Durch die News, dass nun einige Politiker aus „Kostengründen“ darüber nachdenken das „Sitzenbleiben“ in Deutschland abzuschaffen, dachte ich, es würde nun langsam tatsächlich Zeit für einen solchen Thread.
Es geht – natürlich – um das Schulsystem in Deutschland (und Österreich) und ebenso um die Bildungspolitik.
Dabei sollen die leitenden Fragen für die Diskussion sein:
Seid ihr mit eurem Schulsystem zufrieden?
Was könnte man am Schulsystem eurer Meinung nach verbessern?
Wie steht ihr zu anderen Schulsystemen?
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Das Schulsystem
Generell gibt es in den „erste Welt“-Ländern zwei vertretene Arten bei den Schulsystemen: Das integrierende und das gegliederte Schulsystem.
Österreich und Deutschland nutzen beide das gegliederte System, bei dem die Schüler sehr früh auf verschiedene Schulen „aufgegliedert“ werden, die sich nach Leistung unterscheiden.
So kann man in Deutschland nach der Grundschule generell entweder auf die Hauptschule, die Realschule, ein Gymansium oder eine Gesamtschule kommen (natürlich gibt es zusätzlich auch noch die Form der Sonderschule), während man in Österreich – ebenfalls nach der Grund- bzw. Volksschule – entweder auf eine Hauptschule oder auf ein Gymnasium kommt, wobei innerhalb der Hauptschule ebenfalls oftmals in Leistungsgruppen unterteilt wird.
Dem gegenüber steht das integrierende System, wie es in Finnland, Kanada, Japan und auch Südkorea genutzt wird. Beim integrierenden System besuchen alle Schüler bis zum Schulabschluss dieselbe Schulform. Zwar kann es eventuell sein, dass in der letzten Klasse oder den letzten beiden Klassen hier nach Berufs- und Weiterbildungschancen die Klassen aufgeteilt werden, doch generell besuchen alle dieselbe Schule.
Hierzu sei gesagt, dass viele am gegliederten System in Deutschland und Österreich das Problem nicht unbedingt daran sehen, wie gegliedert wird, sondern wann diese Gliederung erfolgt. Denn tatsächlich gibt es kaum ein gegliedertes Schulsystem, das die Kinder schon so früh aufteilt. Während in den meisten Ländern mit ähnlichem Schulsystem diese Einteilung nach der sechsten oder siebten Klasse geschieht, werden die Schüler in Deutschland und Österreich bereits nach der vierten Klasse aufgeteilt.
Dabei sei jedoch gesagt, dass es in Österreich sowohl einfach möglich, als auch sehr üblich ist, die Matura nicht an einem Gymnasium, sondern auch an anderen weiterführenden „Schulformen“, wie der HTL oder der HAK zu machen – die ein Jahr länger dauert, als die gymnasiale Oberstufe, dafür jedoch normal auch eine Berufsausbildung mit einschließt.
Zwar kann man in Deutschland auch an Fachoberschulen eine Fachhochschulreife erlangen, doch besteht hier das Problem, dass das „Fachabitur“ aus einem Bundesland nicht immer in allen anderen Bundesländern anerkannt wird.
Die Benotung
Generell kann man International zwei Benotungssysteme unterschieden: Einmal Benotung durch Noten und zum anderen Benotung durch Punkte oder Prozent.
Das Problem bei „Benotung durch Noten“ ist, dass hier die internationalen Variationen genau so weitreichend sind, wie die Antworten auf die Frage „Wie viel Prozent brauche ich eigentlich um zu bestehen?“
Denn einige Länder haben ein Zahlenbasiertes System – wie wir. Bei uns gibt es die Noten 1 bis 6, oder 1 bis 5, wobei 5 und 6 jeweils „nicht bestanden“ bedeuten und 1 die beste Note ist. Das ist aber wiederum nur bei uns so. In andern Ländern gibt es manchmal auch Zahlensysteme von 1 bis 8 oder 1 bis 10 und nicht immer ist 1 die beste Note – denn in manchen Ländern, wie Rumänien, sind hohe Zahlen besser als niedrige.
