nun ja, im spärlichen Glimmen des Lämpchens schätzte er sie weiß ein, sicher war er sich nicht. Schließlich ergriff er endlich die Initiative. Sein Atem stockte, als er anklopfte.
    „Shohei?“, fragte Benjamin vorsichtig in die nagende Stille hinein. War sein einseitig so bezeichneter Kumpan vor Müdigkeit eingeschlafen, ohne das Licht auszuschalten? Hätte er es versehentlich vergessen? Es entsprach keineswegs Shoheis Charakter, so achtlos mit Strom umzugehen, besaß er ohnehin nicht allzu viel Geld, und außerdem verachtete Shohei jene Energiekonzerne, welche zu ihrem eigenen Nutzen die Umwelt und somit die letzten verbleibenden Pokemon mit ihren toxischen Abfällen vergifteten. Benjamin hatte ihn sich häufig genug darüber lamentieren gehört, welches Ausmaß an Hass er auf diese Leute hegte, auf die Krawattenträger in dunklem Anzug, die andere unter ihrer Profitgier leiden ließen und ebenso wenig vor Leichen Halt machten. Nein, schlussfolgerte er abschließend, etwas stimmte hier nicht, soweit vermochte er Shohei bereits einzuschätzen. „Kann ich… vielleicht…“, fügte er nach einer Weile des Nichtantwortens hinzu, in der Annahme, sein gewollter Gesprächspartner schliefe tatsächlich.
    Der Glanz der Lichtkörnchen spiegelte sich fahl in seinen kastanienbraunen Iriden, inzwischen beherbergten sie einen enttäuschten Ausdruck. Seine Hand fuhr sich ratlos durch sein zerzaustes Haar, sodass sich noch strubbeligere Figuren aus dem schon vorhandenen Wirrwarr formten. Shohei wollte also nichts von ihm hören, das bewies seine Reaktion auf Benjamins Kommunikationsversuch eindeutig. Erneut strichen seine vor Nervosität zitternden Finger einige Strähnen beiseite, entfernten sie aus seinem nach wie vor abgemagerten Antlitz. Warum –
    Plötzlich ertönte unverständliches Gemurmel aus dem Zimmer seines Vermieters, in keinster Weise auf Anhieb zu identifizieren, und Benjamin stolperte vor Schreck ein paar Schritte zurück. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet, weshalb sein Herz in seiner Brust so stark gegen den um es liegenden Widerstand hämmerte, dass man meinen könnte, es platzte sogleich. Blut rauschte in Benjamins Ohren, während er versuchte, seine nunmehr aufgeschlitzten Nerven zu beruhigen. Wieder vernahm er gebrabbelte Laute, erstarrte diesmal aber nicht, er war mehr oder weniger in mancherlei Hinsicht vorgewarnt. „Shohei, alles in Ordnung?“
    Seine Stimme prägten Verunsicherung, Zweifel und sogar ein Hauch von Furcht, wie er im Nachhinein an sich feststellte. Angst vor dem, was ihn dort drinnen erwartete, welches Szenario sich ihm in diesem Zimmer darbot, allerdings drängte sich ihm unausweichlich die Gewissheit auf, keine Zeit mehr verlieren zu dürfen. Und ohne weitere Abwägungen der Sachlage, scharrte er seinen Mut zusammen – gleichsam ignorierte er seine höflichen Manieren – und erklärte sich zum Herrn der Situation.



    Shoheis Zimmer beinhaltete im Prinzip nichts Außergewöhnliches, sondern eher alles, was einem auch in jedem anderen Schlafzimmer begegnete, welches man inspizierte.
    Links von Benjamin befanden sich der kleine Nachttisch, den er vorhin bereits über die Ausmaße der angelehnten Tür entdeckt hatte, sowie nun das Bett in seiner vollen Größe. Hellholz umschloss die himmelblau gekleidete Matratze, auf der, sofern notwendig, voraussichtlich ebenfalls zwei Leute nebeneinander ausreichend Platz, genügend Freiraum besaßen. Ob dies bei einer solchen Begebenheit aber tatsächlich der Intention des Gastes, sowie denen des Hausherrn entsprach, das zweifelte Benjamin wohl berechtigt an, nachdem er Shoheis Ex-Freundin kennen gelernt hatte. Shohei verkörperte, ebenso wie er selbst, eben im Endeffekt nur einen Mann.
    Oberhalb des azuren Stoffes schwebte majestätisch, schier unberührt, und das bereitete Benjamin am meisten Sorgen, eine in verschiedenen Violetttönen gestreifte Bettdecke. Sie ragte ein wenig über den Fußrand des Bettes hinaus, fast bis zum Parkett. Am Gegenstück dazu, dem Kopfende, einige simple Stoffkissen, schwarz, rot, eines sogar grün, bei denen anscheinend nicht auf den Einklang mit dem Rest der Bettwäsche geachtet worden war. Makellos geglättet ruhten sie an ihrem Platz, Benjamin erspähte darauf nicht die geringste Spur von Benutzung in der heutigen Nacht, keine Einkerbung, erst recht keine Vertiefung, die vielleicht von einem Kopf stammte. Rasch sprossen die Blüten des Unbehagens in Benjamin, vervollständigten ihren Reifeprozess von Unruhe zu blanker Furcht, gar Panik. Von Hinterlist geleitet streuten sie ihre unheilbringenden Samen in ihm, pflanzten gefährlich toxische Setzlinge der Unsicherheit in den entsprechend emotionalen Gebieten seiner Seele. Was sollte er tun?
    Das Zimmer verfügte nicht über ein sonderlich weitläufiges Volumen, bei einem einfachen Apartment war kein Zimmer extrem groß oder bot zahllose Möglichkeiten, Mobiliar in ihm zu platzieren. Aber viel mehr… in einigem Abstand zur hinteren Bettkante stand ein Schrank an der dort silbrig blitzenden Wand, der vom Parkett bis zur Decke reichte. Rechts neben der Tür erhob sich eine etwas höhere Dunkelholzkommode aus der Ebene der Mauer, hellere Maserungen verwoben sich zu den abstraktesten und interessantesten Gebilden, stellten ungeahnte Verbindungen zwischen sich her… und während seiner verträumten Gedanken bemerkte Benjamin zunächst nicht den in Rot gehüllten Beinabschnitt, welcher versteckt hinter dem Möbelstück lagerte, bloß schwierig auszumachen. Wahrhaftig beschrieb die minimal ausgestreckte Gliedmaße die eines lebenden Wesens, zuckte doch hin und wieder der nackte Fuß an dessen Ende. Benjamins Augen weiteten sich vor Entsetzen, dieses allerdings äußerte sich bei ihm nicht in einer Paralyse, also einer absoluten Bewegungsunfähigkeit, sondern in einem stümperhaften Straucheln in Richtung des vermutlich Verletzten, anstatt einer flüssigen Gangart. In wahrlich ernsten Momenten vermochte man ihn nicht ganz so leicht in seinem Verhalten zu beirren, sein schnelles Reaktionsvermögen herrschte mit eiserner Faust.
    Tatsächlich, Shohei hatte es bevorzugt, die Nacht zu Seiten von Wand und Schränkchen zu verbringen, umgarnt von der gefährlichen Kühle des Parketts, und nicht im wärmenden Schutze seiner viereckigen, nahezu quadratischen Schlafstätte. Schlaff lehnte sein Leib gegen die harte Mauer, sein Zustand für Benjamin ein Schreckensbild schlechthin, und er glaubte kaum, was er da erblickte.
    Überwiegend fielen Shoheis schwarze Strähnen ihm in sein blasses Antlitz, dessen Mimik gar nicht mehr zu existieren schien. Seine Züge strahlten pure Apathie aus, Neutralität, Abwesenheit, in der einzig seine roten Iriden ihnen Gesellschaft leisteten. Doch nicht einmal diesen wohnte ihre eigentliche Intensität und Leuchtkraft inne. Trübe überschattete ihren eigentlichen Glanz, von Leere erfüllt starrten sie Benjamin an, nein, durch ihn hindurch, als würde er nicht gerade direkt vor ihm knien und an seinen Schultern rütteln, direkt ins Nichts, in Unendlichkeit. Die Schwärze seiner Pupillen verdrängte einen enormen Teil des ach so schönen Rotes, stahl den funkelnden Rubinen ihr Strahlen, die Gelegenheit, sich in ihrer vollen Pracht vor ihrem Betrachter zu entfalten.
    Mit Erleichterung registrierte Benjamin ein Heben und Senken von Shoheis entkleideter Brust, er lebte also, womit eine Hürde schon genommen wäre. Allerdings, und das verängstigte ihn bezüglich des Zustandes des Älteren, verliefen die Atmungen Shoheis bloß unter Anstrengung, jedenfalls in seiner jetzigen Pose, bei der sein Bauch, so wenig Fett auch an ihm heftete, sein Zwerchfell unangenehm beeinträchtigte.
    „Shohei, was hast du –“, begann Benjamin stockend, unfähig, die richtigen Worte zu finden. Welche Fragen sollte er ihm denn stellen, die er in seiner Art Trance beantworten konnte? Wer garantierte ihm, dass Shohei seine Antworten in Wahrheit kleidete? Hektisch huschten Benjamins Augen über den Körper seines provisorischen Vermieters, auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt, einem Indiz, von dem sich behaupten ließe, es löste derartiges Verhalten bei einem Menschen aus. Solch eine Version von Tagtraum, von ‚Alles-ist-mir-egal‘ Stimmung resultierte keineswegs aus schlichten Gedanken, auch nicht denen der negativen Sorte. Sie mussten von einem Urheber herrühren, einem Auslöser. Fieberhaft dachte er nach, spielte Szenarien in seiner Fantasie ab, die sich mit hypnotisierenden Dürften, Lichteffekten oder Nerven am Körper beschäftigten, welche man für gewünschte Zwecke betätigte - bis er das schmale Röhrchen in Shoheis rechter Hand entdeckte. Sofort schlug er es beiseite, mehrere violette Tabletten kullerten dabei aus dem Behälter. „Wie viele, Shohei? Wie viele hast du davon geschluckt?“ Unaufhörlich versuchte er, der Fixpunkt Shoheis zu werden, umfasste sanft dessen Gesicht, wandte es sich zu, schaute fokussiert in die emotionsarmen Seelenspiegel, die der mental nicht Präsente seinem Umfeld offenbarte.
    „Sie war… einfach alles…“, verkündete Shohei nur in ständiger Wiederholung, manchmal zeichnete sich unterdessen ein untugendhaftes, fast verführerisches Lächeln auf seinen leicht zitternden Lippen ab. Eine andere Stellungnahme bezog er nicht zu dem einseitigen Interview, welches man mit ihm zu führen gedachte. „Sie war… alles…“
    Benjamins Aufregung wuchs, er scheiterte kläglich, seinem Gegenüber eine brauchbare Information zu entlocken, die ihm eventuell in seinem Tun weiterhälfen, die bewirkten, dass er wusste, wie er dergleichen zu händeln hätte. So einen Vorfall zu bewältigen war ihm gänzlich unbekannt und ein weiteres Mal verfluchte er seine stupide Idiotie. Kurz erwog er es, einen Krankenwagen zu rufen, doch… Sie würden es nicht bei einer simplen Behandlung belassen. Sie würden Details fordern. Und zwar von Benjamin, nicht vom prinzipiellen Patienten. Identität, Abstammung, Herkunft, Grund des Aufenthaltes in Kanto… er flöge auf und sie beanspruchten ihn für Forschungszwecke, er erhielte Spritzen, man zwänge ihn zu fortlaufender Tabletteneinnahme, bestünde auf etliche Experimente. Schließlich sammelten die Arenaleiter doch sämtliche Daten ihrer Mitmenschen, gern Untertanen genannt, oder nicht? Jedoch, und das versuchte die Regierung vehement zu unterdrücken, wusste Benjamin von deren Machenschaften. Und er wusste gleichsam, dass sie ihm keine ruhige Sekunde mehr gönnen würden, erführen sie von seinen ihr System gefährdenden Kenntnissen. Sanitäter standen also außer Frage.
    „Mann, Shohei, du darfst jetzt nicht… ich bin dir doch noch etwas schuldig, und bevor ich das nicht beglichen habe…“ Behutsam, dennoch fest ergriff Benjamin Shoheis rechten Arm, wollte ihn so dazu ermutigen, mit ihm gemeinsam aufzustehen, um ihn im Anschluss irgendwie zumindest ins Bett zu hieven. Wenn er noch länger auf dem Parkettboden ausharrte, holte er sich womöglich eine Erkältung. Doch Shohei warf Widerreden ein. Energisch stieß er Benjamin von sich, murmelte dabei etwas, das nach Schuldzuweisung und Hassbekundung klang. Mit einem solchen Kraftaufwand in derartigem Zustand hätte Benjamin nie gerechnet, weshalb es ihm nicht gelang, das Gleichgewicht zu wahren, und hinten über fiel. Glücklicherweise hatte er lediglich in gebückter Haltung an Shoheis Seite gehockt, daher gestaltete sich der ‘Sturz‘ nicht allzu arg.
    Der zweite Ansatz hingegen fruchtete. Mittlerweile befand sich Shohei auf seinen eigenen Beinen, wackelig, unsicher, aber er stand. Oder eher klammerte er sich krampfhaft an seinen minderjährigen Mitbewohner, welcher langsamen Tempos auf die fedrige Matratze zusteuerte. Ein Leichtes stellte das nicht gerade dar, handelte es sich bei Shohei ja um einen erwachsenen jungen Mann. So kostete es Benjamin eine Menge Anstrengung, sich selbst samt seiner zusätzlichen Last voran zu bringen. Zentimeter für Zentimeter schritten sie auf das plötzlich so weit entfernte Bett zu, und mit jeder Minute schien Shohei sich weniger auf seine Muskeln oder seine Eigendynamik zu konzentrieren, als vielmehr auf den Halt, den Benjamin ihm spendete. „Reiß dich zusammen…“, entgegnete dieser schwer atmend, „Bald kann ich dich nicht mehr – “ Allerdings würgte Shohei ihn wortwörtlich mitten im Satz ab, indem er sich kichernd – das erste Mal im Laufe der letzten Bemühungen – von allein bewegte und sich im Zuge dessen vollends von hinten an Benjamin hängte. Die Arme über dessen Schultern und den Kopf dort abgelegt hinderte er Benjamin am Fortfahren in seinen Absichten.
    „Benjamin…“, säuselte Shohei von Hoffnungslosigkeit überwältigt, verzweifelt, Trost suchend. Seine schwarzen Strähnen, sie waren so zerzaust als entspränge er einem Tornado, beschränkten die Funktion seiner matten Iriden, antriebslos, gedemütigt, zutiefst verletzt warfen sie einen Schatten auf sein Antlitz. Er begehrte Geneviève nach wie vor, sie bedeutete das Fundament seiner Existenz, und jetzt, da sie ihn allein gelassen hatte, gab es für ihn keinen Grund mehr, seine Disziplin aufrecht zu erhalten.
    „Shohei, w-was hast du….“, stammelte der in der Umarmung Gefangene verwirrt, ungewollt schlich sich ein Hauch von Rot auf seine Wangen. Niemand hatte ihm bislang in solch einer Art und Weise gezeigt, dass er sich am Boden krümmte und sich nicht mehr alleine im Leben zurecht fand, geschweige denn je Ansprüche jener Sorte gestellt. Er stand in Shoheis Schuld, da dieser ja quasi als Lebensretter fungiert hatte, nicht mehr und nicht weniger. „Du hast Drogen genommen, du bist nicht bei – “ Verbissen presste Benjamin seine Zähne aufeinander, als Shohei seine Arme um dessen Bauch schlang und die Distanz zwischen den beiden Jungen verringerte.
    „Ich will nicht… ständig allein sein…“, gestand Shohei ihm schließlich wispernd und vergrub sein Gesicht, so gut es ihm möglich war in seiner Verfassung, in Benjamins Hals, der es keineswegs wagte, sich bloß ansatzweise zu rühren. Einerseits hegte er die Angst, Shohei verlöre bei einer falschen Bewegung daraufhin den Halt und stürzte unglücklich, verletzte sich lebensgefährlich, stürbe in seinen Armen, ohne dass er etwas hätte tun können. Auf der anderen Seite empfand er tiefes Mitleid mit Genevièves ehemaligem Freund, musste er zu Drogen greifen, um Erlösung aus seiner Misere zu finden, oder unter Anweisung davon danach suchen. Benjamin hätte ihn eher als einen ruhigen, bedächtigen Menschen eingeschätzt, der, sollte man ihn verstimmen, seine Abneigung zwar innerhalb seiner Aussagen demonstrierte, im Endeffekt jedoch jeglichen Gram in sich hinein fraß. Und es deprimierte Benjamin, denjenigen, mit dem er zur Zeit zusammen wohnte, so gebrochen zu sehen, so vom Leben enttäuscht. Doch zunächst musste er Shohei von ihrem jetzigen Platz ins Bett befördern, gleichgültig wie.
    Höchst vorsichtig tätigte er einen kleinen Schritt, dann noch einen, wartete ab, ob sein Ballast ihm folgte – und siehe da, er wehrte sich nicht. Als die beiden endlich das Schlafdomizil erreichten, sandte Benjamin einen stummen Dank gen Himmel. Er als personifizierte Stütze drehte sich geschickt zur Seite, sodass sein zusätzliches Gewicht sanft aufs Bett sank, natürlich erst, nachdem er die Stoffdecke beiseite geschlagen hatte. Unverzüglich richtete er sich wieder auf, um ja Shoheis Reichweite und dementsprechend einer weiteren Umklammerung zu entfliehen. Auf einmal konnte dieser seine Motorik einigermaßen steuern, aus eigener Fähigkeit heraus zog er auch seine Beine auf die weiche Matratze und nahm eine bequeme Seitenlage ein.
    Man erkannte kaum mehr Schmerz oder Qual in seinem Antlitz, seine Züge wirkten vollkommen entspannt und friedvoll, und man könnte meinen, es wäre eine Nacht gleich jeder anderen. Aus seinem leicht geöffneten Mund erklangen leise und regelmäßige Atemgeräusche, als jagte er bereits seit Stunden seinen Traumfantasien hinterher. Ausschließlich Benjamin kannte die entsetzliche Wahrheit, wusste, was sich just hier für ein Szenario abgespielt hatte, und er beschloss, Shohei wenigstens teilweise seinen Wunsch zu erfüllen.

  • [tabmenu]
    [tab=Vorwort]
    Heyho, Schattenseele!


    Endlich komme ich zum Kommentieren; da es aber relativ viel auf einmal ist, sage ich es gleich: Rechtschreibkorrektur entfällt, wäre aber auch nur in sehr seltenen Fällen nötig gewesen.
    [tab=SP]
    [subtab=Positives]
    Der Startpost ist sehr schön gestaltet; er lässt die Mühe erahnen, mit der du deine Geschichte angehst. Auch an Quellennachweise hast du gedacht, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, in vielen Fällen leider vollkommen außer Acht gelassen wird.
    Es wirkt im Großen und Ganzen auch sehr übersichtlich, sodass da nicht viel zu sagen bleibt.
    Weiterhin muss angemerkt werden, dass die Story, so, wie sie im SP geschildert wird, recht gut klingt, aber dazu später mehr.
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Ein kleiner Punkt wäre vielleicht, dass die Schrift gerade bei der erkennbaren Mühe am SP (ich rede hier von den Überschriften) sehr random aussieht. Eine Möglichkeit ist, nach einer schönen Schriftart zu suchen, die dem ganzen etwas mehr ... Glanz verleiht, vll.
    [tab=Kapitel 1]
    [subtab=Positives]
    Zitat
    Das Zitat zu beginn des Kapitels ist sehr ansprechend. Es Vermittelt durch die Wahl der Worte schon einen düsteren, melancholischen Beigeschmack, der gut zur Atmosphäre des Kapitels passt.


    Stil
    Dein Schreibstil ist wirklich schön. Du achtest auf Feinheiten und bemühst dich, Dinge wie Farben und vorallem Gefühle sehr intensiv und lebensnah zu beschreiben. Gerade letztere werden - das zieht sich durch die ganze Geschichte - sehr lebendig dargestellt, sodass es dem Leser leicht fällt, sich in die jeweiligen Protagonisten (bzw. den aktuell einen) hineinzuversetzen.


    Feinsinnigkeiten
    An manchen Stellen führst du genau das aus, was ich unter dem ersten kritikpunkt für dieses Kapitel angemerkt habe: Dinge nicht durch Erklärungen auszuweiten, sondern durch interessante Andeutungen als Anreiz für den Leser einzustreuen. Ein beispiel ist diese Stelle hier: "Nicht, dass er diverse Schulbücher nicht hatte mitgehen lassen [...]". Hier sagst du nicht so direkt, was Sache ist, das ist gut so!
    "Irgendwann erreichte man den Punkt, ab dem es nichts mehr zu sagen gab, rein gar nichts.", auch hier und im ganzen Absatz spielst du mit Andeutungen auf vorherrschende Probleme an, das ist eine schöne Art und Weise, so etwas anzugehen.


    Flammenstern
    Ein wirklich schöner begriff für das Himmelsauge, er verbindet die feurige Leidenschaft (aber auch Gefahr) der Flammen mit der eher kühlen, ruhigen Romantik einer kalten Sternennacht (auch, wenn die Sonne an sich natürlich ein Stern ist, aber es ging mir hierbei um die hervorgerufenen Emotionen und Assoziationen).


    So ein Gefühl ...
    Gegen Ende des ersten kapitels wird eine sehr interessante Interpretation von Liebe deutlich - Leere, der ständige Druck, sie aufrecht erhalten zu müssen, alles Seiten, die weit weniger romantisch klingen als das, was in den meisten Liebesgeschichten beschrieben wird. Es ist schön, auch mal eine andere Seite der Medaille zu sehen, die zudem eine höchst ungewohnte Interpretation erfährt!
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Überleitungen und Zwischenstücke
    So schön dein schreibstil auch ist, einen haken hat er - du neigst ein wenig zu Ausschweifungen. Z.B. an der Stelle, als du von Shoheis wenig ausgeprägte Sinn für Romantik beginnst. Du gibst hier viele Informationen, die alle zu den Charakteren durchaus dazu gehören, aber hier, in diesem Moment, leider etwas zu viel des Guten sind.
    In einem Romankurs haben wir mal einen Hinweis zu Nebenfiguren bekommen - was das hiermit zu tun hat, sage ich dir gleich): Man soll sie sich so genau ausgearbeitet vorstellen (oder annähernd) wie eine Hauptfigur, damit man ihr Handeln und alles, was an den Leser herankommt, nachvollziehbar und lebendig beschreiben kann. Aber diese ganzen Informationen sind für den Autoren als Schreibhilfe, nicht als Information für den Leser. Diese ganzen Details zeigen zwar, wie intensiv du dir Gedanken über deine Figuren und die Geschichte machst, aber Andeutungen ohne allzu lange Erklärungen sind an manchen Stellen einfach besser. Das Problem ist halt, dass sich die handlung dadurch arg in die Länge zieht und du durch kürzere Passagen die Situation wirksamer erzeugen kannst.
    Wenn du diese Infos dennoch für unbedingt notwendig hälst, würde ich dir raten, sie entweder mehr über den Text/die Kapitel zu verstreuen oder aber als Zusatzinfos im SP bereitzustellen.


    "sein jetziger Beruf"
    Am Ende des zweiten Textblockes sprichst du davon, führst das aber nicht näher aus. Man kann natürlich gewisse Details bewusst im Dunkeln lassen, hier aber keinerlei Andeutung außer dem wagen Mathebeschäftigen zu machen, um was für einen Beruf es sich handelt, erscheint mir aber doch nicht notwendig. Ein kleines Satzanhängsel würde schon reichen, außerdem hätte es als Vorbereitung für Kapitel 2 schon geholfen, wenn dein Leser eine leichte Vorinformation gehabt hätte. Dass er sich mit Mathe beschäftigt, ist da ein wenig zu ... unspezifisch, man kann keine wirklichen Vermutungen in die Richtung anstellen. Vll irgendwas in der Richtung, eine Anspielung darauf, dass er sich nun in die Lage seiner Lehrer versetzt sieht o.Ä., wäre ja auch eine nette Anmerkung.


    "eines der steinernen Geschöpfe"
    Hier wird allein durch Worte nicht ganz klar, dass du vermutlich gebäude meinst, da hätten ein paar Wörtchen extra sich sicherlich ganz gut gemacht. Allgemein wird kaum deutlich, wo die beiden sich befinden, darauf hättest du noch ein wenig mehr achten können.


    Shohei
    Während du auf die Darstellung Genevieves (ich bemühe mich gar nicht um die genaue Schreibung franz. Namen und Wörter, weißt du x3") recht große Sorgfalt verwendest, beschreibst du ihren männlichen Gegenpart kaum. Über Shohei bleibt nur in Erinnerung, dass er Schwarze Haare hat und ein geringer Teil seiner Kleidung. Hier hättest du die Beschreibung der beiden vll etwas gleichmäßiger verteilen können.
    [tab=Kapitel 2]
    [subtab=Positives]
    Von Materialisten und Idealisten
    Wirklich überrascht hat mich, dass du hier philosophische Anklänge ins Spiel bringst. Sehr interessant, man liest das selten und hier findest du auch die richtige Balance zwischen Erklärung und Andeutung. Wirklich schöne Stelle!


    Im Kopf eines Schülers
    An einer Stelle sprichst du die eigentlich irrationalen Ängste an, die im Kopf von Schülern regelmäßig vor Klassenarbeiten u.Ä. entstehen. Hier hast du dir wieder sehr genaue Gedanken gemacht, die aber auch nicht zu sehr ausschweifen, und dadurch ein gutes Stück Lebensnähe erzeugt. Versuche weiter, diese Balance zu halten!


    In den Schlafzustand
    Die Beschreibungen, wie Shohei langsam von Wachen in Schlafen schaltet, ist gut gelungen. Die Müdigkeit ist zwar allgegenwärtig, der Wandel zum tatsächlichen Zubettgehen vollzieht sich aber dennoch allmählich, was eine ganz gute Mischung abgibt.


    Reinigungsutensilien
    Die Bemerkung, dass man bereits jeden erdenklichen Ort in so etwas verwandelt hat - ich mag sie. Sie trifft nicht nur zu, sondern offenbart auch eine gewisse schelmische Ironie, die einem beim zweiten Blick ins Auge fällt.


    Fehlende Smilies
    Auch hier sprichst du wieder einen wahren Punkt an - wirkt ein (in elektronischer Form) ohne Smilies verfasster Text schroff, unpersönlich, abweisend? ich möchte gar nicht so sehr darauf speziell eingehen, das gehört hier nicht hin. Gut ist aber, dass du dich bemühst, Alltagserfahrungen in deiner Geschichte mit zu verarbeiten, denn das macht sie glaubwürdig und vorstellbar.
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Deduktion
    Bei Fremdwörtern musst du aufpassen; du sollst sie natürlich nicht in zwei Seiten erklären, aber es muss zumindest aus dem Kontext ersichtlich sein, was gemeint ist. Das einzige hierauf angewendete Attribut ist "logisch", und das hilft bei der Entschlüsselung des Begriffes leider kaum.


    "Er kniff, sich tadelnd, seine aufgrund der Müdigkeit matten Augen zu, sein Rot würde erst am nächsten Tag wieder erleuchten, [...]"
    Hier wird leider nicht wirklich klar, was mit "sein Rot" gemeint ist. Semantisch ist das Ganze auf "Er", also Shohei, bezogen, aber wieso ist er rot? Da wäre eine genauere Ausführung gut gewesen.


    Schreibtischlampe
    Nur ein relativ kleiner Absatz, aber: An einer Stelle gehst du dich in mehreren Zeilen über Funktion und Verhalten einer Schreibtischlampe aus, das hättest du noch ein wenig kürzen sollen. Auch, wenn du dich bemühst, jeden Aspekt einer Sache zu beschreiben und dadurch so genau wie möglich zu sein: Du musst darauf achten, nicht zu ausschweifend zu werden, sonst verliert man evtl. den faden zur Handlung. Innerhalb der Kapitel vielleicht nicht, aber über die bisherige Geschichte gesehen hat man dann doch den Eindruck, dass die "eigentliche Handlung" erst viel zu spät einsetzt (dazugemischter Punkt, kommt aber im nachwort nochmal deutlicher).
    [tab=Kapitel 3]
    [subtab=Positives]
    Bauprobleme
    Ja, ich meine die Stelle, an der du die Probleme ansprichst, die bei schnell verworfenen Planungen von Gebäuden etc., insbesondere für die Umwelt, entstehen können. ich bin beeindruckt, wie genau du darüber nachdenkst, aber wieder der Hinweis: Pass auf, dass du dabei den roten Faden nicht aus den Augen verlierst. Zu dem Pokémon werde ich im Nachwort etwas sagen.


    Gefühle
    Auch in diesem kapitel beweist du wieder deine Fertigkeiten in der Beschreibung von Emotionen. Sehr schön beschreibst du den Druck auf den Schultern der Jugendlichen, und welche Probleme damit in Zusammenhang stehen. Das kreiert ein tristes, aber nciht minder bitter-wahres Bild der Lebenswirklichkeit.


    Aurora
    OhohohohoHO! Eine "Aurora" kommt hier ins Spiel, äußerst interessant! Siehst du, hier ist so eine simple Andeutung von enormer Wirkung: Wer ist sie? oder was ist sie? Wieso will Shohei sie "konsultieren"?
    Das wirft viele (gute) Fragen auf und bringt einen mysteriösen Faktor in die Geschichte, den der Leser natürlich brennend interessant findet und unbedingt geklärt wissen will.


    Schuluniformdetail
    Als du das Mädchen mit den blauen Haaren beschreibst, kommst du auch auf ihre etwas zu eng scheinende Schuluniform zu sprechen. Diese kleine Stelle ist zum einen deswegen gut, weil sie etwas Individualität ins Erscheinungsbild der Schülerin bringt und sie über Farben hinaus beschreibt. Zum anderen könnte man hier auch gewisse anzüglichere Anspielungen sehen, wenn man will, also eine vielseitige Stelle, die gut in den Gesamttext eingefügt ist.


    Genevieve, der Tisch
    Haha, die seeeehr nebenbei geführt Anspielung auf den Tisch, der in diesen Ausführungen natürlich Shoheis freundin repräsentiert, ist wirklich gut. Du nennst hier nicht explizit, was gemeint ist, aber lässt es durch die deutlichen Anspielungen trotzdem klar werden.


    Eiland der Einsamkeit
    Eine deutsche Einbettung des englischen Titels gegen Ende, das ist ein wirklich nettes Gimmick!
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Nachhilfelokalität
    Hier fehlten mir ein wenig Beschreibungen, wo man sich denn letztlich befindet. Natürlich sollte das - wenn nicht von zwingender Wichtigkeit - nicht im Fokus des Erzählens stehen (wie gesagt, man darf nicht zu ausschweifend werden ;3). Allerdings sollten solche Dinge, das sich-irgendwo-befinden, sofern möglich, möglichst früh geklär werden. Sonst läuft das halbe Kapitel vor einem Whitescreen ab ;)


    Fortschritt
    Nunja, da leider der Großteil der Menschheit das anders sieht, kann man diesen Punkt nicht unbedingt als Kritik werten, aber ich möchte dazu dennoch etwas sagen. Gegen das Wort "Fortschritt" habe ich eine regelrecht allergische Reaktion entwickelt (wieso das so ist, kannst du ja gern privat erfragen ;3). Denn eine Entwicklung an sich ist wertneutral, "Fortschritt" impliziert immer, dass sich etwas konsequent zum Besseren wendet- bevor ich abschweife, für meinen wissenschaftlich verprügelten ;P Geschmack hätten hier andere Formulierungen gewählt werden sollen.


    Hellblaue Haare
    Eine der Nachhilfeschülerinnen hat also blaue Haare - ja, in Animes ist das beinahe trivial, und gerade in Großstädten wäre das zumindest kein Skandal. Aber dennoch ist das eine sehr ungewöhnliche Haarfarbe (gerade helles Blau), und da gehst du mir ein wenig zu selbstverständlich mit um.


    "iwo"
    Umgangssprachlich ~


    Hochschule Prismanias
    Hochschule bedeutet Uni oder FH, hier meinst du aber denke ich eher, Shoheis freundin ginge in die Oberstufe o.Ä.
    [tab=Kapitel 4]
    [subtab=Positives]
    Beschreibung Prismanias
    Die etwas bedrohlich wirkende Beschreibung der Stadt zu Beginn des Kapitls wirkt sehr Anschaulich, ebenso wie die fehlende Personalität der Bewohner oder die allmähliche Gewöhnung an die Gegend.


    Sonne versus Mond
    Die beiden streitenden Himmelskörper auch als solche zu bezeichnen, ist zwar keineswegs neu, aber durchaus nicht gewöhnlich. Normalerweise wird man auf eine eher gleichgültige oder aber harmonische "Beziehung" der beiden verwiesen, als auf kriegerische Schlachten auf dem Wandteppich des weiten Himmels. Erinnert mich ein wenig an My Little Pony^^


    Tanz mit dem Todesengel
    Oh, ich habe diese Stelle geliebt. So tragisch es auch ist, es ist eine Version des Sterbens, die auf traurige Art und Weise schön ist. Deine schönen Beschreibungen tun ihr Übriges, sodass ein wirklich gefühlvolles Bild entsteht - erinnert mich ein wenig an die "Black Parade" x3


    Wärmewall
    Uh, hier kommt etwas Mysteriöses ins Spiel! Ein geheimnisvoller Moment, der natürlich schon aufgrund seiner Natur zum weiterlesen anregt, weil man ja unversehens mit etwas hier zunächst seltsam Erscheinenden konfrontiert und herausbekommen will, um was es geht.


    Düfte
    Etwas, das leider viel zu oft - auch von mir x3" - zu sehr vernachlässigt wird. Als Shohei die Balkontür öffnet und du die hereinströmenden Düfte beschriebst, das konnte man sich wirklich gut vorstellen. Sehr plastisch und der Geschichte Leben einhauchend.


    Benjamins Macht
    sehr schön, jetzt kommt die Geschichte langsam ins Rollen! Wieder solch mysteriöse Anspielungen, die interessant sind und einen sich fragen lassen, wohin das alles noch führt. Im Übrigen auch schön, dass nicht die hauptsächlich handlungstragende Person bis jetzt - Shohei - die handlungsrelavanten Kräfte besitzt, sondern eine andere Figur, die allmählich ins Licht des Geschehens rückt.
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Zughaltestelle
    davon sprichst du an einer Stelle in Bezug zu Shoeheis Wohnung. Aber meinst du nicht eher Bus-? Zumidnest hast du afair zuvor davon gesprochen, wenn jetzt etwas Neues (eine S-Bahnhaltestelle?^^) eingeführt wird, sollte darauf auch ein kleines bisschen näher eingegangen werden.


    Den Seitenpfad erkunden
    Ehrlich gesagt ... "Seitenpfad", das ist zwar in Anbetracht der Situation logisch, aber entspricht auch stark dem Klischee der finsteren, dunklen und bedrohlichen Gasse, in der das unheilvolle Monster lauert.


    Benjamins Erwachen
    Gut, "Warum hast du mich nicht sterben lassen?" könnte in Benjamins Situation eine nachvollziehbare erste Frage sein. Ich finde aber dennoch, dass die Verwirrung über äußere Umstände wie den Aufenthaltsort oder die Identität der Person, bei der man ist, hier leider ein klein wenig zu kurz kommen.


    "knopfähnliche Kugeln"
    das wiederspricht sich, weil Kugeln per definitionem komplett rund, während Knöpfe flache Scheiben sind ;3
    [tab=Kapitel 5]
    [subtab=Positives]
    Schuldgefühle
    dass sich Benjamin trotz seiner Todessehnsüchte solch intensive Gedanken über Shohei macht, ist gut. Nicht nur, weil es die schnell einseitig wirken könnende Gefühlswelt des tragischerweise psychisch labilen Jugendlichen - versteh mich nicht falsch: eben jene Gefühlswelt ist lebendig beschrieben und nicht fehl am Platz, aber man muss aufpassen, dass man darin in seiner eschichte nicht zu sehr stecken bleibt - etwas verfeinert und zudem auf subtile Art und Weise auf gewisse "Überlebensinstinkte" aufmerksam macht. Denn der Wunsch nach dem eigenen Tod ist selbstzerstörerisch, und diese bewussten Sorgen um den unfreiwilligen Mitbewohner machen deutlich, dass sich das Unterbewusstsein eher doch um andere Dinge Gedanken macht und sie dem "Oberbewusstsein" dann aufzwingt.


    Flammen
    Uh, schon wieder ein so interessantes Detail. Es nimmt Bezug auf die Stellen in den vorigen Kapiteln und verrät gleichzeitig noch immer nicht zuviel, ohne dabei langatmig zu wirken - gut so!


    Zudecken
    Ach, die Szene ist süß. Trotz der Probleme, die Benjamin bei Shohei verursacht hat, empfindet dieser doch Zuneigun für seinen unfreiwilligen Schützling. Eine sehr sanfte Herangehensweise, die deswegen sehr interessant und schön ist.
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Genevieves Akzent
    Zwar ein nettes Detail, das aber leider zu spät eingeführt wird. Gerade, wenn du bei den bislang genannten Personen sehr verschiedene namensherkünfte verwendest, ist das Verständnis der Spracheigenheiten nicht selbstverständlich. Diese Bemerkung wirkt also eher etwas seltsam.


    "[...] befand sich eine etwa mittelhohe Dunkelholzkommode, auf ihr ein kleines Deckchen, sowie einige positioniert."
    Hier stellen sich zwei Probleme, zunächst einmal: Was genau ist Dunkelholz? Eine etwas (in wenigen Worten) genauere Beschreibung hätte hier etwas Klarheit bringen können.
    Das zweite Problem ist, dass hinter "einige" die Nennung der Gegenstände fehlt, die gemeint sind :3
    [tab=Kapitel 6]
    [subtab=Positives]
    Eine kleine Bemerkung der Zeit
    Eine schöne Stelle. Zeit ist etwas, das sehr abstrakt ist, über das man aber gerade deshalb viele Worte verlieren und sehr schöne Beschribungen zu schaffen kann. Du hast hier schöne Anspielungen geschaffen und dabei eine nette Einleitung für das Kapitel erzielt.


    Benjamins Gedanken
    Benjamins Gedankenschweifungen sind sehr lebendig geschildert. Wie er von einer Ecke zur anderen schweift, das ist nachvollziehbar und erinnert ein wenig an mögliche eigene kopfinterne Ausflüge. Also allgemein sehr gute Struktur an dieser Stelle.


    Empfindungen
    Der kühle Boden unter den Füßen, der weiche Stoff am Ohr - auch das sind Dinge, die du sehr richtig berücksichtigt hast. Zu selten finden auch solche Feinheiten, die uns im täglichen Leben nicht immer auffallen, Beachtung, wirklich gut gemacht!


    Shoheis Absturz
    Dass Shoehei bei all seiner bislang zur Schau gestellten Kraft und seinem Verantwortungsbewusstsein dann letztlich zu Tabletten greift, kommt überraschend. Nichts desto trotz hast du - vorallem in bezug auf Reaktionen und Gefühle - eine sehr lebendige, nachvollziehbare, "gute" (in Anbetracht des Themas erscheint dieses Adjektiv etwas verfehlt) Szene geschrieben, die durchaus spannend war und zum Mitfiebern angeregt hat.
    [subtab=Verbesserungsvorschläge]
    Hellholz
    S. "Dunkelholz" in einem der vorigen Kapitel.


    Warnungen
    Du hast zwar am Anfang der Geschichte eine dicke Warnung stehen, dass du keine rosarote Blümchenwelt erschaffen wirst. Allerdings solltest du überlegen, ob bei solchen Kapiteln (auch bei einem der vorigen Kapitel trifft dies zu) nicht eine zusätzliche Warnung am Anfang angebracht wäre, in denen es um Selbstmord oder Drogenmissbrauch geht. Rein schreiberisch gibt es freilich ncihts auszusetzen, aber die Thematik an sich ist eben nicht unbedingt etwas für jedes Gemüt.
    [tab=Nachwort]
    Alles in allem ist deine Geschichte recht interessant. Allerdings hat sie einen sehr langen Anlauf genommen, in dem es vorallem um Shohei und Genevieve ging und die "eigentliche" Handlung leider zu kurz kam. Da hilft leider auch dein wirklich hervorragender Schreibstil nicht, die Kapitel bis zu Shoheis und Benjamins Treffen waren etwas zu lang. Im Vergleich dazu kommt der Bruch - das sehr plötzliche Anwenden von "fantastischen" Elementen - zu schnell. Du versuchst allerdings, Benjamins Kräfte dafür sehr nach und nach klarzustellen, was wiederum sehr gut ist.


    Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Bereich. Du erwähnst "Pokémon" vielleicht 2, 3 mal im gesamten bisherigen Text. Das ist enorm Schade, du hättest z.B. den Gesang von Vogelpokémon erwähnen können oder irgendetwas anderes, um den bezug herzustellen, wenn sie noch keine allzu große Rolle spielen. Und wenn sie für dich keine allzu große Wichtigkeit einnehmen, wäre es evtl. zu überlegen, doch den Bereich zu wechseln, um deine Geschichte ganz ohne Pokémon fortzusetzen, wenn sie dich beim Schreiben der Geschichte eher stören (ich weiß ja nicht, wie sie weitergeht).


    Was sehr positiv hervorzuheben ist, ist deine Rechtschreibung; ich habe kaum Fehler gesehen, und die, die da waren, gingen eher in Richtung Flüchtigkeit. Weiter so!


    So, wir wären auch schon am Ende ... ich hoffe, dass mein Kommentar dir ein kleines bisschen geholfen hat.


    glg


    Mewtu Kleio Mewtu
    [/tabmenu]

  • Hu Namine/Schattenseele, wie soll man dich ansprechen? XD
    Tut mir leid, dauert iwie bei mir alles im Moment länger. Ich weiß selbst nicht so recht warum =/


    Gut... zuerst muss ich dich wieder für deinen präzisen Schreibstil loben, der auch durch deinen sehr weit gefächerten Wortschatz regelrecht aufblüht. Das sieht man nicht allzu oft und bei dir ist es einfach auch nur ein Genuss. ^^


    Damit verstärkst du nur die Wirkung, die Shohei und Benjamin auf den Leser haben: Man ist in ihren dunklen "Suff" gefangen, sowie sie selbst auch. Irgendwie ist, solange man liest, alles mittelmäßig grau bis kohlrabenschwarz. Und das ist gut so! Nicht dass ich gerne depri bin (lol, wie das klingt ^^"), aber du kennst die Wirkung deiner Worte.
    Besonders bewegt hat mich die Szene, in der Benjamin dasteht und überlegt, ob er Shohei wecken soll. Er wird erdrückt von seinen Schuldgefühlen und die meisten Menschen besitzen ja auch irgendwo ein bestimmtes Mitteilungsbedürfnis, damit sie mit einer Sache nicht alleine darstehen und irgendwie kann man nicht so recht in Worte fassen, was er dann vorfindet, bzw. welchen Shohei, in welcher Verfassung. Du verstehst Menschen in all ihren Abgründen darzustellen, so faszinierend-dunkel. Hm, kannst du mir folgen? ^^"
    Auch die letzte Szene ist so bewegend, eben weil er sagt "ich will nicht immer alleine sein" und dadurch so eine vertraute Nähe entsteht. ^^


    Bastet ^^ ... deine langsame Beta. ._.