Und dann gibt es natürlich auch Länder – wie die USA – die „Grades“ vergeben und diese normal mit Buchstaben betiteln. Das amerikanische System von A bis F ist unserem gar nicht so unähnlich: Sechs verfügbare Noten, die letzten beiden gelten als „Nicht bestanden“. Wobei hier vielleicht interessant ist: Während bei uns für gewöhnlich alles was schlechter als 51% ist, als „nicht bestanden“ gilt, so müssen amerikanische Schüler mehr als 59% richtig beantworten, um eine Prüfung erfolgreich zu bestehen.
In vielen anderen Ländern – gerade in den ostasiatischen – sind Punkte- oder Prozentsysteme üblich.
Dabei gibt es zwischen 90 und 100 Punkte als Maximum oder eben 100% zu erreichen.
Hierbei sei zu bedenken, dass es in den meisten Ländern, in denen diese Systeme vorherrschen, nicht möglich ist „Sitzen zu bleiben“, es also ein „Nicht bestanden“ oftmals nur pro Forma gibt.
Klassenstufen und Versetzung
Die Schulpflicht umfasst – und das gilt praktisch für alle „Erste Welt“-Länder – neun (manchaml auch zehn) Jahre und damit normal auch neun Klassenstufen.
Alles danach ist zwar – gerade bei integrierenden Schulsystemen – anzuraten, aber nicht verpflichtend.
Eingeschult werden Schüler normal mit sechs oder sieben Jahren, wobei normal ein Stichtag entscheidend ist.
Einige Länder kennen noch die „Vorschule“ oder „Nursing School“ die im Alter von vier oder fünf Jahren bis zur eigentlichen Einschulung besucht wird.
Die Versetzung ist tatsächlich etwas, das viele Länder so nicht unbedingt so kompliziert sehen, wie es bei uns der Fall ist:
USA, Japan, Südkorea oder auch Finnland kennen das Sitzenbleiben in dem Sinne nicht. Eventuell können in einigen Schulsystemen Schüler am Ende einer Stufe „zurückgehalten“ werden, aber dieses immerzu mögliche Sitzenbleiben und Wiederholen gibt es nicht – oder wenn nur auf einen Antrag hin.
Genau so unterscheidet es sich, ob man Klassen überspringen kann.
Gerade in den USA ist diese Praxis sehr üblich, weshalb es dort tatsächlich ab und an vorkommt, dass 18jährige bereits einen Masterabschluss haben. Wobei dies natürlich eher eine Ausnahme ist.
Dennoch ist das Überspringen selbst üblich und möglich,
Andere Länder unterstützen dies überhaupt nicht. In Japan selbst ist es praktisch gar nicht möglich eine Klasse zu überspringen. Die einzige Möglichkeit, dies herbei zu führen – und selbst dann ist es noch mit großer Bürokratie verbunden – ist ein Auslandsjahr in einem Land, wo es möglich ist.
Privatschulen
Auch wenn es zu dem Thema noch einen extra Thread hier gibt, dachte ich, man sollte es dennoch im Rahmen einer Schulsystems-Diskussion einmal ansprechen: Privatschulen gibt es praktisch überall und sie haben normaler Weise eins gemeinsam: Sie kosten Geld und haben meist einen guten Ruf, der praktisch mehr Wert ist, als die Noten, die man dort erhält.
Hierbei ist es in Ländern, die ein integrierendes Schulsystem haben, oftmals so, dass die Privatschulen „bessere Schulformen“ eines gegliederten Schulsystems ersetzen. Denn was unser Gymnasium ist, ist des Japaners Private Oberschule. Und auch, wenn – um beim Beispiel zu bleiben – japanische Universitäten Aufgrund von Aufnahmetests entscheiden, so ist es nicht selten so, dass Schüler von Privatschulen hier bevorzugt behandelt werden.
Kritik am deutschen Schulsystem
Kommen wir, nach diesem Exkurs zurück nach Deutschland und befassen und damit, was viele Pädagogen und auch manche Politiker und Journalisten am deutschen Schulsystem kritisieren.