  • [tabmenu]
    [tab=Neues Kapitel]
    So, in etwa ist ein Monat vergangen, sprich ich kann ein neues Kapitel posten x3 Außerdem möchte ich das gerne noch erledigen, bevor ich für eine Woche ins Ausland fahre, dann hab ich eventuell etwas, auf das ich mich freuen darf, falls sich jemand zu einem Kommentar durchringen kann x)
    Benjamin und Shohei haben gerade also eine sehr schlimme Nacht überstanden, und das mehr oder weniger gemeinsam. Trotzdem bleiben ja nach wie vor viele Fragen offen, beispielsweise, wie Shohei überhaupt an die Drogen gekommen, was genau das für ein Stoff ist und in wiefern Benjamin Shoheis Wunsch zumindest teilweise erfüllt hat. Doch so einfach wird es den beiden nicht gemacht und von ausruhen kann keine Rede sein. Nicht nur Benjamin verlangt Erklärungen von seinem Mitbewohner, auch Shoheis Bekanntschaften haben noch eine Rechnung mit ihm offen - und ihre Methoden zeugen nicht gerade von größter Sorgsamkeit ~




    Warnung: In diesem Kapitel kommt es gegen Ende zu (minderen) gewalttätigen Handlungen, Beleidigungen und dementsprechenden Beschreibungen. Natürlich werden diese nicht allzu ausfallend oder extrem, aber für die zärteren Gemüter muss ich ja bei betreffenden Stellen Vorwarnung geben ~
    [tab=Bastet]
    So, fangen wir ma mit deinem Kommi an, weil der natürlich um einiges kürzer ist als Kleio's, was aber in keinem Fall schlimm oder untragbar für mich ist x) Erstma, ganz klar, vielen lieben Dank für dein Feedback, auch wenn du das beim Betalesen eigentlich schon jedes Mal gibst, dennoch bin ich der Meinung, dir einfach für jeden Kommentar danken zu müssen :*


    Gut... zuerst muss ich dich wieder für deinen präzisen Schreibstil loben, der auch durch deinen sehr weit gefächerten Wortschatz regelrecht aufblüht. Das sieht man nicht allzu oft und bei dir ist es einfach auch nur ein Genuss. ^^

    Danke sehr, man gibt sich Mühe x> Ehrlich gesagt finde ich persönlich nicht, dass mein Wortschatz breit gefächert ist, zumindest nicht hier. Leider lassen es Komplexität und Fremdworte nicht zu, dass ich mich so ausdrücke, wie ich es eigentlich gern täte - denn dann würde niemand mehr meine Texte verstehen xD Aber das dürftest du ja bereits von meiner alten Geschichte kennen ~




    Damit verstärkst du nur die Wirkung, die Shohei und Benjamin auf den Leser haben: Man ist in ihren dunklen "Suff" gefangen, sowie sie selbst auch. Irgendwie ist, solange man liest, alles mittelmäßig grau bis kohlrabenschwarz. Und das ist gut so! Nicht dass ich gerne depri bin (lol, wie das klingt ^^"), aber du kennst die Wirkung deiner Worte.

    Ach, gerne deprimiert zu sein, das ist auch kein Verbrechen. Mein kleiner Benji ist es immerhin fast ständig x) Ich finde es manchmal wirklich spannend zu sehen, wie Leser auf das von mir Geschriebene reagieren, weil sie dabei häufig Dinge feststellen, die mir selbst beim Schreiben gar nicht aufgefallen sind bzw die ich nicht so betrachtet habe. Das mit dem "Suff" beispielsweise... das so zu benennen, da wär ich im Leben nicht drauf gekommen :> Ein Suizidgefährdeter und ein Drogenkonsument unter einem Dach - dass da früher oder später etwas passiert, ist im Grunde vorprogrammiert ~



    Besonders bewegt hat mich die Szene, in der Benjamin dasteht und überlegt, ob er Shohei wecken soll. Er wird erdrückt von seinen Schuldgefühlen und die meisten Menschen besitzen ja auch irgendwo ein bestimmtes Mitteilungsbedürfnis, damit sie mit einer Sache nicht alleine darstehen und irgendwie kann man nicht so recht in Worte fassen, was er dann vorfindet, bzw. welchen Shohei, in welcher Verfassung. Du verstehst Menschen in all ihren Abgründen darzustellen, so faszinierend-dunkel. Hm, kannst du mir folgen? ^^"
    Auch die letzte Szene ist so bewegend, eben weil er sagt "ich will nicht immer alleine sein" und dadurch so eine vertraute Nähe entsteht. ^^

    Wieso sind die für mich unwichtigsten Szenen für dich stets die aussagekräftigsten? xD Srsly, das war eigentlich... ich hatte angenommen, das käme eher so fillermäßig rüber und gar nicht relevant, aber anscheinend liege ich mit meinen Vermutungen ziemlich oft daneben x) Klar macht er sich Vorwürfe, Geneviève hat ihn ja quasi die ganze Zeit durch ihre Worte in dem Glauben gelassen, er sei für das Ende der Beziehung zu Shohei verantwortlich, habe somit noch ein weiteres Leben zerstört und ruiniert... wie würdest du dich da fühlen? Zumal gerade Benjamin sich sehr viel zu Herzen nimmt und sehr auf seine Mitmenschen achtet. Menschen und ihre Abgründe, nicht alles habe ich persönlich erlebt, doch sagen wir ma, ich weiß, wie es ist, am Boden zu sein, von daher... Vielleicht kann ich mich deshalb besser in solche Lagen hinein versetzen, wer weiß? ^^"
    Das mit der vertrauten Nähe sollte auch genau so sein, meine Liebe :3 Okay, er ist high, Benji hätte sich gegen ihn sowieso nicht gewehrt, eben aus Angst, Shohei dabei zu verletzen... theoretisch (
    !) hätte da alles passieren können, was, so muss ich ehrlich zugeben, bei meinen Ideen sogar zunächst der Fall war. Sprich da wäre etwas mehr abgegangen xD Jedoch ist im Endeffekt weniger ja mehr und ich will meine Story nicht zu einer von der Sorte werden lassen, bei der sie erst miteinander schlafen, sich schon nach drei Chaptern "Ich liebe dich" sagen und sich danach die Gefühle aufbauen. Nein, bei mir hat alles seine Zeit x)
    Und bitte, solange du mir überhaupt beta liest, machen mir gewisse Zeitabstände auch nichts aus <3




    [tab=Kleio]
    Wie ich erst versucht war, "Clio" da als Namen hinzuschreiben xD Ehrlich gesagt hatte ich gar nicht mit einem Kommi von dir gerechnet O__o Ich hab dich ma drum gebeten, ja, aber... nunja, hat mich natürlich doppelt und dreifach gefreut, dass du dich dann auch sofort mit allen bislang erschienenen Kapiteln beschäftigt hast, und wow, allein das zu lesen hat schon überirdisch lange gedauert x3 Aber aber, ich bin ja allen gegenüber fair, von daher bekommst auch du eine Antwort auf deinen wunderbaren Kommentar <3


    An manchen Stellen führst du genau das aus, was ich unter dem ersten kritikpunkt für dieses Kapitel angemerkt habe: Dinge nicht durch Erklärungen auszuweiten, sondern durch interessante Andeutungen als Anreiz für den Leser einzustreuen. Ein beispiel ist diese Stelle hier: "Nicht, dass er diverse Schulbücher nicht hatte mitgehen lassen [...]". Hier sagst du nicht so direkt, was Sache ist, das ist gut so!
    "Irgendwann erreichte man den Punkt, ab dem es nichts mehr zu sagen gab, rein gar nichts.", auch hier und im ganzen Absatz spielst du mit Andeutungen auf vorherrschende Probleme an, das ist eine schöne Art und Weise, so etwas anzugehen.

    Merci, meine Liebe :> Ja, einige andere Leser hatten mir auch schon ma bei meiner anderen Story gesagt, ich wüsste, wie viel ich dem Leser verraten dürfe, um ihn bei der Stange zu halten.. das hat sich bis heute in meinem Kopf gehalten und to be honest, ich bin stolz drauf x3 Andeutungen sind immer etwas Schönes, nicht wahr? :D Gerade das ist es auch meiner Meinung nach, was einen Text jeder Sorte erst interessant macht :3


    So schön dein schreibstil auch ist, einen haken hat er - du neigst ein wenig zu Ausschweifungen. Z.B. an der Stelle, als du von Shoheis wenig ausgeprägte Sinn für Romantik beginnst. Du gibst hier viele Informationen, die alle zu den Charakteren durchaus dazu gehören, aber hier, in diesem Moment, leider etwas zu viel des Guten sind.
    In einem Romankurs haben wir mal einen Hinweis zu Nebenfiguren bekommen - was das hiermit zu tun hat, sage ich dir gleich): Man soll sie sich so genau ausgearbeitet vorstellen (oder annähernd) wie eine Hauptfigur, damit man ihr Handeln und alles, was an den Leser herankommt, nachvollziehbar und lebendig beschreiben kann. Aber diese ganzen Informationen sind für den Autoren als Schreibhilfe, nicht als Information für den Leser. Diese ganzen Details zeigen zwar, wie intensiv du dir Gedanken über deine Figuren und die Geschichte machst, aber Andeutungen ohne allzu lange Erklärungen sind an manchen Stellen einfach besser. Das Problem ist halt, dass sich die handlung dadurch arg in die Länge zieht und du durch kürzere Passagen die Situation wirksamer erzeugen kannst.
    Wenn du diese Infos dennoch für unbedingt notwendig hälst, würde ich dir raten, sie entweder mehr über den Text/die Kapitel zu verstreuen oder aber als Zusatzinfos im SP bereitzustellen.

    Unfortunately, ja, leider neige ich dazu, etwas ausschweifender zu werden, anstatt gleich auf den Punkt zu kommen, das ist nicht bloß beim Schreiben so bei mir ^^" Im Grunde sind diese Informationen... da Geneviève sowieso nicht lange vorkommt, erst in späteren Kapiteln ma wieder, denke ich, dass zusätzliche Infos im Startpost nicht notwendig sein werden. Inzwischen, so denke ich, habe ich allerdings ein recht gutes Maß gefunden, was Gedanken, Gefühle und Gesten anderer Leute und Handelnder betrifft, zumindest greife ich nicht allzu sehr auf Lebensphilosophie zurück xD Du erinnerst mich an einen Flashback, den ich noch i.wo einbauen muss....




    Wirklich überrascht hat mich, dass du hier philosophische Anklänge ins Spiel bringst. Sehr interessant, man liest das selten und hier findest du auch die richtige Balance zwischen Erklärung und Andeutung. Wirklich schöne Stelle!

    Verwunderlich, dass ich das aus dem Deutsch-Unterricht habe, mit den Idealisten und Materialisten xD Das haben wir zur Lektüre "Woyzeck" kurz angesprochen... ich fand das in sofern eigentlich recht passend, weil Shohei ja in der Tat ein komplexer Charakter ist und solche Begriffe ihn einfach passend beschreiben imo - und das, obwohl prinzipiell Benji mein interessantester Charakter sein sollte, in meiner Absicht x3



    Auch hier sprichst du wieder einen wahren Punkt an - wirkt ein (in elektronischer Form) ohne Smilies verfasster Text schroff, unpersönlich, abweisend? ich möchte gar nicht so sehr darauf speziell eingehen, das gehört hier nicht hin. Gut ist aber, dass du dich bemühst, Alltagserfahrungen in deiner Geschichte mit zu verarbeiten, denn das macht sie glaubwürdig und vorstellbar.

    Ich schreibe, um zu verarbeiten, damit hast du schon Recht, von daher sind es ja die kleinen Dinge, die dann am Ende Großes bewegen :3 Ich meine, ich selbst simse oder chatte fast ausschließlich unter Benutzung von Smilies, ansonsten denke ich immer, mein Text klinge so nüchtern und emotionslos, es liest sich, als sei ich sauer oder verstimmt oder Ähnliches. Und wenn ich so denke, wird das ein zwei Jahre älterer Junge wohl ebenfalls tun x) Gerade wenn es um so eine wichtige Sms geht, so sieht Shohei das ja immerhin, macht man sich viele Gedanken, wie dieses und jenes wirken könnte, er liebt Geneviève schließlich über alles :3




    OhohohohoHO! Eine "Aurora" kommt hier ins Spiel, äußerst interessant! Siehst du, hier ist so eine simple Andeutung von enormer Wirkung: Wer ist sie? oder was ist sie? Wieso will Shohei sie "konsultieren"?
    Das wirft viele (gute) Fragen auf und bringt einen mysteriösen Faktor in die Geschichte, den der Leser natürlich brennend interessant findet und unbedingt geklärt wissen will.

    Nun, das erfährst du im folgenden Kapitel, wer oder was Aurora nun genau ist, sprich dieser Faktor wird auf jeden Fall geklärt :> Ich kann dir aber schon sagen, Aurora ist Shoheis Weg, dem Alltag und all seinen Sorgen zu entfliehen, zumindest kurzzeitig, doch wenn er es mit ihr übertreibt, hat das im Nachhinein eher negative Auswirkungen ~




    Eine deutsche Einbettung des englischen Titels gegen Ende, das ist ein wirklich nettes Gimmick!

    Sowas mache ich sehr gerne :3 Mir persönlich gefällt der Effekt bestimmt ebenso gut wie dir, deshalb weiß ich, wie gut sowas in der Regel ankommt :D




    Eine der Nachhilfeschülerinnen hat also blaue Haare - ja, in Animes ist das beinahe trivial, und gerade in Großstädten wäre das zumindest kein Skandal. Aber dennoch ist das eine sehr ungewöhnliche Haarfarbe (gerade helles Blau), und da gehst du mir ein wenig zu selbstverständlich mit um.

    Nun ja, in der Serie oder im Spiel wird da ja auch recht normal mit umgegangen und ich muss dazu sagen, bei dem Mädchen habe ich mich eher an der Ass-Trainerin der fünften Generation orientiert, falls dir das so ungefähr vom Aussehen her etwas sagt :> Und hinsichtlich der Tatsache, dass Itoe, einer meiner späteren Charaktere, ebenfalls bläuliche Haare hat, finde ich das jetzt nicht so weltbewegend, um ehrlich zu sein. Ich meine, soll ich auch nicht selbstverständlich damit umgehen, dass Shohei rote Augen hat, obwohl es das in der Realität gar nicht gibt? In dieser eben schon :3




    Die beiden streitenden Himmelskörper auch als solche zu bezeichnen, ist zwar keineswegs neu, aber durchaus nicht gewöhnlich. Normalerweise wird man auf eine eher gleichgültige oder aber harmonische "Beziehung" der beiden verwiesen, als auf kriegerische Schlachten auf dem Wandteppich des weiten Himmels. Erinnert mich ein wenig an My Little Pony^^

    Eben deshalb habe ich mich darauf berufen, meine Liebe ^____^ Harmonisch muss ja nun nicht immer sein, oder sich ergänzend, das ist... in meinen Augen einfach nicht richtig x3 Sonnenauf- oder -untergänge gleichen von den Farben her ja schon vielmehr einem Inferno als einem harmonischen, friedvollen Anblick als solchem. Zwar kann sowas auch romantisch sein, doch in dem Sinne assoziiere ich es eher mit Feuer, Flammen, einer Kältewelle der Nacht... sowas eben :) Wtf, My little Pony, da kommt das vor? O___o




    Oh, ich habe diese Stelle geliebt. So tragisch es auch ist, es ist eine Version des Sterbens, die auf traurige Art und Weise schön ist. Deine schönen Beschreibungen tun ihr Übriges, sodass ein wirklich gefühlvolles Bild entsteht - erinnert mich ein wenig an die "Black Parade" x3

    Bei der Passage habe ich mich sehr an dem Lied orientiert, dessen Lyrics dort unter anderem auch verwendet wurden. Später ist auch noch die Rede vom letzten Tanz mit dem Todesengel und ich konnte mir für Benjamin keine bessere Einleitung vorstellen. Es passt so unglaublich gut zu seinem Charakter, seinen Intentionen, das ganze Lied spiegelt quasi seine Persönlichkeit wieder, was er erlebt hat, womit er immer wieder konfrontiert wurde... und gerade Benjamin ähnelt mir als Autorin am meisten ~



    Hier stellen sich zwei Probleme, zunächst einmal: Was genau ist Dunkelholz? Eine etwas (in wenigen Worten) genauere Beschreibung hätte hier etwas Klarheit bringen können.

    Imo ist das einfach dunkles Holz xD Also ... sowas wie man meist bei älteren Leuten in den Wohnungen findet, edles, sehr dunkelbraunes Holz, natürlich lackiert... okay, es besteht wirklich Erklärungsbedarf, werd ich mir merken :D





    Dass Shoehei bei all seiner bislang zur Schau gestellten Kraft und seinem Verantwortungsbewusstsein dann letztlich zu Tabletten greift, kommt überraschend. Nichts desto trotz hast du - vorallem in bezug auf Reaktionen und Gefühle - eine sehr lebendige, nachvollziehbare, "gute" (in Anbetracht des Themas erscheint dieses Adjektiv etwas verfehlt) Szene geschrieben, die durchaus spannend war und zum Mitfiebern angeregt hat.

    Es ist halt seine Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen, und zwar in seinen Augen mit eine der einzigen. In mancherlei Hinsicht ist er wirklich sehr... manichäisch, falls dir das Wort etwas sagt, also sehr extrem. Für ihn gibt es in dem Moment dann entweder nur Methode A oder Methode B und das in einem sehr ausschweifenden Sinne. Wenn schon, denn schon, so in etwa nach dem Motto. Gerade in der Nacht war sein Liebeskummer so stark, dass er es mit seinen Drogen etwas übertrieben hat... dazu muss man sagen, er ist nicht wirklich abhängig davon. Diese Droge - von einem anderen User hier und mir entwickelt oder erfunden, sag ich ma - macht nicht unbedingt süchtig, allerdings merkt man es, wenn man sie längere Zeit nicht genommen hat, also man hat seeeehr leichte Entzugserscheinungen. Auf der anderen Seite ist sie natürlich wie jede Droge schädigend und hat die üblichen Nebenwirkungen ~




    Du hast zwar am Anfang der Geschichte eine dicke Warnung stehen, dass du keine rosarote Blümchenwelt erschaffen wirst. Allerdings solltest du überlegen, ob bei solchen Kapiteln (auch bei einem der vorigen Kapitel trifft dies zu) nicht eine zusätzliche Warnung am Anfang angebracht wäre, in denen es um Selbstmord oder Drogenmissbrauch geht. Rein schreiberisch gibt es freilich ncihts auszusetzen, aber die Thematik an sich ist eben nicht unbedingt etwas für jedes Gemüt.

    Werde ich auf jeden Fall ergänzen. An die Warnungen hätte ich ehrlich gesagt nur bei den freizügigeren Szenen gedacht, die ja erst wesentlich später kommen, aber im Nachhinein hast du natürlich vollkommen Recht. Ich selbst als Autorin kann dies leider, und das gebe ich auch zu, nur in Ansätzen nachvollziehen, weil ich mit solchen Aspekten vertrauter bin, sag ich ma, zumindest, was das mit Suizid und bla angeht. Nun gut, ich setz ne Warnung davor :>




    Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Bereich. Du erwähnst "Pokémon" vielleicht 2, 3 mal im gesamten bisherigen Text. Das ist enorm Schade, du hättest z.B. den Gesang von Vogelpokémon erwähnen können oder irgendetwas anderes, um den bezug herzustellen, wenn sie noch keine allzu große Rolle spielen. Und wenn sie für dich keine allzu große Wichtigkeit einnehmen, wäre es evtl. zu überlegen, doch den Bereich zu wechseln, um deine Geschichte ganz ohne Pokémon fortzusetzen, wenn sie dich beim Schreiben der Geschichte eher stören (ich weiß ja nicht, wie sie weitergeht).

    Ja, da habe ich ebenfalls bereits überlegt, muss ich sagen... Ich sehe das so, ich hab ja die Charaktere aus den Spielen genommen und ihnen lediglich andere Namen und weiterführende Details verpasst, außerdem kommt später noch Reise dazu und ich denke, einige "Kämpfe" wird es auch geben... Pokemon nehmen schon in ihrem Maße Wichtigkeit ein, allerdings kann ich das jetzt so nich sagen, da ich sonst Informationen vorweg nehmen würde ^^"


    Alles in allem hat mir dein Kommi auf jeden Fall sehr geholfen. Ich hoffe, von dir weiterhin als Kommentatorin hier oder in ner Pn lesen zu dürfen, vor allem, da du sowohl positive, als auch negative Aspekte an meinem Schreibstil ansprichst und begründend erläuterst. Das motiviert mich ungemein ^____^



    [/tabmenu]

  • Kapitel 7: Cold heat



    || I just know there's no escape now, once it sets its eyes on you

    But I won't run, have to stare it in the eye ||


    ~ Within Temptation - Stand my ground




    Stöhnend setzte er sich auf.
    In langsamen, gleichmäßigen Zügen massierten Daumen und Zeigefinger seine in Benommenheit gerunzelte Stirn, darauf hoffend, dass jene Geste ihm eine Linderung des Pochens bescherte, das seinen Kopf für sich vereinnahmte und ähnlich einem unaufhörlichen Rhythmus in seinem Schädel brummte. In regelmäßigen Abständen schwoll der Druck innerhalb des kugelförmigen Knochens unter seiner schwarzen Haarpracht an, erzeugte in ihm die Manie, man müsste im nächsten Augenblick sein Gehirn von den vier Wänden abkratzen; als würde dir kreative Masse dort oben in seiner Hülle demnächst explodieren, bloß um der Erlösung Willen.
    Totale Finsternis herrschte mit ihrem eisernen Regime in Shoheis Schlafzimmer, gestattete ihm just, Silhouettenansätze seiner Möbel und Mauern zu erkennen, verfügte dieses Zimmer leider nicht über ein Fenster. Sogar das bereitete ihm Kopfschmerzen, lediglich der Versuch, die Ränder seiner Einrichtung schärfer zu sehen, weshalb er es bereits recht bald wieder abbrach. Sein Verstand rebellierte hartnäckig gegen die vermeintliche Erkenntnis, gezwungen zu sein, den gesamten restlichen Tag endloser Beeinträchtigung zu funktionieren. Nicht, dass es Shoheis Prinzipien gänzlich widerspräche, einen Werktag in Entspannung und Faulheit zu verbringen, allerdings existierten auf seinem Terminplan zu viele Aktivitäten, welche seine Aufmerksamkeit beanspruchten, und momentan fühlte er sich schlichtweg von allen auf einmal erschlagen, erstickt im Sumpf ihres Umfangs. Seine Arbeit, genauer gesagt beide Jobs, hin und wieder Einkaufen, gelegentlich auch davon Gebrauch machen und etwas essen. Und dann war da noch… wie hieß er?
    „Benjamin, ach ja …“, entsann er sich im Nachhinein. Verdammt, seine Nerven schwebten nach wie vor in ihrer eigens kreierten Traumwelt, seine Sinne betäubt, glitten auf sachten Fantasiewogen von einer Utopie in die nächste, harrten in Wonne, harrten in Freude, in Genevièves Anwesenheit…
    Shohei äußerte ein inbrünstiges Knurren, als seine vom Schlafe hypnotisierten Gedanken im Labyrinth der Düsternis zu seinem Heiland schweiften, seinem brünetten Engel, der ihm in all seiner Gnade und Güte rettenden Schein spendete.
    Zu Zeiten einer schwerwiegenden Grippe seinerseits war sie in ihrer Fürsorge stets bei ihm geblieben, um ihn zu behüten, hatte gekocht, ein wenig geputzt, während er sich den Träumen seines Fiebers ergeben hatte. Er erinnerte sich gern an die Sanftheit ihrer grazilen Finger, wie sie einzelne Haarsträhnen von seiner verschwitzten Stirn strichen, sacht seine geröteten Wangen streichelten, und er unfairerweise nicht in der Lage war, ihr einen Ausgleich für ihre zärtlichen Gesten anzubieten. Er dachte automatisch ebenfalls an die Weichheit ihrer schmalen Lippen auf seinem Handrücken, als besäße sie die Fähigkeit, all die Viren wegzuküssen. Sie hatte neben ihm gekniet, ihm süße Worte zugeflüstert, eine baldige Besserung seines Gemütszustandes vom Herrn erbeten…
    Ja, sie war gläubig, und sie hatte sich nie davon abbringen lassen. Zaghaft schmunzelnd genoss er das Hauptargument ihrerseits gegen die Urknalltheorie, nämlich die Frage, was eine solche Explosion wahrscheinlicher gestaltete als ein höheres Wesen, das den Menschen Offenbarungen schenkte und ihnen Seelenfrieden versprach. Und obwohl er Gott nahezu verachtete, des Öfteren der ungehemmten Blasphemie frönte, war es ihm nie gelungen, eine These zu finden, die die Aussage seiner Freundin schachmatt setzte. Vielleicht verwendeten Menschen allgemein falsche Denkansätze, fehlerhafte Logik, sinnentstellende Rechnungen, wer wusste das schon?
    Er liebte Geneviève nach wie vor, zweifelsohne, aber scheinbar befand seine Bestimmung das für inakzeptabel. Er wollte nicht die Vergangenheit herbeizaubern, um sie zu beeinflussen. Er verlangte bloß, erneut in die schönsten Momente mit seiner Geliebten eintauchen zu dürfen, den rosigen Duft ihrer wallenden, braunen Seide schnuppern, ihre wohltuende Wärme an seiner Brust fühlen, ihr wunderbares Lachen hören zu können; begehrte ihre berauschende Stimme, hegte den Wunsch, sich in den Ozeanen ihrer Iriden zu verlieren, seine Finger behutsam, trotzdem fest in den ihren zu verschränken. Wieso gewährte man ihm nicht wenigstens diese eine Bitte?
    Ein verschlafenes Stöhnen durchdrang die unerbittliche Dunkelheit, zerriss die bisherige Stille um Shohei und ließ ihn zusammenfahren. Es handelte sich ja allein um seine Schlafstätte, sein Domizil, und er hatte den Laut garantiert nicht von sich gegeben. Ohne Erlaubnis verbot sich der Zutritt selbstredend, und Benjamin wagte es sicherlich nicht, unbefugt ein fremdes Gebiet zu betreten, da bestand für Shohei unanfechtbare Klarheit. Sein Mitbewohner besaß einen weitaus zu schüchternen, introvertierten Charakter, als dass er spontan irgendwo einbräche oder sich zu einem verschlossenen Zimmer ungefragt Zutritt verschaffte. Doch als dem angestrengten Seufzen noch ein Rauschen folgte, bemächtigten sich ein gewisses Unbehagen, sowie Neugier Shoheis.
    Rasch tastete er rechts von sich nach dem Nachttisch, der sich neben seinem breiten Bett befand, und erhaschte schließlich den gesuchten Lichtschalter. Augenblicklich flutete seichtes Leuchten den relativ engen Raum, sodass Shohei sich reflexartig die Hand vor sein Gesicht hielt. Diese Geste erfolgte etwas zu spät, schmerzhaft stach die Helligkeit in seinen Augen, reichte bis in die Tiefen seines innerlich gepressten Schädels, und erneut flammte das Pochen auf, was bei den Erinnerungen an Geneviève ein wenig abgeklungen war. Nach einer Weile glitt seine Hand fort von seinem Antlitz, umfasste den Saum seiner weichen Bettdecke, und er staunte nicht schlecht bei dem Anblick, der sich ihm bot.
    Dort an der Holztür gelehnt hockte Benjamin auf dem wohl Wärme raubenden Parkett, gehüllt in eine rote Decke, die, die er auch normalerweise zum Schlafen auf dem Sofa benutzte. Sein Mund war leicht geöffnet, seine Gliedmaßen lagerten weitestgehend am Körper, und seine noch geschlossenen Lider flackerten unter dem Kitzeln dünner Haarsträhnen in der Nähe seiner Augen und Wangen. Ausdruckslos starrte Shohei ihn an, ehe er die Bilder, welche die Szenerie an sein Gehirn sandte, bewusst realisierte.
    „Was… was tust du hier, Benjamin?“, stotterte Shohei unbeholfen, unfähig, seine Zunge mit anderen Silben zu beflecken. Pure Fassungslosigkeit wohnte seiner Stimme inne und er keuchte die Worte fast, wusste er nicht, was genau sich in der letzten Nacht zugetragen hatte. Intuitiv begradigte er seine bislang gekrümmte Sitzhaltung, sackte mit dem Rücken gegen Kopfende des Bettes. Er benötigte irgendeine Form von Halt, lähmten seine Kopfschmerzen auch weiterhin seinen Gleichgewichtssinn.
    „Shohei, nein, das… nicht…“, murmelte Benjamin unruhig, bewegte dabei seinen Kopf von einer Seite zur anderen. Zuvor hatte er beinahe zu friedfertig gewirkt, so unschuldig und frei von jeglicher Qual, was bei dem Jüngeren ja selten genug der Fall war. Und sofort begriff Shohei, dass die letzte Nacht keineswegs von himmlischer Ruhe gesegnet verlaufen war.



    ***


    „Aurora.“ Mit dem Rücken zu Benjamin gewandt stand Shohei am großen Balkonfenster, starrte hinaus in das Grau der Stadt. Ähnlich einer undurchsichtigen, starren Decke lagerten die Wolken über den Hochhäusern Prismania City’s, machten keine Anstalten, sich in irgendeine Richtung zu bewegen, und sie verhinderten gleichsam unter Einsatz ihres eigenen Körpers, dass die Spitzen der Steinbauten den Himmel verletzten. Stumm ertrugen sie das Stechen der zahlreichen Dolche, hielten sogar die sauren Tränen der Engelsgeschöpfe zurück, die um sie und das ansonsten blutende Azur trauerten. Trist und leer, selbst Benjamin erkannte das von seinem Sitzplatz auf der beigen Couch, obwohl Shohei ihm mit seiner länglichen, nicht schwachen Statur teilweise den Blick nach draußen versperrte.
    Im Schein des beinahe kalten Tageslichts handelte es sich bei Shohei lediglich um einen dunklen Schatten. Die Stille der leisen Atemzüge tünchte ihn in eine apathische Aura, völlig gleichgültig, emotionslos. „Schafft Benommenheit, Flucht aus der bitteren Realität, schiebt deine Vernunft beiseite, sowie deine Hemmungen, und unglücklicherweise beschert sie bei übermäßigem Konsum einen Hammer von Kopfschmerzen“, zählte Shohei stumpf die Fakten auf. Den letzten Teil seufzte er halb. Für Benjamin bedauerte er damit zwar die im Nachhinein spürbaren Konsequenzen, jedoch nicht die Tat an sich, und er zerbrach sich bereits den ganzen Morgen den Kopf, wie er Shohei in angemessener Weise begegnen sollte. Dieser schien sich an nahezu nichts zu erinnern, das in der vorigen Nacht stattgefunden hatte, was die Angelegenheit natürlich deutlich verkomplizierte.
    Benjamins Wangen erhielten einen Hauch von rot, als er sich entsann, wohin Shoheis Hände in seiner Benommenheit gewandert waren, und sein Erstarren in diesem Augenblick beschmutzte seine ansonsten unschuldige Seele zusätzlich mit Scham. Er hatte bloß versucht, Shohei in sein Bett zu verfrachten, ohne Stürze und Prellungen zu riskieren. Benjamin schuldete ihm unendlichen Dank für die gezwungene Rettung seiner verdammten Seele, weil er aufgrund dessen seine Geliebte eingebüßt hatte, alleinig zum Schutze eines völlig Fremden. Stünden die jüngsten Ereignisse nicht zwischen ihnen, würde er liebend gern für Gründe für Shoheis Verhalten in Erfahrung bringen.
    „Es war nicht deine Schuld“, murmelte Benjamin, fixierte mit seinen trüben Iriden den Sofatisch vor sich und schmückte seine Lippen mit einem Lächeln, welches exakt dem der hoffnungslosen Akzeptanz in Person glich. Er verspottete seine lächerliche Existenz, jede seiner Entscheidungen verursachte Mengen an Problemen und Kummer, für andere wohl bemerkt, und Benjamin spürte eine mitleidige Welle des Bedauerns in seinem Herzen losbrechen. Wallend stürmten ihre Wogen in seinem zitternden Leibe umher, stürzten sich mit ihren feuchten Krallen auf sein eingeschüchtertes Gewissen, auf die Neige der Gnade, die Shohei ihm bereits gewährt hatte, und ertränkten sie in den Fluten ihrer Sündhaftigkeit. In Benjamins Fingerkuppen entflammte das Bedürfnis nach Vergeltung und Sühne. „Ausgerechnet an deinem Block habe ich mich versteckt, um… ich meine, theoretisch wären ein freies Feld oder eine einsame Bucht am Meer geeigneter –“
    „Hör auf, Benjamin.“ Endlich riskierte Shohei einen Blick in die Richtung seines Gesprächspartners, der inzwischen eine recht reumütige Haltung eingenommen hatte. Er reagierte nicht einmal auf Shoheis Stimme. „Zwischen mir und Geneviève, das… es dümpelte sowieso nur noch vor sich hin. Es gab“, und er stieß einen weiteren Seufzer aus, “nichts mehr zu sagen.“
    Eine ganze Weile herrschte erbittertes Schweigen, und Benjamin kam trotz Shoheis Ermahnung nicht umhin, sich Vorwürfe zu machen. Im Endeffekt hatte er ja sogar zugestimmt, bei dem jungen Erwachsenen zu wohnen, was fast eine unverzeihliche Todsünde symbolisierte. Momentan gefährdete er jeden Bewohner im gesamten Wohnkomplex, auch seinen Retter, und vor allem bei Letzterem wünschte er sich, ihm niemals begegnet zu sein. Er verziehe es sich nicht, Shohei in einem unkontrollierbaren Ausnahmezustand zu verletzen, gar zu töten, und unverzüglich erblühte das Stechen in seiner Brust. Mit jedem Herzschlag attackierte es das beständig arbeitende Organ, reihte sich in dessen Rhythmus ein, woraufhin sich Benjamins Atmung ebenso erschwerte. Obwohl er sein Keuchen zu unterdrücken versuchte, bemerkte Shohei die Schwierigkeiten seines Mitbewohners. Das, was er hatte vermeiden wollen.
    „Mach dir keine… Sorgen, Shohei, das… passiert öfter…“, stammelte Benjamin zähneknirschend, presste seine rechte Hand auf seine schmerzende Brusthälfte.
    „Klar, ich beherberge einen Sterbenden in meinem Apartment, ohne dass mich das kümmert“, entgegnete Shohei, leicht genervt angesichts Benjamins steter Heimlichtuerei bezüglich solcher Dinge. Vorsichtig setzte Shohei sich zu ihm auf die Couch, legte einen Arm um die Schulter des Jüngeren. „Jetzt sag mir bitte, wie ich dir helfen kann.“
    Benjamin hielt einen Moment inne, bewegte sich keinen Millimeter, wagte es nicht einmal, nach Luft zu ringen. Seit wann sprach sein Traumvermieter in spe in einem derart gefühlvollen, sensiblen Tonfall zu ihm? Schwirrte nicht noch Geneviève unaufhörlich in seinem Kopf herum? Dennoch, er genoss es unbeschreiblich, von jemandem Geborgenheit zu erfahren, der ihn nicht fürchtete.
    „Ich weiß nicht, woher… du kannst… mir nicht…“ So schlimm hatte Benjamin es bislang nie erlebt, und das beunruhigte ihn zusätzlich, kannte er weder Auslöser, noch Grund für diese Reaktion seines Körpers. Ein schwacher Schweißfilm bildete sich auf den Innenflächen seiner Hände, Tropfen der Flüssigkeit perlten an seiner Stirn.
    „Lehn dich erstmal-“, begann Shohei zögerlich und bettete Benjamins verkrampften Leib an die Sofalehne, doch ihn unterbrach ein Klicken aus Richtung des Flurs. Sie beide lauschten angespannt der neuen Geräuschkulisse, welche sich neben der Monotonie der Uhr auftat, und sobald das Schloss der Haustür zur Seite sprang, beugte Shohei sich dicht zu seinem beinahe ohnmächtigen Gesprächspartner. „Egal, was du hörst, bleib hier. Verstanden?“
    „Shohei, was –“
    „Verstanden?“ Eindringlich blickten rote Iriden in jene von Benjamin, befohlen ihm förmlich, seiner Anordnung Folge zu leisten, und allein Shoheis Stimme wäre in der Lage gewesen, mit ihrer Schärfe seine Kehle zu durchtrennen. Dem Leidenden blieb nichts anderes übrig, stellte er innerlich lächelnd fest, er zwang sein Haupt zu einem gequälten, kaum merklichen Nicken. Fast zeitgleich erhob sich Shohei vom Sofa, schritt durch den nicht allzu großen Raum hinein in den Flur und schloss die Wohnzimmertür hinter sich, sodass Benjamin nun einsam mit Zetteln und Büchern verweilte.



    ***


    Er wusste nicht, wie lange Shohei bereits mit den fremden Personen diskutierte. Stunden wohl eher nicht, dessen war er sich bewusst, wenngleich es sich für Benjamin selbst so anfühlte. Minuten… Fünfzehn? Zwanzig? Oder mehr?
    Das Stechen in seinem Herzen war auf ein erträgliches Level gesunken, trotzdem strömten Gedanken und Einfälle lediglich stockend langsam in seinem Hirn umher, benötigten eine geschätzte Ewigkeit, um konkrete Figuren anzunehmen. Verwaschen erschien ihm der schwarze Fernsehmonitor zu seiner Rechten, wie er seinen menschlichen Gegenüber skeptisch von dem kleinen, aber stabilen Tischchen beobachtete, sein schwarzes Augenmerk auf Benjamin richtete. Unbewusst wanderte sein Fokus weiter zum Schreibtisch schräg hinter ihm, zu den zahlreichen farbigen Notizzetteln mit Telefonnummern darauf, so wusste er; zu dem Meer aus Papier und den Felsen der Bücher auf der Arbeitsfläche, unter denen ausschließlich Shohei etwas Gesuchtes fand.
    Eine männliche und eine weibliche Stimme redeten draußen permanent auf Shohei ein, und Benjamin beschlich so eine leise Ahnung, dass sie sich nicht mehr lange hinhalten ließen. Sie bemühten sich zwar, Ungeduld und Rage zu verstecken, allerdings gelänge ihnen dies bald nicht mehr, und ihrer Beharrlichkeit nach zu urteilen handelte es sich bei den Zweien keineswegs um die Sorte friedfertiger Menschen. Benjamin rätselte schon seit Anbeginn des Gesprächs, was ‘es‘ bedeutete, das die ihm Unbekannten von seinem Mentor verlangten, wieso man sie nicht einfach abwimmeln konnte. Der männliche Bestandteil des Duos wirkte von seiner Intonation her ziemlich konsequent, hart, vielleicht sogar gewalttätig und Benjamins Magen verkrampfte sich schmerzhaft bei dem Gedanken, man oder speziell er könnte dem ohnehin angeschlagenen Shohei körperlich etwas antun. Während seine Stimme in Benjamins Bronchien vibrierte, bildete seine Begleiterin dazu im Grunde das genaue Gegenteil. Schrill, fast katzenartig verlangte sie, dass Shohei ihren Wünschen Folge leistete, und verfluchte gleichsam die Unfähigkeit ihrer ‘Angestellten‘, hätten diese Shohei theoretisch nicht einmal frische Ware liefern dürfen, so, wie er sich mit seinen Zahlungen im Verzug befand. Aber, so betonte sie laut Benjamins Gehör, wäre sie nun wenigstens in der Lage, sich auf anderem Wege abzureagieren.
    Eine Weile lang herrschte erbarmungslose Stille, Benjamin kostete diese Ungewissheit bereits einen Teil seines Verstandes, bis plötzlich ein dumpfer Schlag erklang, ein weiterer folgte bald und kurz darauf ein unterdrücktes, gedämpftes Stöhnen.
    „Shohei…“, wisperte Benjamin heiser, versuchte, sich irgendwie zu bewegen, gar aufzurichten, doch just in dem Augenblick knallte jemand die Wohnzimmertür auf. Krachend kollidierte sie mit dem dahinter befindlichen Bücherregal, sodass einige Bände flatternd zu Boden stürzten, und eine Frau auf hohen Absätzen betrat den Raum. Zu schnell wandte Benjamin seinen Kopf zu ihr um, gelbe und schwarze Punkte tanzten in seinem Sehfeld, sein Blut sackte in seine Beine – Zeichen für seinen noch eingeschränkt funktionierenden Kreislauf. Den Kopf gesenkt stützte er sich auf der Sitzfläche der Couch ab, verbot sich strikt, erneut in Ohnmacht zu fallen.
    „Sieh an, sieh an, unser Klient hat Besuch!“, kicherte sie hinterhältig lächelnd, ehe sie sich Benjamin näherte. Dank ihrer langen, anmutigen Beine schwebte sie regelrecht über das Parkett, die hohen, schwarzen Schuhe halfen ihr dabei. Gleich Ranken woben die Bänder daran ihre Füße samt deren Bekleidung und ihre Beine zu einem einzigen nahtlosen Element, sie bewegte sich damit, als wäre sie mit diesen Erweiterungen geboren worden. Ihre Hüfte und den Ansatz ihrer gebräunten Beine verbargen Jeans in Form knapper Hot Pants, ein schräg geschnittenes, schwarzes Top verwendete eine Schulter, sowie denselben Arm als Halterung. Darunter zeichnete sich ihre schmale Statur ab. Flacher Bauch, geringer Umfang und die entsprechend unüppige Oberweite. Beiläufig zupfte sie an ihren glitzernden Armbändern herum, bis sie sich neben Benjamin niederließ. Bestimmend schob sie ihre Finger unter sein Kinn, zwang den wehrlosen Jungen, sie direkt anzusehen. „So ein Hübscher…“
    „Lasst ihn in Ruhe, er hat damit nichts am Hut!“, fauchte Shohei drohend, während er lärmenden Schrittes ins Wohnzimmer stolperte. Benjamin linste in seine Richtung und registrierte entsetzt ein Rinnsal Blut, das aus Shoheis Mundwinkeln quoll. „Mich wollt ihr doch zur Rechenschaft ziehen! Verschont ihn, bitte…“ Die Silben erstarben in einem erstickten, röchelnden Husten, Shohei lehnte Halt suchend gegen das Bücherregal, einen Arm um seinen Bauch geschlungen. Mehrere Tropfen der roten Lebensflüssigkeit hatten sich bereits auf sein weißes Shirt verirrt, weiteten dort ihren Hof, und Benjamin erfasste die Spannung in Shoheis Muskeln, die sich unter dem Stoff abzeichneten.
    „Und, Elaine?“ Am Rande bemerkte Benjamin einen dunkelbraunhaarigen Mann, wahrscheinlich älter als Shohei, ein blaues Shirt spannte sich über seinen Oberkörper. Gelangweilt vergrub er die Hände in den Taschen seiner olivgrünen Shorts. „Ein neues Spielzeug gefunden?“
    „Auf jeden Fall einen netten Zeitvertreib“, flötete Elaines piepsige Stimme verführerisch, ein süßes Parfum begleitete ihre Gestalt, und sie betrachtete Benjamin eindringlich mit ihren funkelnd grünen Augen. Ihr zartrundliches Gesicht umrandeten kurze, orange-rötliche Haare, die sich aufgrund ihrer Länge zu Locken kräuselten. Sacht strich die ihm eine Strähne aus dem Gesicht. „Willst du nicht mit uns kommen?“
    „Shohei soll erst seine Schulden begleichen“, ermahnte ihr Begleiter sie knurrend und deutete auf eben diesen. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er in der Tür zum Flur, beobachtete das Schauspiel gar als eine Art Unbeteiligter. Er für seinen Teil beherbergte keine Geduld mehr in sich, weder für die Sache an sich, noch für Shohei, das spürte man. Er wollte seine ‘Mission‘ schnellstmöglich abschließend und sich seinen persönlichen Freizeitfreuden widmen.
    „Hach ja“, seufzte Elaine wehleidig, erhob sich, ehe sie sich ebenfalls am eigentlichen Geschehen teilnahm. „Also, Schätzchen, wo ist das Geld? Vorschuss schön und gut, aber langsam neigt sich die Strapazierdauer meiner Nerven dem Ende zu.“ Benjamin hörte, wie sie im Zimmer dabei auf und ab lief, langsam, bedrohlich. Sie scherzte nicht. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Die für alle Angenehmere wäre, du sträubst dich nicht länger und rückst endlich mit der Zeche raus. Alternativ…“. Sie zögerte einen Moment, um ihren Worten den richtigen Ausdruck zu verleihen. „Bezweifle ich, dass du und dein süßer Freund in Zukunft viel miteinander reden werdet, wenn wir mit euch fertig sind.“ Das Amüsement in ihrer Stimme war nun vollständig erloschen, sie sprach in solch einem eisigen und kaltblütigen Ton, dass es Benjamin fröstelte. Verflucht, wieso hatte sein Herz gerade jetzt Probleme verursachen müssen, in einem derartig unpassenden Moment, in dem er prinzipiell den Einzigen verkörperte, der imstande wäre, Shohei zu schützen…
    „Ich habe nichts… aber wehe… ihr krümmt ihm…“, röchelte eben dieser. Es bereitete ihm sichtliche Mühe, zu sprechen. Bei seinen Verletzungen gelang es ihm kaum, aufrecht zu stehen, wankend stützte er sich nach wie vor am Bücherregal. Er hustete abermals, Blut besprenkelte das helle Parkett.
    „Du lässt uns keine Wahl“, entschuldigte Elaine sich und ihren Komplizen voller Heuchelei. „Du kanntest die Konsequenzen. Doch keine Sorge“, sie wandte sich wie so häufig in den letzten Minuten dem noch schweigenden Benjamin zu. „Dein schnuckeliger Freund darf etwas länger bei Bewusstsein bleiben, um das Spektakel zur Genüge auskosten zu können.“
    Lange genug hatte Benjamin das Szenario stumm verfolgt, hatte lediglich zugesehen, während man Shohei schwerwiegendere Wunden zufügte, seinem Retter, seinem Freund, falls man die Beziehung zwischen ihnen bereits als so gefestigt betrachten durfte. Er wollte ihm nicht mehr bloß eine Bedrohung, sondern nützlich sein, wollte sich revanchieren für das, was er wahrscheinlich nicht im Entferntesten zu entschädigen in der Lage war. Seine eigene Kondition missachtend richtete er sich auf, und bevor Elaine ihn bemerkte, hatte er schon ihren von Kleidung unbedeckten Arm mit seinen Händen umschlossen. Und alles, was danach geschah, tat Benjamin instinktiv.
    Ein schriller Schrei zerriss die vorübergehende Stille im Raum, aber egal, mit welchem Aufwand Elaine versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, er hielt sie weiterhin fest, gedachte nicht, sie so einfach ungestraft fliehen zu lassen. Der Geruch verbrannten Fleisches schlich sich in Benjamins Nase, überlagerte das Aroma ihres seiner Meinung nach zu süßen Parfums, in seiner Kenntnis der Situation ekelte es ihn nicht gelinde an, dennoch brach er seine Aktion keineswegs ab. Elaines Stimme betäubte sein Trommelfell, Blut rauschte gleichsam vor Aufregung in seinen Ohren, und obwohl sie mit ihrer freien Hand permanent auf die seinen eindrosch, störte ihn nicht sonderlich. Er fuhr in seinem Handeln solange fort, bis ihr Freund Anstalten machte, ihr zu helfen. Erst dann investierte er geistesgegenwärtig all seine Kraft in eine schwungvolle Drehung und schleuderte Elaine in ihren Begleiter. Keuchend eilte Benjamin anschließend zu Shohei, positionierte sich hütend vor ihm. In seinen Händen züngelten noch immer kleine, pulsierende Flammen, welche seine Gegner jedoch nicht sahen, und er würde garantiert nicht scheuen, sie einzusetzen.
    „Benjamin…“, schnaufte eine schwache Jungenstimme hinter ihm. Diesmal ignorierte er sie. Seine verkrampften Muskeln, zitternd unter der plötzlichen Anstrengung, wappneten sich zum Kampf und zu einer Verteidigung Shoheis, um jeden Preis.
    „Verdammter Bastard!“, keifte Elaine. Inzwischen kniete sie am Boden, versuchte erfolglos, die Schmerzen an ihrem Arm zu lindern. Normale Haut war kaum noch zu erkennen, vielmehr dominierten fleischernes Rot und etliche kleine, geplatzte Blutäderchen die Stelle, die Benjamins Finger umklammert hatten. Ein dünner Feuchtigkeitsfilm legte sich bereits über die Wunde, um sie behelfsmäßig vor Schmutzpartikeln zu bewahren, er glänzte schwach im einfallenden grauen Tageslicht. Diverse Pusteln umrandeten ihr nun ewiges Brandmal, das sie gezwungen war an sich zu akzeptieren, und geschockt tastete Elaine daran herum, fassungslos, weinend vor Qual. Die hohe Temperatur hatte es den Adern nicht erlaubt, viel Blut zu verlieren, waren dadurch entstandene Öffnungen fast im selben Zuge wieder zugeschweißt worden. „Was hast du getan?!“
    „Das, was du verdienst“, antwortete Benjamin kühl, und sogar Shohei spürte die Skrupellosigkeit darin. Sie erschreckte ihn zutiefst, die Intonation seines Mitbewohners, trotz der Angeschlagenheit seines Denkvermögens.
    „Du elender… das wirst du büßen!“, bellte Elaines Kumpane und trat bedrohlich abrupt auf Benjamin zu. Dieser bereitete sich insgeheim sowohl körperlich, als auch mental vor, begab sich etwas in die Knie und intensivierte die Hitze in seinen Handflächen. Nervosität stieg in ihm empor, er fürchtete sich tatsächlich vor seinem Feind, was allerdings nicht bedeutete, dass er floh. Er würde bedingungslos kämpfen, in genauso einer Selbstverständlichkeit handeln, wie Shohei es damals für ihn getan hatte, Benjamin würde alles riskieren, für denjenigen, der für ihn alles riskiert hatte.
    Das, womit er jedoch in seiner Motivation versunken nicht rechnete, war, dass Shohei seinem Vorhaben, innerhalb eines geschlossenen Apartments mit Feuer zu hantieren, ein jähes Ende verschaffte. Hastig verschränkte dieser seine Finger in Benjamins, unterband somit einen Angriff – und stieß in Folge dessen ein leidendes Zischen hervor. Im selben Moment keifte Elaine ihren Komplizen an, er sollte doch die Bälger vergessen und sie schleunigst von dort wegbringen. Schnaubend zögerte er, schließlich aber überzeugte ihr Wimmern ihn vollends. Er half ihr auf und stützte sie auf dem Weg zur Tür, sowie vermutlich ebenfalls im Treppenhaus. Fraglich, ob die beiden erneut in Shoheis Wohnung aufkreuzten, bei dem, was Benjamin gerade mit Elaine gemacht hatte. Schockiert wirbelte dieser zu seinem Vermieter um, trennte ihre Hände voneinander.
    „Shohei, das… d-das wollte ich nicht! Deine Hände… ich…“ Schlussendlich hatte er also das vollbracht, was er unter allen Umständen hatte vermeiden wollen, nämlich seinen Retter zu schädigen. Bei dieser Erkenntnis zerbrach etwas in ihm, ein Fenster in seiner Seele, welches man nicht ohne Weiteres wieder heilen konnte. Seine Entschlossenheit zum Kampfe erlosch augenblicklich, war es durch seine Gewalt nämlich lediglich dazu gekommen, dass er denjenigen verletzte, den er eigentlich zu schützen gedacht hatte. „Zeig mir deine –“
    „Schon in Ordnung“, lächelte Shohei nur. Es erzeugte unendlichen Kummer in Benjamin, Shohei so zugerichtet zu sehen, das alles nach der letzten Nacht. „Eigene Schuld…“ Anschließend knickten seine ohnehin instabilen Beine ein und Benjamin gelang es bloß knapp, ihn vor einer ruckartigen Kontaktaufnahme zum Parkett zu bewahren.

    "僕の命令は絶対."
    "My orders are absolute."

    赤司・征十郎 ~

    11 Mal editiert, zuletzt von Namine ()

  • [tabmenu]
    [tab=Neues Kapitel]
    Tja, schade, keiner hat hier kommentiert... nun gut, aber ich will das hier auch nicht völlig verkommen lassen, deshalb poste ich schlichtweg mal das nächste Kapitel (das übrigens zwei waren, bevor meine Beta mir zu einer Zusammenlegung geraten hat ~ :* ) Sprich es sind so an die 10.000 Worte. Ich hoffe, es stört nicht allzu sehr xD Für diejenigen, die in Englisch nicht so bewandt sind... der Titel bedeutet "Arrogante Neugier" ~


    Benjamin und Shohei haben den kleinen Überfall also mehr oder weniger unbeschadet hinter sich gebracht und gerade Letzterer versucht, sich in seinem Alltag davon nicht langfristig beeinträchtigen zu lassen. Deshalb enthält er sich auch vorerst, Benjamin mit Fragen bezüglich des Feuers in seinen Händen weiter in die Enge zu treiben, weiß Shohei immerhin genau, wie labil Benjamins Persönlichkeit reagiert. Doch kaum ist Shohei wieder in seine Arbeitswelt eingetaucht, erscheint ein anderer Schauspieler auf der Bühne, der alles andere als Ordnung in Shohei's ohnehin bröckelnde Welt bringt ~
    [tab=Bastet ~]
    Tja, meine Liebe, wieder einmal vielen Dank für's Betalesen, ehe ich das hier posten kann x3 Das mit Benji's Selbstmordgedanken... ich hab nen paar wenige Begriffe und Sätze rausgestrichen, weil ich ehrlich gesagt nicht wusste, wie ich das sonst anders gestalten sollte :x Irgendwie kam das ja auch nur an einigen Stellen zu sehr durch, finde ich, der Rest war eben nur von seinen Depressionen angehaucht... Im Nachhinein behältst du allerdings Recht. Ich selbst habe zu meinen schlimmeren Zeiten nicht ständig an sowas gedacht, oder meine ganzen Probleme, jedoch nahm es schon einen größeren Teil meines Alltags, sag ich ma, ein. Von daher... ich geb mein Bestes, nicht allzu dick aufzutragen ^____^


    [/tabmenu]

  • Kapitel 8: Arrogant curiosity



    || Why don’t we end this lie, I can’t pretend

    This time I need a friend to find my broken mind before it falls to pieces ||


    ~ Billy Talent - This suffering



    „Was? Du willst mit mir einkaufen gehen?“ Benjamins entsetzte und ebenso überraschte Stimme verlor sich in den Weiten der schier endlosen Häuserlandschaft Prismania City’s. Er bezweifelte, dass irgendeine Person in näherem Umfeld von seiner Frage Notiz genommen hatte, selbst auf den angrenzenden Balkonen vergäße man den kurzen Schreckensmoment im nächsten Augenblick bereits wieder.
    Die strahlende Sonne erfreute das wolkenlose Azur heute mit ihrer Präsenz. Unermüdlich sandte sie ihre Wärme spendenden Strahlen hinab zu den unzähligen Bewohnern der Erde, welche, ob sie es nun wollten oder nicht, von den unsichtbaren Armen des flammenden Sternes in Besitz genommen wurden. Permanente Hektik erfüllte die Erde in ihrem Bestehen, fortwährender Krach umhüllte ihre rundliche Form und hallte hinaus in alle Himmelsrichtungen. „Ich meine, erst gestern hat man dich halb ohnmächtig geprügelt...“ Benjamin selbst hatte dabei fast Shoheis Apartment in Brand gesteckt. „Und wer sagt, dass die nicht erneut auftauchen?“
    Die enormen Steinbauten, die sich vor Benjamin in all ihrer Pracht erstreckten, variierten in Breite und Höhe, manchmal besaßen sie sogar eine Schicht Glasplatten, in denen man das Spiegelbild des Flammensternes erkennen konnte. Doch fast alle verbargen sie die normalerweise ebene Horizontlinie, an der Leben und Tod in Form definierbarer Begebenheiten, nämlich Himmel und Erde, miteinander verschmolzen.
    „Heute Abend begleitest du mich zur Arbeit und Punkt. Keine Widerrede. Dort ist angemessene Kleidung Einlassregel, ein einfaches Wort meinerseits reicht da nicht. Du musst wie Einer von denen wirken, wie ein hochnäsiger Schnösel, der nicht weiß, was er mit seinem Geld anfangen soll.“ Schimmernd brachen die Sonnenstrahlen in Shoheis Iriden, kreierten dabei mitunter Farbelemente, die nie zuvor in seinen Augen ihren Platz gefunden hatten, zumindest waren sie Benjamin vorher nie begegnet. Hellere, freundlichere Rottöne ersetzten allmählich die Matte der vorletzten Nacht, jauchzten im Besitz des eigenen Bewusstseins, dem es Shohei gelungen war wieder zu erlangen. Benjamin war froh, die Sache einigermaßen gut bewältigt und die Phasen stundenlangen Schweigens reduziert zu haben. Dann strömte in ihm nämlich immer die Annahme, er hätte etwas Schlimmes verbrochen, obwohl dem gar nicht so war.
    Erleichtert beobachtete er eine Weile Shoheis Körperhaltung, die recht entspannte Pose, welche er angenommen hatte, seit er gegen das Stahlgeländer seines Balkons lehnte. Ein nachdenkliches Lächeln zierte die Lippen seines Vermieters, sacht, kaum erkennbar, dennoch vorhanden, was ebenfalls Benjamin einen zufriedeneren Ausdruck in sein Gesicht zauberte. Bislang war es ihm nie gewährt worden, Shohei lächeln zu sehen, und die Tatsache, dass das nach knapp einer Woche endlich geschah, erfreute ihn. „Und meine werten Freunde von letztens… Elaine ist zwar nachtragend, aber nicht dumm. Sie weiß, wann sie verloren hat, vorerst jedenfalls.“
    Fast automatisch senkte Benjamin sein kitzelndes, vom schmeichelnden Winde liebkostes Haupt, schaute geschätzte fünfzehn Meter in die Tiefe, auf die Oberfläche eines breiten, grauen Streifens. Darauf tanzend etliche Menschen, die vom sechsten Stock aus betrachtet – in diesem befand sich ja Shoheis Apartment – eher dünnen Strichen ähnelten und nicht wirklich ihrer wahren Statur. Verschiedenfarbig gekleidet schwebten sie entlang des Parcours, fokussiert auf eine rasche Ankunft am angesteuerten Ziel , ohne von sonstigen Passanten aus der Bahn geworfen oder belästigt zu werden, ohne die Intention, in einer Notlage zu helfen. Es schickte sich nicht, in fremden Angelegenheiten zu schnüffeln, erst recht nicht, steigerte man durch sein Verhalten das Eigenrisiko, zukünftig häufiger in unangenehme Involvierungen zu geraten.
    Das durfte unter keinen Umständen geschehen, nicht für Durchschnitssbürger, dessen war sich Benjamin sicher bewusst und ebenfalls war es fest in den Köpfen der Menschen verankert. Der einzige Unterschied bestand darin, dass Benjamin berechtigte Gründe kannte, sich unauffällig zu verhalten. Denn wer Aufruhr und öffentliches Ärgernis verursachte, dem rückte die Regierung bald zu Leibe. Sie gestattete keine Aufstände fernab ihres Wissens, das innerhalb ihrer Kreise organisiert zu haben, damit es die Einwohner gelenkt beeinflusste. Völlige Gleichheit unter Individuen, der sich die Menschen bedenkenlos fügten, harrten sie ja in dem Glauben, es brächte nur Vorteile für sie, schweißte sie zu einer starken, vereinten Nation zusammen, Ungerechtigkeit existierte nicht länger und die Arenaleiter agierten zum Wohle der Allgemeinheit. Ungefähr so gestaltete sich die Medienpropaganda in TV und Radio. Und wer dem Widerstand leistete, sich weigerte, den Profit der Politiker zu vermehren, den entfernten sie kurzerhand. Komplett und unwiderruflich.
    Benjamin hatte oft beobachtet, dass in schwarz gehüllte Beamte Leuten einen Besuch abstatteten und ihnen Vermisstentum vorgaukelten, dass sie nach dem vermeintlich lediglich Verschwundenen fahndeten, aber noch nicht fündig geworden wären.
    Allerdings vernichteten sie, während sie den Verzweifelten vollkommene Lügen auftischten, wohl sämtliche Akten und Lebensbeweise des Opfers ihrer diktatorischen Versessenheit, so vermutete Benjamin. Niemand vermochte weiterhin die Geburt des vermeintlich Geflohenen zu belegen, jegliche Indizien, welche auf ein früheres Dasein seiner- oder ihrerseits verwiesen, wurden beiseite geräumt, bis sogar die Angehörigen ihr Erinnerungsvermögen verwarfen und den Anzugträgern blind vertrauten. Wenn er Shohei davon berichtete, ebenso von seiner eigenen außergewöhnlichen Kraft… würde er Benjamin verraten? Würde er ihm das überhaupt abkaufen und ihn nicht für verrückt erklären?
    „Wieso muss ich denn mit dir kommen?“, warf Benjamin leicht verstimmt ein. „Normalerweise lässt du mich immer allein, wenn du arbeiten musst…“ Nicht unbedingt die angenehmere Alternative, doch so sank das Risiko, dass Shohei von Benjamins Eigenverletzungen erfuhr und tiefer in dessen Angelegenheiten gezogen wurde, er Shohei zusätzliche Sorgen bereitete. Benjamin wandte sein Augenmerk nicht auf seinen Gesprächspartner, vielmehr bevorzugte es Benjamin, in die Häuserschlucht gezogen zu werden, die Arme flach auf dem Stahlgestell vor ihm platziert. Fünfzehn Meter… eine beachtliche Höhe, das musste er zugeben, und stürzte man sich von hier aus haltlos hinab…
    Instinktiv verlagerte Benjamin sein Gewicht auf seine Zehenspitzen, sein schwarzes Shirt verrutschte ein wenig, als er sich weiter vorbeugte, aber ehe seine Position ihm erlaubte, dem Tode direkt in seine Fratze zu schauen, legte sich eine besitzergreifende Hand auf seine Schulter und drückte ihn zurück auf die Fersen seiner Füße.
    „Zunächst einmal reicht mein Vorrat an Kleidung nicht ewig für uns beide, und das zur gleichen Zeit. Und außerdem“, dabei drehte Shohei sein inzwischen von Ernst geprägtes Antlitz Benjamin zu und widmete ihm intensiven Blickkontakt. „Kann ich nicht auf dich aufpassen, wenn ich mich außer Haus aufhalte. Wozu das führt…“ Kurz schenkte er dem Abgrund neben sich seine Aufmerksamkeit. „Siehst du ja.“ In seiner Geste erlaubte er Benjamin, eine ganze Weile die Tore seiner Seele bis in ihr Innerstes zu erforschen und vielleicht zusätzliche Charaktereigenschaften an Shohei zu entdecken, welche ihm bisher verwehrt worden waren. Neugierig huschten Benjamins Pupillen umher, bemüht, die wortkargen Kundgebungen in den Gräben des Rubinrots zu erhaschen und von all den Sorgen und Ängsten zu filtern, in die Shohei seine Persönlichkeit wob. Benjamin verlor sich beinahe in den unendlichen Tiefen Shoheis Seelenspiegel, so sehr fesselten sie ihn, sich daran stören, das tat er jedoch keineswegs. Es vermittelte ihm ein angenehmes Gefühl von Geborgenheit, so von jemandem eingenommen zu werden, obgleich vermutlich eher unbewusst und unbeabsichtigt. „Am Ende heißt es noch, ich habe dich gestoßen oder sonst was hier mit dir angestellt. Immerhin weiß ja nicht mal mein Vermieter, dass ich dich hier habe, sonst würde er noch mehr Miete von mir verlangen.“
    Natürlich flammte in Shohei nach wie vor der Hass, seiner Beziehung ein voreiliges, schmerzhaftes Ende beschert zu haben, jedoch glaubte Benjamin, mittlerweile einen Hauch von Vergebung bei Shohei zu spüren. Er reagierte nicht mehr so harsch und abweisend, sofern Benjamin ihn aus Nichtwissen etwas fragte oder eine Bemerkung voller Willkür entgegnete, um die meist erbarmungslose Stille zu brechen
    Endlich schien er Benjamin verziehen zu haben, oder zumindest in Ansätzen. Seit der Nacht, in der er auf Shoheis Rückkehr gewartet hatte, trotz der strengen Anweisung, es nicht zu tun, fühlte sich der Umgang miteinander weitaus rücksichtsvoller an, bedachter darauf, den anderen mit seinen Worten nicht zu kränken, ungezwungener und vor allem… vertrauter als vorher. „Und nebenbei bemerkt…“ Shohei begab sich langsam auf den Weg zurück in die heimischen vier Wände, wobei die Spitzen seiner pechschwarzen Strähnen sein nunmehr leuchtendes, leicht gebräuntes Antlitz umgarnten. Sie erhoben sich sanft im Wiegen der milden Sommerbrise. „Besitze ich nicht ausreichend Geld für einen Grabstein.“
    Mit diesen Worten ließ der Benjamin einsam auf dem beinahe leeren Balkon zurück. Lediglich zwei Klappliegestühle samt einem kleinen Holztisch leisteten ihm in seinem Denken Gesellschaft, nicht einmal Blumen hingen in den dafür vorgesehenen Plastikbehältern. Wahrscheinlich symbolisierten sie für Shohei keinerlei Wichtigkeit, oder er versäumte es schlichtweg, sie regelmäßig mit Wasser zu versorgen, so schloss Benjamin.
    „Einen… Grabstein?“, murmelte er ungläubig vor sich hin und spähte seinem verschwundenen Gegenüber nach. Gleichzeitig allerdings breitete sich in seinem dagegen wehrlosen Leib eine Art Wärme aus, die unter keinen Umständen von der Sonne herrührte, dessen war er sich vollends lieber. Ein Grabstein… ein schwächeres Denkmal, das ehemaliges Existieren bezeugte; ein Ort der Trauer und der Besinnung auf einstige Zeiten. Shohei wollte ihn… vor Vergessenheit bewahren? Wollte sich an ihn erinnern?
    Von Fassungslosigkeit überwältigt war Benjamin nicht in der Lage, seine gelähmten Gliedmaßen zu ihrem Dienste zu verleiten. Ein stetig an Intensität gewinnendes Kribbeln kroch unter seiner Haut entlang, versetzte seine unzähligen Poren in wohlige Ekstase, sodass die feinen Härchen an seinen Armen sich aufrichteten und vervielfachte das Schlagen seines Herzens in ihm. Er kannte diese unbenennbare Emotion zu wenig, als dass er eindeutige Wertungen hätte treffen können; als dass er exakt hätte definieren können, was da von seinem Körper, ja sogar von seiner Seele Besitz ergriff.



    ***



    Oft hatte seine Mutter ihn mit zum Einkaufen geschleppt. Und ebenso oft hatte Shohei stur dagegen protestiert, mit seiner weiblichen Erzeugerin eben jenen Läden einen Besuch abzustatten, in denen höchstwahrscheinlich ein Großteil der anderen Jungen seines Jahrganges lauerten, mit dem Finger auf ihn zu zeigen und ihren eigenen Begleitern Spott zuzuflüstern, da es ihnen vergönnt war, zu Seiten ihres jeweiligen Vaters derartigen Tätigkeiten zu frönen. Shohei hatte nie herausgefunden, ob seine Mutter seinem Vater zu sehr misstraute, als dass sie die beiden Männer – oder zumindest einen Mann samt Jüngling im Schlepptau – allein und ohne ihre Wacht auf Kleidersuche schickte. Vielleicht besaß sein Vater keinen guten, ordentlichen Geschmack oder er dachte eher praktisch als trendorientiert, oder aber er legte zu wenig Wert auf den manchmal wirklich unanständig teuren Preis der Ware. Mit dem Verstand eines Mannes dachte es sich bekanntlich anders als mit dem des weiblichen Geschlechts und deshalb konnte der junge Erwachsene sich gut vorstellen, dass das seine Mutter nach wie vor abschreckte, sie diese Bürde deshalb lieber selbst trug, anstatt hart verdientes Geld doppelt an das Einkaufszentrum zu verlieren.
    Im Nachhinein betrachtete Shohei seinen früheren Widerwillen als Zeichen der Zuneigung, hatte das alles doch die Zeit umfasst, in der er sich sicher und geborgen bei seiner Mutter gefühlt hatte. Im Laufe der Jahre war das Vertrauen in, sowie der Rückhalt bei ihr stetig gesunken, bis man sich nur noch anschrie und sich möglichst aus dem Weg ging, um Eskalationen zu vermeiden. Längst kommunizierte er mit ihr nicht mehr auf derselben Wellenlänge, fühlte sich unterschätzt, vor den Kopf gestoßen, lediglich als ein Objekt. Sie verletzte ihn, also sann er darauf, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, was eine erwachsene Frau sich natürlich nicht von einem Halbwüchsigen bieten ließ. Wie früher stieß der künstliche, farblastige Geruch neuer Anziehsachen in sein Denken, erinnerte ihn an niemals wiederkehrende Zeiten, welche seiner Meinung nach nicht so hätten enden dürfen. Nicht so abrupt.
    „Und? Gefällt dir mein Geschmack?“, erkundigte Shohei sich bemüht dezent, damit er Benjamin nicht in Verlegenheit brachte, also das, was Eltern normalerweise in der Regel beim Betreten eines Ladens taten. Lässig lehnte der Ältere gegen die akkurat weiß gestrichene Wand neben den Umkleiden, in der direkt neben ihm befand sich Benjamin, der seit geschätzt einer halben Stunde Hosen und Shirts auf Shoheis Anweisung hin anprobierte, welche einigermaßen seinem Stil entsprachen. Shohei störte die immense Zeitspanne keineswegs, in der Hinsicht hatte Geneviève mit ihren zahlreichen Shopping-Trips ausreichend vorgesorgt. Geduldig harrte er an der äußeren Seite des Vorhangs, wartete, dass sein Mitbewohner ihm eine weitere, persönliche Kollektion präsentierte.
    „Ja, bequem ist es auch… doch mit dem Shirt zusammen…“, drangen die Zweifel Benjamins aus der Kabine. Hinter der weinroten Gardine raschelte es leise. „Soll ich…“
    „Zier dich nicht so wie ein sechsjähriges Mädchen. Ich werde bei deinem Anblick kaum tot umfallen.“ Shohei hatte es sich angewöhnt, Benjamin bei fast jeder Gelegenheit zu necken. Es schuf nicht bloß eine lockere Atmosphäre, sondern förderte außerdem das gegenseitige Verständnis. Man lernte, die Reaktionen des Gesprächspartners besser zu deuten und daraus Rückschlüsse auf Verhalten, sowie das momentane Befinden zu ziehen, erfuhr Stück für Stück, wie und woraus der andere gestrickt war, was er an Kommentaren zu ertragen vermochte und wo man in etwa das absolute Limit erreichte. Unwillkürlich fragte sich Shohei, ob genau das zwischen ihm und Geneviève gefehlt hatte, ob solche Sticheleien ihrer Beziehung mehr Würze verliehen und sie weiterhin gehalten hätte. Doch ehe er erneut in Liebeskummer verfallen konnte, trat Benjamin nörgelnd aus dem Schutze des Stoffes, hinaus in das Sichtfeld seines mittlerweile dauerhaften Vermieters, und musste sich prompt einem unterdrückten Lachen zur Wehr setzen. Etwas, das bei Shohei eigentlich zu den Kelleraktivtäten gehörte.
    „Das war dann wohl keine so gute Wahl“, gluckste Shohei amüsiert. „Auf allen Vieren und mit Ohren auf dem Kopf würdest du als Floink durchgehen.“ Er wandte sich bereits von Benjamin ab, hin zu einer langen Reihe von an Bügeln hängenden Jacken, um seinen Schützling nicht ganz so schamlos auszulachen. Zudem presste er den Handrücken auf seine Lippen, die Geräusche, die sich aus seiner Kehle verabschiedeten, sollten keine allzu große Lautstärke in sich tragen. Vorwurfsvoll schaute Benjamin ihn an.
    „Haha, sehr lustig. Wer hat mir denn bitte das Shirt ausgesucht?“ Eine schwarze Cargo-Hose zierte die volle Länger seiner Beine, etwa beim Knieabsatz hatte man kleine Taschen für beispielsweise ein Handy oder kurzerhand benötigtes Kleingeld angenäht, falls die vorderen Tasche auf Höhe der Taolle nicht genügten. Sonderlich mehr verbarg die Hose allein nicht, so geschnitten, am Hüftknochen zu sitzen und bevorzugt ebenfalls während der Benutzung dort zu verweilen. An seinem Oberkörper leuchtete ein T-Shirt der Farbe Orange, frei von jeglicher Beschriftung und jeglichen Aufdrucken. Zusammen allerdings resultierten die Kleidungsstücke in einem Kontrast, der sich fernab des üblichen Beißens oder Stechens definierte, so viel Widerwille wohnte den Farbkomponenten bei zu harmonieren. Lieber gedachten sie, sich schnellstmöglich voneinander zu entfernen. „Könntest du mir jetzt bitte ein Neues holen?“
    Keine zehn Sekunden später umschlossen Shoheis Finger bereits den orangelichen Stoff. Benjamin hatte sich das Shirt ohne Umschweife ausgezogen, war erneut in seinem Umkleidereich verschwunden und wartete auf ein augenfreundlicheres Oberteil. Shohei fädelte sich derweil entlang der langen Kleiderständerreihen des im Gegensatz zum Rest der Mall verhältnismäßig winzigen Geschäfts.
    Rechts und links an den mit schwarzen Platten beschichteten Wänden des knappen Raumes prangte je ein mehrlagiges Holzregal mit diversen Einzelparteien. Darin befanden sich unterschiedliche Artikel, einige Kästen bargen Kappis oder auch edlere Hüte, in anderen warben Strickjacken und Sweatshirts um die Gunst der potenziellen Käufer, und in wieder anderen lagen gefaltete Jeans nebst bunten Stoffhosen jener Sorte, wie sie die Jugendlichen zur Zeit häufig ihren Mitmenschen vorführten. Naja, diejenigen, die keinen einzigen Modetrend verpassten und fast alles mitmachten, der Coolness innerhalb ihrer Clique zuliebe. Shohei hatte sich dem nie angeschlossen, ehrte und respektierte er immerhin als Einer von Wenigen der heutigen Generation die Individualität einer Kreatur. Beinahe ein Wunder, dass er eine schwarze Stoffhose in dem Gewusel aus Beliebtheit und frühreifem Prestige entdeckt hatte.
    Im hintersten Abschnitt, des mit Stoff vollgestopften Zimmers, reihten sich vier identische Umkleidekabinen aneinander, allesamt mittels künstlicher, grauer Wände voneinander abgegrenzt, ein weinroter Vorhang versiegelte sie endgültig vor den Augen fremder Leute, zwischen denen weite Spiegel das grelle, heiße Licht reflektierten. Ansonsten verfügte man hier nicht über viel Freiraum, so auch Shohei nicht, bewegte man sich ausschließlich in den Engen der Bügelhalterungen. An ihnen trotzten immense Mengen an Shirts und Jacken der Schwerkraft, baumelten an dürren Eisen- oder Plastikgerüsten, um besser verschoben und , sofern sie gefielen, einfacher zur Umkleide transportiert werden zu können. Neben dem Eingang war eine Art Theke platziert worden, sie diente als Verkaufstresen samt elektronischem Kassensystem und weiteren Angeboten darauf. Dazu gehörten eine Schale mit etlichen Armbändern, eine Stehvorrichtung mit Geldbörsen und Portemonnaies, sowie eine Auslage variierender Halsketten.
    Rechts davon bot ein Schaufenster einen offenen Ausblick auf die für Passanten erwerbbaren Marken des Ladens, Schaufensterpuppen posierten in den ausgefallensten Stellungen für die Öffentlichkeit, fungierten als neutrale Modelle, die weder Gage, noch Versicherungen verlangten. Shohei belächelte sie im permanenten Dröhnen des Basses, während er versuchte, inmitten des Kleiderchaos eine zu Benjamin passende Farbe zu finden. Forschend glitten seine Finger über die angehefteten Etiketten, ohne dass seine Augen Preise oder Größenangaben wirklich registrierten. Sie huschten lediglich auf den Aufklebern umher, wollten den Eindruck der Arbeit vermitteln, obwohl seine Gedanken in völlig anderen Gefilden spukten. Zwar hatte er es vor Benjamin zu verbergen versucht, doch der schien trotzdem zu ahnen, dass und wie sehr Shohei die Angelegenheit mit Geneviève und dementsprechend mit den Dealern belastete. Dabei hatte er so enormen Aufwand betrieben, seine Drogenprobleme vor ihm zu verstecken, ihn nicht in diese Gefahr zu involvieren, ein Vorbild zu verkörpern, einen Mentor, dem man Vertrauen schenkte und sich an ihm orientierte. Das exakte Gegenteil war eingetreten. Man hatte ihn in einem Zustand der vollendeten Verstörtheit erwischt, gefüllt mit Handlungen, an die er sich nicht im Entferntesten erinnerte; begleitet von Worten, deren Sinn sich nicht mehr für ihn erschloss, und der Junge, den Shohei als Erwachsener im Grunde zu schützen verpflichtet war, bewahrte ihn vor dem endgültigen Tode.
    Abwesend hielt er inne und richtete seine Aufmerksamkeit auf seine verarzteten Hände. Seit dem Gerangel vor ein paar Tagen zierten weiße Verbände seine Handflächen und –rücken, hatte er ja geradezu heldenhaft einen Brand in seinem Apartment vermieden, indem seine Finger mutig den Flammen Benjamins begegnet waren. Ein Reflex hatte seine Gliedmaßen gelenkt, nichtsdestotrotz war ihm jene Geste nicht geheuer. Nein, eher symbolisierte der Urheber der züngelnden Hitze das Mysterium. Pure Wärme hatte seine Hände versengt, obwohl er darunter, auf Benjamins Haut, einzig und allein Kälte gespürt hatte, eine Temperatur tiefster Gleichgültigkeit. Wieso solch ein starker Kontrast? Und das Phänomen, sich einer Naturgewalt zu bemächtigen… er kannte es, zweifellos.
    Ein eisiger Schauer kroch lähmend seinen Rücken hinab, sobald die Erkenntnis des Offensichtlichen folgte und eine furchtbare Ahnung in seiner Vernunft ihre Wurzeln schlug, sein rationales Denken anzapfte. Augenblicklich wandelte sich seine bisherige Freude zu Sorge und Unbehagen, einem Frohsinn verschlingendem Wesen, welches schmerzhaft dominant Shoheis Vorhaben vereitelte, diese Möglichkeit zu verdrängen. Gleich zwei im Laufe so weniger Jahre, das war zu verrückt und verdammt abwegig.
    Sein schlagendes Herz nahm eine ungewöhnlich starke Schwere an und schien Blei in seinen Adern zu verteilen, als er seine Eingebungen fortsetzte. In seiner Verfassung stellte das eine plausible Erklärung für Benjamins Misere dar, deutete Shoheis Verstand an. Sein Mitbewohner wusste nicht mit seiner Macht zu händeln, aber… hätte er es ihm nicht anvertraut….?
    „Shohei, wo bleibst du denn?“, riss eine allmählich genervte Stimme Shohei aus seinen leicht verzweifelnden Lösungsansätzen für all die Fragen, die sich plötzlich bezüglich seines Mitbewohners in seinen Kopf stahlen. Sein Magen verkrampfte sich leicht, als ihm bewusst wurde, dass er die Sache nicht weiterhin unangesprochen lassen durfte. Nicht, wenn er Benjamin ohne Ausnahme vor sonstigen Bedrohungen bewahren wollte – und das tat er. Immerhin begleiteten einen gewollten Suizid eine sehr arge Vergangenheit, der man zu entkommen gedachte, und eine noch beängstigenderer erscheinende Zukunft, welche man unter keinen Umständen tolerierte. Da verziehe Shohei es sich im Leben nicht, sollte seinem Schützling nach all den Strapazen auf dem Weg der vermeintlichen Besserung etwas zustoßen oder er ihn möglicherweise bei einem wiederholten Selbstmordansatz verlieren sollte. Shohei erachtete ein Gespräch hinsichtlich Benjamins Verhalten als dringend erforderlich, nur befürchtete er ihn unglücklicherweise als den am meisten dabei Leidenden und das erschwerte es für ihn erheblich. Bedauern und die Fürsorge in ihm wehrten sich, letztlich aber siegte die Notwendigkeit, ein Hauch von Neugier schwang mit.
    „Benjamin, kann ich dich mal etwas fragen?“, zwang Shohei sich nach einer Weile des beidseitigen Schweigens zu sagen, ein anderes Shirt hatte er noch immer nicht ausgesucht. Insgeheim flehte er, der Gemeinte verschloss sich vor einer Antwort, schlichtweg um dem Unangenehmen vorzubeugen. Das Pech begünstigte ihn.
    „Ob du das kannst, weiß ich nicht“, entgegnete Benjamin spöttisch. „Dürfen tust du.“ Je länger sie so redeten, desto mehr wünschte Shohei, er hätte sich einen anderen Moment ausgesucht. Um ehrlich zu sein genoss er es nach allen Maßstäben, so vorwurfsfreie Konversationen zu führen, ohne Spannungen, ohne Konflikte, und jetzt begann er wieder mit einem Vorfall, von dem ihm bekannt war, dass es Benjamin einige Überwindung kostete, sich daran zu erinnern. Allgemein beschlich Shohei mittlerweile Sicherheit bezüglich Benjamins Abneigung, ihm seine Vergangenheit mitzuteilen, und er fand dies recht schade. Gut, er selbst hatte den Teenager zunächst verleugnet, was ihm nach wie vor ein schlechtes Gewissen bereitete, doch nachdem sein Mitbewohner so stark in Shoheis prinzipiell private Welt geschlittert war, noch dazu unfreiwillig, dürfte man da theoretisch nicht auf Gegenseitigkeit plädieren?
    „Ich möchte bloß von dir wissen…“ Eine kurze Atempause, dann fasste Shohei sich ein Herz, schritt zu Benjamins Kabine zurück und lehnte sich erneut gegen die dort befindliche Wand. „Dein stechendes Herz…. Das Feuer in deinen Händen… Du hast solche Qualen erlitten und bist trotzdem am Rande der Ohnmacht auf meine Angreifer losgegangen. Warum? Warum hast du deinen Körper zu Bewegungen, gar zum Kampf gezwungen? Für jemanden, der an den Konsequenzen selbst Schuld ist?“ Shohei senkte nach und nach seine Stimme, sodass Benjamin ihn just verstand, andere Anwesende jedoch nur wirres Gemurmel im Echo der lauten Musik.
    Beinahe zwei Minuten verharrten die Beiden schweigend, getrennt durch einen simplen Vorhang, in denen jede Sekunde Shohei seine Kehle zuschnürte, ihm die Atemluft raubte und drohte, ihm im nächsten Schritt ebenso die Sprache zu stehlen. Zweifel scholten seine Naivität, Benjamins Glückseligkeit bliebe erhalten, oder es gelänge ihm, sofort auf eine so emotionale Frage zu reagieren, und pure Enttäuschung bereitete sich ähnlich einem Schwall an dunkelster Schwärze in ihm aus. Es stimmte Shohei traurig, vielleicht für unbestimmte Zeit ein Lächeln zerstört zu haben, dem Seltenheit und Einzigartigkeit innewohnten, wo er sich doch lächerlicherweise geschworen hatte, dieses erst zu Tage zu fördern.
    Der Dolch des Schuldbewusstseins langte nach dem Blut seines Herzens, je länger Worte fehlten, bis er beschloss, sein Vorhaben abzubrechen. Er hielt den Gedanken nicht aus, seinen Gegenüber aufs Schmerzlichste verunsichert, gar erschreckt zu haben. „Du musst nicht unbedingt –“
    „Weil du es bist“, antwortete Benjamin schließlich und Shohei meinte, ein höhnendes Lachen zu hören. Er stutzte. „Hast du nicht damals dasselbe getan? Du hättest mich dort verbluten lassen, deine Geliebte besuchen können. Stattdessen hast du dein persönliches Befinden in den Hintergrund geschoben und mich gerettet. Einen Fremden, dem nichts an seiner Existenz etwas bedeutete. Shohei, das war selbstverständlich.“
    Diesmal war es Shohei, der sich nicht auszudrücken wusste. Also bestand doch eine Art Wechselseitigkeit zwischen ihnen, eine ihm bisher ungeahnte, und die Bürde auf seiner Seele verschwand, teils zumindest. Nie hätte er eine solche Aussage erwartet, erst recht nicht von Benjamin, der personifizierten Schüchternheit, der Todessehnsucht in Gestalt. Doch noch inbrünstiger empfand er die Sorge, das Bedingungslose, das darin lag. Außer Geneviève hatte sich keiner darum geschert, was mit ihm geschah, gehörte er immerhin den Erwachsenen an und musste seine Probleme selbst regeln. Benjamin hingegen war trotz eigener Angeschlagenheit für ihn zum Angriff bereit gewesen; trotz des abweisenden Verhaltens von Shohei an den Tagen zuvor; trotz all der psychischen und physischen Pein. Und Shohei fing an zu begreifen, was er mit Benjamins Rettung bei diesem ausgelöst hatte. „Wir sind quitt. Jedenfalls in der Hinsicht.“
    „So musst du nicht denken“, erinnerte er den Teenager mahnend. „Ich wollte dich nicht durch Schuld an mich binden, keineswegs. Aber…“ Shohei stockte und überlegte, ob er zusätzlich die Flammen aufgreifen sollte, entschied sich allerdings dagegen. „Sagen wir, ich sehe es als Pflicht, Schwächeren zu helfen.“
    „Du… hältst mich für schwach?“, tönte es nun entmutigt aus der Umkleide. Shohei hätte sich am liebsten für seine gottverdammte Blödheit getreten. Rasch erwog er Alternativen, das Gespräch wieder in richtige Bahnen zu lenken und sein Puls beschleunigte sich auf der Suche nach passenden Worten. Und im Nachhinein wunderte er sich über seine eigene Einfühlsamkeit, hatte er sie in letzter Zeit weitaus zu selten gebraucht.
    „Schwach ist nicht gleich hilflos“, begründete er seine Rechtfertigung. „Es bedeutet auch Sensibilität, Vorsicht, Beobachtung, und vor allem neigen ‘Schwächere‘ dazu, in Extremsituationen über sich hinaus zu wachsen. Sie hüten ein verborgenes Lächeln unter ihrer alles abwehrenden Maske.“
    Eine Weile erklang keine einzige Silbe zwischen ihnen. Ausschließlich der hämmernde Beat steuerte seinen Teil zur Geräuschkulisse bei, und Shohei bemerkte kleinere Jungen im Laden, wie sie begeistert mit ihren Vätern an den Regalen standen und unterschiedliche Kleidung inspizierten. Und obwohl Shohei vermutete, dass sein Mitbewohner ebenfalls im Elternhause mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt haben musste, wusste er doch prinzipiell nichts über seine Zeit in Isshu, seiner Heimatregion. Hatte Benjamin je diese Erfahrung gemacht? War er ein einziges Mal mit seinem Vater einkaufen gewesen?
    „Lässt sich solch eine Maske brechen?“ Shohei ließ sich die Frage durch den Kopf gehen, verinnerlichte und begutachtete die von allen Seiten. Ein angedeutetes Lächeln zierte seine Lippen, als Benjamin in seinen – oder vielmehr Shoheis – alten Anziehsachen den Vorhang beiseite zog und aus der Kabine trat. Fragend und gleichsam etwas deprimiert schaute er den Älteren an, ohne dass dieser den Blickkontakt erwiderte.
    „Das liegt allein in deiner Hand.“