Und immerhin sagt es denke ich viel aus, dass – wenn ich nach „Kritik am d...“ Google direkt der erste Vorschlag „Kritik am deutschen Schulsystem“ und das zweite „Kritik am deutschen Bildungssystem“ ist.
Der Dreh- und Angelpunkt der Kritik ist letzten Endes die deutsche Gliederung im Schulsystem, die selbst international immer wieder für Kritik sorgt.
Denn die großen Probleme sind die frühe Aufteilung und die extreme Aufteilung in die Schulformen. Denn seien wir ehrlich: Gerade in Akademiker-Köpfen gibt es oftmals keinen Unterschied zwischen „Der war an einer Hauptschule“ und „Der da war einer Sonderschule“.
Dabei sagen Noten in dem frühen Alter nicht nur allgemein wenig aus – nein – sie werden auch oftmals nicht verwendet, um die Aufteilung vorzunehmen. Stattdessen achten Grundschullehrer, die meistens diejenigen sind, die die „Vorschläge“ erteilen nicht selten auf den sozialen Hintergrund des Kindes. Akademikerkind? Kommt aufs Gymnasium. Immigrantenkind? Ganz klar Hauptschule!
Dieses Video parodiert diesen Missstand denke ich ganz gut.
Problematisch an dieser Aufteilung ist außerdem, dass bei uns die Chancen für Hauptschüler im späteren Leben eher schlecht stehen. Denn egal in welchem Bereich: Sie werden meistens benachteiligt. Es wird für einen Hauptschulabsolventen schwer gemacht, noch einen höheren Abschluss nachzuholen. Und auch in normalen Ausbildungsberufen werden Realschüler – und Abiturienten – bevorzugt.
Gleichzeitig ist es aber so, dass gerade Schüler/innen aus „besseren“ Familien, am besten mit akademischem Hintergrund, egal wie dumm und/oder faul sie sind, durch das Abitur gebracht werden, wodurch Leute, die teilweise weniger tatsächlich können, als so manch ein Realschüler, dennoch eine Universität besuchen dürfen (und dort dann meist kläglich versagen).
Davon abgesehen ist dem deutschen Schulsystem die individuelle Förderung von Schülern fremd. Einige Schulen bieten dergleichen an – ja – aber staatlich gefördert ist es eher selten. Oftmals werden solche Programme eher von privaten Organisationen gefördert.
Und diese Mangelnde Förderung macht sich in vielen Bereichen bemerkbar: Intelligente Schüler können ihr Potential nicht voll ausschöpfen. Schüler mit Problemfächern sind auf private und nicht immer professionelle Nachhilfe angewiesen. Schüler, die eigentlich intelligent sind, aber aufgrund ihres Migrationshintergrundes sich mit der deutschen Sprache noch etwas schwer tun, bekommen keine Möglichkeit diese gut zu lernen.
Und auch bei den Lehrkräften wird mittlerweile gespart.
Der Lehrer ist mittlerweile zum Wissensvermittler geworden – ohne Pädagogische Hintergründe.
Gleichzeitig sind an vielen Schulen zu wenig Lehrer angestellt.
Und allein die Tatsache, dass die Lehrerausbildung immer weniger Praxis umfasst und dann auch noch lächerlicher Weise immer auf genau EINE SCHULFORM ausgelegt ist (sprich: Man studiert um Realschullehrer oder Gymnasiallehrer zu werden – nicht um einfach „Lehrer“ zu sein).
Und die Bildungspolitik als solche ist gesamt immer wieder ein Kritikpunkt...
(Wenn österreichische Schüler die klassische Kritik am ihrem Schulsystem ergänzen wollen, so können sie das gerne tun :D Ich kenne zwar das österreichische Schulsystem, aber nicht die Kritik an diesem)
Um zu den Fragen zurück zu kommen...
Seid ihr mit eurem Schulsystem zufrieden?
Was könnte man am Schulsystem eurer Meinung nach verbessern?
Wie steht ihr zu anderen Schulsystemen?
Findet ihr Sitzenbleiben und Überspringen gut oder schlecht?
Wie findet ihr die Benotung in eurem Land?
Was denkt ihr zum Thema Chancengleichheit?