    ***


    Nun begriff Benjamin, weshalb Shohei so vehement auf einem kleinen Einkaufstrip beharrt hatte.
    Sie betraten einen großen, dunklen Raum, in dem lediglich verschieden farbene Scheinwerfer, die hektisch hin und her schwenkten, ein begrenztes Maß an Helligkeit spendeten. Scheinbar unkontrolliert schleuderten sie die kleinen Lichtpartikel von sich, hinein in die Weite des verwinkelten, teils unüberschaubaren Areals. Dunkle Platten, aus welchem Material, das wusste Benjamin nicht, ummantelten die Wände der edlen Diskothek. Obere Flure, wie es in anderen Partyörtlichkeiten normalerweise der Fall war, existierten nicht, alles befand sich prinzipiell auf einer Ebene, was Benjamin ohnehin schon als weitaus zu übertrieben erachtete. Die Tanzfläche schien laut seiner Einschätzung nahezu überall zu sein, hatte man lediglich am Rande Sitzmöglichkeiten, sowie einige Tische platziert. Gräulich schimmerten die gepolsterten Bänke im wechselnden Licht, futuristisch und blockartig gestaltet, auf denen man sich zum Trinken oder Ausruhen niederlassen konnte, und er entdeckte, dass jene Areale nicht mit Fliesen, sondern mit hellem Parkett ausgelegt waren, die sich einige Zentimeter vom restlichen Boden erhoben. Etwas abseits von alledem die Bar, Shoheis Arbeitsplatz, eingearbeitet in einen Teil der Wand, an den er sich ebenso unvermittelt begab, während Benjamin weiterhin die Räumlichkeit mit sowohl Faszination, als auch anfänglichem Unbehagen bestaunte. Er fühlte sich fehl am Platze.
    Allmählich trudelten mehr und mehr feierlustige Gäste ein, natürlich allesamt entsprechend chic gekleidet, um in den nächsten Stunden ihr wirkliches, eintöniges Leben zu vergessen und in eine Welt des Alkohols und anderweitigen Amüsements einzutauchen. Für Benjamin war dergleichen nie das Wahre gewesen, er hasste Menschenmassen, allein aufgrund der Gewissheit, für sie alle eine ernsthafte Bedrohung darzustellen, zumal er ohnehin Abgeschiedenheit bevorzugte, Einsamkeit, denn dann gehörte er sich allein. Niemand schaute ihn argwöhnisch an, keiner verdeutlichte seine Erwartungen, gar Forderungen an ihn, niemand außer der Finsternis versorgte seine Wunden, bekam sie sonst zu Gesicht. In solch einer Horde von denkenden Wesen hingegen beobachtete man ihn fortlaufend, verhöhnte jede noch so schwache Geste, studierte genauestens sein Verhalten, als stünde er unter ärztlicher Quarantäne. Und er fürchtete Ärzte sogar noch mehr als seine eigene Persönlichkeit.
    „Wie hast du diesen Job bekommen?“, fragte Benjamin schließlich, aufgrund der im Hintergrund spielenden Musik etwas lauter, setzte sich auf einen der gepolsterten Barhocker. Im Grunde handelte es sich dabei lediglich um einen gefütterten, glatten Stoffüberzug am Stiel. Mit den Armen stützte er sich an der oben hölzernen Theke ab. Schon jetzt verursachten ihm die Bässe Kopfschmerzen, und er wünschte sich zu einem gemütlichen Abend zurück in Shoheis Apartment.
    „Der Vater meines besten Freundes kannte da einige Leute“, erklärte Shohei mit kräftiger Stimme, und Benjamin nickte. Interessiert betrachtete er all die bunten Spirituosen hinter Shohei im Regal, identifizierte verschiedenste Sorten allein an Wodka, etliche Cocktailzusätze in den beeindruckendsten Farben, welche er noch nie zu Gesicht bekommen hatte, unterschiedlichste Alkoholika in den ausgefallensten Flaschen, natürlich extra mit normalen Glühbirnen in Szene gesetzt. Es reizte Benjamin in der Tat, einige davon zu probieren, doch da er das einundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, und Shohei gewissermaßen für ihn die Verantwortung trug… Er seufzte. So viel, dass er von all dem hier nichts mehr mitbekam, könnte er gar nicht trinken.
    „Wie lange musst du denn hier arbeiten, Shohei?“ Missmutig schaute Benjamin zu, wie Shohei sich eine schwarze Fliege zu seinem blütenweißen Hemd umband, seiner ‘Uniform‘ den letzten Schliff verlieh. Außer seinem Hemd komplett von schwarz begleitet, sogar seine Haare beinhalteten diese Komponente, weshalb speziell Shoheis rote Augen heraus stachen. Leider wirkten sie Benjamins Einschätzung nach heute ein wenig matt. Er bevorzugte Glanz darin.
    „Bis zwei Uhr geht meine Schicht“, erwiderte Shohei routiniert. Er begann, den Tresen neben Benjamin mit einem feuchten Lappen zu wischen. „Du wirst es überleben. Warum mischt du dich nicht unter die Gäste? Tanz, amüsier dich. Du bist zwar kein Schnösel, aber das weiß ja keiner.“ Shohei zwinkerte ihm aufmunternd zu, jetzt war es dem Jüngeren noch peinlicher, sich irgendwie von der Stelle zu rühren; jetzt, da er wusste, dass auch Shohei seine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, sobald jemand ihn ansprach oder er etwas dem Tanzen Ähnliches vollführte. Benjamin kannte davon nichts, wie sollte er von einer Sekunde auf die nächste eine Konversation mit Fremden anfangen, geschweige denn Rhythmik beweisen? Warum ließ Shohei ihn so hilflos in der Schwebe kreisen? Der hatte ihn immerhin quasi dazu genötigt, ihn zu seiner Arbeit zu begleiten, obwohl Benjamin das prinzipiell zuwider gewesen war, also sollte er ihn gefälligst beschäftigen.
    Benjamin hörte das Kichern zweier Mädchen neben sich, denen Shohei gerade Cocktails servierte, und staunte nicht schlecht, als er Shohei lächeln sah. In seiner Gegenwart tat Shohei das kaum, fast nie. Sofort spürte Benjamin das Erwachen einer Kreatur in seinem Inneren, deren Einfluss er keinesfalls erliegen wollte, es jedoch nicht vermochte, sich zu wehren. Ihre kräftigen Pranken zerrissen die Flanken seiner Vernunft, weideten sie aus und begaben sich selbst an die Stelle von dieser, auf dass Benjamins Gedanken fortan von ihren dämonischen Ausgeburten geleitet würden. Verschärft ergriff die Bestie von ihm Besitz, drängte ihn in die Dunkelheit der Erkenntnis, es nicht zu schaffen, ihr zu entfliehen. Das gesamte Konstrukt seiner Erlebnisse mit Shohei zerbarst in seinem Kopf, er hatte tatsächlich geglaubt, Shohei wäre ihm mittlerweile wohl gesonnen – eine lächerliche Illusion. Wie war er darauf bloß gekommen? Er hatte Shoheis Geliebte einzig mit seinem Erscheinen, seiner Präsenz verjagt, und verlangte prompt Vergebung. Naiver konnte man wirklich nicht sein. Deshalb würde Shohei auch niemals für ihn so glücklich lächeln, nur, weil er mit ihm redete. Shohei würde ihm nur vorgaukeln, zufrieden zu sein, nicht mehr wütend auf ihn wegen Geneviève, es ihm verziehen zu haben, von Wahrheit oder Ehrlichkeit keine Spur. Jedoch verdiente er es nicht anders, so schloss Benjamin. Das Einzige, was er verdiente, waren Vergeltung und Zurückweisung. Alles andere wäre zu gütig. Unangebracht. Inakzeptabel für ihn.
    Ernüchtert wandte er seinem Vermieter den Rücken zu, bettete seinen schweren Kopf auf seine auf der Theke verschränkten Arme, fixierte die Unendlichkeit des schwarz lackierten Holzes. Immer tiefer sank seine Seele in das bittere Gift, das sich Selbstverachtung nannte; zunehmend schmerzhafter gestaltete sich die Bürde seines Daseins, raubte ihm den Atem und ebenso den Sprössling der Hoffnung, den Shohei ihm eingepflanzt hatte. Er verwelkte kümmerlich, einfach so, und hinterließ nichts als gähnende Leere in ihm, das Gefühl, welches er so unglaublich fürchtete. Oder eben das Fehlen jener Emotionen. Er war Shohei sowieso nur eine Last, lebte auf seine Kosten, darum musste Shohei neuerdings so häufig arbeiten und weilte selten in Ruhe Zuhause.
    Wieder einmal bemächtigte sich das Stechen seiner Brust, hätte Benjamin mit seiner Intensität unter normalen Umständen in die Knie gezwungen, allerdings begrüßte er dieses Phänomen nun recht herzlich. Man sühnte seine Existenz bereits automatisch, sehr schön. Er müsste sich keine dreiste Ausrede suchen, dermaßen lang an einen abgelegenen Ort verschwunden zu sein. Er könnte sich allein durch seine Gedanken strafen, ohne dass es jemand merkte. Und er vermied ein schlechtes Gewissen, Shohei angelogen zu haben.




    ***



    Besorgt linste Shohei ein weites Mal zu Benjamin.
    In den letzten Stunden hatte dieser sich nicht von seinem Sitzplatz bewegt, träumte vor sich hin und nippte ab und zu an dem Glas Cola, das Shohei ihm spendiert hatte, um ihn wach zu halten. Trotz der wechselnden, trickreichen Beleuchtung sah er das Funkeln in Benjamins braunen Seelenspiegeln, ahnte, welch immense Vorwürfe er sich wieder einredete, wahrscheinlich wegen Geneviève. Er kannte Benjamins verzweifeltes Lächeln inzwischen zu gut, als dass es ihm nicht gelänge, seine Gedanken zu deuten, und am liebsten würde er ihn jetzt davon ablenken, aber immer, wenn er sich seinem Mitbewohner nähern wollte, verlangten Partygäste ihre Drinks, oder er musste aus Mangel an Equipment gebrauchte Gläser spülen, so wie momentan.
    Die dunkle Halle füllte sich allmählich, überall saßen und standen Feiernde in den Ecken und an den Lehnstangen, hüpften und tanzten zu den Bässen und künstlichen Melodien. Shohei selbst schlösse sich dem niemals an. Welch Ironie, er hasste Parties und arbeitete in einer Diskothek. Aber eben nur um des Geldes Willen. Gefallen tat es ihm hier nicht unbedingt, mit all den sich aneinander reibenden Körpern und den seiner Meinung nach zu knapp bekleideten Mädchen – nicht mehr schön, sondern schlampig -, doch er brauchte den Lohn. Und er war dankbar, dass Allen ihm damals den Job besorgt hatte. Ab und zu vermisste er seinen besten Freund, bedauerte zutiefst, dass sich ihre Wege getrennt hatten und der Kontakt abgebrochen war. Schade. Nach dem Vorfall mit Geneviève hätte ein gewisser Halt ihm sicherlich geholfen, es besser zu verarbeiten und vielleicht hätte Allen gewusst, wie er mit Benjamin verweilen sollte.
    Geübt wanden seine Hände sich in dem warmen Spülwasser, wuschen unter Einsatz eines Schwammes die benutzten Gläser und stellten sie anschließend auf das daneben befindliche Abtropfgitter. Schwaches Neonlicht sorgte dafür, dass er seine Pflicht als Barkeeper nicht vollends blind verrichtete und so erhielt Shohei ein gewisses Maß an Spielraum. Rechts neben dem Spülbecken zog sich die Arbeitsfläche entlang, zusammen mit der im Gegensatz dazu erhöhten Theke. Shohei standen auf seiner Seite diverse Utensilien zur Verfügung, zum Beispiel eine Schüssel mit kleinen Schirmchen, mit silbrigen Fäden oder farbenfrohen Federn verzierte Strohhalme und natürlich verschiedene Gläser, in ihrer Anzahl begrenzt, ebenso wie die Zahl der Gäste, denen man Zutritt gewährte. Und laut Shoheis Einschätzung erreichte man bald die Höchstgrenze.
    Erneut riskierte Shohei einen Blick zu seinem Schützling, seine braunen Strähnen fielen seitlich in sein Antlitz und verdeckten seine Mimik. Es bedrückte Shohei, Benjamin so leiden zu sehen, so voller Kummer aufgrund einer Angelegenheit, an der er sich fälschlicherweise die Schuld zuschrieb. Er selbst hatte Geneviève vernachlässigt, eigentlich war es wohl schon nach ihrer letzten Verabredung vorbei gewesen, realisierte Shohei im Nachhinein, und er wusste nicht, was mehr schmerzte. Der Verlust Genevièves oder Benjamins eigenes Todesurteil.
    Instinktiv dachte Shohei an ihre strahlenden Augen, das Blau intensiver als der tiefste Ozean, er würde so gern noch einmal seinen Verstand für sie einbüßen; nach wie vor vernahm er die Weichheit ihrer Lippen auf seinen, das Streichen ihrer zarten Finger durch seine Haare… sie war so freiheitsliebend, verabscheute gesellschaftliche Erwartungen, außer den schönen ihres Freundes; Geneviève handelte nicht gleich einem schüchternen Püppchen, sie hegte starke Selbstsicherheit in sich, Mut, Treue ihren Freunden gegenüber, machte sich für ihre und deren Interessen stark. Sie war keine vor Liebe blinde Klette gewesen, hatte Shohei ab und zu auch so richtig die Meinung gegeigt, sich statt ihm mit ihren Freundinnen getroffen und ihn dafür mit ihrem herrlichen Lachen entschädigt. Shohei schätzte ihren eigenständigen Charakter, ihre freche Persönlichkeit, am meisten jedoch vermisste er ihre fröhlich optimistische Ausstrahlung. Sobald sie in sein Augenmerk trat, spürte er diese Sorglosigkeit in sich, die sie verbreitete, die Gewissheit, nichts fürchten zu müssen, solange sie bei ihm weilte. Umso qualvoller die Wunde in seinem Herzen, welche nicht zu verheilen gedachte, auch nicht durch anderweitige Tätigkeiten. Der Dolch saß fest, das Salz an ihm brannte, als hätte man ihm lange Zeit seine Droge verwehrt. Er wollte Geneviève, er brauchte sie, er hielt diese verfluchte Abwesenheit von ihr nicht aus, die Stille in seinem Kopf ohne ihre liebliche Stimme… das vermochte selbst Benjamin nicht zu ersetzen, so leid Shohei das tat. Erst hatte er gedacht, ein wenig Gesellschaft lenkte ihn zu positiveren Gedanken, allerdings…
    Shohei seufzte unter dem enormen Druck, den Geneviève auf seine Brust ausübte, es schmerzte sogar zu atmen. Er war ein schlechter Freund. Benjamin litt deswegen noch mehr als er, und Shohei hatte ihn wie Abschaum behandelt, wie Dreck, war ihm kein Stück auf seinem zerbröckelten Pfad entgegen gekommen. Er schämte sich fast. Schleppte ihn noch mit zur Arbeit und ließ ihn einfach im Labyrinth seiner Einsamkeit, seiner Schuld umher irren, ohne den geringsten Lichtblick… Wenn Benjamin ihm wenigstens von seinen Sorgen berichten würde, könnte Shohei ihm ja vielleicht beistehen. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte er, wie sich jemand vor ihn an den Tresen setzte.
    „Was darf’s –“, begann Shohei seine übliche Frage, doch als er den Gast genauer musterte, sackte sogar sein Gram in die untersten Gefilde seiner Seele und hinterließ ausschließlich Gleichgültigkeit an der angekratzten Oberfläche. Der Blondschopf hatte ihm gerade gefehlt. Er spürte grasgrüne Spiegel auf sich ruhen. „Was willst du hier, Simon?“ Shoheis Misstrauen war nicht zu überhören, trotz der mäßig lauten Musik im Hintergrund. Simon hatte ihn in einer verletzten Verfassung erwischt, Shohei musste höllisch aufpassen, seine Melancholie nicht zu verraten. Prüfend wanderte sein Augenmerk zu Benjamin, er saß nun aufrecht und beobachtete ihn interessiert. Super. Benjamin würde diesbezüglich garantiert nachhaken. All die Mühe, ihn von Simon fernzuhalten – vergebens.
    „Nicht so unfreundlich, mein Lieber“, ermahnte Simon ihn künstlich empört. „Schließlich bist du hier Barkeeper und darfst mich nicht vergraulen.“ Herausfordernd lehnte er sich mit den Armen gestützt weiter auf die Theke, beugte seinen in ein schwarzes Hemd gekleideten Oberkörper vor. Er lächelte amüsiert. Shohei missfiel sein Ton deutlich, er führte etwas im Schilde, zweifellos.
    „Natürlich nicht, entschuldige“, höhnte Shohei, widmete sich fortlaufend seinem Spüldienst. „Dieser Laden geht Bankrott, wenn wir einen Gast und sein heiliges Geld verlieren. Gott, was soll ich jetzt tun?“ Demonstrativ erschrocken blickte er Simon an, ohne Umschweife in seine flammend grünen Augen, sie blitzten verzückt. Shohei kannte den Grund dafür und er kannte Simon. Er liebte Spielchen.
    „Hör mal, Shohei, ich will nur reden. Lässt du mich?“ Erwartungsvoll bettete er seinen Kopf auf seinen Handrücken, den Ellbogen auf die schwarze Holzfläche. Seine Stimme troff vor heuchlerischer Unschuld, und Shohei schnaubte verächtlich.
    „Das tun wir bereits, Simon.“ Inzwischen hatte er den Abwasch beendet, fuhr sorgfältig mit dem Abtrocknen fort.
    „Was schon ein kleines Wunder ist. Aber, was mich interessiert…“ Simon richtete bedacht seinen Fokus auf Benjamin. „Wen hast du dir da angelacht? Ein Verwandter, von dem ich nichts weiß?“
    „Das geht dich rein gar nichts an.“ Allmählich verflüchtigte sich seine Beherrschung, und beinahe hätte Shohei ein Glas zu Boden geschmettert. Er vermaledeite solche Gespräche mit Simon, jedes Mal gelang es ihm früher oder später, Shohei zu provozieren, und das allein mittels seiner Anwesenheit. Und nun zog er Benjamin in ihre Fehde hinein, dieser Bastard, ohne ersichtliches Motiv. Oder vielleicht… Shohei schwante Schlimmes. Er dürfte nicht zulassen, dass die beiden sich anfreundeten oder er wäre bald wieder ganz allein. Bei dieser Erkenntnis begann das Herz in seiner Brust zu hämmern, schmerzhaft stark. „Na los, verschwinde.“ Doch Simon dachte nicht im Entferntesten daran. Grinsend erhob er den Zeigefinger seiner freien Hand, deutete auf eine der Glühbirnen, die das Alkoholikaregal hinter Shohei erhellten. Kurz zuckte ein greller Blitz vor Simons Fingerkuppe, und im nächsten Moment erlosch die Lampe.
    „Ups“, entschuldigte sich Simon fröhlich. Es bereitete ihm sichtliches Vergnügen, Shohei zu ärgern, und das auf einem glatt sadistischen Niveau. Der wiederum verspürte vielmehr das Bedürfnis, seinem Rivalen an die Gurgel zu springen.
    „Bist du verrückt?“, fauchte Shohei ihn an. Ein rascher Seitenblick zu Benjamins verwunderter Mimik offenbarte ihm, dass er es mitbekommen hatte. „Wenn dich die Leute –“
    „Er hat es gesehen, das reicht mir.“ Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine blassrosafarbenen Lippen. „Also, wer ist er und wie hast du ihn –“
    „Er ist niemand“, entgegnete Shohei stumpf, überrascht, so erbarmungslosen Zoen auf sich selbst bei diesen Worten zu empfinden. Er leugnete Benjamin. Sogar Shohei leugnete den Jungen, der jegliche Daseinsberechtigung seinerseits verweigerte. Er wollte Benjamin schützen, trotzdem tat es ihm unendlich leid. „Niemand, den es sich zu kennen lohnt.“ Feuer entbrannte in Shoheis Kehle, er zwang sich konsequent, dies zu ignorieren, denn es wäre besser für Benjamin.
    „Okay, Shohei, jetzt mal Klartext.“ Simon umfasste mit beiden Händen die Kanten des Tresens, begradigte seine Haltung zu einer gesünderen Variante. Eine der Gnade ferne Kälte erwachte in seinen Iriden. Shohei hatte diesen Ausdruck schon einmal gesehen, nämlich als er Simon seine Beziehung zu Geneviève gebeichtet hatte. Die wechselnden Farben der fliegenden Scheinwerfer änderten leider nichts daran. Shoheis Magen verkrampfte sich und ein fetter Kloß bildete sich in seiner Kehle. „Ich weiß, wie du tickst. Ich sehe es dir an, du spürst seine Aura, ich ebenso. Außerdem weißt du von meinen Kräften, Shohei, es ist dasselbe. Lass mich mit ihm sprechen, er scheint ziemlich… fertig zu sein.“
    „Damit du ihm weitere Zweifel eintrichterst?“ Entschlossen sah Shohei Simon an, missachtete die Furcht, die Simons Blick in ihm verursachte. Er musste aufpassen, dass er Simon nicht seine komplette Wut ins Gesicht schleuderte, vor all den Leuten, vor Benjamin. Dabei zerstörte Simon just seine Träumerei von der näheren Zukunft. Shohei erinnerte sich an den Vorfall mit den Dealern vor einigen Tagen, die Flammen in Benjamins Händen. Dennoch, er durfte nicht zulassen, dass Simon sich da einmischte. „Vergiss es. Du bist nicht gut für ihn. Was hast du im Leben denn erreicht?“
    „Mehr als du.“ Eine Miene der Langeweile zeichnete sich auf Simons Antlitz ab. Eine Weile herrschte erbittertes Schweigen zwischen ihnen, in dem Shohei überlegte, wie er das Gespräch Benjamin nahe bringen sollte. Dieser hatte die Konversation fast von Anfang an mit neugierigen Augen verfolgt, Shohei fühlte förmlich, wie seine braunen Iriden ihn vor Wissensdurst zerpflückten, in seinen Gedanken herum stocherten, und es erzeugte enormes Unbehagen in Shohei. Simon würde Benjamin mit seinen wilden Einfällen und seiner nicht vorhandenen Moral garantiert auf seine Seite ziehen, ihm Benjamin mit einem Schlag entreißen – das durfte nicht geschehen. Niemals. Er ertrüge das Alleinsein nicht.
    Schließlich fand Simon ein neues Thema, und zwar eines, das mindestens ebenso schlimm war wie das vorige. Lächelnd erhob er das Wort. „Sag mal, wie geht es eigentlich Geneviève?“ Shoheis zweiter Schwachpunkt, ausgerechnet. Beste Freunde verkörperten eben doch die ärgsten Feinde. Sie wussten ob der kritischen Themen des jeweils anderen zur Genüge Bescheid, und Simon scheute nicht, dies auszukosten.
    „Was soll mit ihr sein?“, entgegnete Shohei, hoffend, dass Simon nicht weiter nachhakte. Fehlanzeige. Wie hatte er an diesem Abend auch nur ein Fünkchen Glück erwarten können?
    „Ich hatte nur gefragt, wie es ihr geht“, wiederholte Simon. „Sie ist deine Freundin, da wirst du mir das ja wohl beantworten – “ Mehrere Sekunden, in denen Shohei in seiner Ratlosigkeit schlichtweg schwieg, musterte Simon ihn eindringlich, bis die Einsicht folgte. „Oder… sie hat mit dir Schluss gemacht!“ Freudig klatschte er in die Hände. Shohei wandte beschämt sein Gesicht von ihm ab, wohl wissend, dass es Simon einen Höhenflug bescherte. Nur was hätte er bitte sagen sollen? Unfassbar, sich diese Blöße geben zu müssen, gerade vor Simon. Das ließe er Shohei nicht mehr vergessen, den im Nachhinein geltenden Triumph seiner Wenigkeit. Er spürte Simons vor Arroganz überquellenden Iriden auf sich und wäre am liebsten unverzüglich im Boden versunken. „Ich habe es gewusst, irgendwann wird es jedem mit dir langweilig.“ Hochnäsig baute sich Simon, noch immer sitzend, vor Shohei auf. „Scheinbar hat sie endlich eingesehen, dass du ihr keinerlei Abwechslung bietest. Das hätte sie bei mir sofort haben können.“
    „Pah, bei deinem Maß an ‘Abwechslung‘ wäre Geneviève bald mit jedem Mädchen der Stadt befreundet.“ Wenigstens hatte Shohei ihm einen kleinen Konter verpasst, das genehmigte ihm wieder etwas mehr der stickigen Luft zum Atmen.
    „Dagegen hätte ich nichts einzuwenden“, erwiderte Simon beiläufig, zickte mit den Schultern, und erhob sich. „Solange ich mitmischen darf, ist mir das einerlei. Allein macht es keinen Spaß, dürftest du ja wissen.“ Schelmisch grinste er Shohei an, strich sich unterdessen eine seiner blonden Strähnen aus dem Gesicht. „Oder hältst du den Kleinen nur als dreckigen Sklaven bei dir?“
    „Lass die Finger von ihm“, warnte Shohei ihn ein letztes Mal ausdrücklich. „Wehe, du kommst ihm zu nahe. Dann vergesse ich mich.“
    „Wir werden sehen, mein Lieber.“ Anschließend tauchte Simon zu Shoheis Erleichterung wieder in die tanzende Menge ein, ohne erneut die Bar zu besuchen. Erschöpft stützte sich Shohei mit ausgestreckten Armen am Rand der Spüle ab, sein Kopf hing schlaff am oberen Ende seiner Wirbelsäule, einiger seiner schwarzen Haare klebten an seiner verschwitzten Stirn. Wieder zerbarst nach und nach all das, was er sich mit Mühe versuchte aufzubauen.



    ***


    Schweigend schlenderten Benjamin und Shohei nebeneinander durch die dunklen Gassen Prismanias, auf dem Heimweg zu Shoheis Apartment. Zwei Uhr nachts, niemand außer den beiden noch unterwegs, lediglich aus einigen Diskotheken – auch der, in der Shohei arbeitete – drang der abgeschwächte Klang von bassbeladener Musik. Nun, Benjamin zweifelte stark an dieser Definition, für ihn glichen die Partyrhythmen eher einem Mord an jeglichen Melodien, welche Sprechgesang und künstliche Töne ersetzen sollten. Er seufzte. Wenn er sich schon darüber den Kopf zerbrach, wie er Shohei seinen Musikgeschmack am besten erklärte, hegte er entweder unsagbare Müdigkeit in sich oder er versuchte, eine weitaus schlimmere Angelegenheit, die eigentlich besprochen werden musste und ihn beschäftigte, zu verdrängen. Schön, dass beide Fälle zutrafen.
    Sie bogen auf die breite Einkaufsstraße der Metropole ein, und vor ihnen erwies sich so viel Platz wie sonst nie auf dem unregelmäßigen Kopfsteinpflaster. Kein einziger, vor einem Laden befindlicher Kleiderständer engte die Gehbahn ein, kein Essenswagen bereitete sich auf einen Ansturm von Schülern vor, nirgends die Stühle und Tische eines Cafés und vor allem – die Menschheit schien ausgestorben. Lediglich hier und da brannte stumpfes Nachtlicht, die neue Modekollektion des Geschäftes für Spätwandler oder Einbrecher zu beleuchten, in den Wohnen oberhalb allerdings herrschte in sämtlichen Fenstern tiefste Dunkelheit. Shohei gefiel das bestimmt, schloss Benjamin intuitiv, schmunzelte, da sein Vermieter sich ständig über den unnötigen Stromverbrauch der Leute aufregte und das Wohl der Pokemon beklagte. Manchmal klang er etwas eingefahren, ähnelte einem zwangsweise pensionierten Ranger, aber er behielt Recht mit seinen Beschwerden, alles geschah auf Kosten der Pokemon. Trotzdem amüsierte ihn Shoheis Verhalten.
    Wieder ertappte Benjamin sich selbst dabei, das ausschlaggebende Problem, welches fieberhaft an ihm nagte, beiseite zu schieben und sich Shoheis positiven Eigenschaften zu widmen, obwohl der ihm momentan Kummer bereitete. Wieso offenbarte Shohei ihm nichts hinsichtlich des blonden Jungen, mit dem er in der Bar gestritten hatte, verriet ihm den Grund, weshalb er kontinuierlich beobachtet worden war? Shohei war anscheinend nicht einmal im Entferntesten verstimmt, dass Benjamin seinen Rat ignoriert und sich nicht unter die Gäste gemischt hatte, nein, er strafte den Jüngeren mit wesentlich härteren Methoden: Schweigen. Keine Gefühlsreaktion, keine Mimik, ebenso wenig erklang der Ton seiner Stimme. Gar nichts. Klar, sicherlich spielte die Müdigkeit da auch eine Rolle, doch Benjamin kannte ihn normalerweise immer konzentriert, sofern möglich, und mit den Gedanken bei der Sache. Die aktuelle Lage beunruhigte ihn.
    „Shohei…“, setzte Benjamin schüchtern an. „Gefällt dir deine Arbeit?“ Er wollte ein Gespräch beginnen, um ihn Erfahrung zu bringen, ob Shohei überhaupt noch mit ihm redete oder er eventuell etwas getan hatte, das Shohei missfiel, demütigte oder anderes in der Richtung. Seit einigen Wochen wohnte er nun mit ihm zusammen, und nach wie vor schlug Benjamin sein Herz bis zum Hals, wie am ersten Tag ihrer Begegnung. Voller Nervosität zupfte er am Saum seines blutroten Hemdes.
    „Es bringt Geld“, antwortete Shohei knapp. Benjamin bemerkte jetzt ebenfalls die kühle Brise, in der Shoheis Strähnen sich federleicht wogen und betrachtete das Schauspiel eine Weile, während er auf die Worte seines Gesprächspartners wartete. Starren Blickes marschierte dieser weiterhin stur geradeaus, verzog keine Miene. Er wusste nicht, wieso, jedoch erzeugte Shoheis Gleichgültigkeit ein hohes Maß an Unbehagen in Benjamin. Jene Facette hatte man ihm zum Glück lange Zeit verwehrt und von einer Sekunde auf die andere sollte sich das geändert haben? „Ich kann die ganzen Schnösel nicht ausstehen, arrogant, selbstgefällig… und die halbnackten Mädchen, die sich wie Huren an die Kerle ranschmeißen, um ihre Drinks nicht zahlen oder Zuhause übernachten zu müssen…“
    „Trotzdem lächelst du sie herzlichst an“, entgegnete Benjamin resigniert, realisierte erst im Nachhinein, was ihm just herausgerutscht war, und er hätte sich am liebsten hundertmal eigens geohrfeigt, oder wenigstens seine Brust gebrandmarkt. Doch gerade bei Nacht bliebe das unglücklicherweise nicht unbemerkt, zumal Shohei direkt neben ihm schritt. Benjamin seufzte. Er hasste solch peinliche Konversationen, die auf seinen Empfindungen und Eindrücken beruhten, und ihn nicht unbedingt zu ungezwungenem Reden ermutigten, da ein Teppich aus Enttäuschung, gepaart mit seichter Wut auf seinem Gemüt lagerte. Obwohl Shohei diese Mädchen offenbar nicht näher kannte, behandelte er sie, als wären sie seine besten Freundinnen, als freute er sich unsagbar, sie zu sehen. Und demjenigen, der seinen Haushalt erledigte und trotz enormem Todessehnen voll von Schuldgefühlen an seiner Seite weilte, gönnte er jenes Privileg kaum.
    Beschämt wandte Benjamin seinen Kopf zur Seite und vergrub die Hände in den Hosentaschen. Er wollte Shoheis spöttischen, vermutlich tadelnden Blick nicht erwidern. Das fahle, eintönig graue Pflaster sagte ihm da mehr zu.
    „Das gehört zum Job. Ein miesepetriger, beschossen gelaunter Barkeeper verkauft keine Getränke…“ Shohei sprach tonlos, erschöpft, und Benjamin wusste sofort, dass das nicht von der Müdigkeit herrührte. Auch spürte er Shoheis Iriden nicht auf sich ruhen. Intuitiv erinnerte er sich an die Matte daran, den fehlenden Glanz, der das eigentlich leuchtende Rot so gedämpft und kränklich wirken ließ, der Sorgenfleck auf seinem Herzen wuchs. Zur Vorsicht richtete Benjamin seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn, um Shohei aus den Augenwinkeln bewachen zu können. Je näher sie Shoheis Apartment kamen, desto schweigsamer und sonderbarer wurde dieser. „Man… setzt eine gute Miene auf und bringt es hinter sich…“ Mehrmals, schon zu häufig fuhr Shohei sich mit gespreizten Fingern durch sein pechschwarzes Haar, Benjamin entdeckte im Schaufenster, das sie just passierten, wie die Gesichtszüge des Älteren sich gar leidend verzerrten, er wiederholt heftig blinzelte, er hektisch die Fliege an seinem Hals lockerte. Und dann… geriet Shohei ins Wanken, strauchelte einige Schritte nach vorn und kippte letztlich komplett zur Seite. Benjamin hätte es fast nicht geschafft, ihn rechtzeitig abzufangen, war das alles doch so urplötzlich und ohne kenntnisreiche Vorwarnung geschehen.
    „Shohei, was…“, keuchte Benjamin unter dem zusätzlichen Gewicht, das er sich aufbürdete. Shoheis Beine zitterten kläglich, seine Augenlider flatterten, ein schweres Grummeln entrann seiner Kehle. Benjamin stützte ihn so gut es ging an der Schulter, schob sich mit seiner eigenen unter Shoheis Arm und vorsichtig sanken sie gemeinsam auf die Knie. Sofort suchten Shoheis Hände Kontakt zum grauen Asphalt, die fast gänzlich geschlossenen Iriden ebenfalls daran geheftet. „Was ist mit dir los, Shohei?“ Benjamins Herzschlag beschleunigte sich um ein Vielfaches, tief atmend rang er aufgrund der jähen Anstrengung nach Luft. Es versetzte ihn in blanke Panik, seinen Vermieter so zugerichtet zu erleben. Zwar sah er nicht Shoheis Gesicht, doch, so sagte ihm seine innere Stimme, war es leichenblass. Und diesmal befand sich kein Bett in unmittelbarer Nähe. Sie mussten noch einige Blocks hinter sich bringen, bis sie zu Shoheis Apartment gelangten, wie um Himmels Willen sollte das funktionieren? Ihn tragen, das könnte Benjamin keineswegs bewältigen, schleifen gestaltete sich für den Schwächelnden eindeutig zu schmerzhaft. Er verfluchte stumm derartige Schachmattsituationen, denen man Benjamin hilflos auslieferte, dennoch versuchte er trotz heftigster Angst und Unwissenheit, Ruhe zu bewahren. Er hatte etwas Ähnliches schließlich bereits gemeistert, und sofern es sich erneut als notwendig erweisen sollte, harrte er sämtliche Nachtstunden an Shoheis Seite, um ihn zu wärmen.
    „Nichts, alles… in Ordnung…“, wisperte Shohei ignorant, wollte sich zum Beweis aufrichten, sackte allerdings im nächsten Moment wieder zusammen. Seine schwarzen Strähnen verbargen seine Mimik, Benjamin vermutete die Absicht Shoheis, ihn nicht explizit anschauen zu müssen. Es kränkte Benjamin, dass Shohei ihn noch immer lieber anlog, anstatt ihm die Wahrheit zu erzählen und ihm vielleicht Sorgen zu bereiten. Sogar spürte Benjamin einen Anflug von Ärger in sich aufsteigen, aber Shohei zuliebe würgte er ihn ohne weitere Beachtung herunter. Vorwürfe hälfen jetzt nicht.
    „Das merke ich“, entgegnete Benjamin leicht verstimmt, und beugte sich zu Shohei herab, um endlich in der Lage zu sein, dessen wahrscheinlich angespannte Züge zu erkennen, strich ihm dabei einige Haarpartien aus dem Blickfeld. Glanzloses Rot musterte Benjamin, entkräftet, gebrochen, doch ebenso entschuldigend, sowie bedauernd. Mit einem Satz fegten sie den kompletten Inhalt aus seinem Kopf, Benjamin empfand in jener Sekunde so vieles und gleichsam nichts, was sich angemessen beschreiben ließe.
    Shohei starrte nicht wie in der Nacht seines letzten Kollapses durch ihn hindurch, ins Leere, nein, sondern geradewegs in die braunen Tore zu seiner Seele. Für Benjamin entsprach dies vollkommen der Wahrheit, denn zumindest momentan beherbergte er keinen einzigen Gedanken in seinem Verstand, der unter Umständen den Pfad zu seiner Emotionsquelle hätte versperren können. Und ehrlich gesagt sträubten seine Gefühle sich nicht dagegen, entschlüsselt oder inspiziert zu werden, sie waren sich bewusst, in wessen Hände sie sich begaben. Niemand anderem war das bislang gelungen, nämlich, Benjamin zu verstehen, geschweige denn hatte es jemand ernsthaft versucht. Umso verzweifelter reagierte er auf das schwache Lächeln, welches Shohei ihm daraufhin schenkte.
    „So schnippisch kenne ich dich ja gar nicht“, scherzte Shohei künstlich vergnügt, drehte sich langsam zur Seite, wand sich in eine halb liegende, halb sitzende Position, seinen Oberkörper federte er mit Hilfe seines rechten Armes. Nach wie vor fielen Strähnen in sein trübes Antlitz, er bemühte sich nicht, sie von dort zu entfernen. „Geneviève war auch –“
    „Fang bitte nicht damit an“, würgte Benjamin ihn abrupt ab, ein trauriger Hauch begleitete seine Stimme. Shohei wagte es tatsächlich, ihn mit Geneviève zu vergleichen, obwohl er bezüglich der Schuldzuweisungen Benjamins Bescheid wusste. Ernüchternd, fand Benjamin, diese Taktik Shoheis nicht berücksichtigt zu haben, er hatte gedacht, Shohei allmählich einzuschätzen imstande zu sein, zumal er die wirklichen Gründe seiner Kraftlosigkeit zu verschleiern gedachte. Benjamin schluckte hart, ehe er fortfuhr. „Ich… bin leider nicht Geneviève, außerdem geht es nicht um mich. Shohei, ich bin nicht blind. Du klappst mir hier schweigend weg, ohne vorher bloß anzudeuten, dass du dich nicht gut fühlst. Jetzt sag mir verdammt noch eins, was Sache ist!“ Er war im Laufe der Zeit zunehmend lauter und entschlossener geworden. Benjamin verabscheute Shoheis Geheimniskrämerei regelrecht, nur das, nicht die Person an sich, sodass er langsam, aber sicher die Fassung verlor. Wütend funkelte er seinen Gegenüber an.
    „Als… ob es so einfach wär“, lachte Shohei spöttisch auf. Benjamin wusste, er hatte ihn in die Enge getrieben, gleichsam sein Ego angestachelt. Shohei hasste Niederlagen. Sein Amüsement ob der Situation erstarb augenblicklich. „Wie hätte ich dir sagen sollen, dass… Benjamin, ich war in den letzten Wochen öfter als gewöhnlich arbeiten, nicht wahr?“ Benjamin nickte. „Anders hätte ich das nicht finanzieren können. Und mit ‘das‘ meine ich uns.“ Stirnrunzelnd verfolgte er Shoheis Ausführungen, unschlüssig, was genau sie bedeuteten. Erst, als Shohei weiterredete, bildete sich eine Erkenntnis in seinem trägen, inhaltslosen Hirn. „Pass auf: Ich habe zwei Arbeitsstellen, aber eben nur auf Teilzeit. Stünde ich bei dem einen unter Vertrag, würde ich etwas mehr verdienen, jedoch nicht genug zum Leben. Zudem wäre ich aus Zeitgründen gezwungen, die andere Stelle aufzugeben. Mit beiden Jobs reicht es in etwa aus… für eine Person.“
    Benjamins Augen weiteten sich vor Entsetzen, gleichgewichtslos sank sein auf den Knien weilender Leib nach hinten, ausgestreckte Arme und die gegrätschten Finger auf dem harten Grund stabilisierten ihn. Auf einmal schienen sämtliche Farben, sämtliche Lichter und Werbetafeln der Geschäfte vor seinen Augen zu verschwimmen, undefinierbare Formen anzunehmen. Er begann, den Kopf zu schütteln, unfähig, sich dazu zu äußern. Lediglich gekeuchter Stoßatem verabschiedete sich aus seinem trockenen Mund. Und wieder zerbarst ein Teil seiner eigentlich heilenden Welt, dem Universum, indem man ihm allmählich Vergebung und Gnade zugestand, und die er, wie er im Nachhinein feststellte, doch nicht erhielt. Er fror so sehr in der Gewissheit, wieder einen Menschen ins Unglück gestürzt zu haben, die Hoffnung auf eine Besserung seiner Existenz und deren Umfeld… dahin. Beschämt wandte Shohei seinen Kopf zur Seite. „Richtig… du solltest auf die Beine kommen, nach all dem, was du erlitten hast. Du schienst so befreit, einen Platz gefunden zu haben, an dem du bleiben kannst, ohne einsam zu sein, Kälte oder Hunger erdulden zu müssen, deshalb habe ich… dir auch das Meiste davon überlassen. Solange du gelächelt hast, obgleich nur ab und zu, ungeachtet deiner Vergangenheit, war mir meine eigene Gesundheit herzlich egal… Das Hungergefühl verschwindet irgendwann, es erfordert bloß Disziplin und Durchhaltevermögen, bis es soweit ist.“
    „Du hast verzichtet… für mich?“, stotterte Benjamin unbeholfen. „D-das… darfst du nicht, ich… Dann esse ich in Zukunft halt weniger!“ Sein linker Arm schlang sich automatisch um seinen Bauch. „Ich- ich hab mich einfach gehen lassen! Früher bin ich auch so ausgekommen…“ Er fasste es kaum, Shohei hatte wirklich extra für ihn, für seine erbärmliche Wenigkeit gehungert, vorgegaukelt, gegessen zu haben, obwohl dies nicht der Wahrheit entsprach. Wieso war es Benjamin nicht aufgefallen? Theoretisch hätte er es doch merken müssen als sein Mitbewohner, sein Freund. Die ständigen Ausflüchte, später zu speisen, es bereits beim Kochen getan zu haben, ohne Benjamins Wissen… Was er Shohei hier ungewollt und völlig unbeteiligt zufügte, war schlimmer als jegliche Konsequenzen seiner feurigen Verdammnis. Shohei quälte sich für Benjamin, opferte sich für ihn auf, selbstlos, billigte Schäden an seiner persönlichen Gesundheit für jemanden wie Benjamin… und der fühlte sich so miserabel, so unglaublich schuldig an allem, am liebsten hätte er sich unverzüglich bestraft. Sofort. Unmittelbar. Ungeachtet der Tatsache, Blut zu verlieren, eventuell aufgrund seiner Brutalität und Extreme mit Shohei zusammen entkräftet dort auf der Straße die Nacht zu verbringen.
    Erbitterte Kälte bemächtigte sich seines bebenden Leibes, keineswegs klimatisch bedingt, versetzte ihn in einen Zustand der Trance und gleichzeitigen Isolation von seiner Umwelt. Sogar Shoheis gnädige Stimme schien unendlich weit entfernt, alleinig dessen warme Hand, die Benjamin behutsam durchs Haar fuhr und seinen Kopf streichelte, bildete den dürren Ast zur grausamen Realität.
    „Benjamin… ich habe es gern getan“, flüsterte Shohei in den Nachtwind hinein. Benjamin verstand seine Worte, trotz stumpfer Gedämpftheit, akzeptieren wollte er sie jedoch nicht. Sein Denken wehrte sich vehement. „Und ich würde es wieder tun, jederzeit. Weil du es bist.“
    Und dagegen war Benjamin absolut machtlos, wie er verbissen feststellte. Nicht bloß, weil er bei Shoheis Starrköpfigkeit gegen eine Eisenmauer rebellierte, welche ihn so oder so im Nachhinein überrumpelte, Benjamins Beharren stürzte, nein. Shohei war es gelungen, ihn mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, gnadenlos, haushoch, triumphierend, bewusst. Aber das alles kümmerte Benjamin in diesem Moment nicht. Das Einzige, was augenblicklich seine Aufmerksamkeit beanspruchte, war ein winziger, einzelner Sprössling, der sich hartnäckig durch das Dickicht seiner Depressionen kämpfte. Denn Shohei erinnerte sich noch immer an Benjamins Worte, die von ihm genannten Gründe, damals in der Umkleide. Das reichte ihm schon als Entschuldigung.

    "僕の命令は絶対."
    "My orders are absolute."

    赤司・征十郎 ~

    Einmal editiert, zuletzt von Namine ()

  • So, meine liebe Autorin, für die ich betalese. ^^ Eigentlich kennst du ja meine Meinung ja bereits zu genüge, aber du tust mir leid, so kommilos. Naja, hast du gesehen, dass du letztens wenigstens für den Profibereich vorgeschlagen wurdest? Das zählt eigentlich mehr als jedes Lob, finde ich. ;)


    So, gehen wir's an! Also die Szene mit Benji und Shohei in der Umkleide ist total süß, auch nur die Tatsache, dass er ihn zum Einkaufen mitnimmt und dann die Bemerkung mit dem Floink. Göttlich. ^^ Naja und es ist schön, dass du dir noch einen dünnen Faden auch im Alltag zum Pokemonbezug wahrst.
    Das Kapitel ist sehr lang und ich möchte nur auf die sehr pregnanten Szenen eingehen und die Beeindruckendste wäre ja da wohl mit Simon gegeben. Erstens ist er so ein Typ, den man gleichzeitig lieben und hassen kann und auf solche Charas "steh ich"! XD und zudem greifst du hier wieder stark auf den Fantasyteil deiner Geschichte zurück. Das begrüße ich sehr, das ist auch nach längeren Alltagsszenen sehr erfrischend.


    Ansonsten zu sagen ist: Benji ist depressiv und ich muss loben, dass du mit der Krankheit nicht spielerisch umgehst, wie auch manche Leute im Real. "Ich hab eine Winterdepression" hört man ja immer wieder. Ob Einfühlungsvermögen, Recherche oder Eigenerfahrung... das ist ja egal, das Resultat zählt ja. ^^
    Aber, das hab ich dir ja beim Betalesen angeprangert, an manchen Stellen wirkt er noch etwas naja... "emo", aber zu der vorigen Version kann ich sagen, dass es hier eindeutig besser geworden ist.


    Ach und so vom Fangirl: Vor allem die letzte Szene ist sooo süüüß. x3

  • Huhu Namine
    Ich lese "Watch me die" schon seit einiger Zeit also dachte ich ich schreib mal was. :D
    Ich fand es anfangs etwas verwunderlich das Shohei sich nicht stärker über Benjamins Kräfte gewundert hat, aber da man auch im Kapitel erfuhr weiß er von den Kräften von Simon also ist es verständlich. Alles in allen finde ich das Simon einen gewissen Kontrast zu Benjamin ist. Benjamin verbirgt vor jedem seine Kräfte und er verabscheut sie gewissermasen, während Simon keine großen Probleme mit ihnen zu haben scheint. Wobei Simon seine Kräfte fast etwas zu sorglos einsetzt. Am Ende des Kapitels war ich überascht und auch etwas erschrocken das Shohei seine Nahrungsaufnahme zurückschraubt, damit Benjamin genug zum essen hat. Ich muss sagen das ich Benjamins verunsicherung verstehen kann. Er hat selbst einige mentale Probleme und wird jetzt auch mit den Problemen eines anderen Konfrontiert. Wobei ich mir nicht sicher bin ob das nicht sogar zu einer Verbesserung von Benjamins Zustand führt. Das Kapitel ist sehr gut gelungen und ich werde auf alle Fälle das nächste Kapitel lesen.

    "We starve, look at one another, short of breath. Walking proudly in our Winter coats. Wearing smells from labortories, facing a dieing nation of moving paper fantasy, listening for the new told lies with supreme vision of lonely tunes"
    Hair, Let the sunshine in

  • [tabmenu]
    [tab=Neues Kapitel]
    Wow, diesmal sind es sogar ein paar Kommentare mehr als beim letzten Mal x3 Freut mich, doch zu sehen, dass einige meine Geschichte verfolgen. Das Schreiben an sich macht zwar ohnehin sehr viel Spaß, aber auch noch Lob und positive Rückmeldungen zu bekommen, das ist quasi das Tüpfelchen auf dem i ^-^


    Ach so, und Fröhliche Weihnachten euch allen :D


    Simon hat nun also das erste Mal die Bühne betreten und nicht gerade für Ruhe gesorgt. Ein weiterer Faktor, über den Benjamin sich so seine Gedanken macht, hat Shohei ihm schließlich immer noch nicht erzählt, um wen es sich bei jenem Blondschopf genau handelt oder was er von Shohei wollte. Noch dazu kommt eine alltägliche, dennoch heikle Situation für Benjamin, dessen Leidenswunsch sich selbst unbewusst in seinen Handlungen äußert, und endlich erfährt auch Shohei vom gesamten Ausmaß der Dinge, die seinen jüngeren Mitbewohner im wahrsten Sinne des Wortes bereits sein Leben lang zeichnen ~



    Warnung: In diesem Kapitel werden sexuelle Andeutungen, sowie eine gewisse Sehnsucht nach Gewalt ihren Platz einnehmen. Natürlich wird es nicht allzu ausschweifend oder detailliert, dennoch will ich euch vorher warnen ~
    [tab=Bastet]

    So, meine liebe Autorin, für die ich betalese. ^^ Eigentlich kennst du ja meine Meinung ja bereits zu genüge, aber du tust mir leid, so kommilos. Naja, hast du gesehen, dass du letztens wenigstens für den Profibereich vorgeschlagen wurdest? Das zählt eigentlich mehr als jedes Lob, finde ich.

    Ja, ich kenne deine Meinung, aber ich freue mich dennoch über deine Stellungnahme :> Leid muss ich dir jedoch wirklich nicht tun, ich schreibe ja sowieso für mein Leben gern, sprich die Freude bei der "Arbeit" habe ich sowieso. Die Kommentare sind lediglich ein kleiner Zusatz :3
    Das mit dem Profi-Bereich klappt ja immer noch nicht so ganz ^^" Und weißt du was? Stört mich nicht. Ich werde meinen Inhalt nicht verändern, nur um dort zu landen, das ist es mir schlichtweg nicht wert. Denn meinen bisherigen Lesern mache ich es allemal recht, wieso also Skeptiker beeindrucken wollen? :>



    So, gehen wir's an! Also die Szene mit Benji und Shohei in der Umkleide ist total süß, auch nur die Tatsache, dass er ihn zum Einkaufen mitnimmt und dann die Bemerkung mit dem Floink. Göttlich. ^^ Naja und es ist schön, dass du dir noch einen dünnen Faden auch im Alltag zum Pokemonbezug wahrst.
    Das Kapitel ist sehr lang und ich möchte nur auf die sehr pregnanten Szenen eingehen und die Beeindruckendste wäre ja da wohl mit Simon gegeben. Erstens ist er so ein Typ, den man gleichzeitig lieben und hassen kann und auf solche Charas "steh ich"! XD und zudem greifst du hier wieder stark auf den Fantasyteil deiner Geschichte zurück. Das begrüße ich sehr, das ist auch nach längeren Alltagsszenen sehr erfrischend.

    Das mit dem Pokemonbezug wird noch zur Genüge vorkommen. Ich will es nicht zu sehr vorziehen, weil es sich mit dem eigentlichen Inhalt bloß beißen und das Kapitel an sich ruinieren würde =/ Aber ich muss den Beiden ja auch kleine Glücksmomente gönnen, ständig deprimiert sein zu müssen, das kann, will und sollte ich Benjamin nicht antun. Wie du schon sagst, es wirkt sonst fade ~
    Oh, ja, Simon ist wirklich ein sehr interessanter Charakter und vielleicht gar nicht so... wie sag ich das... oberflächlich, wie alle meinen ;3 Er ist größenteils wirklich eine Persönlichkeit, die ein echt unmögliches Verhalten an den Tag legt. Nichtsdestotrotz macht ihn das sympathisch... ich selbst habe einen Faible für derartige Figuren und wollte unbedingt selbst eine solche erstellen ^-^ Aber er hat natürlich auch seine Gründe, weshalb er sich so verhält ~




    Ansonsten zu sagen ist: Benji ist depressiv und ich muss loben, dass du mit der Krankheit nicht spielerisch umgehst, wie auch manche Leute im Real. "Ich hab eine Winterdepression" hört man ja immer wieder. Ob Einfühlungsvermögen, Recherche oder Eigenerfahrung... das ist ja egal, das Resultat zählt ja. ^^
    Aber, das hab ich dir ja beim Betalesen angeprangert, an manchen Stellen wirkt er noch etwas naja... "emo", aber zu der vorigen Version kann ich sagen, dass es hier eindeutig besser geworden ist.


    Ach und so vom Fangirl: Vor allem die letzte Szene ist sooo süüüß. x3

    Oh, nein, das habe ich nicht vor, da ich weiß, wie ernst Depressionen sein können *hustEigenerfahrunghust*. Leider kann ich ihm keine wirkliche Therapie dafür anbieten, also muss Shohei als Hobbypsychologe herhalten und sich mit Benjis Problemen auseinander setzen.
    Im folgenden Kapitel habe ich auch noch die eine oder andere Stelle gefunden, die zu sehr auf seine Suizidgedanken andeuten... hab ich gestrichen und hoffentlich angemessen verbessert :3


    Ich weiß x3 Ich selbst habe, glaube ich, fast durchgängig geschmunzelt vor Freude, als ich das geschrieben habe :D




    [tab=Plinfan]
    Wow, ein Schwarzleser, der sich mal meldet ^___^ Und dann noch männlich, was mich eigentlich am meisten verwundert, normalerweise ist Shounen-Ai bei dem Geschlecht nicht so beliebt... aber nun gut, ich will mich nicht beklagen :>


    Ich fand es anfangs etwas verwunderlich das Shohei sich nicht stärker über Benjamins Kräfte gewundert hat, aber da man auch im Kapitel erfuhr weiß er von den Kräften von Simon also ist es verständlich. Alles in allen finde ich das Simon einen gewissen Kontrast zu Benjamin ist. Benjamin verbirgt vor jedem seine Kräfte und er verabscheut sie gewissermasen, während Simon keine großen Probleme mit ihnen zu haben scheint. Wobei Simon seine Kräfte fast etwas zu sorglos einsetzt.

    Wollte schon sagen, er kennt es eben durch Simon, und da Shohei meist ein logisch denkender Mensch ist, konnte er es sich leicht zusammenreimen :3
    Das mit dem Kontrast höre ich zum ersten Mal, hey, etwas Neues :D Darüber habe ich noch nie nachgedacht, aber du hast Recht. Ob das nun unbewusst beabsichtigt war oder nicht... vielleicht, kann ich dir nicht sagen. Ich hatte lediglich die Grundzüge von den Charakteren im Kopf, über eventuelle Kontraste oder Gegensätze habe ich mir keine Gedanken gemacht ^^"
    Simon ist eben ein Jemand, der gern im Moment lebt. Er denkt kaum an Konsequenzen oder was morgen sein könnte, zumindest momentan noch nicht, geschweige denn ist er sich der Gefahr bewusst, die er durch seine Kräfte auf sich nimmt - doch davon liest man später mehr :3


    Am Ende des Kapitels war ich überascht und auch etwas erschrocken das Shohei seine Nahrungsaufnahme zurückschraubt, damit Benjamin genug zum essen hat. Ich muss sagen das ich Benjamins verunsicherung verstehen kann. Er hat selbst einige mentale Probleme und wird jetzt auch mit den Problemen eines anderen Konfrontiert. Wobei ich mir nicht sicher bin ob das nicht sogar zu einer Verbesserung von Benjamins Zustand führt. Das Kapitel ist sehr gut gelungen und ich werde auf alle Fälle das nächste Kapitel lesen.

    Danke vorab für das Lob, darüber freue ich mich immer wieder ^-^
    Eben deshalb wollte Shohei es ja vor ihm verheimlichen. Er wusste, wie sehr Benji unter seinen eigenen Schwierigkeiten leidet und wollte ihm zumindest ein Quäntchen Glück gönnen - vergebens jedoch, leider. Da tut es mir umso mehr Leid, dass ich Benji weiter quälen muss im folgenden Kapitel. Noch stellt sich nämlich nicht unbedingt eine Besserung seines Zustandes ein, aber ich weiß, was du meinst. Irgendwann ist man an einem Punkt, an dem man einsieht, dass es so nicht weitergehen kann. Wann der wohl bei Benji kommt? ~


    [/tabmenu]

  • Kapitel 9: Checkmate



    || I know that when I stare into your eyes I can see all the years of lies

    Ghosts and demons you never exorcised ||


    ~ Billy Talent - Tears into wine




    Dieses Mal erledigten sie den Abwasch gemeinsam.
    Ein Samstag, an dem Shohei ausnahmsweise nicht arbeitete, sondern Zuhause weilte. Das freute Benjamin ungemein, da ihn deshalb nicht pausenlos die fremden Stimmen des Fernsehers bespaßen mussten, während er sich um den Haushalt kümmerte. Nein, eine vertraute Stimme sprach zu ihm. Das hieß, falls sie erklang. Benjamin schien es, als benötigte sein Vermieter eine längere Zeitspanne zum Wachwerden, ein heimlicher Morgenmuffel. Nach der letzten Nacht kein Wunder. Gerade Shohei hatte der Wortwechsel mit dem amüsierten, blonden Jungen sichtlich Anstrengung, sowie eine ganze Menge Disziplin gekostet, und Benjamin war diesbezüglich noch immer nicht aufgeklärt worden. Ständig hatten Shohei und der Fremde ihn bei ihrem Gespräch gemustert, fast schon verdächtig, er hatte sich dabei regelrecht ausgehöhlt gefühlt.
    Bei Ersterem verständlich, wohnte Benjamin schließlich bereits seit einigen Wochen mit ihm zusammen. Trotzdem verschwieg Shohei ihm etwas, und das missfiel ihm deutlich, anscheinend betraf es ja sogar ihm unbekannte Personen. Eigentlich schade, Benjamin hatte geglaubt, er genösse Shoheis Vertrauen.
    „Nun, morgen ist Sonntag…“, begann Benjamin vorsichtig, versuchte, Shohei zuliebe seine Müdigkeit zu verbergen. Er widmete sich mit seinem Trockenhandtuch einem Porzellanteller mit vergoldeter Randverzierung. „Unternehmen wir da etwas? Ich meine… außerhalb deiner vier Wände?“ Geübt öffnete der Fragende eine der vier Türen des alten Holzhängeschrankes unmittelbar über sich, platzierte den Teller behutsam in der dafür vorgesehenen Ecke. Seichter Spülmittelgeruch, versetzt mit Lavendelaroma, dominierte die Luft in Shoheis schmaler Küche, den das leicht gekippte Fenster in der hinteren rechten Ecke nicht zu vertreiben vermochte. Wenigstens erfüllte es den verhältnismäßig engen Raum mit frischem Tageslicht.
    „Dir steht es frei“, antwortete der Angesprochene nach einer geschätzten Ewigkeit des Schweigens. Er tauchte seine Hände in das schaumige Wasser des silbernen Spülbeckens, so abrupt, dass mehrere Spritzer sich an die weißen Fliesen der Wand oder Shoheis schwarzes Shirt hefteten, Schneisen zogen. „Du bist nicht mein Gefangener, Benjamin, und zudem stolze siebzehn Jahre alt. Solange du keine Dummheiten anstellst, sind mir deine Freizeitaktivitäten einerlei.“
    Rechts und links des Waschbereichs verbargen Geschirr, Gläser und Töpfe die hell-dunkel gesprenkelte Travertinarbeitsfläche, entweder noch schmutzig oder gereinigt, aber nicht weggeräumt. Widerspenstigen Blickes fixierte Shohei die erstgenannte Gattung an Essutensilien, und seufzte bedrückt. Theoretisch hätte Benjamin Lust verspürt, synchron dazu in die schwere Atmung einzustimmen, jedoch schwieg er, griff sich wortlos das nächste Teil.
    Draußen beherrschten graue Wolken den Himmel, so, wie sie sich zunehmend verdunkelten, würde es bald regnen, und Benjamin dürfte der leisen Serenade lauschen, die die etlichen Tropfen auf dem Balkon und den Fensterscheiben sangen, unabhängig voneinander, dennoch harmonisch. Jedes der Wasserfragmente lebte in Einsamkeit, von der Geburt an bis zum Tode.
    Es stimmte Benjamin sehnsuchtsvoll, auch er begehrte das Alleinsein, doch entgegen seiner geschworenen Prinzipien harrte er bei Shohei, gefährdete ihn, wollte dennoch zu seinem eigenen Erstaunen mit diesem den Tag verbringen, erfreute sich an Gesellschaft. Innerlich rang Benjamin mit seinem schlechten Gewissen, das forderte, Shoheis Apartment augenblicklich zu verlassen; an einen Ort zu fliehen, den niemand finden würde. Nicht einmal Shohei.
    Unvermittelt entflammte erneut das Stechen in seiner Brust, Benjamin ignorierte es weitestgehend und lehnte sich geistesabwesend an die Arbeitsplatte hinter sich, in die auch das Ceranfeld eingearbeitet war. Unterhalt davon, hinter dunklen Türen versteckt fanden verschiedene Mülltüten ihre Daseinsberechtigung, ein Sammelkorb für Batterien, und je eine aufklappbare Plastikkiste schwarz-roter Farbe für Glas- und Kunststoffflaschen. Oberhalb der marmorähnlichen Ebene hing ein Gewürzregal an der zartgelben Wand. Die Hälfte der dort platzierten Gewürze war Benjamin vollkommen unbekannt, und intuitiv fragte er sich, ob Shohei früher gern mit Geneviève gekocht hatte.
    Leicht beugte Benjamin sich vor, umfasste eine Horde Besteck, zog in derselben Bewegung die dafür gedachte Schublade auf und begann, die von ihm getrockneten Teile passend einzusortieren. Wie in Trance folgten seine Hände den Befehlen seines Kopfes, bis ein besonders spitzes und wahrscheinlich ebenso scharfes Messer seine Aufmerksamkeit erregte. Gebannt blendete Benjamin alles andere in seinem Umfeld aus. Der zarte Lavendelduft, das Plätschern des Spülwassers, selbst die Existenz seines Vermieters – irrelevant. Seine braunen Iriden, inzwischen strahlten sie vor Faszination, inspizierten sorgfältig die glänzende Schneide. Dergleichen gehörte laut Benjamins Meinung zu den Raritäten, sein Puls beschleunigte sich in dem Wunsch, die Fertigkeiten der Klinge zu testen. Zu lange hatte er sich der Sühne bereits verweigern müssen, in Shoheis Beisein immerhin ein unmögliches Vorhaben, es juckte ihn förmlich in den Fingern. Zwar schützte ein Verband nach wie vor Benjamins linken Arm, aber an ihm gedieh ja auch ein zweiter, und sollte der nicht genügen, würden sich weitere rote Streifen auf seinen Oberkörper verirren.
    Langsam fuhr sein Zeigefinger an der Schneide entlang, begutachtete ihr Profil, ihre Figur, prüfte ihre tatsächliche Schärfe. Ein Schauer der Erleichterung befiel seinen Leib, als die Haut an seinen Fingerkuppen sich teilte und rote Flüssigkeit hervortrat, die wie er wusste metallisch schmeckte, leicht schimmernd unter Eindringen des Lichtes von draußen. Endlich wäre er wieder in der Lage, den Fehler seines Lebens zu strafen, sein Weilen an Shoheis Seite, obwohl die Labilität seiner Macht eine ernsthafte Bedrohung verkörperte. Aufregung, gar Euphorie bereitete sich einzig deshalb in Benjamin aus, zeitweilig lähmte sie den Schmerz in seinem Herzen, erzeugten freudiges Kribbeln in ihm, ließen ihn lächeln. Er bemerkte nicht, dass Shohei ihn ansprach.
    „Benjamin? Hey, Benjamin“, entgegnete er mehrmals, ohne eine Reaktion seines Gegenübers zu erfahren. Benjamin registrierte den Älteren erst, als dieser ihm rigoros das Messer aus der Hand riss, ihn an den Schultern packte und Richtung Wohnzimmer schob. Zunächst orientierungslos wehrte Benjamin sich nicht.
    „Shohei, was – “, stammelte er bloß. Im nächsten Moment schubste man ihn schon so kräftig, dass er durch das Wohnzimmer stolperte, sich am beigen Sofa abstützen musste, um nicht zu fallen, und letztlich halb liegend darauf landete. Sofort fixierte der Fernseher schräg links von Benjamin diesen mit seinem finsteren Augenmerk. Er wäre der einzige Zeuge.
    „Zieh dein Shirt aus“, befahl Shohei vom Flur aus. Wasserrauschen und Gekrame ertönten. „Und wehe, du fliehst.“ Entsetzt über Shoheis plötzlichen Sinneswandel, gleichzeitig eingeschüchtert von dem Drohen in seiner Stimme, gehorchte Benjamin auf der Stelle, entledigte sich seines schwarzen Oberteils, legte es beiseite und wartete bangend auf Anweisungen seines Vermieters. Unterdessen betrachtete er die angedunkelt erscheinende Dächerlandschaft jenseits des Balkons, die grau-blaue Wolkendecke stahl ihnen auch den spärlichen Rest ihrer ohnehin geringen Wärme. Benjamin spürte die aufkommende Schwüle, zwängte sie sich durch den Spalt der leicht geöffneten Balkontür. Dennoch fröstelte ihm. Was beabsichtigte Shohei damit? Diese konsequente Forderung ängstigte ihn beinahe, bisher hatte er gedacht, er könnte Shoheis Verhalten gut einschätzen. Nachdenklich starrte Benjamin auf seinen Verband. Zu spät dämmerte es ihm.
    „Ich wusste es“, bedauerte Shohei, als er seinen Mitbewohner oben herum unbekleidet sah, eilte zu ihm und setzte sich zu Benjamin auf die Couch. Auf dem niedrigen Tischchen davor platzierte er eine Schüssel voll Wasser samt Waschlappen und eine Tube mit Wundheilsalbe. „Bei dem Verband wollte ich es nicht bemerkt haben… Verdammt, warum habe ich es nicht früher…“
    Schonend wrang Shohei den Stofffetzen aus, begradigte Benjamins Haltung, indem er seine Schulter zurückdrückte, und begann, den Oberkörper seines Schützlings sanft damit abzutupfen. Der Anblick verursachte ihm merkliches Leid, trotzdem ging er konzentriert und einfühlsam vor. Benjamin wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen, symbolisierte er doch den Grund für Shoheis Kummer.
    „Shohei, ich wollte nicht, dass du es erfährst“, versuchte er sich zu rechtfertigen und Shohei die Schuld zu nehmen. „ Du solltest dir keine Sorgen –“
    „Ich sorge mich aber immer um dich“, fiel man Benjamin ins Wort. „Jetzt erst recht. Benjamin, bitte, hör damit auf, das ist es nicht wert. Rede mit mir darüber. Dafür darfst du mich auch mitten in der Nacht wecken, wenn es nötig ist.“ Eingehend musterte Shohei die zahlreichen Narben an Benjamins Brust und Bauch. Ein auffälliger Rot Ton hob sie von seiner normalen, angebräunten Haut ab, um sie herum kräuselten sich die Poren im Heilungsprozess. Einige länger, manche kürzer zierten sie seinen ansonsten schlanken Körper, darunter die ein oder andere, die gar nicht mehr zu verschwinden schien. Shohei stutzte. „Und verrat mir mal… so breit, das schafft kein Messer… das warst du, mit Hilfe deiner Feuerkraft, oder?“
    Die Pein in Benjamin kehrte zurück, schlagartig, und riss mit ihren riesigen Fangzähnen eine klaffende Wunde in sein Seelenbefinden. Alles, was er die ganze Zeit zu leugnen, zu verdrängen versucht hatte, durchstieß nun die Schwelle zu seinem vollen Bewusstsein, streute ihre Samen von Verzweiflung und Furcht darin und ließ ihn erschaudern, einige Zentimeter entfernte er sich von Shohei. Was sollte er tun? Er wusste es, wusste von seinem Fluch, wusste von Benjamins außergewöhnlichen Fähigkeiten, oder ahnte zumindest davon. Wahrscheinlich jedoch ahnte Shohei nichts von der inbegriffenen Gefahr.
    Rasch huschten seine braunen Tiefen umher, ohne einen wirklichen Fixpunkt in ihrem Umfeld zu suchen, Benjamin dachte lediglich verkrampft nach. Wahrheit oder dreiste Lüge? Könnte er Shohei etwas Falsches erzählen, ohne dass der es enttarnte? Wäre es für Benjamin emotional tragbar, je zu entschuldigen, gar zu rechtfertigen?
    „Es war immer da… ich wollte es nicht, aber es war da, ständig… Sogar meine Eltern hatten Angst vor mir, obwohl… nein, gerade weil ich es ihnen verschwiegen habe…“ Je mehr das, was er seit Jahren allein in seinem Herzen beherbergte, aus ihm heraus sprudelte, desto schneller beschleunigte sich seine Atmung auf ein erschreckendes Niveau, sein Pulsschlag ebenso. Sein neu errichtetes Weltbild zerbarst unter dem Druck alter Albträume, Vergangenes wirbelte seinen rationalen Verstand durcheinander, veranstaltete ein heilloses Chaos in seinem Kopf und vermachte Benjamin nichts außer Verwüstung und Zweifeln. Seine Finger krallten sich in das Beige der Couch. „Es war nicht meine Schuld, bitte, verzeiht mir… ich hatte mich nicht unter Kontrolle… es ist einfach passiert…“
    Er erinnerte sich noch gut an den Tag, als die Krankheit das erste Mal mit offenen Karten gespielt, ihre Fassade fallen gelassen hatte, im zarten Alter seinerseits von fünf Jahren.




    Damals schien eine warme Mittagssonne auf den teils mit Sand beschütteten, teils grasbewachsenen Spielplatz Avenitias, seiner Heimatstadt, seinem Geburtsort in Isshu. Kleine, immergrüne Buchsbäume, etwa einen Meter hoch, begrenzten die kreisförmige Fläche, die als Aufenthaltsort für Kinder diente. Ihre Sauerstoff erzeugenden Ornamente raschelten leise im sachten Ostwind, zusammen schienen sie dem jungen Buben eine Serenade darbringen zu wollen, ein Ständchen, wie sehr es sie freute, gerade ihn begrüßen zu dürfen. An verschiedenen Stellen wogen sich bunte Blumen dazu im Takt, sie verströmten im Einklang dazu einen lieblich süßen, rosigen Duft, der natürlich einige Käfer-Pokemon, zum Beispiel das Bienentrio Wadribi, anlockte. Heftig schlugen die Flügelchen des gelb-orange gestreiften Wesens, um es oberhalb besagter Pflanzen in der Luft zu halten, während es an ihren Blüten schnupperte.
    Rechts vom Eingang, wo Benjamin sich befand, hatte man ein stählernes Gerüst samt einer Schaukel errichtet, von dem insgesamt drei Autoreifen, an Ketten befestigt, herabbaumelten. Ein Stück weiter ragte eine vierstufige Leiter in die Höhe, ein silberner Bogen beschrieb hier den Weg zurück zu sicherem Boden. Die Rutsche glänzte verführerisch im Schein des flammenden Sternes am Himmel, sie lud dazu ein, sie als Monument zu besteigen und im Anschluss sanft wieder hinab zu gleiten. Denn aus der Sicht eines noch relativ kleinen Kindes präsentierte sich eine solche im Nachhinein mickrige Vergnügungsmöglichkeit als Abenteuer der schönsten Sorte, bei dem man gern seine Zeit verbrachte.
    Auf der anderen, der linken Seite, erspähte er wie gewohnt die Betontischtennisplatte. Zwei steinerne Trapeze stabilisierten die rechteckige graue Fläche, auf deren Mitte ein Trennungsnetz angebracht war. Manchmal saßen dort etwas ältere Teenager mit Flaschen herum, sie lachten und grölten laut gen tiefblauem Firmament, und immer, wenn der kleine Junge dies hörte, umklammerte er in seiner Angst, die Jugendlichen kämen in sein Zimmer, um ihm weh zu tun, fast panisch sein Kopfkissen. Er versuchte sich einzureden, dass dies sowieso unmöglich und total unsinnig wäre, jedoch stellte das seine Paranoia lediglich vorübergehend zufrieden. Schließlich lief es aber stets auf dasselbe hinaus, er packte sich sein Kissen und krabbelte zu seinen Eltern ins Bett, die ihn dann solange trösteten, bis er einschlief. Die Tatsache, seine Erzeuger vielleicht bei etwas Speziellem zu stören, störte Benjamin herzlich wenig, weshalb er sich der Anfänge dessen bereits bewusst war. Immerhin gab es ansonsten ausreichend Nächte, in denen die beiden Zweisamkeit genossen. Bei Albträumen griff dieses Verfahren ebenfalls, mit dem feinen Unterschied, dass der Kleine seine Eltern inmitten tiefster Nacht aufsuchte, anstatt in späteren Abendstunden.
    Im letzten verbleibenden Abschnitt des Spielplatzes fand sich eine simple Wippe, ein langes Holzbrett, darauf an jeder Seite ein Griff zum Festhalten, das Ganze lag auf einem Mechanismus, der die Wippe auf und ab bewegte. Als Sprössling verstand man natürlich nicht, wie das System funktionierte, in seinem jetzigen Alter allerdings hatte sich das für ihn erübrigt.
    Sorgfältig spähte er auf der Spielstätte umher, er wollte unbedingt sicher stellen, dass die Rowdies, die ihn häufig belästigten, sich zur Zeit nicht dort aufhielten. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, er schien ausnahmsweise Glück zu haben, was das betraf, außer ihm beabsichtigte anscheinen keines der anderen Kinder des Dorfes, sich hier blicken zu lassen. Die Einsamkeit betrübte ihn keineswegs, eher im Gegenteil, er mochte sie beinahe.
    Ein Einzelkind lernte im Laufe seines Daseins, Tätigkeiten des Zeitvertreibes zu finden, wo es bloß eine einzige Person als Teilnehmer erforderte, bei der Außenstehende den Spaßfaktor minderten, indem sie eingriffen und ihre eigenen Ideen einbrachten. Ohne die anderen musste man sich nach keiner Regel richten, man konnte das spielen, was man wollte, und niemand schaute einen aufgrund dessen oder seines Verhaltens abschätzig an, als sei man von einem fernen Planeten, eben vom Tode auferstanden oder Sonstiges. Man durfte nicht behaupten, er habe es nicht versucht, denn das hatte er, oft genug, tatsächlich. Nur war irgendwann der Druck, nichts falsch zu machen, perfekt zu sein, ins Unermessliche gestiegen, hatte ihn bis zum Nervenkollaps zerfressen. Eine Zeit lang hatte er sich nicht mehr aus dem Haus getraut, aus Angst, allein seine Existenz wäre etwas Verbotenes, er persönlich wäre quasi ein Gegenstand, der auf ewig eingesperrt gehörte, aus reinem Prinzip. Man sagte zwar, die Nähe zu Gleichaltrigen fördere die Entwicklung, doch erkannten seine Eltern bald, dass dies nicht auf ihren Sohn zutraf. Er frönte dem Alleinsein, fühlte sich mit seiner eigenen Präsenz am wohlsten, und es blieb nichts anderes übrig als Akzeptanz. Egal, wie sehr man gedachte, es zu ändern, im Endeffekt fügte es ihm bloß mehr Schmerzen zu.
    Er wollte gerade zur stählernen Rutsche laufen, da packte ihn jemand brutal an seinen zierlichen Schultern und warf ihn in den Staub. Der nun Jugendliche erinnerte sich nicht mehr an die exakten Gesichtszüge seiner Peiniger, im Gegenteil, er hatte mit allen Mitteln versucht, sie zu vergessen; sie zu verdrängen, um seine Seele, sollte sie sich wie jetzt an damalige Geschehen erinnern, vor unnötigen Schmerzen zu bewahren. Denn er wusste nicht, ob er es noch sonderlich oft ertrüge, diese Zwischenfälle in Gedanken immer und immer wieder zu erleben – an das zu denken, was seine Einstellung zur Welt und zu seinem Leben an sich geprägt hatte.
    Widerliche, hässliche Fratzen waren die Antlitze seiner Furcht geworden, überlagert von der Verschleierung schwarzer Schatten, einzig unterbrochen von funkelnden, zu Rauten geformten Kristallen, gierige Augen. Ihre so scharfen Klauen wetzten sich an seinem wehrlosen Leib, ergötzten sich an seinem Leid, und es verlieh ihnen noch mehr Macht über ihn. Zusätzlich hielten sie ihn fest in ihren spitzen Krallen, während andere ihrer Art auf ihn eintraten, ihn bespuckten oder Benjamin auf etwaige Art und Weise demütigten.
    Und dann… dann war es passiert, ohne Vorwarnung, ohne dass er es gezielt erbeten hatte. Rauschende Flammen züngelten um ihn herum, schlangen sich zielstrebig um einen seiner Scheinhenker, hüllten diesen vollends in ihre Fänge und ließen ihn ihrem Zorn, ihrer Rache nicht entfliehen. Zu Benjamins Verwunderung verursachte der Zwischenfall keine Spur von Rauch oder Qualm, hatte er doch bereits oft genug im Fernsehen beobachtet, wie man hustende Menschen aus brennenden Gebäuden zerrte, ihnen Atemmasken verpasste, damit sie nicht an einer Vergiftung starben oder am Ruß erstickten. Weiterhin sandte die Sonne ihren an sich unsichtbaren Einfluss auf die Erde hinab, und ebenso dröhnte von etwas weiter entfernt der Verkehr der Hauptstraße.
    Benjamin selbst krümmten die feurigen Ranken kein einziges Haar, wieso auch? Schließlich waren sie zu seiner Rettung herbei geeilt, seine unberechenbaren Wächter der Wärme, der gleichsamen Zerstörung. Dem Rest seiner Tyrannen erwiesen sie Gnade, ihrem Anführer jedoch zeigten sie ihre gänzliche Unerbittlichkeit. Grölende Schmerzensschreie hallten im Gedächtnis Benjamins, sie wollten nicht verstummen, so sehr er dies ersehnte. Sie hörten nicht auf, sein Trommelfell zu beschmutzen, niemals seit diesem Ereignis hatte es das, das verzweifelte Krakeelen des jungen Teenagers, als die Flammen sich von seiner Kleidung nährten, seine Haut ähnlich einer dünnen Staubschicht beseitigten, sein darunter befindliches Fleisch brieten. Nie vergäße er den Geruch einer halbfertigen Fleischmahlzeit, der aus dem punktuellen Feuer strömte und sich mit angekohltem Gummi mischte; nie vergäße er die sich allmählich formende, düstere Silhouette, bei der es sich einst um einen Menschen gehandelt hatte; wie sie, eingeschlossen in orangen Massen, langsam zu Boden sank, auf die Knie, kontinuierlich um Hilfe flehend. Vergeblich.







    Leuchtend rote Rubine blickten ihn besorgt an, eindringlich, so unglaublich leidend. Farbintensiv, doch matt und trübe. Gespannt, doch unsicher, ob sie weitere Details ertrügen. Zudem wohnte ihnen eine Eigenschaft inne, die Benjamin nicht zu entschlüsseln vermochte. Stück für Stück rutschte er von Shohei weg, bis bloß Shoheis Fingerspitzen ihn noch berührten. „Ich will dich nicht verletzen, Shohei…“, und endlich erwiderte Benjamin den lange einseitigen Blickkontakt. „Nicht dich… das verziehe ich mir nicht… schon das mit deinen Händen…“ Es war zwar ein Unfall gewesen, dennoch schrieb Benjamin sich die Schuld an den jüngsten Ereignissen zu, das Verbrennen von Shoheis Handflächen. Ohne Vorwarnung hatte er seine Finger in Benjamins verschränkt, um ein offenes Feuer in seinem Apartment zu vereiteln, ohne seine eigene Gesundheit zu berücksichtigen. Benjamin hätte es merken müssen…
    „Ich glaube nicht, dass du das würdest“, entgegnete Shohei daraufhin, folgte Benjamin und rückte wieder etwas zu ihm. Langsam griff er nach der Creme Tube auf dem Couchtisch rechts neben sich, tröpfelte ein wenig auf zwei Fingerkuppen und widmete sich so anschließend einer der Narben auf Benjamins bloßer Brust. Dieser zuckte zusammen, als Shohei vorsichtig Balsam auf seiner Haut verstrich. „Und sich selbst zu malträtieren, nur in der Befürchtung, jemandem zu schaden… Weißt du denn nicht, dass das den Personen, die dich mögen, auch in der Seele weh tut? Sehen zu müssen, wie du dich komplett zugrunde richtest?“
    Fasziniert beobachtete Benjamin Shoheis Aktion, spürte die Wärme seiner Hände auf seinem eigenen zitternden Leib, bebend vor fast ausgebrochener Panik beim Gedanken an seine damalige, ungewollte Grausamkeit. Bestimmt verdankte Shohei Geneviève die Zartheit seiner Finger, sie hatte ihn garantiert dazu erzogen. Die Behutsamkeit seiner Gesten, zum Üben hatte sie ihn wohl gern zu sich eingeladen. Ein müdes Lächeln stahl sich dabei auf Benjamins Lippen. So starke Gefühle für jemanden zu hegen, musste sehr schön sein, sofern sie auf Gegenseitigkeit beruhten. Und er, Benjamin, war, in vollendete Dreistigkeit gehüllt, einfach erschienen und hatte sich zwischen sie gedrängt…
    „Niemand mochte mich bislang“, lachte Benjamin auf, ließ seinen gesamten Oberkörper etwas nach vorne sacken. Angenehm kühl war die Salbe. „Man erhält keine Zuneigung, wenn man depressiv ist, geschweige denn wird man bei solchen Narben angesprochen.“ Und je mehr er von sich preisgab, desto stärker ergriff dieses Gefühl der Verlorenheit wieder von ihm Besitz, sog ihn in einen Strudel der Isolation und inneren Leere, bescherte ihm das, was er all die Jahre so gefürchtet hatte. Nichts zu fühlen. Nichts zu empfinden, weil man ihm nie mit derlei begegnet war. Er hatte nicht richtig gelernt, sich anderen offen mitzuteilen, bedingungsloses Vertrauen zu jemandem zu fassen, gar Zuneigung für eine Person zu entwickeln, die nicht von gleichzeitigem Misstrauen dominiert wurde, dazu hatte er zu zahlreiche Enttäuschungen erlitten, zu viele Illusionen gelebt. „Nein, man ist zur Einsamkeit verurteilt, Tag ein, Tag aus, auf ewig. Und soll ich dir etwas verraten? Ich habe mich daran gewöhnt, Shohei. Es kümmert mich nicht mehr und -“
    „Du bist ein miserabler Lügner“, grinste Shohei, unterbrach somit Benjamins Ansprache, sowie seine Verarztung, lagerte seinen Ellbogen auf seinem rechten, über das andere Bein geschlagenen Knie und bettete seinen Kopf auf seinen Handrücken. Schiefen Hauptes musterte er schier amüsiert seinen Mitbewohner, einige seiner schwarzen Strähnen streiften sacht seine Wange. „Deine Eltern haben früher gearbeitet, oder?“
    Erstaunt schaute Benjamin Shohei an, antwortete eine Weile nicht. Es war ihm schleierhaft, worauf Shohei abzielte, doch immerhin schaffte die kurzzeitige Konzentration auf eine Frage es, das Chaos in seinem Kopf zu lindern. Schließlich nickte er zögerlich. „Und sie sind jedes Mal wieder Heim gekehrt, auch nachdem sie von deinen Narben wussten?“ Benjamin nickte erneut. Pure Skepsis, gepaart mit Ratlosigkeit spiegelte sich in seinen Augen. „Und das ist für dich Abneigung? Jeden Tag einem gebrochenen Jungen entgegen zu treten, Zeit mit ihm unter einem Dach zu verbringen, egal, wie er aussieht? Egal, was er macht?“
    „Es ist Notwendigkeit“, murmelte Benjamin beschämt und wandte sein Antlitz von Shohei ab, ein leichter Rotschleier zierte seine Wangen. „Ich war ihr Sohn, sie mussten sich mit mir abgeben. Das ist man seinem Kind schuldig.“
    „Du glaubst also, ich lasse dich hier wohnen, weil ich dich bemitleide?“ Ein prüfendes Lächeln legte sich nun auf Shoheis Lippen, wohl wissend, bereits einen Sieg davon tragen zu können. „Benjamin, man gewöhnt sich an jemanden, wenn man längere Zeit mit ihm zusammen lebt. Bist du der Auffassung, du könntest von nun an noch völlig alleine leben? Ohne jemanden zu vermissen?“
    Benjamin realisierte, Shoheis Springer hatte seinen König zu Fall gebracht. Eine solche Cleverness hätte er seinem Vermieter gar nicht zugetraut, er war gewieft und er wusste seine Ziele zu erreichen. Zug um Zug schritt er voran, verfolgte die Entscheidungen seines Gegners, studierte ihr Verhalten, kalkulierte ihre weiteren Beschlüsse… Und dieses Mal erfreute Benjamin die Niederlage.




    ***


    „Shohei, du vermaledeiter Dreckskerl.“ Simon schnaubte, ungehemmt, wohl wissend, dass dadurch eventuell seine heutige Gefährtin neben ihm aufwachen und sich im Traum an ihn klammern könnte. Eine Fatalität ohnegleichen, zumindest nach dem gemeinsamen Vergnügen. Davor oder währenddessen störte es ihn keineswegs, wenn ihre Finger seine Haare zerzausten, sich darin festkrallten, oder ihre Arme um seinen Hals die Distanz zwischen ihnen zunehmend verringerten. Aber unter keinen Umständen durfte sie noch in den Morgenstunden an ihm kleben, es sei denn, er selbst genehmigte und wollte es so. Alles andere gefährdete seine Ideale. „Und ich habe dir vertraut…“
    Des Öfteren, sofern die Zeit es ihm erlaubte, grübelte er über seine Vergangenheit, über das, was bereits längst geschehen und unabänderbar war; über das, was hätte sein sollen, sein können, sein müssen; was er verloren hatte. Die Chance, seine erste Liebe für sich zu gewinnen zum Beispiel. Einen sehr guten Freund ebenfalls, im selben Schritt. Und im nächsten den Glauben an die Sympathie im Menschen. Langfristig funktionierte keine Beziehung, weder auf freundschaftlicher, noch auf partnerschaftlicher Basis, das vermochte er sich nicht vorzustellen, und grob resümiert ließe sich Simons Meinung nach behaupten, dass allein Shohei all das verantworten musste. Seine vielen Liebschaften, Fehltritte, seinen arroganten Charakter und vielleicht die Entdeckung seines Verführungstalents, welches er in vollen Zügen genoss und nach allen Maßstäben auskostete. Solange man ihn nicht stalkte oder langfristig belästigte, scherte er sich nicht um die Empfindungen anderer. Selbst schuld, wenn sie sich seiner ergaben. Es zwang sie schließlich niemand dazu.
    Vorsichtig schlug er die luftige Bettdecke zur Seite und erhob sich aus dem weichen, zugleich widerstandfähigen Federbett, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und begutachtete die Dunkelheit, die ihn in ihr finsteres Kleid hüllte. Lediglich Silhouetten der im Zimmer platzierten Möbelstücke gestatteten ihm Ansätze einer ungefähren Orientierung, ein schmaler Lichtstreif beehrte sie vereinzelt mit seinem Schein. Die bereits früh eingeschalteten Neonleuchten eines so manchen Lokals, der ein oder anderen Spielothek warfen ihre künstlichen Strahlen durch die gläserne Scheibe, drangen mittels der beschränkten Öffnungen, denen, die keine Gardine bedeckte, in den vollgestellten Raum. Unglücklicherweise verschonten sie dabei seine Kleidung, wahrscheinlich quer über den kühlen Boden verteilt. Sie versteckte sich erfolgreich vor ihrem Besitzer, in dieser Ecke, in jenem Winkel, wobei Simon sich allmählich zu fragen begann, wie um alles in der Welt sie dorthin gelangt war.
    Möglichst leise bückte er sich, kniete sich auf allen Vieren neben die Holzkante und ließ seine linke Hand tastend auf dem kühlen Grund umher wandern. In seinem Bemühen, keinen einzigen Laut von sich geben und die Schlafende ja nicht zu wecken, spannte sich sein Leib mehr und mehr an, verkrampfte sich regelrecht und verursachte ihm an diversen Stellen stattlichere oder mindere Schmerzen. Etliche Knötchen stahlen sich in seine Muskeln, schränkten seine Bewegungsfreiheit ein, oder aber es fühlte sich an, als drohten wichtige und kräftige Sehnen, augenblicklich zu reißen. Schlimmer als Muskelkater, allerdings glimpflicher als eine tatsächliche Verletzung.
    Ein solches Gefühl hatte ihn schon lange nicht mehr heimgesucht, das so plötzliche Auftreten dessen wunderte Simon, obwohl er prinzipiell den Auslöser kannte, und das nicht nur flüchtig. In den letzten Tagen hatte man ihm kaum eine ruhige Minute gegönnt, sogar Zuhause war er Opfer einer Standpauke seiner Eltern geworden, hinsichtlich seiner nächtlichen Eskapaden, und das mitten im Schuljahr. Rein rechtlich betrachtet dürften seine werten Eltern ihm gar keine Vorschriften mehr machen, das achtzehnte Lebensjahr hatte er bereits vollendet und somit die Schwelle zum Erwachsenentum hinter sich gebracht. Doch welches Kind erfuhr nicht die ‘Solange-du-deine-Füße-unter-oder-auf-meinen-Tisch-legst-‘-Klausel? Sie verkörperte eine Art Gesetz, das in jedem Haushalt Gültigkeit fand. Ob bei Jugendlichen oder kleineren Kindern, das war einerlei, Hauptsache, man erzielte wiederkehrende Vernunft.
    Zudem erachtete Simon es als eine Vergeudung elterlicher Fürsorge, sich um eine Arbeit zu bewerben, eine eigene Wohnung zu mieten und diese aufräumen zu müssen, erhielte er nicht einmal einen fremdfinanzierten Butler. Wenn er eine unabhängige Existenz zu errichten gedachte, würde man ihm abrupt den Geldhahn abdrehen und er wäre gezwungen, seinen Lebensstil eigens zu verantworten. Ohne Bedienstete, die seine Versicherungsangelegenheiten beaufsichtigten, seine potenziellen Schulden, seine Missetaten, denen zu entfliehen ihm nicht allein gelang. Bequemlichkeit und Luxus forderten halt ihren Preis. Seufzend fügte er sich seinem erwählten Schicksal, erfühlte sein Shirt, zog es an und strich es glatt, sodass es sich seinem trainierten Oberkörper anpasste. Wenig später setzte er sein Krabbeln dort, nach wie vor auf der Suche nach seiner Kleidung – Hose und Jacke fehlten noch.
    Unvermittelt raschelte es links von ihm, fast im gleichen Moment wandte er seinen Kopf ruckartig in Richtung der Geräuschquelle. Ein dumpfer Aufprall erklang, ein geflüsterter Fluch folgte, und zusätzlich zu seinem angespannten Nacken, bei dem er bereits manches zertrennt glaubte, gesellte sich ein regelmäßiges Pochen an seiner linken Schläfe zu seinen bisherigen Schmerzen. Seine Fingernägel vergrub er in den Handflächen, um die Fassung zu wahren, ein Fehlverhalten samt wütendem Aufschrei zu unterdrücken. Er flehte stumm, sie möge sich bitte bloß um Träume hin und her wälzen, woraufhin sich sowohl seine Nerven strafften, als auch seine Muskeln sich weiter verhärteten und ihm Qualen bereiteten. Zweifelsohne, er musste dringend nach Hause, seine letzte Meditation lag zu lange zurück.
    Kriechend bog er aus der Enge zwischen seitlicher Bettkante und Wand – von dieser erkannte er lediglich die gedämpft einfallende Helligkeit des Fensters – in die knappe Gasse von Spiegelschrank und Fußende des Schlafdomizils ein. Sonderlich mehr Platz bot sich ihm dort nicht, handelte es sich ja bei der Wohnung ebenso wenig um eine flächenmäßig üppige, für seine Gestalt reichen tat es jedoch allemal. Unvermittelt erwischten seine, so hörte er häufig, talentierten Finger den Bund seiner Jeans. Simon überlegte kurz, ob die Brünette, welche er diesmal auserkoren hatte, in Hose oder Minirock vor ihm erschienen war, und schlussendlich entschied er sich für letzte Variante. Ein blauer Faltenrock war es gewesen, er hatte ihre grazilen Beine perfekt betont, jedes männliche Wesen würde sich nach ihr umdrehen und ihren schwebenden Gang verfolgen. Und gerade Simon gehörte denjenigen an, die die gleichsam himmlisch prickelnde Erfahrung machen durften, zu erkunden, was sich unterhalb ihrer Kleidung befand. Ein herrliches Privileg, fand er, und genoss, soweit die Möglichkeiten es ihm gestatteten, den wohligen Schauer, der seinen Rücken hinabjagte. Fast schade, dass er ihr eine falsche Telefonnummer notieren und eine falsche Ausrede auftischen würde, eine oder zwei zusätzliche Nächte wären für sie beide ausschließlich ein Gewinn.
    Seine Hose fest umschlossen in der einen Hand, suchte seine andere verzweifelt seine weiße Strickjacke. Ohne sie dürfte er nicht verschwinden. Nicht, weil dann eine neue zu kaufen wäre, sondern weil sie eine Spure seiner vorübergehenden Anwesenheit darstellte, aufgrund der sie Hoffnungen entwickeln könnte, gar versuchen, ihn zu finden. Nein, danke.
    Erneut ertönte ein Rauschen der Bettwäsche, sie schien ziemlich unruhig zu nächtigen, und wieder schnellte Simons Schädel instinktiv in eben jene Richtung, wo seine Gespielin für seine Nacht momentan ruhte. Das Holzgestellt gedachte wohl, ihn für die Strapazen, die es hatte erdulden müssen, zu bestrafen. Oder aber es mochte ihn schlichtweg nicht.
    „Scheiße, verdammte!“, formte er beinahe lautlos mit den Lippen, presste knirschend die Zähne aufeinander, damit ja kein leidendes Stöhnen aus seiner Kehle drang. „Matratzen werden echt überbewertet. Es gibt doch Wände, und niedrige Tische, oder Sofas…“
    Erstaunlich, dass sie noch immer ihren unterbewussten Fantasien hinterher eilte, bei den Erschütterungen an ihrem Bett. Simon allerdings störte dies keineswegs. Er schlich tapfer voran, bis er nach einer gefühlten Ewigkeit die rettende Tür zum Flur erreichte und sich erhob. Hatte das Techtelmechtel nicht im Gang angefangen? Sprich wäre es nicht möglich, dass er bereits dort seine Jacke verloren hatte?
    Ein letztes Mal besah er sich in Gedanken seine Eroberung. Lange, braune Haare, welche schon ihren niederen Rücken berührten, gleichfarbige, intensiv funkelnde Augen; ein schmales, frommes Antlitz reinster Haut, das nicht im Geringsten an Lust und Leidenschaft erinnerte, verziert mit geschwungenen roten Lippen; eine stattliche Oberweite, die natürlich besondere Liebkosungen verdiente, gar verlangte, erzwang, und im Zuge dessen ihre leicht spitzen Fingernägel in seinem Rücken, wie sie ihn zunehmend anheizten…
    Trotz der Ähnlichkeit war es nicht sie. Gelinde bedauerte er diese Tatsache, jedoch nicht mehr und nicht weniger. Er konnte jedes Mädchen haben, das er begehrte, was kümmerte ihn also noch die Eine, die ihm damals vor langer Zeit den Kopf verdreht hatte? Nichts, redete er sich vehement ein, sie war abgeschlossen, von keiner fortwährenden Relevanz. Sein Leben war perfekt, auch ohne solche Störfaktoren wie Shohei oder wahre Liebe, alles Unfug. Er brauchte sie nicht.
    „Tse, sollen die es doch treiben. Eine allein wird doch langweilig.“ Bedacht öffnete er die Tür einen Spalt, trat hinaus, den Saum seiner Hose noch umklammert, und zog sie behutsam hinter sich zurück in den Rahmen, bis es klickte. Seine freie Hand glitt an der Wand entlang, gedachte, einen Lichtschalter innerhalb des unbekannten Territoriums zu erstasten, und kaum spürte er die raue Tapete, zuckte ein schwacher Blitz aus seinen Fingern, erhellte den Flur für wenige Sekundenbruchteile. Die etwas abgeklungenen Verspannungen in ihm flammten wieder auf, stachen wild und willkürlich in die unterschiedlichsten Abschnitte seiner Gliedmaßen, und ließen ihn schmerzhaft heftig um die Erforderlichkeit einer vollkommenen Eigenkonzentrationsphase Bescheid wissen.

    "僕の命令は絶対."
    "My orders are absolute."

    赤司・征十郎 ~

    Einmal editiert, zuletzt von Namine ()

  • Gut, mit etwas verspätung schreib ich mal meinen Kommentar.
    Das "Watch me die" Shounen-Ai ist stört mich ehrlich gesagt nicht. Die Geschichte ist gut, das ist alles was Zählt :D .
    Ich war etwas überrascht das man hier die Vergangenheit von Benjamin erfährt, ich hätte nicht gedacht das man es so schnell efährt. Das Erlebnis seiner Vergangenheit war echt schlimm, es ist versändlich das Benjamin deshalb psychische Probleme entwickelt hat. Es war zwar ein Unfall aber es ist verständlich das Benjamin seine Kräfte verabscheut. Die Stelle mit den Messer zeigt auch das er noch einen weiten Weg vor sich hat bevor er wieder gesund ist. Wobei es währe unrealistisch und auch etwas seltsam wenn er innerhalb von ein Paar tagen plötzlich geheilt währe, ganz zu schweigen davon das das nicht mit der Story übereinstimmen würde. Simon scheint mir ziemlich nachtragen zu seine das er es Shohei immer noch nicht verziehen hat das er mit Geneviève zusammen war. Wobei er kann ja nicht wissen das die beiden Schluss gemacht haben, ich frage mich wie er darauf reagiert. Und wenn ich schon dabei bin wollte ich fragen ob Geneviève in den weiteren Verlauf der Geschichte aktiv noch eine größere Rolle spielt, weil seit der Trennung ist sie ja nicht wieder aufgetaucht. Alles in allen ein weiteres gelungenes Kapitel und ich bin schon gespannt wie es weiter geht.

    "We starve, look at one another, short of breath. Walking proudly in our Winter coats. Wearing smells from labortories, facing a dieing nation of moving paper fantasy, listening for the new told lies with supreme vision of lonely tunes"
    Hair, Let the sunshine in

    2 Mal editiert, zuletzt von Plinfan ()

  • [tabmenu]
    [tab=Neues Kapitel]
    So, nach einigen Monaten auch endlich ma wieder ein neues Kapitel. Aufgrund diverser schulischer Aktivitäten, Referaten, Klausuren und so weiter bin ich leider nicht zum Schreiben gekommen und ich hatte geplant, stets so vier bis fünf Kapitel noch in der Hinterhand zu haben. Und da ich nebenbei noch für meine Abiturklausuren lernen muss, bleibt lediglich wenig Zeit und auch Lust für anderweitig Kreatives... Leider nur ein Kommentar dieses Mal, schade, aber nun gut, man darf ja hoffen ~



    Ein kleiner Ausflug in die Einkaufsstraße und im Anschluss eine Führung durch Prismania City selbst, so hatte Shohei es Benjamin im Grunde versprochen, um ihm wenigstens etwas Abwechslung zum Alltag zu bieten. Und hätte er Benjamin nicht allein vor der Bank warten lassen, wäre es wahrscheinlich auch so verlaufen. Denn diesen Moment der Unachtsamkeit Shoheis kann Simon sich nur zunutze machen. Offenherzig stellt er sich Benjamin vor, konfrontiert ihn mit ihrem gemeinsamen Schicksal und schafft es dadurch sogar, Benjamins Verhältnis und Einstellung zu Shohei gehörig zu erschüttern ~


    [tab=Plinfan]
    Erstmal ein großes Dankeschön für deinen lieben Kommentar :3 Es freut mich, dass man meine Geschichte trotz des Genres noch verfolgt ~


    Die Stelle mit den Messer zeigt auch das er noch einen weiten Weg vor sich hat bevor er wieder gesund ist. Wobei es währe unrealistisch und auch etwas seltsam wenn er innerhalb von ein Paar tagen plötzlich geheilt währe, ganz zu schweigen davon das das nicht mit der Story übereinstimmen würde.

    Eben, es wäre ziemlich unrealistisch, wenn ich ihn im jetzigen Kapitel als so depressiv darstellte und im nächsten wie die Fröhlichkeit schlechthin. Größtenteils greife ich zwar auf meinen eigenen Erfahrungsschatz zurück hierbei, jedoch finde ich die Aufgabe an sich, mit einer depressiven Person als Charakter zu arbeiten, wahnsinnig spannend und zugleich stellt es natürlich eine enorme Herausforderung dar, zumal ja auch Shohei seine Laster hat. In dem Sinne versuche ich, die verschiedenen Arten von Suchten, deren Wirkungen und Ursachen etwas genauer zu beleuchten und vielleicht sogar verständlicher zu machen ~




    Simon scheint mir ziemlich nachtragen zu seine das er es Shohei immer noch nicht verziehen hat das er mit Geneviève zusammen war. Wobei er kann ja nicht wissen das die beiden Schluss gemacht haben, ich frage mich wie er darauf reagiert. Und wenn ich schon dabei bin wollte ich fragen ob Geneviève in den weiteren Verlauf der Geschichte aktiv noch eine größere Rolle spielt, weil seit der Trennung ist sie ja nicht wieder aufgetaucht.

    Oh ja, Simon ist nachtragend. Immerhin war Shohei damals sein bester Freund, und auf der anderen Seite Geneviève seine große Liebe. Und er hat es Shohei nie verziehen, dass der ihn für Geneviève dann so vernachlässigt hat, dass ihre Freundschaft letztlich daran zerbrochen ist. Aber das wird man auch in späteren Kapiteln noch deutlich zu spüren bekommen :3
    Geneviève wird wahrscheinlich später noch einmal vorkommen, beziehungsweise natürlich immer wieder ma angesprochen werden, denn immerhin ist sie allein für Shohei und Simon ein brisantes Thema. Eine allzu große Rolle wird sie jedoch nicht mehr einnehmen, schließlich ist sie im Endeffekt auch nur ein Nebencharakter ~


    [/tabmenu]

    "僕の命令は絶対."
    "My orders are absolute."

    赤司・征十郎 ~

    Einmal editiert, zuletzt von Namine ()

  • Kapitel 10: This puppet won't obey







    || And I hope to God you’ll listen, and you’ll keep me safe from harm

    ‘Cause I found what I was missing when I fell into your arms ||


    ~ Hurts - Help




    Ein triumphierendes Lächeln zierte Simons verführerische Lippen.
    Mengen an kaufwütigen Menschen hasteten oder schlenderten auf dem unebenen Kopfsteinpflaster der breiten Einkaufsstraße Prismanias, weshalb der Geräuschpegel allmählich ein dementsprechend lautes Niveau erreichte. Klirrende Tassen und Teller nahmen aus Eis Cafés oder Esslokalen am Geschehen teil, Letztere lockten mit ihren leckeren, zum Rasten einladenden Düften warmer Mahlzeiten, Kleiderbügel wurden an draußen platzierten Ständen hin und her geschoben, knirschten, und so ziemlich alle Anwesenden schnatterten durcheinander. Manche regten sich am Telefon auf und fuchtelten wild mit ihrer freien Hand, vorwiegend Mädchen schwangen bunte Einkaufstaschen mit ihren Errungenschaften in die Luft, aßen Eis, andere inspizierten mit lockerem, farbenfrohen Urlaubsoutfit und Kamera bewaffnet die hohen Gebäude samt ihres Baustils.
    Aufgrund der sommerlichen Hitze war ein Großteil der Leute recht knapp bekleidet, kurze Hose, Schlappen, Shirt oder gar Top, weshalb ebenso einige für Simons Geschmack noch zu lange Röcke an seinem Augenmerk vorbei wanderten. Zwar schenkte er ihnen am Rande Aufmerksamkeit, doch außergewöhnlicherweise fokussierten die smaragdgrünen Spiegel seines Antlitzes ein anderes Ziel. Und diesem würde er gleich ein wenig zu Leibe rücken.
    Dort auf der anderen Straßenseite verschwand just ein schwarzhaariger Junge in einem imposanten Bankgebilde, wandte Simon seinen in grau gehüllten Rücken zu, und lieferte seinen jüngeren, verunsicherten Begleiter schutzlos den Gefahren der Stadt aus. Seine braunen Strähnen schimmerten auffällig hell im Schein der Mittagssonne, bewahrten Abschnitte seines Gesichts vor der zur Zeit brennenden Präsenz des Flammensternes.
    Er spähte unruhig umher, ehe er sich auf den marmornen Treppen des Geldinstitutes niederließ, in seinen kühlen Schatten tauchte, sein Körper gelangweilt gegen die neben ihm befindliche, graue Steinsäule sackte. An der Fassade der hochrangigen Institution reflektierten etliche, schwarze Glasplatten das Sonnenlicht, wiesen es ab, gewährten nicht den geringsten Einblick in das Innere des Komplexes, dafür aber Aussicht auf das in leuchtendem Blau glänzende Firmenlogo an der Frontseite, natürlich alles voluminöse Buchstaben. Simon sollte dies herzlich egal sein, solange es ihn nicht allzu stark blendete, ähnlich den aus ungünstigen Winkeln betrachteten Schaufenstern. Auch in höheren Etagen waren gläserne Scheiben samt modischer Puppen dahinter angebracht, oder aber großflächige Werbetafeln und –plakate für bestimmte Geschäfte.
    In Simons Fingern zuckte es vor Freude, er musste sich beherrschen, nicht aus Versehen kleine Blitze auf die Menschen zu hetzen. Zwar unterstützten Meditation und Atemübungen seine Disziplin, sobald jedoch stärkere Launen ihren Ausdruck verlangten, gestaltete sich Zurückhaltung zunehmend schwieriger. Zudem hätte er sich nie erträumt, dass es so verdammt einfach würde, Shoheis neuen Freund zu finden und zusätzlich allein anzutreffen. Heute musste sein Glückstag sein.
    „Ach, Shohei… dieses Mal habe ich eindeutig Vorrecht“, grinste Simon und stieß sich geübt von der kalten Mauer ab, an die er mit vor der Brust verschränkten Armen gelehnt hatte. „Fast fehlt mir deine Vorsicht von früher.“
    Ohne seinen anvisierten Fixpunkt aus den Augen zu verlieren, begab Simon sich in die sich ständig bewegende Horde, reihte sich in den einen Strom ein, wechselte unauffällig in den nächsten. Sofort spürte er die ansteigende Temperatur innerhalb des Menschenschwalls, versuchte die nun besser hörbaren Stimmen, welche ihm nahezu direkt ins Ohr plapperten und lachten, zu ignorieren. Obwohl er seine Beute noch nicht einmal angesprochen hatte, blühte bereits eine Art Triumphempfinden in ihm, immer stärker reckte es sich empor, je weiter er voran schritt. Und er spürte mehr und mehr die Aura von seinesgleichen. Etwas ängstlich, schwach, dennoch vorhanden. Das konnte unmöglich Zufall sein.
    Simon positionierte sich vorerst schräg von Shoheis Bekanntschaft, in der Nähe eines weißen Essenswagens, sodass man ihn nicht unmittelbar bemerkte. Ein Weilchen frönte er noch dem Nervenkitzel der Vorfreude, beobachtete geduldig den wartenden Teenager. Wenig später folgte sein Manöver.




    ***



    Seufzend starrte er auf seine schwarzen Chucks.
    Eigentlich hatte er keine Lust dazu verspürt, Shohei vor ihrer seit Langem anstehenden gemeinsamen Stadtbesichtigung zur Bank zu begleiten. Allerdings schien der Zwischenstopp eine gewisse Wichtigkeit für seinen Vermieter zu beinhalten, weshalb Benjamin letzten Endes eingewilligt hatte. Um was genau es sich dabei handelte, das hatte man ihm natürlich nicht verraten wollen. Klar, er respektierte Shoheis Privatsphäre, aber sie wohnten nun schon mehrere Wochen zusammen, da lernte man sich besser kennen, oder nicht? Hegte man dann noch schwerwiegende Geheimnisse voreinander? Benjamin war im Grunde von einer sich festigenden Freundschaft zwischen ihnen ausgegangen, auf jeden Fall von einer engeren Bindung als ganz zu Anfang, und dieses Verschweigen von Tatsachen enttäuschte ihn.
    In willkürlichen Abständen hob und senkte er seine Fußspitzen, stützte sich gekrümmter Haltung mit den Unterarmen auf seinen Knien ab und streckte seinen verspannten Hals in verschiedene Richtungen. Nichts gegen das verhältnismäßig bequeme und weiche Sofa, doch mit der Zeit versteiften Rücken und Nacken nicht minder. Vielleicht sollte er Shohei während ihres Ausflugs nach einem zusätzlichen Kissen –
    Plötzlich gesellte sich ein weiteres Paar Schuhe in sein dem Boden gewidmetes Blickfeld, weiße Chucks, an die sich eine dunkle, bereits leicht verschlissene Jeans heftete. Irritiert schaute Benjamin auf, erkannte dank des grellen Sonnenlichts jedoch lediglich einen verschwommenen Schatten. Augenblicklich ging die finstere Silhouette in die Hocke, um mit Benjamin auf einer Ebene sprechen zu können, und sobald der Geblendete sich schützend eine Hand vor die Stirn hielt, dem Fremden endlich ins Gesicht sah, registrierte er ein überglückliches Lächeln, das ihn anstrahlte. Benjamin runzelte argwöhnisch die Stirn.
    „Wie geht’s dir?“, fragte sein just angekommener Gesprächspartner fröhlich. Mit einem raschen Kopfschütteln entfernte er eine seiner blonden Strähnen, sie hing halb in seinen Augen, aus seinem angehaucht spitzen Antlitz. „Ich bin Simon, freut mich, dich endlich kennen zu lernen.“
    Benjamin beschlich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Schön, Shohei war damals ebenso ein Fremdling für ihn gewesen, als er ihn gerettet hatte, trotzdem wunderte es Benjamin, dass ihn aus heiterem Himmel Leute ansprachen und sich vorstellten, und das mit solcher Begeisterung. Benjamin entsann sich nicht, je mit diesem Simon ein Wort gewechselt zu haben, allerdings erinnerte er sich an den Blondschopf. Shohei war in der Bar mit ihm aneinander geraten, nachdem sie ihn eine ganze Zeit lang beobachtet hatten.
    „Danke, ich… kann nicht klagen“, entgegnete Benjamin zögerlich, begradigte seine Körperhaltung. Er wollte etwas Abstand zu Simon gewinnen, erzeugte der einerseits einen relativ seltsamen Eindruck, und andererseits wusste er von Shoheis offensichtlicher Abneigung ihm gegenüber. Benjamin vertraute Shoheis Menschenkenntnis prinzipiell, wenn er ihn also lieber verscheuchte… zumal es nicht in seinem Interesse lag, Shohei zu verärgern, indem er mit Simon redete.
    „Willst du mir nicht erst deinen Namen verraten?“ Intensiv grüne Augen starrten Benjamin erwartungsvoll an, jagten Shoheis Mitbewohner einen eisigen Schauer über den Rücken und ihm selbst fast Angst ein. „Das ist sonst so unpersönlich.“ Sollte er es wirklich wagen? Nun, im äußersten Notfall blieben ihm seine Feuerkräfte zur Verteidigung, wenngleich eine prall gefüllte Einkaufsstraße nicht den geeignetsten Ort für ein Duell verkörperte. Schweigen und ignorieren, bis Shohei alles erledigt hatte? Nein, Simon ließe wohl selbst dann nicht locker. Er war gezwungen, mitzuspielen.
    „Benjamin“, antwortete er knapp. „Mein Name ist Benjamin. Und jetzt?“ Das Unbehagen in ihm peitschte ihn stetig mit seinen Wogen, verursachte ihm leichte Magenschmerzen. Der Flammenstern, der mittlerweile seine Position so verändert hatte, dass er Benjamins Kopf unaufhörlich briet, milderte sein Unwohlsein keineswegs. Weilte wenigstens Shohei hier, dann stünde er dem nicht völlig allein entgegen.
    „Jetzt können wir vernünftig reden, schön.“ Simons breites, freudiges Lächeln wandelte sich zu einem nachdenklichen, wissenden. „Pass auf. Ich weiß, was du bist.“ Benjamins Augen weiteten sich vor Entsetzen und gleichsamem Erstaunen. „Ich weiß, wozu du in der Lage bist, weil ich wie du bin. Und ich glaube, wir sind nicht grundlos in derselben Stadt, zum selben Zeitpunkt.“
    „Was – “, stammelte Benjamin unbeholfen, doch da zeigte Simon ihm bereits seine bloße Handfläche. Weiterhin lächelnd demonstrierte er seine Fähigkeiten, achtete darauf, dass ausschließlich Benjamin davon Zeuge wurde.
    Formferne Elektrizität bildete sich in Simons Hand, gelb leuchtende Stacheln hetzten knisternd kreuz und quer zwischen seinen Fingern umher, heizten die Luft um sich herum rapide auf, stoben auseinander und wieder zusammen, rieben sich in ihrer Orientierungslosigkeit aneinander, vernetzten sich, erzeugten seichte Vibrationen in ihrem Umkreis. Benjamin betrachtete gefesselt das Spektakel, welches man ihm bot, es gelang ihm nicht, seine Augen davon zu lösen. Es existierte tatsächlich jemand seiner Sorte, eine Person mit ähnlichen Eigenschaften, vielleicht ähnlichen Zweifeln, die an ihr nagten… sollte er es wunderbar nennen? Toll, einem Gleichgesinnten begegnet zu sein?
    „So, Benji“, beendete Simon seine Vorführung, lagerte seine Arme wie Benjamin zuvor auf seinen Knien. „Das dazu. Ich bin echt froh, dich nach all den Jahren getroffen zu haben, jemanden, der mein Schicksal teilt.“ Begierig lauschte Benjamin seinen Worten, fasste Vertrauen zu Simon. Das mulmige Gefühl verflog nach und nach. „Und dort setzt meine Vermutung an. Benji, wo liegt wohl der Sinn des Ganzen? Wieso verfügen wir über solche Macht? Hast du dich das schon mal gefragt?“
    „Ich habe es stumm… hingenommen“, log Benjamin. Solange es sich nicht um Shohei handelte, scheute er nicht vor Unwahrheiten, sie dienten ja zu seiner eigenen Sicherheit. Ehrlich gesagt hatte er sehr oft darüber nachgedacht, warum es gerade ihn hatte treffen müssen; weshalb speziell er einen derart langen Leidensweg beschreiten musste, während andere Jungen seines Alters ihre Existenz genossen und sich mit Mädchen beschäftigten? Sogar Simon schaffte das spielend, hatte Benjamin ihn gegen Ende von Shoheis Schicht erneut flüchtig gesehen, in Begleitung von zwei Schönheiten. Benjamins Herz wurde schwer, und er resigniert. „Worauf willst du hinaus?“
    „Ich weiß, dass du bei Shohei wohnst“, begann Simon unzufrieden. „Bestimmt schon eine Weile, nicht wahr?“ Benjamin nickte. „Wie wäre es also mit ein wenig mehr Action? Wir könnten reisen, von Stadt zu Stadt, um heraus zu finden, was hinter unserer Macht steht. Hinter uns. Ob es etwas gibt, das wir erledigen, wenn nicht gar bekämpfen müssen. Was hältst du davon?“ Je weiter er seine Erklärungen führte, desto begeisterter wirkte Simon von seiner eigenen Idee.
    „Also ich weiß nicht, immerhin –“
    „In einer Stunde.“ Simon senkte seine Stimme, beugte sich näher zu Benjamin. „Am Springbrunnen, dann können wir gemeinsam -“ Sein Lächeln erstarb unvermittelt, er richtete sich zu seiner vollen Statur auf und entfernte sich einen Schritt von Benjamin. Automatisch drehte dieser sich um, erhob sich ebenfalls, und blickte in die rubinroten Iriden Shoheis. Sie beherbergten Eiseskälte in sich. Es erinnerte stark an den Ausdruck, den er Benjamin nach Genevièves Schlussstrich geschenkt hatte, bloß eine Spur erbarmungsloser.
    „Shohei“, keuchte Benjamin erschrocken, fühlte erste Schuldgefühle in sich erwachen. Man ignorierte ihn.
    „Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, Simon?“, presste Shohei verklemmt zwischen den Zähnen hervor. „Finger weg von Benjamin. Er fängt sich gerade wieder und dann kreuzt du auf, um ihm Unfug einzutrichtern. Das will er nicht. Egal, was du ihm angeboten hast.“ Stumm hörte Simon seinen Rivalen an, unterbrach ihn kein einziges Mal und schien allmählich sein Lächeln wieder zu finden. Arrogante Überlegenheit begleitete sein Amüsement, mischte sich in seine bohrenden Augen, die Shohei insgeheim zerfleischten. Benjamin schwieg, auf ihn würde man dabei nicht achten, wie sehr er sich auch bemühte. Verflucht, wieso hatte er sich von Simon hinreißen lassen?
    „Du weißt also genau, was er will und was nicht?“, hinterfragte Simon gönnerhaft. „Du kennst ja anscheinend nicht einmal Genevièves Wünsche, sonst hätte sie dich wohl kaum verlassen.“
    „Und warum hat sie sich dann nicht von Anfang an für dich entschieden?“, konterte Shohei unverzüglich.
    „Sie teilt ihr Spielzeug genauso ungern wie du, Shohei.“ Lachend fuhr Simon sich mit einer Hand durch sein blondes Haar, zerzauste es. „Aber manche Puppen haben einen eigenen Willen, mein Lieber. Vergiss das nicht.“
    Plötzlich und ohne Vorwarnung wandte Shohei sich um und marschierte von Dannen, verschmolz fast augenblicklich mit der Menschenmenge, die sich in der Einkaufspassage tummelte, ohne sich weiterhin mit Benjamin zu befassen, geschweige denn darauf zu achten, ob der ihm überhaupt folgte. Ratlos schenkte Benjamin Simon ein letztes Mal seine Aufmerksamkeit, blickte in dessen beinahe amüsiertes Antlitz, ehe er seinem vorläufigen Vermieter hinterhereilte.




    ***


    Ungehobelt schleuderte man Benjamin in den ihm bereits lange bekannten Hausflur. Gerade noch gelang es ihm, einen schlimmeren Sturz abzufedern, indem er sich hilfesuchend an die Wand stützte. Dank der Raufasertapete gesellten sich Abschürfungen an den Handflächen zu den ohnehin vorhandenen Narben an seinen Armen, ohne dass Shohei sich bloß einen Deut darum zu scheren schien.
    Benjamin war nicht in der Lage gewesen, sich zu wehren, als Shohei ihn vor seiner Haustür fest am Handgelenk gepackt und in sein Apartment gezerrt hatte. Den gesamten Weg über hatte Shohei kein einziges Wort verloren, nicht eine Silbe bezüglich Simon oder seiner harschen Reaktion auf dessen Erscheinen. Ein Hauch von Furcht wehte in Benjamins verwirrten Verstand umher.
    Neben ihm knallte die weiße Holztür in ihr Schloss, ein keuchender Shohei lehnte sich mit dem Rücken an die Platte. Einige seiner schwarzen Strähnen klebten an seiner feuchten Stirn, den Flanken seiner Wangen, und das Rot seiner Augen pulsierte förmlich. Künstliches Licht schaltete er nicht ein, weshalb allein die türlose Küche unter Einsatz ihres Fensters dem Flur ein wenig Schein verlieh. Alles wirkte fahl, vergangen, unecht. Die stummen Zeugen der dunklen Kommode lächelten fortwährend.
    „Shohei…“, japste Benjamin, nachdem er wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. Er zitterte leicht. „Es tut mir so leid, dass ich -“
    Unvermittelt stieß Shohei sich von der Tür ab, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Sonderlich große Distanz gestattete er zwischen sich und seinem Mitbewohner nicht, als er rechts und links von Benjamins Kopf mit erregter Härte seine Arme platzierte, ihn somit einkesselte und sich zu ihm hinabbeugte. Benjamin wagte es nicht, sich bloß ein kleines Stück zu rühren. Nie zuvor hatte er Shohei so abwesend, gleichsam so konsequent erlebt, er wusste nicht, was er in Shoheis Gegenwart jetzt machen, geschweige denn, wie er sich verhalten sollte. Drogen passierten unmöglich seine Venen, dazu hätte er außer in der Bank kaum Gelegenheit gehabt, und derartige Charakterauffälligkeiten wie in jener traurigen Nacht zu verbergen, hätte sogar Shohei nicht zustande gebracht. Bestimmt hörte der Ältere den Rhythmus seines Herzens, so vermutete Benjamin, wie es unaufhörlich, gar panisch in seinem Brustkorb hämmerte.
    „Er hat mich kalt erwischt…“, wisperte Shohei seufzend, legte seinen momentan wohl zu schweren Kopf auf Benjamins Schulter ab. „Ich hätte dich nicht allein lassen dürfen, wo ich doch wusste, dass er…“ Noch immer wagte Benjamin es nicht, sich zu bewegen. Seine Atmung flachte zunehmend ab, obwohl er allein aufgrund der Szenerie eigentlich zusätzlichen Sauerstoff benötigte. Aber… Shohei vertraute ihm, bettete sein verwirrtes, zerrüttetes Selbst zu Benjamins Füßen, offenbarte seine innere Verfassung vor ihm, gewährte ihm dieses einzigartige Privileg… er spürte, wie Shoheis Wärme sich von seiner eigenen Schulter aus in seinem gesamten Körper entfaltete, seine Aufmerksamkeit vereinnahmte und das Unbehagen in seiner Vernunft betäubte. Es fühlte sich unsagbar gut an. Shohei ließ seinen Kopf inzwischen komplett von Benjamin tragen.
    „Es war nichts…“ Benjamin lächelte nachsichtig, obwohl er wusste, es stimmte nicht. Enorme Schuldgefühle ergriffen von ihm Besitz, untergruben den verzweifelten Versuch, sich selbst Gnade oder Vergebung einzuräumen, wüteten ähnlich einem nimmer verstummendem Tornado in ihm. Immerhin hatte er Shohei enttäuscht, auf jeden Fall einer Strafe würdig. „Wir haben geredet, mehr nicht…“
    „Schlimm genug“, entgegnete Shohei, und Benjamin spürte den gepressten Atem seines Vermieters durch sein Shirt dringen, flach, angestrengt. Solange, bis er seinen Kopf wieder erhob und Benjamin ohne Umschweife anblickte. Dieser erschrak unter dem skrupellosen, furchteinflößenden Ausdruck in dem normalerweise so mitfühlenden, ruhigen Rot. Und er erkannte sein Spiegelbild in dem geweiteten Schwarz von Shoheis Pupillen, erkannte einen Jungen, dessen Antlitz Sühne und Ernüchterung zu verbergen gedachte, und dem es doch nicht gelang. Angst. Er hegte tatsächlich Angst in Shoheis Gegenwart, demjenigen, der ihm ein Retter, sozusagen ein Schutzengel gewesen war. Erschrocken vor seinem Abbild flachte der Dienst seiner Lungen zunehmend ab, ein dünner Schweißfilm bildete sich in seinen angespannten Händen. Man könnte meinen, auf seinen zum Zerreißen gestrammten Nerven geschähe dasselbe. Geneviève wegen ihm zu verlieren war schlimm gewesen, doch Simon verkörperte Shoheis Reaktion nach zu urteilen eine weitaus ernsthaftere Angelegenheit, die drastische Regelungen erforderte. Zuneigung jeden Maßes musste unter allen Umständen im Keim erstickt werden. „Benjamin, halte dich von ihm fern. Ich will nicht, dass du dich mit ihm triffst, er ist ein Heuchler. Er würde dich nicht ansprechen, wenn nicht ein für ihn günstiger Eigennutze daraus entstünde…“
    Es dauerte einen Moment, ehe Benjamin die vor Abscheu triefenden Silben wirklich verstand, und automatisch dachte er an Simons Abschlussworte. Ja, manche Puppen verfügten über einen freien Willen. Verkörperte er für Shohei ebenfalls bloß eine leere Hülle? Ein Spielzeug, das man bei Bedarf einfach wegwarf, es entsorgte? Und Geneviève?
    Wie hatte er so blind und naiv sein können? Simon mochte zwar auf ewig mit Shohei verfeindet bleiben, aber Benjamin hingegen bedeutete er etwas, weil sie derselben Sparte entsprangen, es verband sie miteinander. Sie beide besaßen eine ungewöhnliche Macht, endlich jemand, der vielleicht vermochte, ihm zu helfen, seine Sorgen und Ängste zu verstehen, es ihm sogar Anbot. Und Shohei verweigerte ihm das, trotz zahlreicher Beteuerungen, Benjamin glücklich sehen zu wollen? Maß Shohei sich an, über seine Emotionen zu bestimmen?
    „Hör zu, Shohei, ich finde Simon nett“, begann der Jüngere eingeschüchtert. „Und meiner Meinung -“
    „Denk nicht mal im Entferntesten dran“, giftete Shohei, würgte Benjamin mitten im Satz ab. „Du hältst dich gefälligst von ihm fern, klar?“ Und ab dieser Sekunde erstarben Benjamins Schuldgefühle vorerst fast gänzlich.
    „Verdammt, Shohei, es ist mein Leben!“ Schwer atmend erwiderte er den Blickkontakt Shoheis, fest entschlossen, nicht gewillt, erneut zu kapitulieren. Widerstand bäumte sich in seinen Augen auf, Enttäuschung hinsichtlich Shoheis Egoismus‘ verlieh ihnen einen gefährlichen Glanz. „Behandele mich nicht wie ein… ein Ding ohne Verstand! Simon hatte Recht, du siehst in mir keinen Menschen… sondern nur etwas, das dir gehört und zu gehorchen hat.“ In derselben Sekunde bemerkte er, wie ein Schleier der Verwunderung sich über Shoheis Gesicht ausbreitete. Seine Züge entspannten sich etwas, seine dunklen Augenbrauen hoben und sein Mund öffnete sich leicht, die Kaltblütigkeit in seinen Seelenspiegeln verschwand. Benjamin scherte sich nicht mehr darum, ihn kümmerten seine vorigen Befürchtungen nicht mehr im Geringsten. Alles, was er in sich hütete, waren Zorn und Verachtung, und sie betäubten sein rationales Denken. Ihre Dämonen herrschten nun ungehemmt über sein Handeln, steuerten es nach ihren Launen und verleiteten Benjamin zu Taten, die er prinzipiell Shohei gegenüber niemals erwogen hätte.
    Energisch schob er Shoheis Arm beiseite, löste dessen Hand von der Tapete und schritt weiter in den Flur hinein. Seine Schultern zitterten jämmerlich, allerdings fühlte er sich um eine schwerwiegende Last erleichtert. Es war ihm gelungen, zu widersprechen, und dann noch speziell Shohei. Natürlich schuldete er ihm Dank, zollte ihm auch weiten Respekt, freute sich, wenn Shohei Zeit für ihn erübrigte, genoss seine Anwesenheit doch… er lebte. Ja, er lebte, besaß Gefühle, besaß Stolz.
    „Dein… Leben?“, hakte Shohei verdattert nach, wandte sich Benjamin zu und richtete sich zu seiner vollen Gestalt auf. „Seit wann willst du… ich dachte…“
    „Ja, du dachtest“, schnaubte Benjamin. Er hatte so unendlich viel ertragen, hatte sich ein Fehlverhalten seinerseits weisgemacht, Vorwürfe in sich geschürt, weil er meinte, Shoheis Idealen gerecht werden zu müssen, selbst wenn seine Persönlichkeit darunter litt. Dennoch rammte man fortwährend einen Dolch in sein ausgelaugtes Herz, stach wieder und wieder zu, ignorierte komplett sein eigenes Befinden und schien es als eine Selbstverständlichkeit zu erachten, dass er mit all dem problemlos fertig wurde. Man benutzte ihn nur. „Ich dachte auch, du verrätst mir irgendwann, warum Simon und du… ich habe geglaubt, du…“ Er schaffte es nicht einmal, gescheite Sätze zu bilden, so sehr wüteten die Zweifel in ihm. Zweifel an allem. „In der Bar, da habt ihr mich ständig beobachtet, und scheinbar hieltest… du es nicht für nötig, mit mir zu reden… Andere sind wenigstens ehrlich zu mir. Und ich Idiot, hätte ihn fast…“ Schlurfenden Schrittes begab er sich zum Wohnzimmer, tauchte in den sonnenbelichteten Schein des wohl noch breitesten Raumes des gesamten Apartments. Wie gewohnt begegnete ihm rechts seitens Tür und Sofa eine Gipfellandschaft an Zetteln und Lehrbüchern, die Unordnung auf Shoheis Schreibtisch störte ihn längst nicht mehr. Demonstrativ ignorierte er den finsteren Fokus des Fernsehers, steuerte sein eigentliches Ziel, das beige Sofa, an. Eines der wenigen Male während seines Daseins begehrte er es wahrhaft, seine Macht zu erkunden, die Hintergründe zu erfahren, was Shohei nicht zu akzeptieren gedachte. Und eine solche Chance böte sich ihm vielleicht nie wieder. Er hörte, wie Shohei ihm eilig folgte.
    „Was hast du vor?“, fragte Shohei misstrauisch, näherte sich seinem Mitbewohner langsam, Stück für Stück. „Benjamin?“ Dieser suchte willkürlich ein paar Sachen von sich zusammen, die auf der Couch oder dem Parkett lagen, schenkte dem Älteren so gut wie keine Beachtung. Stur richtete er sein Augenmerk auf das vor ihm Befindliche. „Du wirst doch nicht –“
    „Wonach sieht es denn aus?“, feixte Benjamin forschen Tones, griff sich eines der Shirts, welche er mit Shohei gekauft hatte. Es war einer der schöneren Tage mit ihm gewesen. „In einer Stunde will er sich mit mir am Springbrunnen —“
    „Und du weißt, wo das ist?“ Shohei begegnete ihm spürbar abschätzig, dennoch begleitete ein Hauch Verzweiflung seine Stimme. Er hatte den Bogen überspannt, das wussten sie beide, nur stimmte es wohl allein Benjamin traurig, so, wie Shohei sich verhielt. Im Grunde wollte Benjamin ihn nicht endgültig verlassen, nachdem sie zusammen so weit gekommen waren, doch nun existierte kein Zurück mehr. Er würde sein Vorhaben realisieren, seine Drohung in die Tat umsetzen, damit Shohei endlich seine Uneinsichtigkeit bewusst wahrnahm und die Konsequenzen spürte. Er mochte und schätzte Shohei, umso mehr schmerzte es, ihm nach den langen Wochen des gemeinsamen Wohnens den Rücken zu kehren. Er hatte sich an Shohei gewöhnt, jedoch gehörte ihm nicht sein Leben.
    „Ich werde es finden.“ Benjamin widmete sich gerade seinen letzten Habseligkeiten, als er aus den Augenwinkeln sah, dass Shohei sich vor der Tür aufbaute.
    „Du wirst mich nicht angreifen, oder, Benjamin?“, lächelte sein Vermieter siegessicher. „Ich werde dich nicht an ihn verlieren. Und du willst mich nicht verletzen.“
    Shohei spielte wirklich gut, gestand Benjamin sich ein, und beinahe unfair, so fand er. Es stimmte, er könnte es sich niemals verzeihen, sollte er Shohei ernsthaft wehtun, und je länger dieser Zeit schindete, desto schwerer fiel es ihm, seinen Plan nicht doch abzubrechen und weiterhin bei Shohei zu weilen. Möglicherweise änderte er ja seine Eigenarten, erlaubte Benjamin zusätzliche Freiheiten…
    Zwiespältig huschten seine braunen Augen umher, er dachte nach, intensiv, das alles strapazierte sein Nervenkostüm sehr. Er fühlte sich von Shohei so verdammt im Stich gelassen, eine derartige Einsamkeit hatte er lange missen dürfen, fühlte sich missverstanden. Man raubte ihm aus persönlichen Gründen jeglichen Funken Hoffnung, immer und immer wieder, warum schenkte man ihm nichts außer Unfairness? Weshalb verwehrte man ihm stets sein Glück?
    Unvermittelt fixierte er die Balkontür, und eine neue Idee spross in ihm. Eine, die in ihm ein angenehmes Kribbeln erzeugte. Es wäre einen Versuch wert, egal, ob er es überlebte oder eben nicht… Allerdings hatte Shohei bereits die Anzeichen für Benjamins nächsten Einfall bemerkt und gedeutet. Im gleichen Augenblick hechtete er in Richtung des Balkons, erwischte Benjamin auf halbem Wege und fesselte ihn, indem er seine Arme von hinten um Benjamins Körper schlang und ihn fest umklammerte. Unfähig, sich zu wehren, wand er sich frustriert in Shoheis Griff, stahl sich so selbst den Atem. Seine eigenen Arme versuchten vehement, die von Shohei abzuschütteln, seine Ellbogen auf irgendeine Art und Weise als Verteidigung zu nutzen, und dennoch blieb er erfolglos.
    „Nicht einmal mein Suizid hat funktioniert“, argumentierte Benjamin gereizt. „Dann werde ich einen solchen Sturz wohl auch überleben.“ Allmählich versiegten seine Kräfte, seine Ausdauer ebenso, und er hörte auf, Widerstand zu leisten. Er hatte verloren, eindeutig. Er würde nun also weiterhin bei Shohei ausharren, die Gelegenheit, seine Identität zu entdecken, verwerfen, sich ein weiteres Mal für eine ihm bedeutsame Person opfern, eigene Bedürfnisse missachten. Resigniert reduzierte er seine Stimme, sank behutsam auf die Knie, woraufhin Shohei seine Arme etwas lockerte. „Selbst wenn nicht…“
    „Oder du vegetierst vor dich hin“, ergänzte Shohei. Er war mit Benjamin auf den Boden gesackt, saß nach wie vor hinter ihm, ohne seinen Mitbewohner loszulassen. „In einem Krankenhaus… du wärst nicht bei Bewusstsein, aber trotzdem in dieser Welt… willst du das?“
    Benjamin spürte Shoheis warmen Atem an seinem Hals, synchronisierte intuitiv seine eigene Atmung mit der seinen. Er fühlte sogar Shoheis Herzschlag, so sehr presste der seine Brust gegen Benjamins gekrümmten Rücken, als fürchtete er, nie wieder seine Präsenz genießen zu dürfen. Sein Puls war unregelmäßig. Panisch. Rapide. Es hämmerte. Benjamin kam sich so ignorant vor, sein schlechtes Gewissen erwachte erneut. Er hatte Shohei schon verletzt, indem er sich seinem Rivalen zugewandt hatte. Doch vollends gäbe er seinen Wunsch nicht auf, das wäre zu viel verlangt.
    „Shohei, das ist wirklich sehr wichtig für mich…“, flüsterte er, lächelte niedergeschlagen. „Herauszufinden, wer ich bin, was ich bin…“ Sacht legte er die Arme um seinen eingefallenen Leib, soweit Shohei es ihm gestattete. So hatte er noch eine völlig andere Seite an Shohei kennen gelernt, eine, von der er nicht wusste, ob er sie fürchten sollte, oder…
    „Ich begleite dich“, entgegnete Shohei schließlich. Dabei handelte es sich keineswegs um einen Vorschlag, geschweige denn ein Anliegen, sondern um einen unumstößlichen Beschluss. „Damit Simon dir nicht ganz deine Moral verdirbt.“ Er platzierte seine Arme vorsichtig auf denen Benjamins und festigte seinen Griff wieder ein wenig. „Aber bitte, versprich mir, keine lebensmüden Aktionen mehr… du erinnerst dich? Grabsteine sind teuer.“
    Erschöpft entspannte Benjamin seine inzwischen fast schmerzenden Muskeln, ließ sich leicht nach hinten sinken, denn dort harrte jemand, dem er vertraute. Trotz allem.

  • So, nachdem ich entlich etwas zeit habe nach gefühlten 300 Prüfungen, kann ich einen Kommentar schreiben.
    Ich hab bereits geaht das Simon auf Benjamin aufmerksam wurde, aber ich dachte nicht das er so schnell versucht mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ich bin mir immer noch unsicher was ich von Simon halten soll, bisher scheint es ja sein Hauptziel zu sein, Shohei und Benjamin ausseinander zu bringen, warscheinlich um sich an ersteren zu rächen. Deshalb misstraue ich dem Angebot das er Benjamin macht und frage mich ob er, ausser Benjamin und Shohei ausseinanderbringen, noch ein anderes Ziel verfolgt. Auf alle Fälle hat er das Verhältnis zwischen den beiden schon ganz schön durcheinandergebracht und hätte auch fast das Ziel komplett erreicht wenn Benjamin allein gegangen wär. Ich verstehe Benjamins Reaktion recht gut, er kennt Simon schließlich nicht und nun weiß er das es, mindestens einen gibt, der ist wie er. Shohei dagegen kennt Simon und ich denke das er sich wirklich sorgen um Benjamin macht wenn er allein mit Simon durch die gegent reist. Deshalb verstehe ich seinen Entschluss sehr gut das er mit Benjamin mitreisen möchte, auch wenn ich mir zu 100% sicher bin das Simon davon überhaupt nicht begeistet sein dürfte. Ich bin auf jeden Fall gespannt wie es weitergeht.

    "We starve, look at one another, short of breath. Walking proudly in our Winter coats. Wearing smells from labortories, facing a dieing nation of moving paper fantasy, listening for the new told lies with supreme vision of lonely tunes"
    Hair, Let the sunshine in

  • Hi.
    Ich will auch mal wieder versuchen, zu kommentieren, auch wenn wohl nichts all zu Sinnvolles bei rauskommen wird ^^
    Ich bewundere es immer wieder, wie gut du das mit dem Beschreiben hinkriegst.
    Vor allem deine Wortwahl ist immer recht... varriiert, würde ich mal sagen.
    Du benutzt immer viele verschiedene Begriffe, die mir z.B. wahrscheinlich nicht mal eingefallen wären, in dem Moment.
    Insgesamt finde ich den Schreibstil auf diese Art wirklich gut. Auch Fehler finde ich wenige / gar keine.
    Alles in allem hab ich wirklich den Eindruck, dass du sehr viel Arbeit in deine Geschichte investierst.
    Daran sollte ich mir wohl mal echt ein Beispiel nehmen. Aber, bevor ich jetzt wieder anfange, abzuschweifen:
    Wie gesagt: im Kommentieren bin ich jetzt nicht sooo super, also belass ich es dabei, bevor ich wieder ganz viel Mist schreibe.
    Ich bin wirklich neugierig, auf dein neues Kapitel.
    Bis dann.
    Nachtara

  • I don't need the feedback,
    I know that I'm stuck with the past
    and this might last.
    I don't need a restart,
    I don't wanna re-oil myself tonight.


    I know it's a little bit sad and strange,
    I stay alone in the shade.
    I don't wanna dance, I feel betrayed
    'cause somebody else is playing with my babe.
    (c) Sunrise Avenue, I don`t dance



    Huhu!
    Meine kleine Narzisse, endlich ist hier dein ersehntes Kommi. Was habe ich lang auf mich warten lassen, ich weiß, aber du weißt, wie viel ich in letzter Zeit zu tun hatte. Und die Arbeit wartet nicht auf mich. Eigentlich hätte ich mich mit meinem Buch beschäftigen sollen, aber meine Charas kennen mich und so sei mir mal großmütig verziehen.
    Ich bin mehr als gespannt, ob hier wohl irgendetwas Neues für dich steht. Bei der Anzahl deiner Kommis bezweifle ich es erheblich (:
    Nun, dann einmal los. Ich höre beim Schreiben übrigens „Sunrise Avenue - I don`t dance“. Es scheint zu passen, dabei wurde es willkürlich ausgewählt, lol. Und da es sich zu der Story gesellen will, habe ich es mal überaus dekorativ für mein Kommi gewählt. Schließlich ist es ja auch eine von deinen Lieblingsbands.



    Titel
    „Watch me die“ - „Sieh mich sterben“. Ein absolut interessanter Titel, der seine Wirkung nicht verfehlt, zumindest bei mir. Ich mag eh Titel, bei denen Tod oder Ähnliches assoziiert wird. Englische Titel liebe ich ebenfalls.
    Aber was genau meinst du damit? Ist dies hier eine Geschichte, in der jemand vollkommen hilflos mitansehen muss, wie ein geliebter Mensch langsam stirbt? Oder sprichst du das „seelische“ Sterben an, das Sterben der Seele oder des Geistes? Vielleicht meinst du sogar damit das Sterben des Vertrauens und damit des Herzens.
    Es scheinen mehrere Bedeutungen zu stehen. Aber ich kenne dich ja mittlerweile, deshalb tippe ich auf das seelische Sterben oder eine Mischung aus all dem. Ich werde es im Laufe der Story wohl begreifen.


    Startpost
    Hübscher Header, Narzisse! Ein aufgeschlagenes Buch, das Symbol für Geschichten. Jedoch verwundert es mich ein wenig. Nicht, dass es nicht passend oder schön ist. Aber mir ist bisher niemand begegnet, der mit einer FF direkt ein Buch oder das geschriebene Wort selbst verbindet. Nun gut, außer mir selbst. Aber gerade deshalb macht es mich neugierig. Ist dies eine Geschichte in der Geschichte? Erinnert mich an den Roman „Tintenherz“ von Cornelia Funke, falls dir das was sagt.
    Der Spruch ist episch, darf ich das sagen? Ist ein Fakt. Denn tatsächlich ist es doch so, dass bereits am Anfang einer jeden Geschichte das Ende steht. Sei es nun das Leben oder das Buch. Am Ende sterben wir und Autoren wissen meist, noch bevor sie mit Schreiben beginnen, den Ausgang.
    Bei den Genres kann ich nur sagen: Hurra! Endlich mal jemand, der sich offen traut, Shonen-Ai zu schreiben! Bisher sind mir nur wenige Stories bekannt, und noch weniger gute. Was schade ist. Denn gerade solche Fictions haben Biss und sind total gut. Und ich mag das Genre eh.
    Der Inhalt klingt vielversprechend. Interessant hier, dass du scheinbar völlig auf eine weibliche Protagonistin verzichtest. Wenn man eine weibliche Autorin vor sich hat, finde ich es immer mutig, wenn es so ist; ich könnte es vermutlich nicht. Habe es zwar noch nie ausprobiert, aber es ist einfacher, ein Mädchen zur Prota zu machen, wenn man eines ist. Trotzdem cool.
    Ansonsten finde ich schön, dass du hier alltägliche Dinge wie Suizid und Depressionen mit Pokemonelementen vermischst, wie Reise. Mehr kann ich leider noch nicht sagen, aber mir gefällt, was ich bisher erfahren habe.
    Gut, mit keinem deiner Warnungen habe ich ein Problem, bin also richtig hier (:
    Und wow! Der Punkt „zur Story“ ist ja absolut lang und umfangreich! Hier sehe ich, dass du absolut von der Grundstory Shipping und Reise abweichst und dein eigenes Ding durchziehst. Richtig viele Infos, da ist das Tab-Menü mehr als angebracht. Aber mir gefällt, wie komplex alles zusammen hängt; schon allein die verschiedenen Pokebälle sind toll gemacht. Interessant auch der Fakt, dass man an sein Pokemon einen Teil seiner Lebenszeit übergibt; erinnert mich an den genialen Film „In time“, falls das dir was sagt. Hast du es daraus übernommen?


    Wow, der Startpost ist absolut perfekt. Nein, ich wüsste jetzt nicht, was da noch zu verbessern wäre. Alle wichtigen Punkte sind vorhanden, zudem in einem sehr hübschen Design. Die Farben harmonieren gut und gut, dass keine Charabeschreibungen drin sind. Ich bin sehr gespannt.


    Kapitel 1: Undeniable truth
    Jetzt erst mal das Wörterbuch... Ah, gefunden. „Unbestreitbare Wahrheit“. Jetzt hab ich wieder was dazu gelernt.
    Die Liedzeile zu Anfang stammt aus einem meiner Lieblingslieder von Sunrise Avenue. Und nachdem ich das Kapitel mal so eben verschlungen habe, muss ich sagen, dass es hervorragend passt.
    Zuerst zum Schreibstil. Du beginnst damit, einen der Protagonisten zu beschreiben, Shohei. Zuerst war ich etwas verwundert, da du weder sein Äußeres noch seinen Charakter beschrieben hast. Aber nach wenigen Zeilen habe ich begriffen, was du damit bezweckst. Du willst, dass der Leser sich selbstständig ein Bild von ihm macht; du lässt ihn handeln, anstatt ihn vor den Spiegel zu stellen und seine Merkmale herunter zu leiern. Diese Technik ist, zugeben, schwieriger als das, was ich zuvor erklärt habe, aber weitaus effektiver. Vom kreativen Aspekt gar nicht zu sprechen. Obwohl ich einem Anfänger oder noch etwas Unsicheren eher die zweite Variante geben würde.
    Aber bei dir merkt man bereits nach dem ersten Satz, dass man hier einen Profi vor sich hat. Deine Sätze glänzen mit völliger Symmetrie, sie sind abwechslungsreich und lebendig, ja, sprühen geradezu vor lauter Leben. Du verwendest gute Wörter, die auch an den passenden Stellen gesetzt sind. Ich habe weder Rechtschreibfehler, noch Grammatik- oder Zeichensetzungsfehler entdeckt. Zudem weißt du, wie du Umgebungen und dergleichen lebendig und spannend beschreiben kannst, etwas, was mir noch recht oft schwer fällt. Gott, schon, wie du das Untergehen der Abendsonne beschreibst, lässt mir vor lauter Staunen den Mund offen stehen! Es liest sich flüssig.
    Jedoch ist mir nach dem Weiterlesen etwas ins Auge gefallen. Zwar beschreibst du die Gefühle deiner Charas, aber sehr umständlich. Man muss manchmal mehrmals lesen, um zu verstehen, was du genau damit meinst. Dein Wortschatz ist umfangreich, aber du scheinst oft nach dem Prinzip „Warum einfach, wenn es doch auch kompliziert geht“ zu arbeiten. Manchmal gut, aber zu oft eingesetzt eher schlecht. Wie in diesem Fall.
    Ein Beispiel: Sein Verstand, sowie seine Seele, beide Komponenten schafften es nicht, einen geeigneteren Ausdruck für sein momentanes Empfinden inmitten ihrer Weisheit zu erhaschen, das in Worte zu fassen, was sich in seinem Denken just eine erbitterte Schlacht lieferte, ohne Rücksicht auf Verluste. - Der Satz ist schwer zu verstehen. Einfacher wäre es, wenn du es so ausdrücken würdest: Sein Verstand, und auch seine Seele, beide schafften es nicht, ein passenderes Wort für sein momentanes, impulsives Fühlen zu finden, geschweige denn, es in klingendere Worte zu verpacken.
    Der Satz hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, nur ist er lediglich etwas gekürzt und besser zu verstehen. Ab und an solltest du solche Sätze verwenden, damit der Leser nicht irgendwann an deiner Ausdrucksweise verzweifelt. Obwohl ich den Satz mag (;


    Zu deinem Inhalt.
    Es ist eher ein ruhiges Kapitel, dass wohl zur Einführung gedacht ist. Die Länge ist angenehm.
    Man lernt Shohei kennen, sowie seine wohl wichtige Beziehung zu seiner Freundin Geneviève. Obwohl man hier merkt, dass die auch belastet ist. Shohei scheint seine Zurückgezogenheit nicht einfach aufgeben zu wollen, auch seine Unabhängigkeit. Er scheint bereits einiges im Leben durchgemacht zu haben, wie ich aus mehreren Andeutung heraus nehme. Seine Freundin scheint, im Gegensatz zu ihm, reichlich unbelastet zu sein. Ein fröhliches, lebenslustiges Mädchen mit einem großen Herzen, perfekte Beschreibung.
    Ganz ehrlich? Ich hab bereits im Gefühl, dass die beiden sich im Laufe der FF noch trennen werden. Vermutlich wird es Shohei sein, der Schluss macht. Er ist nicht der Typ, der weint und fleht, wenn ein Mädchen ihn abserviert; er selbst muss es beenden. Zwei recht gegensätzliche Menschen, die, auf den ersten Blick, so gar nicht zueinander passen.
    Obwohl er ein wenig kompliziert und unsympatisch rüber kommt, mag ich Shohei irgendwie. Ist vielleicht seine Weltansicht, oder aber, dass er sich nicht allzu sehr von seinen Gefühlen leiten lässt, was mich anspricht. Ich bin gespannt auf deinen zweiten Chara, Benjamin.
    Ein guter Einstieg.


    Kapitel 2: Because his hands know
    „Weil seine Hände es wissen“... ein scheinbar unlogischer Titel, aber ich denke, da steckt etwas dahinter. Wollen wir doch mal lesen.
    Darf ich etwas zuvor Gesagtes verbessern? Shohei scheint seine Freundin wirklich und aufrichtig zu lieben, dass schließe ich zumindest aus seinen Worten. Obwohl ich weiterhin an meiner Behauptung festhalte.
    Hier erfährt man noch etwas mehr von Shohei, zum Beispiel sein mathematisches Verständnis, welches ich auch gern hätte. Wenn ich nur das Wort Funktionen höre, kriege ich Schüttelfrost. Ekelhaft! Aber da bestätigt sich meine Theorie, dass er ein sachlicher Mensch ist, der sich hauptsächlich auf seinen Verstand stützt. Aber auch er wird von Selbstzweifeln geplagt; er glaubt, seine Beziehung zu Geneviève sei zum Scheitern verurteilt und er sei nicht gut genug für sie.
    Was wiederum nur beweist, dass er ein Mensch ist. Was ihn menschlich macht.
    Trotzdem erschließt sich mir nicht der Titel. Was spielt der für eine Rolle im Kapitel? Hoffentlich kannst du mir da helfen.
    Aber ein interessantes Kapitel, obwohl du die Handlung ja sehr langsam voran treibst.


    Kapitel 3: Isolation Isle
    „Isolationsinsel“ - wieder einer von diesen undurchschaubaren Titeln, die erst nach Beendigung des Kapitels einen Sinn ergeben. Und wieder ein schönes Zitat! Davon wimmelt es hier ja regelrecht.
    Gut, Shoei scheint Nachhilfelehrer zu sein, was wir ja schon im vorherigen Kapitel erfahren haben. Trotzdem gefällt es mir, dies noch einmal in der Praxis zu sehen. Aber mir fällt sofort etwas auf, nämlich, dass du unglaublich viel Monolog einbaust, speziell in diesem Kapitel. Nicht, dass Monolog direkt schlecht ist. Er hilft dem Leser schließlich dabei, sich in den Chara hineinzuversetzen und mit ihm zu empfinden. Aber hier erscheint es mir zu viel, man wird etwas erschlagen und verliert eventuell die Motivation, weiterzulesen. Dialog peppt eine Story immer auf. Zudem - dein Protagonist ist wichtig, ja, aber deswegen all die schönen und interessanten Nebencharaktere zu vernachlässigen? Kommt nicht in Frage. Versuche, den Monolog weiterhin einzubauen, aber auch regelmäßig von Dialog abwechseln zulassen.
    Ansonsten mag ich das Kapitel. Es zeigt die Weltansicht deines Charas gut, finde ich. Seine Träume und Wünsche und auch seine Bemühungen, den Kindern Mut zumachen. Ich wünschte, alle Lehrer würden so arbeiten, seufz.
    Gut, mehr habe ich zu dem Kapitel nicht wirklich zu sagen, dafür ist es zu gut (:


    Kapitel 4: Be my last dance
    >>Sei mein letzter Tanz<<, endschöner Titel, einfach, weil er poetisch klingt und sehr nach einem traurigen Kapitel, die ich ja eh vergöttere. Ein schönes Drama rettet immer meinen Tag (: Gott, dass klingt so, als ob ich bei "Romeo und Julia" nicht weinen, sondern schallend lachen würde (Was ich nicht tue!) ._.
    Diesmal kenne ich die Band und den Song nicht, was nichts an der Qualität des Zitates ändert. Es passt.
    Diesmal ist es in Absätze geteilt, die widerrum auch verschiedene Sichtweisen beinhalten. Scheinbar der Auftritt von Benjamin. Zuerst aber einmal Shoei.
    Er geht Nachhause. Wobei ich hier wieder nur sagen kann, zu langer Monolog. Aber es ist ja auch bisher kein weiterer Chara da, der das unterbinden könnte (: Demnach verständlich, viel mehr sag ich jetzt zu dem Absatz nicht. Bin zu gespannt auf Benjamin.
    Der erste Satz ist schon echt gut. Einfach, simpel und dennoch perfekt, weil er was verspricht. Und du gehst sofort auf diesen Jungen ein, der einen verzweifelten und doch gleichgültigen Eindruck auf mich macht. ER will also, als letzte Tat auf Erden, mit dieser fremden Frau tanzen. Todesengel. Ich mag dieses Wort, mochte ich schon immer und er zeigt mir ganz deutlich diese Frau, die da vor ihm steht. Sie scheint, von der Beschreibung her, unglaublich schön. Aber hinter Schönheit verbirgt sich oftmals eine gefährliche Persönlichkeit, denn nichts ist so gelogen wie Schönheit. Der erste Satz, den ich mehrmals lesen musste, war: Das Resultat ein Junge, dessen Seele in Eis glomm. Ich weiß nicht, warum. Weil er mich berührt? Ich mich damit unbewusst identifiziere? Oder einfach, weil er so stark und zeitgleich verletzlich ist? Mit diesem einen Satz, Narzisse, hast du Benjamin charakterisiert. Treffender ginge es nicht.
    Im Laufe des Absatzes jedoch wurde ich zunehmend verwirrter, was aber Absicht ist, glaube ich. Denn plötzlich ist da nicht länger die Rede von der fremden Frau. Nur noch, wie sich der Junge die Pulsadern aufritzt. Was du übrigens, auch wenn es seltsam klingt, sehr schön beschrieben hast. Es klang nicht hart oder träumerisch, sondern real und zutreffend, gemischt mit Poesie. Einmalig. Wie gelingt es dir, etwas so dermaßen Grausames in so schöne Worte zu kleiden? Das finde ich bisher an deinem Stil am Beeindruckesten
    Dieser Absatz ist bisher mein Liebster, zugleich auch mein liebstes Kapitel, muss ich sagen.
    Trotzdem bin ich froh, dass der Junge gerettet wird. Tja, ich hoffe mal, Shoei lernt daraus, immer ein Handy mitsichzuführen. Aus Fehlern lernt man ja bekanntlich, nich?
    Das Gespräch zwischen den beiden fand ich sehr interessant. Mir war zwar mehr als klar, dass Benjamin nicht gerade begeistert von seiner Rettung sein würde, dennoch hat es mich schon ein wenig schockiert, dass er Shoei dafür anschnauzt. Schließlich ist es immernoch ein Leben. Aber ich verstehe auch Benjamin; für Außenstehende ist es immer schwer nachzuvollziehen, warum man sich umbringen will. Eigene Erfahrung. Trotzdem denke ich, dass Shoei richtig gehandelt hat. Hoffentlich bereut er es nicht bald wieder....
    Interessantes Kapitel, wirklich gut!


    Kapitel 5: Doomed innocence
    Super, ich habe leider keinerlei Ahnung, was dieser Titel bedeutet. Innocence heißt eventuell Vergänglichkeit, sicher bin ich mir aber echt nicht. ier bin ich irgendwie dafür, dass du dir einen anderen, nicht ganz so komplizierten Titel aussuchst. Vielleicht kannst du diesen Titel einfacher verkleiden?
    Zu dem Zitat sag ich nix, hatten wir ja schon gestern Abend geklärt :*
    Dieses Kapitel fand ich gut, zweite Stelle meiner Lieblingskapitel :* Obwohl ich es echt hart fand von Shoeis Freundin, es einfach mal so zu beenden, weil da ein Typ auf seinem Sofa liegt. Dann kann er ihr nicht wirklich was bedeuten, denke ich. Und schon kommt das, was ich befürchtet hatte... Shoei bereut es, Benjamin aufgenommen zu haben. Obwohl sich das ja später wieder erledigt. Gut so.
    Richtig gut gelungen ist dir hier auch Benjamins Sichtweise. Man merkt, wie schuldig er sich für all das fühlt und auch sein Verlangen, es erneut zu beenden. Aber er tut es nicht, Shoei zuliebe. Er ist also doch noch in der Lage, seinen Sehnsüchten Einhalt zu gebieten. Auch dieser Fluch, von dem er sprach, klingt interessant, ich hoffe, da gehst du in den nächsten Kapiteln noch genauer drauf ein.
    (btw, wann finde ich eigentlich mal ein paar Fehler? O.o.)


    So, ich habe mich durch etwa die Hälfte durchgeboxt. Der Rest folgt auch noch, versprochen.
    Hoffe, du kannst damit etwas anfangen, mein Herz :*


    Hab dich lieb, deine Prinzessin

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • [tabmenu]
    [tab=Neues Kapitel]
    So, die Abiturprüfungen liegen bis auf Mathe hinter mir, und trotz des Lernens hatte ich Zeit, an "Watch me die" weiter zu schreiben ^-^ Genau genommen habe ich noch 17 Seiten, die darauf warten, abgetippt zu werden, und dieses Kapitel hier war schon lange fertig, allerdings behalte ich mir immer gern so um die fünf Kapitel in der Hinterhand, falls ein Kreatief zuschlagen sollte (:


    Simon will Benjamin also ein Angebot machen, womit Shohei natürlich keineswegs einverstanden ist und die Situation im Streit beinahe ein letztes Mal eskaliert wäre. Nachdem Shohei sich schließlich doch bereit erklärt hat, Benjamin zu begleiten, kommt es beim direkten Aufeinandertreffen von ihm und seinem Rivalen natürlich zum Konflikt. Bald folgt ein Vorschlag, der weitreichendere Konsequenzen nach sich zieht, als zunächst angenommen, und eine eigentlich so simpel klingende Übereinkunft nimmt für Shohei und Benjamin ungeahnt verheerende Ausmaße ein... ~




    Warnung: In diesem Kapitel wird es sexuelle Andeutungen geben. Wie gesagt, lediglich Andeutungen, aber eine Warnung muss ich ja trotzdem vorher geben ~
    [tab=Plinfan]

    Ich bin mir immer noch unsicher was ich von Simon halten soll, bisher scheint es ja sein Hauptziel zu sein, Shohei und Benjamin ausseinander zu bringen, warscheinlich um sich an ersteren zu rächen. Deshalb misstraue ich dem Angebot das er Benjamin macht und frage mich ob er, ausser Benjamin und Shohei ausseinanderbringen, noch ein anderes Ziel verfolgt.

    Hm... gute Beschreibung der Situation eigentlich, obwohl das nicht unbedingt meine Absicht war x3 Klar, er verachtet Shohei selbst nach all der Zeit noch immer und würde es ihm sicherlich gönnen, einen solchen Verlust zu erleiden wie er selbst damals, aber an sich mag er Benji wirklich gern und meint es nicht unbedingt schlecht mit ihm. Dass er Shohei dabei so dermaßen vor den Kopf stößt, ist mehr ein nicht beabsichtigter, dennoch für Simon durchaus amüsanter Nebeneffekt x)


    Deshalb verstehe ich seinen Entschluss sehr gut das er mit Benjamin mitreisen möchte, auch wenn ich mir zu 100% sicher bin das Simon davon überhaupt nicht begeistet sein dürfte. Ich bin auf jeden Fall gespannt wie es weitergeht.

    Wie Simon darauf reagiert, darfst du ja im folgenden Kapitel auch erfahren. Aber ganz so einfach lässt sich Benji da auch nicht unterkriegen, der überlegt sich noch was Feines ^-^


    [tab=Evil-Nachtara]


    Vielen lieben Dank für deinen kleinen aber feinen Kommentar (: Ich gebe mir in der Tat sehr viel Mühe, diese Geschichte bedeutet mir sehr viel und ich versuche, das Bestmögliche für sie aus mir heraus zu holen :3
    Mein Stil... ich liebe Deutsch, Lyrik und allgemein die Literatur, von daher nicht verwunderlich, dass ich da ab und zu etwas... eine etwas malerischere Sprache verwende. Ich finde, eine gewisse Eleganz und Schönheit müssen in Geschriebenem schlichtweg zum Ausdruck gebracht werden, das ist doch gerade das Tolle an Sprache. Und man kann sich das Geschehene dadurch besser vorstellen, denke ich :>


    [tab=Cassia]


    So, nach Dekanen finde ich endlich ma Zeit vor allem einigermaßen Lust, auf deinen Kommentar genauer einzugehen xD Irgendwie habe ich mich stets vor dieser WoT gedrückt Q___Q


    Zitat von Cassia

    Aber was genau meinst du damit? Ist dies hier eine Geschichte, in der jemand vollkommen hilflos mitansehen muss, wie ein geliebter Mensch langsam stirbt? Oder sprichst du das „seelische“ Sterben an, das Sterben der Seele oder des Geistes? Vielleicht meinst du sogar damit das Sterben des Vertrauens und damit des Herzens.
    Es scheinen mehrere Bedeutungen zu stehen. Aber ich kenne dich ja mittlerweile, deshalb tippe ich auf das seelische Sterben oder eine Mischung aus all dem. Ich werde es im Laufe der Story wohl begreifen.

    Du wirst es früh genug herausfinden ^-^ Von hier aus betrachtet in etwa... sieben bis acht Kapiteln, schätze ich. Ich weiß, klingt nach lange, aber es liest sich einfacher, als dass es sich schreibt xD Zudem will ich ja die Spannung nicht vorweg nehmen ;3



    Zitat von Cassia

    Der Inhalt klingt vielversprechend. Interessant hier, dass du scheinbar völlig auf eine weibliche Protagonistin verzichtest.

    Wo verzichte ich denn auf eine weibliche Protagonistin? Oo Okay, in der reinen Inhaltsangabe wird sie nicht erwähnt, aber auch nur, weil sie erst später dazu kommt und nicht von Anfang an mit dabei ist xD Ich wollte nicht auf ein Weibchen in meiner Geschichte verzichten, weil es ja nicht ausschließlich Shounen-Ai werden und man sich bloß auf das eine Pairing fokussieren soll ;3


    Zitat von Cassia

    Dein Wortschatz ist umfangreich, aber du scheinst oft nach dem Prinzip „Warum einfach, wenn es doch auch kompliziert geht“ zu arbeiten. Manchmal gut, aber zu oft eingesetzt eher schlecht. Wie in diesem Fall. Ein Beispiel: Sein Verstand, sowie seine Seele, beide Komponenten schafften es nicht, einen geeigneteren Ausdruck für sein momentanes Empfinden inmitten ihrer Weisheit zu erhaschen, das in Worte zu fassen, was sich in seinem Denken just eine erbitterte Schlacht lieferte, ohne Rücksicht auf Verluste. - Der Satz ist schwer zu verstehen. Einfacher wäre es, wenn du es so ausdrücken würdest: Sein Verstand, und auch seine Seele, beide schafften es nicht, ein passenderes Wort für sein momentanes, impulsives Fühlen zu finden, geschweige denn, es in klingendere Worte zu verpacken.
    Der Satz hat nichts von seiner Bedeutung eingebüßt, nur ist er lediglich etwas gekürzt und besser zu verstehen. Ab und an solltest du solche Sätze verwenden, damit der Leser nicht irgendwann an deiner Ausdrucksweise verzweifelt. Obwohl ich den Satz mag (;

    Ich weiß, dass ich häufig sehr umfangreich schreibe, das ist leider ein kleiner Makel ^^" Inzwischen habe ich es mir, dank meiner Beta, auch schon größtenteils abgewöhnt, aber ich merke selbst, wie ich immer wieder in alte Muster zurückfalle x3 Ich muss dazu sagen, mit den ersten drei Kapiteln bin ich mittlerweile überhaupt nicht mehr zufrieden, einfach, weil sie so endlos lang gezogen sind ~3~ Ich werde sie Beizeiten auch überarbeiten beziehungsweise habe ich ohnehin schon damit begonnen :3



    Zitat von Cassia

    Ein fröhliches, lebenslustiges Mädchen mit einem großen Herzen, perfekte Beschreibung.

    Im Nachhinein betrachtet eher eine kleine Zicke, die total überreagiert und für die Shohei sowieso nie wirklich genug tun konnte, um ihr seine Liebe zu beweisen, da sie selbst nicht gerade die Ärmste ist x) Sie ist nicht so gutmütig und fröhlich, sondern leicht arrogant, sehr bestimmend und eingeschnappt, sobald sich etwas Spontanes zwischen ihre Termine schiebt und sie obendrein nicht die gesamte Aufmerksamkeit bekommt.




    Zitat von Cassia

    Wenn ich nur das Wort Funktionen höre, kriege ich Schüttelfrost. Ekelhaft! Aber da bestätigt sich meine Theorie, dass er ein sachlicher Mensch ist, der sich hauptsächlich auf seinen Verstand stützt. Aber auch er wird von Selbstzweifeln geplagt; er glaubt, seine Beziehung zu Geneviève sei zum Scheitern verurteilt und er sei nicht gut genug für sie.

    Glaubst du, ich nicht? xD Wie Mathe mich fast das Abitur gekostet hätte... ~3~ An sich ist er wirklich recht sachlich, zumindest nach außen hin, aber er macht sich innerlich schon viele Gedanken um seine Umwelt. Später erfährt man auch, wieso gerade Mathematik solch eine Leidenschaft für ihn geworden ist, das hat eher tragische Hintergründe. Und gerade unter bestimmten... in bestimmten Zuständen, sag ich mal, kann er sogar offen über seine Gefühle reden x3 Bis er dies aus freien Stücken tut, dauert es allerdings etwas, und dies findet auch nur bei Personen statt, denen er zu 100% vertraut. Im Übrigen IST seine Beziehung wirklich zum Scheitern verurteilt. Schon seit Langem, was Shohei natürlich weiß und sich trotzdem noch an jeden Zweig klammert, weil er sie einfach nicht verlieren will. Es ist so eine... Schachmattsituation. Kennst du sicherlich auch ^^





    Zitat von Cassia

    Trotzdem erschließt sich mir nicht der Titel. Was spielt der für eine Rolle im Kapitel? Hoffentlich kannst du mir da helfen.

    Da möchte ich auf einen Satz aus meinem Kapitel verweisen x)
    "
    Seine Finger, die hastig eine Sms an sie verfassten, schienen die Antwort zu kennen." Erschließt es sich dir jetzt? =D




    Zitat von Cassia

    Aber mir fällt sofort etwas auf, nämlich, dass du unglaublich viel Monolog einbaust, speziell in diesem Kapitel. Nicht, dass Monolog direkt schlecht ist. Er hilft dem Leser schließlich dabei, sich in den Chara hineinzuversetzen und mit ihm zu empfinden. Aber hier erscheint es mir zu viel, man wird etwas erschlagen und verliert eventuell die Motivation, weiterzulesen. Dialog peppt eine Story immer auf. Zudem - dein Protagonist ist wichtig, ja, aber deswegen all die schönen und interessanten Nebencharaktere zu vernachlässigen? Kommt nicht in Frage. Versuche, den Monolog weiterhin einzubauen, aber auch regelmäßig von Dialog abwechseln zulassen.

    Ich weiß *seufz* Das habe ich damals leider etwas zu genau genommen, ich wollte eben zu viele Informationen rüberbringen, um ihn in seiner Persönlichkeit nicht zu vernachlässigen... aber ich weiß, NIEMAND denkt in so langen Passagen, höchstens, wenn er gerade nichts zu tun hat nebenbei xD Ich bemühe mich zunehmend um Dialoge, wenngleich sie mir das eine oder andere Mal wirklich schwer fallen .-. Ich habe irgendwie das Gefühl, sie hören sich bei mir teils so künstlich an und gar nicht echt... Jedenfalls denke ich, dass ich mittlerweile das richtige und für alle gesündeste Maß gefunden habe ^-^ Trotzdem danke, dass du es erwähnt hast :*




    Zitat von Cassia

    ER will also, als letzte Tat auf Erden, mit dieser fremden Frau tanzen. Todesengel. Ich mag dieses Wort, mochte ich schon immer und er zeigt mir ganz deutlich diese Frau, die da vor ihm steht. Sie scheint, von der Beschreibung her, unglaublich schön. Aber hinter Schönheit verbirgt sich oftmals eine gefährliche Persönlichkeit, denn nichts ist so gelogen wie Schönheit. Der erste Satz, den ich mehrmals lesen musste, war: Das Resultat ein Junge, dessen Seele in Eis glomm. Ich weiß nicht, warum. Weil er mich berührt? Ich mich damit unbewusst identifiziere? Oder einfach, weil er so stark und zeitgleich verletzlich ist? Mit diesem einen Satz, Narzisse, hast du Benjamin charakterisiert. Treffender ginge es nicht.
    Im Laufe des Absatzes jedoch wurde ich zunehmend verwirrter, was aber Absicht ist, glaube ich.

    Da sind wir schon ma zwei Leute, die dieses Wort mögen, Prinzessin <3 Bezieht sich übrigens auch auf das Lied, aus dem ich das Anfangszitat gewählt habe, lohnt sich, mal reinzuhören, es spiegelt auf jeden Fall sehr gut Benjamins Charakter wider. Ich finde es interessant, wie viel du hier hineininterpretierst, ehrlich gesagt war das überhaupt nicht meine Absicht xD Mit der Schönheit seines Todesengels sollte im Grunde lediglich ausgedrückt werden, dass Benji vor seinem Ableben wenigstens eine letzte schöne Erfahrung macht, bevor er endgültig aus seinem von Verzweiflung bestimmten Leben scheidet. Denn in seiner Vergangenheit hat er nicht unbedingt viel Gutes erlebt ^^"
    Zunehmend verwirrter. Naja, Bastet hat es schon treffend beschrieben, man wird mehr und mehr selbst in Benjis Verbitterung hineingezogen, that's it. Ich wollte den Leser genau fühlen lassen, was er fühlt, wie er leidet, weshalb er zu solchen Mitteln greifen muss, ohne letztlich zu viel zu verraten. Zudem liebe ich solche Gefühlspassagen einfach x3




    Zitat von Cassia

    Nur noch, wie sich der Junge die Pulsadern aufritzt. Was du übrigens, auch wenn es seltsam klingt, sehr schön beschrieben hast. Es klang nicht hart oder träumerisch, sondern real und zutreffend, gemischt mit Poesie. Einmalig. Wie gelingt es dir, etwas so dermaßen Grausames in so schöne Worte zu kleiden? Das finde ich bisher an deinem Stil am Beeindruckesten
    Dieser Absatz ist bisher mein Liebster, zugleich auch mein liebstes Kapitel, muss ich sagen.

    Auch eines meiner liebsten Kapitel, muss ich sagen. Und ich bedanke mich für dein Lob :> Du solltest inzwischen wissen, ich hege so einen leichten... eine leichte Zuneigung zu Lyrik und Poesie und an den Stellen, wo es passt, baue ich Entsprechendes natürlich ein. Im Grunde kann ich zu dem anderen nur sagen: Eigene Erfahrung, same here. Ich denke ich weiß, wie man an ein derartiges Thema herangehen muss, ohne es sonderlich zu beschönigen oder gar zu verhöhnen.




    Zitat von Cassia

    Super, ich habe leider keinerlei Ahnung, was dieser Titel bedeutet. Innocence heißt eventuell Vergänglichkeit, sicher bin ich mir aber echt nicht. ier bin ich irgendwie dafür, dass du dir einen anderen, nicht ganz so komplizierten Titel aussuchst. Vielleicht kannst du diesen Titel einfacher verkleiden?

    Helf ich dir doch ma auf die Sprünge ^___^
    Doomed = verdammt im Sinne von verflucht
    Innocence = Unschuld
    Verstehst du es jetzt? x) Entschuldige, irgendwie gehört sowas für mich einfach zum Standardvokabular dazu ^^"





    Zitat von Cassia

    Obwohl ich es echt hart fand von Shoeis Freundin, es einfach mal so zu beenden, weil da ein Typ auf seinem Sofa liegt. Dann kann er ihr nicht wirklich was bedeuten, denke ich.

    Naja, irgendwie fehlte bislang ja der Auslöser, die Beziehung zu beenden, und da bot sich die passende Gelegenheit. Eigentlich ist Geneviève auch nur aufgebracht, weil Shohei ihr am Abend zuvor noch diese Sms geschrieben hat und sich mit ihr treffen wollte, und dann hat er sie einfach versetzt. Für, so sieht sie es zumindest, einen Jungen, der da nur halb bekleidet auf seinem Sofa sitzt, im Grunde allerdings gar nichts dafür kann. Ist sie für dich immer noch so ein lebenslustiger und sympathischer Mensch? xD In späteren Kapiteln wird sie ja auch noch einen Auftritt haben, der... ich sag mal, für Shohei nicht unbedingt ganz zu glimpflich ausgehen wird x)



    So, jetzt habe ich zumindest einen Großteil deines Kommentars beantwortet. Ich danke erneut für Kritik und Lob, beides motiviert mich auf jeden Fall, weiter zu schreiben ^____^ (obwohl ich nicht gedenke, diese Geschichte je vorzeitig abzubrechen, dazu bedeutet sie mir zu viel). Sollten noch Rückfragen bestehen, Pn, GB, Sms, Telefonat, whatever, sag Bescheid x3
    Liebe dich <3

    [/tabmenu]

    "僕の命令は絶対."
    "My orders are absolute."

    赤司・征十郎 ~

    Einmal editiert, zuletzt von Namine ()

  • Kapitel 11: Bound to a bastard


    || Stop and stare, I think I’m moving but I go nowhere

    Yeah, I know that everyone gets scared but I’ve become what I can’t be ||


    ~ One Republic – Stop and stare



    „Ach, sieh an, wen hast du denn da noch mitgebracht, Benji?“ Simon verhielt sich so offenkundig und motiviert wie Benjamin ihn vor einer knappen Stunde kennen gelernt hatte. Trotz des Streitgespräches, wobei jenes eher einem Sprücheduell geähnelt hatte, mit Shohei vor der Bank strahlte Simon wie ein Honigkuchenponita, momentan schien er der glücklichste Mensch auf Erden zu sein. Er verleitete sogar Benjamin zu einem verlegenen, schüchternen Lächeln, das augenblicklich erstarb, als er Shoheis finstere Reaktion darauf bemerkte. Benjamin bemühte sich deshalb, Blickkontakt mit Shoheis roten Augen zu vermeiden. Eigene Bedürfnisse schön und gut, aber Shohei sozusagen für solch niedere Motive zu verraten, obwohl Benjamin so tief in seiner Schuld stand, wie sollte er das arrangieren? „Ich habe zwar damit gerechnet, allerdings dachte ich, man ließe dir etwas mehr Spielraum.“
    Gemütlich saß Simon am Rande des steinernen Springbrunnens, angrenzende Bäume warfen ihren Schatten auf das uneinige Trio, die Häuserblocks, die Prismania City im Grunde prägten, weit entfernt, von üppig grünen Baumkronen verdeckt. Vielerlei kleine Tröpfchen Wasser, die das graue Sarzenia in die Höhe spie, landeten in Simons blondem Haar und perlten an seinen Strähnen, um anschließend auf sein blaues Shirt oder seine Jeans zu tropfen. Durch die Blätter blitzende Sonnenflecken verliehen der grasigen Umgebung eine geheimnisvolle Aura.
    „Wer hat dir eigentlich erlaubt, ihn ‘Benji‘ zu nennen?“, fauchte Shohei sofort, ohne Benjamin etwaiges Mitspracherecht einzuräumen, und da erdreistete sich dieser, zu glauben, es wäre ihm vorhin gelungen, seinen Standpunkt zu verdeutlichen. Wortlos seufzend unterdrückte Benjamin sein Missfallen, versuchte, Schlimmeres zu verhindern, ehe das Debakel zwischen Simon und Shohei erneut eskalierte.
    „Es ist nicht schlimm“, entgegnete Benjamin beschwichtigend, schob Shohei vorsichtig von Simon weg und vergrößerte die gegenseitige Distanz. „Also, Simon… was hast du dir überlegt?“
    „Nun…“, der Angesprochene zögerte kurz. „Es ist nichts sonderlich Langfristiges, aber - “
    „Hätte mich auch gewundert, dass du überhaupt weiter als bis zum nächsten Morgen denkst“, fiel Shohei ihm spöttisch ins Wort und schnaubte kurz. Simon zog lediglich eine Augenbraue hoch, musterte seinen Rivalen stumm und beschloss, sich mit seinen Erzählungen einzig Benjamin zu widmen. Eine angenehm kühle Brise streichelte Benjamins Gesicht, seine leicht verschwitzte Haut dankte herzlichst, und er genoss das Rascheln der Baumfragmente, ehe Simon fortfuhr.
    „Aber ich denke, es wäre nützlich, der Saffronia Bibliothek einen Besuch abzustatten. Es müssen Aufzeichnungen von solchen Kräften existieren, vielleicht auch Tagebücher von Menschen wie uns, in denen beschrieben wird, was ihre Aufgabe ist.“ Er ließ seine Worte eine Weile wirken, fuhr sich mit der Hand durch sein mit Tropfen benetztes Haar, und zumindest bei Benjamin erzielte er den gewünschten Effekt, hing dieser gefesselt an Simons scheinbar so wissenden Lippen. Nach wie vor drückten Benjamins Hände gegen Shoheis angespannte Brust, schoben nicht, doch wahrten die Entfernung, eher unterbewusst nahm er seinen Widerstand wahr, spürte den energischen Herzschlag, den Shohei in sich schürte.
    Zu gespannt lauschte er dessen Gegenpartei, den so ausgeklügelten Einfällen, die Simon ihm präsentierte. Brandende Wellen des Elans begannen, sich vor seiner zerrissenen Seele aufzubäumen, begannen zu peitschen bei der minimalen Möglichkeit… falls seine Vorfahrten oder was auch immer Tagebücher verfasst hatten, von ihren Reisen, ihren Schicksalen, bestünde da nicht die Chance, jemanden zu entdecken, der sich seiner Macht erfolgreich entledigt hatte? Der folglich nicht mehr jeden in seiner Nähe gefährdete? Der… glücklich geworden war, ohne diesen… Fluch?
    Doch fast zeitgleich meldete sich eine wesentlich stärkere Partei zu Wort, jene, welche den puren Pessimismus symbolisierte, stellte sich bedrohlich vor Benjamins Euphorie auf und schärfte ihre Krallen. Was, wenn eine derartige Methode sich als falsch erwies, als nicht umsetzbar? Was dann? Mit Gefühlsausbrüchen seines Kalibers verkörperte er eine tickende Bombe für die Allgemeinheit, so konstruiert, nicht entschärft werden zu können. Selbst wenn er weiterhin bei Shohei wohnen dürfte, seine Sicherheit erhielt keine Garantie. Und bevor er sich Verletzungen, gar einen grausamen Tod Shoheis aufbürdete, besiegelte er eher seinen eigenen. „Ansonsten… In Azuria City wohnt ein Bekannter meiner Eltern, der sich sehr für die besonderen Eigenschaften von Pokemon interessiert. Unter Umständen weiß er etwas.“
    „Wie lange würde das Ganze dauern?“, meldete sich Shohei, nun erheblich ruhiger. Benjamin vermutete, Shohei hatte das Funkeln in seinen normalerweise so trüben Iriden gesehen. Er dankte Shohei bis zu einem gewissen Maß für sein Zuvorkommen, trotzdem hegte er noch immer den Groll bezüglich Shoheis Schweigen über seine Beziehung zu Simon in sich. Nicht einmal jetzt rückte er mit der Sprache heraus. Bildete er sich Shoheis Vertrauen zu ihm, seine Fürsorge, bloß ein?
    „Mindestens mehrere Tage, je nachdem, wie schnell wir Informationen auftreiben, wie weit wir reisen…“ Benjamin ahnte, was Shohei beschäftigte, und binnen weniger Sekunden stürzte das Konstrukt seiner Freude in sich zusammen. Shohei besaß Arbeit, zahlte Miete für ein Apartment, das konnte er nicht einfach schleifen lassen für einen spontanen Ausflug der wahrscheinlich naiven Sorte. Für ihn trug es sich förmlich in Zeitlupe zu, das Fallen von Shoheis schmalen Mundwinkeln; die Resignation, die ihn umhüllte; das bedächtige Ergreifen von Benjamins Händen, um sie von sich zu schieben und einen Schritt zurück zu treten. Gerade noch hatte er einer herzhaften Auseinandersetzung mit Simon gefrönt, schnippisch, verteidigend zugunsten Benjamins, nicht gewillt, zu kapitulieren, und letztlich scheiterte Shoheis Beschluss, ihn zu begleiten, an seinem vermaledeiten Alltag. Benjamin war dem mit gemischten Gefühlen begegnet, er hatte sich gefreut, Shohei nicht den Rücken kehren, ihn allein seinen Problemen opfern zu müssen, eine Person um sich zu haben, die er kannte, die er schätzte, ebenfalls samt all ihrer Fehler mochte… verfügte Benjamin nur leider über solch ein labiles Seelenbefinden, das Simon wohl dank seiner Macht besser abzuwehren wusste als Shohei. Letzterem würde er jedoch aufgrund der gemeinsamen Wochen eher von seinen Unsicherheiten erzählen… von der Sache in der Bar mal abgesehen… und da erinnerte sich Benjamin an ein vielleicht entscheidendes Detail. Sofort wirbelte er zu Simon herum.
    „Du, Simon… wirst du ehrlich zu mir sein?“ Verwundert studierten ihn Simons grasgrüne Augen, wanderten von Benjamin zu Shohei und wieder zurück, aber unter dem wilden Geschrei einer Horde Kleinkinder zierte ein verschmitztes Lächeln seine Lippen.
    „Mann, Shohei, dein Freund ist clever“, lachte er amüsiert. „Ja, werde ich, Benji. Ich verspreche es.“ Shohei hingegen beäugte die Situation mit schneidender Skepsis. Zu Benjamins Erstaunen wies er nicht den Begriff ‘dein Freund‘ von sich, weshalb ihm einen Augenblick die Worte fehlten. Innerlich irritiert wandte er sich Simon zu.
    „Du bist reich, oder, Simon?“ Entschlossen hielt er Simons bohrendem Blick stand. Der brannte regelrecht darauf, Benjamins Argumentation zu hören, schlug das linke Bein über das rechte und umschloss sein Knie erwartungsvoll mit beiden Händen. „Du warst Gast in der Disco, wo Shohei arbeitet. Er hat mir erzählt, das wäre ein recht exklusiver Club, schon der Eintritt verlangt teure Kleidung, gepflegtes Aussehen und einen Hauch der üblichen, schnöseligen Arroganz.“
    „Fein kombiniert, Sherlock, und was hat das mit unseren Plänen zu tun? Ich bin reich, ja, und weiter?“ Ungläubig fokussierte er Benjamins fast triumphierendes Lächeln.
    „Du wirst Shoheis Miete mehrere Monate im Voraus begleichen, und du wirst es mit seinem Arbeitgeber zu regeln, dass er Shohei auf unbestimmte Zeit freistellt, ohne ihn zu feuern. Reiche haben doch Einfluss, oder? Das ist der Deal. Shohei und dementsprechend auch ich bestreiten mit dir diese spezielle Expedition, und als Gegenleistung sorgst du für Shoheis Existenzgrundlage.“
    „Benjamin, das musst du nicht tun…“ Flüsternd rüttelte Shohei an Benjamins Schulter, man erfasste unvermeidlich die Schmeichlung, allerdings gleichsam das Sträuben gegen den Tausch in seiner Stimme. Insgeheim hatte Benjamin mit derartigen Widerworten gerechnet, immerhin kannte er Shohei bereits einige Zeit lang, trotzdem hatte er den Versuch wagen wollen. Die Vorstellung, Shohei einsam und verlassen hier zu wissen, tat ihm in den Tiefen seiner Seele weh. „Wirklich, wenn du unbedingt gehen willst, werde ich dich nicht –“
    „Nein, also ehrlich“, unterbrach Simon die beiden, fast angeekelt. „Das Theater erträgt ja kein Mensch, der noch bei Sinnen ist, und ‘nen rührseligen Abschied… also da erleide ich lieber nen Absturz, kotz mich aus und hab’s hinter mir.“ Seufzend erhob er sich, nicht gerade wunschlos zufrieden, dafür überraschend einsichtig. Anscheinend begehrte er es wirklich, mit Benjamin zusammen mehr über ihre Kräfte in Erfahrung zu bringen, er akzeptierte, oder vielmehr tolerierte dafür sogar Shohei in seiner Gegenwart. „Ich mach’s. Okay, ich zahle seine Mieten und lass meine Beziehungen spielen, wenn ihr dann endlich dieses ‚Ich leide dir zuliebe‘-Gefasel einstellt. Ist ja nicht auszuhalten.“ Gereizt schob er sich an Shohei und Benjamin vorbei Richtung Innenstadt, blieb ein letztes Mal stehen, ohne sich zu den beiden umzudrehen. „In drei Stunden am östlichen Ausgang Prismanias. Wehe, ihr habt bis dahin nicht euren Kram gepackt.“




    ***


    Der staubige Boden befleckte sein Antlitz mit den abstraktesten Schattenmustern, verstohlen linsten die Lichtstrahlen durch das dichte Blätterdach des Waldes, den Shohei, Simon und Benjamin der Ruhe halber bewanderten. Ständig variierten sie ihre Figuren, veränderten sich, je nachdem, wie es dem Wind beliebte, die einzelnen Komponenten in sich zu wiegen, die separaten Stücke zu neuen Konstrukten zu formen. Wild tanzten sie auf Laub und Erde, elegant schmiegten sie sich an Stämme und Äste, und Benjamin bemühte sich, seine innere Nervosität vor Shohei und Simon zu verbergen, die sich ausnahmsweise nicht in den Spannungen zwischen ihnen begründete.
    Wieso sollte man nicht ebenso die Natur überwachen? Er wusste zu gut, die Augen und Ohren der Behörden versteckten sich beinahe an jedem Ort, in jeder Einkerbung, jedem Winkel, warum nicht auch hier? Observierte man sie tatsächlich und er erzählte den anderen von seinen Vermutungen, bekäme es die Regierung unverzüglich mit, man nähme sie gefangen, sperrte sie weg… oder eben Schlimmeres, zumindest was Simon und ihn selbst beträfe. Intravenöse Medikamente, Leistungstests, Qualen bis zum absoluten Limit… es schauderte ihn bei dem Gedanken. Und seine werten Begleiter… die erklärten ihn garantiert für paranoid, sollte er ihnen von den Machenschaften der Stadtvorstände berichten. Nun, vielleicht stellte sich Shohei auf seine Seite, dann aber lediglich aus Prinzip, um Simon herauszufordern, nicht aus dem Glauben an die Wahrheit von alledem. Shohei verachtete als einer von Wenigen die gar diktatorische Staatsform, noch dazu verheimlichte er es nicht – und Benjamin war es ein Rätsel, dass man ihn nie erwischt hatte - , ob er sich allerdings solch vermeintlich drastischen Mutmaßungen anschlösse, bezweifelte Benjamin trotz jeglichen Vertrauens. Missmutig seufzte er.
    „Hey, Benji, reicht dir meine Freundlichkeit etwa nicht?“, beklagte sich Simon just vorwurfsvoll, er schien sich von Benjamins Geste angesprochen zu fühlen. Empört drehte Simon ihn an der Schulter zu sich herum, ohne dabei an Schritttempo einzubüßen. „Ich habe alles getan, was du verlangt hast, also -“
    „Es war nicht deswegen“, presste Shohei prompt zwischen den Zähnen vor, so als beschäftigten ihn dieselben Schwierigkeiten. Benjamin merkte, welch enorme Beherrschung, Simon nicht an die Gurgel zu springen, er aufwandte, ballten Shoheis Finger sich in den Taschen seiner Jeans bereits zu Fäusten. Krampfhaft fixierten seine Augen den vor ihnen befindlichen Waldweg. In ihnen funkelte eine Flamme der Abscheu. Im Nachhinein tat es Benjamin unglaublich leid, Shohei sozusagen mit dieser Neugierspilgerung belästigt zu haben, weilte er immerhin in Kenntnis hinsichtlich seiner Abneigung zu Simon. Dennoch hatte Shohei ihm zuliebe eingewilligt und war jetzt gezwungen, die Konsequenzen zu erdulden, auf längere Dauer. Hätte Benjamin die Flucht ergriffen, während Shohei arbeitete, wäre die Angelegenheit kein Problem gewesen. Aber er Idiot hatte sich ja unbedingt rebellisch zeigen müssen, am liebsten würde er den gesamten Tag schlichtweg revidieren. Klar, diese Entscheidung, die Gründe seiner Falschheit zu erforschen, wäre ihm verwehrt geblieben, doch… er hasste es, Shohei zur Last zu fallen. Irgendwann hätte er Shoheis Apartment sowieso verlassen, früher oder später, und obwohl er wusste, ‘früher‘ stellte für alle Beteiligten die beste und schnellste Lösung dar, so bevorzugte seine Intuition doch die andere Alternative.
    „Oh, Shohei kann mittlerweile Gedanken lesen“, höhnte Simon überschwänglich, verschränkte dazu die Arme hinter seinem Kopf. „Dann muss ich das, was ich dir am liebsten an den Kopf schmeißen würde, ja nicht einmal aussprechen.“
    „Alleinunterhaltung braucht kein Publikum.“ Zu Benjamins Verwirrung zierte ein zufriedenes Lächeln Shoheis Lippen, als er sprach; eines, das er bislang nicht an dem Älteren identifiziert hatte; eines, das Benjamin in Verbindung mit Shoheis scheinbarer Genugtuung nicht zu deuten vermochte. Benjamin fand es lediglich etwas schade, dass es nicht ihm galt, sondern Shoheis Rivalen. „Ich glaube kaum… nein, ich bin mir sicher, Benjamin hat ebenso wenig Lust, dir zuzuhören.“
    „Shohei, also ich –“, setzte Benjamin daraufhin leicht verstimmt an, wollte sich und seinen Standpunkt wenigstens einmal eigens verteidigen, anstatt andere seine Gemütslage bestimmen zu lassen, jedoch ignorierte man ihn kurzerhand.
    „Wenn er schon nicht zuhören will, kann er ja ein bisschen von sich reden“, schlug Simon letztlich vor, und an der Art und Weise, wie er seine Idee präsentierte, schwante Benjamin nichts Gutes. Simon, der ihm wenig später gönnerhaft den Arm um die Schulter legte, entgegnete schließlich kein Wort ohne Hintergedanken. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch wandte er sich Simon zu. Glücklicherweise registrierte er Shoheis stechenden Blick nur am Rande. Die Gegenpartei ging zum Angriff über. „Also, Benji…“ Als wären sie schon seit frühster Kindheit beste Freunde, beugte Simon sich zu ihm hinab, lehnte mit dem Kopf an Benjamins. „Wie habt ihr euch denn kennen gelernt, Shohei und du? Es interessiert mich ungemein, was meine Mitmenschen so treiben.“
    Zu Benjamins Unbehagen innerhalb der Situation gesellte sich nun auch eine Spur der Verzweiflung. Shohei hatte es sich damals verboten, Geneviève den wahren Vorfall zu erläutern, da konnte Benjamin nicht ohne Weiteres einem ihm prinzipiell Fremden die Sache brühwarm schildern, zumal er sich nicht gern daran erinnerte. Einsam hatte er dort in der Gasse gesessen, vom blinden Schicksal gepeinigt, zum Leben zu schwach, langsam das Bewusstsein verloren… Sein Arm hatte fürchterlich gebrannt, war gleichsam zunehmend tauber geworden, das laue Blut überall, strömte gleich Sturzbächen aus ihm heraus, als duldete es ihn nicht länger… Die kompletten Geschehnisse entfachten einmal mehr ihre Dominanz, isolierten ihn von seinem aktuell realen Umfeld, bannten ihn in seinem Albtraum der Vergangenheit. Ausdruckslos fokussierte Benjamin die Unendlichkeit des trockenen Pfades vor sich. Das sanfte Applaudieren der Blätter, der entfernte Schrei eines Tauboss, das Knistern von Laub und Ästen unter ihren Füßen – alles bloß gedämpfte, unwichtige Laute in seinen Ohren.
    „Du würdest es nicht verstehen“, mischte Shohei sich ein, und in einer schmalen Ecke seines geistesabwesenden Verstandes dankte Benjamin ihm sehnlichst dafür. Es war wohl doch besser gewesen, Shohei mitzunehmen. „Siehst du nicht, wie sehr ihn das quält?“
    „Andere Fragen werden ja wohl erlaubt sein.“ Mürrisch senkte Simon seine Stimme, gab vor, ausschließlich mit dem ohnehin illusionierten Benjamin zu reden, nichtsdestotrotz spähte er wiederholt zu Shohei. Benjamin spürte Simons Atem an seinem Ohr, eigentlich wollte er nicht mehr, wollte Simons Arm abschütteln, allerdings spielten seine Muskeln da leider nicht mit. Sie waren gelähmt, sämtliche Sehnen und Nerven, bis auf Beine und Füße, die weiter gehorsam voran trotteten. „Erzähl mal, Benji, du wohnst ja bereits einige Wochen bei Shohei… wie viel hat er dir geboten, damit du dich nicht wehrst? Oder hat es ihm besonderes Vergnügen bereitet, dich mit Gewalt ins Bett zu zerren?“ Benjamin hörte an Simons Intonation, wie Simons Lippen sich zu einem an Breite gewinnenden Grinsen formten, und wandte seinen Kopf zu Seite, zu Shohei. Er versuchte, diese Fragen zu verdrängen, gar nicht wahr zu nehmen, realisierte, dass es lediglich noch dazu diente, Shohei zu provozieren. Simon zeigte kein Interesse an seiner Persönlichkeit, hatte es von Anfang an nicht. Warum hatte er Benjamin dann zu der Reise eingeladen? Um der Gesellschaft Willen? Es fiel Benjamin so schwer wie nie zuvor, das Verhalten eines Menschen konkret einzuschätzen, weshalb er sich auch nicht richtig zu wehren vermochte, aus Angst, es zu verschlimmern. Das Weltbild, das Simon von Shohei lieferte jedoch, dem schenkte Benjamin keineswegs Glauben, das passte nicht, nein, dergleichen wäre Shohei nie imstande auszuüben. „Wie oft hat er dich flach gelegt und leise Genevièves Namen gestöhnt? Hat –“
    Unvermittelt schlug man Simons Arm von Benjamins Schulter, zog ihn am Handgelenk zur Seite und positionierte sich vor ihm. Benjamin stolperte beinahe in der Hast, es gelang ihm allerdings, sich rechtzeitig zu fangen. Seine braunen Iriden, weit aufgerissen vor Erschrockenheit, huschten aufgeregt in seinen Aughöhlen umher.
    „Du hast was zu klären? Schön, dann sag’s mir, aber lass verdammt nochmal Benjamin in Ruhe. Er hat nichts mit uns beiden zu tun“, ertönte Shoheis schier hasserfüllte Stimme. Seine Finger zitterten vor Zorn, genau wie Benjamin selbst, und der erkannte automatisch Shoheis mehr als volles Maß an Geduld und Zurückhaltung, war froh, ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. Benjamin hoffte nur, Shohei täte nichts Unvernünftiges, denn gegen Simons Elektrizität besäße er nicht die geringste Chance. Und sofern er Shohei irgendwie verletzte, vergäße Benjamin sich womöglich.
    „Ich dachte, du könntest Gedanken lesen?“, erwiderte Simon unschuldig, erhob seine blanken Handflächen als Zeichen des Unwissens. „Komm, Benji soll sich so ‘nen kleinen Scherz nicht –“
    „Er erzählt es dir, sobald er dazu bereit ist, du ungeduldiger Lustmolch. Das heißt, falls er diesen Scheiß weiterhin billigt.“ Damit drehte er sich zu dem nach wie vor schweigenden Benjamin um. Plötzlich klang Shohei so bedingungslos, sanft, freundlich, besorgt – Benjamin hatte das an Shohei bereits vermisst. Behutsam fasste Shohei ihm an die Schultern, platzierte sich unmittelbar vor Benjamin und berührte mit seinem Blick sanft dessen mattbraunen Seelenspiegel. Benjamin schaffte es einfach nicht, das Chaos seiner Emotionen vor Shohei zu verbergen. „Du bist dir wirklich sicher, dass du das willst? Wir können auch ohne ihn -“
    „Das war der Deal“, lachte Benjamin auf, bedauernd, am Ende seiner Weisheit. „Wir… nein, ich begleite ihn, dafür erlaubt er es dir wiederum, mitzukommen, indem er deine Ausgaben zahlt. Wenn ich jetzt meine Meinung ändere… Alles wird nichtig, Shohei, und du stehst vor dem Aus.“ Leerer Mimik schüttelte Benjamin langsam seinen Kopf. Er verziehe es sich nicht, Shohei zu enttäuschen, ihm Stich, allein zu lassen. Obwohl er Shoheis Existenz mit jeder verfügbaren Möglichkeit gefährdete, er könnte nicht zusätzlich zu dem Verlust Genevièves noch den von Shoheis Arbeit verantworten, dann verfügte er über keinerlei Daseinsberechtigung mehr. Ihm blieb keine Wahl, und er betete stumm, Shohei verstünde das. Er musste einfach. Denn in dem Schritt nach vorn, den er tätigte, um Shoheis trostspendenden Gewahrsam zu erreichen, offenbarte Benjamin ihm all den Kummer, den er sonst zu verhüllen ersuchte.



    ***


    Regal über Regal, ordentlich neben- und hintereinander gereiht, zwar mit Buchstaben und Nummern versehen, doch Shohei wusste, dass außer den Bibliotheksangehörigen wahrscheinlich niemand das ach so raffiniert ausgeklügelte System verstand. Zumindest war er selbst nie wirklich mit den Zahlen und Identifikationscodes zurechtgekommen, weshalb er des Öfteren die Angestellten mit seinen Problemen belästigt und umher gescheucht hatte. Das eine oder andere Gesicht kannte er daher noch immer. Genau wie den süßlichen Duft alten, fast zerfledderten Papiers, dem man hier begegnete.
    Vor ihm erstreckte sich ein weiter, neutral in weiß gehaltener Raum, er diente offensichtlich mehr dem Praktischen und dem Studium wertvoller Lektüre, als der Schönheit für das menschliche Auge. Dürre Stahlgerüste beherbergten die antiken und neueren Bücher in ihrem Gewahrsam, sorgten dafür, dass sie zumindest ein gewisses Maß an Halt fanden und nicht auseinander fielen. Shohei genoss die Ruhe des Zimmers, er hatte sie schon früher dem lauten Geschrei und Hast seiner Mitschüler bevorzugt, lauschte dem leisen Rascheln umgeblätterter Seiten, das aus den verschiedensten Ecken an sein Gehör drang, und augenblicklich kühlte sein erhitztes Gemüt ab.
    „Mann, für eine Bibliothek laufen hier aber viele Leute rum“, wunderte sich Simon lautstark, sofort erntete er diverse Zischlaute als Erinnerung an den Flüsterton. Genervt verzog er seine Miene, schritt grummelnd weiter in das Innere des Gebäudes, hinein in das Labyrinth aus Gängen und Regalen. Jedoch behielt er Recht, stellte Shohei erstaunt fest. Ungewöhnlich viele Menschen, vor allem junge Studenten, besuchten die Bibliothek. Ein großer Teil stammte von der Prismania Hochschule, wie man an den weiß-bläulich gestalteten Uniformen sehen konnte. Und unverzüglich erfasste Nervosität Shoheis vorher flach schlagendes Herz, Nerven und Muskeln verkrampften sich automatisch. Was, wenn Geneviève ebenfalls hier wäre und ihn zusammen mit Simon und Benjamin sah? Wie sollte er ihr denn bitte schön entgegentreten? Hektisch spähte er in alle Richtungen, auf der Suche nach braun wallenden Kaskaden, und folgte Simon, sobald er die Sicherheit besaß, sie wenigstens nicht in dieser Etage zu treffen.
    „Wonach suchen wir hier eigentlich, Simon? Also, nach welcher Sorte an Büchern?“, flüsterte Shohei, ohne sein Umfeld aus den Augen zu lassen. Simon und er standen in einem schmalen Gang zwischen zwei Regalen, sein Rivale stöberte in einem Buch mit rotem Einband, las allerdings nicht ernsthaft darin. Wahrscheinlich ohnehin in Willkür gewählt. Simon schenkte Shohei keinerlei körperliche Beachtung.
    „Vielleicht solltest du zunächst deinen Liebessklaven wiederfinden“, flötete Simon amüsiert. „Oder was ist er für dich?“ Sein triumphierendes Lächeln trieb Shohei beinahe zur Weißglut, allerdings schämte er sich gleichzeitig für seine Unaufmerksamkeit, denn Simon lag ja richtig. Er hatte Benjamin verloren, und das auf den paar Metern von Haupteingang zu den Regalen. Wortlos rückte er den schweren Rucksack auf seinem Rücken zurecht und trat hinaus auf den Hauptflur.
    Bücher in verschiedensten Breiten und Farben, platziert in einer Allee aus Stahlkonstrukten, kaltes, fahles Röhrenlicht, aber kein Benjamin. Glücklicherweise, oder leider, auch keine Geneviève. Sie ein letztes Mal in ihrer Schönheit betrachten zu dürfen, wäre… mehr als bloße Genugtuung. Vielleicht gelänge Shohei dann sogar ein passenderer Abschied.
    Plötzlich regte sich ein Schatten auf dem braunen Teppichboden, etwa fünf Reihen von ihm entfernt, und wenig später zeigte sich ein verträumter, leicht irritierter Benjamin. Unterwürfig inspizierte er die oberen Buchreihen, seine Mundwinkel huschten kurz in die Form eines Lächelns, als er Shohei bemerkte. Trotzdem erzeugte er nach wie vor einen eingeschüchterten, gar verstörten Eindruck, und erneut verfluchte Shohei Simons Penetranz. Seit den Anschuldigungen hatte Benjamin eisern geschwiegen, jetzt kam er wenigstens auf Shohei zu, Verschlossenheit und Demut seine Gefährten.
    „‘Mythen‘ könnte für uns nützlich sein“, entgegnete Benjamin knapp. Abwesend starrte er in die Ferne, monoton klangen seine Worte in Shoheis Ohren. Für ihn wirkte Benjamin zum Tag ihrer ersten Begegnung zurückversetzt, verwirrt, misstrauisch, gefangen in seinem Käfig aus Pein und Qual. Shohei wusste ob Benjamins Labilität, wusste ob seiner Unsicherheit, wusste, dass er ausschließlich manchmal über Entschlossenheit verfügte, die relativ zeitlich wieder schwand – dennoch hatte er ihn nicht vor Simons Angriffen geschützt, trotz seiner Kenntnisse. Er war ein schlechter Begleiter.
    „Es gibt mehrere Mythen-Abteilungen hier. Am besten, wir fragen an der Rezeption. Und auf dem Weg sammeln wir Simon ein.“ Rasch eilte Shohei den Hauptgang entlang, linste rechts und links in jeden Flur, wo sich entweder niemand aufhielt oder eine Gruppe Studenten, fixierte sich besonders auf blonde Schädel – bis er Simon schließlich entdeckte, versteckt und umringt von mehreren Mädchen. Benjamin zeigte kaum eine Reaktion darauf, er war Shohei stumm hinterher gelaufen. Seufzend betrat dieser den ohnehin engen Zwischenraum der Regale, kämpfte sich weitestgehend an seinen Rivalen heran, beteiligte sich mit ausgestrecktem Arm am Geschehen und zerrte Simon am Kragen seines blauen Shirts aus dem Knäuel aufgeregt wispernder Mädchen. Natürlich wehrte Simon sich vehement gegen die abrupte Entführung, jedoch erfolglos. Erst einige Reihen weiter lockerte Shohei seinen Griff.
    „Hast du eigentlich nichts außer Rumhuren im Kopf?“, fuhr er Simon an, nur nebenbei zum Flüstern bemüht. „Dass du noch keine Krankheit hast, grenzt an ein Wunder.“ Shoheis Puls raste vor Wut, er atmete schwer, damit er nicht komplett die Fassung verlor, und er fuchtelte mit seinen Händen vor Simons Nase herum, während er sprach. „Mann, sieh doch einmal ein, ein einziges Mal, dass es ausnahmsweise nicht um dich geht, Simon! Du hattest die Grundidee, ja, doch ich für meinen Teil bin ausschließlich wegen Benjamin hier. Weil ich Benjamin helfen will und sonst nichts. Also verhalte dich entsprechend.“
    „Da haben wir es ja wieder“, spottete Simon überschwänglich, verdrehte abschätzig seine grasgrünen Augen. „Du fixierst dich total auf eine Person, ohne an anderen Anwesende zu denken.“ Wütend funkelte er Shohei an, der den lodernden Blickkontakt trotzig erwiderte, bereit zum Kampf. „Du hast dich kein Stück geändert, Shohei. Ich musste für Geneviève weichen, und sie, wie ich annehme, für Benjamin? Herrgott, du bist so ein verdammter Egoist!“ Aber an Shohei prallten Simons Vorwürfe spurlos ab. Er weigerte sich, seine Fehler zuzugeben, die seiner Meinung nach schlichtweg in der Natur der Sache lagen, und sich nicht in seinem Verhalten begründeten. Geneviève war seine erste Liebe gewesen, Shohei hatte immense Angst gehegt, sie bei zu geringer Aufmerksamkeit ihr gegenüber zu verlieren, sein Verstand wurde noch immer betäubt, wenn er an sie dachte. Was erwartete Simon da?
    „Musst du gerade sagen“, feixte Shohei daraufhin. „Wer von uns schleppt denn jeden Abend ein anderes Mädchen ab, um sie nach dem Spaß sofort fallen zu lassen? Das bin ja wohl nicht ich, mein Lieber. Und eines will ich dir mal sagen –“
    „Bist du sicher, dass du das willst? Es könnten deine letzten Worte in dieser Bibliothek sein.“ Eine erzürnte Mädchenstimme unterbrach Shohei mitten im Satz, völlig perplex wirbelte er zur neuen Partei der Konversation herum, unschlüssig, wie er reagieren sollte, und spürte bald einen warmen Schleier auf seinen Wangen. Längst hatte er nicht mehr geflüstert, sondern eher die halbe Bibliothek zusammen geschrien, ohne es wirklich zu merken. Beschämt wandte er seinen Kopf zur Seite. „Na also. Etwas mehr Benehmen hätte ich von Jungs eures Alters prinzipiell erwartet, ihr seid hier nicht allein.“
    Aus den Augenwinkeln heraus riskierte Shohei einen Blick auf das weibliche Geschöpf, das sie just in die Schranken wies. Eine dunkelbeige Bluse mitsamt schwarzem Kragen und gleichfarbigen Ärmelenden hüllte den Oberkörper des Mädchens in ihren Stoff, bot dank mehrerer geöffneter Knöpfe einen nicht minderen Ausblick auf ihr Dekolleté, wobei zusätzlich ein schwarzes Top eine übermäßige Ansicht ihrer Unterwäsche verhinderte. Über Hüfte und den Ansatz ihrer Beine legte sich ein Schleier grau-blauen Nähwerks, nicht allzu lang, jedoch reichte es ebenso wenig bis zu ihren Knien. Als besäßen ihre Beine nicht bereits eine grazile Länge, so sorgten ihre tiefschwarzen Pumps dafür, dass sie noch um einiges an Eleganz und ihre Person als Ganzes einige Zentimeter an Größe gewann. Ihr Antlitz umschloss ein Rahmen strahlend blauer Locken, die etwa bis zur Hälfte ihres Rückens reichten, und intensiv marineblaue Iriden schimmerten in ihrem zarten, stupsnasigem Gesicht. Ein sehr hübsches Mädchen, so fand Shohei, zierliche Statur, trotzdem stark und sehr wohl durchsetzungsfähig. Das beeindruckte ihn.
    „Jawohl, Ma’am“, bestätigte Simon künstlich gehorsam. „Alles, was Sie verlangen und scheuen Sie nicht, Gewalt einzusetzen.“ Sein Lächeln verflog, als Shohei ihm entrüstet gegen den Oberarm boxte, um ihn zum Schweigen zu bringen.
    „Entschuldigen Sie vielmals unser Benehmen“, meldete sich nun Benjamin zu Wort, und das, obwohl er an der Zankerei nicht einmal beteiligt gewesen war, verbeugte sich Verzeihung erbittend vor der scheinbaren Bibliotheksaufsicht. Mit solch einem Höflichkeitsaufgebot hatte Shohei nicht gerechnet, geschweige denn solch einem Stimmungsumschwung, tat es Benjamin allerdings gleich. Sogar Simon bequemte sich zu jener Geste. „Arbeiten Sie hier?“ Erst jetzt bemerkte Shohei das Ausweisschildchen an ihrer Bluse.
    „Ja, das tue ich“, bejahte die noch Unbekannte, zupfte am Saum ihres Rockes. „Mein Name ist Itoe Nakamura, aber nennt mich ruhig Itoe. Ich bin hier als Sekretärin und Aufsichtsperson tätig. Kann ich euch vielleicht helfen, bevor die Angelegenheit hier erneut eskaliert?“
    „Wissen Sie denn, wie die Abteilungen für Mythen voneinander abgegrenzt sind?“ Skeptisch beäugte Shohei das Spektakel, die Show, welche Benjamin ihnen allen lieferte. Er war keineswegs die Frohnatur, die er vor Itoe mimte, oder der sorgenfreie Enthusiast, den er fälschlicherweise spielte. Shohei wusste, es ging ihm nicht gut, jedoch versuchte Benjamin, dies unter allen Umständen zu verbergen. Vielleicht erhaschte er später einen Moment der zweisamen Abgeschiedenheit, in dem er in Ruhe mit Benjamin sprechen könnte, seiner Ansicht nach dringend nötig – mit seinem Nebenjob als Babysitter für Simon aber leichter gesagt, als getan. „Wir suchen nämlich ganz bestimmte Mythen. Es geht um Geschichten von Menschen, die spezielle Fähigkeiten kontrollieren, zum Beispiel Elektrizität oder Feuer.“ Zu Shoheis Erleichterung senkte Benjamin seine Stimme zunehmend, sodass seine Anfrage neben Itoe keiner mitbekommen dürfte. Ihre glasklaren Augen allerdings weiteten sich vor Entsetzen, zitternd taumelte sie einige Schritte zurück, faltete die Hände vor ihren blassrosafarbenen Lippen. Shohei runzelte die Stirn.
    „Ich…“, stammelte Itoe, zunächst sprachlos wanderte ihr Fokus zwischen Simon, Benjamin und Shohei umher. „Für was braucht ihr die Bücher?“ Es stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, dass die Konversation für sie allmählich ins Unangenehme ausartete, sie sich dem schnell entziehen wollte. Doch Shohei dachte nicht daran, sie entkommen zu lassen, dazu verhielt sie sich zu verdächtig.
    „Wir sind interessiert am Unerklärlichen“, lächelte er überfreundlich, drehte den Spiel somit direkt um. Denn jetzt war sie diejenige, die errötete, und nicht Shohei. Ja, nicht bloß Simon erfreute sich in seinem Sadismus an Triumphen.
    „Ich… werde nachschauen, ob wir diese Bücher noch haben. Ausleihen dürft ihr sie leider nicht, ab einem gewissen Alter der Lektüre verweigert die Bürgermeisterin die Herausgabe und ordnet bei kritischen Werken ihre Vernichtung an.“ Mit jenen Worten drehte Itoe sich um und verschwand auf kürzestem Wege um Irrgarten der Regale. Irgendwie erinnerte Shohei die Art und Weise, auf die ihre hellblauen Haare Itoe hinterher wehten, an seine geliebte Geneviève.

  • So, nach dem ich nach einer gefühlten Ewigkeit zeit habe, kommentiere ich mal das neue Kapitel.


    "Bound to a bastard", ich nehme an damit ist die Beziehung von Simon und Shohei gemeint, die ja nicht so rosig ist. Man merk beiden sehr an das es noch dauert bis die miteinander klar kommen. Und der arme Benji steht irgentwie dazwischen ( jetzt nenn ich in auch schon Benji, ist einfach kürzer) und weiß nicht so recht was zwischen den beiden vorgefallen ist. Alles in allen find ich es gut das die Reisegruppe startet. Simon darf sich jetzt um den Job von Shohei und seine Miete kümmern, aber das er es Benji zuliebe tut zeigt das er vielleicht doch nicht so selbstsüchtig ist und er auch etwas von der Reise erhofft. Auf die idee sich zuvor in der Bücherei zu informieren bin ich gar nicht gekommen, obwohl es sinn macht anstatt hals über kopf in die lande zu ziehen. Es kommt auch mit Itoe ein neuer Charakter dazu. Ich nehme an sie noch eine größere Rolle spielt der Charaktersteckbrief auf seite 1 deutet das ein wenig an, auch wenn man noch nicht viel von ihr erfährt. Ihrer Reaktion auf Benjis frage zeigt das sie irgentwas über die Fähigkeiten von Simon und Benjamin weiß. Mir gefählt die beschreibung "Vernichtung kritischer Werke" irgentwie ganz und gar nicht, das klingt nach Bücherverbrennung im dritten Reich. Das erinnert mich an Benjamins Furch davor was mit ihm passiert wen die Regierung in in die Finger kriegt, ach wenn ich nicht weiß ob er tatsächlich von diesen Vorgängen weiß oder es eine Paranoira ist. Die Szene in der bibliotheke zeigt das scheinbar doch an der sache was dran sein könnte. Alles in allen ein sehr gutes Kapitel, ich hoffe ich hab dann wieder mehr zeit zum Kommentieren.

    "We starve, look at one another, short of breath. Walking proudly in our Winter coats. Wearing smells from labortories, facing a dieing nation of moving paper fantasy, listening for the new told lies with supreme vision of lonely tunes"
    Hair, Let the sunshine in